Mitglied
- Beitritt
- 02.01.2015
- Beiträge
- 101
- Zuletzt bearbeitet:
- Kommentare: 9
Hexenkröte
Noel wartet. Wartet auf die kleine Hexe. Wartet schon seit Tagen. Heut zum dritten Mal. Wo ist sie geblieben? Wo hat sie sich versteckt? Ward sie schon gesehen?
Ein roter Schopf, der die Blätter teilt. Ein Kichern, das das Herz kitzelt. Augen blau wie Kornblumen. Das Hexchen, das seinen Namen nicht verriet. Vor drei Tagen.
„Morgen“, hatte es gesagt. „Morgen.“
Doch: nur das Murmeln des Baches und Kiesel, die ins Wasser platschen.
Noel wirft die Steine. Noel zupft die Gräser, rupft das Moos. Wirft. Schaut ins Grüne. Sie kommt nicht. Kommt nicht. Und hat´s doch versprochen. Hat´s versprochen und gebrochen.
Noel lehnt am Baumstamm. Plastikei aus der Hosentasche. Kaugummiautomat. Eine Mark. An das Hexchen hatte er gedacht. Vor drei Tagen, als er vom Wald ins Dorf zurückkehrte.
Hat gewartet. Einen ganzen Nachmittag. Einen zweiten Nachmittag. Und heut´.
Noel schüttelt das Ei und hält sich´s ans Ohr.
„Ist bestimmt ´n Alien drin“, murmelt er. Dafür würd´ er auf dem Pausenhof zwei Mark bekommen. Will´s nicht öffnen, vielleicht kommt es noch. Will´s zertreten, wenn es nicht kommt.
Und während er dasitzt und nachdenkt und wartet, da spürt er an seinen Fingern, mit denen er sich abstützt, die auf rauen Blättern und spitzen Zweigen und einem Fleckchen Erde ruhen, eine Attacke. Glibbrige, schwabbelnde Kälte.
Er reißt die Hand zurück.
„Argh!“
Und das Wesen, das sich an der Hand verging, ist eine fette Kröte, die behäbig davon kriechen will.
„Warte, Kröte!“, grinst Noel und langt nach dem Hinterbein des Tieres.
Nun zappelt sein pickliger Leib in der Höh´. Die Lider geöffnet, die Glieder gestreckt.
Aug´ in Aug´ mit der Kröt´.
Die sieht dem Noel ins Gesicht und dadurch hindurch.
Es sieht böse aus, das in seinem Kopf.
„Ich bin unschuldig! Unschuldig!“, die Frau kreischt und schluchzt. Ihr grobes Kleid aus Leinen ist voller Blut und Schweiß. Sie hat die peinliche Befragung erstaunlich gut überstanden.
Hat nichts verraten, nichts gestanden.
Hat nur gewimmert, als die Daumenschrauben fester wurden. Hat nur geschrien, als die Nägel brachen.
Hat´s erstaunlich gut verkraftet. Nichts verraten. Nichts gestanden.
Die Feder des Schreibers kritzelt über das Pergament. Noch zwei, drei Notizen, dann sieht er die hohen Herren erwartungsvoll an.
„Bringt das Weib fort“, weist der Dominikaner die Schergen an. Dabei macht er eine abwehrende Handbewegung und tupft mit einem feinen Tuch seine Oberlippe.
Die Frau kann kaum noch stehen. An den Oberarmen gepackt schleifen die beiden Männer den dürren Leib mit sich fort.
„Werte Herren“, spricht der Dominikaner. „Die Fakten sind offenkundig, auch wenn diese Metze sich weigert, zu gestehen.“
Einer der Schöffen erbittet sich die Erlaubnis, das Fenster des Turmzimmers zu öffnen.
Es wird gestattet.
Kühle Luft strömte in den überhitzten Raum.
„Mit Verlaub“, hebt eben dieser Schöffe an. „Während der Befragung erkannte ich keinerlei Indizien für eine Schuldzuweisung.“
„Wir haben das Wort der Köhlerin.“
„Ihr sagt es, einer Köhlerin. Was taugt ihr Wort?“
Röte überzieht die Wangen des Dominikaners.
Der Schöffe legt nach: „Dies ist immerhin die Tochter des Wirtes! Sie hat sich nichts mit Hexerei zu schaffen, dessen bin ich gewiss.“
„Hat sie euch behext, die kleine Kröte?“, brummte der Dominikaner und sieht dem Schöffen direkt in die Augen. Seine Wimpern zucken. Der Schöffe hält dem Blick nicht stand.
„Es gibt nur einen Weg, ihre Seele zu retten. Ihr wisst es. Ihr Leib ist vergänglich, ist verdammt. Nur das Feuer kann …“
Der Ratsherr unterbricht ihn. „Eine Probe. Vielleicht ist eine Probe hier angemessen.“
„Oder eine erneute Befragung. Vielleicht würde sie gestehen, in Anbetracht dessen, was vor ihr läge.“ Dies sind die Worte des Novizen, eines jungen Mannes mit leuchtenden Wangen, der seinem Vorgesetzten stets beipflichtet.
„Nur das Feuer kann sie retten …“, murmelte der Dominikaner. „Es wäre ihrer Seele rechtens, wenn sie vorher gestünde.“
„Und doch halte ich es für das Beste, auch in Gottes Namen, im Namen der Liebe Jesu Christi, sie gehen zu lassen“, stammelt der Schöffe Richtung Boden.
„Ich werde nun eine Entscheidung fällen“, spricht der Dominikaner und erhebt sich. „Schreiber! Fasst die Punkte zusammen!“
Stotternd und zitternd, fast hätte er das Tintenfässchen umgestoßen, beginnt der Schreiber vorzulesen. Er ist neu in diesem Gewerbe. An so viel Schmerz noch nicht gewöhnt. Die Bilder der Folter stehen ihm noch vor Augen.
„Zur Di… Disposition steht folgender Fall: Der Tochter des Wirtes wird vo… vorgeworfen, Hexerei in dreierlei Fällen angewendet zu haben …“
Während der Schreiber liest, betrachtet der Schöffe das kleine Turmfenster und lässt seine Gedanken schweben, hinaus aus dem Raum, über das Dorf am Fuße der Burg, hin zum Wirtshaus.
Dort findet eine große Sause statt. Volk kommt und geht nicht, will sich über den Verbleib der Tochter erkundigen. Auch ist der Wirt gezwungen, das Bier günstiger herzugeben, weiß er doch, was ein weiterer Vorwurf ausmachen könnte.
Da scheppern die Krüge und tönt es zwischen Tischen und Bänken.
„Verhext hat sie die Kuh der Köhlerin, dass diese keine Milch mehr gibt!“, „Geseh´n hab ich sie des Nachts, den Succubus!“, „Ach wünscht´ ich, das Weib hätt´ mir auch ´nen Zauber angetan.“
Und hier und da: „Ich kann´s nicht glauben, die Köhlerin muss lügen“, gar: „Hexerei, das gibt es nicht!“, „Der Dominikaner mit seinem feinen Wams und feisten Gesicht, der Teufel soll ihn holen.“
„Wen hast du denn da gefunden?“
Die Kröte baumelt in der Luft. Noel dreht sein Gesicht in die Richtung, aus der die Worte kamen. Dreht sich langsam, ganz langsam zurück, während Gewissheit sein Herz umhüllt.
Das Hexchen! Da ist es!
Es lehnt am Baumstamm, die Arme verschränkt. Trägt Gummistiefel und einen Rock. Das Haar, feuerrot, steht zu allen Seiten ab.
Noel legt die Kröte behutsam in seine Handfläche. „Die ist gerade zu mir gelaufen. Willste mal gucken?“
Das Hexchen kommt nah ran und beugt sich zu ihm rüber.
„Süß!“, sagt es.
„Findest du?“, fragt Noel.
„Ja“, sagt es und streicht sich sein Haar aus dem Gesicht. Und da, am Wangenknochen, da ist dickes Make-Up und darunter, da schimmert es blau und gelb und grün.
„Was hast´n da gemacht?“, will Noel wissen und sich im nächsten Moment auf die Zunge beißen.
„Nix“, sagt das Hexchen und streichelt die Kröte.
„Ist Laichzeit“, sagt das Hexchen. „Die Kröten wollen in ihren Teich, Kinder kriegen.“
„Echt?“, fragt Noel.
„Ja. Wir sollten die Kröte rüber tragen, über die Straße da oben, weißte, das kann gefährlich für die sein.“
„Okay“, sagt Noel und würde am liebsten alle Kröten der Welt über die Straße tragen, denn das Hexchen hat gelächelt.
Gesagt getan.
Und als die Kröte mit einem Platsch im Tümpel hinter der Straße verschwindet, da gibt Noel dem Hexchen das Ei. Erst druckst er natürlich ein wenig rum, aber dann gibt er es ihr, ganz schnell.
Es staunt und freut sich sehr.
„Cool“, sagt es, „ein Alien!“
Dann kneift es den Noel in den Arm. „Ich heiße übrigens Mia. Fang´ mich, wenn du kannst!“