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Vergilbt

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28.03.2015
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Vergilbt

Sanft wog der Wind die dünnen Äste des Apfelbaumes hin und her, umspielte die feinen Blüten und brachte die dunkelgrünen Blätter zum Tanzen. Die warmen Sonnenstrahlen spiegelten sich hell auf der Oberfläche des klaren Baches wieder, der sich laut plätschernd über die Lichtung und durch den Wald zog. Nur schwach drang das Licht durch das dichte Blätterwerk der Baumkrone über mir und warf unzählige Lichtpunkte auf das helle Gras. Ich ließ die rot-weiß gemusterte Picknick-decke auf das mittlerweile trockene Gras fallen und glättete sie sorgfältig.
Nichts deutete mehr auf den schweren Sturm der vergangenen Stunden hin – selbst die Gesänge der Amseln, Rotkelchen und Meisen waren wieder in voller Lautstärke zu hören.
Zufrieden setzte ich mich und lehnte mich gegen den breiten Stamm des Apfelbaumes. In dem Moment kam mir alles so friedlich vor. So beruhigend.
Seufzend griff ich in meinen Rucksack und holte das alte Tagebuch meiner Großmutter hervor, welches ich vor einiger Zeit zu lesen – beinahe schon auswendig zu lernen begonnen hatte.
Der blass-blaue Ledereinband war an einigen Stellen abgegriffen und fühlte sich unter meinen Fingern rau und rissig an. Feine Risse und dunkle Flecken sammelten sich in den Ecken und an den Rändern der einstmals weißen Seiten, die sich über die Jahrzehnte gelblich verfärbt hatten. Die dunkle Schrift war bereits Stellenweise so stark verblasst, dass ich sie kaum noch als richtige Worte erkennen konnte. Die schlimmsten Seiten hätte ich vielleicht sogar als Rohrschacht-Tests im Psychologiekurs verwenden können.
Nur mit Mühe schaffte ich es die geisterhaften Striche und Schnörkel als Buchstaben zu identifizieren und die Worte in einen sinnvollen Zusammenhang zu setzten. Das gesamte Tagebuch handelte von einer Tragödie, die 1902 nicht nur meine eigene Familie - sondern die ganze Stadt in Panik versetzt hatte.
Meine Urgroßmutter war damals gerade Sechzehn, als eine Mordserie ihre Welt auf den Kopf stellte.

Einundzwanzig Menschen im Alter von Fünf bis Sechsundsiebzig starben innerhalb eines Jahres. Alleinstehende Männer und Frauen, Witwen, Großeltern – sogar eine sechsköpfige Familie – wurden damals Opfer eines Verrückten.
Die Leichen fand man später abgelegt bei den Wurzeln von Apfelbäumen oder an spröden Hanfseilen - in den Baumkronen hängend. Einige Bewohner der Stadt hatten zeitweise versucht, wache zu halten und den Täter so auf frischer Tat zu ertappen. Leider gab es viel zu viele Apfelbäume – in der Stadt, im Wald und gelegentlich auch zwischen den Feldern – zwischen denen sich der Täter entscheiden konnte.

Das erste Opfer war der damalige Hauptkommissar der Stadt – mein Ururgroßvater.
Seine Frau hatte ihn unter dem Apfelbaum im Garten ihres gemeinsamen Hauses gefunden.
Die Worte, mit denen meine Urgroßmutter das ganze Szenario beschrieb, kamen mir unnatürlich und distanziert vor.

„Ein breites Jagdmesser; kunstvoll gearbeiteter Griff aus Hirschhorn. Steckt zwischen seiner dritten und vierten Rippe, auf der rechten Seite seines Körpers.
Linke Handinnenfläche weist kleine, runde Brandwunden auf. Vermutlich von einer Zigarre – schätzungsweise vom Täter, da Vater nie rauchte.
Sein Gesicht ist stark angeschwollen, wurde wohl vor seinem Tod verprügelt. Vermute der Täter war Sportler oder Bauarbeiter, nur wenige schaffen es, einen erfahrenen Polizisten von 1,95 m Körpergröße und (geschätzt) 90 kg Gewicht so zuzurichten. Weiteres Indiz für diese Vermutung: Die Tatwaffe steckt bis zum Anschlag im Körper des Opfers und das Fehlen weiterer Einstiche – der Täter benötigte nur einen Versuch.“
Einen Monat später wurde der Leichnam einer Hebamme erhängt in den Wipfeln eines Apfelbaumes, der zwischen zwei Feldern stand, aufgefunden. Zwei Tage später, hing die Leiche einer Fünf-jährigen im Apfelbaum auf dem Marktplatz der Stadt.
So zog sich die blutige Spur des Mörders von Monat zu Monat durch das Jahr.
Und immer auf den Fersen des Täters, meine Urgroßmutter Henriette.
Am Anfang - als ich das Tagebuch zum ersten Mal überflogen hatte – viel es mir schwer zu glauben, dass meine Urgroßmutter tatsächlich die Verfasserin war.
Seit ich denken konnte, hatten mein Vater und mein Großvater sie als stille, in sich gekehrte Frau bezeichnet – die mehr Angst vor dem Leben hatte, als vor dem Tod.
Sie ging nie aus, hatte keine Freunde und nach dem Tod ihres Mannes vor sechzehn Jahren, hatte sie bis zu ihrem eigenen Tod – zwei Jahre später – kein Wort mehr gesprochen.*
Aber nichts von alledem passte zu der jungen und neugierigen Frau, die auf eigene Faust versucht hatte, den Mörder ihres Vaters zu finden und in detaillierten Berichten, alles was ihr wichtig zu sein schien, niedergeschrieben hatte!*
Niemand konnte die damals Sechzehnjährige davon abhalten Fragen zu stellen.*
Weder der Bürgermeister, der versuchte den Ruf der Stadt zu wahren - und die Morde als „Selbstmorde“ oder „Unglücksfälle“ abschrieb - noch ihre eigene Familie.
Wieso hatte sie sich so verändert?*
Was hatte sie herausgefunden, dass sich ihr Charakter beinahe um hundert-achtzig Grad drehte und sie ihrem Heimatort für den Rest ihres Lebens den Rücken zu wandte und nie wieder einen Fuß hinein gesetzt hatte?*
Und wieso bestand der letzte Eintrag nur aus der Zeichnung eines kleinen Apfelbaumes?
Sie hatte zwar immer wieder von Ereignissen geschrieben, die selbst eine gestandene Polizistin erschrocken hätten, aber es schien sie nie davon abzuhalten weiter zu ermitteln! Nicht einmal der Brief, der sie kurz nach dem siebten Mord erreicht hatte konnte sie abhalten weiter unangenehme Fragen zu stellen.*
Kurz blickte ich auf das dunkle Briefpapier, das zwischen den Seiten des Tagebuches geklemmt war. Selbst nach über hundert Jahren konnte man erkennen, dass die mahnenden Worte mit Blut geschrieben wurden – mittlerweile waren die Zeilen dunkelbraun.
Erneut las ich den schlecht zusammen gereimten Text:

„Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm,
Die Tochter ist bald wie ihr Vater dran.
Du solltest verschwinden
Oder du wirst dich unter der Krone winden...“

Ein ungutes Gefühl breitete sich in meinem Magen aus und wandelte sich langsam in ein beklemmendes Drücken, als ich wieder zur Baumkrone hinauf blickte und die ersten grünen Früchte bemerkte, die sich dort drohend im Wind wiegten.
Jemand hatte versucht meine Urgroßmutter aufzuhalten und wie es schien, hatte dieser Jemand großen Erfolg damit gehabt. Nur wer war das?
Langsam legte ich den Brief wieder zwischen die vergilbten Seiten und klappte das alte Buch zu.*
Es gab nur eine Möglichkeit Antworten auf all diese Fragen zu finden. Ich musste wie Henriette all meinen Mut zusammennehmen und mich auf Spurensuche begeben.
Eilig packte ich das Buch zurück in meine Tasche und sprang übermütig auf.*
Ich hatte das Gefühl, als würde mich Henriettes Geist führen wollen. Und zwar zur Lösung des Rätsels, das sich in den dunklen Mauern der alten Stadt versteckt hielt und nur Gott allein wusste, ob ich es heil überstehen würde.

 

Hallo Edenka,

ist das eine kurzgeschichte? Mir kommt es eher wie das Einleitungskaptel für einen Roman vor. Daran dürfte es auch liegen, dass die Geschichte keinen wirklichen Schluss hat, sondern manche Fragen in den Raum stellt, von dnenen mri einige auch noch unklar sind.

Jemand hatte versucht meine Urgroßmutter aufzuhalten und wie es schien, hatte dieser Jemand großen Erfolg damit gehabt.
Wieso großen Erfolg? Woraus ergibt sich das? Weil sie noch zwei jahre lebte nach em Tod ihres Mannes? Wie ist sie denn gestorben? Weil sie kein Wort mehr redete?
Weiterhin ist mir nicht klar, weshalb manche Zeilen mit einem * enden. Diesen Asterix verwenden manche Menschen für eine Anmerkung. Aber ich habe keine gefunden.

Auf die kleinen fehlerchen gehe ich jetzt nicht weiter ein.

Liebe Grüße

Jobär

 

Hallo Edenka,

hat mir gut gefallen.

Man kann sich vorstellen, wie die Protagonistin zunächst die friedlich- sommerliche Stimmung am Bach genießt, um dann in das Tagebuch mit den grausamen Entdeckungen zu versinken. Die Sprache gefällt mir.

Am Ende deutest du eine Fortsetzung an, wogegen nichts einzuwenden ist, aber ich würde ein zusätzliches Spannungsmoment einbauen, das den Leser auf die Fortsetzung warten lässt und das auch ihr Leben plötzlich in Gefahr bringt und möglicherweise die Geschichte ihrer Großmutter mit ihrer eigenen verbindet. Zum Beispiel ein Schuss, der plötzlich erschallt? Oder ein Mann, der zwischen den Bäumen des Waldes auftaucht, sie mit finsteren Augen anschaut und wieder verschwindet? Naja, das sind nur ein paar spontane Ideen.

Lieben Gruß

MD

 

Danke für eure Kommentare

Die Asterix sind mir gar nicht aufgefallen :Pfeif:
Sind bloß Formatierungsfehler, die ich heute Abend noch überarbeiten werde, also danke für den Hinweis.
Was die Fragen angeht, die du noch hattest; ich persönlich dachte, die Antworten darauf wären aus der Geschichte selbst ergiebig (ihr Mann starb vor sechzehn Jahren, sie zwei Jahre später, plus der Fakt das sie Urgroßmutter ist - für mich lässt das eigentlich nicht viel Spielraum). Aber nun gut. Ich bin die Autorin - sollte mich wohl mehr bemühen das aus Leser-Sicht zu sehen.
Daher noch einmal ein großes Danke :)

Liebe Grüße
Edenka

 

Liebe Edenka,

würde mir gefallen, noch mehr von dieser Geschichte zu lesen. So empfinde ich deinen Text wie ein Fragment oder, wie schon von MD HerrGarcia gesagt, als den Beginn eines Romans. Es bleiben dem Leser viele Fragen – und die könnte eine Fortsetzung beantworten.

Dein Stil wirkt auf den ersten Blick anschaulich. Ich glaube aber, dass du es nicht übertreiben solltest. Dann entstehen leicht Widersprüche und Logikfehler, ganz abgesehen davon, dass dein Text in die Nähe des Klischeehaften geraten kann.

Hier ein paar Sachen, die mir aufgefallen sind:

Zufrieden setzte ich mich und lehnte mich gegen den breiten Stamm des Apfelbaumes. In dem Moment kam mir alles so friedlich vor. So beruhigend.
Seufzend griff ich in meinen Rucksack und holte das alte Tagebuch meiner Großmutter hervor, welches ich vor einiger Zeit zu lesen – beinahe schon auswendig zu lernen begonnen hatte.

Die warmen Sonnenstrahlen spiegelten sich hell auf der Oberfläche des klaren Baches wieder, der sich laut plätschernd über die Lichtung und durch den Wald zog.
Apfelbäume sind im Wald auch nicht gerade oft zu finden. Besonders selten tragen sie Früchte, wenn sie sich unter dem dichten Laubwerk anderer Bäume befinden.

Auch muss sich das Wetter ziemlich plötzlich geändert haben:

Sanft wog der Wind die dünnen Äste des Apfelbaumes hin und her
als ich wieder zur Baumkrone hinauf blickte und die ersten grünen Früchte bemerkte, die sich dort drohend im Wind wiegten.

Langsam legte ich den Brief wieder zwischen die vergilbten Seiten und klappte das alte Buch zu.*
Es gab nur eine Möglichkeit Antworten auf all diese Fragen zu finden. Ich musste wie Henriette all meinen Mut zusammennehmen und mich auf Spurensuche begeben.
Eilig packte ich das Buch zurück in meine Tasche und sprang übermütig auf.*

Noch ein paar Kleinigkeiten:

M.M.n. müsste es statt „wog“ im ersten Satz „wiegte“ heißen, bin mir aber nicht ganz sicher.

viel es mir schwer zu glauben,

Die dunkle Schrift war bereits Stellenweise

Zum Schluss: Ich finde, du kannst anschaulich schreiben, aber achte darauf, dass die Bilder, die du malst, in sich stimmig sind und möglichst auch nicht zu abgenutzt.

Freundliche Grüße
barnhelm

 

Hallo Edenka

Dein Text hat durchaus etwas an Beschaulichkeit, auch wenn die Inhalte ihm nicht zu einer „Geschichte“ gereichen, oder präziser die Handlung auf der Strecke bleibt, nachdem eine mögliche Einleitung dazu dargelegt ist.
An sich könnte damit alles ausgesagt sein, um Dich anzuregen, Dir erst mal Gedanken zu machen, was denn eine „Geschichte“ ausmacht, sie von andern Textformen unterscheidet.
Doch an der Beschaulichkeit fand ich an sich gefallen - darum ein paar Worte mehr -, nur sollten solche Szenen nicht überzeichnet werden, die Bedeutung gewählter Worte sich nicht in euphorischer Schwärmerei verlieren. Nachfolgendes nur beispielgebend:

Die warmen Sonnenstrahlen spiegelten sich hell auf der Oberfläche des klaren Baches wieder, der sich laut plätschernd über die Lichtung und durch den Wald zog.

Um das Bild den Lesern nahe zu bringen, ist die zitierte Wärme der Sonnenstrahlen eine reine Floskel, die es nicht braucht, deren Spiegelung im Wasser jedoch aussagekräftig, dass diese hell ist, versteht sich wiederum von selbst. Auch wäre das Geräusch des fliessenden Wassers nur dann mit laut zu betonen, wenn ein starkes Gefälle im Gelände ein Plätschern, das bereits einer Neigung bedarf, derart verstärken würde.

Zu beachten gilt auch, dass man zitierte Namen richtig wiedergibt, im Zweifelsfalle deren Schreibweise abklärt:

Die schlimmsten Seiten hätte ich vielleicht sogar als Rohrschacht-Tests im Psychologiekurs verwenden können.

Abgesehen davon, dass es hier um einen Test geht und nicht deren Vielzahl, ist der Name nach dessen Schöpfer Hermann Rorschach festgesetzt, also: Rorschach-Test.
Direkt rätselhaft ist mir allerdings, wie die Protagonistin die Tagebuchseiten mittels dieses antiquierten Tests vornehmen möchte, da dieser nur direkt an einem Probanden angewendet werden konnte, mit fraglichem Ergebnis, nicht aber mittels Materialien von einer Person. – Da sie es in einem „Psychologiekurs“ verwenden will, ist anzunehmen, dass der Kurs an einer Volkshochschule (VHS) mit retrospektiven Darlegungen zur Geschichte der Psychologie gehalten wird.

Die Asterix sind mir gar nicht aufgefallen

Mir auch nicht, wenn damit die Comic-Figur oder der Moderator gemeint ist. Der typografische Begriff für die Sternchen lautet Asterisk, nach dem griechischen Asteriskos = kleiner Stern.

Die Ausgangslage einer retrospektiven Aufklärung einer Mordserie, welche Du geschaffen hast, ist nicht einfach, aber wenn Du eine „Geschichte“ daraus konstruieren kannst, also daran Schreiben, Schreiben, Schreiben, dann alle Achtung. ;)

Schöne Grüsse

Anakreon

 

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