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Copywrite Jetzt lass mal die Sofia erzählen

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24.01.2009
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Jetzt lass mal die Sofia erzählen

Auf dem rechten Arm halte ich Hanno, in der linken Hand den Koffer. So stehe ich vor der Wohnung meiner Mutter. Der Koffer wiegt gefühlt, als hätte ich einen Grabstein durch die Stadt getragen. Daniel, mein kleiner Bruder, öffnet mir die Tür. Sofort verlangt der stolze Onkel nach seinem Neffen. Ich gebe ihm Hanno, froh, wenigstens ein Gewicht los zu sein.
„Es ist Sofia“, ruft Daniel und ich wuschle ihm zur Begrüßung durchs Haar. Mutter kommt. Sie trocknet sich die Hände mit einem Küchenhandtuch.
„Das ist ja eine schöne Überraschung“, sagt sie und will mich umarmen. Als sie nah genug bei mir ist, bemerkt sie die Schramme und die Beule in meinem Gesicht. Dann starrt sie auf den Koffer. Sofort verflüchtigt sich ihre Freude.
„Geh mit Hanno ins Wohnzimmer", bittet sie Daniel und schließt hinter ihm die Stubentür. „Wie ist das passiert? Und was soll der Koffer? Bitte sag, dass es nicht das ist, was ich denke.“
„Es ist nicht das, was du denkst. Lass uns in Ruhe drüber sprechen. Nicht hier im Flur.“
„Ich werde dir nicht helfen. Vergiss es!“
Ich lege meine Arme um ihre Schultern, flüstere: „Ich haue nicht ab. Versprochen.“
Sie schaut mir geradewegs in die Augen, sucht nach Lüge oder Wahrheit, aber ich halte ihrem stummen Verhör stand, bis sie nickt. „Dein Zwilling ist auch da.“ Mit dem Kopf deutet sie zur Stube hin, aus der der Fernseher zu hören ist.
Verdammt, denke ich.

Mutter deckt den Tisch fürs Abendbrot. „Der Fritz hat mir einen Räucheraal besorgt. Ganz frisch.“ Stolz wickelt sie den Fisch aus der Zeitung und hält ihn hoch. Es ist die Zeitung von heute. Bilder vom gestrigen 40. Jahrestag der Republik auf der Titelseite. Honecker, wie er die Faust nach oben streckt. Gorbatschow, der neben ihm winkt. Vor ihnen die Militärparade. Alles glänzend im Fischfett.
Sie teilt den Aal in vier gleichgroße Teile und legt auf jeden Teller eines. Hanno spielt mit unseren Hausschlappen unter dem Tisch. Daniel berichtet stolz, wie er gestern mit Thomas die Parade angeschaut hat, zählt die Namen der Panzer auf, der Waffen, die die Soldaten trugen, erzählt, dass er Gorbi gesehen hat, auch den Fleck auf seinem Kopf. Er meint, er hätte noch nie so leckere Erbsensuppe gegessen, wie die gestern aus der Gulaschkanone. „Erbsensuppe mit Bockwurst!“ Ich lächle. Für Bockwurst würde mein kleiner Bruder seine Seele verkaufen.
„War bestimmt ein toller Tag für euch beide“, sage ich in Richtung meines Zwillings. Thomas hat an Waffen einen Narren gefressen, ist nie der Cowboy- und Indianerphase entwachsen. Deshalb hat er sich auch für die Kampfgruppe gemeldet. Männer jeden Alters spielen an ein paar Wochenenden im Jahr Manöver. Schlafen auf Stroh, zündeln Lagerfeuer. Marschieren, bekommen Muskelkater, um im Ernstfall der Held zu sein, der unsere Betriebe gegen die feindliche Übernahme verteidigt. Volkseigentum wird vom Volk geschützt. Lächerlich. Was liegt auf der Wiese, ist grau und zittert? Die Kampfgruppe.
„Jetzt ist genug mit Waffen“, sagt Mutter. „Jetzt lass mal die Sofia erzählen.“
Sie schaut mich an und ich weiß, sie wartet auf eine Erklärung für die Verletzungen in meinem Gesicht und den Koffer im Flur. Ich wünschte, Thomas wäre nicht hier. Nicht heute. Ich habe keine Kraft und auch keine Lust auf eine politische Diskussion mit ihm. Aber ich brauche Mutters Hilfe, und dafür bin ich ihr eine Antwort schuldig.
„Gestern Nachmittag war ich mit Mike, meinem Nachbarn, am Palast. Hanno war bei seinen Großeltern. Ulrichs Eltern.“
„Haben sie etwas von ihrem Herrn Sohn gehört?“, fragt Thomas.
Ich schüttle den Kopf. „Nein. Nichts.“
„Wundert mich gar nicht. Ich sag dir, dein Künstler hat sich verpisst. Hat euch sitzen lassen. Ist schön über Prag in den goldenen Westen geschwebt. Die werden da sicher keinen Freudentanz aufführen. Noch so ein Spinner für ihre Arbeitslosenstatistik.“
„Halt doch deinen Mund! Was weißt du schon?“
„Hört auf! Sofort! Alle beide! An diesem Tisch wird heute nicht mehr über Waffen oder Hannos Vater gesprochen.“ Mutters Worte zeigen Wirkung, Thomas schweigt. Er widmet sich jetzt ganz dem Fisch. Schaut weder sie noch mich an.
„Kommt Ulrich denn nicht zurück?“, fragt Daniel.
„Das gilt auch für dich!“ Dass sie ihr Nesthäkchen in einem solch scharfen Ton angeht, habe ich noch nie erlebt. Normalerweise tropft purer Honig aus ihrer Stimme. Altersmilde, denn uns Zwillinge hat sie früher ständig angebellt. Mutter atmet durch. „Erzähl weiter.“
„Wir standen auf dem Marx-Engels-Forum, dem Palast der Republik gegenüber. Darin die Könige des Sozialismus beim Abendessen. Zwischen uns und denen die Spree. Das Gebiet abgesperrt, die Brücken zugestellt. Ein unglaubliches Aufgebot an Polizei und Stasi und LKWs und Einsatzfahrzeugen. Man hätte denken können, unsere Gruppe wäre der komplette Westen, bereit, Erichs Lampenladen zu stürmen.
„Und da hat mein Schwesterchen wieder nicht den Mund halten können, und hat eins auf den Deckel bekommen.“ Thomas grient.
„Nein. Nicht da.“
Wir schweigen. Auch Thomas. Wahrscheinlich dachte er tatsächlich, er hätte einen Witz gemacht.
„Sie haben uns abgedrängt, Richtung Liebknechtstraße. Wer nicht freiwillig ging, wurde weggeschleppt. Direkt auf die LKWs. Aber die meisten sind einfach ganz ruhig gegangen. Immer weiter. Passanten und Fenstergucker schlossen sich dem Zug an. Es blieb friedlich. Liebknechtstraße, Prenzlauer Allee, Dimitroffstraße. Je weiter wir gingen, je mehr Menschen wurden es. Auch mehr Staatsmacht und FDJ. Auf einmal schlugen sie los. Von allen Seiten. Mit Gummiknüppeln. Viele sind in die Seitenstraßen geflüchtet, liefen in Richtung Stargarder Straße, weiter zur Gethsemanekirche. Wir auch. Sie kamen von überall, selbst aus den Hausaufgängen. Mike hob sofort die Hände, trotzdem haben sie ihn festgenommen. Mich haben sie an die Hauswand geschubst, als ich ihnen im Weg stand. Versteht ihr? Mike hat nichts gemacht. Und trotzdem hat man ihn verhaftet. Wahrscheinlich erschien er ihnen subversiv genug, wegen seiner langen Haare oder, weil er auf seiner Jeansjacke groß UDO L. stand. Vielleicht gefiel einfach jemandem seine Brille nicht. Er ist noch nicht zurück.“
Mutter schlug eine Hand vor den Mund. „Er hat doch Kinder?“
„Ja. Drei.“
Sie schüttelt den Kopf, kann gar nicht aufhören damit.
„Was ist subversiv?“, fragt Daniel.
„Das sind die Freunde deiner Schwester, wegen denen sie sich noch eine Menge Ärger einhandeln wird“, erklärt ihm Thomas.
„Glaube nicht jeden Mist, den dein Bruder dir erzählt.“ Zur Bekräftigung meiner Glaubwürdigkeit schenke ich ihm meinen restlichen Aal.
„Wo soll das alles noch hinführen?“ Mutter ist klein geworden auf ihrem Stuhl.
„Nirgendwohin. Wirst sehen. In ein paar Tagen ist der Spuk vorüber“, versucht Thomas sie zu beruhigen. Er steht auf und geht zum Kühlschrank, um sich ein Bier zu holen. Stellt es auf dem Tisch ab und geht weiter zum Badezimmer. „Ich muss mal.“
„Im Koffer sind Sachen für Hanno drin“, sage ich. Während ich seinen Namen ausspreche, fällt mir auf, wie still es seit Längerem unter dem Tisch ist. Mutter scheint den gleichen Gedanken zu haben, wir sehen beide nach. Hanno schläft. Sein Kopf liegt auf unseren Schuhen.
„Ich will, dass er heute Nacht bei dir bleibt.“
„Wieso?“
„Leute treffen sich an der Gethsemanekirche, um Kerzen für die Freilassung der Inhaftierten anzuzünden. Ich will dahin und ich weiß nicht, wie es ausgeht. Vielleicht sind heute schon Strasssteine subversiv genug.“

Thomas ist zurück. „War die Stasi wieder bei dir in der Bude?“
„Letzte Woche. Sie haben sich Kaffee gekocht, das übliche Chaos angerichtet, meine Schallplatten zerbrochen und mir einen Haufen ins Klo geschissen.“
„Du solltest da heute nicht hingehen. Wegen Hanno“, sagt Mutter.
„Ich will dahin. Ich muss.“
„Nein. Lass das die anderen machen. Du hast ein Kind zu versorgen. Seinen Vater hat Hanno schon verloren.“
Die Worte zwirbeln wie Hagelkörner und ich merke, wie mir wieder die Tränen kommen. Aber ich darf jetzt nicht weinen. Ich will Mutter nicht zeigen, dass sie eine Chance hätte. Auf jedem Wäschestück meines Sohnes im Koffer sind Tränen.
„Mama, bitte. Versuche es nicht. Denk doch an Mike und seine Kinder.“
„Doch, das werde ich sehr wohl tun. Als deine Mutter mache ich mir Sorgen. Und die solltest du dir auch machen.“
Ich möchte ihr den Mund verbieten. Möchte, dass sie aufhört. Aber ich kann nicht mit ihr streiten. Wenn ich Hanno bei ihr weiß, ist das meine einzige Chance, es überhaupt durchzustehen.
„Thomas hat für heute Abend Einsatzbefehl“, flüstert sie.
„Du hast was?“ Fassungslos starre ich meinen Bruder an, der bis eben seelenruhig unserem Gespräch zugehört hat. „Sag, dass das nicht wahr ist!“
„Deswegen bin ich hier. Ich wollte es Mama sagen. Man kann ja nie wissen. Nachher trifft mich so ein blöder Stein, den deine Kumpels werfen.“
„Moment! Nur damit ich das hier richtig verstehe. Thomas darf also gehen, aber ich nicht?“
„Er hat einen Befehl. Was soll er denn tun?“
„Denen seinen Mitgliedsausweis auf den Tisch werfen, wenn die von ihm verlangen, seine eigene Schwester, seine Kollegen, seine Freunde zu verraten. Wir sind keine Betriebe. Er soll Volkseigentum schützen. Nicht das Volk lynchen.“
„Und du und deine Freunde, ihr seid also das Volk?“, fragt Thomas.
„Natürlich sind wir das!“
„Ihr seid also alle in diesem Land? Und ihr bringt es nicht gerade in Schwierigkeiten?“
„Dieser Staat fault doch. Es stinkt bis ins letzte Rattenloch. Fälschung der Wahlergebnisse, die Schönrederei, all die absurden Verhaftungen in den letzten Wochen. Leipzig, Dresden. Hast du überhaupt eine Ahnung, was da losgeht? Aber keine Zeile in unseren Zeitungen, kein Ton in den Nachrichten. Da propagieren sie Friede und Eierkuchen.“
„Auf der Straße: Gorbi, Gorbi rufen, ändert auch nichts daran. Ich sage ja nicht, dass alles gut ist, aber das ist nicht der richtige Weg. Gegeneinander. Das ist Verrat an der Idee des Sozialismus.“
Ich gebe es auf. Mit Thomas über Politik zu reden, ist, als würde ein Hund versuchen, sich mit einem Huhn zu unterhalten. Er macht mich wütend, aber es bestärkt mich in meinem Entschluss.
„Ich werde hingehen. Seid ihr bewaffnet?“
„Gummiknüppel.“
„Und du wirst mich damit verdreschen? Deine eigene Schwester?“
„Du musst nicht hingehen.“
„Nein! Nein! Nein!“ Mutter ist aufgesprungen. Früher wart ihr wie zusammengeschweißt. Habt ihr denn völlig den Verstand verloren?“
Sie sinkt zurück auf ihren Stuhl. Ihr Körper zittert. Ihre Hände bedecken das Gesicht. Ich lege meine Hand auf ihren Arm, aber sie wischt sie fort.
„Wird Thomas Sofia wehtun?“, fragt Daniel.
„Nein. Das wird er nicht tun“, sagt Mama und schaut Thomas an, bis er unter ihrem Blick nickt.
„Und wird einer von Sofias Freunden Thomas wehtun?“
„Vielleicht.“
„Und darf Thomas dem dann auch wehtun?“
„Ich weiß es nicht. Frag doch nicht solche Fragen“, sagt Mutter.
Eine Weile sagt niemand etwas. Ich schaue noch einmal nach Hanno. Er schläft. Ich denke an den Koffer und am liebsten würde ich zu ihm unter den Tisch krabbeln, mich neben ihn legen und ihn ganz dicht bei mir halten. Aber ich darf nicht, wenn ich erst seinen Geruch in der Nase habe, werde ich ihn nicht mehr loslassen können. Ich muss gehen, so schnell wie möglich hier raus. Ich schließe kurz die Augen und konzentriere mich auf Thomas. Wir sitzen uns gegenüber und aus unseren Blicken ist die Wut gewichen. Es sieht eher so aus, als hätte Thomas Angst. Angst vor der Ungewissheit. Die habe ich auch.
„Wird es Krieg geben?“, fragt Daniel.
Schockiert starren wir ihn an. Alle drei. Und wie aus einem Mund sagen wir: „Nein.“


Im Oktober 1989 wurden 3500 Angehörige der Kampfgruppe direkt zum Einsatz gebracht, zusätzliche 7100 Mitglieder in Bereitschaft versetzt.
188 Mitglieder erklärten ihren Austritt, 146 verweigerten den Einsatzbefehl.
Am Abend des 8.10.1989 kam es zu weiteren Verhaftungen von über 1000 Männern, Frauen und Minderjährigen.

 

Hallo dot,

Ich hab den Text total gerne gelesen, kenne das Original nicht (sorry Schwups, hol das aber auf jeden Fall nach) und liess mich von deiner Erzählkraft anstecken.

Ach, davon kauf ich noch ein Kilo. Recht vielen Dank.

Kleinkram: Der Vergleich hinkt, deshalb hat es mich da wohl kurz rausgehauen. Ich finde Sofias Rethorik bis dahin so stark, da würde ich ihr hier einen besseren Vergleich zutrauen.

Inzwischen bin ich mir ziemlich sicher, den Text noch mal anzufassen. Der Vergleich kam schon mal schlecht weg, der fliegt bei der Gelegenheit dann raus.

Hat mich gefreut. Lieben Dank für deine Zeilen.
Frühlingshafte Grüße, Fliege

 
Zuletzt bearbeitet:

Liebe Fliege,

ich habe das Original jetzt aktuell nicht noch einmal gelesen, das mache ich erst nach dieser Kritik.

Ich habe mich gefragt, ob es in solchen früheren DDR-Familien überhaupt möglich war, was wir in deiner Geschichte gelesen haben. Also möglich insofern, dass dann Bruder und Schwester an einem Tisch und über ihre verschiedenen Positionen streiten konnten.

Müsste die Schwester nicht zuviel Angst haben, dass sie von ihrem Bruder bespitzelt und als Quertreiber gemeldet werden wird? Bei meinen zweimaligen mehrtägigen Besuchen in der damals bestehenden DDR habe ich immer wieder erfahren, dass die Leute keinem, aber auch keinem richtig trauen (außer dem Ehepartner) - man weiß ja nie, wer ein Spitzel sein könnte. Vielleicht kann zu dieser Frage jemand, der in Ostdeutschland zu DDR-Zeiten gelebt hat, mehr sagen.

Blende ich diesen Aspekt einmal aus, finde ich die Geschichte gut in die Handlung eingebaut.

Ich bin mir jedoch nicht sicher, ob du mit dem wahnsinnsschweren Koffer auch andeuten willst, dass Sofia damit rechnet, evtl. auch länger weg zu sein. Denn was braucht ein Junge normalerweise zum Übernachten? Das passt in eine Stofftasche. Ist sie somit auch nicht ehrlich zur Mutter?

Der Koffer wiegt gefühlt, als hätte ich einen Grabstein durch die Stadt getragen.
Die Satzstellung finde ich komisch und inhaltlich auch etwas übertrieben.


Sofort verlangt der stolze Onkel nach seinem Neffen. Ich gebe ihm Hanno, froh, wenigstens ein Gewicht los zu sein.
Das liest sich, als würde sie den Koffer in der Hand halten, während sie Daniel Hanno hinstreckt, damit er ihn abnimmt. Das macht sie aber garantiert nicht. Sie wird den Koffer absetzen, Hanno aus dem Arm mit einer Hand an der Seite fassen und dann die zweite Hand in die andere Seite nehmen und danach das Kind Daniel übergeben. Das sollst du natürlich nicht so umständlich schreiben, aber dieser Film geht bei mir im Kopf ab, deswegen passt das mit den zwei Gewichten nicht.

Als sie nah genug bei mir ist, bemerkt sie die Schramme und die Beule in meinem Gesicht.
oder: bemerkt sie das verschrammte Gesicht und die Beule an der Stirn.
Ich finde das wichtig, dass man die Beule (Schlag) an die Stirn verortet, Beulen mitten im Gesicht haben eine Wucherung zur Ursache.


Ich lege meine Arme um ihre Schultern, flüstere: „Ich haue nicht ab. Versprochen.“
Das kann der Leser in dieser Situation überhaupt nicht verstehen.

„Dein Zwilling ist auch da.“
Ich bin mit Zwillingen aufgewachsen. Ich hätte aber nie von jemandem gehört, dass man in dieser Bezeichnung vom anderen spricht. Da versuchst du als Autor ungeschickt Informationen weiterzugeben.

Es ist die Zeitung von heute. Bilder vom gestrigen 40. Jahrestag der Republik auf der Titelseite. Honecker, wie er die Faust nach oben streckt. Gorbatschow, der neben ihm winkt. Vor ihnen die Militärparade. Alles glänzend im Fischfett.
Hier wird die Info für den Leser hervorragend im wahrsten Sinne des Wortes verpackt.

Sie teilt den Aal in vier gleichgroße Teile und legt auf jeden Teller eines.
in vier gleich große Stücke (somit gibt es keine WW)

Hanno spielt mit unseren Hausschlappen unter dem Tisch.
Sofia wohnt nicht mehr daheim, hat aber gleich Hausschlappen bereit?

Hanno war bei seinen Großeltern. Ulrichs Eltern.“

Wenn Sofia mit ihrer Mutter spricht und von Hannos Großeltern redet, ist doch klar, dass sie Ulrichs Eltern meint. So kannst du das nicht lassen. Wieso denn nicht:
Hanno war bei Ulrichs Eltern.
Aus den nachfolgenden Zeilen wird ja klar, wer Ulrich ist.

„Hört auf! Sofort! Alle beide! An diesem Tisch wird heute nicht mehr über Waffen oder Hannos Vater gesprochen.“

Hannos Vater? Ist das bewusst so formuliert? Hat die Mutter von Sofia so einen Hass auf Ulrich, dass sie ihn nicht beim Namen nennt?

Normalerweise tropft purer Honig aus ihrer Stimme. Altersmilde, denn uns Zwillinge hat sie früher ständig angebellt. Mutter atmet durch. „Erzähl weiter.“

Jemand hat das mit dem Honig schon moniert. Ich finde das auch übertrieben.

„Wir standen auf dem Marx-Engels-Forum, dem Palast der Republik gegenüber. Darin die Könige des Sozialismus beim Abendessen. Zwischen uns und denen die Spree. Das Gebiet abgesperrt, die Brücken zugestellt. Ein unglaubliches Aufgebot an Polizei und Stasi und LKWs und Einsatzfahrzeugen. Man hätte denken können, unsere Gruppe wäre der komplette Westen, bereit, Erichs Lampenladen zu stürmen.

Das als nicht authentische wörtliche Rede ist mir auch sofort aufgefallen.


„Glaube nicht jeden Mist, den dein Bruder dir erzählt.“ Zur Bekräftigung meiner Glaubwürdigkeit schenke ich ihm meinen restlichen Aal.
Die logische Konsequenz, dass man glaubwürdiger wird, wenn man jemandem etwas schenkt, erschließt sich mir nicht ganz :D - im Gegenteil, mit der Aussage, Daniel soll nicht alles glauben, was Thomas erzählt, wird dieses Geschenk in meinen Augen konterkariert.

Vielleicht sind heute schon Strasssteine subversiv genug.
nur schon, weil Strasssteine optisch ein furchtbares Wort ist, würde ich es nicht benutzen ;)

Thomas ist zurück. „War die Stasi wieder bei dir in der Bude?“
„Letzte Woche. Sie haben sich Kaffee gekocht, das übliche Chaos angerichtet, meine Schallplatten zerbrochen und mir einen Haufen ins Klo geschissen.“
„Du solltest da heute nicht hingehen. Wegen Hanno“, sagt Mutter.
Mutters Einwurf kommt unpassend, weil direkt davor von der Wohnung gesprochen wird. Da dachte ich erst, sie meint ihre Wohnung und nicht diese Demo.

Da die Geschichte viel Zeitkolorit hat, möchte ich noch anmerken, dass für mich Sofia alles andere als ein für damalige Zeiten gebräuchlicher Name war. Zu einem Thomas gehört für mich als Zwillingsschwester eine Tanja, Sabine, Manuela, Brigitte oder Karin.

Ich lese deine Geschichten grundsätzlich gerne, Fliege, weil du, egal welches Thema dran ist, für mich eine sehr ansprechende Art zu erzählen hast. Du schaffst es immer wieder, deinen Protagonisten Leben und Individualität einzuhauchen.

Bei diesem Plot hier ist noch nicht alles wirklich gut gelöst, mir war auch dieses Konträre der Zwillingsgeschwister etwas zu plakativ. Toll hätte ich gefunden, wenn Thomas zwar nach außen hin immer noch den Sozialismus verteidigt, aber in ein paar Sätzen doch leise Zweifel aufkommen lässt. Aber das Thema ist auch schwierig, deswegen ist das hier Jammern auf hohem Niveau.

Liebe Grüße
bernadette

 

Liebe bernadette,

und vielen Dank für Deinen Besuch!

Ich habe mich gefragt, ob es in solchen früheren DDR-Familien überhaupt möglich war, was wir in deiner Geschichte gelesen haben. Also möglich insofern, dass dann Bruder und Schwester an einem Tisch und über ihre verschiedenen Positionen streiten konnten.

Wenn sie zu den Demos gegangen ist, der Vater ihres Sohnes über Prag abgehauen ist, dann war sie eh bekannt. Was soll der Bruder da noch verpfeiffen können. Und Ende der 80ziger war so einiges mehr möglich. Insofern, ja, es war Alltag.

Ich bin mir jedoch nicht sicher, ob du mit dem wahnsinnsschweren Koffer auch andeuten willst, dass Sofia damit rechnet, evtl. auch länger weg zu sein. Denn was braucht ein Junge normalerweise zum Übernachten? Das passt in eine Stofftasche. Ist sie somit auch nicht ehrlich zur Mutter?

Ja, sie rechnet damit länger wegzubleiben. Nicht, weil sie abhauen will, sondern weil die Leute da in Mengen verhaftet wurden (siehe Sofias Nachbar). Das Kinder in diesen Tagen zu Verwandten gebracht wurden, weil man nicht wusste, ob man sie am nächsten Tag abholen können wird, war ebenfalls Alltag.

Ich finde das wichtig, dass man die Beule (Schlag) an die Stirn verortet, Beulen mitten im Gesicht haben eine Wucherung zur Ursache.

Daran habe ich überhaupt noch nicht gedacht, weil ich dachte, durch das blaue Auge erklärt sich die Beule auch.

Das kann der Leser in dieser Situation überhaupt nicht verstehen.

Verstehe ich. Sollte sich für den Leser aber im weiteren Verlauf aufklären. Mal schauen, kann man das durch einen Halbsatz ja leicht entschärfen.

Ich bin mit Zwillingen aufgewachsen. Ich hätte aber nie von jemandem gehört, dass man in dieser Bezeichnung vom anderen spricht. Da versuchst du als Autor ungeschickt Informationen weiterzugeben.

Aber die Mutter sagt das. Und Mütter reden schon über ihre Zwillinge, oder? Geschickt ist das allerdings nicht, gebe ich zu. Auch, wenn es die Mutter sagt.

Sofia wohnt nicht mehr daheim, hat aber gleich Hausschlappen bereit?

Hm ... bei mir gibt es Besucherlatschen für die, die welche wollen. Und so unüblich sind die jetzt nicht.

Wenn Sofia mit ihrer Mutter spricht und von Hannos Großeltern redet, ist doch klar, dass sie Ulrichs Eltern meint. So kannst du das nicht lassen. Wieso denn nicht:
Hanno war bei Ulrichs Eltern.
Aus den nachfolgenden Zeilen wird ja klar, wer Ulrich ist.

Ja, stimmt. Aber da ich so ein Figurendumping am Anfang hab, dachte ich, vielleicht ist besser ... vielleicht ist meine Überfürsorge aber auch gar nicht gut :).

Hannos Vater? Ist das bewusst so formuliert? Hat die Mutter von Sofia so einen Hass auf Ulrich, dass sie ihn nicht beim Namen nennt?

Ja.

Das als nicht authentische wörtliche Rede ist mir auch sofort aufgefallen.

Mir inzwischen auch :). Steht schon auf der Liste. Aber im Augenblick fehlt mir einfach die Zeit.

Mutters Einwurf kommt unpassend, weil direkt davor von der Wohnung gesprochen wird. Da dachte ich erst, sie meint ihre Wohnung und nicht diese Demo.

Oh. Nicht gut.

Da die Geschichte viel Zeitkolorit hat, möchte ich noch anmerken, dass für mich Sofia alles andere als ein für damalige Zeiten gebräuchlicher Name war.

Die Namen habe ich 1:1 aus dem Original übernommen. Aber stimmt. Den selben Gedanken hatte ich auch, mich dann aber doch dafür entschieden.

Bei diesem Plot hier ist noch nicht alles wirklich gut gelöst, ...

Ich weiß.

Toll hätte ich gefunden, wenn Thomas zwar nach außen hin immer noch den Sozialismus verteidigt, aber in ein paar Sätzen doch leise Zweifel aufkommen lässt.

In diesem Punkt habe ich mich bereits anders entschieden. Wenn ich drübergehe, wird Thomas noch mehr zum Verfechter des Sozialismus. Es gab ja die Menschen, die dran glaubten und ob das jetzt plakativ ist oder nicht, es war auch Realität. Und genau das war es, was die Stimmung so hochgebracht hat. Die einen gegen die anderen.

Ich Danke Dir sehr für den sehr ausführlichen Kommentar und all deine Bedenken und Anmerkungen.
Liebe Grüße, Fliege

 
Zuletzt bearbeitet:

Ist eigentlich ziemlich unfair, Fliege, dass ich ausgerechnet dir, obwohl du ja als erste gepostet hast, noch nichts zu deinem Text gesagt habe, aber allen anderen dieser Copywrite-Runde schon. (Also abgesehen von diesen zwei Schlafmützen, für die Deadline offenbar nur so eine Art Umschreibung für na ja, irgendwann halt darstellt, aber egal, und nein, ich werde jetzt eh keine Namen nennen.)
Gelesen habe ich die Geschichte ja schon vor Wochen, als sie quasi noch druckfrisch war. Aber da hatte ich halt noch den Mühlstein meiner eigenen Copywrite-Verpflichtung um den Hals, na ja, und anschließend dann diese leidige Sache mit dem Drehbuch, du weißt schon, usw. bla bla …

Wie auch immer, spät aber doch bin ich jetzt da, und hab natürlich auch den Vorteil, dass in den vielen Komms schon sehr viel Kluges und Konstruktives gesagt worden ist, was ich mir jetzt sparen kann. (Vor allem der stellenweise nicht wirklich gelungene Spagat zwischen notwendiger Info-Vermittlung und Authentizität in den Gesprächen ist ja schon mehrfach angesprochen worden. Das wirst du vermutlich eh verbessern, auch ohne dass ich es dir jetzt noch mal extra sage.)
Also wirklich Kritisches wirst du von mir jetzt nicht zu hören bekommen, umso weniger, weil ich die Geschichte heute nur noch quasi überflogen habe, ich erzähle dir also von meinen Eindrücken von vor … pff, ja, fünf Wochen.
(Vorausschicken will ich noch, dass ich die Vorlage von Schwups nicht kannte, ich also vollkommen ahnungslos an deine Version herangegangen bin.)

Auf dem rechten Arm halte ich Hanno, in der linken Hand den Koffer. So stehe ich vor der Wohnung meiner Mutter.

Mutter kommt. Sie trocknet sich die Hände mit einem Küchenhandtuch.

Mutter deckt den Tisch fürs Abendbrot.

Also das war eigenartig. Nach dem ersten Absatz konnte ich natürlich noch nicht wissen, wer da wo warum wann zu wem kommt, aber trotzdem hatte ich da eine Vermutung, nein, eigentlich eher so ein vages Gefühl. Die Szene spiele in den Nachkriegsjahren, dachte ich, irgendwann in den Fünfzigern oder noch früher, keine Ahnung, wie ich darauf kam, möglicherweise war’s ja auch der Tag Historik, aber daneben sicher auch die paar Sätze, die ich oben zitiere. Die haben so was Heinrich Böll-mäßiges, find ich.
Es mag Zufall und von dir vermutlich nicht beabsichtigt sein, aber dieses Bild einer Frau mit Kind auf dem Arm und Koffer in der Hand, die bei der eigenen Mutter Zuflucht sucht, also ich weiß nicht, das hatte für mich so was eigentümlich Trauriges, Düsteres, ließ mich an alte Schwarzweißfotografien von Heimatlosen denken, ja, als irgendwie düster und bedrohlich empfand ich diese Szene gleich zu Beginn. Verrückt, ich weiß, aber diese Stimmung, diese Atmosphäre die blieb mir, die bekam ich für den Rest der Geschichte nicht mehr aus dem Kopf raus. Und mit düster meine ich nicht lichtlos, sondern vielmehr farblos, also unbunt. Wenn ich jetzt von Farbeindrücken spreche, meine ich damit nicht die Bilder des Films, der im besten Fall beim Lesen einer Geschichte in meinem Kopf abläuft, sondern, äh … so eine Art von Hintergrundkolorierung, die sich in meinem Hirn ausbreitete …ach verdammt, ich kann das echt nicht beschreiben. Und nein, ich brauch keinen Arzt.
Aber egal, sehr schnell (und überaus geschickt) stellst du die zeitlichen und örtlichen Bezüge her, und ich wusste wo ich mich befinde:

„Der Fritz hat mir einen Räucheraal besorgt. Ganz frisch.“ Stolz wickelt sie den Fisch aus der Zeitung und hält ihn hoch. Es ist die Zeitung von heute. Bilder vom gestrigen 40. Jahrestag der Republik auf der Titelseite. Honecker, wie er die Faust nach oben streckt. Gorbatschow, der neben ihm winkt. Vor ihnen die Militärparade. Alles glänzend im Fischfett.
Was allerdings nichts mehr an meinem Grundgefühl (dem Dings in meinem Kopf) ändern konnte. Und irgendwie passte das dann eh wieder, auch wenn ich im Kopf den Sprung ins Jahr 1989 bis zum Ende der Geschichte nicht mehr wirklich schaffte. Allerdings muss ich dazu noch sagen, dass ich ein vollkommen absurdes, unzeitgemäßes Bild der ehemaligen DDR in mir trage, und das wird sich wohl auch mein Leben lang nicht mehr ändern lassen. Als Kind war ich in den 1960ern einige Male mit meinem Vater in dessen ehemaliger Heimat im heutigen Tschechien, und für immer werde ich mit dem Begriff „Ostblock“ meine damaligen Eindrücke assoziieren. Also das war halt irgendwie, na ja, schon ziemlich anders als alles, was ich von zu Hause kannte, und, scheiß an, Wien war in den 1960ern beileibe keine bunte, lebendige Stadt. Meine Güte, ich darf gar nicht daran denken.
Jessas, ich schweife ab ... also was ich sagen will, Fliege, ich hab die Geschichte ja nur gelesen, aber du warst es, die sie geschrieben hat, also bist zu einem Gutteil du verantwortlich dafür, was die Geschichte in mir auszulösen imstande war. Und das waren halt in erster Linie nicht analytische Gedanken eines seriösen Rezensenten, sondern eben vorwiegend Gefühle, Bilder, Erinnerungen. Erinnerungen an Konflikte in meiner eigenen Familie, an politische Kontroversen mit meinem Vater, dieser ganze Kram halt, darüber hinaus Grübeleien über das eigene Geschichtsverständnis, über gescheiterte politische Visionen, über die Nichtumsetzbarkeit von Utopien, ja überhaupt über diese ganzen Absurditäten menschlichen Zusammenlebens, und, na ja den ganzen Rest halt.

Vier Personen um einen Tisch. Mehr braucht‘s offenbar nicht, um daraus eine wirklich eindringliche, gute Geschichte zu machen.
Eine Geschichte zum Nachdenken und Mitfühlen, also ein Leseerlebnis im besten Sinn. Was will ich mehr?

Ja, Fliege, ich weiß, eine ernsthafte Textkritik schaut anders aus, aber ich wollte dir jetzt einfach sagen, dass ich die Geschichte richtig gut fand. Und, na ja, auf eine gewisse Weise ist ja eh alles, was ich sage, ernsthaft.

offshore

 

Lieber ernst,

und Verzeih auch meine Verspätung. Ich werde jetzt aber nicht noch mal anfangen rumheulen, wie ... alles grad bei mir ist. Und immer wenn man denkt, Sonne in Sicht, schiebt sich die nächste Wolke ins Sichtfeld.

Aber da hatte ich halt noch den Mühlstein meiner eigenen Copywrite-Verpflichtung um den Hals, na ja, und anschließend dann diese leidige Sache mit dem Drehbuch, du weißt schon, usw. bla bla …

Ja. ich weiß schon.

(Vor allem der stellenweise nicht wirklich gelungene Spagat zwischen notwendiger Info-Vermittlung und Authentizität in den Gesprächen ist ja schon mehrfach angesprochen worden. Das wirst du vermutlich eh verbessern, auch ohne dass ich es dir jetzt noch mal extra sage.)

Ich hatte das sogar schon auf dem Tagesplan, bis eben ... also ja, ich geh da ran. Wenn die Wolken und so.

Die Szene spiele in den Nachkriegsjahren, dachte ich, irgendwann in den Fünfzigern oder noch früher, keine Ahnung, wie ich darauf kam, möglicherweise war’s ja auch der Tag Historik, aber daneben sicher auch die paar Sätze, die ich oben zitiere. Die haben so was Heinrich Böll-mäßiges, find ich.

Oh, ha. Das ist interessant. Und wäre irgendwie nicht gut, wenn das bei mehreren Lesern der Fall ist. Aber Du bist der Erste, der sich in diese Richtung äußert.

U

nd mit düster meine ich nicht lichtlos, sondern vielmehr farblos, also unbunt. Wenn ich jetzt von Farbeindrücken spreche, meine ich damit nicht die Bilder des Films, der im besten Fall beim Lesen einer Geschichte in meinem Kopf abläuft, sondern, äh … so eine Art von Hintergrundkolorierung, die sich in meinem Hirn ausbreitete …ach verdammt, ich kann das echt nicht beschreiben.

Ich glaube aber zu verstehen, worauf Du hinaus willst.

Allerdings muss ich dazu noch sagen, dass ich ein vollkommen absurdes, unzeitgemäßes Bild der ehemaligen DDR in mir trage, und das wird sich wohl auch mein Leben lang nicht mehr ändern lassen. Als Kind war ich in den 1960ern einige Male mit meinem Vater in dessen ehemaliger Heimat im heutigen Tschechien, ...

Ja, so Bilder können schon prägen. Tschechien in den 60ern ist sicher nicht vergleichbar mit Berlin (und ich sage hier ausdrücklich Berlin) Ende der 80er. Aber ich erschrecke selbst, wenn ich so youtube Flimchen oder Reportagen sehe, wie grau doch alles war und trostlos wirkt. Man hat das selbst gar nicht so empfunden damals.

... also bist zu einem Gutteil du verantwortlich dafür, was die Geschichte in mir auszulösen imstande war. Und das waren halt in erster Linie nicht analytische Gedanken eines seriösen Rezensenten, sondern eben vorwiegend Gefühle, Bilder, Erinnerungen. Erinnerungen an Konflikte in meiner eigenen Familie, an politische Kontroversen mit meinem Vater, dieser ganze Kram halt, darüber hinaus Grübeleien über das eigene Geschichtsverständnis, über gescheiterte politische Visionen, über die Nichtumsetzbarkeit von Utopien, ja überhaupt über diese ganzen Absurditäten menschlichen Zusammenlebens, und, na ja den ganzen Rest halt.

Wow. Da bin ich aber von mir selbst ein bisschen beeindruckt, sag ich jetzt mal ganz unbescheiden.

Ja, Fliege, ich weiß, eine ernsthafte Textkritik schaut anders aus, aber ich wollte dir jetzt einfach sagen, dass ich die Geschichte richtig gut fand.

Das freut mich ungemein.

Ich bedanke mich sehr für diesen, deinen Eindruck.
Liebe Grüße, Fliege

 

Hey Fliege,

ich arbeite jetzt Stück für Stück meine Versäumnisse auf.
Das ist echt lustig, eine Kopie einer Kopie. Und ich hatte die Vorgänger schon gelesen. Was alle Texte gemein haben, ist, dass sie ihren Gegenstand sehr diskursiv, eher in Gesprächen als in Handlungen aufarbeiten. Das hatte ich glaub ich bei den Vorgängern auch schon mal kritisiert, dass mir das zu viel war. Bei Dir klappt es m.E. etwas besser, weil der Text kürzer ist. Ich hab auch drüber nachgedacht, ob ich das grundsätzlich gut finde, so reine Dialoggeschichten, aber dann dachte ich, warum nicht auch mal so ein Kammerspiel. Reizvoll ist das als Form auf jeden Fall. Und so einen politischen Riss in eine Familie, zwischen einem Zwillingspaar zu verorten, ist tatsächlich sehr produktiv.
Was mir sehr gut gefallen hat, war Sofias Unsicherheit. Also der Konflikt zwischen mütterlicher Fürsorge und politischer Überzeugung. Das ist ja echt ein spannendes Thema. Als Einzelmensch kann man sich Mut ganz gut leisten, aber sobald da andere Menschen dranhängen wird das Ganze echt kompliziert. Ich finde auch, dass Du die Zeit sehr gut einbindest. Das mit der Aalzeitung halte ich für nahezu genial, auch weil da dieses schön subversive Bild bei rumkommt:

Vor ihnen die Militärparade. Alles glänzend im Fischfett.

Kritik hab ich aber natürlich auch. Das meiste wurde schon gesagt, aber Du hast es glaube ich, noch nicht überarbeitet. Ich weiß nicht, wie sehr dieser Text Dir noch aktuell sind. Mit manchen ist man nach dem Schreiben ja auch einfach durch und das finde ich auch völlig in Ordnung.

Also, here it goes again:

Der Koffer wiegt gefühlt, als hätte ich einen Grabstein durch die Stadt getragen.
Find ich sehr umständlich. Auch dieses "gefühlt" ist so eine moderne Phrase, die ich mittlerweile nicht mehr hören mag. Und frag mich auch, ob das nicht ein Anachronismus ist. Zudem schwächt es das Bild, das ich vom Inhalt sehr gut finde, total.
Mein Vorschlag wäre schlicht: "Der Koffer ist schwer wie ein Grabstein."

„Dein Zwilling ist auch da.“
„War bestimmt ein toller Tag für euch beide“, sage ich in Richtung meines Zwillings.
Hanno war bei seinen Großeltern. Ulrichs Eltern.“
Jo, wurde auch schon erklärt, aber die Verwandschaftsbezeichnungen sind tatsächlich etwas unnatürlich zum Leser hin gesprochen.
Vielleicht kann man auch etwas früher deutlich machen, wie jung Daniel ist. Ich dachte erst, er wär so 18 und hab mich dann gewundert, warum der so naiv ist.

Sie teilt den Aal in vier gleichgroße Teile
Stücke - sonst WW

Darin die Könige des Sozialismus beim Abendessen.
Und der ganze Abschnitt wörtlicher Rede war mir auch ziemlich schriftsprachlich. Das liegt schon am Präteritum, das in wörtlicher Rede eigentlich niemand verwendet.

Vielleicht sind heute schon Strasssteine subversiv genug.
Das hab ich einfach inhaltlich nicht verstanden.

Und was auch schon gesagt wurde ist, dass die Auseinandersetzung relativ ungleich gewichtet ist. Es ist so völlig klar, wer hier recht hat und wer doof ist. Ich hätte mir da schon gewünscht, dass Thomas etwas intelligenter argumentiert, damit man den Konflikt zwischen beiden Positionen auch irgendwie im eigenen Herzen nachvollziehen kann.

Insgesamt war es aber wirklich sehr angenehm zu lesen und leistet auf dem knappen Raum auch, was es sich vornimmt.

lg,

fiz

 

Hallo Fliege!

Deine Geschichte hat gegenüber dem Original den Nachteil, dass der Rahmen nicht so "schwer" ist: Dort Tod, Weltkrieg und Naziregime, hier "nur" das DDR-Regime, Schlägereien und vielleicht drohendes Gefängnis. Das DDR-Regime war vielleicht auch ein Unrechts-Regime, aber nicht so unheilvoll wie das Dritte Reich. Daher wirkt die Wut und die Entschlossenheit bei Schwups weiblicher Protagonistin viel eindringlicher, berührt mehr, ist verständlicher, obwohl der Konflikt zwischen den politischen Fronten dort ja schon entschieden ist. Und der Rahmen ist bei Schwups auch größer, während es bei dir ein familiäres Kammerspiel ist. Bei Schwups wird auch auf die politischen Inhalte eingegangen, die sich gegenüberstehen, während bei dir der Schwerpunkt des Konfliktes eher auf der Frage liegt: Was ist mir wichtiger, meine politische Überzeugung oder meine Familie? Denn sowohl Sophie als auch Thomas müssen sich dieser Frage stellen, beide wollen sich für die Politik entscheiden (ob sie es wirklich tun, erfährt man ja nicht mehr), beide sind aber verunsichert.
Ich tu mir, ehrlich gesagt, schwer mit der Geschichte. Indem du an die Stelle des NS-Regimes die DDR-Regierung setzt, werden beide auf eine gleiche Ebene gestellt. Abgesehen davon, dass eine der Grundsäulen der DDR die vehemente Ablehnung des Nationalsozialismus war, ist die faschistische Ideologie schon vom Kern her schlecht, während der Kommunismus eher in seinen realpolitischen Hervorbringungen ungute Richtungen nahm. Eine faschistoide Ideologie abzulehnen ist meiner Ansicht nach deshalb von existentieller Bedeutung; da keine Rücksichten auf familiäre Bindungen zu nehmen, erscheint mir nachvollziehbarer als bei einem Staat wie der DDR, bei allem Unrecht, das dort auch passiert ist.
So läuft die Geschichte bei dir zwar ziemlich ähnlich wie in Schwups Geschichte ab, aber es wirkt alles verkleinert und abgeschwächt, nicht aber neu erarbeitet. Bei deiner Sophie kommt bei mir kein Mitleid auf, bei Schwups werd ich mit ihr wütend auf Thomas. Am Ende weiß man nicht, ob deine Zwillinge nicht nur zufällig am je anderen Ende der politischen Skala gelandet sind, ob sie nicht nur aus Unsicherheit über die Zukunft ihre jeweilige Überzeugung gewählt haben. Und in der Ablehnung und Angst vor einem Krieg sind sie sich einig, obwohl Thomas gerne Kampf spielt.
Ich hab mir echt lange Gedanken gemacht zu der Geschichte und was mich dran stört, kann gut sein, dass ich da völlig daneben liege. :)

Gruß
Andrea

 

Hey fiz,

und lieben Dank für deine Zeilen.

ich arbeite jetzt Stück für Stück meine Versäumnisse auf.

:)

Was mir sehr gut gefallen hat, war Sofias Unsicherheit. Also der Konflikt zwischen mütterlicher Fürsorge und politischer Überzeugung. Das ist ja echt ein spannendes Thema. Als Einzelmensch kann man sich Mut ganz gut leisten, aber sobald da andere Menschen dranhängen wird das Ganze echt kompliziert. Ich finde auch, dass Du die Zeit sehr gut einbindest.

Ich glaube auch, dass es ein sehr ergiebiges Thema ist. Ich denke auch, dass da noch viel mehr rauszuholen ist, je länger ich mir die Geschichte so anschaue. Vielleicht drücke ich mich deshalb auch so. Vielleicht will ich jetzt mehr, als nur die gekünstelten Dialoge glätten und deshalb schiebe ich das hübsch vor mir her, weil ich noch nicht so recht weiß, wie ich es anpacken will. Ab davon, hält mich auch gerade eine Menge davon ab, mich mit dieser Geschichte zu beschäftigen.

Find ich sehr umständlich. Auch dieses "gefühlt" ist so eine moderne Phrase, die ich mittlerweile nicht mehr hören mag. Und frag mich auch, ob das nicht ein Anachronismus ist. Zudem schwächt es das Bild, das ich vom Inhalt sehr gut finde, total.
Mein Vorschlag wäre schlicht: "Der Koffer ist schwer wie ein Grabstein."

Das kann ich ja ganz schnell ändern. Das werde ich mal tun.

Vielleicht kann man auch etwas früher deutlich machen, wie jung Daniel ist. Ich dachte erst, er wär so 18 und hab mich dann gewundert, warum der so naiv ist.

Das sollte auch kein Problem sein.

Und was auch schon gesagt wurde ist, dass die Auseinandersetzung relativ ungleich gewichtet ist. Es ist so völlig klar, wer hier recht hat und wer doof ist. Ich hätte mir da schon gewünscht, dass Thomas etwas intelligenter argumentiert, damit man den Konflikt zwischen beiden Positionen auch irgendwie im eigenen Herzen nachvollziehen kann.

Das ist auch so ein Punkt, der mir wirklich am Herzen liegt, also der ganz fett auf der Liste von - mach mal - steht. Also irgendwann ... so ganz still und heimlich, fasse ich die Geschichte sicher noch mal an. Im Augenblick stehen halt nur andere Dinge auf der Prioitätenliste.

Insgesamt war es aber wirklich sehr angenehm zu lesen und leistet auf dem knappen Raum auch, was es sich vornimmt.

Das ist schon mal gut.


Hey Andy,

auch Dir lieben Dank.

Deine Geschichte hat gegenüber dem Original den Nachteil, dass der Rahmen nicht so "schwer" ist: Dort Tod, Weltkrieg und Naziregime, hier "nur" das DDR-Regime, Schlägereien und vielleicht drohendes Gefängnis. ...
Bei Schwups wird auch auf die politischen Inhalte eingegangen, die sich gegenüberstehen, während bei dir der Schwerpunkt des Konfliktes eher auf der Frage liegt: Was ist mir wichtiger, meine politische Überzeugung oder meine Familie? Denn sowohl Sophie als auch Thomas müssen sich dieser Frage stellen, beide wollen sich für die Politik entscheiden (ob sie es wirklich tun, erfährt man ja nicht mehr), beide sind aber verunsichert.

Das ist alles richtig, was du sagst. Natürlich. Ich verstehe auch, dass das Original dadurch eine ganz eigene Intensität erhält, die schwerer auf den Magen schlägt und ich verstehe auch, dass man da als Leser anders mitgeht. Dennoch mag ich meine Idee, es auf ein Kammerstück zu reduzieren. Ich glaube auch, dass da noch Potential drin steckt und ich denke, das Mutterdrama, das hat schon auch seinen Reiz. Die Intention des Schwerpunkts verschiebt sich, klar. Aber die Freiheit nehme ich mir auch einfach. Für mich ist das spannend, es auszuprobieren und ich möchte gern die Geschichte auch so hinbekommen. Irgendwann halt.

Ich tu mir, ehrlich gesagt, schwer mit der Geschichte. Indem du an die Stelle des NS-Regimes die DDR-Regierung setzt, werden beide auf eine gleiche Ebene gestellt.

Nein. Das kannst Du nur sagen, weil Du die Vorlage im Kopf hast und vergleichst. Aber im Idealfall funktioniert die Geschichte eigenständig. Und ich setze auch nicht beide auf eine Ebene. Ich vergleiche da nichts, sag nicht, es ist genau wie vor 40 Jahren. Nur diese Unsicherheit, was wird morgen sein, wo entwickelt sich was hin - ich denke, diese Verunsicherung gab es zu beiden Zeiten.

Am Ende weiß man nicht, ob deine Zwillinge nicht nur zufällig am je anderen Ende der politischen Skala gelandet sind, ob sie nicht nur aus Unsicherheit über die Zukunft ihre jeweilige Überzeugung gewählt haben. Und in der Ablehnung und Angst vor einem Krieg sind sie sich einig, obwohl Thomas gerne Kampf spielt.

Das sind so Punkte, wo ich eben wirklich glaub, hier geht echt mehr. Da will ich halt auch ran.

Liebe fiz, Liebe Andy, es hat mich echt gefreut.
Liebe Grüße, Fliege

 

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