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Rechts
Ich hasse diese endlos langen Ausfahrtsstraßen. Ich hasse es auf Straßen, auf Asphalt, zu laufen, aber hier gibt es keine andere Möglichkeit. Ich werde mich weiter rechts halten. Ist nicht viel Verkehr, trotzdem, rechts ist es sicherer, sind ideale Bedingungen heute. Die Sonne steht schon tief am Himmel. Ich werde gleich versuchen, rechts abzubiegen. Vier Mal rechts und ich bin wieder zurück im Hotel. Guter Speed, immer noch über 10 km/h im Schnitt. Auf beiden Seiten der Fahrbahn Wüste, ausgetrocknete Büsche und jede Menge Müll, da komm ich nicht durch. In der Ferne die Silhouette der Stadt. Steine und Büsche werfen lange Schatten auf den Wüstenboden. Es geht bergab, leicht bergab, ich kann mehr Speed machen, ich werde schneller. Die Sonne ist links von mir, ich muss also rechts abbiegen.
Nach der Sonne kann ich mich gut orientieren. Rechts eine breite Schotter-Piste, eingesäumt von einer kleinen Steinmauer. Hier laufe ich runter. Wunderbar, die Farbe der tief stehenden Sonne, der warme Wind und der Geruch des Oleanders. Hinter mir höre ich das Knattern von Mopeds. Ich kann mich nicht umdrehen, muss mich konzentrieren, der Weg ist zu uneben, zu viele Steine. Ich fühle die Salzkruste, die sich auf meiner Haut bildet, ich werde schneller. Warum überholen die mich nicht, warum fahren die nicht endlich an mir vorbei, ich kann nicht weiter nach rechts. Ich drehe mich kurz um und sehe drei junge Männer auf ihren Mopeds nebeneinander hinter mir herfahren. Sie rufen mir etwas zu, aber ich verstehe kein Französisch. Abwechselnd begeben sie sich auf gleiche Höhe. Sie lachen, gestikulieren und rufen mir zu. Es geht bergauf, ziemlich steil. Endlich, lautes Knattern neben mir, in Staub und Rauch gehüllt verschwinden sie am Horizont. Ich ringe nach Luft. Ich darf nicht anhalten, immer weiter laufen, nur nicht anhalten.
Die staubige Nebenstraße mündet wieder in eine asphaltierte am Rande der Stadt. Kinder hocken am Straßenrand, zwei Mädchen springen hoch und laufen, laut lachend, hinter mir her. Auf einem Strommast sitzende Buben, feuern mich an. Ich muss rechts abbiegen, da muss doch endlich einmal eine Straße rechts weggehen. Mit der Sonne navigieren geht wirklich toll - wenn sie scheint. Als ich weggelaufen bin, konnte ich keine Stadt sehen, da waren keine Häuser, nur diese riesig und endlos erscheinende Ausfahrtsstraße. Ich muss rechts, noch weiter rechts, bei nächster Gelegenheit werde ich rechts abbiegen. Ob sie, würde sie noch scheinen, schon rechts von mir wäre? Oder gar noch hinter mir? Ich glaube hinter mir, hinter mir ist es heller. Aus Lautsprechern ertönt der Gesang des Muezzin. Männer knien sich nieder zum Gebet. Mekka liegt im Osten, also dann ... dann ... verdammt, die Sonne geht im Westen unter, die Gesichter der Männer allerdings sind rechts von mir. Die Sonne sollte schon längst hinter meinem Rücken sein. Ich muss rechts, dringend rechts, ich werde abkürzen, direkt über die Steinfelder laufen, direkt in diese Richtung. Hindernisse sind kaum noch zu erkennen, es wird dunkel. Scheiße, das war Scheiße und ich bin mitten rein, weiter laufen. Ich muss wieder raus, raus auf eine Straße, raus auf einen befestigten Weg. Ich weiß nicht, wo ich mich befinde, es ist zu gefährlich hier im freien Gelände. Da drüben sind Scheinwerfer von Autos, ich werde direkt .... Mauer, hier geht's nicht mehr weiter. Ich bleibe stehen, nur kurz zur Orientierung. Da links rüber, ich muss weiter laufen, darf nicht stehen bleiben. Vor mir wieder eine kleine Mauer und ein Zaun, da komme ich drüber. Endlich, zurück auf der Straße.
Es hat keinen Sinn jeder Hauseinfahrt zu folgen, ich muss auf die Hauptstraße. Ich kann es mir nicht mehr leisten, falsch abzubiegen. Wieder das Knattern der Mopeds, diesmal sausen sie gleich an mir vorbei. Es ist dunkel, völlig schwarz um mich herum. In weiter Ferne sehe ich Scheinwerfer. Die Lichter bewegen sich quer zu mir, das ist meine Straße, gleich bin ich da. Ich bin immer noch am Stadtrand, nur nicht langsamer werden. Es wird kühl, ich darf nicht auskühlen. Kann kaum sehen, wo ich hintrete. Nein, nein, das kann nicht die richtige Straße sein. Zu klein, ich darf jetzt nicht falsch abbiegen. Die Beine schmerzen, der Atem sticht. Weiter, ich muss weiter, dort in der Ferne, dort ist die Hauptstraße. Ich muss auf der Fahrbahn bleiben. Der Geruch von Öl sticht mir in die Nase. Rechts, die unendliche Weite der Wüste. Nur noch wenige Meter! Geschafft, das ist die Hauptstraße. Es geht rechts weg.
Bin ich hier richtig? Es ist zuviel Verkehr. Lastwagen brausen laut hupend an mir vorbei. Ich muss weiter rechts laufen. Runter von der Straße, runter. Ich halte mich rechts der Fahrbahn. Die Schritte werden immer schwerer, das Tempo nimmt ab. In der Ferne Lichter. Sieht aus wie Häuser, ja vielleicht das Hotel? Durchhalten, gleich hab ich es geschafft. Ich stolpere, zu uneben der Weg, ich kann kaum etwas sehen. Kalter Schweiß rinnt mir über die Stirn und das Salz brennt in meinen Augen. Ich muss zurück auf die Fahrbahn. Im Lichtkegel der Autos sind die Unebenheiten gut zu erkennen. Vor mir eine Tankstelle. Aber da war doch keine Tankstelle, ich kann mich an keine Tankstelle erinnern. Ich muss weiter, ist sicher viel weiter draußen. Straßenküchen am Rand und der Duft von Gebratenem. Der Rauch zieht an mir vorbei. Lichter, Leute, das vermittelt mir wieder Sicherheit. Mein Rhythmus wird gleichmäßiger, ruhiger, die Schritte präziser auf dieser endlosen Geraden.
Vor mir die Dunkelheit. Die letzten Lichter verschwinden hinter meinem Rücken. Autos rasen an mir vorbei, in der Ferne bellende Hunde. Das Keifen wird lauter, kommt näher. Hier gibt's keine Zäune, hier ist alles offen. Sie sind auf der anderen Straßenseite, hoffentlich kommen diese Köter nicht herüber. Im Scheinwerferlicht ein Tier - Reifen quietschen - ein dumpfer Knall. Weiterlaufen, ja nicht stehenbleiben. Nicht umdrehen, ich muss mich auf die Straße konzentrieren. Die Beine werden schwer, jeder Schritt zur Qual. Lippen, Zunge, Mund sind ausgetrocknet. Es spannt in den Waden, nur kein Krampf, jetzt nur kein Krampf. Weit in der Ferne ein blaues Licht, ein Schild. Ich werde laufen, ich werde so lange laufen bis kein Licht mehr zu sehen ist oder bis ich am Ziel bin. Ich dachte ich mache Spaß, als ich sagte "... wenn ich bis 19:00 Uhr nicht zurück bin, dann ...". Wie spät ist es eigentlich? Wie lange bin ich schon unterwegs? Ich hab jegliches Zeitgefühl verloren. Das Schild wird größer und hinter dem Zaun sind Lichter zu erkennen. Das könnten die Nebengebäude sein, das sind Nebengebäude, gleich geht's rechts rein durch das Tor und ich hab's geschafft. Dann nur noch ein paar Meter bis zum Eingang.
Der Zaun endet. Ein unangenehmes Gefühl der Leere durchfährt meinen Körper. Das Atmen fällt mir schwer. Vor mir wieder diese beängstigende Dunkelheit, diese unendliche Gerade. Weiterlaufen, ich darf nicht stehen bleiben. Die Lichter verschwinden wieder hinter mir, meine Schritte werden unregelmäßig, ich stolpere. Einmal hinfallen und ich bin erledigt, komme nicht mehr auf. Meine Füße schleifen über den Asphalt. Ich muss die Knie mehr anheben, ich darf nicht nachlassen. Ich habe kein Telefon, kein Geld und nicht mal einen Ausweis bei mir. Ich laufe in einem fremden Land und weiß nicht, wo ich bin. Nicht einmal an den Namen des Hotels kann ich mich erinnern! Es war ein Tor, ein Einfahrtstor auf der rechten Seite. Ein großes Tor. Ich wollte doch nur kurz raus, eine kleine Runde laufen. Es ist kalt, ein Stechen zieht durch meinen Rücken, ich verkrampfe. Hier draußen bin ich verloren, ich schaffe das nicht, kann nicht mehr. Meine Waden brennen wie Feuer. Verschwommene Lichter der vorbeisausenden Autos, kalter Wind bläst mir ins Gesicht. Ich kann nicht weiter, ich bin erledigt.
Rechts vor mir ein großes Einfahrtstor, darüber die Leuchtschrift "Hotel Eden Andalou SPA & Resort".
Mein Hotel, geschafft!