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Von Taubheit und Fühlen und Atmen

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21.05.2015
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Von Taubheit und Fühlen und Atmen

Sie stand so nah an den Gleisen, dass der vorbei preschende Nachtzug auf dem Weg nach Prag ihr ungekämmtes Haar in alle Himmelsrichtungen wirbelte. Sie schloss die Augen und hielt den Atem an. Der mitgebrachte Wind peitschte ihre Haut und ihre Wangen erröteten vor Kälte. Für diese Jahreszeit war es viel zu kühl, doch empfand sie es als angenehm, den leichten Schmerz im Gesicht zu spüren. Es war ein Zeichen von… Ja, von Leben.
Der letzte kleine Sturm, der nachzog, als die Bahn bereits in die Ferne gerauscht war, packte sie an der Hüfte und trieb sie zu einer halben Drehung, sodass sie den wenigen sausenden Lichtern hinterher blickte, die langsam von der Dunkelheit umarmt wurden.
Mit einem leisen Quietschen stieß sie den angehaltenen Atem aus und ihre Lungen keuchten angesichts der langen Sauerstoffabstinenz. Durch die Nase sog sie eine geballte Menge der beißenden Nachtluft ein, bis es sich anfühlte, als würden ihre Nebenhöhlen zerbersten. Danach nahm sie einen weiteren, bedächtigeren Atemzug. Es roch nach fernen Städten und fremden Sprachen, nach Freiheit und verrauchten Kneipen in kleinen Gassen, die man noch nie betreten hatte, und plötzlich füllte sich ihr Bauch mit einem Kribbeln, das sie schon dachte, vergessen zu haben. Tatendrang ergriff sie, und Abenteuerlust, die den dumpfen Schmerz, der dort in den letzten Monaten gehaust hatte, für einen kurzen, aber süßen Moment vertrieben. Sie machte einige Schritte rückwärts und trat in die hohen Gräser, die seitlich der Bahnschienen wucherten, ließ sich auf dem klammen Boden nieder. Atmete.
Das habe ich schon lange nicht mehr wirklich getan… Atmen, dachte sie, und schenkte ihrem Brustkorb die Aufmerksamkeit, die sie ihm heute Morgen bereits gekündigt hatte. Auf und nieder senkte sich dieser und sie beobachtete es, sah, wie das frische Lebenselixir immer wieder in ihren Körper strömte. Und irgendwann auch in ihren Geist.
Vielleicht war es nur ein flüchtiges Hirngespinst, das sie so plötzlich wieder denken ließ, dass das noch nicht alles gewesen sein könne; vielleicht hatte sie nur Schiss bekommen, doch auf irgendeine eigenartige Weise fühlte sie.
Herrgott, es war doch nur ein bescheuerter Zug, flüsterte das trübsalblasende graue Männlein in ihrem Hinterkopf, davon wird die Welt auch nicht wieder besser!
„Und wenn doch? Wenn der Zug mir von jemandem geschickt wurde?“ flüsterte sie in die Nacht, und blickte unwillkürlich nach oben, sah das Gesicht ihrer Großmutter vor dem geistigen Auge.
Der düstere Mitbewohner in ihrem Schädel hielt ihr Vorträge über das Leben, das beschissen ist, über Stumpfheit und elendes Vor-sich-hin-vegetieren, über rote Linien auf ihrem Körper, die sie daran erinnerten, dass sie nur mit Schmerz noch ihr Dasein ertrug, und als seine Rede drängend wurde, erhob sie sich aus den plattgesessenen Grasbüscheln und trat auf die Gleise. Es kam ihr vor wie Stunden, die sie dort verbrachte, ohne dass ein weiterer Zug ihren Weg kreuzen wollte, bis endlich am Horizont gleißende Lichter auftauchten. Sie setzte sich und schloss die Augen.
Ein unerträglich lautes Hupen riss ihre Lider entzwei und mit einem laut gebrüllten „Scheiße“, sprang sie auf und flüchtete sich auf die Schottersteine, die links und rechts den Weg der Schienen säumten, riss sich ihre Knie und Handballen auf und blutete Tränen.
Es dauerte eine Weile, ehe sie begriff, dass sie weinte. Erst, als sie sich selbst erbärmlich nach Luft ringen hörte und der letzte rostige Anhänger des Güterzuges bereits lang vorbei gescheppert war, bemerkte sie, dass sie noch am Leben war.
Da bäumte sich ihr Oberkörper erneut zu einem Jaulen auf, sank dann in sich zusammen, und ließ der Trauer Platz, um nach außen zu strömen. Wie lange hatte sie schon nicht mehr geweint, hatte es aufgegeben, war ausgedörrt gewesen, und jetzt konnte sie weinen, und es tat so weh, ihr Herz war so weit aufgerissen und es war so furchtbar, und so befreiend.
Ein paar Minuten lang saß sie nach dem Weinen da und fühlte sich schwebend, und dachte an nichts, obschon sie wusste, dass dieser erleichternde Gemütszustand nicht ewig halten würde.
Erst als die Kälte Einzug in ihre schwächelnden Glieder hielt, machte sie sich auf den Weg nach Hause. Dort griff sie sofort zu ihrem Telefon und wählte.
Eine verschlafene Stimme meldete sich; und sie musste tief Mut einatmen, bevor sie antwortete.
„Mama? Kann ich vorbei kommen? Du musst mit mir nach Prag fahren.“

~Lola

 

Hallo Lola,

dein Debüttext leidet an Adjektivitis. Du beschreibst so viel, dass es mir fast das Hirn zermartert hat. Den Drang, alles möglichst genau zu beschreiben (und dann auch noch möglichst bildhaft und irgendwie poetisch) kann ich nachvollziehen - viele tun das am Anfang. Aber ein Text lebt nicht von Beschreibungen, oder sagen wir so: nicht von Beschreibungen alleine. Adjektive benennen Dinge konkret, da bleibt nichts mehr im Kopf vom Leser übrig. Das ist sehr undynamisch.

Dann: Du erzählst etwas nach. Das wird auch sehr diffus, ich verstehe nicht genau, worum geht es hier? Um einen Mitbewohner im Kopf, so ala Dexter?

Es gibt eine Technik, die nennt sich show, don't tell. Ich weiß nicht, ob du die kennst und dich mit dieser auseinandergesetzt hast. Falls nicht: http://de.wikipedia.org/wiki/Show,_don’t_tell

Oder auch hier, extremst: https://litreactor.com/essays/chuck-palahniuk/nuts-and-bolts-“thought”-verbs

Konstruktiv: Die Idee deines Textes reduzieren auf einen Satz, eine Prämisse. Dann Füllwörter und Adjektive raus. Kürzen. Dialoge (fehlen hier völlig). Auf schiefe Bilder achten, nicht zu viel mit Metaphern und Vergleichen überladen (fällt bei so einem kurzen Text noch extremer auf.) Schreiben kannst du sicherlich, das ist nicht das Problem.

Gruss, Jimmy

 

Hallo Jimmy!

Die Stimme im Kopf war nicht als Stimme als solches gemeint, sondern eher als innerer Dialog - als Kampf gegen sich selbst quasi, gegen die eigenen Gedanken.

Und nein, ich habe davon noch nicht gehört, werde mir aber deine Links mal zu Gemüte führen, danke! :)

Ja, das mit dem zu viel schreiben und umschreiben...
Höre ich dann und wann, schon in der Schule früher...
Ich arbeite dran.

Die fehlenden Dialoge sind zumindest hier darauf zurück zu führen, dass sie nunmal alleine ist... ;)

Danke!

 

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