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Treppenspiel

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20.01.2015
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Treppenspiel

Holterdiepolter die Treppe hinauf
Unsere Füße sie fliegen im Lauf
Oben nicht rasten, wir drehen uns munter
Und holtern und poltern die Treppe hinunter

Lieses Füße trippelten eilig die hölzernen Stufen hinauf. Jeder ihrer Schritte ließ die alte, schon leicht morsche Treppe erzittern, die von der Diele des Hauses ins Obergeschoss führte. Unter Liese knarzte und ächzte es, so als würde jeden Moment etwas unter ihr nachgeben und das Mädchen in die Tiefe reißen. Liese ließ sich davon jedoch nicht beirren. Das Seufzen der knorrigen Stufen, der Lärm der Schritte, das Poltern - dies war der Sinn des Spiels.
Liese und Paul hatten das Treppenspiel früher oft gespielt. Stundenlang waren sie lachend und schreiend die Stufen hinauf und hinunter gerannt und gesprungen, hatten das alte Haus mit Lärm erfüllt. Und mit Leben. Jetzt war es meist still, bis auf das Heulen des Windes, der durch die hölzernen Ritzen pfiff und an den Fensterläden klapperte. Paul war vor fünf Jahren gestorben und Liese schon fast eine Frau, eigentlich viel zu alt für kindische Späße. Aber heute spielte sie – auch wenn ihr bewusst geworden war, dass es sich beim Treppenspiel nie wirklich um ein Spiel im eigentlichen Sinn gehandelt hatte. Das Poltern auf den Holzstufen war ein einfacher, lustiger Zeitvertreib gewesen - ein Spiel höchstens in dem Sinne, in dem es ein Spiel war, die Enten im Weiher mit Steinen zu bewerfen oder auf einen der Bäume im nahegelegenen Forst zu klettern. Aber es hatte ihr und Paul genügt. „In der Not frisst der Teufel Fliegen“, hatte Lieses Vater oft gesagt. Das hatte sich über die Jahre immer wieder bewahrheitet. Man gab sich mit dem zufrieden, was man hatte. In Liese und Pauls Fall hatte man eine alte Treppe aus morschem Walnussholz.

Liese war nun auf der obersten Stufe angelangt, schwang herum und setzte zum Abstieg an. Oben nicht rasten! Ihr Kleid wirbelte, ihre blonden Zöpfe wehten und kurzzeitig fühlte sie sich wieder wie ein Kind. Holterdiepolter. Sie war nun deutlich größer als früher, ihre Beine länger, sie nahm zwei Stufen auf einmal und mit jedem Schritt krachte das Holz. Wäre ihr Vater jetzt hier, hätte er sie vermutlich (so wie er es immer getan hatte) kurz gescholten und gesagt, sie solle endlich aufhören, so einen Krach zu veranstalten und sich ihrem Alter entsprechend benehmen – nur um dann zwei Minuten später selber lachend und johlend die Stufen hinunter zu stampfen, mit Liese an der Hand. So war es schon oft gewesen. Lieses Vater hatte gewusst, welchen sentimentalen Wert dieses kindische Ritual für seine Tochter hatte, und vergaß schnell seine eigenen Ermahnungen, dass sie sich bei einem Sturz noch den Hals brechen würde. Und auch für ihn war es nach Pauls Tod zu einer Möglichkeit geworden, sich an den kleinen Jungen mit den strohblonden Haaren zu erinnern. Mit dem Lärm gegen die Stille. Mit Lachen gegen die Trauer. Doch auch Vater war nun seit fast einem Jahr fort, also spielte Liese allein. Holterdiepolter.
Mit einem Sprung nahm das Mädchen die letzten zwei Stufen. Der Dielenboden schrie krachend auf, eine Wolke aus Staub wirbelte im fahlen Licht umher und kurzzeitig war es still.
„Du kleines unverschämtes Gör …“ Liese drehte sich um. Oben, am Ende der Treppe, stand sie. Die alte verbitterte Frau. Mutter. „Habe ich dir nicht tausendmal gesagt, dass du mit diesem gottverdammten Krach aufhören sollst?!“ Liese antwortete nicht. Sie blickte auf den Boden, in den Staub, wagte es nicht, ihr in die Augen zu sehen. „Aber wer nicht hören will, muss fühlen. Komm her.“ Die Stimme klang ruhig, aber Liese konnte hören, wie sie vor Wut leicht zitterte. Sie hob ihren Blick. Ihre Mutter stand dort, breitbeinig, barfuß, schwer atmend, in einem vergilbten Leinenkleid, das wohl einmal weiß gewesen war. Das dünne, ungewaschene Haar war fiel ihr in zerzausten Strähnen vom Kopf. Liese hatte sie vermutlich geweckt. In der Hand hielt sie den Rohrstock. „Wirst du wohl herkommen, du vermaledeites Balg?!“ Der Ton der Frau wurde schärfer. Liese ging mit langsamen Schritten auf die Treppe zu. Sie wollte die Prügel nicht, aber sie würde sie früher oder später bekommen – und wenn sie sich nun weigerte und ihre Mutter zwang, mit dem kranken Bein die Treppe hinunterzusteigen, würden sie nur umso schlimmer ausfallen. Einmal hatte Liese statt des Rohrstocks den Schürhaken aus dem Stubenofen ertragen müssen. Zehn Schläge. Das würde ihr nicht noch einmal passieren.

Holterdiepolter die Treppe hinauf

Liese nahm die Stufen nun langsam und bedächtig. Trotzdem knarzte das Holz mit jedem Schritt, wirkte nun noch lauter als zuvor. Um sie herum war es still geworden. Sogar der Wind schien kurzzeitig den heulenden Atem anzuhalten. Lieses Mutter stand oben, bis auf das wütende Zittern fast regungslos, den Stock fest in die rechte Hand eingeschlossen.

Unsere Füße sie fliegen im Lauf

Die Treppe hatte zwanzig Stufen. Liese hatte sie oft genug genommen, um das zu wissen. Nun waren es noch vierzehn. Vierzehn Schritte, bis sie die Prügel der Mutter erwarteten. Liese senkte erneut den Blick. „Du verdammte Hundsfott, wenn du nicht auf der Stelle hier oben bist, dann …“ Die Stimme der Mutter überschlug sich, sie hob den Rohrstock bedrohlich über ihren Kopf. Liese nickte stumm und beschleunigte ihre Schritte. Um sie herum ächzte das Holz. Zehn Stufen. Fünf. Sie sah ihrer Mutter in die Augen. Dort war keine Liebe mehr, nichts von dem, was sie einst im Blick der Frau hatte sehen können, als Paul und ihr Vater noch mit ihnen im Haus wohnten. Keine Liebe. Kein Lachen. Zorn. Wahnsinn. „Schneller, habe ich gesagt, schneller du kleine Hure!“ Sie schrie jetzt, den rechten Arm immer noch zitternd über den Kopf erhoben.
Liese hatte die letzte Stufe erreicht. Die Mutter trat einen Schritt zurück, wie um Liese Platz zu machen, und schlug dann unvermittelt zu. Normalerweise legte sie Liese übers Knie, selbst jetzt noch, obwohl ihre Tochter schon fast eine erwachsene Frau war. Diesmal konnte sich Liese nicht auf den Schmerz vorbereiten. Der Stock traf sie auf die linke Wange, schleuderte ihren Kopf zur Seite und sie zu Boden, gegen die massive Holzbalustrade. Ihr Kopf dröhnte. Oder war das der Wind, der wieder zu heulen begonnen hatte? Sie schmeckte Blut.

Oben nicht rasten, wir drehen uns munter

Die Mutter schnaufte zornig. „Da siehst du, was davon kommt, wenn du mir nicht gehorchst. Steh auf!“ Liese folgte und erhob sich langsam. Die Mutter winkelte den Arm erneut an, holte zu einem zweiten Schlag aus. Der Rohrstock schnellte erneut nach vorne, doch diesmal duckte sich Liese und tauchte unter dem Arm der irren Frau hindurch. Der hölzerne Stab schlug mit einem Krachen auf das Treppengeländer. Nun stand Liese mit dem Rücken zur Wand. Vor ihr die Treppe, dazwischen die Mutter, die herumschnellte so flink es ihr das erkrankte Bein zuließ. „Muss ich wieder das Eisen aus dem Ofen holen, du ungehorsames Balg? Mein ja nicht, dass du mir davonkommst!“ Die Schreie schmerzten in Lieses Ohren, besonders in dem, das der erste Schlag getroffen hatte. Sie stand auf. Das Gesicht der Mutter war rot vor Wut, Tränen standen ihr in den Augen. Tränen … Ein weiterer Schlag traf Liese, diesmal auf der anderen Seite, warf sie gegen die Wand. Sie stand wieder auf. „Lauf ruhig weg, du …“ Liese macht einen Schritt nach vorne. Die Mutter hielt kurz ein, verunsichert, verwirrt. Ihr Mundwinkel zuckte. Liese starrte sie an, dann an ihr vorbei. Die Mutter holte erneut aus. Zwanzig Stufen.

Und holtern und poltern

Sie gab ihrer Mutter einen Stoß.

 

Hallo Knoboter,

sehr gut geschrieben, da gibt es wenig auszusetzen. Also kann man mal, statt mühevoll Sätze zu entwirren, den Bürostuhl schräg stellen und einfach lesen.
Im Text wiederholst Du vielleicht einmal zu oft, das die Treppe alt und morsch ist, das habe ich beim ersten Mal kapiert, wird es immer wieder gesagt, wirft es mich aus dem Text.
Auch sonst viele Wiederholungen: kleine Schritte trippeln …
Was für mich nicht wirklich funktioniert ist, dass ein Mädchen mit einer so bösen Mutter anfangs so unbeirrt Krach macht. Sie wäre vielmehr, wegen der ständigen Schläge, im Alltag geduckt und leise unterwegs.
„Ihr Kleid wirbelte, ihre blonden Zöpfe wehten…“ steht für mich im Widerspruch zu: „…schon fast eine Frau…“
„Paul war vor fünf Jahren gestorben…“ , da fang ich persönlich immer sofort zu rechnen an, das wirft mich aus dem Text, würde ich subtiler schreiben.
„Die Stimme klang ruhig, aber Liese konnte hören, wie sie vor Wut leicht zitterte.“ Unglücklich ausgedrückt. Es zittert die Stimme der Mutter, aber das es so ist, darüber muss ich kurz nachdenken, (da ja auch Liese zittert).
Die Beschreibung der Mutter: „… breitbeinig, barfuß, schwer atmend, in einem vergilbten Leinenkleid, das wohl einmal weiß gewesen war. Das dünne, ungewaschene Haar war fiel ihr in zerzausten Strähnen vom Kopf.“ Weiß nicht. Nach diesen Adjektiven ist sie für mich eher dick, und ungepflegt. Eine dünne, flinke Böse macht mir persönlich mehr Angst …
„Wirst du wohl herkommen, du vermaledeites Balg?“ Vermaledeit ist ein langes, kompliziertes Wort. Spricht man das, gerade aus dem Bett gekommen, nicht besonders gebildet, ein wenig verlottert und wütend?
Fünfzig Schläge Schürhaken: Mach lieber fünf daraus, das ist schlimm genug.
„Um sie herum war es still geworden. Sogar der Wind schien kurzzeitig den heulenden Atem anzuhalten.“ Schön geschrieben. Aber warum die Abschwächung? Warum nicht: „Selbst der Wind hielt für einen Moment den Atem an.“

Das fürs erste, danke für das Leseerlebnis,

nastro.

 

Hallo nastro, vielen Dank für dein freundliches und konstruktives Feedback. Da waren viele gute Punkte zum Anknüpfen dabei.


Im Text wiederholst Du vielleicht einmal zu oft, das die Treppe alt und morsch ist, das habe ich beim ersten Mal kapiert, wird es immer wieder gesagt, wirft es mich aus dem Text.
Auch sonst viele Wiederholungen: kleine Schritte trippeln …

Einige der Wiederholungen waren bewusst gewählt, aber du hast wohl recht, dass man da noch etwas reduzieren könnte.

Fünfzig Schläge Schürhaken: Mach lieber fünf daraus, das ist schlimm genug.
:D Ja da sind beim Schreiben wohl etwas die Pferde mit mir durchgegangen. Habe erst nach deinem Kommentar gemerkt wie absurd viel das ist.

Was für mich nicht wirklich funktioniert ist, dass ein Mädchen mit einer so bösen Mutter anfangs so unbeirrt Krach macht. Sie wäre vielmehr, wegen der ständigen Schläge, im Alltag geduckt und leise unterwegs.

Da hast du an sich Recht, darüber habe ich mir beim Schreiben auch Gedanken gemacht, habe es dann aber trotzdem erstmal so stehen gelassen um zu sehen wie das Feedback ausfällt. An sich war der Gedanke, dass sie trotz der zu erwartenden Strafe spielt. Allerdings kann ich das wohl wirklich deutlicher ausdrücken bzw. ausarbeiten.

Vielen Dank dir, Gruß
Knoboter

 

Hallo Knoboter,

ich mag diese Geschichte sehr. Besonders gefällt mir deine Sprache, deine Dialoge geben dem Text die Würze und lassen alles sehr lebendig werden. Auch die Absätze, in denen du diesen Sprechreim nochmal Satz für Satz einfügst, finde ist stilistisch wirklich gelungen. Das hat was. Ist dieser Reim von Dir?
Der Text gibt Rätsel auf, was durchaus gewollt sein kann. Beim ersten Lesen hatte ich die Idee, das die Schwester selbst den Jungen getötet hat. Vielleicht auch die Treppe runter gestoßen? Beim zweiten Lesen dachte ich mir dann, es könnte auch diese gräßliche Mutter gewesen sein? Oder einfach nichts von dem und das Leben hat dieser Familie üble Streiche gespielt. Anyway. Ich freue mich auf mehr von Dir. Viele Grüße dieBiene

 

Hallo Knoboter,

ich finde deinen Einstand auch sehr gelungen. Ich muss zugeben, dein Eingangsreim ließ mich schon Böses ahnen. Trotzdem wusste ich als Leser längere Zeit nicht, wo du ins hinführen willst, das fand ich gut so. Das mit der Mutter war dann doch so etwas wie ein Überraschungsmoment für mich.

Ihr Kleid wirbelte, ihre blonden Zöpfe wehten und kurzzeitig fühlte sie sich wieder wie ein Kind.

Mit einem Sprung nahm das Mädchen die letzten zwei Stufen.


Nicht ganz schlüssig, nastro hat es schon erwähnt, ist für mich ebenfalls die Beschreibung des Mädchens bzw. die Bezeichnung "Mädchen" an sich, nachdem du davon schreibst, sie sei beinahe erwachsen. Somit würde ich die junge Dame auf sechzehn, siebzehn schätzen. Das hat sich in der Tat mit den Zöpfen und dem Begriff "Mädchen" widersprochen. Ich war mir da für kurze Zeit unsicher, ob das nun wieder ein Rückblick ist oder nicht.

Nachvollziehbar ist für mich allerdings, dass sie auch jetzt noch so kindisch auf der Treppe herumhüpft. Vielleicht als Provokation, um das Nachfolgende passieren zu lassen? So jedenfalls das Bild in meinem Kopf.

„Wirst du wohl herkommen, du vermaledeites Balg?!“

„Du verdammte Hundsfott, wenn du nicht auf der Stelle hier oben bist, dann…“

Finde ich gut. Die Ausdrucksweise vermittelt mir, dass das Erzählte wohl schon einige Jahrzehnte zurückliegt. Und das Schimpfwort "Hundsfott" kannte ich bis dato nicht mal. Danke! :D

Die Mutter holte erneut aus. Zwanzig Stufen.

Und holtern und poltern

Sie gab ihrer Mutter einen Stoß.


Ich weiß noch nicht, ob ich den Schluss in dieser Form gut finden soll, also dass du "die Treppe hinunter" hier mit dem Bild der runterstürzenden Mutter ersetzt. Ich konnte mir zum Ende hin zusammenreimen, wie die Geschichte enden wird. Vielleicht möchtest du deine Leser ja etwas herausfordern und mit der letzten Strophe des Kinderreims enden, ohne dass klipp und klar dasteht, was mit der Mutter passiert? Natürlich müsstest du dann die Szene vorher etwas konkreter gestalten, den Leser darauf hinführen. Ich fände dieses Ende toll, rund. Ist aber nur mein Eindruck und einfach als Spielerei zu sehen. Meinem Lesegenuss hat es keinen Abbruch getan.

Freue mich auf weitere Geschichten von dir.

Gruß,
rehla

 
Zuletzt bearbeitet:

Danke, dieBiene. Es freut mich sehr, dass es dir gefallen hat. Der Reim ist von mir. Der ist mir irgendwann mal in den Kopf geschossen, der Rest der Geschichte kam dann danach.

Danke auch rehla für das Feedback. Ich muss gestehen, dass mir mein Ende an sich sehr gut gefällt, ich hatte beim Schreiben zu Beginn den Anfang und das Ende der Geschichte und habe dann darauf aufgebaut - allerdings habe ich mir deine Variante mal ausgemalt und das würde auch sehr gut funktionieren. Da muss ich mir nochmal Gedanken machen.

Nicht ganz schlüssig, nastro hat es schon erwähnt, ist für mich ebenfalls die Beschreibung des Mädchens bzw. die Bezeichnung "Mädchen" an sich, nachdem du davon schreibst, sie sei beinahe erwachsen. Somit würde ich die junge Dame auf sechzehn, siebzehn schätzen. Das hat sich in der Tat mit den Zöpfen und dem Begriff "Mädchen" widersprochen. Ich war mir da für kurze Zeit unsicher, ob das nun wieder ein Rückblick ist oder nicht.

Um mal konkreter zu werden: Ich habe mir Liese so um die 14-15 ausgemalt, die Geschichte soll in der Tat ein paar Jahrzehnte zurückliegen, deswegen auch das Label "Historik". Das könnte man aber wohl auch weglassen, so wirklich historisch ist das Ganze ja nun doch nicht. Ich muss das mit den Kategorien noch ein bisschen durchschauen.
Das "fast schon eine erwachsene Frau" war da aber scheinbar trotzdem verwirrend und hat sie älter erscheinen lassen, als sie sein soll. Ich wollte aber den Begriff "Teenager" vermeiden, da er für mich nicht in den zeitlichen Kontext gepasst hätte - vermutlich hat nastro Recht und die Angabe, wann der Bruder gestorben ist müsste gar nicht konkretisiert werden. Das ließe möglicherweise mehr Raum für Interpretationen, auch was das Alter angeht. Würde das dich/euch weniger aus dem Lesefluss werfen?

Vielen Dank,
Gruß,
Knoboter

 

Das seufzende Stöhnen der knorrigen Stufen, der Lärm der Schritte, das Poltern - dies war der Sinn des Spiels. … Lärm erfüllt. Und mit Leben.

Was dann zwischen dem „vermaledeiten Balg“ und der Drohung
„Muss ich wieder das Eisen aus dem Ofen holen, du ungehorsames Balg? …“
geschieht, wirkt auf mich wie der Versuch, einen „spielerischen“ Ritus zu zerstören. Ritus als religiöser, feierlicher Brauch als Regel für ein Spiel – das im Gegensatz zur Arbeit (got. arbeiþs, ahd/mhd. ar[a/e]beit = eine Substantivierung eines untergegangenen Verbes i. S. von „verwaist sein; zu schwerer körperlichen Arbeit verdingtes Kind“, Duden Bd. 7, S. 46, noch im vierten Vers des Nibelungenliedes bedeutet arebeit zugleich Not und Leid) – für Freiheit steht (schon Schiller hat’s auf den Punkt gebracht (in den ästhetischen Schriften).

Der Balg ist die abgezogene Tierhaut, aus der Lederhandtaschen gemacht wird. Gerade am heutigen Tag darf nicht vergessen werden, dass unter der Ästhetik des Dritten Reichs Ermordeten die Haut abgezogen wurde, die dann z. B. zu Lampenschirmen verarbeitet wurde, vor denen der Lagerkommandant seinen Goethe las oder Wagner lauschte. Aber hier ist der/das Balg wie’s „Gör“ und der „Hundsfott“ oder gar die „Hure“ die abwertendere Bezeichnung, als es ein Blag sein könnte (wobei ich nach den historischen Erfahrungen – s. zuvor - den Balg nicht einmal als Wortspiel ansehen kann),

lieber Knoboter –
und damit erst einmal herzlich willkommen hierselbst und ein gutes neues Jahr!

Die einleitenden Verse (die mir übrigens sehr gefallen) könnten Satzzeichen vertragen, es sei denn, Du verfolgtest damit einen besonderen Zweck, dann sollte der aber auch in den Zwischenüberschriften beibehalten bleiben. Gleichwohl:

Sie geben den Rhythmus des Ritus vor – insofern können Wiederholungen im Text eigentlich keinen Schaden anrichten: Der Ritus selbst lebt von der Wiederholung, ist er doch in den Religionen der Immergleiche. Und Lisa bewahrt dieses (religiöse = Religion als Verhältnis/Verhalten zu anderen Menschen).

Kurz: Ein gelungener, poetischer Einstand!, mit kleinen Mängeln. Beginnen wir mit dem Einfachsten:

„Du kleines unverschämtes Gör…“ // „Du verdammte Hundsfott, wenn du nicht auf der Stelle hier oben bist, dann…“ // Tränen… // „Lauf ruhig weg, du…“
Die Auslassungspunkte symbolisieren in diese „lückenlosen“ Form, dass am vorhergehenden Wort wenigstens ein Buchstabe fehle. Was nicht der Fall sein kann. Besser also mit einer Leertaste zwischen letztem vorhergehenden Buchstaben und dem ersten Punkt …

Hier nun ist am Ende der wörtl. Rede der Punkt entbehrlich (anders wäre es mit ? oder !)

„In der Not frisst der Teufel Fliegen.“, hatte Lieses Vater oft gesagt

Jetzt kommen die Kommas zuhauf (wirkt jedenfalls so, ist aber nix Lebensbedrohliches, hoff ich doch), bei Infinitivsätzen – wie hier
… kurz gescholten und gesagt, sie solle endlich aufhören[,] so einen Krach zu veranstalten und sich ihrem Alter entsprechend benehmen
Und Relativsätzen, wie da
Lieses Vater hatte gewusst[,] welchen sentimentalen Wert dieses kindische Ritual für seine Tochter hatte[,] und vergaß schnell seine eigenen Ermahnungen,
Sie blickte auf den Boden, in den Staub, wagte es nicht[,] ihr in die Augen zu sehen.
Dort war keine Liebe mehr, nichts von dem[,] was sie einst im Blick der Frau hatte sehen können,

Die Mutter trat einen Schritt zurück, wie um Liese Platz zu machen[,] und schlug dann unvermittelt zu
„Da siehst du, was davon kommt[,] wenn du mir nicht gehorchst.
Oder war das der Wind[,] der wieder zu heulen begonnen hatte

Einmal aber schnappt die Fälle-Falle zu:
Einmal hatte Liese statt dem Rohrstock den Schürhaken aus dem Stubenofen ertragen müssen.
(Besser Genitiv „statt des Rohrstocks …“

Hier würde ich ein bisschen Möbelrücken empfehlen – allein fürs Adjektiv, statt

Sogar der Wind schien kurzzeitig den heulenden Atem anzuhalten
vllt. besser
Sogar der [heulende] Wind schien kurzzeitig den […] Atem anzuhalten,
Der Atem ist der Hauch (aber auch die „Seele“, wie die lutherische Wendung „Odem“ nahelegt), heulen wird zwar auch mit „plärren“, vor allem aber „weinen“ (= Weh rufen) Tränen vergießt, trauern und viel trivialer, weil er – s. o. - eh zu heulen angefangen hatte.

Gern gelesen vom

Friedel

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Friedrichard,

auch dir vielen Dank für deine Rückmeldung.
Ich werde mich später mal dransetzen und ein paar Dinge korrigieren und ausbessern, die von dir und den anderen angemerkt wurden.

Nur das hier

Die einleitenden Verse (die mir übrigens sehr gefallen) könnten Satzzeichen vertragen, es sei denn, Du verfolgtest damit einen besonderen Zweck, dann sollte der aber auch in den Zwischenüberschriften beibehalten bleiben.

war mir nicht hundertprozentig klar. Könntest du näher erläutern, was du damit meinst? Ganz ohne Satzzeichen ist der Vers ja nicht geschrieben (ein Komma ist drin :D ) und die Vers-Stücke im späteren Verlauf sind mit dem Eingangsreim soweit identisch. Hab deine Anmerkung in dem Fall nicht ganz verstanden.

Danke für dein Feedback und ebenfalls ein gutes neues Jahr.

Gruß,

Knoboter

 
Zuletzt bearbeitet:

Die einleitenden Verse (die mir übrigens sehr gefallen) könnten Satzzeichen vertragen, es sei denn, Du verfolgtest damit einen besonderen Zweck, dann sollte der aber auch in den Zwischenüberschriften beibehalten bleiben.
war mir nicht hundertprozentig klar. Könntest du näher erläutern, was du damit meinst?

Ich versuch's mal,

lieber Knoboter,

so weit es einer darf, der selbst schon wider Recht und Ordnung hierorts gehandelt hat.

Üblicherweise unterliegen Gedichte der ganz normalen Rechtschreibung und Zeichensetzung (dass Zwischenüberschriften keine abschließendes Satzzeichen haben, ist auch üblich). Unter der Prämisse sehen Deine - wie gesagt, gelungenen Verse - etwa so aus

Holterdiepolter die Treppe hinauf[,]
Unsere Füße[,] sie fliegen im Lauf[,/alternativ: .]
Oben nicht rasten, wir drehen uns munter
Und holtern und poltern die Treppe hinunter[.][/​
QUOTE]

Aber die endgültige Entscheidung muss der Dichter/Du halt fällen, nicht ein Gast.

Gruß

Friedel,
der übrigens die Quotenregelung bewundert ... und um Beibehaltung bittet, es sieht nämlich gut aus!

 

Hallo Knoboter
Und willkommen :)

Einen schönen Einstand gibst du hier zum Besten. In meinen Augen sauber geschrieben und auch thematisch sehr spannend.
So ganz rund ist es für mich aber noch nicht.
Du machst mir mit dem Bruder eine Tür zu viel auf, durch die nichts in die Geschicte kommt. Wozu dient der Bruder? Den Verlust, die Abwesenheit hast du bereits durch den Vater. Ich dachte, am Ende würde vll noch eine Auflösung kommen, evtl hat die Mutter ihn todgeprügelt ... Aber das geht ins Leere.
Und auch der Umschwung zur Mutter. Das geht mir etwas zu plötzlich. So ein Bruch in der Geschichte, das kann man natürlich machen, ist ja an sich ein feiner Kunstgriff, aber in dieser Form finde ich den zu unvorbereitet. Da geht es die ganze Zeit um den Lärm und den Spaß am Herumtollen, keine Andeutung von Gefahr oder Verbot. Das würde ich dringend einflechten, muss ja nur ein kleiner Hinweis sein, am Anfang gar nicht verständlich, am Ende jedoch wie ein wichtiges Verbindungsstück.

Den ersten Absatz würde ich mir auch noch mal ansehen, weil da doch arge Füllsel drin vorkommen. Habe dir mal ein bisschen was angestrichen.


Jeder der kleinen Schritte ließ die alte, schon leicht morsche Treppe erzittern, die von der Diele des Hauses ins Obergeschoss führte.
Umständlich. Jeder Schritt. Oder jeder kleine Schritt. Obwohl klein auch wegkannt, trippelten heißt es zuvor, da impliziert schon kleinschrittigkeit
Alte, schon leicht morsche - ist in Verbindung mit dem ganzen Absatz auch Kürzungswürdig
Unter Liese knarzte und ächzte es, so als würde jeden Moment eine der Stufen nachgeben und das Mädchen in die Tiefe stürzen lassen.
Stürzen lassen. Lassen ist eine schwache Komposition. Einfachere Verben suchen: reißen

Das seufzende Stöhnen der knorrigen Stufen, der Lärm der Schritte, das Poltern - dies war der Sinn des Spiels.
Eins geht nur , auch hier Rate ich zur Straffung.
Liese ließ solltest du aufeinanderfolgend auch meiden. Der Gleichklang ist zu dominant.

Ansonsten ein feiner Text, den ich gern gelesen habe

Grüßlichst
Weltenläufer

 

Danke für die Antwort, Friedel. Jetzt hab ichs verstanden und ja, das macht tatsächlich Sinn. Ich bin mir selber noch nicht sicher, was mir rein ästhetisch besser gefällt, aber korrekterweise müssten die Kommata wohl schon da hin.

Hallo weltenläufer,
danke fürs Lesen und Kommentieren!

Hallo Knoboter
Und auch der Umschwung zur Mutter. Das geht mir etwas zu plötzlich. So ein Bruch in der Geschichte, das kann man natürlich machen, ist ja an sich ein feiner Kunstgriff, aber in dieser Form finde ich den zu unvorbereitet. Da geht es die ganze Zeit um den Lärm und den Spaß am Herumtollen, keine Andeutung von Gefahr oder Verbot. Das würde ich dringend einflechten, muss ja nur ein kleiner Hinweis sein, am Anfang gar nicht verständlich, am Ende jedoch wie ein wichtiges Verbindungsstück.

Da hast du auf jeden Fall recht. Wenn man so etwas schreibt hat man die Handlungsstränge die sich im Hintergrund verbergen natürlich immer im Hinterkopf, aber für den Leser könnte das schon einen argen Bruch darstellen. Ich hatte anfangs auch überlegt den Reim um eine Anspielung auf die böse Mutter zu erweitern, wollte dann aber erst die Überraschung nicht schon vorher zunichte machen. Andererseits könnte so eine kurze Anmerkung womöglich auch die vorigen Kritikpunkte bzgl Liesels Motivation zu spielen, obwohl sie eine gewalttätige Mutter hat, im gleichen Atemzug entschärfen oder aufgreifen.

Beim Bruder kann ich dir nicht hundertprozentig zustimmen. Für mich stellt der Bruder den Dreh- und Angelpunkt der Geschichte dar. Liesel "spielt" ja primär, um ihres Bruders dadurch zu "gedenken". Dann müsste eher der Vater weg. Bei dem hatte ich tatsächlich schon beim Schreiben das Gefühl, dass seine Erwähnung möglicherweise plump wirken könnte, à la "Ach und der ist übrigens auch tot."
Über die Möglichkeit, dass die Mutter den Bruder getötet hat, habe ich tatsächlich selber nachgedacht. Ich bin mir nicht sicher. Hat sie? Ich wollte dies letztendlich offen halten.

Deine stilistischen Anmerkungen werde ich beherzigen, da sind einige gute Sachen dabei!

Danke, Gruß,
Knoboter

 

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