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Von dieser Welt

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04.07.2013
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Von dieser Welt

Sie wartet auf den Kaffee. Nora sitzt im Café und liest Zeitung. An der Wand hängt ein Rennrad, das Mobiliar ist schlicht und das Personal überfordert. Eine beliebte Einkehr für den modernen Hipster. Nora fügt sich nahtlos in das Bild des urbanen Individualismus ein. Sie wirkt etwas verloren an diesem großen Tisch, die Wochenzeitung darauf liegt ausgebreitet wie ein Stadtplan. Alle zehn Minuten jedoch checkt Nora ihr Smartphone in der Hoffnung, jemand interessiere sich für ihr Leben oder wolle sie am jeweils eigenen beteiligen. Doch nichts dergleichen.

In der Zeitung wird wieder einmal Weltbewegendes verhandelt. Der Geist der intellektuellen Gesellschaft gedruckt auf Papier, quasi zum Anfassen. Nora fühlt sich in diesem Moment eins mit den Geistesgrößen, von denen die Zeitung ausladend fabuliert. Als wäre es auch an ihr, den Weltlauf zu bestimmen, sie, die viel über die Welt liest, weiß und spricht, aber an ihr keinen wirklichen Anteil hat.

Der Kaffee kommt und schmeckt dünn. Serviert in einem Marmeladenglas bemüht er sich um seinen Alternative-Anschein, doch dahinter steckt nicht mehr, wie hinter jenem hippen Lebensgefühl der Leute im Café. In dieser Hochburg der Prätention spielt auch Nora sich etwas vor. Eigentlich ist ihr Leben beschränkt auf wenige flüchtige Bekanntschaften, Gelegenheitsfreunde und entfernte Freunde. Selten pflegt sie mit ihnen mehr als nur Smalltalk, redet oft über Belangloses, mit einer Inbrunst, als hinge ihr Leben daran.

Nora versteht sich als geistiger Mensch. Die Gesellschaft existiert in ihrer Überlegung nur als Abstraktum, die sie bloß als solche interessiert. Die Menschen, die ihr begegnen, betrachtet sie abschätzig, nein, vielmehr verabscheut sie ihren Lebenswandel und will das auch strikt vom Menschen an sich trennen. Letztlich verzweifelt sie an einem richtigen Menschenbild. Immer wieder richtet sie es neu aus, um es mit der Wirklichkeit in Einklang zu bringen - oder doch nur mit ihrem blanken Idealismus. Nora denkt allgemein zu viel. Was nützen ihre Überlegungen, wo sie doch keine echten Freunde hat, an denen sie zum Tragen kommen würden. Nora ist davon überzeugt, dass sie ein Mensch mit noblen Ansichten und einer liebenswerten Art ist, wie sie die wenigsten vorzuweisen haben.

Doch sie kann sich damit nur selbst imponieren, wie sie diese Gedanken in einem überteuerten Kaffeehaus ausformuliert, Feuilleton liest und sich ausmalt, wie toll die Menschen sie doch finden müssten. Und doch vergleicht sie sich nur mit einer Illusion der Anderen und damit mit sich selbst. So kreist Nora um ihr eigenes Ich, es bleibt ihr sonst auch niemand übrig, sie selbst ist ihre Freundin. Narzissmus und Selbsthass vereint in einer Person, Hadern mit der Welt in der nur sie vorkommt.

Keine Deutung scheint zuzutreffen, alles nur Ausflucht und fadenscheinige Rechtfertigung. Jede Erklärung der Welt kommt ihrer Vernichtung gleich. Lieber erträgt Nora das Unbehagen die Getriebenheit, anstatt Klarheit erlangen zu wollen. Dann könnte sie ja gleich in die Kirche eintreten. Allein macht sie an diesem Samstag ihre Schritte durch die Stadt, die Großstadt, die für sie unheimlich und machtvoll dicht in die Höhe ragt. So wie ein Landstreicher in den zwanziger Jahren Berlin vor Augen hatte.

Erleichtert betritt Nora die leere Wohnung. Die Zeitungen verstopfen die Schubladen, die Gedanken den Kopf, Fotos jedoch hängen keine, die Wände sind kahl. Es ist still im Zimmer; draußen das Geräusch eines vorbeifahrenden Autos.

 

Nihilist schreibt:

Ein zügig geschriebene Geschichte, die eher intuitiv denn geplant entstanden ist.

Anmerkungen zum Text bitte separat.

 

Hallo Nihilist,

die Idee deiner Geschichte gefällt mir gut.

Ich hätte mir allerdings etwas mehr Aktionen gewünscht. Z.B. beschreiben, warum das Personal im Café überfordert ist. Ist es zu voll? Gibt es zuwenig Personal?
Es fehlt m.M. der Bezug zu den anderen Leuten im Café. Wieso haben sie ein hippes Lebensgefühl und wie drückt es sich aus?

Die folgende Stelle fand ich sehr gut: "Nora fügt sich nahtlos in das Bild des urbanen Individualismus ein. Sie wirkt etwas verloren..." Guter Kontrast.

"In der Zeitung wird wieder einmal Weltbewegendes verhandelt": müsste sicherlich "behandelt" heißen.

Dann habe ich mich noch gefragt, was mit "entfernte Freunde" gemeint ist. Die man selten sieht? (dann wären es ja vielleicht die "Gelegenheitsfreunde"). Oder wohnen diese Freunde weit entfernt weg?

"Fotos jedoch hängen keine, die Wände sind kahl": Finde ich ein wenig komisch, diese Beschreibung.

Und warum ist sie schließlich erleichtert, in ihrer Wohnung zurück zu kommen?
Weil sie da so sein kann (anders?), als sie sich im Café gegeben hat?

Ich habe die Geschichte gerne gelesen.
Schönen Sonntag noch.

Gruß, GoMusic

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Nihilist,

der Tag Philosophisches ist von der Sache her schon passend für deine Geschichte, obwohl: Eine Geschichte ist es für mich nicht. Es gibt ja keinerlei Handlung.
Nora ist für mich eigentlich ein Widerspruch in sich. Wenn du das so gewollt hast, ist es bei mir angekommen.

Alle zehn Minuten jedoch checkt Nora ihr Smartphone in der Hoffnung, jemand interessiere sich für ihr Leben oder wolle sie am jeweils eigenen beteiligen.

(... am jeweils Eigenen ...) gestrichen!

P.S.: Sorry, Irrtum von mir, hier stimmt dein Satz.

Als wäre es auch an ihr, den Weltlauf zu bestimmen, sie, die viel über die Welt liest, weiß und spricht, aber an ihr keinen wirklichen Anteil hat.

Das glaube ich dir nicht. Wer sich mit der Welt befasst, wodurch auch immer, ob Lesen, Filme, hat meiner Meinung schon einen Anteil an der Welt. Wer beschäftigt seich mit einer Sache, über die er viel weiß, ohne irgendeinen Antrieb?

Serviert in einem Marmeladenglas bemüht er sich um seinen Alternative-Anschein, doch dahinter steckt nicht mehr, wie hinter jenem hippen Lebensgefühl der Leute im Café.

... doch dahinter steckt nicht mehr, als hinter ...
Sonst müsste es hier heißen: ... doch dahinter steckt so viel, wie hinter ...

Gelegenheitsfreunde und entfernte Freunde

Einmal würde ich beides als fast gleichbedeutend ansehen und zum anderen klingt diese Doppelung (Freunde) nicht gut.

Nora versteht sich als geistiger Mensch.

Als wen versteht sich Nora? Als geistigen Mensch.

Die Gesellschaft existiert in ihrer Überlegung nur als Abstraktum, die sie bloß als solche interessiert.

Was jetzt? Sie interessiert die Gesellschaft bloß als Gesellschaft? Wenn die Gesellschaft in ihren Überlegungen nur als Abstraktum existiert, dann interessiert sie sie bloß als solches, nämlich als Abstraktum.

Die Menschen, die ihr begegnen, betrachtet sie abschätzig, nein, vielmehr verabscheut sie ihren Lebenswandel und will das auch strikt vom Menschen an sich trennen.

Verstehe ich nicht. Was will sie strikt vom Menschen trennen? Die Aussage fehlt komplett oder ich begreife diesen Satz nicht.

Und doch vergleicht sie sich nur mit einer Illusion der Anderen und damit mit sich selbst.

Wenn sie keine echten Freunde hat und ihre Überlegungen nicht mit wirklichen Menschen in Einklang bringen kann, dann kennt sie doch die Illusion der Anderen gar nicht. Sie kann diesen Vergleich m.E. gar nicht anstellen, wie du sie hier zeichnest.

Lieber erträgt Nora das Unbehagen[KOMMA] die Getriebenheit, anstatt Klarheit erlangen zu wollen.

Dann könnte sie ja gleich in die Kirche eintreten.

Also, ich meine, die Kirche ist nun absolut nicht der Ort, wo der Mensch alleine gelassen ist. Ob sie dort ihre Psyche ausgefitzt kriegt, ist eine ganz andere Frage.

Allein macht sie an diesem Samstag ihre Schritte durch die Stadt, die Großstadt, die für sie unheimlich und machtvoll dicht in die Höhe ragt. So wie ein Landstreicher in den zwanziger Jahren Berlin vor Augen hatte.

Warum frierst du dieses Bild jetzt ein?

Erleichtert betritt Nora die leere Wohnung. Die Zeitungen verstopfen die Schubladen, die Gedanken den Kopf, Fotos jedoch hängen keine, die Wände sind kahl. Es ist still im Zimmer; draußen das Geräusch eines vorbeifahrenden Autos.

Also, wenn ein einzelnes Auto ein Geräusch von draußen bringt, dann ist in unserer Stadt Sonntag Morgen. Die Großstadt kenne ich anders.

Die Zeitungen verstopfen die Schubladen, die Gedanken den Kopf, Fotos jedoch hängen keine, die Wände sind kahl.

Die Aussage dieses Satzes verschließt sich mir, denn das eine hat mit dem anderen absolut nichts zu tun. Die Beschreibung der Wohnung, dass Zeitungen Schubladen, die Gedanken den Kopf verstopfen, ist ja in Ordnung. Die fehlenden Fotos hängen von der Aussage her in der Luft.

Schönen Gruß
khnebel

 

Hallo Nihilist und khnebel

Alle zehn Minuten jedoch checkt Nora ihr Smartphone in der Hoffnung, jemand interessiere sich für ihr Leben oder wolle sie am jeweils eigenen beteiligen.
... am jeweils Eigenen ...
Da eigenen durch das hier ausgelassene Leben ergänzt wird, wird es mMn klein geschrieben.

Jobär

 

ich habs in meinem ersten Post geändert und gekennzeichnet. War ein Irrtum von mir, ich hab den Bezug nicht gesehen.

khnebel

 

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