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Die Mühle des Alten
Die Mühlen mahlten noch. Jeder wusste das. Der Alte hatte zwar verkündet, dass er alles hinschmeißen wollte, aber es hatte ihm keiner geglaubt. Der Alte hatte schon oft erzählt, dass es sich nicht mehr lohnen würde und er aufgeben würde. Aber er war ein Kämpfer, das war er schon immer. Sie alle kannten seine Geschichten aus dem Krieg, kannten seine Geschichten aus den Panzern. Das Geschrei, die Feuer. Er erzählte es mit einer Inbrunst, mit einer Innigkeit, man hängte ihm förmlich an den Lippen, auch wenn man die Geschichten schon auswendig kannte, so konnte man doch aus ihnen jedes mal etwas neues heraushören, eine Nuance die noch gefehlt hatte, ein Detail, das das Bild vollkommen veränderte. Er war hochdekoriert worden, kam unverletzt aus der Gefangenschaft wieder und kaufte die Mühle. Es hatte lange keinen Müller mehr im Ort gegeben, bis 1948. Dann war der Alte wieder da. Den Namen bekam er, weil er der älteste Mann des Dorfes war. Die jungen waren gefallen, die alten gestorben. Er war der einzige Mann, in einem Alter, das die Allgemeinheit als reif erachten wollte. Wenn man ihn heute fragte, warum er die Mühle kaufte, bekam man die immer selbe Antwort, weil sie billig war. Er brauchte etwas zum wohnen, rechtfertigte er sich dann. Er brauchte doch etwas zum Leben. Aber zum Teufel, so sprach er heute, die Scheißmühle wirft doch eh nichts mehr ab. Hätte ich sie nicht gekauft. Aber jeder wusste, die Mühle brauchte ihn und er brauchte sie. Sie waren eine Schicksalsgemeinschaft. Vielleicht lag es daran, dass die Mühlräder weitermahlten, immer zu und immer zu. So wie er mahlte, seine Worte mahlten, seine Worte kreisten über uns, kreisten in uns, wie Mühlräder. Er hatte keine Frau, es wäre ihm zu viel Arbeit gewesen, sagte er heute. Sowas wollte er nicht und ausserdem, wer wollte ihn. Er hatte seine Mahlsteine, sie knirschten und knirschten mit ihm im Takt. Bis heute wussten wir nicht, was er mahlte. Was er brauchte um zu mahlen. Es wuchs kein Korn in der Gegend, der Krieg hatte alles verdorrt, das Blut sog sich in den Boden und machte die Erde unfruchtbar. Es lag alles brach. Das bisschen, was das Steinwerk noch hergab, wurde billig verkauft. Einziger zuverlässiger Abnehmer war der Alte. Er mahlte und mahlte. Die Frauen erzählten, als er jung war, als seine Geschichten noch jung waren, als noch keiner weghörte, denn die meisten taten es zum Selbstschutz, denn wenn man sie hörte, musste man hinhören. Es wollte sie jedoch keiner hören. Geschichten vom Krieg, mit einem Ausgang, der gut war. Für den Alten, er war der Held seiner Geschichten. Vielleicht unfreiwillig und doch war er es. Er hatte keine großen Heldentaten vollbracht und doch hatte er überlebt, er hatte den Krieg besiegt, seinen eigenen. Er saß oft da, vor seiner Mühle und betrachtete das karge Land. Seine Mimik war kaum zu deuten und alle fragten sich, was er wohl dachte. Was er machte den ganzen Tag. Im Hintergrund knirschten die Mühlen, tagein tagaus. Er saß da, er schaute und an diesem Tag, an diesem einen Tag, sproßen die Gräser, das Leben gedeihte. Die Bäche floßen und alles wuchs. Das Land wurde grün und die Bauern, die vergessen hatten, dass sie Bauern waren, machten sich bereit. Der Alte fiel von seiner Bank, er röchelte. Alle eilten herbei um zu sehen, was los war. Der Alte starb, er rang nach Atem. Was hast du gemahlen, fragten sie, was hast du gemahlen. Er sagte, ihr werdet es sehen. Als er die Augen schloss, öffnete seine Hand un eine Patronenhülse lag in ihr. Glänzend und ohne einen Kratzer.