Was ist neu

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26.02.2015
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„Lass mich in Ruhe!“

„Geh‘ einfach weg!“

„Hast du nicht gehört? Geh weg!“

Ich rannte so schnell ich konnte. Um mich herum brach eine bedrückende Dunkelheit herein. Sie schien mich zu verfolgen. Ich rannte schneller. Wovor ich weglief? Ich wusste es in diesem Moment nicht. Was ich jedoch wusste, war, dass ich schnellstmöglich nach Hause wollte. An normalen Tagen war die Sonnenallee eine freundlich wirkende Straße, die mich immer schön zu meiner Wohnung führte. Davon fühlte ich an diesem Abend nichts. Die großen, am Straßenrand stehenden Bäume schienen mich auszulachen. Als ob Sie wussten, wovor ich wegrannte und mich dafür verurteilten. Die Dunkelheit verschluckte die Straßenzüge hinter mir. Ich musste schneller laufen. Als ich endlich vor meiner Haustür angekommen war, suchte ich hastig in meiner Hosentasche nach dem Türschlüssel. Es war eine seltsame Gefühlsmischung aus Verzweiflung und Angst, die mich unaufhaltsam dazu trieb, mich einfach so schnell wie möglich in meiner Wohnung verkriechen zu wollen. Selbst als ich die Haustür endlich aufgeschlossen hatte und mich im Hausflur befand, fühlte ich mich immer noch nicht sicher. So schnell wie noch nie zuvor rannte ich die Wendeltreppe hoch in den 2. Stock. Meine Wohnung war die höchste des Hauses und die einzige auf meiner Etage. Als ich den Schlüssel ins Türschloss steckte, stellte sich endlich zum ersten Mal an diesem Abend ein kurzes Gefühl der Erleichterung ein. Die Tür knallte ich hinter mir so laut ins Schloss, dass es alle Nachbarn aus dem Schlaf gerissen haben muss. In dem Moment war mir dies aber egal- Hauptsache ich war endlich zuhause.

Aber was genau war denn nun eigentlich passiert? Vor wem oder was war ich weggerannt? Beim Stellen dieser Fragen merkte ich, wie mein Kopf zu pochen begann. Die Erinnerungen schienen zu schmerzen. Ich lehnte mich mit dem Rücken gegen die Innenseite meiner Wohnungstür und sank dabei langsam auf den Boden. Ein Streit! Ja, es gab da einen fürchterlichen Streit. Die Erinnerung kam langsam wieder. Ich hatte mich mit meiner Freundin gestritten. Es war aber keines von diesen gewöhnlichen Streitgesprächen nach denen man nochmal in sich geht, sich entschuldigt und danach alles wieder gut ist. Dieses Mal war es extremer. Sonst war Vanessa immer relativ ruhig in solchen Gesprächen. Aber nicht an diesem Abend. Warum kann ich mich aber an nichts weiter erinnern? Weshalb hatten wir diesen Streit und wie ist er ausgegangen? Je mehr ich versuchte, mich an das Gespräch mit Vanessa zu erinnern, umso mehr begann mein Kopf zu schmerzen. Es fühlte sich wie ein Filmriss in meinem Gedächtnis an. Aber diese Art von Filmriss hatte ich bis jetzt erst wenige Male, nachdem ich viel zu viel Alkohol getrunken hatte. Ich konnte mich jedoch nicht daran erinnern, an diesem Abend etwas getrunken zu haben. Als ich an meinen Hemd roch, nahm ich jedoch einen starken Alkoholgeruch war. Das Hemd war nass, anscheinend jedoch nicht nur von meinem Schweiß. Ich fühlte mich jedoch überhaupt nicht betrunken. Da ich den Abend selber anscheinend nicht mehr rekonstruieren konnte, blieb mir nichts anderes übrig als Vanessa um Hilfe zu bitten, meine Erinnerungen zurückzuholen.

Zunächst brauchte ich also mein Handy. Ich durchsuchte meine Hosentaschen und wurde in meiner linken Seitentasche fündig. Wahrscheinlich war ich einer der letzten Menschen, die noch keines dieser neuen Smartphones besaßen. Solange ich mit meinem Handy telefonieren und SMS verschicken konnte, war ich zufrieden. Mich störte auch die Tatsache nicht, dass mein Handydisplay mittlerweile ziemlich zerkratzt war. Immerhin besaß ich dieses Handy nun schon seit über vier Jahren und hatte mich so daran gewöhnt, dass ich mir einfach kein neues kaufen wollte. Vanessa meckerte zwar deswegen immer rum, ich lies mich davon aber nie zum Kauf eines neuen Handys überreden. Hatten wir uns vielleicht deswegen gestritten? Nein, das konnte nicht sein. Zu unwichtig war dieser Umstand, als dass wir uns deswegen so gestritten hätten. Also wählte ich Vanessas Nummer und wartete.

Tut …
Tut …
Tut …
Freizeichen.

War Sie so sauer, dass Sie noch nicht mal mehr mit mir sprechen wollte? Langsam bekam ich Magenschmerzen. Ich konnte richtig spüren wie sich eine unangenehme Unsicherheit langsam den Weg durch meinen gesamten Körper bahnte. Sie breitete sich aus wie ein aggressiver Virus. Was konnte ich Vanessa nur angetan haben? Was konnte ich ihr nur gesagt haben? Sie war doch meine große Liebe.

„So close, no matter how far. Couldn’t be much more from the heart…“

Ich schreckte ruckartig auf. Das war doch der Song “Nothing Else Matters” von Metallica. Er schallte auf einmal durch meine ganze Wohnung. Aber wo kam die Musik her? Meine Wohnung bestand aus einem Flur, in dem ich noch immer auf dem Boden saß, einem Schlafzimmer, einem Arbeitszimmer, einer Küche und einem Wohnzimmer. Die Musik konnte nur aus dem Wohnzimmer kommen, da dort meine Stereoanlage stand. Ich begab mich also in mein Wohnzimmer. Die Musik lief weiter.

„ Forever trust in who we are. And nothing else matters.“ …

Der Raum war leicht zu überblicken, da ich im Wohnzimmer nicht viele Möbel stehen hatte. Auf der einen Seite des Raumes befanden sich mein Fernseher und die Stereoanlage, gegenüber davon standen meine Couch und ein Couchtisch. Die zwei großen Fenster des Zimmers konnten dieses nur bedingt erhellen, da die Sonne mittlerweile komplett untergegangen war. Der Song lief zwar weiter, es fühlte sich trotzdem beängstigend Still an. Als ob die Dunkelheit und die Stille die laufende Musik komplett verstummen lassen wollten. Ein Blick zur Stereoanlage lies mich kurz erstarren. Sie war gar nicht eingeschaltet. Danach wandte ich mich der Couch zu und sah wie etwas auf dem Couchtisch leuchtete und vibrierte. Es war ein Smartphone. „Nothing Else Matters“ war der Klingelton. Es war aber definitiv nicht mein Handy, ich kannte es nicht. Es war in blauer Farbe gehalten und auf der Rückseite stand der Aufdruck „Endlich ankommen in der Neuzeit“. Nachdem ich kurz überlegt hatte, ob ich den Anruf annehmen oder einfach ignorieren soll, setzte ich mich auf meine Couch, griff nach dem Smartphone und nahm den Anruf an.

„ Hallo. Hier spricht Violetta.“, sprach eine Frau am anderen Ende der Leitung.
„Violetta? Ich kenne keine Violetta.“, entgegnete ich prompt.
Es herrschte kurze Stille. Dann fuhr Sie fort:
„ Kann ich bitte Tim sprechen?“
Tim? Tim war mein bester Freund. Aber was wollte diese Frau von Ihm?
„Tim ist nicht hier. Woher kennen Sie Ihn überhaupt? Und woher haben Sie diese Nummer?“
„Sie haben mir diese Nummer gegeben.“, sagte Sie mit einer solchen Sicherheit, dass ich Ihr die Aussage fast geglaubt hätte.
„Das kann nicht sein. Ich kenne dieses Handy noch nicht mal, es gehört mir auch nicht. Wie könnte ich Ihnen also diese Nummer gegeben haben? Hören Sie: Ich kenne Sie nicht und weiß nicht, was Sie von mir wollen, aber ich habe gerade andere Probleme. Ich habe irgendetwas sehr dummes oder schlimmes getan und muss mich jetzt darum kümmern und nicht um Sie.“
Ich wusste nicht, warum ich mich dieser fremden Frau plötzlich so anvertraute aber irgendwie überkam mich einfach das Gefühl, Ihr von meiner Situation erzählen zu wollen.
Es herrschte wieder kurze Stille. Dann sprach die Frau:
„Keine Sorge. Ich werde Ihnen schon helfen.“
Stille.

Das Gespräch war beendet. Die Frau hatte einfach aufgelegt.
Was wollte Sie nur von Tim?
Erst mal musste ich jetzt einen klaren Kopf bekommen. Ich legte das Handy wieder auf den Couchtisch und holte mir ein Glas Wasser aus der Küche.
Hatte Tim vielleicht in letzter Zeit mal eine Violetta erwähnt? Vielleicht ein Date von Ihm? Ich versuchte, mich an mein letztes Gespräch mit Tim zu erinnern und da fiel es mir auf einmal wieder ein:
In dem Streit mit Vanessa ging es um Tim. Ich war eifersüchtig. Plötzlich konnte ich mich wieder an kleine Versatzstücke unseres Gespräches erinnern. Schon länger hatte ich den Verdacht, dass Vanessa mich mit Tim betrügen könnte. Sie hatten sich in letzter Zeit öfters zu zweit getroffen und irgendetwas zusammen unternommen. Er war zwar mein bester Freund, in dieser Beziehung konnte man Tim jedoch nicht wirklich trauen. In dem Gespräch hatte ich Vanessa dann mit meiner Vermutung konfrontiert.

„So close, no matter how far.”

Das Handy auf dem Couchtisch klingelte erneut. Sollte ich den Anruf annehmen? Das Display zeigte nur „unbekannter Anrufer“ an. Ob es wieder diese Violetta war? Ich setzte mich auf die Couch und nahm den Anruf an.
„Wer ist da?“, fragte ich.
Am anderen Ende der Leitung herrschte Stille. Man hörte nur einen leisen Windzug im Hintergrund. Der Anruf musste also von draußen kommen.
„Hallo? Wer ist da?“, wiederholte ich.
Jetzt konnte ich zudem ein leises Atmen wahrnehmen. Es hörte sich so an, als würde jemand versuchen, sein Weinen zu unterdrücken. Dann wurde das Atmen lauter.

Und lauter…

Und lauter…

„Ich habe etwas Schlimmes getan.“, sprach jemand ins Telefon.
Die Stimme wirkte verzerrt und entfremdet, jedoch nicht mittels eines Computers. Der Wind im Hintergrund und ein plötzlich einsetzendes starkes Knistern in der Leitung machten es mir nicht möglich zu Bestimmen, ob es sich hier um eine männliche oder weibliche Stimme handelte.
„Es ist meine Schuld… ich habe etwas Schlimmes getan.“
Die Stimme wirkte verängstig. Sie klang mir irgendwie vertraut und doch absolut fremd.
„Was hast du getan? Und wer ist da überhaupt?“
Es herrschte wieder Stille und ich konnte den Wind im Hintergrund blasen hören.
„ Wie konnte ich nur, wie konnte ich nur, wie konnte ich nur? Aber… ich kann das noch verhindern. Ja, ich kann das noch verhindern.“
„Was verhindern?“, fragte ich.

Tut…
Tut…
Tut…
Das Gespräch war abgebrochen.

Wollte mir da irgendjemand einen Streich spielen? Obwohl es nur ein Telefongespräch mit einer fremden Person war, hatte ich kein gutes Gefühl bei der Sache. Langsam überkam mich ein Angstgefühl. Wer war da gerade am Telefon? Wer war diese Violetta? Wem gehörte dieses Handy und wie kam es in meine Wohnung? Zumindest für die letzte Frage dachte ich mir, dass mir eine genaue Durchsuchung des Handyspeichers weiterhelfen könnte. Zunächst wollte ich mir die gespeicherten Bilder vornehmen. Ich klickte mich also durchs Menü und …

Ring, Ring, Ring…

Das war meine Hausklingel.

Wer wollte mich denn so spät noch besuchen? Noch bevor ich von der Couch aufgestanden war, klopfte es plötzlich mehrmals gegen meine Wohnungstür. Da war jemand schon im Hausflur. Die Person klopfte so laut, dass meine ganzen Wände zu wackeln schienen. Es wirkte fast so, als ob dort kein Mensch gegen die Tür klopfen würde, sondern die pure Wut.
„Ich komme ja schon“, rief ich aus dem Wohnzimmer und machte mich auf zur Haustür. Beim Aufstehen von der Couch musste ich kurz inne halten. Mein Kopf begann plötzlich fürchterlich zu pochen. Mir wurde kurz etwas schwindelig und schwarz vor Augen. Im nächsten Moment waren die Beschwerden jedoch wieder spurlos verschwunden. Das energische Klopfen an der Tür verstummte ebenso von einem Moment auf den anderen. Ich öffnete die Tür.

„Wie kannst du mir so etwas nur antun?“
Vanessa? Es war meine Freundin Vanessa, die wütend vor mir im Hausflur stand.
„Geh‘ zur Seite!“, keifte Sie mir zu, stieß mich gegen die Wand und betrat wütend meine Wohnung. Sie marschierte direkt zielstrebig ins Wohnzimmer und schien dort auf mich zu warten. Der Streit musste ziemlich schlimm gewesen sein, so sauer hatte ich Sie noch nie erlebt. Mit einem sehr mulmigen Gefühl im Bauch begab ich mich langsam zurück ins Wohnzimmer.
„Du bist echt das letzte! Wie kannst du mir so etwas antun?“, schrie Sie mir direkt ins Gesicht.
„Es tut mir Leid, Vanessa. Ich weiß nicht warum, aber ich kann mich einfach nicht mehr richtig an unser Gespräch erinnern. Es kommt mir vor wie ein Blackout.“
Ich hatte diese Sätze noch nicht fertig ausgesprochen, da konnte ich in Ihren Augen bereits das Unverständnis für meine Erinnerungsschwierigkeiten erkennen.
Sie stand kurz vor einem richtigen Wutausbruch. Ich merkte, wie Sie krampfhaft versuchte, eine gewisse Ruhe zu bewahren und halbwegs überlegt zu antworten.
„Natürlich… alles vergessen. Das passt dann ganz gut, oder? Ich sag es dir noch einmal: Da läuft nichts zwischen Tim und mir! Deine Eifersucht ist einfach nicht mehr normal. Tim ist dein bester Freund, verdammt. Lass es einfach gut sein!“
„Es tut mir wirklich leid, ich weiß nicht mehr, was wir genau besprochen haben. Können wir da vielleicht jetzt in Ruhe nochmal drüber reden?“
„Ich sag dir einfach nur eins: DU musst damit leben! Ich kann dir vielleicht nicht die komplette Schuld geben, aber ich denke, das wirst du schon selber erledigen. Ich habe dich wirklich geliebt. Das hilft dir aber jetzt auch nicht mehr. Ich kann es dir nur nochmal sagen: Ich habe mich nie heimlich mit Tim getroffen und werde es auch heute nicht tun.“
Ich wollte gerade Fragen, welche Schuld Sie denn meint, da stürmte Sie aufgebracht aus meiner Wohnung und ließ mich fassungslos zurück. Ich wollte ihr hinterherlaufen, sie aufhalten und davon überzeugen, mit mir normal zu reden. Aber ich konnte nicht. Ich konnte es einfach nicht. Meine Beine wollten sich einfach nicht bewegen. Da war dieses Gefühl in mir. Dieses Gefühl, welches mir sagte, ich werde Sie sowieso nicht aufhalten können.

Eilig rannte ich zum Wohnzimmerfenster und schaute auf die dunkle Straße. Draußen war es mittlerweile stockdunkel. Die Straße war menschenleer und nur teilweise durch flackerndes Laternenlicht beleuchtet. Aber wo war Vanessa? Ich hätte Sie draußen sehen müssen, wie Sie meine Wohnung verlässt. Vielleicht hatte ich mich erst zu spät zum Fenster begeben. Als ich meinen Blick gerade von der Straße abwenden wollte, erblickte ich eine Person auf der Straße. Sie stand in einer dunklen Ecke und schien nichts zu machen, außer einfach dort zu stehen und etwas zu beobachten. Ob es sich um einen Mann oder eine Frau handelte, konnte ich auf Grund der Dunkelheit nicht richtig erkennen. Es schien mir jedoch eher um eine männliche Person zu handeln. Aber was machte er da? Er bewegte sich die ganze Zeit keinen Millimeter. Ich versuchte gerade sein Gesicht zu erkennen, da neigte er seinen Kopf plötzlich nach oben in meine Richtung. Hatte er mich etwa bemerkt? Sein Gesicht war für mich immer noch unerkenntlich, ich konnte aber spüren, dass er mich anstarrte. Mich überkam ein Gefühl der Angst. Mein Körper schien sich erneut langsam aber bestimmt mit einer unangenehmen Unsicherheit zu füllen. Der Blick dieser Person war nicht sichtbar für mich und trotzdem unmöglich zu ertragen. Voller Furcht machte ich einen großen Schritt weg vom Fenster. Da kam es mir plötzlich in den Sinn: Das muss Tim da unten auf der Straße gewesen sein. Er hatte Vanessa bis zu mir verfolgt und nun beobachtete er mich.

„So close, no matter how far.”

Das Handy klingelte erneut. Ich schaute auf das Display: wieder eine unterdrückte Nummer. Langsam war meine Geduld am Ende. Ich nahm den Anruf an und brüllte ohne zu warten direkt drauf los:
„Was? Wer ist da? Wer spielt da so ein lustiges Spiel mit mir?
Stille. Keine Antwort. Stattdessen hörte ich wieder Wind im Hintergrund und ein leichtes Knistern in der Leitung. Dann setzte ein Atemgeräusch ein.
„Du liegst falsch! Zwischen Tim und deiner Freundin ist nichts. Du musst deiner Freundin einfach vertrauen.“
Es war wieder diese undefinierbare Stimme.
„Wer verdammt noch mal spricht da? Woher kennst du Tim und meine Freundin?“, schrie ich wütend ins Handy. Da kam mir eine Idee:
„Bist du das, Tim? Willst du mir einen Streich spielen? Bravo! Das ist echt super lustig.“
Das Atmen schien lauter zu werden. Gleichzeitig nahm aber auch das Knistern in der Leitung zu.
„Ich will dir nur helfen“, sprach die Stimme leise und führte fort:
„Du musst dir aber auch helfen lassen“

Ring, Ring, Ring…
In dem Moment klingelte die Haustürklingel!

„Wobei helfen?“, brüllte ich noch ins Handy. Das Gespräch war aber bereits beendet. Ich rannte zur Tür, drückte den Knopf, der die untere Haustür entsperrte, öffnete meine Wohnungstür und wartete. Langsam hörte ich Schritte die Wendeltreppe herauflaufen. Ich erkannte sofort, dass es sich dabei nicht um Vanessas Schritte handelte. Gespannt blickte ich auf die Treppe. Die Schritte wurden lauter und lauter. Die Person war fast in meiner Etage. Es war Tim.
„Hallo. Was geht so bei…“, ich fiel Tim sofort ins Wort:
„Hast du mich gerade angerufen? Willst du mir irgendeinen Streich spielen?“
Tim reagierte sehr verwirrt auf meine Frage.
„Was? Dich angerufen? Nein, das habe ich nicht. Ich habe zurzeit gar kein Handy. Ich wollte aber mal mit dir reden.“
Er wollte in die Wohnung reingehen, ich stellte mich aber in den Türrahmen und versperrte ihm den Weg.
„ Was willst du?“, fragte ich genervt.
„ Mit dir über Vanessa reden.“, sagte Tim in einer abfälligen Stimmlage. „Sie hat mir erzählt, wie eifersüchtig du momentan bist und dass du glaubst, Sie würde dich mit mir betrügen.“
„Ist das denn so abwegig?“, entgegnete ich ihm sofort.
Tim holte tief Luft.
„Aber natürlich ist das abwegig. Ich bin dein bester Freund. Warum sollte ich dir so wehtun? Du bist echt paranoid. Komm‘ mal klar! Da läuft absolut nichts zwischen Vanessa und mir. Und nein, wir treffen uns auch heute nicht heimlich hinter deinem Rücken. Glaub das doch endlich mal!“
„ Und warum verbringt ihr so viel Zeit zusammen?“
Tim wurde langsam wütend:
„Weißt du was? Das ist mir echt zu dumm mit dir gerade. Ich werde mich jetzt mal lieber darum kümmern, mein Handy wiederzukommen. Schönen Abend dir noch.“
Noch bevor ich darauf etwas antworten konnte, war Tim auch schon die ganze Wendeltreppe hinuntergegangen und draußen in der Dunkelheit verschwunden.

Wieso war er da gewesen? Nur um mir zu sagen, dass da nichts zwischen Vanessa und ihm läuft? Und so kurz nachdem Vanessa hier war. War das Zufall? Ich knallte wütend meine Haustür ins Schloss. Gerade wollte ich zurück ins Wohnzimmer gehen, da überkam mich auf einmal ein extremes Schwindelgefühl. Der ganze Flur schien plötzlich zu wackeln und die Wände auf mich zu zu bewegen. Im nächsten Moment waren Sie jedoch wieder Meter entfernt. Ich begann zu taumeln. Es fühlte sich wie der Gang auf einer im Wind wackelnden Hängebrücke an. Meine Wohnungswände begannen mich einzuengen. Ich konnte mich nicht mehr richtig bewegen, das Atmen fiel mir immer schwieriger, alles begann sich zu drehen und ich…

Ich brach auf dem Boden zusammen…


„Lass mich in Ruhe!“


„Geh‘ einfach weg!“


„Hast du nicht gehört? Geh weg!“


„So close, no matter how far. Couldn’t be much more from the heart…“

Das Handyklingeln weckte mich ruckartig auf. Ich öffnete die Augen. Was war nur passiert? Vielleicht Kreislaufprobleme? Aber eigentlich fühlte ich mich fit. Ich rappelte mich langsam auf und begab mich ins Wohnzimmer, um den Handyanruf anzunehmen.

„ Forever trust in who we are. And nothing else matters.“ …

Das Handy klingelte zwar, es lag jedoch nicht auf den Couchtisch, wo ich es zuletzt abgelegt hatte. Da stand nur ein Karton, eingehüllt in knallrotes Geschenkpapier, verziert mit einer himmelblauen Schleife und der Aufschrift „Herzlichen Glückwünsch“. Das Klingeln schien aus dem Geschenk zu kommen. Aber wie kam das Handy in diesen Karton. Und wo kam der Karton her? Hatte Tim mir wieder einen Streich gespielt?
Nein, er konnte es nicht gewesen sein. Immerhin hatte er meine Wohnung nicht mal betreten. Aber vielleicht hatte er sich irgendwie Zutritt verschafft, während ich bewusstlos war. Ich riss die Schleife und das Geschenkpapier vom Karton herunter, öffnete ihn und tatsächlich … im Inneren befand sich das Smartphone und klingelte. Wieder ein unbekannter Anrufer. Ich nahm den Anruf an.

Es knisterte wieder in der Leitung. Plötzlich meldete sich wieder diese unbeschreibliche Stimme, jedoch sprach Sie diesmal ziemlich schnell und wütend:
„ Du bist so dumm! Ihr beide seid schon so lange zusammen und du machst alles kaputt!“
Ich schrie wütend zurück ins Telefon: „ Es reicht mir langsam! Wer zur Hölle spricht da?“
Das Gespräch war beendet.

Was hatte das alles zu bedeuten? Ich wollte einfach nur noch, dass dieser ganze Alptraum aufhört. Ich ließ mich auf meine Couch fallen und starte auf das Smartphone. Wo Vanessa jetzt wohl gerade war? Vielleicht sollte ich mich bei Ihr entschuldigen. Und bei Tim sollte ich mich danach direkt auch noch entschuldigen. In dem Streitgespräch mit Vanessa waren wahrscheinlich meine Emotionen etwas hochgekocht, ich habe Sie des Fremdgehens beschuldigt und Sie hat Tim davon erzählt. Ich sollte mich wirklich Entschuldigen. Aber nicht per Telefon, sondern persönlich. Ich musste nur rausfinden, wo sie sich aufhielten. Als ich beim Nachdenken so auf das Smartphone starte, fiel mir ein, dass Tim und Vanessa sich vor einiger Zeit mal eine App auf Ihre Handys geladen hatten, mit der man im Falle eines Diebstahls sein Handy über den PC genau Orten konnte. Ich setzte mich also an meinen PC und startete das Programm für die Handyortung.

Zuerst suchte ich nach Vanessa. Es dauerte nur wenige Sekunden, da hatte die Software Ihr Handy geortet. Es befand sich im Café Steinbruch, ganz in der Nähe von meiner Wohnung. Man musste dafür nur die Sonnenallee einige Zeit geradeaus entlanglaufen.
Nun konnte ich mich an die Ortung von Tims Handy begeben. Ich gab seine Handynummer ein, druckte auf Suchen und wartete. Es dauerte wieder nur einige Sekunden, da zeigte mir das Programm den Aufenthaltsort von Tims Handy an…
Das konnte aber nicht sein…
Nein!…
Ich startete die Suche nochmal.
Das Programm lieferte wieder die gleiche Adresse…
Tims Handy befand sich auch im Café Steinbruch.
Vanessa und Tim hatten also doch ein Treffen.
Ich fühlte, wie sich eine gewaltige Wut in mir auftat. Ich wollte einfach nur noch laut schreien. Wie konnten die beiden mir das nur antun? Beide hatten mich belogen. Ich hatte nun nur noch ein Ziel vor Augen: So schnell wie möglich das Café Steinbruch aufzusuchen und beide zur Rede zu stellen.
Als ich mich zur Haustür begab, setzte wieder dieses Pochen in meinem Kopf ein. So schlimm wie in diesem Moment war es noch nie. Dafür war aber keine Zeit. Mein Körper war mit einer solchen Wut gefüllt, dass da einfach kein Platz mehr für anderweitige Schmerzen war.
Ich stürmte die Wendeltreppe hinunter, begab ich mich auf die dunkle Sonnenallee und rannte los.

„So close, no matter how far.”

Das Smartphone klingelte wieder. Ich konnte mich jedoch nicht erinnern, das Handy eingesteckt zu haben, als ich die Wohnung verlassen hatte. Trotzdem befand es sich in meiner Hosentasche. Ich verlangsamte meinen Schritt und nahm den Anruf an.
„ Bleib von dem Café weg!“
Es war wieder diese Stimme. Sie sprach weiter:
„ Wenn du das Café betrittst wird etwas Schreckliches passieren.“
„Woher, verdammt noch mal, weißt du so viel über mich? Ich denke, dass ich ganz gut meine eigene Entscheidungen treffen kann und die nächste wird sein, dass ich dieses Café aufsuchen werde!“
Es herrschte kurze Stille. Das Knistern in der Leitung verstummte plötzlich. Die Person am anderen Ende der Leitung holte tief Luft und sprach:
„Dann kann ich dir auch nicht mehr helfen. Lebe wohl.“
Damit war das Telefonat beendet.

In dem Moment war ich so wütend, dass ich das Smartphone einfach gegen einen Baum warf. Für den Fall, dass ich nochmal telefonieren musste, hatte ich ja noch mein eigenes, altes Handy dabei. Ich rannte weiter Richtung Café.
Da war es. Der große, leuchtende Schriftzug „Café Steinbruch“ über dem Haus erhellte den ganzen Straßenzug. Links und rechts von der Eingangstür befanden sich zwei große Schaufenster. Ich konnte daher von der Straße aus gut das gesamte Café überblicken. Und da saß Vanessa. Alleine an einem Tisch für zwei. Auf dem Tisch standen nur ein fast voller Cocktail und ihre Handtasche. Ohne groß zu überlegen, was ich ihr sagen wollte, stürmte ich ins Café und direkt zu Vanessa. Ich blickte Ihr tief in die Augen und konnte spüren, wie überrascht Sie war, mich dort anzutreffen.
„ Wo ist er?“, fragte ich.
„Wo ist wer?“, fragte Vanessa verdutzt.
„Na, Tim. Ich hab eure beiden Handys geortet. Und rate mal: Beide befinden sich in diesem Café. Erzähl mir nicht nochmal, du triffst dich nicht mit Tim. Du Lügnerin!“
Noch bevor ich weiterreden konnte, fiel Vanessa mir ins Wort.
„Du hast was? Du hast unsere Handys geortet? Du spinnst ja. Langsam wird deine Eifersucht echt schlimm. Du bist ja paranoid. Aber wenn du es unbedingt wissen willst, ich warte hier auf eine Freundin.“
„Natürlich… Und Tims Handy liegt hier immer im Café einfach so rum? Gib es doch einfach zu.“
Vanessa wurde sichtlich sauer, stand von Ihrem Stuhl auf und stellte sich genau vor mich. Sie guckte mir tief in die Augen und sagte:
„Jetzt pass mal auf: Tim ist dein bester Freund. Ich bin deine feste Freundin. Ich wollte dir Tims Smartphone morgen zu deinem Geburtstag schenken, da du ja immer noch nur dieses kaputte Uralt-Handy besitzt. Sein Handy befindet sich daher in meiner Handtasche, weil ich es vorhin bei Ihm abgeholt habe. Jetzt zufrieden? Herzlichen Glückwunsch du Idiot!“
Oh Gott, hatte ich etwa so falsch gelegen? Sagte Sie die Wahrheit? Ich fühlte mich so schlecht. Ich wollte etwas sagen, aber mein Mund brachte kein vernünftiges Wort heraus. Irgendetwas musste ich aber sagen. Also stotterte ich:
„Oh, man. Da-a-a-a-s tut mir e-e-e-cht Leid. Ich…“
Vanessa unterbrach mich:
„Nein… weißt du was? Es tut MIR leid. Ich komme mit deiner paranoiden Eifersucht einfach nicht mehr klar. Tim ist dein bester Freund. Aber ich bin ab jetzt nicht mehr deine feste Freundin. Es ist aus. Lebe wohl!“
Sie nahm Ihre Tasche und wollte das Café verlassen. Das konnte ich jedoch nicht zulassen. Ich packte sie an Ihrem rechten Arm um sie am gehen zu hindern. Sie guckte mich wütend an.

„Lass mich in Ruhe!“

Sie nahm Ihren Cocktail vom Tisch und schüttete ihn mir über mein komplettes Hemd. Ich ließ Ihren Arm daraufhin los und Sie stürmte aus dem Café.
Was hatte ich nur getan? Ich musste ihr hinterher laufen und mich entschuldigen.
So schnell es ging stürmte auch ich aus dem Café und rannte Vanessa hinterher.
Sie war schon einige Meter weit gekommen. Es war für mich jedoch ein leichtes, Sie wieder einzuholen. Während ich ihr hinterherrannte rief ich ihr nach:
„Vanessa! Jetzt warte doch. Ich will mich entschuldigen. Ich will das wieder gutmachen.“
Vanessa rannte daraufhin jedoch nur noch schneller

„Geh‘ einfach weg!“

Sie rannte in eine kleine Seitengasse. Mein Abstand zu ihr wurde immer geringer.
Nach wenigen Metern konnte ich Ihren Arm packen und sie so zum stehenbleiben zwingen.
„Vanessa, es tut mir so leid. Gib mir bitte noch eine Chance. Ich kann mich ändern“, sagte ich und begann dabei zu weinen. Das war einfach alles zu viel für mich.
Sie guckte mich nur an und schrie mir ins Gesicht:

„Hast du nicht gehört? Geh weg!“

Sie versuchte sich aus meinen Griff zu befreien, aber ich ließ nicht locker. Ich wusste, dass ich Sie noch umstimmen konnte. Ich brauchte nur etwas mehr Zeit. Vanessa fing an mich zu schlagen. Ich wollte gerade mit meiner nächsten Entschuldigung beginnen, da biss Sie mir in den Arm.
„Ahhhhh“
Es waren höllische Schmerzen. Für einen kurzen Moment ließ ich Ihren Arm los.
Diesen Umstand nutzte Vanessa um sich von mir loszulösen und die Flucht zu ergreifen. In letzter Sekunde konnte ich aber noch nach Ihren Haaren greifen. Durch diesen Ruck rutschte Sie jedoch auf der Straße aus und prallte auf den Boden. Mit ihrem Nacken fiel Sie genau auf die scharfe und in dieser Straße besonders hohe Bordsteinkante. Vanessa verstummte und lag einfach nur noch da.

Oh Gott, was hatte ich getan?

„Vanessa?“

„Vanessa?“

Ich versuchte Sie wach zu rütteln, Sie kam aber einfach nicht wieder zu sich. Ihr Kopf blutete. Ihr Blut floss langsam die Straße hinunter und vermischte sich langsam mit dem Matsch der Straße. Ich geriet in Panik. Eigentlich hätte ich einen Krankenwagen rufen müssen, doch in diesem Moment war meine einzige Idee, Tim anzurufen. Ich zog mein altes Handy aus der Tasche und wählte Tims Nummer.

„So close, no matter how far. Couldn’t be much more from the heart…“

Es klingelte in Vanessas Handtasche.
Sie hatte tatsächlich die Wahrheit gesagt.
Anstatt Vanessa zu helfen, öffnete ich Ihre Handtasche. In diesem Moment schien die Welt still zu stehen. Die Zeit lief einfach nicht mehr weiter. Der Wind wehte nichtmehr und eine eiskalte Stille umgab Vanessa und mich. In Ihrer Handtasche war ein in knallrotes Geschenkpapier eingehüllter Karton, verziert mit einer himmelblauen Schleife und der Aufschrift „Herzlichen Glückwünsch“. Das Klingeln kam aus dem Karton. Ich öffnete den Karton. Darin lag Tims Smartphone. Es war ein in blau gehaltenes Handy mit dem Spruch „Endlich angekommen in der Neuzeit.“ Auf der Rückseite.
Plötzlich verstummte das Klingeln.
Das Handy war jedoch nicht aus. Es schien noch ein aktueller Anruf über dieses Handy zu laufen. Da war jemand dran am anderen Ende der Leitung. Aber wer? Ich hielt mir das Handy ganz nah ans Ohr. Laut atmete ich ins Telefon.
„Wer ist da? Hallo? Wer ist da?“ hörte ich eine Stimme ins Telefon sprechen.
Ich begann verängstigt ins Handy zu reden:
„Ich habe etwas Schlimmes getan.
Es ist meine Schuld… ich habe etwas Schlimmes getan.“
„Was hast du getan? Und wer ist da überhaupt?“, fragte die Stimme.
Ich kannte diese Stimme. Sie kam mir bekannt vor.
Ich bekam einen großen Schrecken.
„ Wie konnte ich nur, wie konnte ich nur, wie konnte ich nur?“, schrie ich ins Telefon.
Ich musste jemanden erzählen, was Vanessa wegen mir passiert war. In dem Moment blickte ich zur Vanessa hinüber und…
Sie war nicht mehr da.
Da lag niemand auf der Straße, da war kein Blut auf dem Boden. Ich stand ganz alleine in dieser dunklen Nebenstraße mit einem Handy in der Hand. Hatte ich mir das Ganze nur eingebildet? War Vanessa gar nicht gestürzt, war ich nicht in diesem Café? Ich wusste nicht mehr, was ich noch glauben konnte.
Diese ganze Tragödie musste also nicht zwangsläufig passieren?
„ Ich kann das noch verhindern. Ja, ich kann das noch verhindern.“, sprach ich ins Telefon.
Das Pochen im Kopf wurde langsam unerträglich. Jedes von mir ausgesprochene Wort erzeugte einen unbeschreiblichen Schmerz in mir. Trotzdem redete ich weiter:
„Ich liege falsch! Zwischen Tim und Vanessa ist nichts. Ich muss meiner Freundin einfach vertrauen.“
Ich bewegte mich langsam aus der Seitenstraße hinaus und ließ mich auf den harten Boden der Sonnenallee fallen. Die Tränen schossen mir nur so aus den Augen.
Ich war am Ende.

So saß ich da, ganz alleine auf der dunklen Straße. Ich wollte nach Hause gehen, aber irgendetwas hielt mich davon ab. Ich schien mich in einem Trance-artigen Zustand zu befinden. Blätter von Bäumen flogen in Zeitlupe an mir vorbei und die Bäume schienen mich auszulachen. Der Wind schien im selben Takt wie das Pochen in meinem Kopf gegen meinen Körper zu drücken. Plötzlich war ich nicht mehr allein auf der Straße. Eine ältere Frau kam auf mich zu. Sie wirkte nett und hilfsbereit.
„Guter Tag, junger Mann. Kann ich Ihnen irgendwie helfen?“
Ich stotterte nur vor mich hin:
„Ich muss mit Tim reden. Ich muss… mit Tim reden“
Ich zeigte Ihr auf meinem alten Handy Tims Handynummer.
„Keine Sorge. Ich werde Ihnen schon helfen. Ich heiße übrigens Violetta“, entgegnete Sie mir mit freundlicher Stimme. Sie notierte sich Tims Nummer.
Gerade wollte ich Sie fragen, ob Sie mir helfen kann, da erblickte Sie die Seitengasse, aus der ich gekommen war. Plötzlich verstummte Sie und trat einen Schritt zurück. Sie schaute mich verängstigt an. Wieso tat Sie das? Langsam begab sie sich in die Seitengasse. Was wollte Sie dort? Da war doch niemand.
„Ahhhhhhhhhhhhhh!!!“
Die Frau begann ganz fürchterlich zu schreien. Mein Kopf pochte noch mehr als zuvor. Es war unerträglich. Was war da los? Ging es um Vanessa? Ich rappelte mich auf und wollte auch die Seitenstraße betreten. Da erblickte ich Tims Handy auf dem Boden. Der Anrufer war immer noch in der Leitung. Ich nahm das Handy und schrie mit verweinter Stimme hinein:
„ Ich bin so dumm! Wir sind schon so lange zusammen und ich mache alles kaputt! Ich muss von dem Café wegbleiben!“
Ich bog in die Seitenstraße ein und konnte mich plötzlich nicht mehr bewegen. Mein Körper war wie eingefroren. Das Pochen im Kopf setzte aus. Es herrschte totenstille. In diesem Moment schien es auf der ganzen Welt nur noch mich und diese Seitenstraße zu geben. Um mich herum war nur eine schwarze Wand, die mir langsam immer näher kam und mich zu verschlucken drohte. Mit letzter Kraft sprach ich ins Handy:
„Ich kann mir nicht mehr helfen. Lebe wohl.“

Ich legte auf und ließ das Handy fallen. Ich wollte weiter in die Seitengasse hineingehen, um zu sehen, was dort war. Ich konnte es jedoch nicht. Vor mir erschien ein roter, langer Weg, der in die Seitengasse führte. Der rote Untergrund verschlang den Matsch der Straße und breitete sich immer weiter aus. Ich konnte nicht vorwärts gehen. Die einzige Art, mich noch bewegen zu können war, rückwärts die Seitengasse zu verlassen. Schritt für Schritt begab ich mich rückwärts zurück auf die Sonnenalle.
Plötzlich konnte ich mich wieder frei bewegen.
Sofort begann ich zu rennen.

Und ich rannte,

und rannte,

und rannte.

Ich rannte so schnell ich konnte. Um mich herum brach eine bedrückende Dunkelheit herein. Sie schien mich zu verfolgen. Ich rannte schneller. Wovor ich weglief? Ich wusste es in diesem Moment nicht. Was ich jedoch wusste, war, dass ich schnellstmöglich nach Hause wollte.

ENDE

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Matze,

Du bist neu hier und ich sage dir ein Willkommen.

Zuerst möchte ich dir sagen, dein Text liest sich am Anfang flüssig. Später habe ich allerdings dieses Gefühl nicht mehr. Deine Geschichte erinnert ein wenig an Stanislaw Lems Sterntagebücher. Dein Protagonist befindet sich in einer Zeitschleife und nimmt mit sich selber Kontakt auf. Eine sehr schöne Idee. Am Ende ließ sich der Text auch wieder richtig gut lesen. Ansonsten ist sprachlich schon Überarbeitungsbedarf vorhanden. Ich habe mir die Mühe gemacht, so viel wie möglich rauszufischen. Bestimmt habe ich den einen oder anderen Kommafehler übersehen, aber daran mangelt es ja nicht mal so sehr. Vielmehr ist es die Ausdrucksweise. Sie ist nach meinem Empfinden zu sehr jargonhaft und ich glaube nicht, dass das beabsichtigt ist.

Die großen, über die Straße gebeugten Bäume schienen mich auszulachen.

Ich stelle mir gerade das Bild vor, wie die Bäume über die Straße gebeugt dastehen. Das will mir nicht so recht gefallen.

Die Tür knallte ich hinter mir so laut ins Schloss, dass es alle Nachbarn aus dem Schlaf gerissen haben muss.

Woher hat er plötzlich Nachbarn? Er bewohnt doch die einzige Wohnung in der Etage? :)

Ich lehnte mich mit dem Rücken gegen die Innenseite meiner Haustür und sank dabei langsam auf den Boden.

Das passt nicht zum vorher Gesagten. Er ist doch sofort die Wendeltreppe hochgerannt. Da kann er sich also nur hinter der Wohnungstür auf den Boden sinken lassen haben.

Ich hatte mich mit meiner Freundin gestritten. Es war aber keiner diesen gewöhnlichen Streitgespräche nach denen man nochmal in sich geht, sich entschuldigt und danach alles wieder gut ist.

Entweder du schreibst Es war aber keiner dieser gewöhnlichen Streitgespräche ... oder Es war aber keines von diesen gewöhnlichen Streitgesprächen ...

Umso mehr ich versuchte, mich an das Gespräch mit Vanessa zu erinnern, umso mehr begann mein Kopf zu schmerzen.

Je mehr ich versuchte ...

Es fühlte sich wie ein riesiger Filmriss in meinem Gedächtnis an.

Was ist ein riesiger Filmriss? Wenn der Film gerissen ist, ist er kaputt. Also kann das riesig entfallen.

Da ich den Abend selber anscheinend nicht mehr rekonstruieren konnte, blieb mir nichts anderes übrig als Vanessa zu bitten, mir beim Erinnern zu helfen.

... mir beim Erinnern zu helfen klingt irgendwie komisch. Besser würde ich finden: ... Vanessa um Hilfe zu bitten, meine Erinnerungen zurückzuholen.

Solange ich mit meinem Handy telefonieren und SMS verschicken konnte, war ich zufrieden. Mich störte auch die Tatsache nicht, dass mein Handydisplay mittlerweile ziemlich zerkratzt war. Immerhin besaß ich dieses Handy nun schon seit über vier Jahren und hatte mich so daran gewöhnt, dass ich mir einfach kein neues kaufen wollte.

Was bringt das der Geschichte? Das kann auf ein Minimum reduziert werden. Du willst doch nur sagen, dass ihr euch vermutlich wegen dieses dämlichen alten Handys gestritten habt.
P.S.: Hier habe ich noch nicht gewusst, dass sich dieses Smartphone in den Mittelpunkt schiebt.

Die Musik konnte nur aus dem Wohnzimmer kommen, da dort meine Stereoanlage stand.

Wenn Musik aus dem Wohnzimmer kommt, dann muss wohl eine Anlage dort stehen. Das kann sich aber der Leser selber denken. Der erklärende Nebensatz ist also überflüssig. Anders wäre es, wenn er gar keine Anlage besäße.

Die zwei großen Fenster in der Raummitte konnten das Zimmer nur bedingt erhellen, da die Sonne mittlerweile komplett untergegangen war.

Das musst du mir mal zeigen, wie in der Raummitte, was ja eine dreidimensionale Angabe ist, Fenster sein sollen :D

„Ich sag dir einfach nur eins: DU musst damit Leben!

... damit leben!

Ich kann dir vielleicht nicht die komplette Schuld geben, aber ich denke, dass wirst du schon selber erledigen.

... , das wirst du schon selber erledigen.

Dieses Gefühl, dass mir sagte, ich werde Sie sowieso nicht aufhalten können.

Dieses Gefühl, das mir sagte ... Hier wäre „welches“ die bessere Alternative.

Eilig rannte ich zum Wohnzimmerfenster und guckte auf die dunkle Straße.

Ich denke, schaute wäre hier eleganter als guckte.

Mein Körper schien sich erneut langsam aber bestimmt mit einer virusartigen Unsicherheit zu füllen.

Wie muss man sich eine virusartige Unsicherheit vorstellen? Viren sind doch eher Organismen, die zu Stabilität und Resistenz streben, was sie so gefährlich werden lässt.

„Wobei helfen?“, brüllte ich noch ins Handy, dass Gespräch war aber bereits beendet.

Erst einmal muss hinter das Komma wieder ein „das“, ich würde aber einen Punkt dort machen.

Ich rannte zur Tür, drückte den Knopf, der die untere Haustür entsperrte, öffnete meine Wohnungstür und wartete. Langsam hörte ich Schritte die Wendeltreppe hinauflaufen.

Dein Protagonist befindet sich doch in seiner Wohnung. Damit kann er keine Schritte hinauflaufen hören, sondern herauflaufen.

Der ganze Flur schien plötzlich zu wackeln und die Wände bewegten sich näher zu mir.

So wie du das schreibst, bewegen sich die Wände schon immer, diesmal aber näher zu ihm. Schreib doch einfach, dass sich die Wände auf ihn zu zu bewegen schienen.

das Atmen fiel mir immer schwieriger,

also, das Atmen kann entweder immer schwieriger werden oder immer schwerer fallen.

Aus irgendeinem Grund war ich einfach zusammengebrochen.

Das weiß der Leser schon. :)

Ich wollte langsam einfach nur noch, dass dieser ganze Alptraum aufhört.

Also, ich wollte nicht nur langsam, dass das aufhört. Das langsam ist überflüssig.

Vielleicht sollte ich mich einfach bei Ihr entschuldigen. Und bei Tim sollte ich mich danach direkt auch noch entschuldigen. In dem Streitgespräch mit Vanessa waren wahrscheinlich einfach meine Emotionen etwas hochgekocht, ich habe Sie des Fremdgehens beschuldigt und Sie hat Tim davon erzählt. Ich sollte mich wirklich Entschuldigen. Aber nicht per Telefon, sondern persönlich. Ich musste nur rausfinden, wo sie sich aufhielten. Als ich beim Nachdenken so auf das Smartphone starte, fiel mir ein, dass Tim und Vanessa sich vor einiger Zeit mal eine App auf Ihre Handys geladen hatten, mit der man im Falle eines Diebstahls sein Handy über den PC genau Orten konnte. Ich setzte mich also an meinen PC und startete das Programm für die Handyortung.

Zuerst suchte ich nach Vanessa. Es dauerte nur wenige Sekunden, da hatte die Software Ihr Handy geortet. Es befand sich im Café Steinbruch, ganz in der Nähe von meiner Wohnung. Man musste dafür einfach nur die Sonnenallee einige Zeit geradeaus entlanglaufen.


Du solltest einfach auf das viele einfach im Text verzichten. :)

Die Stimme holte tief Luft und sprach:

Ich bin immer noch am Überlegen, ob die Stimme selber atmen kann ...

Auf dem Tisch standen nur ein fast voller Cocktail und eine große Handtasche von ihr.

Auf dem Tisch standen nur ein noch fast voller Cocktail und ihre Handtasche. Überleg mal, ob der Satz nicht dasselbe sagt, wie deiner.

„ Wo ist er?“, fragte ich.
„Wo ist wer?“, fragte Vanessa verdutzt.
„Na, Tim. Ich hab eure beiden Handys geortet. Und rate mal: Beide befinden sich in diesem Café. Erzähl mir nicht nochmal, du triffst dich nicht mit Tim. Du Lügnerin!“
Noch bevor ich weiterreden konnte, fiel Vanessa mir ins Wort.
„Du hast was? Du hast unsere Handys geortet? Du spinnst ja. Langsam wird deine Eifersucht echt schlimm. Du bist ja paranoid. Aber wenn du es unbedingt wissen willst, ich warte hier auf eine Freundin.“

Also, ihr zu sagen, dass er ihr Handy geortet hat, um ihr nachzuspionieren, ist ein riesiger Vertrauensbruch. Ich finde die Reaktion von Vanessa in Ansätzen gut. Ihr letzter Satz schwächt ihr Entsetzen aber schon wieder ab.

Ich packte Sie an Ihrem rechten Arm um Sie am gehen zu hindern.

Das sie in diesem Satz ist ein Personalpronomen und wird klein geschrieben. Außer, sie ist göttlich :D

Sie versuchte sich von meinen Griff zu befreien, aber ich ließ nicht locker.

Du hast irgendwo einen Griff? :D Hier muss es heißen: Sie versuchte sich, aus meinem Griff zu befreien, ...

Durch diesen Ruck rutschte Sie jedoch auf der Straße aus und knallte auf den Boden. Mit ihrem Nacken knallte Sie genau auf die scharfe und in dieser Straße besonders hohe Bordsteinkante. Vanessa verstummte und lag einfach nur noch da.

Wenn du den Text sprachlich sauberer kriegst, wird das eine gute Geschichte.

Schönen Gruß
khnebel

 

Hallo khnebel,

zunächst einmal vielen Dank für deine ausführliche Kritik zu meiner Geschichte :)
"3 1/2 Zimmer" ist tatsächlich mein erste Geschichte, also mein erster Gehversuch beim Schreiben und Erdenken einer Story. Deine Kritik ist im allgemeinen ja sogar recht positiv, damit hatte ich garnicht gerechnet :P
Ich habe mir deine ganzen Verbesserungsvorschläge sehr zu Herzen genommen und habe die Geschichte auf dieser Grundlage überarbeitet. Deine Vorschläge lassen meine Worte tatsächlich um einiges flüssiger erscheinen.

Vielen Dank also für deine Kritik ;)

Lieben Gruß

Matze

 

Hallo Matze,

ich habe deine überarbeitete Geschichte noch mal gelesen und hatte den Eindruck, dass sie sich besser lesen lässt. Natürlich ist sie noch nicht fehlerfrei, vielleicht schaust du noch mal selber drüber. Aber so gefällt sie mir schon besser.

Ich freue mich schon auf neue Texte von dir

Schönen Gruß
khnebel

 

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