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Sonja
Sonja
"Noch einen, bitte", sagte ich. Der Kellner nickte und ich legte das Geld auf den Tresen.
Mit der einen Hand zupfte ich an meinem Hemdkragen, mit der anderen durchsuchte ich ziellos Chatverläufe auf meinem Handy.
'Dann verpiss' dich eben wieder in irgendeine Bar.'
Das war Reginas letzte Nachricht an mich. Wir stritten uns seit Monaten. Zuerst über Kleinigkeiten, wie der alten Wäsche auf dem Schlafzimmerboden oder dem dreckigen Geschirr. Dann über ihre aufdringlichen Eltern. Mittlerweile über Geld.
Ich schloss den Chatverlauf. Der Bildschirmhintergrund zeigte Regina und mich, kurz nach meinem Abschluss. Auf dem Foto gab sie mir einen Kuss und ich hatte den Arm um sie gelegt. Die rosaroten Zeiten, die leider längst verblasst waren. Heute, Jahre später, hatte das Leben zugeschlagen.
Das Eis im Glas klirrte, als es der Kellner auf den Tresen stellte. Ich steckte mein Handy weg und widmete mich dem Getränk. Regina nannte mich einen Alkoholiker. Ich trank mittlerweile täglich, um den Streitereien zu entkommen. Aber nach dem dritten Mojito war mir das alles egal.
Ich schnappte meinen Drink und ging nach draußen, um eine zu rauchen. Die Zigarette tat gut, ein kleines bisschen Selbstzerstörung, mit jedem Zug.
Jemand stupste mir in die Seite. "Hey", beschwerte ich mich.
"Hast du eine für mich?" Das dunkelhaarige Mädchen setzte einen Hundeblick auf. Ich zwang meine Mundwinkel nach oben und holte die Schachtel aus meiner Jackentasche. Sie bedankte sich mit einem Knicks.
"Du sitzt schon den ganzen Abend alleine rum", sagte sie.
"Beobachtest du mich etwa?", sagte ich.
"Ein bisschen, ja."
Unwillkürlich musste ich lachen. Ihre Augen gefielen mir, dunkel und klar.
"Ich bin Sonja.“
"Nick." Ich reichte ihr die Hand.
"Sag mal, Nick, wartest du auf jemanden oder bist du wirklich allein hier?"
"Heute allein."
"Ist das nicht seltsam, allein trinken zu gehen?"
"Genauso, wie 'nen Fremden zu beobachten, schätze ich."
Ich grinste schief. "Und mit wem bist du hier?"
"Keinem mehr, die sind gerade gegangen", sagte sie und deutete auf zwei Mädchen, die Richtung Busbahnhof liefen. "Aber eigentlich will ich noch bleiben. Ist ja erst elf."
Ich dachte darüber nach, was Regina sagen würde, wenn ich mit einer Fremden in einer Kneipe säße.
Bevor der Gedanke zu intensiv wurde, nahm ich einen Schluck von meinem Drink.
"Wieso das Stirnrunzeln?", fragte Sonja.
"Was?"
"Naja, so." Sie zog die Brauen nach unten und stierte auf den Boden. Ich musste lachen.
"Ach, nicht wichtig", sagte ich. Die Asche einer halben Zigarette lag neben ihren Füßen. Sie nahm noch einen Zug und warf den Rest weg.
"Magst du Sambuca?", fragte sie.
"Eigentlich hab' ich noch meinen Mojito.“
"Der wird schon nicht eifersüchtig. Ich geb' dir sogar einen aus."
Ich zog die Brauen nach oben. "Das erste Mal, dass ein Mädchen mir etwas ausgibt."
"Freu dich nicht zu früh, du zahlst die nächsten beiden Runden."
Ganz wohl war mir bei der Sache nicht, aber der Alkohol ließ mein Urteilsvermögen schwinden. Schließlich konnte ich trinken gehen mit wem ich wollte.
Die Shots standen schon bereit, als ich mich bis zur Theke durchgequetscht hatte.
"Cheers!", sagte sie und wir stießen an. Ich hustete und nahm einen Schluck Mojito, der mir deutlich besser schmeckte.
"Weißt du, wenn ein Mädel einem etwas ausgibt, gibt man ihr ein Küsschen, Nick."
"Wer sagt das?"
"Na alle!"
"Das hab' ich aber noch nie gehört."
„Wenn man immer allein rumhängt, kriegt man das auch nicht mit!“ Herausfordernd blickte sie mir in die Augen. Ich zögerte, doch dann gab ich ihr ein Küsschen auf die Wange. Schließlich war das kein Fremdgehen, dachte ich. Ob Regina trotzdem wütend wäre?
"Noch zwei", sagte ich zum Kellner, um den unangenehmen Gedanken wieder loszuwerden.
Sonja trat neben mich und legte eine Hand um meine Hüfte. Unwillkürlich tat ich dasselbe.
"Zählt deine Küsschenregel auch umgekehrt?", fragte ich.
"Nein.“ Dann wechselte sie das Thema: "Wenn du mit deinem Drink fertig bist, gehen wir tanzen!"
Ich hielt mein Glas ins Licht. Viel war nicht mehr drin, das meiste sowieso Eis. Mit einem kräftigen Zug am Strohhalm trank ich den Mojito leer, bezahlte für die Shots und wir stießen an.
"Nebenan ist ein Club", sagte ich, "gehen wir zum Tanzen lieber dort hin. Die Musik ist hier Mist."
Sie nickte und hielt sich an meinem Arm fest, während ich unseren Weg nach draußen bahnte.
Vor der Tür erstarrte ich. Braune, gelockte Haare und eine Lederjacke, wie sie Regina trug. Die Schuhe passten auch, glaubte ich. Wie in Zeitlupe drehte sie sich. Eine Mischung von Alkohol und Adrenalin stieg mir in den Kopf.
Als ich ihr Gesicht sah, atmete ich auf. Es war nicht Regina, sie sahen sich nur ähnlich. Sonja schob sich vor mich. "Links, rechts?"
"Rechts", sagte ich und beeilte mich, zum Eingang des Clubs zu kommen. Dort würde ich Regina auf keinen Fall antreffen. Sie hasste Hip Hop, ich hatte sie ein Mal dort hineingekriegt, dann nie wieder.
Der Türsteher winkte uns durch, an der Garderobe gaben wir unsere Jacken ab.
Die Tanzfläche war voll. Sonja trat eng an mich heran und ich unterdrückte den Gedanken an meine Freundin, die wohl zuhause auf dem Sofa saß.
Die Nebelmaschine stieß eine gewaltige Ladung Nebel in den Raum, in dem sich die bunten Lichter fingen. Wie lange es her war, dass ich mit Regina in einem Club getanzt hatte.
Sonja beugte sich zu meinem Ohr. "Du siehst aber nicht glücklich aus."
Ich überspielte meine Gedanken und lächelte. "Nur das Lied, 'Jenny from the block'?"
"Don't get fooled by the rocks that I got, I'm still, I'm still Sonja from the block!", sang sie und strahlte mich an. Ich war machtlos gegen meine Bewegung. Einen Moment war mir, als hätte ich Reginas Stimme in meinem Ohr, doch sie war mir egal. Unsere Lippen berührten sich und wir hörten für einige Sekunden auf, uns zur Musik zu bewegen.
Ich genoss es, doch sobald ich mir dessen bewusst wurde, löste ich mich. Sonja näherte sich mir wieder, doch ich wich ihr aus.
"Alles in Ordnung, Nick?“
"Ja", sagte ich und rang nach passenden Worten. "Ich muss dir noch einen ausgeben, gehen wir zur Bar."
"Na gut, wenn du meinst", sagte sie und hielt sich wieder an meinem Arm fest, damit wir in der Menge nicht getrennt wurden.
Sonja gefiel mir, sogar richtig gut. Aber ich hatte eine Freundin zu Hause. Ich würde mich furchtbar fühlen, wenn Regina mich betrügen würde, auch wenn es noch so bedeutungslos sein sollte. Ich wollte nicht Schluss machen. Und wenn ich das nicht konnte, sollte ich auch die Finger von anderen Mädchen lassen.
"Vielleicht diesmal Jäger?", fragte Sonja.
"Ja."
"Oder willst du lieber noch einen Sambuca?"
"Nein."
An der Bar bestellte ich die beiden Jägermeister, bezahlte und reichte einen davon Sonja. Wir stießen an und tranken aus.
"Was ist denn los?", fragte sie. Ihr Blick ließ mich nicht los.
"Gehen wir eine rauchen? Die Luft hier drin ist recht stickig", sagte ich.
"Ach, und Zigaretten machen die Luft besser?"
"Ich würd' einfach gern eine rauchen."
"Gut, wenn du mir eine von deinen gibst."
An der Garderobe holte ich meine Jacke gegen Abgabe der Marke. Sonja runzelte die Stirn, hakte aber nicht nach.
Ich zog die beiden letzten Zigaretten aus der Schachtel.
"Gefällt dir die Luft jetzt besser?"
Ich nickte. Meine Gedanken kreisten um Regina und meinen Kuss mit Sonja. Wann hatte ich Regina das letzte Mal auf diese Art geküsst? Ich wusste es nicht.
"Wenn ich ehrlich bin", sagte ich, "dann würde ich gerne nach hause gehen. Ich werd' müde."
Sonja grinste. "Können auch zu mir", sagte sie.
Ich schüttelte den Kopf. "Heute bleib' ich lieber allein."
Ihr Blick wurde matt.
"Vielleicht treffen wir uns die nächsten Tage nochmal, Nick? Ich fand's heut recht schön und wir kennen uns ja noch kaum..."
"Sorry, Sonja.“ Ich senkte meinen Blick. "Ich weiß wie das klingt, aber das ist nicht deine Schuld..."
Sie winkte ab, trat ihre Zigarette aus und warf mir einen letzten, wütenden Blick zu. "Schon gut", sagte sie und verschwand wieder im Club.
Ich trottete die Straße hinunter zum Busbahnhof. Als ich auf mein Handy schaute, um nach der Uhrzeit zu sehen, bemerkte ich eine Nachricht von Regina.
'Hey Nick, ich hab' mir Gedanken gemacht.
Mit uns passt's einfach nicht mehr.
Deine Sachen sind gepackt, dein Bruder holt
sie gleich ab. Er sagt, du kannst heute bei
ihm schlafen. Den Wohnungsschlüssel
wirfst du mir morgen in den Briefkasten.
Ruf mich nicht an.'
Ich blickte zurück zum Eingang des Clubs. Von Sonja war keine Spur mehr zu sehen.