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Die alte Dame
Sie hasste es, mit der U-Bahn zu fahren. Die vielen Leute, das Gedränge und der Lärm lösten schon immer ein Gefühl des Unbehagens in ihr aus. Blickkontakt vermied die alte Dame so gut es ging, weshalb sie stets eine Zeitung in ihrer Tasche mit sich trug, in welcher sie - meistens eher desinteressiert - zu lesen versuchte, sobald sie einen Sitzplatz gefunden hatte.
Kaum niedergesetzt, bereute sie es schon wieder. Als der Gestank von Fast Food in ihre Nase drang und der Gegenüber auch noch lautstark zu telefonieren begann, wäre sie am liebsten sofort ausgestiegen.
„Früher war alles besser...“, dachte sich die in die Jahre gekommene Frau, schlug die Zeitung auf und überflog die Überschriften der Chronikartikeln. "Pensionist nach Raubüberfall tot in Wohnung aufgefunden - ... und vorallem sicherer" murmelte sie leise, als sie plötzlich an ihren, durch Lungenkrebs, verstorbenen Ehemann denken musste.
"Karlsplatz - umsteigen zu den Linien U1 und U2"
Von der Durchsage aus den Gedanken gerissen, stellte sie ärgerlich fest, eine Station zu weit gefahren zu sein. Hastig aufgestanden, drückte sie sich, die Zeitung immer noch in der Hand haltend, durch mehrere Personen zur Tür, um nicht auch den nächsten Ausstieg zu verpassen. Endlich aus der U-Bahn draußen, steckte die Alte das Tagesblatt in die Tasche, wobei sie erst jetzt bemerkte, dass ihr Portemonnaie verschwunden war.
"Das war bestimmt dieser große, schwarzhaarige Mann, der sich neben mich gesetzt hatte.", sagte sie wütend. Das Geld war ihr egal, viel mehr störte sie, dass der vermeintliche Dieb jetzt ihre Personalien kannte.
Zuhause angekommen, legte sie ihre Sachen an die gewohnten, dafür vorgesehenen Plätze und machte sich gleich danach etwas zu essen. Es läutete an der Tür, als sie gerade einen Biss von ihrem Wurstbrot machen wollte. Ebenso hektisch wie genervt, eilte die alte Dame zum Wohnungseingang und sah durch den Spion, um einen Blick auf den "Störefried" zu erhaschen. Sie konnte nicht viel erkennen, da das Licht am Gang wieder einmal ausgefallen war, aber es reichte, um die Person als jenen Mann zu identifizieren, der in der U-Bahn neben ihr gesessen hatte. Sofort überkam sie ein Gefühl der Angst. "Erst hat er mir mein Geldbörsl gestohlen, jetzt will er auch noch meine Wohnung ausräumen", flüsterte sie vor sich hin. Kaum hatte sie diese Worte leise ausgesprochen, griff die verängstigte Frau zum Telefon und wählte die Nummer der Polizei. "B..bitte kommen Sie so sch..schnell es geht in die...", stotterte die Dame, als plötzlich ihre Stimme verstummte.
Kurz später trafen zwei Beamte in der Wohnung ein. Als sie die alte Dame reglos am Boden liegen sahen, verständigten sie umgehend die Rettung - doch vergebens. Sie war bereits tot.