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Rechts

BRM

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22.01.2015
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Rechts

Ich hasse diese endlos langen Ausfahrtsstraßen. Ich hasse es auf Straßen, auf Asphalt, zu laufen, aber hier gibt es keine andere Möglichkeit. Ich werde mich weiter rechts halten. Ist nicht viel Verkehr, trotzdem, rechts ist es sicherer, sind ideale Bedingungen heute. Die Sonne steht schon tief am Himmel. Ich werde gleich versuchen, rechts abzubiegen. Vier Mal rechts und ich bin wieder zurück im Hotel. Guter Speed, immer noch über 10 km/h im Schnitt. Auf beiden Seiten der Fahrbahn Wüste, ausgetrocknete Büsche und jede Menge Müll, da komm ich nicht durch. In der Ferne die Silhouette der Stadt. Steine und Büsche werfen lange Schatten auf den Wüstenboden. Es geht bergab, leicht bergab, ich kann mehr Speed machen, ich werde schneller. Die Sonne ist links von mir, ich muss also rechts abbiegen.

Nach der Sonne kann ich mich gut orientieren. Rechts eine breite Schotter-Piste, eingesäumt von einer kleinen Steinmauer. Hier laufe ich runter. Wunderbar, die Farbe der tief stehenden Sonne, der warme Wind und der Geruch des Oleanders. Hinter mir höre ich das Knattern von Mopeds. Ich kann mich nicht umdrehen, muss mich konzentrieren, der Weg ist zu uneben, zu viele Steine. Ich fühle die Salzkruste, die sich auf meiner Haut bildet, ich werde schneller. Warum überholen die mich nicht, warum fahren die nicht endlich an mir vorbei, ich kann nicht weiter nach rechts. Ich drehe mich kurz um und sehe drei junge Männer auf ihren Mopeds nebeneinander hinter mir herfahren. Sie rufen mir etwas zu, aber ich verstehe kein Französisch. Abwechselnd begeben sie sich auf gleiche Höhe. Sie lachen, gestikulieren und rufen mir zu. Es geht bergauf, ziemlich steil. Endlich, lautes Knattern neben mir, in Staub und Rauch gehüllt verschwinden sie am Horizont. Ich ringe nach Luft. Ich darf nicht anhalten, immer weiter laufen, nur nicht anhalten.

Die staubige Nebenstraße mündet wieder in eine asphaltierte am Rande der Stadt. Kinder hocken am Straßenrand, zwei Mädchen springen hoch und laufen, laut lachend, hinter mir her. Auf einem Strommast sitzende Buben, feuern mich an. Ich muss rechts abbiegen, da muss doch endlich einmal eine Straße rechts weggehen. Mit der Sonne navigieren geht wirklich toll - wenn sie scheint. Als ich weggelaufen bin, konnte ich keine Stadt sehen, da waren keine Häuser, nur diese riesig und endlos erscheinende Ausfahrtsstraße. Ich muss rechts, noch weiter rechts, bei nächster Gelegenheit werde ich rechts abbiegen. Ob sie, würde sie noch scheinen, schon rechts von mir wäre? Oder gar noch hinter mir? Ich glaube hinter mir, hinter mir ist es heller. Aus Lautsprechern ertönt der Gesang des Muezzin. Männer knien sich nieder zum Gebet. Mekka liegt im Osten, also dann ... dann ... verdammt, die Sonne geht im Westen unter, die Gesichter der Männer allerdings sind rechts von mir. Die Sonne sollte schon längst hinter meinem Rücken sein. Ich muss rechts, dringend rechts, ich werde abkürzen, direkt über die Steinfelder laufen, direkt in diese Richtung. Hindernisse sind kaum noch zu erkennen, es wird dunkel. Scheiße, das war Scheiße und ich bin mitten rein, weiter laufen. Ich muss wieder raus, raus auf eine Straße, raus auf einen befestigten Weg. Ich weiß nicht, wo ich mich befinde, es ist zu gefährlich hier im freien Gelände. Da drüben sind Scheinwerfer von Autos, ich werde direkt .... Mauer, hier geht's nicht mehr weiter. Ich bleibe stehen, nur kurz zur Orientierung. Da links rüber, ich muss weiter laufen, darf nicht stehen bleiben. Vor mir wieder eine kleine Mauer und ein Zaun, da komme ich drüber. Endlich, zurück auf der Straße.

Es hat keinen Sinn jeder Hauseinfahrt zu folgen, ich muss auf die Hauptstraße. Ich kann es mir nicht mehr leisten, falsch abzubiegen. Wieder das Knattern der Mopeds, diesmal sausen sie gleich an mir vorbei. Es ist dunkel, völlig schwarz um mich herum. In weiter Ferne sehe ich Scheinwerfer. Die Lichter bewegen sich quer zu mir, das ist meine Straße, gleich bin ich da. Ich bin immer noch am Stadtrand, nur nicht langsamer werden. Es wird kühl, ich darf nicht auskühlen. Kann kaum sehen, wo ich hintrete. Nein, nein, das kann nicht die richtige Straße sein. Zu klein, ich darf jetzt nicht falsch abbiegen. Die Beine schmerzen, der Atem sticht. Weiter, ich muss weiter, dort in der Ferne, dort ist die Hauptstraße. Ich muss auf der Fahrbahn bleiben. Der Geruch von Öl sticht mir in die Nase. Rechts, die unendliche Weite der Wüste. Nur noch wenige Meter! Geschafft, das ist die Hauptstraße. Es geht rechts weg.

Bin ich hier richtig? Es ist zuviel Verkehr. Lastwagen brausen laut hupend an mir vorbei. Ich muss weiter rechts laufen. Runter von der Straße, runter. Ich halte mich rechts der Fahrbahn. Die Schritte werden immer schwerer, das Tempo nimmt ab. In der Ferne Lichter. Sieht aus wie Häuser, ja vielleicht das Hotel? Durchhalten, gleich hab ich es geschafft. Ich stolpere, zu uneben der Weg, ich kann kaum etwas sehen. Kalter Schweiß rinnt mir über die Stirn und das Salz brennt in meinen Augen. Ich muss zurück auf die Fahrbahn. Im Lichtkegel der Autos sind die Unebenheiten gut zu erkennen. Vor mir eine Tankstelle. Aber da war doch keine Tankstelle, ich kann mich an keine Tankstelle erinnern. Ich muss weiter, ist sicher viel weiter draußen. Straßenküchen am Rand und der Duft von Gebratenem. Der Rauch zieht an mir vorbei. Lichter, Leute, das vermittelt mir wieder Sicherheit. Mein Rhythmus wird gleichmäßiger, ruhiger, die Schritte präziser auf dieser endlosen Geraden.

Vor mir die Dunkelheit. Die letzten Lichter verschwinden hinter meinem Rücken. Autos rasen an mir vorbei, in der Ferne bellende Hunde. Das Keifen wird lauter, kommt näher. Hier gibt's keine Zäune, hier ist alles offen. Sie sind auf der anderen Straßenseite, hoffentlich kommen diese Köter nicht herüber. Im Scheinwerferlicht ein Tier - Reifen quietschen - ein dumpfer Knall. Weiterlaufen, ja nicht stehenbleiben. Nicht umdrehen, ich muss mich auf die Straße konzentrieren. Die Beine werden schwer, jeder Schritt zur Qual. Lippen, Zunge, Mund sind ausgetrocknet. Es spannt in den Waden, nur kein Krampf, jetzt nur kein Krampf. Weit in der Ferne ein blaues Licht, ein Schild. Ich werde laufen, ich werde so lange laufen bis kein Licht mehr zu sehen ist oder bis ich am Ziel bin. Ich dachte ich mache Spaß, als ich sagte "... wenn ich bis 19:00 Uhr nicht zurück bin, dann ...". Wie spät ist es eigentlich? Wie lange bin ich schon unterwegs? Ich hab jegliches Zeitgefühl verloren. Das Schild wird größer und hinter dem Zaun sind Lichter zu erkennen. Das könnten die Nebengebäude sein, das sind Nebengebäude, gleich geht's rechts rein durch das Tor und ich hab's geschafft. Dann nur noch ein paar Meter bis zum Eingang.

Der Zaun endet. Ein unangenehmes Gefühl der Leere durchfährt meinen Körper. Das Atmen fällt mir schwer. Vor mir wieder diese beängstigende Dunkelheit, diese unendliche Gerade. Weiterlaufen, ich darf nicht stehen bleiben. Die Lichter verschwinden wieder hinter mir, meine Schritte werden unregelmäßig, ich stolpere. Einmal hinfallen und ich bin erledigt, komme nicht mehr auf. Meine Füße schleifen über den Asphalt. Ich muss die Knie mehr anheben, ich darf nicht nachlassen. Ich habe kein Telefon, kein Geld und nicht mal einen Ausweis bei mir. Ich laufe in einem fremden Land und weiß nicht, wo ich bin. Nicht einmal an den Namen des Hotels kann ich mich erinnern! Es war ein Tor, ein Einfahrtstor auf der rechten Seite. Ein großes Tor. Ich wollte doch nur kurz raus, eine kleine Runde laufen. Es ist kalt, ein Stechen zieht durch meinen Rücken, ich verkrampfe. Hier draußen bin ich verloren, ich schaffe das nicht, kann nicht mehr. Meine Waden brennen wie Feuer. Verschwommene Lichter der vorbeisausenden Autos, kalter Wind bläst mir ins Gesicht. Ich kann nicht weiter, ich bin erledigt.

Rechts vor mir ein großes Einfahrtstor, darüber die Leuchtschrift "Hotel Eden Andalou SPA & Resort".
Mein Hotel, geschafft!

 

Hola BRM,
das fetzt richtig. Supergeschichte. Da hechelt man mit! Erinnert mich an meine KG "Winterspaziergang".
Und so einen Wahnsinn habe ich auch einmal persönlich erlebt. Aber auch ohne eigene Erfahrung hätte mich Deine Geschichte gepackt.
Du hältst die Spannung bis zuletzt. Das liest sich atemlos. Alle Achtung!
Ob allerdings der Schluss die beste aller Möglichkeiten darstellt - ich weiß nicht so recht.
Aber dessen ungeachtet - viele Grüße!
Joséfelipe

 

Hallo josefelipe,

Danke freut mich. Ich kämpfe damit, selbst Erlebtes in eine brauchbare Form zu bringen. Deshalb auch das Ende leider / glücklicherweise etwas verbesserungswürdig ;-) Möchte allerdings versuchen authentisch zu bleiben, da es sich ja ausschließlich um "wahre Begebenheiten" handelt in meinen Geschichten. Machnchmal schadet es jedoch nicht etwas aufzupäppeln ;-)

Danke jedenfalls :-)

 

Hmm BRM, zuerst einmal hat mich als Motorsportfan dein Nick dazu ermuntert, in deine Geschichte reinzuklicken. BRM = British Racing Motors ... lang ist es her. ;)

Tja, als alter Langstreckenläufer (damals sagte man noch nicht joggen) hat mich deine Geschichte natürlich auch interessiert und in großen Teilen gefesselt. Die frühabendliche Joggingrunde rund ums Hotel, das kenne ich. Nachvollziehbar beschrieben und es hätte tatsächlich so passiert sein können, denke ich.

Trotzdem fehlte mir die Beschreibung des Leidens des Läufers. In südlichen Gefilden klebt die Zunge nicht erst im vorletzten Abschnitt, das hätte ich mir früher gewünscht. Die Angst, das Ziel nicht zu finden, das war mir nicht dramatisch genug beschrieben. Man liest es, aber man leidet nicht.

Insgesamt möchte ich dich aber ermuntern weiterzumachen. Dein Erzählstil hat mir gefallen und ich mag die Verarbeitung Erlebtem gerne lesen. :)

 

Hallo Freegrazer,

danke für deine Meinung. Ja, passiert ist es genau so und das Erlebte auf Papier zu bringen, daran arbeite ich derzeit. Du hast recht, da ist noch viel Platz für Emotion und Gefühle rüberbringen. Sieht leichter aus als es ist. Allerdings gibt es ja viele Beispiele auf wortkrieger, wie es gehen könnte. BRM ist mein Kürzel in meinem Job. BRM als Motorsport Team kenne natürlich auch. Ist immerhin meine Generation ;-)
Danke nochmals :-)

 
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Hallo Manfred,

beim Lesen dieser Geschichte dachte ich immer wieder an den Challenge Bewusstseinsstrom, den wir hier mal hatten. In Teilen bedienst du dich dieser Technik und das passt ja auch gut zum Inhalt.

Mir ist es nicht ganz leicht gefallen, in der Geschichte zu landen. Mir hätte eine kleine Ergänzung sehr geholfen:

Vier Mal rechts und ich bin wieder im Hotel zurück.

Durch die Abendhitze von Marrakesch läuft der Protagonist und merkt, wie er sich überschätzt hat. Nicht, dass er keinen Orientierungssinn hätte - aber es trieb ihn zu sehr weg vom Hotel, es wurde dann zu schnell dunkel und die Kräfte waren irgendwann verbraucht. Ich fand das gut in Worte gefasst, jedoch fehlten mir zwei Dinge innerhalb des Textes:

Wenn man so läuft, hat man ja 1000 Gedanken. Ich fänd es spannend, wenn da noch ein paar andere, die sich nicht mit dem Laufen befassen, reinrutschen.
Mir fehlt der Gedanke nach Wasser.

Erfreulich fehlerfrei, habe ich noch ein paar kleine Anmerkungen:


Rechts eine breite Schotter-Piste, eingesäumt von einer kleinen Steinmauer.
Gibt es einen Grund, Schotterpiste nicht zu nehmen?


Scheiße, das war Scheiße und ich bin mitten rein, weiter laufen.
:D

Ich habe kein Telefon, kein Geld. Ich habe keinen Ausweis bei mir.
So könnte man meinen, er habe allgemein kein Telefon und kein Geld. Ich verstehe es so:

Ich habe kein Telefon, kein Geld und nicht einmal einen Ausweis bei mir.


Es ist kalt, ein Stechen zieht durch meinen Rücken, ich verkrampfe. Hier draußen bin ich verloren, ich schaffe das nicht, kann nicht mehr. Meine Waden beginnen zu krampfen.
Vielleicht findest du ein anderes Wort, dass die Wortdoppelung wegfällt?

Rechts vor mir ein Einfahrtstor, darüber die Leuchtschrift "Hotel Eden Andalou SPA & Resort".

Ja, und was soll ich als Leser mit dieser Information? Ist das sein Hotel? Oder halt irgendeines, in das er gehen und um Hilfe bitten kann? Was bringt mir die genaue Bezeichnung des Hotels (außer dass ich dann weiß, dass es in Marrakesch ist?)

Mir würde dann noch eher so was in der Art zusagen:

Ein Einfahrtstor auf der rechten Seite. Ein großes Tor. Ich muss zum letzten Mal rechts abbiegen/ein letztes Mal rechts abbiegen.

Viele Grüße
bernadette

 

bernadette

Danke für deine konstruktive Kritik. Hab schon einige Punkte abgeändert. Jetzt, wo du mich darauf hingewiesen hast, konnte ich es auch erkennen. Selbst wäre mir das jedoch nicht aufgefallen.
Du hast recht, da wäre sehr viel Platz für Gedanken. Da könnte leicht ein zusätzliches, vielleicht privates Thema, abgehandelt werden.
Bei einer meiner nächsten Geschichten möchte ich das mal versuchen.
Derzeit beschäftige ich mich damit, welche Erzählperspektive und Zeit die beste Wahl für meine Geschichten sind. Für "rechts" ist das Präsens keine schlechte Wahl. Dadurch kann ich leicht Spannung erzeugen und auch über einen längeren Zeitraum halten. Für andere Geschichten würde das allerdings nicht passen. Ich versuche gerade eine Geschichte aus der Erzählerperspektive im Präteritum zu schreiben. Am spannesten wäre natürlich, wenn ich aus der Perspektive der dritten Person erzählen würde. Ich fürchte allerding, dass dann die Glaubwürdigkeit meiner authentischen Geschichten darunter leiden könnte.
Ich muss also einen Kompromiss finden, um einerseits glaubwürdig zu schreiben und andererseits die Geschichten so spannend und interessant zu machen, damit sie auch gelesen werden.

Besten Dank nochmals für deine Hilfe

 

Ich fürchte allerding, dass dann die Glaubwürdigkeit meiner authentischen Geschichten darunter leiden könnte.
Ich muss also einen Kompromiss finden, um einerseits glaubwürdig zu schreiben und andererseits die Geschichten so spannend und interessant zu machen, damit sie auch gelesen werden.

Ich bin der Meinung, dass man sich als Autor unnötige Fesseln anlegt, wenn man immer nur erzählt, was tatsächlich passiert ist. Wir haben doch das Geschenk der Phantasie, was für eine wundervolle Sache, nutze sie doch aus. Wer weiß denn von uns hier, was du wirklich erlebt hast und was du als kreativer Autor erfindest?

Nutze deine vielen Erfahrungen und Erlebnisse als Ideenpool und schreibe das Passende (erfundene) drumrum.

Mit dem Argument: Ich kann es nicht anders schreiben, denn es ist so passiert holst du keinen Leser hinterm Ofen vor.

 
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Servus, BRM, willkommen hier.

Die Sonne ist links von mir, ich muss also rechts abbiegen.
[…] Rechts eine breite Schotter-Piste, eingesäumt von einer kleinen Steinmauer. Hier laufe ich runter.
Die Sonne steht links, dann macht der Läufer einen Rechtsschwenk. Meinem Verständnis nach hat er die Sonne jetzt also im Rücken.

Mit der Sonne navigieren geht wirklich toll - wenn sie scheint. [...] Ich muss rechts, noch weiter rechts, bei nächster Gelegenheit werde ich rechts abbiegen. Ob sie, würde sie noch scheinen, schon rechts von mir wäre?
Diesem Gedankengang des Läufers kann ich noch folgen. Offenbar spekuliert er damit, schon eine 180°-Richtungsänderung geschafft zu haben

Oder gar schon hinter mir?
Hä?

Ich glaube hinter mir, hinter mir ist es heller. Aus Lautsprechern ertönt der Gesang des Muezzin. Männer knien sich nieder zum Gebet. Mekka liegt im Osten, also dann ... dann ... verdammt, die Sonne geht im Westen unter, die Gesichter der Männer allerdings sind rechts von mir.
Was allerdings genau nichts darüber aussagt, in welche Himmelsrichtung die Gesichter der Männer gerichtet sind ...

Die Sonne sollte schon längst hinter meinem Rücken sein. Ich muss rechts, dringend rechts,
Also spätestens hier hab ich's aufgegeben, mir als Leser die topografischen Gegebenheiten vorstellen zu wollen. Und ich hab mich gleichzeitig überhaupt nicht mehr darüber gewundert, dass sich der Typ verirrt, wenn er mit einem derart fragwürdigen Orientierungsvermögen gestraft ist.
Das soll jetzt nicht sarkastisch klingen, BRM, umso weniger, weil du ja selber sagst:

BRM schrieb:
Ich kämpfe damit, selbst Erlebtes in eine brauchbare Form zu bringen.
[…] Ja, passiert ist es genau so
Was ja nichts anderes heißt, als dass wir hier nicht über eine fiktive Figur reden, sondern über dich.

Und eben da liegt für mein Gefühl auch der Hund des Textes begraben. In deinem Bemühen um eine möglichst authentische Schilderung deiner Desorientiertheit damals verlierst du für mein Gefühl die Ansprüche der Leser stellenweise gehörig aus den Augen. Also zumindest meine Ansprüche. Mich nämlich nervt es beim Lesen furchtbar, wenn Vorgänge und Örtlichkeiten so missverständlich beschrieben sind, dass ich sie nicht mehr nachvollziehen kann. Weil ehrlich gesagt hab ich keine große Lust, mir Bleistift und Papier schnappen zu müssen, um mir einen Überblick über das Beschriebene zu verschaffen. (Der Protagonist soll sich meinetwegen verlaufen, aber ich als Leser will trotzdem gerne wissen, wie er das zuwege bringt. So viel sollte die Sprache einer Geschichte schon leisten können.)
Was ich sagen will: Du scheinst mir mit diesem Text einen wirklich schwierigen Spagat zu versuchen. Wahrhaftigkeit auf der einen und Literarizität auf der anderen Seite.
An manchen Stellen gelingt es dir zwar wirklich gut, Bilder und Atmosphäre zu erschaffen, dann allerdings wieder ist deine Sprache schrecklich unpräzise und, ja, auch unattraktiv.
Schon klar, du willst damit die Atemlosigkeit, die aufkeimende Panik des Läufers vermitteln, aber diese ständigen Ellipsen und Wortwiederholungen gehen natürlich zu Lasten der Sprachschönheit. Die Dramatik, das Verstörende eines Erlebnisses muss sich ja nicht unbedingt in ungelenk reduzierter Sprache niederschlagen.

Ich könnte mir vorstellen, dass du diesen Text noch gehörig verbessern könntest. Nämlich durch eine Überarbeitung, bei der du weniger auf den Wahrheitsgehalt achtest (der den Lesern ja herzlich egal ist), sondern vielmehr Wert legst auf die Verständlichkeit, die Nachvollziehbarkeit der Handlung und last, but not least, auf attraktiveren Stil. (Rhythmik, Satzmelodie, Wortwahl, usw.)
In meinen Augen wäre es eine gute Übung, diese Geschichte nicht in der Ich-Perspektive zu erzählen sondern in der dritten Person. Du wärst so nämlich automatisch gezwungen, einen distanzierteren Blick auf das Erleben des Protagonisten zu werfen und müsstest dadurch auch päziser schreiben. Und vermutlich würde nicht soviel ungesagt bleiben, was ja auch schon Freegrazer bemängelt hat:

Freegrazer schrieb:
Trotzdem fehlte mir die Beschreibung des Leidens des Läufers. In südlichen Gefilden klebt die Zunge nicht erst im vorletzten Abschnitt, das hätte ich mir früher gewünscht. Die Angst, das Ziel nicht zu finden, das war mir nicht dramatisch genug beschrieben. Man liest es, aber man leidet nicht.
Als Ich-Erzähler lässt man sich ja leicht dazu verleiten, um die eigene Verfasstheit keine allzu großen Worte zu machen.

In diesem Sinne: Keep on running, BRM.

offshore

BRM schrieb:
Hab schon einige Punkte abgeändert.
Mein Kommentar bezieht sich auf die gestrige Fasssung.

 

Servus Ernst,

erst mal danke, dass du dich mit meinem Text beschäftigt hast. Du hast völlig recht, selbst mir wurde beim Schreiben und beim Nachvollziehen der Himmelrichtungen schwindlig.

"Gar schon hinter mir"

Ist definitiv ein Schreibfehler und müsste natürlich heißen

"Gar noch hinter mir"

Trotzdem, danach ist, wie du richtig erkannt hast gleich der nächste "Navigationsfehler". Die Gesichter rechts von mir schauen nach Mekka und das liegt im Osten. Soll heißen, rechts von mir muss Westen sein, Sonne müsste also rechts sein, würde sie noch scheinen. Nein nein, viel zu kompliziert und das sollte es auch aussagen. Man glaubt, alles ist ganz einfach und verrennt sich dabei immer mehr. Man findet immer komliziertere Lösungen, nur um sich selbst zu erklären, warum man da ist wo man gerade ist.

Die Ich-Perspektive habe ich gewählt, weil es für mich leichter war, eine Spannung aufrecht zu erhalten. Das ist natürlich in der dritten Person etwas schwieriger. Auch diese ewigen Wiederholungen sind sehr authentisch zu dem, was in meinem Kopf abging. Aber du hast recht, Satzmelodie ist das keine!

Ich habe inzwischen eine Geschichte in der Erzählperspektive geschrieben und möchte es demnächst in der dritten Person versuchen. Obwohl es mir an neuen Geschichten nicht mangelt, wäre es sicher eine gute Idee, "Rechts" umzuschreiben. Als Schreibübung sozusagen.

Was ich jedenfalls hier gelernt habe ist, dass eine gute Geschichte nicht völlig authentisch sein muss.

Ich danke dir für deine Kritik

 

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