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Die intrigante Prinzessin Marihuana

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25.01.2015
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Die intrigante Prinzessin Marihuana

Weil die Electroclubs vor Mitternacht geschlossen sind, hat Gabriel sich auf dem Hinterhof einer Absinth-Bar so etwas wie einen improvisierten Sitz aus verschiedenem Müll errichtet, sich wundernd, wie gemütlich ein Haufen zerrissener Kissen und Plastiktüten sein kann. Seine Augen waren geschlossen, und vor allem die Gerüche und Geräusche waren es, die ihn beschäftigten. Ihm schlugen entgegen: die brutzelnde Wärme der Dönerspieße; das kratzige Lachen von türkischen Großvätern; das fröhliche Kreischen irgendwelcher betrunkener Mädchen; der tropisch anmutende Geruch von verdunstendem Regenwasser; das Rascheln von vertrockneten Blättern über den Asphalt; aggressive Zwischenrufe aus den Spielotheken; ein Gemisch aus verschiedensten Musiksorten, begleitet von lauten Bässen aus der Soundanlage eines Sportwagens; Tabakdünste aus den Shishabars; schwerfälliges, unregelmäßiges Stolpern von Besoffenen und das Klacken zahlloser High-heels.

Gabriel öffnete seine Augen. Die Mücke, welche gerade vor seinem Gesicht schwebte um sich an seinem jungen Blut gütlich zu tun, fand sich den glasigen, mehr nach innen als nach außen gerichteten Augen eines Menschen ausgesetzt, in dessen Lunge erstklassiges Gras seine Wirkung entfaltete. Wenn Gabriels Gedanken meist wie Schnellzüge im Morgenrot auf schnurgeraden Gleisen Richtung Sonnenaufgang eilten, so geisterten sie jetzt schweifend in seinem Kopf umher wie Meteoriten durch die Weiten des Universums. Gabriels erster Joint überhaupt lag nicht weit zurück, und er befand sich noch in jener märchenhaften Phase, in welcher der unerfahrene Raucher ehrfürchtig das Reich des Rausches betritt und sich an eine Entdeckungsreise durch all jene Wirkungen macht, welche die großzügige Prinzessin Marihuana ihren Liebhabern zu schenken vermag. So erkannte er zum Beispiel abenteuerliche Formen in den einfachsten Dingen; war die kleine Hinterhoflaterne nicht in der gleichen Form gewunden wie der Schwanz einer Katze? Sieht der Wipfel des Baumes auf der anderen Straßenseite nicht aus wie ein meditierend in sich gekehrter Buddha? Und sind die Pfützen nicht mit buntem, aus allen Flaschen der Welt auslaufendem Absinth gefüllt an Stelle von in den Reklamelichtern schimmerndem Regenwasser? Auch all die Geräusche, die er vernahm, die verschiedenen, die unvereinbaren, ergaben einen Sinn den er nicht ganz verstand, jedoch ganz deutlich in der Magengrube spürte, einen Rhythmus, ein poetisches Meisterwerk namens "die nächtliche Stadt."

Gabriel zündete sich einen zweiten, am frühen Abend vorgefertigten Joint an und atmete genüsslich ein. Er schloss die Augen; ähnlich schweren Fenstervorhängen aus Samt und Brokat, wie sie an den Fassadenfenstern des Schlosses von Versailles zu finden sind, fielen seine Augenlider zu. Leere breitete sich in seinem Gehirn aus, welches sich, gleich einer schnurrenden Katze, genüsslich an den Schädelinnenwänden rieb. Doch die Leere blieb nicht lange bestehen; sie schaffte nur Platz für das eigentliche Ziel seines Rausches. Schon hörte er aus der Ferne ihre Schritte; schon roch er schwach ihren Duft; schon betrat Sie sein Denken aus den unergründlichen Tiefen des Unterbewussten und sie würde ihn nicht mehr loslassen die ganze Nacht.

Sie breitete sich in ihm aus wie eine Seerose auf der Wasseroberfläche, welche dankbar Wellen schlug. Er spürte ihr weiches afrikanisches Haar, diese parfümierte Löwenmähne, wie es sich in sein Gesicht grub; er streckte die Hand in die Luft - wie dumm er aussähe für den Obdachlosen, welcher gerade im benachbarten Mülleimer nach Pfandflaschen suchte, wenn dieser sich für ihn interessieren würde!- und es kam ihm vor, als striche er über ihre perfekte, nach ...Körper duftende Haut, in deren bronzenem Farbton sich der Mond, dieser Narziss, fast spiegeln konnte; er zog ganz zart am Joint und stellte sich vor, er küsse ihre Lippen - welch unerhörte Karriere für einen primitiven Stängel aus dünnem Papier, gefüllt mit Pappe, Tabak und Hanf! Und diese Phantasien, welche den nassen Hinterhof der Absinth-Bar in das Paradies auf Erden verwandelten, nannte Gabriel Liebe.

Liebe nannte Gabriel die Stunden, die er verbracht hatte, wenn er sie heimlich beobachtete, als sie manchmal bei ihm schlief; Liebe nannte er die eisigen Wintermorgen, an denen er Frostbeulen riskierte, um der noch Schlafenden warme Brötchen zu bringen; Liebe nannte er die Zigarettenschachteln die er auf ihrem Balkon rauchte, während sie drinnen mit ihrem Mann telefonierte und Liebe nannte er das Pressen seines Ohrs an die Balkontür, um ihre zarte Stimme zu hören und sich vorzustellen, sie sei an ihn gerichtet und nicht durch ihr Mobiltelefon hindurch zu einem anderen, einem besseren.

Liebe nannte Gabriel die Tränen die er als Freudentränen tarnte bei ihrer Hochzeit. Liebe nannte er es, wenn er sich einen runterholte, und sich vorstellte, sie würde ihm... Liebe nannte er die blinde Wut darauf, dass er, der Sie nun mehr als ein Jahrzehnt kannte und dennoch daran gescheitert ist, sie gut genug zu kennen um sie glücklich machen zu können - eine Aufgabe, die der andere nur zu gern übernommen hat und den sie dafür "Meister" betitelte und "Engel" und "Erlöser"; Liebe nannte er sein Schweigen auf die Frage, die sie ihm leise und erschreckend kurz vor ihrer Hochzeit gestellt hatte, ob er nicht mehr für sie fühlte, als er immer zugab...

Doch Liebe - oder was auch immer man als solche bezeichnet - ist schwer. In der Schwere liegt ihre Schönheit. In der Schwere liegt die Melancholie, die sich ausbreitet, sobald in einer betrunkenen, über das Leben philosophierenden Runde jemand dieses Wort -"Liebe"- ausspricht, um danach schüchtern zu hüsteln und sich zu wünschen, ein anderes Thema angesprochen zu haben. In der Kreuzberger Barlandschaft aber gibt es für jene Art von Schwere keinen Platz, und Gabriel musste es einsehen. Er rauchte seinen Joint zu Ende und verschwand torkelnd - und das Torkeln empfand er als majestätisches Schreiten - in der Absinth-Bar. Schnell vergeht die Zeit für diejenigen, die sich im Bett der unersättlichen Prinzessin Marihuana wiegen; schon sitzt Gabriel am Tresen; schon zündet er den Zucker an; schon leuchtet ihm die grünliche Flamme des Absinhths ins Gesicht; schon fährt seine Leber - wie lächerlich biologisch die Grundlage jedes romantischen Trinkens ist! - ihre schwersten Geschütze aus, um gläserweise fließenden achtzigprozentigen Alkohol zu verarbeiten. Die unersättliche Prinzessin Marihuana fand im Meuchelmörder Absinth ihren Seelenverwandten und noch schneller verging die Zeit für Gabriel, ihren bescheidenen Kuppler.

Schon tanzt Gabriel lachend auf dem Tisch; schon liegt er, noch lauter lachend, darunter; schon rappelt er sich auf, vom Barkeeper gestützt; schon sitzt er wieder auf dem Hocker und belächelt das Brennen des Getränks, welches Picasso zu einigen seiner besten Kunstwerke und van Gogh dazu inspirierte, sich das Ohr abzuschneiden; schon schleicht Gabriels Arm das Bein einer jungen Frau entlang, ihr Verhalten in den letzten zwei Stunden ebenso peinlich wie seines; schon drückt sie ihm ihre Brüste ins Gesicht; schon zieht er ihr Höschen auf der Bartoillette aus; schon stöhnt sie ekstatisch, schon brüllt er Ihren Namen; schon erntet er reihenweise Ohrfeigen; schon kotzt er, rausgeworfen aus der Bar, an die Wand; schon sitzt er auf dem Hinterhof und führt sich mit zitternden Händen und Tränen in den Augen den dritten Joint an die Lippen. Die pikierte Prinzessin Marihuana befahl "genug!", doch es kümmerte ihn nicht. Ein schwerwiegender Fehler. Die Meteoriten, die davor gemächlich und begleitet von traumhafter Sphärenmusik die Weiten seines Hirns durchschweiften, schlugen nun gnadenlos und tausendfach auf seine Synapsen ein. Die Geräusche, welche vorhin den Eindruck erweckten als käme jedes einzelne von ihnen aus einer von Mozart selbst gespielten Violine, rieben sich rasiermesserscharf aneinander und sprühten Funken die ihn blendeten, wenn er die Augen schloss...

Und während Sie in den Flitterwochen keinen Gedanken an ihn verschwendete, und während ein kaum zwölfjähriger Junge ihm den Geldbeutel aus der Jackentasche zog, den größten Schein heraus fingerte - es war ein Fünfer - und den Geldbeutel enttäuscht von sich warf, während lauwarmer Großstadtregen seinen nur halb gerauchten dritten Joint löschte, schlief er unruhig hinter den Mülleimern ein und es blieb nichts außer dem nächtlichen Kreuzberg, und den kriminellen türkischen Großvätern mit dem kratzigen Lachen, und dem bestialischen Gestank von Dönerfleisch und dem billigen Klacken der High-heels von vielen gesichtslosen Mädchen, und dem Schlaf der gesättigten Prinzessin Marihuana. Es blieb nichts, als das Warten auf Sie und das Sehnen nach Ihr und das Schnarchen auf dem Hinterhof und das Warten auf das nächste Wiedersehen und das Warten auf die nächste noch so geringe Chance und das Warten auf den nächsten Tag, welcher nichts besseres verhieß als der Vergangene, doch die intrigante Prinzessin Marihuana flüsterte zu ihm: "Doch." Und im Traum den er jetzt träumt flüstert sie es beiden zu.

 

Hallo Shayl Boroch,
ein sehr interessantes Thema und gut geschrieben. Konnte mich echt in die aussichtslose Lage deines Protagonisten versetzen. Gratuliere

 

Hallo Shaly,

willkommen hier!
Die Chronik einer Nacht in Kreuzberg, und doch ist mehr als eine Nacht, beinah schon ein Leben.
Hab deine Geschichte wegen des Titels angeklickt. "Die intrigante Prinzessin Marihuana". Hat jedenfalls mein Interesse geweckt. Da gibt es so einen Songtitel von den Onkelz "Prinz Valium". Vllt deshalb.

Ihm schlugen entgegen: die brutzelnde Wärme der Dönerspieße; das kratzige Lachen von türkischen Großvätern; das fröhliche Kreischen irgendwelcher betrunkener Mädchen; der tropisch anmutende Geruch von verdunstendem Regenwasser; das Rascheln von vertrockneten Blättern über den Asphalt; aggressive Zwischenrufe aus den Spielotheken; ein Gemisch aus verschiedensten Musiksorten, begleitet von lauten Bässen aus der Soundanlage eines Sportwagens; Tabakdünste aus den Shishabars; schwerfälliges, unregelmäßiges Stolpern von Besoffenen und das Klacken zahlloser High-heels.
Für den ersten Absatz war mir das zu viel Information. Also da will ich in die Geschichte, den Protagonisten kennen lernen. Klar verändert sich nach dem Konsum die Wahrnehmung. Aber dass er das Rascheln von Laub vernimmt, während ihn aus allen Richtungen Musik und wummernde Bässe einlullen? Ich weiß ja nicht.
Interessant wurde es für mich ab dieser Stelle hier:
Liebe nannte Gabriel die Stunden, die er verbracht hatte, wenn er sie heimlich beobachtete, als sie manchmal bei ihm schlief;
Schließlich erwähnt der Prot, dass sein erster Joint noch nicht lange zurückliegt. Also wartete ich gespannt auf den Auslöser, der dann zum Glück auch kam. Ein innerer Konflik - oder allgemein ein Konflikt - ist mit das, was eine gute Erzählung ausmacht. Er liebt also eine Frau, die seine Liebe nicht erwidert. Deshalb muss ein neues Objekt seiner Liebe her: die Prinzessin. Du beschränkst dich auf die Gefühlswelt des Prota, aber vllt würde eine konkrete Szene besser beschreiben, warum er so an der Frau hängt. Was ist das Besondere an ihr? Da könnte ein Dialogausschnitt helfen.

wie einen improvisierten Sitz aus verschiedenem Müll errichtet,
Das Fettgedruckte kannst du dir sparen. Im darauf folgenden Satz beschreibst du ja, woraus der Sitz gebaut ist.

ihre perfekte, nach ...[Leerzeichen]Körper duftende Haut,

ihm[Leerzeichen]... Liebe nannte er die blinde Wut darauf, dass er, der Sie nun mehr als ein Jahrzehnt kannte[Komma] und dennoch daran gescheitert ist, sie gut genug zu kennen[Komma] um sie glücklich machen zu können - eine Aufgabe, die der andere nur zu gern übernommen hat und den sie dafür "Meister" betitelte und "Engel" und "Erlöser";
Den Satz hätte ich an deiner Stelle gekürzt. Den musste ich öfter lesen, und ich glaube, du hast dich da auch etwas verhaspelt. Das "und" hat mich darin am meisten gestört. So liest es sich, als müsste die richtige Begründung für seine blinde Wut noch folgen. Tut sie aber nicht. Auch die Kosenamen "Meister", "Engel", "Erlöser" bedürfen m.E. einer Erklärung. Klingt doch nach einer verhaltensgestörten Beziehung. Hat er sie aus dem Drogensumpf gezogen oder Ähnliches?
Grundsätzlich war das routiniert geschrieben, nur wird mir nicht ganz klar, warum die Sätze so häufig mit ... oder ; oder - enden.

Dieser Text könnte mehr sein, aber das will er vllt gar nicht. Egal, ich hab ihn auch so gern gelesen.

Noch viel Spaß beim Schreiben, Lesen und Kommentieren und
schöne Grüße

Hacke

 

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