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Die Streichlerin

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24.01.2009
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Die Streichlerin

Der alte Pagel saß am Fenster und schaute hinaus in den Frühling. Komm lieber Mai und mache, summte er, so gut es seine Stimme noch zuließ. Und ein bisschen hörte es sich an, als würde die Amsel mit ihm singen.
„Haben Sie das gehört? Die Amsel?“
Katja lächelte müde. „Ja. Habe ich. Und würden Sie jetzt bitte Ihre Tabletten nehmen.“
Aber Pagel war gar nicht bei der Sache. Und lass mir an dem Bache die kleinen Veilchen blühn!, sang er.
Katja fasste nach dem Rollstuhl und drehte Pagel ins Zimmer. „Nehmen Sie bitte ihre Tabletten. Danach können Sie von mir aus bis zum Mittag mit den Vögeln singen.“
Pagel griff nach den Rädern. Er wollte dieses Zimmer nicht sehen, nein, gewiss nicht, es war nicht so schön wie die Blütenpracht des Flieders. Aber Katja war schneller, sie blockierte die Räder und klapperte hässlich mit dem Tablettenbecher. Wütend schaute Pagel sie an.
„Sie hätten das schon lange hinter sich haben können“, sagte sie.
„Ich will duschen. Ich stinke.“
„Sie stinken nicht. Und geduscht haben Sie erst vor zwei Stunden.“
„Habe ich nicht!“
„Oh doch. Und das wissen Sie ganz genau.“
„Aber ich stinke.“
Katja seufzte, atmete tief durch und beugte sich dicht an Pagels Ohr. „Dann schicke ich Ihnen gleich den Jirka.“
„Nein!“, schrie Pagel auf. „Nicht der. Der ist“, Pagel überlegte, „brutal!“
„Ist er nicht.“
„Ist er doch!“
Katja schüttelte noch einmal mit dem Pillenbecher. Pagel riss ihn ihr aus der Hand, schluckte die Tabletten, trank einen Schluck Wasser nach und gerade als Katja nach dem leeren Becher griff, ließ Pagel ihn fallen. „Ups.“
Katja seufzte. „Das war doch Absicht.“
„Nein. Er ist mir aus den Händen geglitten.“
„Ach, Herr Pagel.“ Sie löste die Bremsen vom Rollstuhl und schob ihn zurück ans Fenster.
Wie möchte ich doch so gerne, ein Veilchen wieder sehn, sang Pagel als Katja aus dem Zimmer ging. Und nachdem sie fort war, flüsterte er: Ach, lieber Mai, wie gerne einmal spazieren gehn!

„Achtzehn“, sagte der Hohenegger.
„Hab ich“, sagte der Franz.
Pagel ließ seine Karten sinken. Aus jedem Dorf ein Weibe, das taugte beim Skat nichts. Für diese Runde war er raus.
„Zwanzig“, sagte der Hohenegger.
„Grand Hand“, sagte der Franz. „Kommste drüber?“
Der Hohenegger schnaubte, schob Franz den Skat zu, beugte sich vor und flüsterte: „Habt ihr schon von der Neuen jehört? Die, die jetzt im Zimmer von der Fusselheidi wohnt?“
„Was ist mit der?“, fragte der Franz.
„Die haben se ruhig jestellt.“
„Ach so“, murmelte der Franz, denn das war keine von den Geschichten, die er so gern vom Hohenegger hörte.
„Naja.“ Der Hohenegger rutschte mit seinem Stuhl näher an den Tisch. „Aber die Frage is doch: Warum?“
Der Franz hatte gerade den Pikbuben ausgespielt, da ließ er die Karten wieder sinken. „Und warum?“
„Die Unterwäsche sollen se ihr wechjenommen haben. Die Feine, aus Seide mit Spitze. Baumwollbüchsen haben se ihr dafür jejeben, wegen de Wäscherei und Hygiene und so. Und da soll die ausjetickt sein. Völlig explodiert. Jekeift, Jeschrien, jeschlagen nach allet, wat ihr vors Jesichte kam.“
„Wegen der Unterwäsche?“, fragte Pagel.
„So sagen se.“
„So ist der Teufel: Erst gibt er dir, dann nimmt er dir“, sagte der Franz. „Aber in Ordnung finde ich das nicht.“
„Und der Müller aus Zimmer 104“, erzählte der Hohenegger weiter, „der soll heut Nacht wieder nackt ins Schwesternzimmer rin und hat an seinem Schniedel jespielt.“
„So ist der Teufel“, sagte Franz, „den Verstand nimmt der dir, den Trieb lässt er dir. Hätte der Müller noch ein bisschen Grips, dann hätte er auch Moral und Anstand. Der Grips“, Franz tippte sich an die Schläfe, „macht, dass du anständig bleibst. Hat der Müller vor der Demenz ja nicht gemacht, so einen Schweinkram.“
Pagel schüttelte den Kopf. „Was geht mich der Müller an? Und die Unterwäsche von der Neuen? Lass den Franz jetzt seinen Grand spielen.“
„Pass uff“, sagte der Hohenegger. „Ene hab ich noch. Die jefällt och dir.“ Er lehnte sich weit über den Tisch und senkte die Stimme, so dass Pagel sich Mühe geben musste, ihn überhaupt zu verstehen.
„Der Exminister, blind und taub wie een Stücke Holz, aber der bekommt Besuch von ene Streichlerin.“
„Von einer was?“, fragte der Franz und guckte den Hohenegger an, als wäre der nicht ganz bei Trost.
„Nich' so laut!“, mahnte der. Und dann wieder so leise, das Pagel ihn kaum verstand. „So sagen se, Streichlerin. Offiziell is se wohl ene entfernte Verwandte, Großnichte oder so, aber in Wirklichkeit lässt die sich bezahlen. Erst is wohl so bisschen Massage und am Ende liegen die nackt beieinander im Bette. Nur rin in se, det darf er nich.“
„Nicht wahr!“, sagte Pagel und schaute den Franz an, der den Hohenegger anstarrte.
„Wenn ich es euch doch sag.“
Pagel klopfte dem Franz auf die Schulter. „Da hat es deinem Teufel wohl die Sprache verschlagen.“
Franz stand auf und warf seine Karten auf den Tisch. „Haste Geld, haste alles. Und mir hat der Teufel keins gegeben.“

Abends im Bett dachte Pagel nach. Ob das mit der Streichlerin nicht doch vom Hohenegger geflunkert war. Aber verstehen könne er ihn schon, den Minister a. D., auch wenn er ihn aus Prinzip schon nicht leiden mochte, weil der doch ein Einzelzimmer und einen Schlüssel für seine Zimmertür hatte. Bezahlen tat das alles die Tochter. Aber ob die auch …? Das konnte Pagel sich nun wirklich nicht vorstellen. Die war ja so eine Vornehme und stellte bei jedem Besuch einen Korb mit Obst und einen Blumenstrauß für die Allgemeinheit in den Aufenthaltsraum. Nein, von der Tochter bekam der Minister sicher kein Geld für eine Streichlerin. Und vom Heim schon mal gar nicht! Wenn die das oben erst spitz kriegten, dann bekäme der Minister keinen Damenbesuch mehr, dafür würden die schon sorgen. Dem Hohenegger hatten sie nicht einmal die Zeitschriften geduldet. Und das ist letztlich nur Papier, nicht Fleisch und Blut. Aber der Hohenegger war ja ein Fuchs. Seine Zeitungen, die hatte er nicht mehr im Zimmer, auch nicht im Haus, die putzten und schnüffelten ja in jeder Ecke. Der schnitt die Bilder jetzt aus, packte sie in eine Plastebüchse und die hatte er im Garten versteckt, hinten beim Zaun, unter einer Tanne.
Aber so eine Frau im Bett, das war schon was anderes als so Papierbildchen. Die war warm und weich, da schmiegte es sich an und kribbelte auf der Haut, wenn sie sacht die Finger führte. So wie bei der Gretha. Die war schon eine Gute, obwohl sie ihn oft geschimpft hatte, wenn er an den Wochenenden den Bus für die Ausflüge fuhr, während sie mit den drei Kindern zu Hause saß. Aber es brachte zusätzliches Geld und in den großen Städten, da gab es die Strumpfhosen, auf die die Gretha doch so scharf war. Und eine Freude war es ihm nun auch nicht immer. Wenn er zum Beispiel mit der Armee in die Stadt fahren musste, zum Theaterausflug. Als wollten die jungen Kerle dahin. Da kamen sie schon mal raus aus ihrer Kaserne und durften nach Berlin, und dann: Alle rin zum ollen Brecht oder Gorki oder Goethe. Nicht mal Ballett gab es da. Im Friedrichstadtpalast, da hätten die Jungs sich sicher mehr für die Kultur interessiert, da gab es Ballett mit nackten Beinen und Musik. Naja, ihm konnte es am Ende egal sein. Er lenkte den Bus und musste nicht in die Kultur. Er konnte währenddessen zum Alexanderplatz gehen und der Gretha ihre Strumpfhosen kaufen. Am liebsten waren ihm die Ausflüge mit den Frauen von der LPG, die, mit den Kuhstallfrauen. Und die durften ja nach der Kultur auch in der Stadt übernachten, in einem Hotel, die musste er erst am nächsten Morgen zurückjuggeln. Aber die wollten doch auch zum Alex und einkaufen, wo sie nun schon mal in der Hauptstadt waren. Gab ja zu Hause nichts. Und da haben sie ihn immer so geliebäugelt und ins Ohr gezwitschert, und er war ja nun auch nur ein Mann. Und das hat die Gretha wütend gemacht. Sie mit den drei Mädchen allein zu Hause und er jedes Wochenende auf Vergnügungsfahrt. Strumpfhosen hin, Strumpfhosen her. Zum Herrn Direktor von ganz oben im Haus wollte sie immer. „Der macht mir schöne Augen“, hatte die Gretha ihm unter die Nase gerieben. Hatte der auch, aber nur der Gretha, die Kinder wollte der nicht. War schon eine harte Zeit. Aber sie sind zusammengeblieben, obwohl die Gretha ihm an die Kehle gesprungen war und seine Sachen aus dem Fenster geworfen hatte. Am Ende hat sie ihn immer wieder rein gelassen in die Wohnung und auch ins Bett. Und jetzt hätte er sie gern bei sich. Aber Gretha war schon weg, während er Stück für Stück aus dem Leben faulte. Diabetes. Erst einen Fuß, später das Bein und dann das zweite. „Irgendwann fault er ab, dein Schwanz, von der Hurerei“, hatte die Gretha geschimpft und wer weiß, vielleicht tut er es tatsächlich. Aber sie hatte neben ihm gelegen, bis zuletzt, hat sich an seinen Körper geschmiegt und ihm die Hand gehalten. Hat ihm die Wange gestreichelt, das Haar gestrubbelt und mit den Fingerspitzen so Sachen gemacht, bis es kribbelte und sich die Härchen aufstellten. Und warm war die Gretha und ihr Geruch beruhigte ihn.
Pagel schlief kaum in dieser Nacht. Die Erinnerungen blitzten auf und tauchten wieder ab und er streichelte sich, aber es fühlte sich nicht wie Grethas Streicheln an und dann weinte er und fragte sich, ob die Streichlerin ihn auch besuchen würde, wenn er das Geld zusammen bekäme und dann schämte er sich sogleich für den Gedanken, und irgendwie war es ihm froh, als der Morgen anbrach.

Jeden Mittwoch halb vier, hatte der Hohenegger gesagt. Pagel schaute auf die Uhr. In zehn Minuten. Ungeduldig rollte er den Flur auf und ab. Seit zwanzig Minuten. Der Jirka hatte ihn schon gefragt, ob es ihm denn gut gehe und warum er hier so auf dem Flur rumstehe, wo doch das Wetter so schön sei und er solle doch den Park genießen.
Jetzt kommt auch der Hohenegger. Was will der denn hier?
„Pagel, wat treibst du dich bei dem Wetter im Haus herum?“, fragte der Hohenegger.
„Treibst dich ja selbst im Haus rum.“
„Wartest uff de Streichlerin vom Minister, wa?“
„Ich habe nur mal nachgesehen, ob der Franz hier ist.“
„So so. Der Franz“, sagte Hohenegger und verkniff sich ein Lachen. „Na, dann haste den ja nu jefunden. Da kommt er.“
Pagel drehte den Rollstuhl in die Richtung, in die der Hohenegger schaute. Und ausgerechnet jetzt kam tatsächlich der Franz.
Dass ich daran nicht gedacht hab, ärgerte sich Pagel, dass die beiden wohl auch die Neugier hertreibt. Dabei hatte er sich alles so schön zurechtgelegt. In drei Wochen hat er Geburtstag und da käme sicher auch ein wenig Geld von den Kindern. Sagen musste er es ihnen natürlich. Dass er sich Geld wünscht und keine Präsentkörbe, Strickjacken oder Duftkram. Aber wenn die das erst geschluckt hatten, dann bekäme er bestimmt ein wenig Geld zusammen. Die Frage war nur: Wie viel er brauchen wird? Und ob die Streichlerin auch zu ihm kommt, wo er doch nur ein oller Mechaniker und kein Minister war.
Die Drei schauten einander an. Keiner zuckte, keiner setzte zum Gehen an, keiner sagte ein Wort. Dafür kam der Jirka: „Sie führen doch was im Schilde.“
„Nein! Nix führen wir im Schilde.“
„Wir unterhalten uns nur ein wenig.“
„Alles ganz harmlos.“
Der Jirka lachte, sagte: „Ich habe ein Auge auf euch“, und verschwand kurz in das Zimmer vom Minister.
„Der streichelt den Minister nicht. So viel steht mal fest“, sagte der Franz.
„Vielleicht hat uns der Hohenegger ja doch nur einen Bären aufgebunden“, gab Pagel zu bedenken. „Und wir sind so blöde und fallen drauf rein.“
Da kam der Jirka wieder heraus, deutete mit Zeige- und Mittelfinger auf seine Augen, während er den Dreien einen strengen Blick zuwarf, aber dann ging er und Pagel war es nur recht so.
„Vielleicht is die dit schon“, nuschelte der Hohenhegger und deutete mit dem Kopf in die Richtung, in die der Jirka verschwunden war.
Drei Augenpaare hofierten nun die Frau, die schnurstracks auf das Zimmer vom Minister zuschritt. Sie war klein, etwas pummelig, um die fünfzig, mit Kurzhaarschnitt, trug schwarze, flache Schuhe, Jeans und einen blauen Sommermantel. Sie klopfte, obwohl der Minister es ja nicht hören konnte, wartete ein paar Sekunden und trat dann ein.
„Es gibt sie also wirklich“, sagte der Pagel.
„Hab ich doch jesacht. Und ihr wolltet mir det nich glauben.“
„Ich habe mir die ganz anders vorgestellt“, sagte der Franz.
„Bisschen mehr wie Nutte, wa?“, sagte der Hohenegger. „Aber nee, so ene Streichlerin, det is kene von der Sorte. Dit is seriös. Deshalb darf der Minister ja och nich rin in ihr.“
Und wenn es nun doch nur die Großnichte ist, überlegte Pagel. Da machte man sich ja vollkommen lächerlich, wenn man sie fragte, wie teuer so ein Besuch sei. Es drang ein Stöhnen des Ministers durch die dünnen Wände und sogleich verwarf Pagel die letzten Zweifel an der Aussage des Hohenegger. Taub und blind, aber stumm ist der nicht, dachte er bei sich. So standen die drei Alten und lauschten bis der Jirka ein weiteres Mal über den Flur hetzte und sie nun doch in den Garten schickte.

Nur zehn Meter entfernt von des Hoheneggers Bilderbox standen sie am Tor und behielten den Hauseingang im Blick, denn hinaus musste sie ja wieder, die Streichlerin. Pagel blies auf seiner Mundharmonika das Lied vom Mai und die beiden anderen hörten zu oder summten mit. Der Hohenegger war vorher noch rasch aufs Zimmer geeilt und hatte sich umgezogen. Nun trug er ein Hemd und ein Sakko, welches ihm die Kinder zu Weihnachten geschenkt und er bis zum heutigen Tag nicht angerührt hatte, weil man so was hier nicht trug. Keiner lief so rum, da fiel man nur auf. Und das tat der Hohenegger auch, befand Pagel, dem das nicht passte. Sogar die Katja hatte einen Pfiff ausgestoßen und den Hohenegger gefragt, ob es einen Grund gäbe, dass er sich so schick gemacht hatte. Da war mal gut, dass der Hohenegger so ein Fuchs war. Für sie hätte er sich so fein gemacht, weil er sie doch fragen wollte, ob sie nicht mal mit ihm ausginge. Da hatte die Katja gelacht, aber nicht weiter nachgebohrt, sondern nur gesagt, sie sei ja leider schon vergeben.
Jetzt kam die Besucherin vom Minister aus dem Haus und lief direkt auf das Tor zu. Pagel steckte die Mundharmonika ein, der Franz trat von einem Bein auf das andere und der Hohenegger zog das Sakko straff. Er sollte die Frau ansprechen, das hatten sie so abgemacht.
Sie war schon an ihnen vorbei, als der Franz dem Hohenegger in die Rippen stieß, denn der stand nur da und bewegte sich nicht, und als sie schon fast an der Straße war, da rollte Pagel los und rief ihr hinterher: „Hallo! Darf ich Sie etwas fragen?“
Die Frau blieb stehen und wartete bis Pagel dicht bei ihr war. „Sicher“, sagte sie und das ermutigte Pagel ungemein. Er atmete tief durch, räusperte sich, rieb sich die Nase und fragte schließlich: „Sind Sie die Großnichte vom Minister?“
Die Frau lachte. „Nein. Wer erzählt denn so was?“
Pagel atmete innerlich auf. „Man erzählt hier viel. Die Leute haben wenig zu tun.“
„War es das, was sie mich fragen wollten?“
Pagel schaute sich zum Tor um. Warum kamen die beiden ihm denn nicht zur Hilfe? Der Franz nickte ganz aufgeregt und der Hohenegger zeigte ihm einen Daumen hoch.
„Nein. Nicht ganz“, gab Pagel zu. „Man erzählt sich auch, Sie würden Geld dafür bekommen, dass Sie den Minister besuchen.“
„Ja“, sagte die Frau, nun doch etwas irritiert.
„Naja“, Pagel spürte, wie ihm der Schweiß lief, „und die Leute erzählen, Sie würden den Minister massieren.“
„Das stimmt.“
Es klang ganz selbstverständlich, ihr „stimmt“, und auch sonst war nichts im Gesicht der Frau zu erkennen, dass ihr die Situation unangenehm war oder das Thema oder irgendwas. Sie sah Pagel offen und freundlich an und das ließ die letzten Hemmungen bei ihm fallen.
„Würden Sie mich auch einmal besuchen kommen? Ich bezahle auch. Wie der Herr Minister.“
„Wenn Sie das wollen“, sagte die Frau und öffnete ihre Handtasche. „Ich geben Ihnen meine Karte. Rufen Sie einfach an und vereinbaren Sie einen Termin.“
Pagel nickte eifrig.
„War das Ihre Frage?“
Wieder nickte Pagel und griff nach der Visitenkarte, die sie ihm hinhielt. „Vielen Dank.“
„Dann wünsche ich Ihnen noch einen schönen Tag.“ Die Frau reichte ihm die Hand. Pagel war so gerührt, so erleichtert, so beflügelt, dass er sie endlos schüttelte. Er blieb noch auf dem Gehweg stehen, bis sie mit ihrem Auto fortfuhr, dann schaute er auf die Karte. „Praxis für Physiotherapie“ stand ganz oben und sogleich löste sich das leichte, schöne, herrliche Gefühl in ihm auf. Alles weiß der Hohenegger eben doch nicht, fluchte Pagel still. Stumm reichte er die Karte an Franz weiter, der jetzt neben ihm stand und auch an den Hohenegger, der ebenfalls gekommen war, und schweigend gingen die Männer zurück ins Heim und jeder für sich aufs Zimmer.

Der alte Pagel saß am Fenster und schaute hinaus in den Frühling. Seine Mundharmonika lag vor ihm auf dem Tisch. Ihm war nicht nach singen oder spielen, ihm war auch nicht nach Frühling. Katja stand hinter ihm, sie hatte eine Hand auf seine Schulter gelegt und gemeinsam schauten sie in den Garten.
„Mensch Pagel, was ist nur mit Ihnen los? Seit Tagen machen Sie ein Gesicht, als hätte man Sie in ein Sauerkrautfass gesperrt.“
„Geben Sie mir schon die Tabletten“, sagte Pagel.
Katja hielt ihm die Pillen und den Becher Wasser hin. Pagel nahm sie, schluckte, trank Wasser nach und stellte den Becher auf den Tisch.
„Und Skat spielen Sie auch nicht. Immer nur auf dem Zimmer. Sie können doch noch.“
Pagel drehte den Kopf, sah Katja an, griff nach ihrer Hand auf seiner Schulter und drückte sie sacht, bevor er zu seiner Mundharmonika griff und das Lied Am Brunnen vor dem Tore zu spielen begann. Katja hörte Pagel zu, summte leise mit und als der letzte Ton verklungen war, schenkte sie ihm ein Küsschen auf die Wange, so wie sie es manchmal tat, so wie sie es bei allen tat, wenn sie einen guten Tag hatte.

 

Hallo Fliege,

hab Deine Geschichte grade gelesen. Ich wünschte, Du würdest mehr Anekdoten der Drei zum Besten geben. Alle stehen sofort bildlich vor mir und sind mir gleich sympathisch – wobei ich die Pfleger nicht beneide.

Vielen Dank!

Auch wenn die Geschichte hochgelobt wird, traue ich mich trotzdem drei Punkte anmerken:

„Ach so“, murmelte der Franz, denn das war keine von den Geschichten, die er so gern vom Hohenegger hörte.
Hier bin ich beim ersten Lesen über das "so" gestolpert. Das hat meinen Lesefluss ausgebremst. Da man die Drei gleich darauf besser kennt und auch mehr von den Geschichten weiß, fällt es ab dem zweiten Lesen nicht mehr auf und stört nicht mehr. Kommt also drauf an, ob man dem Gewicht geben möchte. Wollt's nur erwähnt haben, weil ich gerne darauf hingewiesen werde, wenn etwas bei meinen Geschichten den Lesefluss stört.

Am liebsten waren ihm die Ausflüge für die Frauen von der LPG, die mit den Kuhstallfrauen.
Hier ist das "die mit den Kuhstallfrauen" nicht eindeutig auf die Ausflüge bezogen. Ich hab es beim ersten Lesen auf die Frauen bezogen, weil die zwischen den Ausflügen und dem Zusatz stehen.

Das ich daran nicht gedacht hab, ärgerte sich Pagel, dass die beiden wohl auch die Neugier hertreibt.
Hier ein Doppel-s beim ersten "Dass".

Das war's schon. Gerne gelesen und ne gute Nacht wünsch ich.

elisabeth

 

Hey elisabeth,

hab Deine Geschichte grade gelesen. Ich wünschte, Du würdest mehr Anekdoten der Drei zum Besten geben.

Im Augenblick habe ich ganz andere Dinge im Kopf. Und die müssen ja auch fertig werden ...

Vielen Dank!

Ach, gern doch.

Auch wenn die Geschichte hochgelobt wird, traue ich mich trotzdem drei Punkte anmerken:

Unbedingt! Da muss man sich doch nicht trauen.
Das "so" möchte ich gern behalten, die anderen beiden Punkte habe ich abgeändert. Danke dafür.

Lieben Dank fürs Lesen und Deinen Kommentar. Hat mich sehr gefreut!
Einen schönen Tag Dir und beste Grüße!

 

Mahlzeit!

Gestern gelesen. Sehr gute Kurzgeschichte, fast klassisch, möchte ich mal sagen. Dialoge in 1a-Qualität. Steht korrekterweise auf der Empfehlungsliste. Und diesen Beruf der "Streichlerin" gibt es ja wirklich. Hab ich mal irgendwann im Report Mainz gesehen, wenn auch das hier die stinknormale Physiotherapeutin war. Wäre ne Geschichte für ne kg.de-Anthologie ... sorry, Wortkrieger.

Morphin

 

Ich liebe die ruhige, sanfte Stimmung dieser Geschichte. Der olle Oilenspiegel fühlt sich von dir gestreichelt. Die Kritik überlasse ich den kritischen, ich lehne mich zurück und geniesse die Frühlingssonne auf meiner Haut.

 

Ich möchte mich einmal herzlich für diese heitere Geschichte bedanken, die zudem zum Nachdenken anregt.
Erstaunlich realistisch hast du den Alltag in einem Pflegeheim wiedergegeben.
Ich bin selbst examinierte Altenpflegerin und kann leider aus Erfahrung sagen, dass es dort nicht immer einfach ist.

Ich habe deine Geschichte mit einem weinenden und einem lachenden Auge gelesen.
Ganz besonders, als der Pagel die Karte der Physiotherapeutin bekam musste ich lachen.
Diese Auflösung hast du gekonnt in Szene gesetzt.

Ich arbeite auf einen Demenzbereich, auf dem 18 Bewohner leben, die leider so weit in ihrer Demenz fortgeschritten sind, dass sie keines der von dir beschriebenen Gespräche mehr umsetzen, geschweige denn führen könnten.
Manchmal fehlt mir da genau das bisschen "Normalität", das du hier so toll einbringst.

Mutig finde ich auch, dass du das Thema "Sexualität im Alter" einbringst. Leider ist es auch heute noch ein Tabuthema, obwohl die Bewohner ihre Sexualität bei Einzug ja nicht an der Pforte abgeben.
Oftmals wird das jedoch leider so erwartet.

Hut ab vor deinem Schreibstil- gefällt mir sehr gut und ich freue mich darauf, hier noch Einiges von dir lesen zu dürfen.

 

Hallo Morphin,

Mann, ich werde ganz rot.

Und diesen Beruf der "Streichlerin" gibt es ja wirklich. Hab ich mal irgendwann im Report Mainz gesehen,

Ich bin bei meinen Recherchen zum Thema Sexualität im Alter drüber gestolpert. Und als ich die "Streichlerin" hatte, war sofort klar, daran hänge ich mein Thema auf. So kleine Fundstücke sind großartig :).

Für all die Blumen - Herzlichsten!
Lieben Dank fürs Lesen und die Rückmeldung.


Hey Oilenspiegel,

Und herzlich Willkommen bei uns!

Auch an Dich lieben Dank fürs Lesen und deine Rückmeldung. Hat mich sehr gefreut. Und wenn ich mir das Wetter so anschaue, da wirste in den nächsten Tagen ja noch ein bisschen gestreichelt ;).


Hallo Feniiya,

auch an Dich ein herzliches Willkommen!
Ich habe gerade ein wenig in deinem Profil rumgeschnüffelt. Gute Wahl, dieses Forum als Ergänzung zum Fernlehrgang. Ich habe mich auch mal bei einem angemeldet gehabt, aber es recht schnell wieder sein lassen, weil ich hier so viel mehr gelernt habe. Am meisten durch lesen und kritisieren anderer Texte. Aber da hat eh jeder seinen eigenen Weg. Ich wünsche Dir auf jeden Fall viel Freude am Lernen und Schreiben.

Erstaunlich realistisch hast du den Alltag in einem Pflegeheim wiedergegeben.
Ich bin selbst examinierte Altenpflegerin und kann leider aus Erfahrung sagen, dass es dort nicht immer einfach ist.

Darüber habe ich mich total gefreut. Lob vom Insider diesbezüglich ist wie ein Ritterschlag. Ich bin ja eher ein belesener Tourist in diesen Einrichtungen.

Ich habe deine Geschichte mit einem weinenden und einem lachenden Auge gelesen.

So war es gedacht. Aber manchmal denkt man sich beim Schreiben auch was, und die Leser denken sich was ganz anderes. Insofern ist natürlich schön, wenn Vorsatz und Wirkung auch tatsächlich übereinstimmen. Danke.

Manchmal fehlt mir da genau das bisschen "Normalität", das du hier so toll einbringst.

Glaube ich Dir sofort.

Oftmals wird das jedoch leider so erwartet.

Das ist fast das Schlimmste daran. Auf der anderen Seite, wenn diese Erwartung nicht wäre, wären wir auch ein ganzes Stück weiter ...

Hut ab vor deinem Schreibstil- gefällt mir sehr gut und ich freue mich darauf, hier noch Einiges von dir lesen zu dürfen.

Na, dann hast Du ja zu tun :).

Freut mich sehr, dass Du Dich hier gemeldet hat. Auch allgemein, dass Neueinsteiger sich trauen, sich einbringen und nicht nur mit Texten kommen und sagen: macht mal.
Lieben dank auch an Dich!

Frühlingshafte Sonnengrüße an Euch Drei!
Fliege

 

Hallo erst einmal an alle, ich bin neu bei den Wortkriegern und möchte meinen ersten Kommentar zu "Die Streichlerin" abgeben.
Die Verklammerung durch die Eingangs- und die Schlussszene hat mich direkt an den "Dritten Mann" erinnert, der beginnt ja mit der scheinbaren Beerdigung von Harry Lime und endet mit seinem echten Begräbnis. Auch in dieser Geschichte erlebt die Hauptfigur ja eine Wandlung. Auch wenn sie nicht stirbt, so besteht das Traurige an dieser Geschichte darin, dass ihm durch das Erlebnis mit der Streichlerin auch die letzte Illusion geraubt zu worden sein scheint. Genau da will jetzt aber auch meine, hoffentlich konstruktive, "Kritik" ansetzen. So gut mir diese Verklammerung gefällt, ich habe eher das Gefühl, dass die Geschichte ein Romankapitel darstellt als eine Kurzgeschichte. Es gibt sehr viel Exposition und der rote Faden wird häufig unterbrochen. Statt die Hauptfigur mitten aus dem Konflikt heraus auf die Krise und den Plot zustürzen zu lassen, wird sehr viel Nebenhandlung beschrieben (dies allerdings sehr schön!). Die evozierten Bilder onanierender und sich um jegliches weibliche Geschlecht scharender, sich wie kleine dumme Schuljungen anbiedernder älterer Herren berühren sehr stark und hinterlassen nach Lesen der Geschichte einen harzigen Geschmack nach alten Männerfüßen.
Die erste Szene stellt uns Pagel sehr plastisch im Altenheim vor, und dann erfolgt direkt eine Vollbremsung, und es geht mit der nächsten Szene (der Skatrunde) weiter. Der rote Faden dieser Kurzgeschichte scheint mir doch das Thema Alterssex oder die Hoffnung darauf zu sein, aber das Motiv von Anfangs- und Endszene hat damit nichts zu tun (der Verweis auf den Frühling höchstens, und auch der „Abschiedskuss“ der Schlussszene ist ja bar jedweder Erotik und wird völlig relativiert durch: schenkte sie ihm ein Küsschen auf die Wange, so wie sie es manchmal tat, so wie sie es bei allen tat, wenn sie einen guten Tag hatte). Der Konflikt in der Anfangsszene bezieht sich mehr darauf, dass man sich auch als alter Mann nicht gerne wie ein unmündiges Etwas behandeln und rumschieben lassen möchte. Der Alte will seine Pillen nicht schlucken, lässt den Becher fallen und geht der Pflegerin Katja mit seinem Singsang auf die Nerven, was diese recht professionell abzublocken weiß. (Wenn man in einem Altenheim arbeitet, muss man wohl auch so sein.) Am Ende erscheint dann ein völlig gebrochener Pagel. Wir sehen also nicht einmal die Anspielung eines Flirtversuchs mit Katja und damit auf das Thema dieser Geschichte.
Der Plot schließlich verliert meines Erachtens aus zwei Gründen an Kraft. Erst einmal (wie schon gesagt) wegen der darauf folgenden Schlussszene, wo also noch einmal gezeigt wird, was die Ernüchterung aus ihm gemacht hat, statt mir der Pointe die Geschichte abzuschließen und den Leser seine Schlüsse selbst ziehen zu lassen. Und zweitens weil die Streichlerin sehr, sehr bieder dargestellt wird, statt die Krise durch eine erotischere Erscheinung zu verschärfen. Deine Beschreibung "Sie war klein, etwas pummelig, um die fünfzig, mit Kurzhaarschnitt, trug schwarze, flache Schuhe, Jeans und einen blauen Sommermantel." weckt in mir den Verdacht, dass auch die Gute seit Jahrzehnten keinen aufregenden Sex mehr praktiziert hat! Eine attraktivere Therapeutin hätte den Plot sicherlich krasser herausarbeiten lassen.
Weiterhin frage ich mich, ob der Name Pagel (den ich übrigens fantastisch finde! Erinnert mich an "Paschirbe", dessen Namen ich Anfang der 80er Jahre bei einem Derrick, der Alte oder bei sonst einer Krimiserie gehört habe, und den ich nie vergessen habe (im Gegensatz zu der damit verbundenen Geschichte)) wirklich zu einem Mann passt, der sich eigentlich nur treiben lässt und kaum Initiative zeigt. Ok, er wagt es schließlich, die Frau anzusprechen, aber ein Draufgänger ist er nicht gerade. Vielleicht wäre der Name „Schmitz“ passender gewesen…
Die für mich interessanteste Figur der ganzen Geschichte ist zweifellos der Hohenegger. Aus dem bei der Massage entlockten Gestöhne direkt auf eine Rentnerkurtisane zu schließen ist herrlich, aber der Satz "Nur rin in se, det darf er nich.", der ist wirklich göttlich!!! Von einem Herrn mit solch ausschweifender Fantasie würde ich gerne mehr lesen! Und der sollte vielleicht auch die Hauptfigur des Stücks werden. Ich hatte ja oben schon angedeutet, dass da sehr viel Stoff in deiner Geschichte steckt, für einen Roman zum Beispiel; auch eine Reihe von Kurzgeschichten aus dem Altenheim, diese mit dem Titel "Hohenegger und die Streichlerin" wäre sicherlich denkbar.
So, ich hoffe, du kannst etwas Sinnvolles und Brauchbares aus diesem Chaos ziehen. Wie sagte schon Goethe zu seiner Schwester: Ich schreibe dir einen langen Brief, weil ich keine Zeit für einen kurzen habe (oder so ähnlich!)…

;0)

 

Hallo Eddi Coffin,

und herzlich Willkommen bei uns! Hab auch vielen Dank für Zeit und Müh die in diesem umfangreichen Kommentar stecken.

Die Verklammerung durch die Eingangs- und die Schlussszene hat mich direkt an den "Dritten Mann" erinnert, ...

Kenne ich zwar nicht, aber da gäbe es sicher noch mehr Beispiele zu nennen. Allein hier auf der Seite ...

... der beginnt ja mit der scheinbaren Beerdigung von Harry Lime und endet mit seinem echten Begräbnis.

Schöne Idee. Gefällt mir sofort.

So gut mir diese Verklammerung gefällt, ich habe eher das Gefühl, dass die Geschichte ein Romankapitel darstellt als eine Kurzgeschichte. Es gibt sehr viel Exposition und der rote Faden wird häufig unterbrochen.

Als Romankapitel hatte ich die Geschichte nie vor Augen. Das der rote Faden mehrfach unterbrochen wird, stimmt, aber für mich ergibt es noch immer ein Gesamtbild. So eine Art Szenenpuzzle, wo sich die einzelnen Teile dann zusammensetzen. Das dabei auch Erwartungen erweckt werden können, die dann innerhalb einer Kurzgeschichte nicht erfüllt werden, mag sein.

Statt die Hauptfigur mitten aus dem Konflikt heraus auf die Krise und den Plot zustürzen zu lassen, wird sehr viel Nebenhandlung beschrieben (dies allerdings sehr schön!).

Das Schema findet sich in vielen meiner KGs. Ich bin da eher auf leisen Sohlen unterwegs. Stilles Drama ist eher mein Ding.

Die evozierten Bilder onanierender und sich um jegliches weibliche Geschlecht scharender, sich wie kleine dumme Schuljungen anbiedernder älterer Herren berühren sehr stark und hinterlassen nach Lesen der Geschichte einen harzigen Geschmack nach alten Männerfüßen.

:)

Die erste Szene stellt uns Pagel sehr plastisch im Altenheim vor, und dann erfolgt direkt eine Vollbremsung, und es geht mit der nächsten Szene (der Skatrunde) weiter. Der rote Faden dieser Kurzgeschichte scheint mir doch das Thema Alterssex oder die Hoffnung darauf zu sein,

Naja, ich sag mal, mein Thema war die Abwesenheit dessen. Diese trostlose Hoffnung, die keine Erfüllung mehr findet. Ob der Leser das nun auch so liest, steht auf einen anderen Blatt. Deshalb sind die Rückmeldungen ja auch so spannend.

aber das Motiv von Anfangs- und Endszene hat damit nichts zu tun (der Verweis auf den Frühling höchstens, und auch der „Abschiedskuss“ der Schlussszene ist ja bar jedweder Erotik und wird völlig relativiert durch: schenkte sie ihm ein Küsschen auf die Wange, so wie sie es manchmal tat, so wie sie es bei allen tat, wenn sie einen guten Tag hatte).

Eben drum.

Am Ende erscheint dann ein völlig gebrochener Pagel. Wir sehen also nicht einmal die Anspielung eines Flirtversuchs mit Katja und damit auf das Thema dieser Geschichte.

Das wäre ein gutes Thema für eine Zweitgeschichte. Wie dieses unerfüllte Bedürfnis zur Belästigung fürs Pflegepersonal wird, wenn die Bewohner es auf sie übertragen. Das ist schon auch ein großes Thema, ich wollt das hier nicht auch noch öffnen.

Der Plot schließlich verliert meines Erachtens aus zwei Gründen an Kraft. Erst einmal (wie schon gesagt) wegen der darauf folgenden Schlussszene, wo also noch einmal gezeigt wird, was die Ernüchterung aus ihm gemacht hat, statt mir der Pointe die Geschichte abzuschließen und den Leser seine Schlüsse selbst ziehen zu lassen.

Ja, sicher kann man die Geschichte auch nach der Pointe enden lassen. Aber mir war/ist das irgendwie wichtig, Pagel noch einmal ins Bild zu holen und ihn in seiner Situation zu zeigen. Den Kreis dieser Hoffnungslosigkeit, dieser Einsamkeit zu schließen. Nach der Pointe, da hat der Leser so ein leichtes Grinsen im Gesicht. So wollte ich ihn nicht aus der Geschichte kommen lassen. Ich wollte ihn wieder traurig machen :).

Und zweitens weil die Streichlerin sehr, sehr bieder dargestellt wird, statt die Krise durch eine erotischere Erscheinung zu verschärfen ... Eine attraktivere Therapeutin hätte den Plot sicherlich krasser herausarbeiten lassen.

Ich hatte das erst so. Und dann dachte ich: Nö, zu einfach. Meine Streichlerin sollte sich von den Straßenmädels unterscheiden, sich vom Klischee abgrenzen, auch optisch.

Weiterhin frage ich mich, ob der Name Pagel ... wirklich zu einem Mann passt, der sich eigentlich nur treiben lässt und kaum Initiative zeigt. Ok, er wagt es schließlich, die Frau anzusprechen, aber ein Draufgänger ist er nicht gerade. Vielleicht wäre der Name „Schmitz“ passender gewesen…

Das ist jetzt aber schon sehr subjektives Empfinden, oder? Ich empfinde da keinen Unterschied, zwischen einen Schmitz und einen Pagel.
Und was den Namen angeht, mir ist der auch schon im Alltag untergekommen. Im Alltag und bei Fallada, Wolf unter Wölfen.

Die für mich interessanteste Figur der ganzen Geschichte ist zweifellos der Hohenegger.

Für alle. Ist auch die Figur, mit der man sich am leichtesten identifizieren kann in der Geschichte. Der hat irgendwie noch Pepp und ist lustig, ist sozusagen der "Jüngste" vom wahrgenommenen Alter in der Runde. So will man sich selbst im Alter auch sehen, so verkaufen uns die Unterhaltungsmedien und die Werbung alte Menschen.

Von einem Herrn mit solch ausschweifender Fantasie würde ich gerne mehr lesen! Und der sollte vielleicht auch die Hauptfigur des Stücks werden.

Das würde der Geschichte einen ganz anderen Ton geben. Sie leichtfüssiger machen, unterhaltsamer. Klar träfe man damit eher auf Leservorlieben. Meine Absicht war aber nicht die reine Unterhaltung. Also, auch schon, klar, aber nicht als Alleinstellungsmerkmal. Ich wollt eine traurige Geschichte schreiben und traurig ist der Hohenegger nicht und damit als Prot. eine Fehlbesetzung. Dennoch, ich habe ihn beim Schreiben auch geliebt ;).

So, ich hoffe, du kannst etwas Sinnvolles und Brauchbares aus diesem Chaos ziehen.

Auf jeden Fall. Auch wenn ich eine teilweise andere Sicht habe, so sind Leserempfindungen immer ein guter Zeitpunkt seine eigenen Absichten/sein Geschriebenes kritisch zu hinterfragen. Es noch mal im Kopf durchzuspielen. Und es gab Geschichten, die habe ich x mal umgeschrieben. Bei der Geschichte stimmt es aber irgendwie für mich, da haben die Kritiker es wirklich schwer.

Wie sagte schon Goethe zu seiner Schwester: Ich schreibe dir einen langen Brief, weil ich keine Zeit für einen kurzen habe (oder so ähnlich!)…

:D

Vielen dank Dir! Ich wünsche Dir viel Freude hier. Viel Austausch.
Beste Grüße, Fliege

 

Hallo Fliege, vielen Dank für deine Antwort und deine Wünsche!
Für mich sagen Namen ungemein viel über eine Figur, daher mein Kommentar. Natürlich kann man es auch übertreiben, wie Thomas Mann zum Beispiel.

Habe deine Geschichte übrigens mit Chopin, Nocturno opus 9 1 im Ohr gelesen. Da hört man zwar nicht den Pagel, ist aber ganz passend.

;0)

Bis bald

 

Hallo Eddi Coffin,

Für mich sagen Namen ungemein viel über eine Figur, daher mein Kommentar. Natürlich kann man es auch übertreiben, wie Thomas Mann zum Beispiel.

Ich sage mal, wenn ein Allerweltsmensch als Nebenfigur Müller, Meier, Schulze heißt, sagt das etwas über die Figur. Da sagt die allgemeine Erfahrung, dass jeder Dritte so heißt und der Name deshalb wenig "Individualität" auszudrücken vermag. Wenn Figuren Kalb oder Wurm (Schiller) heißen, sagt das etwas über deren Charakter. Das sind lexikalisch besetzte Namen.
Und Schmitz oder Pagel - was sagt das aus? Schmitz klingt wie Witz, schon deshalb wäre es kein Name, den ich gewählt hätte. Pagel dagegen finde melodisch schön. Und da der Name oft vorkommt, ist mir wichtig, er fügt sich in den Klang der Geschichte. Ich lese auch Telefonbücher so lange, bis ich denke, der Name passt zu meiner Figur. Dafür sind Telefonbücher echt noch zu gebrauchen. Ansonsten ist das Internet ja schneller.
Wenn Namen für mich nicht wirklich eindeutige Rückschlüsse auf die Figur erlauben, so wie Wurm und Kalb und Müller, dann sind sie "subjektiv empfunden". Ich kenne eine Gretha, die war mir ständig im Kopf, und die ist so gar nicht zerbrechlich und naiv, deshalb finde ich Gretchen beim Faust ... so in der Art. Da spielen oft persönliche Vorprägungen eine große Rolle und ja, die sind halt verschieden. Wobei das -chen an der Gretha beim Goethe schon clever ist. Da kommt man eigentlich nicht auf falsche Gedanken. War jetzt vielleicht kein optimales Beispiel.

Habe deine Geschichte übrigens mit Chopin, Nocturno opus 9 1 im Ohr gelesen. Da hört man zwar nicht den Pagel, ist aber ganz passend.

Das ist manchmal verrückt. Wenn man liest und dabei im Hintergrund so Musik mitläuft, wie das Texte färben kann. Wenn sie passt, unterstützt es die Wirkung ungemein, wenn sie entgegengesetzt sind, macht das sehr komische Dinge mit einem. Auch ein spannendes Thema :).

LG Fliege

 

Hallo Fliege

wahrscheinlich ist zu deiner Geschichte bereits alles nennenswerte gesagt, das macht aber nix. Das Copy Write hat mich zu ihr geführt und bringe ich sie denen in Erinnerung, die, wie ich, erst nach Erscheinen der "Streichlerin" zu den Wortkriegern gestoßen sind.

Charmant, berührend ohne dabei ins allzu Süßliche zu verfallen, gemixt mit einer Brise Humor und Ironie (sehr gut mit dem Berliner Dialekt gemacht). Ein herausgearbeiteter und durchgezogener Konflikt.

Es gibt eine Stelle, die ich unpassend fand, die finde ich aber nicht mehr. Im Berlinerischen gibt es dieses genuschelte "nischd" oder so ähnlich, da hast du einmal "nicht§ stehen, obwohl der uff berlinerisch "nischd" sagen müsste :D

Gehört zu dem besten, das ich hier gelesen habe.
viele Grüße
Isegrims

 

Hey Isegrims,

wahrscheinlich ist zu deiner Geschichte bereits alles nennenswerte gesagt, das macht aber nix.

Es wurde in jedem Fall schon sehr viel gesagt.

Und das es immer noch was zu sagen gibt:

Es gibt eine Stelle, die ich unpassend fand, die finde ich aber nicht mehr. Im Berlinerischen gibt es dieses genuschelte "nischd" oder so ähnlich, da hast du einmal "nicht§ stehen, obwohl der uff berlinerisch "nischd" sagen müsste :D

Oh Mann! Dat stimmt!

Danke für Deinen Besuch, hat mich gefreut.

Gehört zu dem besten, das ich hier gelesen habe.

Da wären ja noch ein paar 1000 Geschichten, die vor Deiner Zeit eingestellt wurden. Sind schon einige echte Schätze bei. Ich bin allerdings auch noch nicht durch ... :D.

Ich wünsche Dir einen schönen Tag!
Lieben Gruß, Fliege

 

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