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Faszination: Krawattenträger

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28.01.2015
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Faszination: Krawattenträger

Faszination: Krawattenträger

Der kleine Barhocker ist unbequem, außerdem wackelt er. Aufzustehen, um ein Stück Papier darunter zu schieben, traue ich mich nicht – es könnte zu viel Aufmerksamkeit auf mich ziehen. Also beobachte ich, ohne mich zu bewegen: Menschenmassen in dunklen Anzügen laufen geschäftig von A nach B und dann rüber zu C, immer mit einem Smartphone in der Hand oder am Ohr. Die richtig Coolen haben, mit Hilfe eines Bluetooth Ohrstöpsels, das Handy in der Hand und können so reden und tippen gleichzeitig.
Zwei Mal im Jahr bin ich hier, die Firma muss repräsentiert werden – Zeit um neue Kontakte zu knüpfen. Das bedeutet, alle sechs Monate werden die Vertreter der deutschen Energiebranche in eine große Halle gesperrt. Dann bekommt jeder seine passende Unterkunft für die nächsten drei Tage. Jede Zelle ist ca. 20qm groß und auf zwei, der vier Seiten, mit Pappwänden geschlossen. Wenn alle an ihrem Platz sind, werden die paar Quadratmeter mit Werbegeschenken und Anschauungsmaterial zugemüllt. In die Mitte wird der verängstigte Vertreter auf einen Stuhl gesetzt, der sich nun anglotzen lassen darf, wie in eine Freakshow im 19ten Jahrhundert. Heute, am zweiten Tag, sind die meisten von uns schon gebrochen. Sie sitzen verängstigt herum und beobachten die Menschen mit den bunten Krawatten. Die meisten Arrestanten beobachten das Geschehen aus einem selbstgebauten Fort aus Werbematerial.
Am Stand nebenan ist es soweit - Showtime: Ein dicklicher Krawattenträger hat sich auf den quietschenden Parkettboden getraut. Der Vertreter von hochmodernen Gasmessgeräten versteckt sich tief in seinen Unterschlupf. Ich sehe nur noch eine Ecke seines dunkelblauen Anzugs. Der dickliche Mann mit der hellblauen Krawatte und dem grauen Anzug putzt sich die Nase. Er wird schon leicht rot im Gesicht, vielleicht merkt er noch, was er angerichtet hat. Der Kragen des Hemdes klemmt den Hals ein und sein Kopf sieht aus wie ein riesiger rosa Ballon auf einem grauen Körper. Er betrachtet den kleinen Stand genauer, seine Glatze spiegelt mittlerweile das Neonlicht. Man vernimmt ein leises Rascheln aus dem Werbematerial-Fort. Der Vertreter gewinnt an Selbstvertrauen und lugt vorsichtig aus seinem Versteck.
Die rosa Glatze hat ihn bemerkt, sein Kopf verfärbt sich zu einem tiefen Pink. Er tupft sich mit einem Einstecktuch die Platte trocken. Jetzt müssen sie sich einigen was zu tun ist: Angreifen oder abwarten und ziehen lassen. Übersetzt: Entweder überrumpeln und mit Fragen bombardieren oder in einen Anstarr-Contest (inklusive peinlicher Stille) verwickeln.
Ich starre wie gebannt auf die beiden Kontrahenten. Die Spannung ist kaum auszuhalten. Ich rutsche auf meinem winzigen Hocker hin und her. Der Stuhl wackelt lautstark. Die Schnipsel, die mal mein Wasserflaschenetikett waren, fallen nach unten, wie das fallende Tuch zu Beginn eines Autorennen. Auf dieses Kommando hin schleichen die Kontrahenten los, beide halten ihren Kopf nach unten. Sie wollen um jeden Preis Blickkontakt vermeiden. Der Vertreter stellt sich zum ersten Mal in eine aufrechte Position – also soweit aufrecht, wie es seine gebückte Grund-Körperhaltung zulässt. Er hat noch Reste des Mittagsessens im Gesicht. Er scheint nicht gut vorbereitet auf diese Situation zu sein. Die dreckige Schnute geht rechts herum los, zum kleinen Bartisch und schüttet sich etwas Wasser ein. Er zittert so sehr, dass ein paar Tropfen auf dem Tisch landen. Die makellose Illusion ist zerstört. Im Affekt wischt er mit seinem Jackettärmel darüber. Nun muss er den Ärmel verstecken, in dem er seine Arme hinter dem Rücken kreuzt. Selbst von meinen Platz aus, mit sicherem Abstand, sehe ich ein paar Schweißtropen in seine Bartstoppeln laufen. Die pinke Glatze kämpft sich derweil weiter durch das Dickicht von Werbekatalogen und Anschauungsmaterial. Zu seiner rechten Seite stehen mehrere Werbebanner, welche die wunderbaren Eigenschaften von Gas anpreisen und wie schnell eine Reinheitsbewertung möglich ist, zu seiner linken stehen Kartons mit Prospekten, Broschüren und Zeitungen. Diese Berge von bedrucktem Papier muss er erst überwinden, bevor er sich zum Tisch vorarbeiten kann. Er pirscht sich langsam näher an den Tisch heran, aber er muss immer noch einige Hindernisse überwinden.
OH NEIN! Jetzt liegt die pinke Glatze am Boden, ein Messeaufsteller hat ihn zu Fall gebracht. Jetzt bleibt ihm nichts anderes übrig, als hochzuschauen. Anscheinend ist er vor dem Metallfuß des Aufstellers gelaufen. Da kriegt man ja Phantomschmerzen! Er murmelt irgendwas, ich gehe davon aus, dass es Schimpfwörter sind. DA! Er guckt hoch, er hat Kontakt aufgenommen. Von diesem Moment an ist ein Gespräch unausweichlich, sie müssen mindestens einen kurzen Smalltalk halten.
Durch den Krach mit dem Aufsteller versammeln sich einige Besucher um den Stand und schauen bei diesem faszinierenden Schauspiel zu – wie eine Fütterung im Zoo. Dabei haben beide Protagonisten ihre neu gewonnene Berühmtheit noch nicht bemerkt.
Die pinke Glatze schwitzt unaufhörlich weiter, es lassen sich deutliche Schweißränder erkennen. Die Knopfleiste seines Hemdes erkennt man nicht mehr als weiß, mittlerweile scheint sich eher seiner Hautfarbe anzunähern. Der Sturz hindert ihn nicht am weitermachen. Er rappelt sich wieder auf und setzt sich in Bewegung. Er humpelt ein wenig, ansonsten scheint er keine weiteren Verletzungen davon getragen zu haben. Die pinke Glatze ist nun ganz fixiert auf sein Opfer. Er hält seinen Kopf höher und die Schultern sind weiter zurück. Die dreckige Schnute ist verloren, sie ist die Maus und pinke Glatze ist die Schlange. Betäubt vor Angst steht er angewurzelt da und gräbt seine Finger in die Holzmaserung des Tisches. Er verfolgt den näher kommenden Räuber genaustens. Seine Knöchel werden immer weißer, aber er bleibt stark.
Die übrigen Türme von Prospekten und Broschüre, sowie einen Pappaufsteller, umschweift er graziös. In kürzester Zeit ist die pinke Glatze am Tisch angelangt. Prompt fängt auch er an den Tisch zu betasten. Langsam wandern seine Hände von der Tischkante zum akkurat angerichteten Wasser in der Mitte. Er gießt sich, noch etwas zitternd, ein bisschen Wasser ein und befeuchtet seine Kehle. Er ist nun der König am Wasserloch. Triumphierend hebt er den Kopf und beginnt sofort mit dem Smalltalk.
Leider verstehe ich nicht viel, außer Allgemeinplätze wie: „Oh, das ist aber höchst interessant“ und „Dann wird Sie dieses Produkt auch interessieren.“ Dazwischen ist immer wieder ein Gemurmel. „HAHAHA ach, das kenn' ich aus meiner alten Firma, aber 2003 hab ich mich Selbständig gemacht.“ Danach nichts mehr – peinliche Stille. Sie starren sich an, beide Lächeln betreten. Da ist der Anstarr-Contest.
Da passiert es! Die nicht mehr ganz so pinke Glatze hat geblinzelt. Die Fütterung ist beendet. Er sucht flink etwas in seiner Jackett Innentasche. Sie ist nass von innen, das graue Futter ist ganz schwarz. Er holt ein ledernes Etui heraus und zückt SIE – Seine Visitenkarte! Die dreckige Schnute hat es geschafft, er hat ihn niedergerungen und hat nun den Gral!
Sie verabschieden sich mit dem wahrscheinlich feuchtesten Händedruck auf dem Erdenrund. Sie lächeln verlegen, wie zwei Verliebte nach einem Date. Die rosa Glatze dreht sich beim gehen sogar noch mal um, er schaut der dreckigen Schnute direkt in die Augen. Danach wirft er lässig sein Jackett über die Schulter und verschwindet.
Die dreckige Schnute reißt sich augenblicklich sein durchnässtes Jackett vom Leib und beginnt auf der Stelle an zu tanzen. Er dreht sogar eine Siegerrunde um seine eine Achse. Was für ein Erfolg. Ich applaudiere leise und lächele in mich hinein.
Die anderen Vertreter wittern die Visitenkarte. Sie nähern sich aus allen Himmelsrichtungen der benachbarten Zelle an. von allen Seiten. Bevor seine Beute vor den anderen Raubtieren verteidigen muss, bleiben ihm nur noch einige Augenblicke in denen er sich freuen kann.

 

Hallo juella,

und Willkommen bei uns.

Jetzt musstest Du ganz schön warten auf einen ersten Kommentar. Kleiner Tipp: Schmeiß Dich unter die Leute und kommentiere mit, dann bemerkt man Dich auch ;).

Zu deinem Text. Ich weiß nicht so recht. Ich versteh ihn nicht. Die Geschichte spielt auf der Messe und die Messevertreter haben davor Angst, auf einen "Kunden" zu treffen. Am Ende geht es um eine Visitenkarte, die scheinbar das höchste ist, was man den Budenstehern aus dem Kreuz leihern kann. Jetzt ist das ganze ja auch mit Seltsam getagt, also, vielleicht wolltest Du das Messeverhalten ja umdrehen und nicht die Kunden sind die Opfer der Werbemaschinerie, sondern die Aussteller. Ich versteh das aber nicht. Und wenn nicht mal das in deiner Absicht lag, verstehe ich gar nichts. Insofern kann ich gar nicht viel Konstruktives sagen, weil ich ja nicht weiß, wohin Du mit der Geschichte willst und kann Dir von deshalb auch nicht sagen, was ihr im Wege steht, bei der Übertragung an den Leser oder welche Elemente Du vielleicht verstärken könntest.

Ich konnte die beiden Männer kaum unterscheiden. Glatze und Mittagsreste, aber vor allem schwitzen sie beide, und von daher ... sie sind sich auch so gleich in ihrer Nervosität, ihrem Schweiß, ihrer Nichtsympathie, ihrer Angst. Das ist ja kein Kampf von ungleichen Größen, das ist mehr so ... es geschieht irgendwie mit ihnen. Da hat keiner ein Ziel (oder haben sie?), eine Absicht, da ist keine "Kampf"situation, die Du aber beschreibst. Das wirkt komisch/bizarr in dieser Konstellation. Du beschreibst einen Kampf, aber da kämpft ja keiner. Da schwitzen nur Zwei und ängstigen sich. Das ist nicht die Schlange und die Maus, das sind zwei Mäuse die sich beschnuppern und dadurch will auch nicht recht Spannung aufkommen.

Ich bin sehr gespannt auf Deine Antwort.
Beste Grüße, Fliege

 

Moinsen juella,

da kann ich mitreden.
Ebenfalls 1x im Jahr stehe ich (stehen, nix Barhocker, verboten!) in Frankfurt auf Messe. Das ist eine anstrengende Zeit, es ist ja nicht getan mit den 9h am Stand, sondern es folgen 2h durch Stau zum Hotel und weitere 4h mit Kunden zum Essen. Bedeutet sechs Tage in Folge von 7-24 Uhr fieser Stress, und immer klug schwätzen …
Nun ist das Erleben der Situation das eine, darüber eine Geschichte zu schreiben das andere. Denn einfach nur mit der Situation zu hadern ist für eine Geschichte zu wenig. Kein Mensch will das lesen.
„alle sechs Monate werden die Vertreter der deutschen Energiebranche in eine große Halle gesperrt.“ – Das entspricht zunächst mal nicht der Tatsache, denn zumindest die Chefs sind ganz gerne da. Außerdem ist diese Aussage viel zu weinerlich.
„In die Mitte wird der verängstigte Vertreter auf einen Stuhl gesetzt, der sich nun anglotzen lassen darf, wie in eine Freakshow im 19ten Jahrhundert.“ – Habe ich so nie erlebt. Die Besucher rauschen ja mit einem vollen Zeitplan im Gepäck an den Ständen vorbei – es ist im Gegenteil eine Aufgabe der Vertreter, hin und wieder mal einen der Gäste in den Stand zu locken. Es sei denn, man gehört zu den ganz Großen der Branche – doch glaub mir, die stellen keine verängstigten Vertreter ein.
„Heute, am zweiten Tag, sind die meisten von uns schon gebrochen.“ - Das halte ich für sehr, sehr übertrieben. Wer nach Tag zwei K.O. ist, sollte dringend den Job wechseln.
„Entweder überrumpeln und mit Fragen bombardieren oder in einen Anstarr-Contest (inklusive peinlicher Stille) verwickeln.“ Ich widerhole mich: So erlebe ich keine Messe. Du bist ja als Vertreter froh, wenn mal einer kommt, weil dann die Zeit besser vergeht, Du jemanden kennenlernst, ist doch fast immer schön, Du bei deinem Chef Punkte sammelst (falls du das als jüngerer Mitarbeiter nötig hast).
„Die Spannung ist kaum auszuhalten“ – das trifft aber nicht auf die Spannung in Deiner Geschichte zu … Die jetzt immer so weitergeht, mit dicken verschwitzten Klischeetypen, ohne das die Geschichte vorankommt …

Und was soll der Titel? Woher kommt bei wem die „Faszination“? Was willst du uns mit Deiner Geschichte sagen? Geht es gegen Krawattenträger? Warum?
Die wenigsten mögen ihren Tag in Anzug und dichtgeschlossener Krawatte in schlecht gelüfteten Räumen zubringen. Die Azubis in Banken tun mir da besonders leid. Aber was solls? Wer kann schon von so angenehmen Dingen wie Bücherschreiben, Lieder singen und Riesenboviste grillen leben? Die meisten von uns müssen für ihre Brötchen Kurbelwellen reparieren, Toiletten putzen oder sich auf Messen zum Arsch machen. Nützt ja nix.

Also mir ist Deine Story zu verheult,

Ciao sagt nastro.

 

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