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Schwebende Schlösser

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25.12.2013
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Schwebende Schlösser

Deine Hand ist kalt, als ich nach ihr greife. Ich umschließe sanft deine zarten Finger und denke an früher, als du es warst, die immer nach meiner Hand griff und mich nach draußen zog, ein breites Lächeln im Gesicht. Ich wünschte, alles wäre noch wie damals.

„Erzähl mir eine Geschichte“, sagtest du und wir legten uns auf das taufeuchte Gras, ließen uns von der Sonne wärmen uns sahen zu den weißen, flauschigen Wattetürmen empor, die langsam über den Himmel zogen. Wie schwebende Schlösser.
Ich erfand für dich die Bewohner. Prinzessinnen und Prinzen, Elfen und Einhörner. Sie erlebten wilde Abenteuer und immer wolltest du mehr hören. Manchmal wusste ich nicht mehr weiter, doch dann sah ich dich an und mir fiel wieder etwas ein. Gebannt lauschtest du mir, und wir vergaßen ganz die Zeit, bis Mama nach uns rief.
Dann spieltest du den ganzen Tag mit Freunden und ich dachte, du hättest den Morgen vergessen. Aber am nächsten Tag kamst du wieder zu mir ans Bett und zogst mich nach draußen, noch bevor Mama wach wurde, und wir legten uns auf das taufeuchte Gras. Die Geschichten gingen weiter, am Himmel war viel los.
Die Ferien gingen zu Ende. Jetzt gingst du nach der Schule mit mir nach draußen und ich erzählte dir wieder Geschichten von der hübschen Prinzessin im Wolkenschloss und den Abenteuern, die sie erlebte.
An einem Tag regnete es, doch trotzdem lagen wir auf dem Gras und ich erzählte dir von dem bösen Fürsten, der von seiner grauen Burg aus den Himmel regierte, denn die dunklen Wolkentürme erinnerten mich an düstere Burgen. Es dauerte nicht lange, bis deine Prinzessin ihn besiegte, den bösen, dunklen Fürsten, und wieder die Sonne schien. Die schwebenden Schlösser kehrten an den Himmel zurück, strahlend weiße und flauschige Schlösser.
Du wurdest älter und deine Helden wuchsen mit dir. Mit uns. Die Geschichten wurden spannender, die Prinzessin verliebte sich zum ersten Mal, so wie ich es tat. Es war unsere ganz eigene Art, miteinander zu reden, die sonst niemand verstand.
Manchmal überließ ich dir das Erzählen und du wurdest immer besser. Einmal sagtest du mir, wir müssten die Geschichten aufschreiben, und so setzten wir uns zusammen an Mamas Computer, du auf meinem Schoß, und verewigten die Abenteuer der Wolkenwelt.
Immer schneller schienst du älter zu werden. Wir lagen nicht mehr jeden Nachmittag im Garten und sahen zu den Wolken empor, doch noch immer kamst du zu mir, wenn du gerade Langeweile hattest und zogst mich nach draußen, damit ich dir eine Geschichte erzählte.
Ich glaube nicht, dass du irgendjemanden etwas davon erzählt hast, wie auch ich es nicht tat. Es war unsere ganz eigene kleine Welt.

Jetzt liegst du hier, umgeben von Schläuchen und surrenden, piependen Apparaten und du wirkst so klein in dem großen, weißen Bett. Ich wünschte, du würdest aufwachen, mich mit deinem süßen Lächeln ansehen und um eine Geschichte bitten, aber deine Augen sind geschlossen. Es ist zu spät.
Vor dem Fenster erobert der böse Fürst den Himmel, dunkle Wolkentürme haben die Sonne verdrängt. Und jetzt kannst du der Prinzessin nicht mehr helfen, ihn zu besiegen.

 

Hallo Chanya,

jetzt habe ich eine Träne im Augenwinkel. Das ist eine schöne, aber traurige Geschichte, die schön erzählt ist.

Ich nehme an, es handelt sich um den kleinen Bruder deiner Protagonistin, der unheilbar krank war und in der kleinen Welt, die sich die beiden geschaffen hatten, ein bisschen Glück finden durfte.

Ich glaube nicht, dass du irgendjemanden etwas davon erzählt hast, wie auch ich es nicht tat.

Ich glaube nich, dass du irgendjemandem etwas ...

Das war das einzige, das mir aufgefallen war.

Ich hab's gern gelesen
khnebel

 

Hallo Chanya,

Khnebel hat schon einiges gesagt, aber für mich ists ein kleines Requiem auf den kleinen Bruder, der wahrscheinlich eher nur gering älteren Protagonistin, der Schwester – das zu schreiben, sträuben sich die wenigen Finger aus meinem Dreifingersystem im Umgang mit den Tasten, denn wenn’s persönlich durchlitten ist, trotz der positiven Sprache, ist das das Härteste, was einem jungen Menschen widerfahren kann.. Es geht mir fast so, wie vor wenigen Jahren, als ich das erste Mal Bob Dylan’s “Hold on John“ hörte, ein Requiem auf John Lennon. War ich vordem zehn Jahre jünger als der, bin ich nun ein Vierteljahrhundert älter als er - was natürlich nicht vergleichbar ist mit dem Sterben eines nahen, geliebten Mitgliedes der Familie/des Freundes-/Bekanntenkreises. Das Leben ist manchmal zum Heulen - und Du schaffst es, dergleichen unaufgeregt zu schildern.

Aber das Sterben gehört zum Leben, mit dem man sich vielleicht nie abfinden kann, aber schlichtweg muss. Wichtig ist, dass die Erinnerung nicht verloren gehe. Und da ist – m. E. – das Internet in seiner Flüchtigkeit die größte Gefahr!

Nach Khnebel komm nun ich noch mit’n paar Hinweisen:

Reine Flüchtigkeit (Taste s und d liegen halt nebeneinander)

…, ließen uns von der Sonne wärmen un[d] sahen zu den weißen, flauschigen Wattetürmen empor, …

Immer schneller schienst du[,] älter zu werden.
…, doch noch immer kamst du zu mir, wenn du gerade Langeweile hattest[,] und zogst mich nach draußen, damit …
Jetzt liegst du hier, umgeben von Schläuchen und surrenden, piependen Apparaten[,] und du wirkst so klein in dem großen, weißen Bett.
(Nebensatz zu Ende)
Es war unsere ganz eigene[,] kleine Welt.


Friedel,
der meint, dass da - eben Dir - was wächst!

 

Liebe Chanya,
da hast du eine sehr schöne Geschichte geschrieben. Sie wirkt so authentisch, dass ich annehmen muss, du beschreibst dein eigenes Leben. Wenn dem nicht so ist, so bringst du doch sehr viel Phantasie ein. Dem Leser fällt es leicht, sich die beiden Geschwister vorzustellen und er wird berührt von der Beziehung der beiden zueinander.
Ich habe deine Geschichte gerne gelesen und glaube auch, dass du als kleine Schriftstellerin eine Zukunft hast.
Freundliche Grüße
barnhelm

 

Liebe Chanya,

Du erzählst in deiner Geschichte sehr berührend, wie die beiden Geschwister durch die Wolkengeschichten zusammengeschweisst wurden. Es war ihre eigene Welt, zu der sonst keiner Zutritt hatte.
Der Schluss geht unter die Haut. Es ist schwer Angehörige oder Freunde, die man liebt, zu verlieren.
Aber wie Friedel sagt: Es ist wichtig, dass die Erinnerung nicht verloren geht.

Und ich möchte noch einen Satz hinzufügen, den ich einmal gehört habe: Die schönen Erinnerungen sind das einzige Paradies, aus dem uns niemand vertreiben kann.

Ich habe die Geschichte sehr gern gelesen.
Du hast Talent zum Schreiben.

Alles Gute wünscht Dir
Marai

 

Hallo Chanya,

Super Schreibstil und tolle Geschichte, wenn ich mal von der Möglichkeit einer authentischen Erzählung absehe.

Zum aussetzen finde ich nichts, wurde alles gesagt.

Gratuliere und viel Spaß beim schreiben.

LG

BRM

 

Hallo Chanya,

ich war von deiner Geschichte sehr gerührt. Sie trifft mitten ins Herz und hat mir sehr gut gefallen. Dein Schreibstil ist sehr schön. Die Traurigkeit der Erzählerin kommt gut rüber. Es gibt eigentlich nichts, was ich dem, was bereits gesagt wurde, hinzufügen könnte.

Außer: Super gemacht und weiter so :)

Es grüßt
Dreamwalker

 

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