Freigeister
Nebenan, in der alten Zuckervilla, sagt sie, hausten seit Jahren Alternative. Als Freigeister bezeichneten sie sich selbst. Sie habe dort schon alles beobachtet, was sie sich je habe vorstellen können und noch mehr, erzählt sie und legt das Fernglas zurück auf die Fensterbank. Von hier habe sie einen guten Blick. Und man habe ja schließlich Verantwortung. Für sich und die, die einem nahe stünden. Und Nachbarn seien an allem ziemlich nah dran. Wie die Barbara an ihrem Mann. Eine Kommune sei das. Mindestens. Die Melanie habe schon einige Phasen hinter sich: eine Zeitlang habe sie sich als Rockerbraut gestylt und sei auf dem Motorrad herum gebrettert. Danach habe sie ungefähr drei Männer lang ein elegantes Cabrio gefahren. Normal sei das nicht. Aber die alte Villa sei das ja auch nicht. Nicht mehr, seit der Junge verschwunden sei, der dort gewohnt habe. Das sei in den Achtzigern gewesen, daran erinnere sie sich genau. Und nun: alle weg? Merkwürdig. „Vielleicht hat jemand die Freigeister frei gelassen“, kichert sie, verstummt dann abrupt. Wann sie zuletzt drüben gewesen sei? Letzte Woche, sagt sie, zum Putzen. Das könne sie gut, sagt sie. Häuser von ihrem Schmutz zu befreien, sagt sie, das sei ihre Berufung. Was sie gemacht habe? Das Haus gesäubert und aufgeräumt. Nicht mehr, nicht weniger.