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Die Weihnachtssuppe

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22.10.2011
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Die Weihnachtssuppe

Die Weihnachtssuppe

Von Familien gibt es zwei Sorten. Fremde und die eigene. Der Huber Bartl mag nur fremde. Wegen der Töchter. Daheim aber sind Töchter Schwestern und erwerben dadurch einen schrecklichen Charakter. Automatisch. Und das färbt ab auf die ganze Familie.
Neulich jedoch, da hat der Bartl beim Friseur das Schnabelbacher Tagblatt gelesen, als Schutzwall gegen die Miri, weil die beim Haareschneiden ewig redet. Jedenfalls liest er da auf Seite 2, direkt neben der Werbung für Malzbonbons: Beste Zukunftsvorsorge - immer noch die eigene Familie. Da ist er arg ins Nachdenken gekommen. Stimmt, hat er sich schließlich gesagt und an seinen leeren Geldbeutel gedacht. Familie ist gut, allein schon auf dem Friedhof. Wie schaut denn das aus, wenn dein Name ganz allein auf dem Grabstein steht? Bartl Huber, darunter ein paar Kringel - und sonst nichts. Wenn aber der Vater und vor allem die Schwester, wenn die schon mal den Grabstein vorfüllen, geht’s gleich viel geselliger zu auf dem Marmorklotz. Und den eigenen Namen brauchts nachher gar nicht mehr, weil ja schon die andern für ein ausgewogenes Design sorgen. Und lohnender in der Anschaffung ist ein Familiengrabstein allemal, weil gutes Verhältnis von Name und Klotz. Oder Quadratmeter und Gebein. Da ist sich der Bartl noch nicht ganz sicher. Wie auch immer, jedenfalls hat er nicht nur ein Sippengrab bestellt und den Klotz, sondern die Familie zur Weihnachtssuppe eingeladen.

Allerdings nicht bei sich daheim, da hätt die Mutter einen Strich durch die Rechnung gemacht, weil Junggesellenbude vom Feinsten und Staubflinserln im Kochtopf. Also bei den Eltern. Jetzt ist das aber schwierig, weil, wo eine Familiensuppe gekocht wird, da liegt auch das Rezept-Hausrecht. Und überhaupt Fremdkochen in der Küche einer Mutter? Oh je, USA und Nato nichts dagegen. Da hat der Bartl also erst mal der Mutter auf dem Eis ein bisschen gegen den Stock gestupst, nur ganz leicht, dass sie sich den Arm aufhaut und einen feinen Gips kriegt.
Und als er dann am Heiligabend Vormittag an der Tür läutet, ist der Bartl ganz guter Dinge, weil jetzt kann nichts mehr schief gehen und die Karotten hat er auch dabei. Und die paar Pilze, die er extra besorgt hat, die lassen sich ganz leicht im Hosensackerl aufbewahren.
Aber statt der alten Klingel tönt ihm Gesang entgegen, als hätten die Engelein sich schon früh um elf zusammengerottet: Stihill Stihill still weiheils Kindleihein … Saisonglocke, denkt der Bartl, warum nicht. Und freut sich bei dem Gedanken an schlafende Kindlein, weil der Bub der Schwester dann aus dem Weg ist. Aber noch bevor das nächste stihill verendet, öffnet sich die Türe und der Vater versperrt mit seinem dicken Bauch den Durchlass. Dass auch ja alle die Schuhe ausziehen. Auf Geheiß der Mutter.
Und wie er so da steht, der Vater, kommt von hinten auch schon der Hundsbub, der elende, und hast du nicht gesehen, durch die Beine vom Vater durch, dem Bartl gegen das Knie. Leider schläft er also nicht, der Saubub, sondern hat dem Hund die Schüssel geklaut. Und der ihm jetzt hinten nach und auch noch gegen das Knie. Jetzt wird der Bartl beim Kochen sitzen müssen. Nicht einfach. Wahrscheinlich wollen Hund und Bub dem Weihnachtsfraß entgehen, dem familiären, was der Bartl verdammt gut verstehen kann, denn Weihnachten ist eine mentale Belastung. Der Vater sieht dem Bartl das auch gleich an, also darf er mit den Schuhen in die Küche hinken und erst mal ein Schnapserl trinken.
Aber da dann die Mutter und wirft gleich einen Blick nach unten. Bub, sagt sie. Und das u so langgezogen, dass der Bartl es noch hören kann, da ist das zweite b schon lang vorbei. Merk dir, sag ich dir, nie an Weihnachten mit Schuhen in die Wohnung, weil Ruin von Parkett und Familie und überhaupt.
Und neben der Mutter der Rest der weiblichen Phalanx: Schwester und Schwesterngattin. Den Vater, den Hundsbub und den Hund selber hauts gleich wieder raus aus der Küche. Eiwei, denkt der Bartl, mit den Männern hätt man reden können. Aber die?
Bei der Schwester ist das jetzt so. Die hat sich erst einen Kerl nach dem andern angelacht, und immer ists schief gegangen. Und der Bub will auch nicht folgen. Jedenfalls hat die Schwester auf einmal keine Lust mehr gehabt auf Männer. Nicht mal im Bett.
Komisch, denkt der Bartl, dass die Leute immer gleich ans andere Ufer wechseln müssen, wenn was schief geht. Könnt ja sein, dass es einfach am grauslichen Geschmack liegt? Oder die Schwester hat sich immer recht aufgeführt? Der Bartl könnt da so einiges erzählen. Jedenfalls wär er für sich nie auf die Idee gekommen, eine Blonde mit einem Busen so rund wie Germknödeln gegen einen Mann einzutauschen. Da kann er orientiert sein, wie er will.
Eigentlich hat der Bartl gar nichts gegen den schwesterlichen Uferwechsel gehabt, weil je mehr fremde Frauen, desto besser, aber warum hat die Wahl auf eine Zackerldünne fallen müssen? So brüchig hat die ausgeschaut, wie ein abgestorbener Baum im Winter und dann auch noch einen schwarzgelb gefärbten Haarhelm auf dem Kopf.
„Was macht jetzt die Bienenhelma in der Küche“, sagt er und schabt missmutig mit den Schuhen auf dem Boden herum, damit die Mutter abgelenkt ist. Und die geht auch gleich raus aus der Küche mit ihrem Gipsarm, um die Kehrschaufel zu holen und die Schlappen für den Bartl.
„Weil ich zufällig Köchin bin? Und der Herrn Schwager nicht?“, sagt die Schwesterngattin und spricht nicht nur so klar, dass die Wörter im Mund herumkrachen, sondern verzieht auch noch ganz hochdeutsch die Lippen, was der Bartl bei Frauen gar nicht mag.
„Und sag nicht immer Bienenhelma zu ihr“, setzt die Schwester nach, „sie heißt Fernanda.“
Und der Bartl wundert sich, wie ansteckend Beziehungen sind, denn bei der Schwester ist das Hochdeutsche auch schon in die Mundwinkel gekrochen.
Als dann der Vater und die Mutter wieder in der Küche sind, geht es los, wer soll jetzt die Suppe kochen. Und weil die Mutter zeigen will, dass sie mit der Zeit geht, und eine tolerante Person ist, sagt sie: „Der Bua kocht und nicht die Lesbische.“ Also verstehst du, das ist jetzt heute nicht mehr einfach. Sagst du, der soll kochen, der ausgemacht war, denkt jeder, das neue Familienmitglied wird unbegründet ausgeschlossen. Nennst du den Grund und sagst, „Lesben können nicht kochen“, sagt jeder, du bist ein bigottes, intolerantes Arschloch. Sagst du aber am Ende gar „Heut kocht die Helma“, dann glaubt jeder, das hast du nur gesagt, weil Toleranz beweisen, aber nichts dahinter. Und in Wirklichkeit noch schlimmer, weil verbrämte rassistische Subversion, und du hast was gegen Männer. Also denkt man am besten alles auf einmal, kürzt es ordentlich zurecht, und zwischen den einzelnen Wörtern pausierst du. Und ganz wichtig: obergescheit gucken in den Pausen, als stünd jede einzelne für eine Mondlandung. Dann denken die Zuhörer, es ist schwer was dahinter und sind von der Vielfalt der Aspekte erschlagen.
Obergescheit gucken, das kann die Mutter vom Bartl auf jeden Fall. Das muss man ihr hoch anrechnen, weil für Mütter ist das ja auch nicht einfach, wenn die Tochter eine Frau nachhause bringt, weil da müssen sie immer alles zweimal sagen. Obwohl, der Mutter vom Bartl, der wars schon recht egal, wen die Tochter heimbringt, Hauptsache die Tochter ist unter der Haube. Und der Vater traut sich eh nichts zu sagen, weil schlechtes Gedächtnis und noch viel schlechtere Augen, der hat noch nicht mal gemerkt, dass der neue Mann einen Busen hat. Wenn auch nur ein Wimmerl von einem Busen.

Als der Bartl dann endlich allein in der Küche ist, setzt er die Zwiebeln an und brät sie so dunkelbraun, dass sich gleich der Rauchpieper beschwert. Das regt dem Bartl seine Bronchien wiederum an, dass er selbst erst mal eine rauchen muss. Dabei sieht er natürlich nicht, dass die Schwester hinter seinem Rücken an den Topf schleicht und die Qualmzwiebeln mit Nelken und Zimt und Kardamom aufmöbelt. Als der Bartl wieder reinkommt, riechts nach Weihnachten, der Topfboden schaut mehlig aus und die Rüben dünsten auch schon mit.
Und weil er so einen Appetit hat auf Zigaretten, drängts ihn wieder hinaus zum Verschnaufen. Da kommt dann die Mutter aus der Küchenkammer scharwenzelt, da hat sie schon die ganze Zeit gewartet. Weil Vertrauen ist gut, Kontrolle besser. Das hat die Mutter auch schon dem Lenin beigebracht und der daraufhin ein ganzes Weltreich gegründet. Natürlich war das nicht sie direkt, sondern nur die Sowjet-Inkarnation der UrBartlmutter. Die aktuelle Ausgabe jedenfalls hat die ganze Zeit beobachtet, wie die Tochter mit neumodischem Gelump das Weihnachtsgericht verunstaltet. Also macht sie sich gleich über die Suppe her und schmalzt sie tüchtig auf, schneidet Sellerieziegel und ein ordentliches Stück Gselchtes in den rauchenden Bodensatz und haut sich dabei zehnmal den Gips an vor lauter Hast und Zorn über die fehlende Brauchtumspflege.
Als der Bartl wieder reinkommt, ist im Topf schon wieder mehr los und überall liegen Gipsbröckchen, dass der Bartl lieber gleich wieder rausgeht, um sich das Hirn über die wundersame Topffüllung zu martern und ob die Gipsbröckchen hoffentlich vor dem Topf halt gemacht haben. Als er wiederkommt, ist der Topf noch voller, eine Weinflasche steht rum und der greinende Hundsbub boxt den Opa und fragt, warum er den Schokoladenhasen ertränkt hat. Aber den Bartl stört das alles nicht, draußen auf der Bank ist er ganz bei sich und den Zigaretten und dazwischen sitzt er vor dem Topf und rührt gemütlich. Nur als der Vater beim nächsten Mal ganz wehleidig aus der Küche kommt, und die Pfeife ist weg, da fragt sich der Bartl schon, was die alle an seiner Suppe verloren haben und füllt lieber ein Töpfchen ab. Für sich, weil er hat eine Allergie; und die letzte Zutat, die braucht er eh nicht in seinem Teller. Und dann schüttet er mit viel Liebe die gute Pilzmischung in die brodelnde Suppe.
Die hat er beim Voodoo gekauft, seinem alten Kumpel, und jetzt für die Suppe schön gehäckselt, mit Gummihandschuhen versteht sich, falls was an der Haut kleben bleibt. Sogar ein bisschen Knollenblätter sei dabei, hat der Voodoo gesagt, aber nicht tödlich, wenn vorsichtig dosiert, deshalb nimmt der Bartl lieber noch einmal eine Handvoll Pilze extra und schmeißt sie in die Suppe und würzt mit Chili hintennach, damit die Suppe nicht komisch schmeckt.
Der Voodoo hat schon immer gern mit exotischen Gewürzen gehandelt. Gut ist das gegangen, der Bartl hätt das nie geglaubt, aber der Voodoo hat kaum arbeiten müssen, so gern haben die Schnabelbacher ein bisschen in anderen Dimensionen herumgekraxelt. Jetzt ist der Voodoo älter und gereift, da erweitert man sein Repertoire. Jedenfalls hat er jetzt Gewürze gegen den bösen Blick und für den guten. Am besten gehen die Pilze gegen die Verwandtschaft. Die sind auch viel stärker als die gegen den bösen Blick. Und weil's dem Bartl ernst ist mit der Familie, nimmt er halt nochmal ein bisschen mehr.
Der Bartl rührt und raucht und raucht und rührt, und die Suppe wird voller und voller, ganz ohne sein Zutun, und er wundert sich, dass die ganze Verwandtschaft Mienen aufgelegt hat, als hätten sie beim Jamie Oliver einen Kochkurs belegt, extra für den Bartl, um ihm den unwissenden Koch-Arsch zu retten.
Nur die Schwägerin, die hat keine Miene. Kommt aber auch aus der Küche. Wenn jetzt der Bartl wüsste, dass sie seine Extra-Ration in die Familiensuppe geschmissen hat und sein Teller nun frisch aus dem großen Topf stammt, dann würd er ihr Beine machen. Aber das weiß er ja nicht.
Und als sie alle beim Essen sind, und jeder schon einen Teller intus hat, wirds dem Bartl ganz warm und er fühlt sich unbändig lustig. Und alle sehen hübsch aus mit ihren zerklüfteten Nasen und den abstehenden Ohren, so riesig sind die, dass der Hundsbub sich darin einwickeln kann. Alle schmeißen Brotstückchen an die Wand und küssen sich links und rechts, und die Mutter sitzt beim Vater auf dem Schoß und fährt ihm mit dem Gips in den Pullover, weils den Vater so kribbelt, dass er allweil lacht. Und dann singen sie ganz laut und führen sich so heftig auf, selbst der Hundsbub, dass es dem Bartl einen Moment direkt leid tut, dass seine Familie schon bald den Grabstein vorfüllt.

Als der Bartl am nächsten Morgen aufwacht und sich noch denkt, dass alle ganz lustig beieinander waren und schad drum, aber mit dem Geld wird man die Familie teilersetzen können, da guckt er nach links und sieht, was ihn die ganze Zeit so mächtig am Kinn juckt. Da hat er nämlich den Bienenhelm von der Schwestergattin am Kinn und der zwickt ihn infernalisch bis in die Nase hinein und die Helma selbst ist so blank am ganzen Leib wie eins von den Engelein am Vormittag, nur an den Füßen, da baumeln die Schlappen vom Bartl. Und das haut ihn um. Da ist es dann auch egal, dass der Voodoo ihm die falschen Pilze gegeben hat, die nämlich, die einen so schön an den Rand der sexuellen Begierde treiben und darüber hinaus, Gruppensex mit Hund nix dagegen. Und da wird’s ihm ganz schwummrig und er fragt sich, was er die ganze Nacht, und dann kommt auch schon die Schwester und der Bartl wünscht sich, er hätte nie einen Teller Weihnachtssuppe kochen wollen. Weil Verhör bei der Polizei nix gegen das Verhör einer Schwester.

 

Ja, da schau her! Aber ich kann besser Gotisch als Russisch ... ich alter Gauner!

Tschüssikowski (gendergerecht: tschüssikowska)

Rasputin

 

Sakradi, liebe Novak, jetzt kommst du der Sache aber schon ganz schön nah!

Der Schliff hat deiner Geschichte gut getan. Weniger holprig, der Hackstil subtiler und damit wirksamer und ein paar Formulierungen, die könnten glatt von mir sein ;)

Nur ein paar unbedeutende stilistische Kleinigkeiten, die mir so spontan entgegengehüpft sind:

Da ist [sich] der Bartl noch nicht ganz sicher.
Grammatik hin oder her, mir fehlt da einfach der Klang des "sich sicher sein"


Und als er dann am Heiligabend Vormittag an der Tür läutet, ist der Bartl ganz guter Dinge, weil jetzt kann nichts mehr schief gehen und die Karotten hat er auch dabei.
Vielleicht war dieser Satz ja bei deiner ersten Version auch schon so, dann habe ich nur vergessen ihn zu loben: Hier ist der Duktus perfekt! In einem WEIL-(Neben)satz zwei Sätze mit UND verbinden, die eigentlich nichts miteinander zu tun haben - wobei im optimalsten Fall der zweite sogar vor Banalität trieft. Das ist wahrer Plauderstil!


Und wie er so [da] steht, der Vater, ...
Hier vermisse ich das Dastehen, weil er steht ja nicht einfach im Sinne von nicht sitzen oder gar liegen, gell, sondern er steht ja genau da in der Tür da!


Merk dir, sag ich dir, nie an Weihnachten in[mit] Schuhen in die Wohnung, ...
Also bei uns geht man nicht "in" Schuhen irgendwo hinein, sondern "mit" Schuhen.
Aber ich sag' ja nicht, ich mein' ja bloß! ;)


Als dann der Vater und die Mutter wieder in der Küche sind, geht es los,[PUNKT] wer soll jetzt die Suppe kochen.[FRAGEZEICHEN]
Eine etwas veränderte Zeichensetzung würde es für mich weniger holprig machen.


... setzt er die Zwiebeln an und brät sie so dunkelbraun, dass es gleich den Rauchpieper auf den Plan ruft,[PUNKT] das regt ...
"auf den Plan rufen" klingt mir so trocken: Könnte mir eher was vorstellen wie:
... setzt er die Zwiebeln an und brät sie so dunkelbraun, dass sich gleich der Rauchpieper beschwert. Das regt dem Bartl ...


Sogar ein bisschen Knollenblätter ist[SEI] dabei, hat der Voodoo gesagt, ...
Es gibt in deinem Text mehrere Stellen, wo ich meine, dass der Erzähler grammatikalisch etwas korrekter sein dürfte in der indirekten Rede und daher öfter mal Konjunktiv verwenden sollte. Sicher kann man es auch als Stilmittel durchgehen lassen, aber da du ihn einerseits immer mal wieder intellektuelle Fremdwortsprache in den Mund legst, fände ich Konjunktiv ab und an besser.
Ohnehin finde ich, dass Konjunktivformulierung, abwechselnd und mit Bedacht eingesetzt, das Leseerlebnis verbessern.
Aber wie schon gesagt: ich sag ja nicht, ...


Der Voodoo hat schon immer gerne mit exotischen Gewürzen gedealt.
Ja, ja, schon gut! Künstlerische Freiheit und so. Ich mag's trotzdem nicht, das "gedealt"!


Also liebe Novak, es hat Spaß gemacht, die Entwicklung zu sehen. Und ebenso interessant ist es, dass wirklich nur DETAILS es waren, die die Geschichte anfangs noch etwas holpern ließen. Jezt liest sie sich schon weit weniger bemüht und hat mit eher tendenziellen Anleihen auch viel mehr Eigenständigkeit.

Und jetzt mal ganz im Ernst - Nein, offshore! Nicht Du! - Wie du als Hessin, als Preußin gewissermaßen - Nein, Friedel, nicht im historischen Sinne, sondern im bayerischen! - ... Man glaubt's ja nicht, an wen man da bei seinen Kommentaren alles denken muss!

Aber echt jetzt: Wie du als Hessin es hinkriegst so von gestern auf heute so feine und durchaus authentische Anleihen aus dem bayerischen Sprachduktus in deiner Geschichte zu verweben, dafür muss ich dir schon rechten Respekt zollen. Ehrlich.

Liebe Grüße
oisisaus

 

Hallo Novak,
ich hab viel Sympathie für den Text. Ich halt’s für wichtig, sowas auszuprobieren. Und ich halte es für einen sehr wichtigen Schritt als Autor. Und ich glaube nicht, dass man als Leser hier immer „fertige Geschichten“ erwarten sollte, sondern dass es auch wichtig ist, diesen Prozess zu betrachten.
Ich mochte die Geschichte ehrlich gesagt. Ich kenn den Haas recht gut, mir geht’s da ein Stück wie offshore: Zwei Romane hintereinander könnte ich nicht. Aber dann mal einen alten rausgekramt, macht mir schon Spaß, weil er in diesem Dialekt Ungeheuerlichkeiten versteckt. Weil er Sachen sagen kann, die man nicht sagt. Und er denkt auch Sachen, die man nicht denkt. Weil sie hochdeutsch ausgesprochen so böse klingen.
Ich muss da an einen Satz von Ingo Appelt denken, der hat gesagt: Mit was Dirk Bach durchkam. Was der den Leuten ins Gesicht sagen konnte und welche Bösartigkeiten da herauskamen. Dafür hätten sie ihn, also Appelt, gekreuzigt und bei Dirk Bach haben sie gesagt: Der kleine dicke lustige Mann darf das.
Und so find ich’s oft auch mit dem Dialekt, das ist auch das, was den Haas so auszeichnet. Das Denk-Tabus wegfallen. Dass mit dem Dialekt auch das Pragmatische, das, was vor den Augen liegt, so in den Vordergrund rückt. Und hier hast du das in einigen Passagen sehr schön drin, vor allem mit „der Lesbischen.“ Und warum die Schwester bei der gelandet ist und wie das so ist und wie das so ist.
Das ist bei Haas auch so, dass es auf einmal eine ganz logische Idee ist, einen nervigen Kerl im Keller in der Knochenmühle zu zerkleinern, weil die halt da ist. Oder dass man sich mit Blaulicht einen Leberkäs holt und dabei über alle Ampeln fährt, weil man halt Blaulicht und man hat’s eilig.
Also dieses „Annehmen der Realität“, dieses Gleichmütige auch, das, was in der Geschichte von oisisaus, auch so präsent ist, das ist der große Vorteil dieser Erzählweise. Es ist glaubwürdiger, weil’s im Dialekt ist. Warum auch immer. Es ist so, weil’s so ist. Das ist was mit dem Dialekt verbundenens-Wahrhaftiges. Ich hab gehört, als Niedecken seinen Schlaganfall hatte, konnte er danach für eine Zeit nur noch Kölsch und kein Hochdeutsch mehr. Ich find das schon interessant.
Und es ist für dich als Autorin, glaub ich, in diesem Erzählstil auch etwas Befreiendes, weil du keine Erwartungen erfüllen musst. Das sind wirklich, auch wenn es dir billig oder irgendwie unredlich vorkommen mag, sehr wertvolle Schritte, glaube ich. Und wenn das mal im Repertorie ist, dann gehen derweil ganz andere Türen im Kopf aus.

Diese Geschichte hier ist, bei Lichte betrachtet, ziemlich durchwachsen, könnte man sagen. Es gibt Abschnitte, die bräuchte ich nun nicht. Die innere Logik ist nur sehr vage zu erkennen. Der innere Zusammenhalt des Textes ist schwach. Vielleicht hast du dann 3 Figuren zu viel für den Platz. Und der Plot verdünnt sich dann stark. Aber das ist schon okay. Die Plots von Haas versteh ich auch immer erst zur Gänze, wenn sie einen Film mit Hader draus gemacht haben.
Schön!

 
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Der Schliff hat deiner Geschichte gut getan. Weniger holprig, der Hackstil subtiler und damit wirksamer und ein paar Formulierungen, die könnten glatt von mir sein ;)
Nix gibts, das sind meine. Und hallo, lieber oisisaus, schön, dass du noch mal über die Geschichte geguckt hast.
Deine Detailänderungen hab ich mir alle angeschaut.
Ist viel dabei, was ich einfach mal so übernehme, weil es eh paripari stand und manchmal gibt ein Hinweis von einem anderen Autor dann den letzten Ausschlag.
Manche Sachen muss ich aber auch noch überdenken. Aber das siehst du ja gleich.

Grammatik hin oder her, mir fehlt da einfach der Klang des "sich sicher sein"
Ja, so kanns gehen. das "sich" ist grammatikalisch ganz korrekt. Ich kann es nicht begründen, ich denke, es ist sogar korrekter als meine Lösung. Ich hatte das "sich" rausgetan, weil das doppelte "sich sicher" mir nicht gut klang, bzw. ich war mir unsicher. Hehe. Muss ich noch mal kurz überlegen und klangmäßig probieren. War jedenfalls eine Sache, an der ich endlos rumgegriffelt hab. Komisch, wie so ein Kleinkram manchmal so eine Bedetung kriegt. Kaum hab ich das dokument geöffnet, war ein sich drin , beim nächstem Mal hab ichs wieder rausgeschmissen. Beim da stehn war es ganz ähnlich. Weißt schon, das an der Tür stehen. Das verbesser ich jetzt auf jeden Fall. Da hast du jetzt eindeutig den Ausschlag gegeben.

Vielleicht war dieser Satz ja bei deiner ersten Version auch schon so, dann habe ich nur vergessen ihn zu loben: Hier ist der Duktus perfekt! In einem WEIL-(Neben)satz zwei Sätze mit UND verbinden, die eigentlich nicht miteinander zu tun haben - wobei im optimalsten Fall der zweite sogar vor Banalität trieft. Das ist wahrer Plauderstil!
Ja, drin war er schon, aber bei mir war das ganz unbewusst geschehen, und du hast es auf den Begriff gebracht, was daran das Assoziative, Geplauderte ist. Find ich gut, denn wen man weiß, wie eine Sache funktioniert, kann man sie auch zielgerecht einsetzen.

Also bei uns geht man nicht "in" Schuhen irgendwo hinein, sondern "mit" Schuhen.
Aber ich sag' ja nicht, ich mein' ja bloß! ;)
Bei uns geht man auch mit Schuhen. Öhöm. Weiß nicht, wie so was passieren konnte.

Die Sache mit der Zeichensetzung schau ich mir an. da bin ich mir noch nicht sicher, was mir besser gefällt. Was den Rauchpieper betrifft, find ich deine Version besser als meine.

Es gibt in deinem Text mehrere Stellen, wo ich meine, dass der Erzähler grammatikalisch etwas korrekter sein dürfte in der indirekten Rede und daher öfter mal Konjunktiv verwenden sollte. Sicher kann man es auch als Stilmittel durchgehen lassen, aber da du ihn einerseits immer mal wieder intellektuelle Fremdwortsprache in den Mund legst, fände ich Konjunktiv ab und an besser.
Ohnehin finde ich, dass Konjunktivformulierung, abwechselnd und mit Bedacht eingesetzt, das Leseerlebnis verbessern.
Also der letzte Satz ist auf jeden Fall richtig. das sehe ich auch so. Im Gegenteil, ich bin glaube ich sogar eher eine Vertreterin eines richtig und gut eingesetzten Konjunktiv I, der kann manchmal in einem Text für Eleganz oder Fluss sorgen, wie es die wörtliche Rede nicht vermag. Aber kommt halt drauf an, so prinzipiell kann man das wohl nicht sagen. Hier hatte ich die Konj I samt und sonders eliminiert, grad aus Stilgründen. Also wenn ich Hessisch schreiben würde, dann käm kein einziger Konj I vor, Hessen denken glaube ich, da kann einer kein Deutsch, wenn er Konj I verwendet. Hab ich also geist- und gedankenmäßig auf Bayrisch oder Österreichisch übertragen.
Jetzt, du machst mich da grad wieder unsicher, dein Argument find ich nicht von der Hand zu weisen. Ist natürlich auch eine Geschmacks- und Klangfrage. Also ich schau mir den Text daraufhin auf jeden Fall noch einmal an.

Und jetzt mal ganz im Ernst - Nein, offshore! Nicht Du! - Wie du als Hessin, als Preußin gewissermaßen - Nein, Friedel, nicht im historischen Sinne, sondern im bayerischen! - ... Man glaubt's ja nicht, an wen man da bei seinen Kommentaren alles denken muss!
:D

Ach und über das Lob, weißt du ja, Menschen freuen sich einfach drüber. Ist doch klar.
Die Preußin grüßt den oisisaus und bedankt sich tausendmal für deine Hilfe.
Alles Liebe von der Novak


Lieber Quinn, die Forsetzung folgt noch. Aber danken möcht ich dir jetzt schon für deinen absolut liebenswürdigen Kommentar. Der hat mir richtig gut getan.
Liebe Grüße bis denn.

 

Hallo Quinn,

Nachträgliche Ergänzung:
Ich hab jetzt erst gesehen, Schande über mich, dass ich die Antwort an dich zwar schon ewig lang geschrieben und gespeichert habe, aber eben nicht abgeschickt. Ich weiß auch nicht, wie das passieren konnte, war mir absolut sicher, dass ich schon geantwortet hatte und jetzt sehe ich es. Ich bin zu Zeit ein bisschen durcheinander, vielleicht leigt es daran. Auf jeden Fall will ich mich bei dir ganz doll entschuldigen, weil ich finds halt einfach total doof von mir und naja, weißt schon.

Das hatte ich geschreiben:
Lieber Quinn, ich war total gerührt über deinen Kommentar, vielleicht, weil du genauso wie Fliege nicht nur die Geschichte im Auge hast, sondern noch was anderes. Etwas Begleitendes, Unterstützendes und Wohlwollendes, eben nicht nur die Geschichte selbst, sondern auch die Person (Autorin) dahinter siehst. Das ist ungeheuer selten, wenn man allein schon an die übliche Konkurrenz im Job und sonstwo denkt, das ist so was Unterstützendes einfach unglaublich angenehm. Das ist einfach dann eine tolle Arbeits- und Ausprobieratmosphäre.

ich hab viel Sympathie für den Text. Ich halt’s für wichtig, sowas auszuprobieren. Und ich halte es für einen sehr wichtigen Schritt als Autor. Und ich glaube nicht, dass man als Leser hier immer „fertige Geschichten“ erwarten sollte, sondern dass es auch wichtig ist, diesen Prozess zu betrachten.
Ja, ich sehe das auch so, hab es schon immer so gesehen, aber es dann auch zu tun, aus der Komfortzone rauszugehen, das ist schon mal eine zweite Sache.

weil er in diesem Dialekt Ungeheuerlichkeiten versteckt. Weil er Sachen sagen kann, die man nicht sagt. Und er denkt auch Sachen, die man nicht denkt. Weil sie hochdeutsch ausgesprochen so böse klingen.
Das stimmt. Ich weiß zwar nicht, ob das auch in anderen Dialekten so geht, und man darf auch nicht wirklich in Mundart schreiben, aber dieser sprachliche Anklang und das Plaudernde, das macht wirklich was aus. Man kann auch politisch völlig Unkorrektes einfach mal so raushauen. Wie gesagt, ich weiß aber wirklich nicht, ob das 1. in allen Dialekten so geht. Und ich bin auch am rumhorchen, ob dieser plaudernde Stil, wie ihn oisisaus und Wolf Haas haben, ob der auch mit anderen Dialektfärbungen überhaupt geht. Also mir fällt es im Moment sehr schwer, wenn ich Hessen reden höre, da so einen bestimmten häuig vorkommenden Satzbau festzustellen, der anders wäre als im Hochdeutschen. Es gibt kein Präteritum, klar, aber wo gibt es das schon. Und es kann sein, dass es auch eine Gemeinsamkeit bei den weil-Satz-Konstruktionen gibt, aber ich bin noch nicht so wirklich agelangt, so einen typisch hessischen Plauderer zu entwickeln, im Moment hör ich total viel zu, manchmal ist es an der Grenze des Dezenten, wenn ich zum Beispiel auf dem Markt bin und so ein älterer hessischer Handwerker plaudert mit dem Käsemann. Da hängt mein Ohr immer ganz schön zwischen den beiden. Und komische Blicke erntet man dann natürlich auch. :D Aber was tut man nicht alles für das Schreiben.
Ich hab mir schon die Zeit mit Heinz Schenk vertrieben, wenn dir der was sagt oder mit Familie Hesselbach, aber so richtig ist der Funke noch nicht entfacht worden.

Also dieses „Annehmen der Realität“, dieses Gleichmütige auch, das, was in der Geschichte von oisisaus, auch so präsent ist, das ist der große Vorteil dieser Erzählweise. Es ist glaubwürdiger, weil’s im Dialekt ist. Warum auch immer. Es ist so, weil’s so ist. Das ist was mit dem Dialekt verbundenens-Wahrhaftiges. Ich hab gehört, als Niedecken seinen Schlaganfall hatte, konnte er danach für eine Zeit nur noch Kölsch und kein Hochdeutsch mehr. Ich find das schon interessant.
Es kann sein, dass das einfach verschiedene Hirnareale sind wie bei der alten Chinesin, die nach einem Schlaganfall nur noch Englisch sprach. Das hatte sie allerdings als Lehrerin viele Jahre unterrichtet. Ich hab auch mal von einem Mann gelesen, der aus dem Koma aufgewacht ist, ein Engländer, der dann plötzlich Walisisch sprach, obwohl er das nie gelernt hatte. Wie so was gehen soll, das kann ich mir nicht vorstellen. Ich glaub das auch immer nie so ganz. was anderes ist das bei Niedecken oder der Chinesin aus meinem Beispiel. Ich finde deine Deutung klingt allerdings viel besser als die profane mit den Hinarealen.

Und es ist für dich als Autorin, glaub ich, in diesem Erzählstil auch etwas Befreiendes, weil du keine Erwartungen erfüllen musst. Das sind wirklich, auch wenn es dir billig oder irgendwie unredlich vorkommen mag, sehr wertvolle Schritte, glaube ich. Und wenn das mal im Repertorie ist, dann gehen derweil ganz andere Türen im Kopf auf.
Ganz genau. Da hab ich mich tierisch gefreut. Ja, du hast es schon richtig mirgekriegt, ein wenig peinlich berührt war ich schon, weil ich da jetzt einfach was nachahme.Konnte die Kritiken auch entsprechend gut verstehen. Kam mir selbst, ja, genau, so ein bisschen unredlich vor, aber es stimmt schon, wenn man sich mal darüber hinwegsetzt, dann merkt man, dass das auch eine wunderbare Bühne fürs Ausprobieren von mal was ganz anderem bietet.
Und da hab ich mich jetzt einfach wahnsinnig über deine Unterstüttziung gefreut. Ich hätt mich wahrscheinlich auch gefreut, wenn du geschrieben hättest, so geht das ja mal gar nicht, Novak, altes Haus, denn deine Begründungen, die wärn bestimmt stichhaltig gewesen, aber so, mit so viel Wohlwollen im Hintergrund, ist das natürlich noch viel besser.

Diese Geschichte hier ist, bei Lichte betrachtet, ziemlich durchwachsen, könnte man sagen. Es gibt Abschnitte, die bräuchte ich nun nicht. Die innere Logik ist nur sehr vage zu erkennen. Der innere Zusammenhalt des Textes ist schwach. Vielleicht hast du dann 3 Figuren zu viel für den Platz. Und der Plot verdünnt sich dann stark.
Aber das ist schon okay. Die Plots von Haas versteh ich auch immer erst zur Gänze, wenn sie einen Film mit Hader draus gemacht haben.
Klar, das sehe ich auch so. Das ist schon alles nicht so ganz logisch durchdrungen. Aber das stand jetzt hier nicht so im Vordergrund. Da hat mich einfach der Spieltrieb so ein bisschen mitgerissen. Übrigens geht es mir mit den Wolf Haas Filmen auch immer so wie dir. Und mit dem letzten ganz besonders. Da beginnt ja das Buch damit, dass der Brenner mit Amnesie als hoffnungsloser Fall aus dem Koma aufwacht und man hat schwer zu tun, dann den Zusammenhang herzustellen. Jetzt im Film ist einfach die Zeitlinie ein bisschen abgeändert und schon wars viel verständlicher. Übrigens ein wirklich schöner Film, aber den hab ich ja eh schon mal empfohlen. Er ist viel düsterer, existenzieller, aber so nach dem Motto, wenn schon alles am Arsch ist, dann kamm man grad erst recht einen bösen Witz drauf machen. Da sind allein Fimbilder dabei, für die lohnt sichs, ins Kino zu gehen.

Ja, ich hab mich sehr gefreut über deinen Kommentar. Es gibt viele, die dich vermissen, nicht nur ich, aber das weiß du ja.
Ein wunderschönes Wochenende wünsche ich dir. Lass es dir gut gehen.
Novak

 

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