Was ist neu

Ein Mädchen

Mitglied
Beitritt
03.05.2015
Beiträge
2

Ein Mädchen

Ein Mädchen

Beweg dich bloß nicht! Tu so, als wärst du nicht zu Hause. Du musst leiser atmen! Streng dich mehr an, verdammt noch mal! Wieso fängst du jetzt an zu schwitzen? Dein Herz schlägt schneller und schneller. Du bist zu schwach, um den Herzschlag zu kontrollieren. Er wird es mit Sicherheit hören, meinst du nicht? Da! Er kommt näher! –

Panisch verkriecht sie sich tiefer in die Ecke ihres Zimmers, die Beine fest an ihren Körper gepresst und eng mit den Armen umschlungen. Sie stellt sich vor, wie die Wand sie verschluckt und unsichtbar machen würde. Dabei weiß sie genau, dass diese Ecke sie nicht beschützen wird. Denn nichts und niemand kann sie schützen. Niemals. Da ist sie sich mittlerweile sicher. Hatte sie denn nicht erst letzte Woche ganz eindeutige Botschaften in ihr Arbeitsheft in der Schule geschrieben, welche von der Klassenlehrerin eingesammelt wurden? Hatte sie nicht um Hilfe gebeten? Ja, gebettelt? Geschrieben, dass sie nicht mehr Leben will?

Und? Hat es dir geholfen? Nein! Du wurdest deswegen noch von deiner Lehrerin angemeckert und hast Punktabzüge wegen deiner Kritzeleien bekommen. Das hast du nun davon! Ich habe dir schon immer gesagt, dass du vollkommen allein und auf dich gestellt bist und niemand je deinen Alptraum beenden kann. Merk dir das endlich! Du bist schuld! Du ganz allein! Niemand wird das jemals ändern können, denn du bist verantwortlich.

Die Türklinke geht langsam runter. Sie öffnet sich und er guckt sich im Raum um. Ein diabolisches Grinsen auf dem Gesicht. Seine eiskalten blauen Augen haben sie in der Ecke entdeckt und fixiert. „Was soll das?“ faucht er sie an. „Ich habe dich gerufen und dann hast du gefälligst zu kommen! Das habe ich dir schon oft genug erklärt! Wie blöd bist du eigentlich?“
Sie zittert. Sieht keinen Ausweg. Aber bewegt sich nicht von der Stelle. Dadurch wird er wütend und seine Augen verengen sich.
„Ich habe mit dir gesprochen“ fährt er sie harsch an. Sie reagiert nicht. Mit drei großen Schritten ist er bei ihr und zieht sie an ihren langen blonden Haaren vom Boden hoch. Sie gibt keinen Mucks von sich. Plötzlich nimmt er ihren Arm, reißt ihn ihr auf den Rücken und dreht ihn dort noch weiter. Aber sie gibt immer noch keinen Laut von sich.

Warum schreist du nicht? Warum wehrst du dich nicht? Warum läufst du nicht weg? Sie alle haben recht, nicht wahr? Du bist zu nichts zu gebrauchen und die personifizierte Blödheit!

Mit einer Hand noch immer an den Haaren ziehend und mit der anderen ihren Arm am Rücken festhaltend zieht er sie mit sich in das Badezimmer, am Ende des Flures. Er schließt die Tür hinter sich ab.
„Los! Zieh deine Hose aus!“, befiehlt er ihr.
Sie zittert.
„Bist du selbst für die einfachsten Dinge nicht zu gebrauchen?“, schreit er sie an.
Papa schläft im Raum nebenan, denkt sie. Er darf nicht so laut sein, sonst merkt Papa was. Mama ist zum Glück einkaufen. Ich muss noch Hausaufgaben machen, sonst bekomme ich wieder Ärger. Wenn ich groß bin, werde ich bestimmt Tierärztin. Muss man da auch mit Insekten arbeiten? Ich mag keine Insekten. Vielleicht kann ich an meine Praxistür schreiben, dass ich nur Hunde und Katzen behandeln werde? Ist ja dann schließlich meine eigene Praxis.

Zack! Er hat ihr die Hose runter gerissen und drückt sie brutal auf den Boden.

Plötzlich ist sie auf einer großen Wolke. Es fühlt sich an, als liefe sie auf Zuckerwatte. Sie hat ihre beste Freundin bei sich, mit der sie lachend über die Zuckerwattehügel hüpft. Die Sonne scheint warm auf ihrer Haut und sie trägt ein wunderschönes Sommerkleidchen.
„Schau mal da drüben! Siehst du das rosa Pferdchen?“, ruft ihre Freundin. Völlig begeistert laufen die beiden Freundinnen auf das Pferdchen zu.
„Es hat ja sogar Flügel!“, realisiert sie begeistert, als sie ihm näher gekommen sind.
„Meinst du, wir können uns darauf setzen?“, wundert sich die Freundin.
„Lass es uns einfach mal probieren. Wenn es uns nicht mag, landen wir ja einfach in den Zuckerwattehügeln und die tun uns bestimmt nicht weh.“
Freudig hopsen sie auf das rosa Pferdchen mit den Flügeln und sofort hebt es ab. Sie fliegen immer höher hinaus und immer weiter fort von den Zuckerwattehügeln in Richtung des Regenbogens, welchen sie zuvor gar nicht wahrgenommen hatten. Auf der höchsten Stelle des Regenbogens landet das rosa Pferdchen und geht in die Knie, damit die beiden Freundinnen problemlos absteigen können.
„Ist das schön hier! Es glitzert hier überall! Und guck mal dort drüben, da rutschen Kinder den Regenbogen herunter. Das wird bestimmt Spaß machen!“
Hand in Hand laufen die Mädchen zu den anderen Kindern und fragen, ob sie mit ihnen rutschen dürfen. Diese freuen sich über noch mehr Spielgefährten und nehmen sie sofort in ihre Runde auf. Freudestrahlend rutschen die Kinder den Regenbogen hinab. Mal allein. Mal mit anderen zusammen. Dabei jauchzen sie vor lauter Freude, während um sie herum Schmetterlinge tanzen. Irgendwann rutscht das Mädchen auch alleine. Erst ist es noch genauso freudig wie zuvor mit den anderen Kindern, aber um sie herum ist plötzlich alles so ruhig. Sie hört kein Kinderlachen mehr. Es fliegen keine Schmetterlinge mehr um sie herum. Der Himmel ist stark bewölkt und erste Tropfen fallen vom Himmel. Ihr Mund tut weh.

„Mach deinen scheiß Mund auf und schluck gefälligst, was man dir sagt!“, schreit er sie an. Sie fühlt nur etwas großes, Ekliges in ihrem Mund. Er stöhnt. Das eklige Ding ist weg. Er drückt ihren Mund zu. Sie muss schlucken. Er tritt sie und mit einem dreckigen Lachen befiehlt er ihr, sich anzuziehen.
„Wenn du irgendjemandem was erzählst, bringe ich dich um. Hast du mich verstanden?“
Sie nickt und er schickt sie in ihr Zimmer, wobei er ihr hinterher ruft, dass sie eine unnütze, dreckige Schlampe sei.

Sie glaubt ihm.

Im Zimmer sitzt sie angespannt da und ekelt sich vor sich selbst. Ihr tut alles weh. Sie darf nicht duschen und sich nicht die Zähne putzen, denn das würde auffallen. Sowas darf man nur am Abend machen, so wie ihr es beigebracht wurde. Sie weiß, dass ihr Bruder sie dafür bestrafen würde, wenn sie jetzt Duschen ginge. Das hat sie schon mal probiert und hatte anschließend noch viel schlimmere Schmerzen, als sonst.

Siehst du? Du hast es wieder zugelassen, dass er sowas mit dir macht! Du bist ein Schwächling! Ein ekelhafter, dreckiger Schwächling! Zu nichts zu gebrauchen! Es ist ein Wunder, dass du allein essen und auf Toilette gehen kannst. Deine Eltern hätten dich besser abgetrieben! Der ganzen Welt wäre damit diese Schande erspart worden. Du bist ein Nichts! Ein Niemand! Wann kapierst du das endlich?

Sie zieht ihre Schuhe an.

Ja! Weglaufen! Das kriegst du hin? Denkst du, es interessiert irgendjemanden, wo du bist?

Sie zieht ihre Jacke an.

Du brauchst dich nicht vor der Kälte schützen. Es ist egal, wenn du krank wirst. Das zeigt nur wieder, wie schwach du bist.

Sie verlässt das Haus und schließt die Tür leise hinter sich zu.

Es hat angefangen zu dämmern, aber das bemerkt sie nicht. Sie hat nur ein Ziel vor Augen: Die Bahnbrücke, gegenüber ihres Elternhauses. Jeder Körperteil schmerzt und jeder Schritt macht es schlimmer. Aber es ist ihr jetzt egal. Alles ist ihr jetzt egal.

Was willst du machen? Wie ein Feigling von der Brücke springen? Du bist doch selber schuld! Wie oft muss ich dir das noch sagen? Aber mach ruhig! Anschließend ist die Welt wieder ein friedlicher Ort. Glaub mir!

Sie steigt auf das Brückengeländer. Eine frische Brise streicht ihr durch das Gesicht und sie schaut nach oben.
Vielleicht kann ich auch im Himmel Tierärztin werden. Vielleicht habe ich dort keine Schmerzen mehr, denkt sie, und springt.

 

Hallo Aurelja,

puuuhh, das ist harter Stoff. Mich nimmt sowas immer ganz schön mit, weil ich mir gar nicht vorstellen kann, wie schlimm man sich fühlen muss, wenn einem so etwas passiert. Ich finde deine Geschichte mitreißend und glaubwürdig. Das Hin und Her zwischen realem Geschehen und ihren Gedanken (oder Stimmen im Kopf) ist passend. Auch als sie sich in eine "Zuckerwatte-Welt" wegträumt, um das, was gerade mit ihr passiert, so weit es geht von sich wegzuschieben, finde ich plausibel. Und tragisch.

Ein paar Kleinigkeiten:

Sie stellt sich vor, wie die Wand sie verschluckt und unsichtbar machen würde.
Hier würde ich eher schreiben "unsichtbar macht".

Die Türklinke geht langsam runter. Sie öffnet sich und er guckt sich im Raum um.
"Geht langsam runter" klingt ein wenig unbeholfen. Im nächsten Satz klingt es, als würde die Türklinke sich öffnen und nicht die Tür. Vielleicht so: "Sie sieht wie Türklinke langsam heruntergedrückt wird. Sein Kopf schiebt sich durch den Türspalt und er sieht sich suchend im Raum um." Nur als Idee.

Du bist zu nichts zu gebrauchen und die personifizierte Blödheit!
Das fett markierte würde ich weglassen.

zieht er sie mit sich in das Badezimmer[,] am Ende des Flures
Das Komma braucht es hier nicht.

Die Szene des Missbrauchs ist schmerzhaft deutlich beschrieben. Ich leide mit der Kleinen richtig mit. Als sie anfängt, sich anzuziehen, weiß man schon, worauf es hinauslaufen wird. Das macht es aber nicht weniger schlimm. Ich finde deine Geschichte hart aber dementsprechend gut ge- und beschrieben.

Viele Grüße
RinaWu

 

puh, ein sehr sehr schlimmes Thema

ein paar Gedanken von mir dazu:
ich denke diese plakative Beschreibung des Missbrauchs ist nicht notwendig. Es ist sehr sehr schwer auszuhalten, das zu lesen und ich hab mich wirklich zwingen müssen es nicht wegzuklicken
so schlimm ein Missbrauch in Wirklichkeit ist, ich finde nicht, dass du es so brutal beschreiben müsstest um deine Botschaft rüber zu bekommen

Was ich schön fände, wenn es zum Schluss noch einen Bezug zu ihrem Traum gibt. Es ist zwar schwierig zu bestimmen, wie alt genau das Mädchen ist, aber sie könnte doch Tierärztin bei ihren Fantasiepferdchen werden wollen?
Für mich fehlt da einfach das Abgeschlossene an der Geschichte

und die letzten 2 Wörter braucht es eigentlich auch nicht, jeder weiß, was sie machen wird (das ist jetzt mein Faible für offene Enden ;) )

was mir gut gefällt ist diese Sicht auf ihre Gedanken. Wie sie sich selbst die Schuld gibt, und wie sie mit sich selber "von außen" spricht (sich selbst mit DU anredet), das ist sehr authentisch

lg
Little witch

 

Hallo Aurelja,

erst einmal herzlich Willkommen hier bei den Wortkriegern. Du startest gleich mit einem sehr harten Thema, schwerer, sadistischer Missbrauch durch den Bruder und die Zerstörung, die das Mädchen an Körper und Seele erleidet. Eindrucksvoll beschreibst du, wie sie die Verachtung und Gewalt, die sie erlebt, verinnerlicht. Und auch, wie sie abdriftet, dissoziiert, um bei dem eigentlichen Geschehen kaum dabei zu sein. Je entsetzlicher das wahre Geschehen, desto süßer, schöner und wärmer der Film, der in ihr abläuft.

Es gibt ein paar Punkte, die mir noch unklar sind.

Er wird es mit Sicherheit hören, meinst du nicht?

die Frage scheint mir nicht ganz passend, eher höflich, fast ein bisschen unsicher. Ich erlebe die Stimme sonst anders.

Ein diabolisches Grinsen auf dem Gesicht. Seine eiskalten blauen Augen haben sie in der Ecke entdeckt und fixiert.

Das sind schon etwas abgegriffene Ausdrücke. Vielleicht gibt es noch andere Möglichkeiten zu erzählen, dass er die Siuation genießt?

Sie zittert. Sieht keinen Ausweg. Aber bewegt sich nicht von der Stelle. Dadurch wird er wütend und seine Augen verengen sich.

die Aussichtslosigkeit ihrer Situation hast du bis dahin schon gut dargestellt. Und dadurch dass seine Augen sich verengen und er sie hinterher anschreit wird auch deutlich, dass er wütend ist. Insofern könnte man das Ganze auch kürzen. Z.B. "Sie zittert. Seine Augen verengen sich. "Ich habe mit dir gesprochen..."

Papa schläft im Raum nebenan, denkt sie. Er darf nicht so laut sein, sonst merkt Papa was. Mama ist zum Glück einkaufen.

Das erscheint mir unglaubwürdig, dass der Bruder so schreit, wenn die Gefahr besteht, dass der Vater das mitbekommt. Auch frage ich mich natürlich, warum sie sich nicht von den Eltern Hilfe erhofft, sondern die Entdeckung fürchtet. Vielleicht könntest du dazu noch einen Hinweis geben.

Ich muss noch Hausaufgaben machen, sonst bekomme ich wieder Ärger. Wenn ich gross bin, werde ich bestimmt Tierärztin. Muss man da auch mit Insekten arbeiten? Ich mag keine Insekten. Vielleicht kann ich an meine Praxistür schreiben, dass ich nur Hunde und Katzen behandeln werde? Ist ja dann schliesslich meine eigene Praxis.

Das finde ich gut geschrieben, wie sie krampfhaft anfängt an andere Dinge zu denken.

Plötzlich ist sie auf einer großen Wolke.

Und hier ist das nichts mehr, was sie aktiv tut, es passiert mit ihr. Das zuckrige Bild mit den Pferden, in dem sie ein Kind sein darf und nicht mehr allein ist, ist anrührend.
Sie kommt nicht erst in ihrem Zimmer zu sich, was auch eine Möglichkeit gewesen wäre, sondern schon mitten in der Situation. Dass du die dann so drastisch beschreibst, finde ich richtig.

Und dann ist da noch diese innere Stimme, die ihr die Schuld zuweist und sie nieder macht. Immer wieder dieselben Sätze in sie reinhämmert. Das hast du gut beschrieben.

Sie glaubt ihm.

Es wäre auch möglich, die Geschichte hier enden zu lassen. Das fände ich in einer Art erschütternder, als ein Selbstmord, weil man innerlich bei dem Mädchen bleibt und sich vorstellt, wie es sein muss, mit diesem Gefühl aufzuwachsen.

Ich wünsche dir noch viel Spass beim Schreiben und in diesem Forum.

Liebe Grüße, Chutney

 

Hallo Aurelja,

harter Text, muss man schon sagen. Hart in dem Sinn, weil man da glatt mitfühlen kann. Insgesamt finde ich das gut geschrieben. Die Geschichte hat mich mitgerissen.

Sie stellt sich vor, wie die Wand sie verschluckt und unsichtbar machen würde.
"macht" sollte hier stehen, oder? Ist sonst ein Tempuswechsel denke ich.

Die Türklinke geht langsam runter. Sie öffnet sich und er guckt sich im Raum um. Ein diabolisches Grinsen auf dem Gesicht. Seine eiskalten blauen Augen haben sie in der Ecke entdeckt und fixiert.
Fand ich gut.

Warum schreist du nicht? Warum wehrst du dich nicht? Warum läufst du nicht weg? Sie alle haben recht, nicht wahr? Du bist zu nichts zu gebrauchen und die personifizierte Blödheit!
War für mich a bisschen zu viel.

Ich muss noch Hausaufgaben machen, sonst bekomme ich wieder Ärger. Wenn ich groß bin, werde ich bestimmt Tierärztin. Muss man da auch mit Insekten arbeiten? Ich mag keine Insekten. Vielleicht kann ich an meine Praxistür schreiben, dass ich nur Hunde und Katzen behandeln werde? Ist ja dann schließlich meine eigene Praxis.
Fand ich gut wie sich sich von ihrem Schicksal ablenken will.

„Mach deinen scheiß Mund auf und schluck gefälligst, was man dir sagt!“, schreit er sie an. Sie fühlt nur etwas großes, Ekliges in ihrem Mund. Er stöhnt. Das eklige Ding ist weg. Er drückt ihren Mund zu. Sie muss schlucken. Er tritt sie und mit einem dreckigen Lachen befiehlt er ihr, sich anzuziehen.
Ist echt übel das zu lesen... eigentlich! ... aber für den Lauf der Geschichte und der damit verbunden Gefühle ist das wichtig. Wäre dies nicht vorhanden, würde man das Ende nicht so ganz nachempfinden.

Sie steigt auf das Brückengeländer. Eine frische Brise streicht ihr durch das Gesicht und sie schaut nach oben.
Vielleicht kann ich auch im Himmel Tierärztin werden. Vielleicht habe ich dort keine Schmerzen mehr, denkt sie, und springt.
Ich weiß wie Du das Ende gemeint hast, bzw. wie es ankommen sollte, aber irgendwie kommt es nicht so ganz rüber. Wenn man Deine Geschichte liest, hat man fast die ganze Zeit eine gewisse Anspannung, das ist toll, ... also bis auf die "harte" Stelle! Das Ende ist dafür wie der restliche Text, die Kurve geht nicht nach oben.

Schöne Grüße
Farbklecks

 

Hallo Aurelja,

willkommen erstmal im Forum. :)

Wie meine Vorkommenatoren schon meinten: Es ist eine sensible Thematik, die du dir da ausgesucht hast. Einerseits kann so etwas ein Vorteil sein, denn solche Dinge, die die Menschen berühren, "sprechen" oft für sich selber und lassen Emotionen aufkommen, andererseits steht man als Autor unter dem Druck, sie auch mit Feingefühl und Kunst/Können darzustellen.

Die Idee, es abwechselnd als Inneren Monolog des Kindes und andererseits die Gegenwart zu beschreiben ist gut und vernünftig eingesetzt und auch ausgewogen.

Ich sehe da in deinem Text allerdings noch einige generellen Schwächen, beispielsweise bezüglich des Stils. Du schreibst aus der Sicht der Mädchen, beziehungsweise bezieht sich dein auktorialer Erzähler auf die kindliche Sicht. Und da gibt es einige Stellen, die mir beim Lesen aufgefallen sind, die für mich nicht nach Kind/einem so jungen, eingeschüterten Mädchen klingen:

"Niemand wird das jemals ändern können, denn du bist verantwortlich."
"Du bist zu nichts zu gebrauchen und die personifizierte Blödheit!"

Das klingt für mich zu reflektiert: "verantwortlich" und "personifiziert". Ein paar andere Stellen sind mir da ebenso ins Auge gesprungen.

Dann wiederum wirst du in der Beschreibung der Gegenwart zu umgangssprachlich, nachdem du dich da, wenn ich das richtig sehe, eher um einen sachlichen, hochsprachlichen Ton bemühst. Ein Beispiel:

"Die Türklinke geht langsam runter. Sie öffnet sich und er guckt sich im Raum um. Ein diabolisches Grinsen auf dem Gesicht."

"geht runter" und "guckt" klingt im Vergleich zu salopp.

Dann die Beschreibung mit der rosatoren Ponywelt. Gut, es ist ein Kind, das sich wegträumt, aber die Passage hab ich nach ein paar Zeilen nur noch überfliegen können, weil sie zu sehr nach Kinderaufsatz klang. Vor allem ist mit als Leser ja klar, was währenddessen passiert, und dann von dieser auch teilweise zu extrem naiven Phantasie zu lesen hat, wenn ich es einmal so ausdrücken darf, eher genervt.
Ich verstehe, dass du damit einen Kontrast setzen wolltest zur harten Realität, aber die "Fluchtträumerei" der Protagonistin zusammen zu fassen wäre genauso effektiv.

"Du brauchst dich nicht vor der Kälte schützen. Es ist egal, wenn du krank wirst. Das zeigt nur wieder, wie schwach du bist."

Wie sie jetzt auf diesen Gedanken kommt, ist mir auch nicht ganz klar. Es wirkt irgendwie erzwungen noch da eingefügt.

Die Idee, dass sie alle Schuld auf sich bezieht, Angst vor der Entdeckung dieser Gräultat hat und denkt, ihr glaubt niemand, ist authentisch und gut in deinen Text eingearbeitet. Wie du Stück für Stück Preis gibst, worum es geht, ist eine wirkungsvolle Taktik, da hätte ich gerne noch ein paar mehr Details gehabt, denn das machst du sehr gut. :)

Viele liebe Grüße
Tell

 

Danke fürs Willkommen heißen und vielen Dank für eure Rückmeldungen! Das ist echt toll, mal verschiedene Meinungen zu hören bzw. zu lesen ;-)

Also ja, die Geschichte ist keine ganz so leichte Kost. Umso mehr freue ich mich über eure Kritiken! Nachdem ich die jetzt gelesen habe, entdeckte ich erst ein paar – jetzt völlig offensichtliche – Fehlerchen. Wie bspw. von euch erwähnte Passage

wie die Wand sie verschluck und unsichtbar machen würde
:sealed:

Bei der Stimme schwanke ich noch ein bisschen, denn ich habe mir beim Schreiben gedacht, dass die Kommentare nicht eins zu eins von dem Mädchen kommen sollten und können. Im Hinterkopf hatte ich die ganze Zeit die Vorstellung, dass das Mädchen in keiner wolbehüteten Familie aufwächst und ihr viele negative Ansichten von klein auf quasi eingepflanzt wurden. Demnach würde der Wechsel von sehr kindlich zu etwas erwachsenen Formulierungen passen. Aber ich denke, dass habe ich nicht gut bzw. gar nicht zum Ausdruck gebracht. Da sind manche Bemerkungen nicht stimmig. Z.B.

personifizierte Blödheit
Diese Wortwahl gefällt mir persönlich auch nicht so wirklich und es wirkte z.T. doch ziemlich holprig (So wie dieser Absatz grad, aber das schiebe ich jetzt mal ganz Dreist auf die späte Uhrzeit :lol: Ich möchte nur jetzt gerne noch antworten, da ich mich wirklich sehr über euer Feedback gefreut habe!).
Ich denke, dass ich da wohl ganz allgemein noch einen größeren Fokus drauf legen sollte, wann und wie ich umgangssprachlich formuliere. Dieses Problem hatte ich schon des Öfteren.

Ich geh mal noch kurz auf ein paar Hinweise von euch ein.

"Du brauchst dich nicht vor der Kälte schützen. Es ist egal, wenn du krank wirst. Das zeigt nur wieder, wie schwach du bist."

Wie sie jetzt auf diesen Gedanken kommt, ist mir auch nicht ganz klar. Es wirkt irgendwie erzwungen noch da eingefügt.

Hier wollte ich eigentlich noch mal den Bezug zu ihrer augenscheinlichen (!) Schwäche verdeutlichen; ihrer Hilflosigkeit, etwas nicht kontrollieren zu können.

„Mach deinen scheiß Mund auf und schluck gefälligst, was man dir sagt!“, schreit er sie an. Sie fühlt nur etwas großes, Ekliges in ihrem Mund. Er stöhnt. Das eklige Ding ist weg. Er drückt ihren Mund zu. Sie muss schlucken. Er tritt sie und mit einem dreckigen Lachen befiehlt er ihr, sich anzuziehen.
Ist echt übel das zu lesen... eigentlich! ... aber für den Lauf der Geschichte und der damit verbunden Gefühle ist das wichtig. Wäre dies nicht vorhanden, würde man das Ende nicht so ganz nachempfinden.
so schlimm ein Missbrauch in Wirklichkeit ist, ich finde nicht, dass du es so brutal beschreiben müsstest um deine Botschaft rüber zu bekommen
Mit dieser Szene wollte ich v.a. auch noch mal diesen krassen Kontrast zwischen der kindlichen Phantasiewelt und der brutalen Realität darstellen. Da ich mich in der "Zuckerwattewelt" ziemlich lange aufgehalten habe, musste meines Erachtens dieser Schnitt gemacht werden.

Ich weiß wie Du das Ende gemeint hast, bzw. wie es ankommen sollte, aber irgendwie kommt es nicht so ganz rüber. Wenn man Deine Geschichte liest, hat man fast die ganze Zeit eine gewisse Anspannung, das ist toll, ... also bis auf die "harte" Stelle! Das Ende ist dafür wie der restliche Text, die Kurve geht nicht nach oben.
Farbklecks, könntest du das bitte noch etwas genauer erläutern? Ich steh da grad etwas auf dem Schlauch:Pfeif:

Das erscheint mir unglaubwürdig, dass der Bruder so schreit, wenn die Gefahr besteht, dass der Vater das mitbekommt. Auch frage ich mich natürlich, warum sie sich nicht von den Eltern Hilfe erhofft, sondern die Entdeckung fürchtet. Vielleicht könntest du dazu noch einen Hinweis geben.
Ja, da haben wir das Problem, was ich hier eingangs erwähnt habe und in der Geschichte nicht zur Geltung gebracht habe. Zum einen, ein kompliziertes Familiengefüge und daher keine zu erwartende Hilfe bei den Eltern und zum anderen hätte ich den Vater vielleicht besser auf Arbeit schicken sollen oder den Bruder nicht schreien lassen sollen.
Was ich mich manchmal bei dieser Art Kurzgeschichte frage ist, inwieweit der Hintergrund tatsächlich benötigt wird. Vielleicht ist es gerade dann interessant, wenn man vielleicht doch ein paar Fakten offen im Raum stehen lässt, um so dem Leser einen Raum zum phantasieren zu lassen. hmm:hmm:

Ich danke euch auf jeden Fall sehr (!!!) für die konstruktive Kritik!! Das ist wirklich ganz toll:thumbsup: Leider kann ich jetzt nicht auf noch mehr eingehen, da ich hundemüde bin.

Liebe Grüße
Aurelja

 
Zuletzt bearbeitet:

Farbklecks, könntest du das bitte noch etwas genauer erläutern? Ich steh da grad etwas auf dem Schlauch
Also von Deiner Idee her, weiß das Mädchen nur einen Ausweg, sie will ihr Leben beenden. Die Geschichte ist toll, aber vom Ende hab ich mir mehr Gefühl erwartet, mehr Drama.
Sie steigt auf das Brückengeländer. Eine frische Brise streicht ihr durch das Gesicht und sie schaut nach oben.
Vielleicht kann ich auch im Himmel Tierärztin werden. Vielleicht habe ich dort keine Schmerzen mehr, denkt sie, und springt.
Für sie ist klar, dass der Tod der einzige Ausweg ist. Sie überlegt nicht, sondern springt. Warum war diese Entscheidung so leicht? Man liest die Geschichte und weiß warum. Für das Mädchen ist nicht schwer, sie springt halt einfach, so ganz lapidar! Ein Selbstmord ist für einen "normalen" Menschen nicht so einfach zu verstehen. Sie dagegen hat kein Problem damit, ein Schritt zuviel ist eher eine Erlösung. Ihre ekelhaften Erinnerungen und ihr damit verbundenes Leid, würde sie für immer mit sich durch das ganze Leben schleppen.

Grüße
Farbklecks

 

Letzte Empfehlungen

Neue Texte

Zurück
Anfang Bottom