Müllgeister
Müllgeister
Ein Schrei zerschnitt die Stille. Leichenblass um sein Leben flehend war ein schlanker Mann aus seinem Bett aufgesprungen. Schweiß machte sich auf seinem Körper breit. In seinen Augen war der Wahnsinn eingezogen. Roboterhaft bewegte er sich zu seinem Overall, dessen eigentliche Farbe man vor Schmutz nicht mehr erkannte. Mit großer Anstrengung konnte der zu große Overall über seine steifen Gliedmaßen gestreift werden. Mit zitternder Hand steckte der Mann sich eine bunte Vielfalt verschiedener Tabletten in seinen Mund. "Die vertreiben die bösen Geister in mir." Davon war er überzeugt. Schlechte Träume waren für ihn alltäglich. Unsicher stieg er über eine Anzahl an meist defekten Fahrrädern. Die ganze Wohnung glich einem bewohnten Müllhaufen. Die Birne der Lampe flackerte, das Feuerzeug blitzte auf, als der Mann sich eine Zigarette anzündete. So weit man blicken konnte Kisten, Fahrräder Lampen und noch eine Menge Unrat. Der Mann nannte dies seine Schatzkammer. Er selbst hatte sich den Titel Trödelkaiser gegeben. Dies stand auch auf seinem in die Jahre gekommenen VW, mit dem er Haushalte auflöste. Es war 3:20 Uhr am Morgen, als der Kaiser sich einen Weg durch sein Reich und das entartete Treppenhaus bahnte. Es roch modrig nach alten Büchern. Kisten und Möbel erschwerten ein normales Durchgehen des Objektes. Der selbsternannte Trödelkaiser stieg in seinen VW Kastenwagen; sein Ziel sollte der Sperrmüll in einer Kleinstadt werden. Seine Frau hatte es lange versucht ihm zu helfen, aber irgendwann konnte sie ihn nicht mehr erreichen und verließ ihn. Ihr Mann lebte in seiner eigenen Welt. Genießen konnte er die Stille in den Orten, die er durchfuhr, zu so früher Stunde. Er hatte die Seitenscheibe geöffnet und hörte das Gezwitscher der Vögel. Der Trödelkaiser bog in die Strasse ab; am Rand stand ein Kleintransporter. Er erkannte, als er näher kam, das es das Fahrzeug des hier in Kreisen der Suchenden bekannt war als das des Kalifen. "Scheiße" schrie er. Der Futterneid hatte seine Stimmung gekippt. Trödelkaiser mochte den Kalifen nicht, der um die Mittagszeit seinen Teppich nach Mekka ausrichtete. Er fuhr auf das Fahrzeug des Kalifen zu und blieb unmittelbar vor ihm stehen. Wut stieg in ihm auf, er öffnete das Seitenfenster ganz und begann seiner inneren Wut Luft zu machen. "Du scheiß Kameltreiber, was willst du schon hier? Lass deine Finger von meinem Zeug, sonst schicke ich dich in die Wüste." Der Kalif, ein ruhiger, besonnenener Zeitgenosse, ließ sich nicht beeindrucken. "Lieber Freund, es ist genug da für uns Alle!" Des Kaisers Gesichtszüge verfinsterten sich zunehmend, derFutterneid machte ihn blind. Er brummelte etwas vor sich hin, der Kalif schnappte folgenden Wortfetzen auf. "Scheiß K......, sollte man alle rausschmeißen aus Deutschland!" Der Kalif hatte Mitleid mit ihm; er hatte ihm in die Augen gesehen. "Ich habe marokkanischen Minztee dabei. Lasse uns einen trinken und reden", schlug er ihm vor. Unerwartet für den Kalifen willigte er ein. Sie stellten zwei Stühle an den Straßenrand, der Kalif strahlte RUHE aus. Es war ihm sogar egal, ob hier eine Polizeistreife auftauchen würde. Das er vielleicht helfen konnte war ihm wichtig. "Ich habe in meinem Land in einem Büro gearbeitet." erzählte der Kalif und goß Tee ein. "Hier habe ich keine Möglichkeit gefunden, um eine Arbeit zu finden. Ich habe 5 Kinder und meine Schwiegereltern leben bei uns. So habe ich angefangen zu sammeln und wieder zu verkaufen. Wie bist du dazu gekommen mein Bruder?" Es blieb lange still. Leichenblass war der Trödelkaiser geworden. "Ich sammle weil eine innere Stimme mir das sagt. Versucht habe ich schon oft davon loszukommen, aber ich schaffe es nicht. Meine Wohnung ist ein wachsender Müllhaufen." Er begann zu weinen; das brachte ihm Erleichterung. "Du mußt in eine Therapie gehen, allein ist es schwer so etwas zu schaffen. So etwas ist keine Schande." "In eine Anstalt gehe ich nie." schrie der Trödelkaiser. "Für die Gesellschaft nicht mehr tragbar und weggeschlossen." "Nein, nein, du bist doch ein netter Kerl, so habe ich das nicht gemeint. Wenn du es möchtest, helfe ich dir deine Wohnung in Ordnung zu bringen." Wieder wetterte der Kaiser los. "Du bist ja ganz ein Schlauer. Mir meine Schätze abjagen und dann weiterverkaufen." Er war aufgesprungen und wollte gehen. "Warte mein Bruder, sage mir fühlst du dich wohl in deiner Wohnung?" Der Trödelkaiser dachte an seine schlimmen Träume. Stühle rannten auf ihn zu, das Elektrokabel einer Lampe hatte sich um seinen Fuß gewickelt und zog ihn ins Dunkle. "Das ist fast jede Nacht so, das macht mich fertig. Ich nehme Tabletten aber nichts hat sich geändert." "Das braucht Zeit und geht nur in kleinen Schritten", antwortete der Kalif. "Ich versuche dir zu helfen. Für mich sind alle Menschen wertvoll, ob sie zu Gott oder Allah beten." Des Trödelkaisers Augen wurden weit aufgerissen; Panik machte sich in ihm breit. Sein Körper fiel in eine Starre. Der Kalif war nicht mehr hier zu sehen. Mit wem hatte er gesprochen? Es wurde dunkel, er glaubte durch eine Flüssigkeit schauen zu müssen. Er vermutete eine Waschmaschine zu erkennen. Es war hell geworden. Emil war wie jeden Mogen mit seinem Hund gassi gegangen. Er wunderte sich, als er einen gut riechenden blauen Overall am Straßenrand fand. Der Duft erinnerte ihn an marokkanische Minze.