Was ist neu

Der Kobold-Schatz

Mitglied
Beitritt
26.01.2015
Beiträge
5
Zuletzt bearbeitet:

Der Kobold-Schatz

Schwarz ist mein Kaffee, weiß ist die Milch und am Ende wird trotzdem Braun draus. Sie sitzt am Küchentisch und starrt in ihren Kaffee. Langsam dreht sie den Kopf und wendet ihren Blick zur großen schwarz-weißen Bahnhofs-Uhr, die an der Küchenwand hängt. Fünf vor zwölf. In fünf Minuten muss ich los. Sie dreht sich eine Zigarette, sieht sie an. Ach, eine geht noch. Feuerzeug an, fester Sog, Rauch auspusten. Grau oder Weiß? Vor ihr auf dem Küchentisch stehen ein Glas Orangensaft und eine Tasse Grüntee, in der Hand hat sie den Kaffee, keines davon ist ausgetrunken. Orange, grün, braun. Ziehen, Rauch einatmen, langsam auspusten, einen Schluck kalter Kaffee, ziehen, Rauch einatmen, langsam wieder auspusten. Sie schaut auf die Uhr, fünf nach zwölf. Gehe ich, gehe ich nicht, gehe ich, gehe ich nicht?
Noch einmal tief durchatmen, die Hände auf den Tisch klatschen. So. Entschlossen steht sie auf, geht in den Gang, nimmt ein Paar Schuhe, schlüpft stehend in den linken hinein, stellt den bekleideten Fuß auf den Boden, betrachtet ihn, zieht in wieder aus, nimmt ein anderes Paar, gleicher Vorgang. Passt. Sie geht in die Küche, Blick auf die Uhr, viertel nach zwölf. Okay, jetzt schnell. Eilig stampft sie durch die Wohnung, sammelt Schlüssel, Handy, Geldbeutel, Stift und Papier ein, stopft alles in einen Jutesack. Schwups, hat sie die Klinke in der Hand. Im nach unten drücken, holt die mit der anderen Hand ihr Handy aus der Jackentasche, geht in den Hausgang, schaut auf die Uhr. Zehn vor halb. Mist. Ich komme viel zu spät. Schnell läuft sie die knarrenden Holzstufen hinunter. Gehen, nicht gehen, gehen, nicht gehen. Da blitzt das Bild der halb getrunkenen Getränke in ihrem Hinterkopf auf.
Sie bleibt stehen. Sehr sehr langsam dreht sie sich um, nimmt jede Stufe in Zeitlupe. Stufe, für Stufe, für Stufe. Öffnet die Haustüre, geht durch den Gang in die Küche, setzt sich wieder an den Küchentisch, dreht sich eine. Ziehen, Rauch einatmen, langsam auspusten, einen Schluck kalter Kaffee, ziehen, Rauch einatmen, langsam wieder auspusten. Mit einem mal ist sie unendlich müde. Erst mal hinlegen.

Vrrrrrrt vrrrrrrt vrrrrrt. Das Vibrieren ihres Handys reißt sie aus dem Schlummer. Verschlafen nimmt sie es in die Hand und schaut drauf. Mama. Oh nee.
„Hallo Mama.“
„Hallo Kind, wie geht’s dir?“
„Geht so, ich bin ziemlich schlapp zur Zeit. Und dir?“
„Ach ganz gut. Ja, bei deinem Pensum wundert mich das nicht. Ich habe neulich gelesen, dass Studenten völlig überladen werden mit Uni-Arbeit und weil das Leben hier auch nicht gerade billig ist, gehen sie dann nachts noch kellnern bis in die Puppen. Gut, dass du nicht in der Gastronomie arbeitest, allerdings macht mir dieser Kredit schon Sorgen. Die wollen das Geld vom Staat jetzt erhöhen, schau doch mal ob du da auch was bekommst.“
„Mama, ich hab dir doch schon hundert mal gesagt, dass ich nichts bekomme, weil Papa zu viel verdient und der bezahlt mir doch schon Unterhalt. Das mit dem Geld ist meine Sache. Einen Job hab ich doch auch.“
„Ach und mit dieser Germanistik kann man später doch sowieso nichts anfangen, wie willst du denn deine Schulden zurück bezahlen?“
„Mensch, ich mach das schon. Man kann hinterher alles mögliche arbeiten. Außerdem studiere ich Linguistik. Lass mich einfach.“
„Warst du schon beim Arzt?“
„Nee, das wird wohl eine Erkältung sein, da brauch ich nicht zum Arzt.“
„Ach ich nehme da immer dieses, wie heißt das noch. Ach fällt mir gerade nicht ein. Ich sehe nach und schreibe dir nachher eine SMS.“
„Mach das Mama. Du ich muss jetzt auch Schluss machen und wieder ins Bett gehen.“
„Ja, ruh dich aus. Treffen wir uns bald mal?“
„Du vorerst eher nicht, bald sind Prüfungen, da hab ich keine Zeit. Ich melde mich, wenn das vorbei ist.“
„Gut. Dann mal gute Besserung.“
„Danke, tschüss Mama.“
Sie wirft das Telefon von sich weg. Es hüpft einmal auf der Matratze und kracht geräuschvoll auf den Boden. Oh nein. Schnell hechtet sie nach vorne, doch schon in dem Moment, in dem sie das Handy sieht, ist klar, dass es kaputt ist. Der Bildschirm ist völlig gesplittert. Nein, nein, nein, nein nein. Verzweifelt versucht sie das Handy zu bedienen. Keine Chance. Nichts geht. In dem Moment ruft auch noch der Freund an, mit dem sie abends verabredet ist. Sie kann nicht abheben.

Den ganzen restlichen Tag sitzt sie bloß am Tisch und überlegt wie sie ihr Kommunikationsproblem lösen könnte. Keine einzige Nummer kann sie lesen, bei dem kaputten Bildschirm. Ein paar E-Mails an die wichtigsten Leute hat sie schon geschrieben, doch von den meisten hat sie die Adresse nicht. Bei sozialen Netzwerken ist sie nicht, aus Prinzip. Das hat sie heute zum ersten mal ein wenig bereut. Warum ist es mittlerweile bloß so, dass man sich nicht einfach zu den leuten gehen und klingeln kann. Ich bin einfach zur falschen Zeit geboren. Für einen Moment denkt sie daran zu lernen, verwirft es jedoch gleich wieder. Keine Lust. Ein Buch lesen ging auch nicht. Schon nach wenigen Seiten merkte sie, dass sie nichts aufnehmen kann. Ich bekomme echt nichts gebacken heute. Eigentlich bekomme ich generell nichts gebacken. Sie sitzt am Tisch, ihr Herz beginnt zu klopfen, ihre Brust wird eng. Hilflosigkeit lähmt sie, nichts kann sie als eine nach der anderen zu rauchen, und ihre Sorgen hin und her zu wälzen, bis alles ein riesiger graubrauner Teigklumpen ist. Da hält sie es nicht mehr aus, packt Schlüssel und Jacke, schlüpft in ihre bequemsten Schuhe und stürmt aus der Wohnung.
Draußen ist es auch nicht viel besser, alles ist grau und trist und kalt. Energischen Schrittes läuft sie los, ohne Richtung oder Ziel, den Blick starr auf den Boden gerichtet, die Hände in den Jackentaschen. Warum renne ich eigentlich so? Einige Blocks weiter reduziert sie den Laufschritt zu einem gemütlichen Schlendern, hebt den Blick wieder und beginnt zu sehen. Es ist schon am dämmern, ein Winterdämmern, sehr weißes Licht, das irgendwann einfach verschwindet. Grau, weiß und blau haben die Überhand an den Fassaden. Jedes Rot, Grün und Gelb bricht unnatürlich intensiv aus dem Drumherum. Sie geht immer weiter und weiter, an unzähligen Blocks, Straßen und Ampeln vorbei. Jeder Gedanke ist bloß kurz da, dann fliegt er weiter, in ein anderes Land.
Plötzlich ist es mit der Stadt vorbei, sie ist am Fluss angekommen. Als sie den kleinen Weg zwischen die Bäume schlendert lässt sie ein tiefer Seufzer los. Sie kann wieder frei atmen und ist fast ein bisschen gut gelaunt. Es ist schon Dunkel geworden und die Straßenlaternen sind angesprungen. Ein paar Familien sind noch mit Kinderwägen unterwegs, doch das stört sie nicht. Langsam und doch zielstrebig geht sie in Richtung Wasser. Sie findet eine kleine Schleuse am Ufer des Flusses, dort ist ein kleines Stück geteert und ein Geländer angebracht. Sie lehnt sich mit verschränkten Armen auf die Eisenstangen und blickt über den Fluss. Auf der linken Seite ist ein gutes Stück weiter eine große Brücke, auf der in Reih und Glied Laternen stehen. Sie haben ein gelbes, leicht rötliches Licht, das im schwarzen Wasser unglaublich stark heraus leuchtet. Es bewegt sich die ganze Zeit und hat einen Farbton zwischen golden und bronze und ist grauschwarz durchwachsen. Es sind kleine Dreiecke, tausende davon, die gemeinsam perfekte Geometrie eines Lichtkegels abbilden und doch eine unendliche Unruhe besitzen, nie stillstehen. Es glitzert und schimmert, droht fort zu schwimmen, kommt wieder nur um gleich weiter zu flüchten. Es ist echt da, die Symbiose aus Menschen gemachtem und der Natur. Das muss das Kobold-Gold sein. Sie kichert über ihren kindisch mädchenhaften Gedanken. Es ist wirklich ein Schatz. Heute habe ich Bronze und Gold gefunden. Sie bleibt noch eine Weile stehen und schaut ihrem Fund beim funkeln zu, dann geht sie langsam weiter und kann dabei nicht aufhören zu lächeln. Findet auf dem Weg auch noch Silber und Weißgold. Immer wieder bleibt sie stehen und sieht der Bewegung von Wasser und Licht zu. Einige Jogger eilen an ihr vorbei. Schaut doch mal hin, ihr Armen. Dann ist es vorbei mit dem Fluss und seinem Schatz, sie hat die Baumgrenze überschritten.

Als sie einige Zeit später zur Tür hereinkommt klingelt gerade das Telefon.
„Hallo?“
„Hallo Kind, ich bins, Mama. Ich habe dir eine SMS wegen dem Medikament geschickt, aber du hast nicht geantwortet.“
„Ja, mein Handy ist heute kaputt gegangen.“
„Mensch, was machst du denn immer, du Schussel. Wo hast du dich denn rumgetrieben? Ich versuche es gerade schon zum dritten mal.“
„Ich war spazieren und es war echt schön. Bin eben erst zur Tür reingekommen.“
„Was um die Zeit? Ich hoffe doch, du treibst dich nicht allein im Dunkel draußen herum.“
„Doch tue ich. Und jetzt geh ich allein im Dunkeln schlafen.“
Genervt legt sie einfach auf.

 

Hallo liebe Wortkrieger,

das hier ist meine erste fertige Kurzgeschichte und ich bin total aufgeregt. Ich freu mich, wenn ihr was dazu sagt und habe auch schon ein bisschen Angst. Seid sanft bitte, aber auch nicht zu sanft.

Eure Melissa

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Melissa und herzlich willkommen hier.

Vorab erst mal: Hier ist man nicht sanft. Hier ist man nicht mal semi-sanft, sondern anti-sanft. Wer seine literarische Tracht Prügel verdient, der/die bekommt sie hier auch, aber lass dich davon nicht enntmutigen. Man gewöhnt sich dran und irgendwann tuts nicht mehr so weh :thumbsup:.

Nun zum Text:

Ich hatte beim Lesen schon etwas mitgeschrieben und zwar Folgendes:

Feuerzeug an, fester Sog, Rauch auspusten. Grau oder Weiß? [...] Orange, grün, braun. Ziehen, Rauch einatmen, langsam auspusten, einen Schluck kalter Kaffee, ziehen, Rauch einatmen, langsam wieder auspusten. [...] Ziehen, Rauch einatmen, langsam auspusten, einen Schluck kalter Kaffee, ziehen, Rauch einatmen, langsam wieder auspusten.
Das ist mir persönlich viel zu viel. Ich gehe davon aus, dass du die Monotonie und die Eile der Situatnion/en darstellen wolltest, aber ich bin mir sicher, dass das besser geht. So stellst du nicht nur die Monotonie der Situation in der Geschichte dar, sondern drückst auch den Lesespaß auf ein monotones Level herunter.

Vor ihr auf dem Küchentisch stehen ein Glas Orangensaft und eine Tasse Grüntee, in der Hand hat sie den Kaffee, keines davon ist ausgetrunken.
Mit "keines" meinst du hier sicher die ganzen Getränke, oder? Wenn ja, würde ich das auch so schreiben. Klingt bezugsmäßig irgendwie falsch.

[...] zieht in wieder aus, nimmt ein anderes Paar, selber Vorgang
Gleicher Vorgang


So. Dann habe ich beschlossen, damit aufzuhören, auf vereinzelte Stellen einzugehen, sondern deine gesamte Geschichte zu kommentieren.
Ich finde, dass du zu viel beschreibst. "Show don't tell", ist hier das Zauberwort, bzw der Zaubersatz. In deinem ersten Dialog lässt du sowohl Mutter als auch Tochter erklären, wie die Tochter lebt, was sie macht und woher sie ihr Geld bekommt. Da hast du eine Unterhaltung zusammengebaut, die ausschließlich für den Leser da ist, um ihn darüber zu informieren, was eben Sache ist. Das bringt die Geschichte nicht weiter. Versuche uns anders zu zeigen, was deine Protagonistin studiert, indem du sie - was weiß ich - irgendwelche Unibücher lesen oder zu Vorlesungen gehen bzw sie sie schwänzen lässt oder so was. Damit zeigst du uns das dann und erzählst es uns nicht.
Du greifst auch zu häufig ein und erzählst uns, wie etwas ist. Draußen ist es nicht besser, Gedanken sind nur kurz, sie ist besser gelaunt. Lass uns die kurzen Gedanken sehen und lass Dinge passieren, die uns darauf schließen lassen, dass sie jetzt besser gelaunt ist etc.

Ich würde beinahe sagen, dass das deine größte Baustelle sein sollte, aber da wage ich es nicht, mich zu weit aus dem Fenster zu lehnen, weil es hier andere Mitglieder gibt, die inhaltliche und stilistische Sachen sehr viel besser beurteilen können, als ich es kann.

Du scheinst irgendwie einen Faible für Farben zu haben. Das finde ich prinzipiell gar nicht sooo schlimm, jedoch bin ich mir nicht so sicher, welche Rolle die Farben in deiner Geschichte spielen. Wenn das dein Ding ist, dann kann ich dir diese Geschichte hier nur ans Herz legen. Selten eine Geschichte gelesen, in der Farben einen besseren Nutzen haben...
http://www.wortkrieger.de/showthread.php?26737-Blau

Den Plot lasse ich erst mal komplett außen vor, weil es eigentlich keinen Plot gibt. Für mich ist es so, dass wenn es kaum Plot gibt (was nicht zwangsweise etwas schlechtes ist), dann muss mich die Sprache und der Stil überzeugen, aber davon bist du noch weit entfernt (und das schiebe ich jetzt keineswegs auf nicht-vorhandenes Talent. Das kommt mit der Zeit irgendwann. Üben usw.)

Mehr habe ich gerade wohl nicht zu sagen. Was du da geschrieben hast ist nicht perfekt, aber lass dich nicht entmutigen. Die "Fehler", auf die ich dich so lehrreich hingewiesen habe, mache ich selbst recht häufig :D. Hör dir noch an, was andere Leser zu sagen haben und überarbeite deine Geschichte dann, oder machs beim nächsten Mal besser.

Liebste Grüße, zash

PS Ich glaube, dass du schreiben kannst, ansonsten hätte ich mir nicht die Mühe hier gemacht. Flinte nicht ins Korn schmeißen und weitermachen bitte...

 
Zuletzt bearbeitet:

Danke erst einmal für die schnelle Kooommentierung zash.

Hui! Gut, daran muss ich mich eben gewöhnen. Diesen selben/gleichen Fehler mche ich andauernd, auch beim sprechen. Habs gleich verbessert und hinter die Löffel geschrieben. Ich werde mir mal ganz in Ruhe meinen Text nochmal vornehmen.

Ich muss ehrlich sagen, dass ich persönlich den Anfang von meinem Text am liebsten mag und den Spaziergang am schwächsten fand. Du hast mir ein paar Anregungen gegeben, wie ich es anders machen kann. Danke dafür.

Den Faible für Farben habe nicht ich, sondern die Protagonistin. Aber wenn das nicht rüber gekommen ist, habe ich es wohl nicht gut genug gemacht.

Die Dialoge habe ich deswegen so ausführlich gestaltet, weil es um einen Mutter-Kind, also Erwachsen werden und Kind sein Konflikt gehen soll, das ist mein Plot. Deswegen ist der Dialog wichtig. Vll sollte ich das mit Studienfach einfach weglassen, wenn das so in Vordergrund gerät deswegen, weil das ist eigentlich gar nicht so wichtig.

Naja, ich setzt mich nochmal hin und überarbeite einige Stellen. Da geht bestimmt was.

Na ja. Gut, ich werde den Text hier überarbeiten. Und dann sehen wir weiter.

 
Zuletzt bearbeitet:

Dieses Review entsteht während des Lesens. Ich schreibe meine exakten Gedanken auf. Vorsicht, die sind manchmal ziemlich bissig!

Schwarz ist mein Kaffee, weiß ist die Milch und am Ende wird trotzdem Braun draus. Sie sitzt am Küchentisch und starrt in ihren Kaffee.

Das dachte ich mir fast, als sie von Kaffee gesprochen hat. Ich würde trotzdem den Satz tauschen, damit man erst sieht was sie macht und dann liest, was sie denkt. So philosophisch der Satz auch gemeint ist, hört er sich für mich an, als würde sie mit anschließendem Durchfall rechnen.

Grau oder Weiß? Vor ihr auf dem Küchentisch stehen ein Glas Orangensaft und eine Tasse Grüntee, in der Hand hat sie den Kaffee, keines davon ist ausgetrunken.

IIIIIIIIIH. Räumt die auch mal auf? Ist da Pelz auf den Getränken oder warum werden wir mit diesen zwei Farben konfrontiert?
Andernfalls: schlechtes Pacing. Das führt in die Irre.

Orange, grün, braun. Ziehen, Rauch einatmen, langsam auspusten, einen Schluck kalter Kaffee, ziehen, Rauch einatmen, langsam wieder auspusten.

Das solltest du noch an die zweihundert mal wiederholen. Ich glaube, ich habe noch nicht verstanden, was sie gerade macht.

Noch einmal tief durchatmen, die Hände auf den Tisch klatschen. So. Entschlossen steht sie auf, geht in den Gang, nimmt ein Paar Schuhe, schlüpft stehend in den linken hinein, stellt den bekleideten Fuß auf den Boden, betrachtet ihn, zieht in wieder aus, nimmt ein anderes Paar, gleicher Vorgang.

So schön dieser Vorgang auch beschrieben ist: Er ist langweilig. Als Leser frage ich mich, wohin die gute Frau will und möchte nichts über ihr Schuhanziehverhalten wissen.

Stell dir vor, du schaust Herr der Ringe im Kino an. Die Hobbits nähern sich Mt. Doom, du kannst die Asche förmlich schmecken und Frodo spricht zu Sam:
»Sam! Lass uns diesen Ring vernichten! ABER ZUERST: Muss ich mir die Fussnägel schneiden. DANACH! Muss hier mal einer kehren, dass sieht ja aus. UND ZUM ABSCHLUSS! Wir haben ganz vergessen, Gollums Geburtstag zu feiern. Sieh dir den armen Kerl doch mal an.«
»Gollum! Gollum! Alle Hobbits umbringen!«
»Wir sollten ihm was schenken.«

Du verzögerst deine Handlung durch absolute Banalitäten. Wie ich oben bereits schrieb: Schlechtes Pacing.

Sie geht in die Küche, Blick auf die Uhr, viertel nach zwölf.

Was zum Geier? Waren das irgendwie hochtechnologische Schuhe oder warum hat sie geschlagene zehn Minuten gebraucht, um die Dinger anzuziehen?

Schwups, hat sie die Klinke in der Hand.

1. Kann man hier sicherlich nicht von Schwups reden, eher von "Endlich"
2. Hört sich das eher an, als wäre zu allem Überfluss auch noch die Tür kaputt gegangen.

Im nach unten drücken, holt die mit der anderen Hand ihr Handy aus der Jackentasche, geht in den Hausgang, schaut auf die Uhr. Zehn vor halb. Mist. Ich komme viel zu spät.

Wohin denn überhaupt? Vielleicht wäre sie pünktlicher, wenn sie aufhören würde, jedes kleine Detail ihres Lebens pingelig genau zu beobachten!

Gehen, nicht gehen, gehen, nicht gehen. Da blitzt das Bild der halb getrunkenen Getränke in ihrem Hinterkopf auf.

Haha. Ja, ich weiß, worauf du hinaus willst. Aber diese Szene hat eine unfreiwillige Komik für mich.
»Saaaaally«, rief die Kaffeetasse. »Geeeeh nicht wohinauchimmer. Dort wartet nur das Verdeeeeerben.«

„Geht so, ich bin ziemlich schlapp zur Zeit. Und dir?“

Als Leser habe ich nicht die geringste Ahnung, warum das so ist. Wir werden mit einer Frau konfrontiert, die den ganzen Tag wie eine wilde durch ihre Bude rennt, auf die Uhr schaut, Kaffee säuft und mit dem Anziehen ihrer Schuhe überfordert ist. Ernsthaft? Zehn Minuten?

Langer Dialog zwischen Mutter und Tochter

Infoooooduuuuuuump.
Die Hälfte davon hättest du bereits vorher geschickt im Text einflechten können, dann würden wir jetzt nicht vor Miss Exposition sitzen.

Sie wirft das Telefon von sich weg. Es hüpft einmal auf der Matratze und kracht geräuschvoll auf den Boden. Oh nein. Schnell hechtet sie nach vorne, doch schon in dem Moment, in dem sie das Handy sieht, ist klar, dass es kaputt ist

Als bekennender Smartphonefeind bleibt mir hier nichts weiter übrig, als "HA!" zu rufen. :)

Den ganzen restlichen Tag sitzt sie bloß am Tisch und überlegt wie sie ihr Kommunikationsproblem lösen könnte.

Sie hat doch angeblich soviel zu tun. Warum sitzt sie jetzt nur am Tisch herum und denkt über ein kaputtes Telefon nach?

Keine einzige Nummer kann sie lesen, bei dem kaputten Bildschirm. Ein paar E-Mails an die wichtigsten Leute hat sie schon geschrieben, doch von den meisten hat sie die Adresse nicht. Bei sozialen Netzwerken ist sie nicht, aus Prinzip.

Rebellisch, rebellisch. Trotzdem dreht sie fast durch, weil das Telefon kaputt ist, also hat sie sicher Whats App installiert. Bigott!

Warum ist es mittlerweile bloß so, dass man sich nicht einfach wo hingehen und klingeln kann.

Der Satz ist schlecht formuliert. Vermutlich hast du ihn vorher anders geschrieben und vergessen, ein Wort zu löschen.
Und der Satz selbst: Man kann das immernoch machen. Die Leute sind nur zu faul dafür. Klingeln und andere Menschen existieren immernoch. Ist voll verrückt.

Ich bin einfach zur falschen Zeit geboren.

Das arme, bedauernswerte Ding. Hätte sie lieber in der viktorianischen Zeitebene gelebt, wo sie noch länger zum anziehen ihrer Klamotten gebraucht hätte?

Da hält sie es nicht mehr aus, packt Schlüssel und Jacke, schlüpft in ihre bequemsten Schuhe und stürmt aus der Wohnung.

Na, wer sagts denn? SO war es richtig. Alle nötigen Informationen in einem kurzen Satz. Allgemein gefällt mir der zweite Absatz bisher wesentlich besser.

Energischen Schrittes läuft sie los, ohne Richtung oder Ziel, den Blick starr auf den Boden gerichtet, die Hände in den Jackentaschen.

Wenn sie, wie du mehr als eindeutig implizierst, an Depressionen leidet, glaube ich kaum, dass sie während einer depressiven Phase durch die Gegend rennen würde.

Jeder Gedanke ist bloß kurz da, dann fliegt er weiter, in ein anderes Land.

Jetzt habe ich einen Spezialflug für Gedanken im Kopf, die alle in Griechenland zwischenlanden müssen und sich an der Rezeption darüber beschweren. :|

Es ist echt da, die Sybiose

Tippfehler!

Das muss das Kobold-Gold sein. Sie kichert über ihren kindisch mädchenhaften Gedanken.

Das find ich richtig niedlich.

Schaut doch mal hinKOMMA ihr Armen.

***

Komplettfazit:

Was als ein langweiliges Desaster begann, wurde von Absatz zu Absatz stärker. Nach Mamas Infodump ging es steil bergauf, der letzte Absatz hat mir sogar richtig gut gefallen.

Du solltest gerade den oberen Absatz noch einmal komplett überarbeiten, denn der ist stinklangweilig und nichts von Interesse passiert, ausser das eine mehr als aufmerksame Frau jeden Fliegenfurz beobachtet.

Dem Leser sollte schnell klar werden, dass das Mädchen an Depressionen leidet und nicht mit der momentanen Situation klar kommt; das solltest du im ersten Absatz einarbeiten und den ganzen, übertriebenen Kram über Kaffee und ihre Schuhe weitestgehend streichen, denn auf mich hat sie eher faul als deprimiert gewirkt.

Ich würde sogar in Betracht ziehen, das abschließende Gespräch mit der Mutter komplett zu streichen und wegzulassen, denn dann endet die Geschichte auf einem kleinen Zwischenhoch. Die Information, dass sie Medikamente nimmt, brauchen wir nicht. In dem ganzen Dialog kommt sie übrigens rüber wie ein verwöhntes Reiche-Eltern-Balg und das macht sie mir nicht gerade sympatisch.

Abschließend:
Wenn du den Rest der Geschichte auf die Qualität des letzten Absatz bringst, wird das Ding gut. So sehe ich, dass viele Leser mittendrin aufhören, weil sie nicht wissen um was es geht oder weil sie diese übertriebenen Beschreibungen langweilen.

Wie zash bereits sagte:
"Show, don't tell"

 
Zuletzt bearbeitet:

Ui, das war sehr sehr ausführlich NWzed. Vielen Dank.

Danke, dass du mir auch den Tippfehler vermerkt hast.

Nur in einem Punkt möchte dir wiedersprechen: Für Depression gibts kein absolut allgemeingültiges Rezept. Sondern sie ist doch auch individuell.
Und danke für das Lob, das ist doch ermutigend :)

Das mit dem Durchfall ist übrigens klasse, hab gut gelacht^^.

 

Letzte Empfehlungen

Neue Texte

Zurück
Anfang Bottom