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Die Lösung

Seniors
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28.11.2014
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Die Lösung

Die Treppe ist steil und lang und führt in die Tiefe. Dort ist das Becken. In den ausgetretenen weißgelben Marmorstufen sammeln sich Reste des Regens der letzten Tage.

Mia macht einen Schritt nach vorne.
„Liebling, pass auf! Die Stufen können glitschig sein.“
Sie zieht ihren Fuß zurück, steht still.
Verwilderte, langrispige Weinstöcke säumen die Treppe und überranken sie an manchen Stellen. An ihrem Fuße glitzert das Wasser des Schwimmbads.
Jan hat seine Hand auf Mias Arm gelegt. Sein Blick wandert abschätzend über die Stufen. „Das sind sicher vierzig. Warum muss das Becken so weit unten sein?“
Mia und ich achten nicht auf das, was Jan sagt. Wir sind ergriffen von der abendlichen Szenerie auf der gegenüberliegenden Seite des Tals. Die Abendsonne hat den Hang und das Dorf in ein tiefes Rot getaucht. In der Mitte des Dorfes steht eine kleine Kirche. Ihr Läuten reißt uns aus unseren Betrachtungen. Es ist acht.
Ein plötzlich spürbarer Windhauch lässt mich frösteln.
„Mir wird kalt. Lasst uns ins Haus gehen und unsere Koffer auspacken.“
Wir kommen an der kleinen blauen Holztür mit den bunten Glasornamenten vorbei. Sie ist nur angelehnt und Mia möchte hineingehen.
„Lass nur, Schatz. Wir haben morgen noch Zeit, uns alles genauer anzuschauen. Jetzt wollen wir erst mal ins Haus, wie Ruth es vorgeschlagen hat“, sagt Jan, seinen Arm um meine Schwester Mia legend.
Marco, der neue Besitzer des Landguts, hat uns erzählt, dass sich hinter der Tür eine kleine Hauskapelle befindet. Auch ich bin interessiert, verschiebe aber die Besichtigung und schlendere mit den beiden zur Tür, vor der wir unsere Koffer abgestellt haben, als uns Marco begrüßte.

Marcos Auto steht bei unserer Ankunft am Tor zur Einfahrt. Er ist Architekt und hat das Haus vor dem völligen Zerfall gerettet.
Stolz zeigt er uns unsere Zimmer, die ersten, die schon fertig sind.
Er ist aufgeregt, bittet uns vor das Haus. Wir spüren, jetzt kommt etwas Besonderes. Am Ende des verwilderten Gartens öffnet er ein kleines Tor. Wir stehen vor einer schmalen, langen Treppe. Marco zeigt nach unten. „Gestern ist das Becken fertig geworden. Ihr seid die Ersten, die es benutzen können. Und das ohne Aufschlag.“ Marco weidet sich an unserer Begeisterung. Wie alte Freunde verabschieden wir uns. Wir werden uns in vierzehn Tagen wiedersehen.

Die hölzerne Eingangstür ist schwer und gedrungen. Jan nimmt die beiden Koffer, ich folge ihm mit meinem. Er muss sich ein bisschen beugen, damit er mit dem Kopf nicht an den niedrigen Sturz stößt. Von der kleinen Küche führt eine enge, gewundene Treppe in den ersten Stock. Jan ist groß und schwer und hat Mühe, mit dem Koffer die Balance zu halten. Mia steht vor mir, sie greift nach dem zweiten Koffer.
„Wartet bitte. Ich komme sofort und hole eure Koffer“, hören wir Jan von oben. Mia zieht ihre Hand zurück.
Jan fällt es nicht leicht, die unbequeme Treppe zu meistern. Endlich sind alle Koffer oben. Mia und ich steigen ihm nach. Schwer atmend und japsend sitzt Jan auf seinem Bett, sein Kopf ist tiefrot.
„Das war zu viel, nicht wahr“, sagt Mia. „Wo hast du dein Spray?“
„Das ist in der rechten Seitentasche. Aber lass nur, ich hab das gleich.“ Schwerfällig erhebt sich Jan und geht leicht taumelnd zu seinem Koffer. Das Spray hilft schnell, er atmet wieder gleichmäßiger.
Ich blicke ihn beunruhigt an. „Hast du das öfter?“
„Ja, manchmal.“

Die Casa ‚Olmo’ ist ein verwunschener Traum: Sie steht auf einem Hügel, umgeben von Weinfeldern, die nicht mehr bewirtschaftet werden. Auf ihnen blühen wilde Sträucher und Akazien. Zu der Ulme, die dem Haus ihren Namen gab, gesellten sich im Laufe der Zeit Platanen und Zypressen. Sie umstehen und verbergen das Haus, es ist von der kleinen Straße aus unsichtbar. Weit und breit gibt es kein anderes Gebäude. Die Straße endet wenige Meter hinter der Einfahrt zum Haus.

Dieser Abend ist kühl und wir verabschieden uns bald.
Die lange Reise hat mich müde werden lassen. Trotz des an- und abschwellenden Bellens der Hunde jenseits des Tals falle ich schnell in einen tiefen Schlaf.

Marco hat die Gästezimmer im ehemaligen Speicher mit großen Fenstern ausstatten lassen. Ich öffne die Holzläden, lasse die toskanische Sonne ins Zimmer und schaue auf den kleinen sandigen Vorplatz, der von Oleandern und Bougainvilleen umstanden ist. Ein strahlender Tag. Mit einer Tasse Kaffee in der Hand setze ich mich auf die altertümliche grüne Bank mit den gusseisernen Füßen. Der süße Duft der Glyzinien über dem Vordach der Haustür steigt mir in die Nase. Die Hunde sind verstummt. Nur das Zwitschern der Vögel ist zu hören. Es ist Mai und ich genieße die Sonne und die Atmosphäre des alten Natursteinhauses. Die türkisfarbenen Türen und Holzläden komplettieren das Postkartenmotiv.

Unsere Reise ist ein kleines Experiment: Wir sehen uns sehr selten und es ist das erste Mal, dass ich mit meiner Schwester und ihrem Mann reise. Ich suche noch meine Rolle in dieser Dreier-Konstellation. Bis jetzt halte ich mich zurück, versuche herauszufinden, wie die Dinge zwischen den beiden liegen und wie wir die nächsten Tage zu einem gelungenen Erlebnis machen können. Aber irgendetwas Angespanntes liegt in der Luft. Ich kann es nicht greifen.
Um mir ein Buch zu holen, stelle ich die Kaffeetasse auf die Steinmauer und gehe ins Haus. Die beiden scheinen noch zu schlafen.
Im unteren Bereich des Hauses ist es dunkel und muffig. Die kleinen Fenster in den dicken Mauern werden selten geöffnet. Hier gibt es noch viel zu tun für Marco und seine Helfer.

Ich setze mich auf die geschwungene Holzbank, vergesse das Buch auf meinem Schoß, schließe die Augen und gebe mich den wohlig-warmen Strahlen der morgendlichen Sonne hin. Minuten vergehen.
„Grüß dich.“ Es ist Mia. „Oh, ich wollte dich nicht erschrecken.“
Ich öffne die Augen und erwidere ihren Gruß. Sie ist noch im Pyjama, zieht einen Gartenstuhl ran und setzt sich zu mir. Im letzten Jahr ist sie rundlicher geworden.
„Na, wie war die erste Nacht? Habt ihr auch das Gebell der Hunde gehört?“, frage ich.
„Ja, aber nur kurz, dann sind wir eingeschlafen. Es ist traumhaft hier. War eine gute Idee von dir, hierher zu fahren.“ Auch Mia wendet ihr Gesicht der Sonne zu und schließt die Augen.
„Schade, dass Helge nicht mitfahren konnte.“
„Ja, finde ich auch. Aber der Termin ließ sich nicht aufschieben. Schläft Jan noch?“
„Er kommt gleich. Er macht uns Frühstück.“
Ich will mich erheben. „Sollen wir ihm nicht helfen?“
„Er macht das schon. Er kümmert sich gern um alles.“
„Ja, so einen Mann wünsche ich mir auch.“
„Wirklich?“ Mia öffnet die Augen, sieht mich direkt an. Ich wundere mich über den leicht gereizten Ton in ihrer Stimme.
„Ja, durchaus. Helge und ich leben wie zwei Junggesellen miteinander. Jeder hat seinen eigenen Planeten. Mir gefällt das sogar, bedeutet aber auch, dass ich oft auf mich allein gestellt bin.“
„Findest du das schlecht?“
„Eigentlich nicht. Aber ich würde hin und wieder auch gerne so umsorgt werden.“
„Ja, Jan sorgt sich um alles: um die Kinder, die Enkel, das Haus, den Einkauf, das Auto, einfach um alles.“ Ihre Stimme ist etwas lauter geworden, jetzt schwingt Aggressivität mit.
Sie fängt sich. „Aber es ist wohl gut so, wie es ist.“
Wir lehnen uns zurück, schließen die Augen und drehen uns wieder der Sonne zu.

Jan trifft mit einem großen Tablett ein. Er stellt es neben mich auf die Bank, holt den Tisch zu uns heran und beginnt mit dem Eindecken. Ich möchte ihm helfen. „Nicht nötig, ich hab das gleich.“
Über den Tisch blickend und kontrollierend, ob alles da ist, fragt er: „Mia, hast du an deine Tabletten gedacht?“
„Gleich.“
Mia streicht Butter auf ihren Toast. Jan steht auf, geht ins Haus und kommt mit den Tabletten zurück. Wortlos legt er zwei neben ihre Tasse.
„Danke“, sagt Mia, legt die angebissene Scheibe zögernd auf den Teller und nimmt die Tabletten mit etwas Orangensaft.
Jan ist mit seinem Frühstücksei beschäftigt. „Das ist schon wichtig, dass du die Tabletten immer zur gleichen Zeit nimmst.“
„Ja, Schatz. Ich denke daran.“

Auch Jan ist schwer geworden. Ich bin sicher, dass er keinen Sport mehr treibt.
Als er den Tisch rüberholte, hörte ich es wieder, dieses raue, stoßweise Atmen.
Mir fällt der gestrige Abend ein. „Brauchst du das Nitro-Spray oft?“
„Eigentlich nicht. Aber ich sollte es in der Nähe haben. Deshalb habe ich immer eins bei mir: im Bademantel, in der Hosentasche, am Bett, im Auto. Meine Herzklappen wollen nicht mehr so recht und bei einer Überanstrengung fehlt mir schon mal die Luft. Ist schon besser, wenn man es dann bei sich hat.“ Er unterbricht sich. „Wir wollen von etwas anderem reden: Was machen wir heute?“
„Wie wär’s mit Lucca“, schlage ich vor. „Das ist nicht weit und sicher ganz interessant. Wie ist es mit euch?“
Jan sieht Mia fragend an. „Was meinst du?“
„Mir ist alles recht.“

In Lucca trottet Mia schweigend hinter uns her. Jan redet ununterbrochen auf mich ein, während ich mir die alten Gebäude betrachte und meinen eigenen Gedanken nachhänge. Seine langen Jahre als Lehrer haben ihn geprägt und er kann nicht anders, als mir das zu erklären, was ich ohnehin sehe. Mich amüsiert der Gedanke, dass er immer zu einer imaginären Schulklasse spricht. Auch ein Teil seiner ständigen Besorgtheit ist wohl seinem Beruf zuzuschreiben.

Als wir am späten Nachmittag zurückkommen, beschließen wir, das Schwimmbad zu testen.

In der kleinen Kapelle warte ich auf die beiden. Zwei kleine Reihen geschnitzter Bänke, davor, etwas erhöht, der Altar mit einer rosa-blauen Madonna. Der Raum wirkt wie die Miniatur einer Kirche. Ich setze mich in die erste Reihe und stelle mir vor, wie die alten Besitzer vor oder auch nach der Arbeit am Altar knieten und ein kurzes Gebet zur Madonna schickten, manchmal vielleicht ihre Wünsche mit dem Anzünden einer Kerze unterstrichen. Durch die bunten Scheiben fällt sanftes Sonnenlicht.

Die Pfützen auf den Marmorstufen sind verschwunden. Die Treppe ist wirklich unangenehm steil und wir müssen vorsichtig hintereinander gehen, uns sogar hin und wieder irgendwie festhalten. Das Geländer ist an vielen Stellen durchgerostet und zur Seite weggebogen.
Wir bleiben eine Weile zu dritt im Wasser. Mia schwimmt ruhig hin und her. Ich hänge am Rand, mache ein paar Übungen mit meinen Beinen und blicke über das Tal zur romanischen Kirche auf der anderen Seite. Die tiefe Ruhe wird nur von ein paar leisen Vogelstimmen unterbrochen.
Das Schwimmbad befindet sich auf einem Absatz des Hügels. Marco sprach davon, dass er eine Reihe von Problemen mit den Pumpen bewältigen musste. Es hat sich gelohnt, das Becken freizulegen: Der Blick über das Tal zum Dorf und zu den dahinterliegenden Bergen ist grandios.
Während Jan im Wasser bleibt, machen wir es uns in den Liegestühlen unter den Zypressen bequem.
„Wunderschön ist es hier. Alles nur für uns.“ Mias Gesicht ist entspannt. Mir kommt der Gedanke, dass dies das erste Mal so ist, seit wir angekommen sind.
„Wie geht es euch jetzt?“, frage ich.
„Gut“, kommt Mias prompte Antwort.
„Fehlt Jan die Schule nicht?“
„Ja, manchmal.“ Die einsilbigen Antworten Mias machen es mir schwer weiterzufragen. Ihr Gesichtsausdruck ist nun wieder verschlossener, abweisender. Sie betrachtet ihren schwimmenden Mann. Was ist das in ihren Augen? Ich kann es nicht deuten.
Ohne mich anzusehen, fährt Mia fort: „Jan hat jetzt fast alles übernommen.“ Ein kurzes, trockenes Lachen. „Er besorgt die Einkäufe, deckt den Tisch, räumt ab, liest die Post und sagt unserer Hilfe, was sie tun soll. Ja, so ist das. Wenn ich es recht überlege, bleibt mir einzig das Kochen. Mal sehen, wie lange noch.“ Es ist nicht nur Ironie in ihrer Stimme. Da schwingt auch noch etwas anderes mit.
Wie gut kenne ich meine Schwester eigentlich?
Mia war die Dritte von uns Vieren. Mag sein, dass ihr diese Position nicht besonders gefiel. Ich weiß es nicht. Ich war sechs Jahre älter und gerade in der Pubertät, hatte meine eigenen Probleme und bekam nur nebenbei mit, was meine jüngeren Schwestern machten. Mia löste ihr Problem: Sie wurde ein Großelternkind. So oft sie konnte, war sie bei den Eltern meiner Mutter. Hier war sie nicht mehr eine unter Vieren, hier war sie der Mittelpunkt.

Vierundvierzig Stufen. Ich habe sie beim Hinuntergehen gezählt.
Obwohl ich recht beweglich bin, muss auch ich in der Mitte kurz stehen bleiben, Luft holen. Jan folgt mir. Ich höre seinen schweren Atem hinter mir. Er schnappt nach Luft, beugt sich sehr weit nach vorne, versucht erneut Luft zu holen und fasst in seine Bademanteltasche. Er führt das Spray unter die Zunge, sprüht und wartet auf die Wirkung.
Mia ist uns langsam und behäbig gefolgt.
Sie schaut Jan an. „Diese Treppe ist wirklich nichts für dich.“
„Geht nur schon hoch und wartet nicht auf mich. Ich komme gleich nach“, schickt Jan uns voraus. Wir setzen uns in Bewegung und warten in der kleinen Kapelle auf ihn.
Auf die Madonna schauend sage ich besorgt: „Das mit Jan ist ernster, nicht wahr.“
„Ja, aber er will es nicht wahrhaben. Ich kann nichts machen.“ Pause. „Ich kann sowieso nichts machen.“

Am nächsten Tag ‚Vinci’. Wir stellen unser Auto vor dem Ort ab, steigen aus und folgen der sich windenden Straße nach oben ins Dorf. Über die grünen Bergkuppen blicken wir in die Ebene mit den Zypressen-Reihen. Wir hätten es vielleicht wagen sollen, mit dem Auto in den Ort zu fahren, denn der Weg ist weiter als gedacht. Am Ende sind wir froh, als wir vor dem Kastell stehen, in dem sich das Museum befindet. Es war Jans Idee, hierher zu fahren und dieses kleine, feine Museum anzuschauen, dass die Konstruktionen Leonardos in einer unaufgeregten Weise zeigt.
Jan ist geschafft, wischt sich den Schweiß von der Stirn. Mia trifft später ein, ist weit hinter uns zurückgeblieben.
Erschöpft beschließen wir, im Straßencafé neben dem Museum einen Cappuccino zu trinken.
„Hier ist wohl Selbstbedienung. Ich geh mal rein“, sagt Jan.
Mit einem Tablett, auf dem die Tassen stehen, kommt er zurück.
„Ich hab zwei Ansichtskarten mitgebracht. Mia, du wolltest doch noch den Kindern schreiben.“
Jan stellt die Tassen vor uns auf den Tisch und legt die beiden Karten neben seine Tasse. Ich betrachte mir den kleinen Platz. Er ist ruhiger als erwartet. Nur wenige Touristen haben hier hoch gefunden.
Jan beschriftet die Karten und schiebt sie über den Tisch zwischen unsere Tassen.
„Ich hab schon mal ein paar Zeilen geschrieben. Wenn ihr eure Namen darunter gesetzt habt, bringe ich sie dort drüben zum Briefkasten.“
Wir unterschreiben. Allmählich entwickle ich einen leichten Zorn auf Jan. Seine Fürsorglichkeit beginnt mich zu stören.
Mia schöpft mit dem Löffel den Schaum von ihrem Cappuccino und schleckt ihn auf. Mir gefällt ihr leerer Gesichtsausdruck nicht. Ich spüre eine diffuse Beklemmung.

Es wird spät. Wir machen noch einen Umweg durch die Hügellandschaft mit ihren Olivenhainen und Weinfeldern. Der Himmel am Horizont hat die Braun- und Orangetöne der alten Meister angenommen. Leonardo kommt mir ganz nah: Hier ist er aufgewachsen, von hier ist er nach Florenz aufgebrochen. Meine Phantasie geht spazieren.

Der Tag war heiß, sehr heiß für Mai. Mich zieht es nach unten ins Schwimmbad. Marco hat längs der Treppe kleine Solarleuchten gesetzt, sodass die Stufen gut erkennbar sind. Die Luft ist noch warm. Auch heute sind die Hunde zu hören. Ich halte mich am Rand des Beckens fest und schaue in den faszinierenden Sternenhimmel.
Meine Gedanken sind bei meiner Schwester. Irgendetwas stimmt nicht mit ihr. Ich spüre es, kann aber nicht sagen, was es ist. Es ist ihr Blick, der mich irritiert. Etwas geht in ihr vor.

Mia und Jan sitzen vor dem Haus unter der Außenlampe und lesen. Ein friedliches Bild.
„Morgen gibt es drüben im Dorf ein Festival. Sollen wir uns das mal anschauen?“, fragt Jan. Er hat einen Zettel in der Hand, den er als Lesezeichen benutzt hat.
„Gute Idee. Vielleicht können wir den Vormittag hier vertrödeln und nachmittags rüberwandern. Wir können auch ein Taxi rufen. Marco hat uns eine Nummer dagelassen.“
Mia schaut von ihrem Buch auf, beteiligt sich aber nicht an unserem Gespräch.
„Lass uns das morgen entscheiden“, sagt Jan.

Die beiden frühstücken vor dem Haus. Sie haben ihre Badesachen angezogen, ihre Bademäntel und zwei Bücher liegen auf der Bank.
„Ah, Frühsport“, begrüße ich sie mit einem Blick zur Bank.
„Ja, haben wir uns so gedacht. Hast du Lust mitzukommen?“, fragt Jan.
Auch Mia schaut mich fragend an.
„Ach nein, ich war ja gestern Abend erst. Ich nehme mir mein Buch, setze mich in den Schatten und lese. Geht ihr nur.“
Sie sind schon an der Gartenpforte, da sehe ich etwas leuchtend Rotes auf dem Boden vor der Bank. Es ist das Spray-Fläschchen. Auf mein Rufen kommt Jan zurück.
„Danke dir. Es ist einfach wichtig, dass ich es immer bei mir trage“, sagt er und steckt es in die Tasche.

Das Festival gefällt uns. In den Straßen des Dorfes sind lange Reihen von Tischen aufgestellt. An den Ständen gibt es fette Würste, Schinken, Käse und Weine aus der Region. Überall erklingt Musik, an manchen Plätzen wird getanzt. Wir genießen die südliche Heiterkeit. Jan kann gar nicht genug bekommen vom kräftigen Käse und von den pikant gewürzten Salsiccie-Würsten. Auch der Wein schmeckt uns ausgezeichnet. Das Taxi, mit dem wir gekommen sind, bringt uns zurück.
Die Luft ist immer noch sehr warm und schwül, für die Nacht ist ein Gewitter angekündigt.
Wir setzen uns eine kleine Weile auf die Bank und lauschen dem allgegenwärtigen Zirpen der Grillen.

Ich verabschiede mich, gehe auf mein Zimmer. Beim Schließen der Holzläden sehe ich, dass der Himmel sich verändert. Wolken ziehen auf.
Unbeeinträchtigt vom Bellen der Hunde und den Geräuschen des ausklingenden Festivals sinke ich in einen weinseligen Schlaf.

Ich wache auf. Regen peitscht gegen die Holzläden, es donnert und die Fenster schlagen an ihre Rahmen. Ich stehe auf, zucke zusammen. Ein anderer Laut hat sich in die Geräuschkulisse gemischt, etwas wie ein entferntes Stöhnen oder Schreien. In den nächsten Minuten horche ich angestrengt, höre aber nur das laute Prasseln des Regens. Ich scheine mich getäuscht zu haben. Vielleicht war es nur der Schrei eines Nachtvogels.
Die geschlossenen Fenster dämpfen die Geräusche und lassen mich ruhig wieder einschlafen.

Irgendwann später steht Mia in der Tür. Sie ist aufgelöst.
„Jan ist nicht da.“
„Wieso, nicht da? Was ist passiert?“
„Keine Ahnung. Wir waren schon im Bett, als mir einfiel, dass ich mein Buch unten am Becken vergessen habe. Ich konnte ihn nicht zurückhalten. Er fürchtete, dass es nass werden würde, hat was übergezogen und ist los. Ich bin eingeschlafen und gerade erst wach geworden. Er ist nicht da.“
Ich ziehe eine Weste über.
„Komm, lass uns nachschauen. Ich hole die Taschenlampe.“

Das Wetter hat sich beruhigt. Auch der Wind hat sich gelegt. Die Nacht ist dunkel, nur die kleinen Solarlampen markieren den Weg. Jan ist nicht zu sehen. Wir öffnen die kleine Gartentür. Meine Lampe bestreicht mit ihrem Strahl die Treppe. Nichts ist zu erkennen.
„Mia, bleib bitte hier. Ich gehe runter. Es reicht, wenn einer nachsieht.“
Vorsichtig nehme ich Stufe für Stufe. Auf ihnen hat sich wieder Regenwasser gesammelt. Am Schwimmbad ist nichts. Ich finde auch kein Buch und steige wieder hinauf.
Mia steht wartend an der Gartentür.
„Nichts“, sage ich.
Wir gehen zum Haus, kommen an der kleinen Kapelle vorbei. Ich schiebe die Tür auf, leuchte in die Dunkelheit und sehe Jan merkwürdig gekrümmt vor dem Altar liegen. Neben ihm Mias Buch.

Herzversagen. Marco ist gekommen und hat uns geholfen, die Formalitäten zu klären. Der Leichenwagen hat Jan abgeholt. Er wird nach Deutschland überführt werden. Wir können abreisen.

Mia sitzt in der dunklen Küche und blickt auf die Treppe, ohne sie zu sehen. Ihr ausdrucksloses Gesicht verbirgt ihre Gefühle. Ich weiß nicht, wie ich sie ansprechen kann, und gehe nach oben.

Während ich unsere Sachen packe, überdenke ich die letzten Tage. Jans Bademantel hängt am Haken, er ist noch etwas feucht. Vielleicht sollte ich ihn in einen Plastikbeutel legen. Ich falte ihn zusammen und streiche über den samtigen Frotteestoff. Meine Hand bleibt liegen. Wie aus einem Nebel steigt in mir ein verwirrender Gedanke auf. Ich fasse in die Seitentasche. Nichts. Auch die andere Tasche ist leer.

Ich will Gewissheit, gehe an Mia vorbei, überquere den Hof, öffne die Tür der Kapelle.
Meine Augen suchen den Boden ab. Nichts. Langsam gehe ich zur Gartenpforte, bleibe stehen, schaue über die Treppe in die Tiefe. Die kleinen Pfützen auf den weißgelben Stufen halten meinen Blick fest.
Ganz allmählich begreife ich. Meine Suche ist sinnlos. Ich werde nichts finden.

Die Erkenntnis der Wahrheit macht mich fassungslos. Niedergeschlagen trenne ich mich vom Anblick der Treppe und gehe zurück zum Haus.

Es ist kühler geworden und stiller. Die Grillen sind verstummt.

 

Hallo Barnhelm,

Deine Geschichte hat mir gefallen, du hast eine angenehm ruhige Art zu schreiben und wie die Aggressivität so zwischen den Dreien hin und her wabert, das wird sehr spürbar und landet schließlich auch bei mir als Leserin.

Die Treppe ist steil und lang und führt in die Tiefe. Dort ist das Becken. In den ausgetretenen weißgelben Marmorstufen sammeln sich Reste des Regens der letzten Tage.

Tolles Bild, das diese Ehe gut in Worte fasst.


Ich würde auf jeden Fall schon erheblich früher erklären, wer die drei sind. Ich habe mir zu lange noch Vater, Mutter und Kind vorgestellt.

Die Figuren fand ich fast etwas zu eindimensional, aber es ist eine Kurzgeschichte und du hast eben klare Entscheidungen getroffen.
Der Mann hat schon genervt. Wen ich aber wirklich hätte schütteln können, ist seine duldsame Frau und auch die Erzählerin. Kein noch so minimales Aufbegehren. Vielleicht wusste er nicht mal von ihren Leiden, das geht jedenfalls aus der Geschichte nicht hervor.

„Ja, aber er will es nicht wahrhaben. Ich kann nichts machen.“ Pause. „Ich kann sowieso nichts machen.“ Anklagende Resignation.

Ich würde hier den Leser selber den Schluss ziehen lassen und das nicht noch benennen. Du zeigst ihre Haltung ja schon die ganze Zeit sehr eindrucksvoll.

Das Ende finde ich ab dem Zeitpunkt, wo von seinem Spray die Rede ist, vorhersehbar.
Zwischendurch hatte ich die Hoffnung, daß die Lösung eine andere ist, z.B. dass die Erzählerin sich mit
Jan zusammen tut und zwischen den Beiden die Fetzen fliegen.

So ist diese Geschichte schlüssig erzählt und steuert konsequent auf das traurige Finale zu.

Die Erkenntnis der Wahrheit macht mich fassungslos. Niedergeschlagen trenne ich mich vom Anblick der Treppe und gehe zurück zum Haus.

Es ist kühler geworden und stiller. Die Grillen sind verstummt.


Man flippt nicht aus in dieser Familie, man zeigt keine heftigen Gefühle, man ist niedergeschlagen, es wird kälter. Dafür hast du gute Worte gefunden.

LG chutney

 

Man flippt nicht aus in dieser Familie, man zeigt keine heftigen Gefühle, man ist niedergeschlagen, es wird kälter. Dafür hast du gute Worte gefunden.

Liebe Chutney,

zuerst einmal danke für deinen Kommentar. Es freut mich, dass dir die Geschichte gefallen hat.

Mein Anliegen war eigentlich zu zeigen, wie sich Strukturen zwischen zwei Menschen so verfestigen können, dass zuletzt nur noch ein Konsequenz bleibt. Ich wollte auch zeigen, dass hier eigentlich nichts Böses passiert bzw. keine bösen Menschen handeln: Hier übernimmt der Mann aus Fürsorge oder weil er nicht anders kann, einfach alles, so dass der Frau zum Schluss die Luft zum Atmen fehlt und sie sich befreien muss, wenn sie nicht völlig als Person untergehen will. Ich habe einmal eine solche Situation zwischen zwei Menschen als Zuschauer mitbekommen.

Kein noch so minimales Aufbegehren.

Da kannst du als Außensteher nicht mehr eingreifen, die Struktur hat sich so verfestigt, es hätte viel früher Widerstand geleistet werden müssen.
Die Personen bleiben vielleicht auch deshalb eindimensional, weil die Beziehung auf dieses Muster reduziert ist: Er macht alles, sie lässt geschehen.
Den Rat mit der

Anklagenden Resigntion

habe ich angenommen und gelöscht. Komisch, oft ist es das, was man selber auch schon nicht gut gefunden hat, was kritisiert wird.
Ich wünsche dir weiterhin einen schönen Pfingstmontag.
Liebe Grüße
barnhelm

 

Hallo Barnhelm,
eine neue Geschichte von dir. Die wollte ich gleich mal lesen. Bevor ich an meiner Gans weiterrupfe.

Mein Anliegen war eigentlich zu zeigen, wie sich Strukturen zwischen zwei Menschen so verfestigen können, dass zuletzt nur noch ein Konsequenz bleibt. Ich wollte auch zeigen, dass hier eigentlich nichts Böses passiert bzw. keine bösen Menschen handeln: Hier übernimmt der Mann aus Fürsorge oder weil er nicht anders kann, einfach alles, so dass der Frau zum Schluss die Luft zum Atmen fehlt und sie sich befreien muss, wenn sie nicht völlig als Person untergehen will. Ich habe einmal eine solche Situation zwischen zwei Menschen als Zuschauer mitbekommen.
Ja das gibt es. Und ich finde, du hast die Spannung zwischen der Frau und dem Mann auch deutlich gemacht und sie stärker werden lassen. Dass irgendwann klar ist, dem Jan wird das Spray abhanden kommen, finde/fand ich nicht schlimm. Deine Geschichte lebt aus meiner Sicht nicht von unvorhersehbaren Wendungen wie beispielsweise in einem Krimi oder Horrorgeschichterl. Sondern es ist eher ein Kammerspiel zwischen dem Ehepaar mit der Schwester als Beobachterin, die langsam mit den verderblichen Kreis gezogen wird, denn sie schweigt ja auch.
Dieses Langsame und Zerstörerische zwischen Mann und Frau und das Langsame der Beobachtung, das sich aus der Idylle heraus an den Leser anschleicht, das hast du gut hingekriegt. Hat mir wirklich sehr gefallen.
Auch die atmosphärischen Schilderungen, gerade am Anfang, das mochte ich auch. Gerade die Treppenstufen, in den sich das Wasser sammelt oder die Weinrispen. Ich steh ja auf sowas.

Ich hab mich natürlich zwischendrin gefragt, warum denn die Schwester nichts sagt. Entweder zu dem Jan direkt oder zu ihrer Schwester. Aber das hast du weitgehend schon von der Stimmung her so hingekriegt, dass man das Gefühl hat, jeder, auch die Schwester ist innerhalb dieser Familie nicht recht zur Kommunikation oder zum offenen Konflikt fähig. Da geht kein Gespräch. Da bleibt alles Wand und glatt und unangreifbar.
Gut, wenn man sich was wünschen dürfte, wären es noch ein paar dezente kleine Hinweise mehr, warum denn das Verhältnis zwischen den beiden Schwestern so unnahbar ist. Aber das fand ich schon ganz gut gelöst. Man gewinnt den Eindruck, die beiden kennen sich gar nicht so gut. Und diesen Eindruck gewinnt man nicht nur aus deiner narrativen Schilderung der Familinverhältnisse, sondern auch aus den Beobachtunge der Schwester. Die Verschlossenheit des Gesichts. Sowas eben.
Ich fand den Jan übrigens ganz gut gezeichnet. Allerdings (wie Chutney) hätte ich mir bei ihm noch ein bisschen mehr Tiefe oder Tragik gewünscht. Er ist so ein typischer Rentner, der seinen alten Beruf mit in den Ruhestand genommen hat. Das fand ich auch schön gezeigt, wie er alles immer rumschleppt und dabei auf dem letzten Loch pfeift. Fand ich übrigens lustig, dass er Lehrer war. Aber er ist eher ein typischer Gymnasiallehrer mit seiner Doziererei. Aber zurück zur Tragik. Ich hätte es gut gefunden, die Schwester hätte ihm gegenüber mal was gesagt, dass sie ihn überfürgsorglich findet, irgendsowas. Und dann hätte er irgendeine Reaktion zeigen können, etwas sagen, das ein kleines Licht auf die Beziehung wirft. Denn die Schwester befindet sich ihm gegenüber ja nicht in der gleichen Situation wie die Ehefrau. Da fragt man sich schon, warum sie sofort in die passende Rolle der Schweigsamkeit und Duldsamkeit hüpft.
Aber das sind so Gedanken zu deiner Geschichte, die tauchen wohl unweigerlich immer auf, wenn man eine Geschichte gelesen hat und sich seine Gedanken macht. Ich glaube, wenn wir Wortkriegerchen hier einen absolut bekannten Oberguru der Schriftstellerei hätten mit ein paar Geschichten. Wir würden auch dem Vorschläge machen. Und das ist ja auch gut so. Zeigt, dass Geschichten leben und mit jeder Person, die sie liest, eine neue Färbung erhalten können. Chef ist eh der, der sie geschrieben hat.
Also schöne Geschichte mal wieder und sehr gerne gelesen.
Grüße von der Novak

 
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Hallo barnhelm,

Ich mag Geschichten mit einem ruhigen Fluss. Und Deine Geschichte ist so eine. Ich konnte mich gut in diese "Ferienidylle" hineinversetzen.
Allerdings weckt sie nicht gerade sympathische Gefühle für diese drei Personen.

Da ist Jan, der sich nicht auf seine Pensionierung vorbereitet hat und zu Hause nun alles an sich reisst. Macht er das wirklich aus Fürsorge? Ich zweifle daran. Vielleicht eher um noch jemand zu sein und nicht in ein Loch zu fallen? Aber weshalb tut er das gerade zu Hause? Als pensionierter Lehrer gäbe es doch bestimmt andere Möglichkeiten.

Mia, die vorher Haushalt und Familie versorgte, lässt alles stumm geschehen und erstickt dabei. Weshalb? Als Frau eines Lehrers war sie sicher gewohnt, ihre Meinung zu äussern. Sind es wirklich die Strukturen, die sich so verfestigt haben? Scheut sie sich vor einem Konflikt?

Und die Schwester, ich verstehe nicht, weshalb sie schweigt.

Das sind die Fragen, die ich mir gestellt habe.

Jedenfalls, es ist eine gute Geschichte und ich habe sie gern gelesen. Aber sie lässt mich nachdenklich zurück, denn es ist ja kein Einzelfall, den Du beschreibst.

Alles Gute wünscht dir
Marai

 
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Liebe Novak, liebe Marai

Dieses Langsame und Zerstörerische zwischen Mann und Frau und das Langsame der Beobachtung, das sich aus der Idylle heraus an den Leser anschleicht, das hast du gut hingekriegt.
Das war meine Absicht und mein Anliegen. Wenn es geklappt hat, freut es mich.

Zitat von Novak: Ich hab mich natürlich zwischendrin gefragt, warum denn die Schwester nichts sagt.

Zitat von Novak: Denn die Schwester befindet sich ihm gegenüber ja nicht in der gleichen Situation wie die Ehefrau. Da fragt man sich schon, warum sie sofort in die passende Rolle der Schweigsamkeit und Duldsamkeit hüpft.

Zitat von Marai: Und die Schwester, ich verstehe nicht, weshalb sie schweigt.

Das ist auch das, was Chutney stört.

Ja, auch ich überlege, ob nicht die Schwester – und auch die Geschichte - lebendiger würde, wenn sie sich einmischte. Zu Ende gedacht führt das aber in eine andere Geschichte. In dieser anderen Geschichte würde sich die Schwester einmischen, es würde zum ausgesprochenen Konflikt kommen. Die friedliche Urlaubsatmosphäre wäre dahin. Es gäbe Auseinandersetzungen und heftige Diskussionen. Ich müsste in diesem Fall sehr stark an die Personen heran und sie psychologischer charakterisieren. Das traue ich mir im Moment noch nicht zu, weil sich das ja in den Dialogen darstellen müsste.
Meine Idee war, die Schwester als Beobachter der Situation zu zeigen, die zwar allmählich erahnt, dass ihre Schwester (Mia) sich immer mehr in sich selbst zurückzieht, sie aber nicht gut genug kennt, um einzuschätzen, wo ihre Schwester inzwischen steht. Sie sind sich eigentlich fremd und sie hält sich nicht zuletzt deshalb zurück, weil es sie nichts angeht. So meine Geschichte.


Zitat von Marai: Mia, die vorher Haushalt und Familie versorgte, lässt alles stumm geschehen und erstickt dabei. Weshalb? Als Frau eines Lehrers war sie sicher gewohnt, ihre Meinung zu äussern. Sind es wirklich die Strukturen, die sich so verfestigt haben? Scheut sie sich vor einem Konflikt?

Ich glaube nicht, dass Mia, die Ehefrau, gelernt hat, ihre Meinung zu äußern.
In meiner Geschichte beschwert sie sich zwar hin und wieder (bei der Schwester), duckt sich in der Regel aber weg. Letztendlich befreit sie sich, indem sie das Spray aus der Tasche des Bademantels nimmt und so den Tod von Jan forciert. So meine Idee. Ich lasse das, was konkret geschehen ist, in meiner Geschichte bewusst offen, es handelt sich eben nicht um einen Krimi.
Die Ehefrau hat, so, wie ich sie mir vorstelle, schon sehr lange das Verhalten Jans geduldet. Es hat ja auch durchaus etwas Egoistisches, wenn ich mich bedienen lasse und passiv sein kann. Dass ich damit Eigenständigkeit aufgebe, fällt mir erst dann auf, wenn mein eigener Handlungsspielraum gegen Null geht.
Grundsätzlich finden wir alle es doch schön, wenn jemand uns lästige Sachen wie etwa das Koffertragen, Frühstückmachen, Tischdecken, Post beantworten usw. abnimmt. Je länger und öfter wir es geschehen lassen, je mehr verfestigen sich beim anderen diese Verhaltensweisen und es entstehen Gewohnheiten daraus.

Wie würde sich Jan verhalten, wenn sein Verhalten thematisiert bzw. kritisiert würde? Er wüsste wahrscheinlich gar nicht, was daran falsch sein sollte. Seine Reaktion wäre völliges Unverständnis „Ich habe es doch nur gut gemeint.“ Jahrelang handelte er aus Fürsorglichkeit und Besorgtheit. Das war immer gut und richtig, weshalb sollte es jetzt falsch sein? Es wurde ja nie in Frage gestellt, sondern gerne angenommen. Dass sich da etwas verselbständigt hat, kann er nicht erkennen, weil es zu einem Grundzug seiner Person geworden ist: Er denkt und handelt inzwischen fast automatisch für den anderen, reflektiert sein Handeln nicht mehr. Die Möglichkeit der Veränderung, etwa durch Bewusstmachung oder Diskussion, halte ich für fast aussichtslos.
Die Tragik dieser Situation ist, dass die Motive des Handelns nicht böse sind, die Auswirkungen aber so, dass dem anderen die Luft zum Atmen weggenommen wird, und er sich nur mit einem Kraftakt aus ihr befreien kann.
Das ungefähr war meine Intention beim Schreiben. Ob das gelungen ist oder nicht, muss der Leser beantworten.

Novak und Marai, ich danke euch fürs Kommentieren.

Liebe Grüße
Barnhelm

 
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„Er macht das schon. Er kümmert sich gern um alles.“
„Ja, so einen Mann wünsche ich mir auch.“
„Wirklich?“
[…]
„Mia, hast du an deine Tabletten gedacht?“, ...

geben für mich den Kern dieser kleinen – ich sag mal – soziologischen Studie,

liebe barnhelm,

und wie in der teilnehmenden Beobachtung die Beobachter (in unserm Fall die Erzählerin) bemüht sind, das Objekt ihrer Beobachtung so wenig wie möglich zu beeinflussen (was i. d. R. nur bedingt gelingt), ist es auch hier: Schon die Teilhabe einer dritten, der beobachtenden Person lässt die Beobachteten, das Paar, sich anders verhalten als unter sich und allein.

Was im Gespräch noch harmlos und gemäßigt klingt

„Er macht das schon. Er kümmert sich gern um alles.“
ist in Wirklichkeit mehr als ein bloßes „um alles“ Kümmern. Er will alles in der Hand haben, entscheiden, wie was getan wird. Gottähnlich - nur "ähnlich", denn wer hätte je davon gehört, dass Gott ein Herz hätte? - formt er die Welt nach seinem Bilde.
„Mia, hast du an deine Tabletten gedacht?“, …
Geht, soweit es der Text hergibt, gar so weit, den Beobachter in die eigenen Strukturen einzubeziehen und zu beeinflussen, was in Luca durchbricht
Jan redet ununterbrochen auf mich ein, während ich mir die alten Gebäude betrachte und meinen eigenen Gedanken nachhänge. Seine langen Jahre als Lehrer haben ihn geprägt und er kann nicht anders, als mir das zu erklären, was ich ohnehin sehe. Mich amüsiert der Gedanke, dass er immer zu einer imaginären Schulklasse spricht. Auch ein Teil seiner ständigen Besorgtheit ist wohl seinem Beruf zuzuschreiben.

Jan wird den Lehrer – der wahrscheinlich alles besser und genauer weiß als der andere – nicht los, steckt halt in seiner Haut. Die vielen anderen Jans oder Jeannes (glaube keiner, die Rolle wäre an ein Geschlecht gebunden) lassen einen Hauch von SF wehen, wenn in Bälde all die WeltWeitgeWerbe-Süchtigen und –Abhängigen sich GoogleGlass auf die Nase setzen, dass alle in einem Einheitsbrei „aufgeklärt“ und „informiert“ werden usw. usf., wie Meister Google es sich vorstellt, wie die Welt zu sehen sei. Was einem/einer Jan/Jeanne das Herz, wäre da auf der Nase der Akku.

Aber dass der Beobachter sich ungern beeinflussen lässt, schimmert auch durch:

Allmählich entwickle ich einen leichten Zorn auf Jan. Seine Fürsorglichkeit beginnt mich zu stören.
Was aber dann vor diesem Text mich verneigen lässt ist die Erkenntnis (die eigentlich nicht neu ist, aber hierorts nicht oft genug gepredigt werden kann): Ironie als Selbstverteidigung!
Es ist nicht nur Ironie in ihrer Stimme. Da schwingt auch noch etwas anderes mit.

Ein, zweimal fallen mir winzige Gezeitenwechsel auf, wie hier
Marcos Auto steht bei unserer Ankunft am Tor zur Einfahrt. Er ist Architekt und hat das Haus vor dem völligen Zerfall gerettet.
Stolz zeigte er uns unsere Zimmer, die ersten, die schon fertig sind.
Er ist aufgeregt, bittet uns vor das Haus.
Zeigte er die Zimmer schon vor der Ankunft der Dreierbande?

Gelegentlich wird m. E. ein Komma unter gleichrangigen Adjektiven vergessen, wie direkt zu Anfang der Erzählung

In den ausgetretenen[,] weißgelben Marmorstufen …
Man könnte auch getrost, ohne dass die Aussage sich änderte ein „und“ dazwischensetzen statt des Kommas, wie auch hier
… und schaue auf den kleinen[,] sandigen Vorplatz, …
oder hier
… setze ich mich auf die altertümliche[,] grüne Bank
was bei Konstruktionen des Typs
den pikant gewürzten Salsiccie-Würsten
schwerlich gelänge.

Abschließend eine kleine Flüchtigkeit, die bei sieben Seiten Manuskript unter TNR 12 pt. sich halt nicht immer vermeiden lässt: Der Punkt nach der wörtl. Rede kann beurlaubt werden

„Das sind sicher vierzig. Warum muss das Becken so weit unten sein?“.
findet der


Friedel,
der, wie auch anders!?, gerne Texte der von Barnhelm liest ...

 
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Lieber Friedrichard - Friedel,
auch dir danke ich für deinen aufbauenden und lieben Kommentar. Die kleinen Fehler habe ich verbessert.
Zum Komma zwischen gleichrangigen bzw. nicht gleichrangigen Adjektiven: Da wurde ich beim Schreiben meines Textes unsicher und habe Herrn Duden um Rat gefragt. Ich erhielt folgende Auskunft:

http://www.duden.de/sprachwissen/sprachratgeber/komma-zwischen-adjektiven:

Komma zwischen Adjektiven
… handelt es sich jeweils um einen Gesamtbegriff, der eine solche feste Verbindung bildet. Tritt ein weiteres Adjektiv hinzu, darf kein Komma gesetzt werden, darum also dunkles bayerisches Bier oder kräftiger französischer Rotwein.
Vor allem vier Gruppen von Adjektiven treten in solchen Gesamtbegriffen häufig auf:
Adjektive, die Farben bezeichnen (ein wolkenloser blauer Himmel),
Adjektive, die Materialien benennen (die alte steinerne Brücke),
Adjektive, die die Herkunft bezeichnen (ein bekannter spanischer Autor),
Adjektive, die die Zugehörigkeit nennen (eine wichtige amtliche Mitteilung).

Daran habe ich mich dann bei meiner Kommasetzung orientiert. Das war auch für mich neu.
In den ausgetretenen weißgelben Marmorstufen …
(Farbe)
… und schaue auf den kleinen sandigen Vorplatz, …
(Material)
… setze ich mich auf die altertümliche grüne Bank
(Farbe)

Ich lasse vorerst die Lücke zwischen den genannten Adjektiven, bin aber gespannt, wie du die Sache siehst. Denn sicher bin ich nicht.

In diesem Sinne
freundliche Grüße
barnhelm

 
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Noch mal ich,

der immer noch mit den gebundenen Duden hantiert, und dabei auch auf folgende Stelle stößt, dass "höher liegende unbewaldete Hänge" ohne Komma auskomme, da es auch "tiefer liegende unbewaldete Hänge" gebe, dagegen "höher liegende, unbewaldete Hänge" eben mit Komma, "weil die tiefer liegenden Hänge bewaldet seien (Duden Bd. 1 K101, 24. Aufl., 2006, S. 72)

Ich trüge also einen eisgrauen längeren Bart, wenn ich ihn denn auch einmal stutzte, aber einen eisgrauen, längeren Bart, wenn ich ihn nicht stutzte. Da stutz ich aber itzot. Bei mir wüsst ich es also, beim Hang sollte man dann vorher informiert werden oder persönlich vorbeischauen, bevor man sich entscheide ...

Eigentlich kann man nur mit Brecht darauf reagieren, wir säßen hier betroffen und alle Fragen offen ...

Fazit: Es kann nicht falsch sein, einen eigenen Kopf zu haben und zu nutzen.

Friedel

 

Hallo barnhelm!

Beziehungen wie die von Mia und Jan interessieren mich; ich lese gerne solche Geschichten.

Ich hatte allerdings Probeme, in deine Geschichte reinzukommen. Wie chutney hatte ich anfangs (das zog sich sogar bis in die Mitte des Textes!) kein Bild davon, wer die handelnden Personen überhaupt sind. Da werden zuerst Mia, Jan, ich, Ruth und Marco benannt. Marco wird als Erster greifbar, er ist der Besitzer des Landgutes. Er ist allerdings nur eine unbedeutende Nebenfigur.
Erst nach fast 800 Wörtern erfährt man, dass "ich" die Schwester (oder möglicherweise ein Bruder) von Mia ist, Jan deren Mann. Viel zu spät, meiner Meinung nach. Sowas müsste an den Anfang des Textes.
Außerdem dachte ich, dass die drei junge Leute sind. Dass sie Rentner sind, wird mir erst ungefähr bei Wort 1150 klar.
Ich habe die drei für sowas wie Rucksacktouristen gehalten. Sie kampieren in einer Bruchbude (nur ein Zimmer/eine Wohnung ist fertig, es wird da auch nicht weitergearbeitet, durchgerostetes Geländer an der steilen Schwimmbadtreppe...). Warum sollten da pensionierte Lehrer Urlaub machen?

Weitere Anmerkungen zum Text:

Manchmal ist nicht deutlich, wer gerade was gesagt hat.

"Es ist das erste Mal, dass ich mit meiner Schwester und ihrem Mann reise." => "Ich" scheint die Schwester und den Ehemann auch fast gar nicht zu kennen. Sie weiß nichts über die Gesundheitsbeschwerden Jans, nichts darüber, wie die Beziehnung der beiden aussieht. Das kommt mit beinahe so vor, als wäre "ich" die letzten zwanzig, dreißig Jahre in Australien oder sonstwo gewesen. Ein kleiner (oder auch größerer) Hinweis, warum "ich" so gut wie nichts über die beiden weiß, sollte schon in den Text.

Schade finde ich, dass du so ein typisches Krimi-Ende gewählt hat. Die genervte Mia bringt Jan um (vermutlich). Da du den Text nicht unter Krimi verortet hattest, hatte ich mir etwas anderes gewünscht, eben etwas, das mich überrascht, zum Nachdenken bringt oder so.
=> Das Ende war übrigens ab der Szene am Schwimmbad total vorhersehbar. Weswegen ich ab hier den Text nur noch überfliege - wäre ich rein am Lesen interessiert. Im Kommentarmodus lese ich selbstverständlich gründlich weiter. Aber es kommt nichts mehr Neues. Es werden nur noch die Infos, die ich bereits habe, in anderer Aufmachung wiederholt, und es kommt natürlich das vorhergesehene Ende.

Soviel von mir.

Grüße,
Chris

 
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Hallo barnhelm,

während ich lese, beginne ich gleichzeitig mit dem Kommentieren. Mal gespannt, was draus wird.

Zuerst dachte ich, oha, was für eine lange Geschichte, und eigentlich habe ich nur wenig Zeit. Aber die Geschichte gewinnt von Anfang an, mit schönen Beschreibungen vereinamt sie mich von Beginn an.

Die Casa ‚Olmo’ ist ein verwunschener Traum: Sie steht auf einem Hügel, umgeben von Weinfeldern, die nicht mehr bewirtschaftet werden. Auf ihnen blühen wilde Sträucher und Akazien. Zu der Ulme, die dem Haus ihren Namen gab, gesellten sich im Laufe der Zeit Platanen und Zypressen. Sie umstehen und verbergen das Haus, es ist von der kleinen Straße aus unsichtbar. Weit und breit gibt es kein anderes Gebäude. Die Straße endet wenige Meter hinter der Einfahrt zum Haus.

Schöne Beschreibung.

„Ja, so einen Mann wünsche ich mir auch.“
„Wirklich?“ Mia öffnet die Augen, sieht mich direkt an. Ich wundere mich über den leicht gereizten Ton in ihrer Stimme.
„Ja, durchaus. Helge und ich leben wie zwei Junggesellen miteinander. Jeder hat seinen eigenen Planeten. Mir gefällt das sogar, bedeutet aber auch, dass ich oft auf mich allein gestellt bin.“
„Findest du das schlecht?“
„Eigentlich nicht. Aber ich würde hin und wieder auch gerne so umsorgt werden.“
„Ja, Jan sorgt sich um alles: um die Kinder, die Enkel, das Haus, den Einkauf, das Auto, einfach um alles.“ Ihre Stimme ist etwas lauter geworden, jetzt schwingt Aggressivität mit.
Sie fängt sich. „Aber es ist wohl gut so, wie es ist.“

Show don´t tell.
Das machst du toll! In leichten Sätzen erfährt der Leser die Konstellation und Informationen über den Hintergrund der Figuren.

Als er den Tisch rüberholte, hörte ich es wieder, dieses raue, stoßweise Atmen.
rüberholt und hört. Präsens, meine ich.

Als wir am späten Nachmittag zurückkommen, beschließen wir, das Schwimmbad zu testen.
"auszuprobieren" hätte mir an dieser Stelle besser gefallen.

In der kleinen Kapelle warte ich auf die beiden. Zwei kleine Reihen geschnitzter Bänke, davor, etwas erhöht, der Altar mit einer rosa-blauen Madonna. Der Raum wirkt wie die Miniatur einer Kirche. Ich setze mich in die erste Reihe und stelle mir vor, wie die alten Besitzer vor oder auch nach der Arbeit am Altar knieten und ein kurzes Gebet zur Madonna schickten, manchmal vielleicht ihre Wünsche mit dem Anzünden einer Kerze unterstrichen. Durch die bunten Scheiben fällt sanftes Sonnenlicht.
Schönes Bild!

Meine Gedanken sind bei meiner Schwester. Irgendetwas stimmt nicht mit ihr. Ich spüre es, kann aber nicht sagen, was es ist. Es ist ihr Blick, der mich irritiert. Etwas geht in ihr vor.
Schöner Spannungsaufbau. Ich will wissen, was los ist !!!

Vorsichtig nehme ich Stufe für Stufe. In ihnen hat sich wieder Regenwasser gesammelt.
Auf ihnen ...

Während ich unsere Sachen packe, überdenke ich die letzten Tage. Jans Bademantel hängt am Haken, er ist noch etwas feucht. Vielleicht sollte ich ihn in einen Plastikbeutel legen. Ich falte ihn zusammen und streiche über den samtigen Frotteestoff. Meine Hand bleibt liegen. Wie aus einem Nebel steigt in mir ein verwirrender Gedanke auf. Ich fasse in die Seitentasche. Nichts. Auch die andere Tasche ist leer.

Ich will Gewissheit, gehe an Mia vorbei, überquere den Hof, öffne die Tür der Kapelle.
Meine Augen suchen den Boden ab. Nichts. Langsam gehe ich zur Gartenpforte, bleibe stehen, schaue über die Treppe in die Tiefe. Die kleinen Pfützen auf den weißgelben Stufen halten meinen Blick fest.
Ganz allmählich begreife ich. Meine Suche ist sinnlos. Ich werde nichts finden.

Die Erkenntnis der Wahrheit macht mich fassungslos. Niedergeschlagen trenne ich mich vom Anblick der Treppe und gehe zurück zum Haus.

Es ist kühler geworden und stiller. Die Grillen sind verstummt.


Schön beschrieben das traurige Ende. Nun ergibt die Szene, in der die rote Fläschchen auf dem Boden lag, einen Sinn.

Gut geschrieben, barnhelm. Dir ist es in meinen Augen gelungen, eine dichte Atmosphäre zu schaffen und du hast es geschafft, Spannung aufzubauen. Hat mir sehr gut gefallen und Spaß gemacht, zu lesen!

Gruß, Freegrazer

 

Hallo barnhelm!

Beziehungen wie die von Mia und Jan interessieren mich; ich lese gerne solche Geschichten.

Ich hatte allerdings Probeme, in deine Geschichte reinzukommen. Wie chutney hatte ich anfangs (das zog sich sogar bis in die Mitte des Textes!) kein Bild davon, wer die handelnden Personen überhaupt sind. Da werden zuerst Mia, Jan, ich, Ruth und Marco benannt. Marco wird als Erster greifbar, er ist der Besitzer des Landgutes. Er ist allerdings nur eine unbedeutende Nebenfigur.
Erst nach fast 800 Wörtern erfährt man, dass "ich" die Schwester (oder möglicherweise ein Bruder) von Mia ist, Jan deren Mann. Viel zu spät, meiner Meinung nach. Sowas müsste an den Anfang des Textes.
Außerdem dachte ich, dass die drei junge Leute sind. Dass sie Rentner sind, wird mir erst ungefähr bei Wort 1150 klar.
Ich habe die drei für sowas wie Rucksacktouristen gehalten. Sie kampieren in einer Bruchbude (nur ein Zimmer/eine Wohnung ist fertig, es wird da auch nicht weitergearbeitet, durchgerostetes Geländer an der steilen Schwimmbadtreppe...). Warum sollten da pensionierte Lehrer Urlaub machen?


Hallo Chris Stone,

da sieht man mal, wie unterschiedlich man Geschichten lesen, interpretieren und kommentieren kann. Ich habe erst die Geschichte gelesen, parallel dazu kommentiert und lese nun deine Kritik, die ich, was obige Anmerkungen betrifft, komplett anders sehe.
Mir gefällt es gut, wenn man eben nicht direkt im ersten oder zweiten Satz darauf gestoßen wird, wer die Handelnden sind.

Es gibt noch viel zu tun für alle von uns. ;)

Gruß, Freegrazer

 

Hallo Chris,

danke fürs Kommentieren.

Beziehungen wie die von Mia und Jan interessieren mich; ich lese gerne solche Geschichten.
Ich auch. Eine andere Frage ist, ob ich sowas darstellen kann. Meine Texte sind Versuche.
Ich liebe Romane von Patricia Highsmith, die so eine atmosphärische Dichte zwischen zwei oder mehreren Menschen in Vollendung skizzieren konnte.

Zu deinen Anmerkungen:

Wie chutney hatte ich anfangs (das zog sich sogar bis in die Mitte des Textes!) kein Bild davon, wer die handelnden Personen überhaupt sind.

Ich habe jetzt versucht, das durch einen kleinen Einschub schon früher zu klären. (Hoffentlich klappt’s.)

Ich habe die drei für sowas wie Rucksacktouristen gehalten.

Ja, der Eindruck kann entstehen, wird aber später geklärt. Die beschriebene Situation habe ich wirklich einmal in der Toskana erlebt; ein Tipp eines Freundes: Das Haus wurde nach und nach restauriert, aufgrund von Geldbedarf zwischenzeitlich vermietet. Als wir ankamen, waren die ersten Zimmer und die Bäder restauriert, ebenfalls die Dächer. Auch die Sache mit dem Schwimmbad stimmt so: Es war gerade erst fertig geworden und gratis. Die übrigen Zimmer, wie eben auch die dunkle Küche, waren noch in ihrem Originalzustand. War übrigens ein toller Urlaub: ein Riesenanwesen nur für uns.

Sie weiß nichts über die Gesundheitsbeschwerden Jans, nichts darüber, wie die Beziehnung der beiden aussieht.

Ich habe einen Halbsatz eingefügt, der das „Warum“ ein bisschen klarer macht.

Schade, dass dir das Ende aufgrund seiner Vorhersehbarkeit nicht gefallen hat. Vielleicht denke ich mal über ein paar mögliche Alternativen nach. Mir ging es hier nicht um eine überraschende Wende, sondern um die Darstellung eines konsequenten Ablaufs. Mia sucht einen Weg sich zu befreien und findet ihn.

Liebe Grüße
barnhelm

 

Ich lasse vorerst die Lücke zwischen den genannten Adjektiven, bin aber gespannt, wie du die Sache siehst. Denn sicher bin ich nicht,
war der letzte Stand zu den Kommaregeln insbesondere hinsichtlich im Gebrauch zwischen gleichrangigen Adjektiven,

liebe barnhelm,

worauf ich nach einem eher flapsigen, wieder gelöschten Beitrag folgendes bemerkte – und doch unbefriedigt war

Noch mal ich,

der immer noch mit den gebundenen Duden hantiert, und dabei auch auf folgende Stelle stößt, dass "höher liegende unbewaldete Hänge" ohne Komma auskomme, da es auch "tiefer liegende unbewaldete Hänge" gebe, dagegen "höher liegende, unbewaldete Hänge" eben mit Komma, "weil die tiefer liegenden Hänge bewaldet seien (Duden Bd. 1 K101, 24. Aufl., 2006, S. 72)

Ich trüge also einen eisgrauen längeren Bart, wenn ich ihn denn auch einmal stutzte, aber einen eisgrauen, längeren Bart, wenn ich ihn nicht stutzte. Da stutz ich aber itzo. Bei mir wüsst ich es also, beim Hang sollte man dann vorher informiert werden oder persönlich vorbeischauen, bevor man sich entscheide ...

Eigentlich kann man nur mit Brecht darauf reagieren, wir säßen hier betroffen und alle Fragen offen ...


Aber es ließ mir keine Ruhe, dass ich zu den „amtlichen Regeln“ griff und – wie nebenbei seltsames entdeckte, was mir bisher nur in der Steuergesetzgebung aufgefallen ist, was dann mühselig durch Änderungen der Änderung vom tt.mm.jjjj und dem ursprünglichen „Ausfertigungsdatum: 16.10.1934“ führt, eine Rolle, die der Duden vielleicht gar nicht erfüllen kann.

In eben diesen „amtlichen Regelungen der deutschen Rechtschreibung“ vom März 2006 unter § 71 „Gleichrangige (nebengeordnete) Teilsätze Wortgruppen oder Wörter grenzt man mit Komma voneinander ab. […]
(2) gleichrangige Wortgruppen oder Wörter in Aufzählungen: Der Nachbar hatte versprochen den Briefkasten zu leeren, die Blumen zu gießen, hin und wieder zu lüften. […]


§75 Infinitivgruppen grenzt man mit Komma ab, wenn eine der folgenden Bedingungen erfüllt ist:
(2) die Infinitivgruppe hängt von einem Substantiv ab: Er wurde beim Versuch, den Tresor zu knacken, vom Nachtwächter überrascht. ….“, und erst mal ich armseliges Würmchen, das dem Regelwerk getreulich unterworfen ist! Was nämlich sehen wir im Beispielsatz zu § 71 (2), oder genauer gesagt: Was vermissen wir dort, wenn wir § 75 (2) dagegensetzen exakt zwischen „… versprochen den …“? Kennen die Herrschaften ihr eigenes Regelwerk nicht?

Alles heiße Luft, dass ich geneigt bin, dass man sich immer auf § 78 berufen sollte, wenn es „oft“ im Ermessen des Schreibenden liege, „ob er etwas mit Komma … kennzeichnen will oder nicht.“ Freilich würde dann manchem Lesenden einiges abverlangt.

Fazit: Es kann nicht falsch sein, einen eigenen Kopf zu haben und zu nutzen.

Gruß & schönen Sonntag vom

Friedel

 

Lieber Friedrichard – Friedel,
danke für dein nochmaliges Stöbern und Suchen. Mir rauscht der Kopf und ich kann mich nur Brecht anschließen.
Was ist nur mit dieser Sprache los, dass man sich als Muttersprachler bei jedem Text mindestens einmal vergewissern muss, ob das, was man schreibt, richtig geschrieben ist, ob die Kommas richtig gesetzt sind usw. usw.
Ach, ich liebe diese Sprache. Wirklich!

Kann mir nicht vorstellen, dass die Engländer das auch nötig haben.

Danke nochmals für deine Mühen.

Liebe Grüße
barnhelm

 

Lieber Freegrazer,
ja, so ein Kommentar tut gut. So ähnlich hatte ich mir die Sache gedacht und es freut mich, dass du sie so aufgenommen hast.

Zu deinen Anmerkungen:


Als er den Tisch rüberholte, hörte ich es wieder, dieses raue, stoßweise Atmen.
Hier erwähne ich etwas vorher Geschehenes. Deshalb ist m.M.n. das Präteritum richtig. Vielleicht ist hier sogar das PQP richtig. Muss ich noch mal überlegen.

Hast du die Sache mit „könnt“ und „können“ rausgenommen? Ich finde sie nicht mehr.

Ihr seid die Ersten, die es benutzen können.
Das hat mir sogar die Nachtruhe geraubt, allerdings nur ein bisschen. Ich habe mich dafür entschieden, dass „die“ bzw. „die Ersten“ Subjekt ist, und damit das Verb in der 3. Pers. Plural stehen muss. Zuerst stand bei mir auch 2. Pers. Plural.
So klingt es für mich immer noch merkwürdig.
Außerdem ist mir aufgefallen, dass wohl ‚die Ersten’ Nomen ist, da es sich nicht auf ein schon vorhandenes Nomen bezieht. Hab ich geändert.
Es ist doch schön, wenn man keine anderen Sorgen hat!

Die Sache mit den Stufen habe ich berichtigt, natürlich „auf den Stufen“.

Danke fürs Lesen und Kommentieren – obwohl die Geschichte doch recht lang war.
Liebe Grüße
barnhelm

 

Hast du die Sache mit „könnt“ und „können“ rausgenommen? Ich finde sie nicht mehr.

Das hat mir sogar die Nachtruhe geraubt, allerdings nur ein bisschen. Ich habe mich dafür entschieden, dass „die“ bzw. „die Ersten“ Subjekt ist, und damit das Verb in der 3. Pers. Plural stehen muss. Zuerst stand bei mir auch 2. Pers. Plural.
So klingt es für mich immer noch merkwürdig.
Außerdem ist mir aufgefallen, dass wohl ‚die Ersten’ Nomen ist, da es sich nicht auf ein schon vorhandenes Nomen bezieht. Hab ich geändert.
Es ist doch schön, wenn man keine anderen Sorgen hat!


Lieber Barnhelm,

gerne! War wirklich eine schöne Geschichte. Hat Spaß gemacht, diese zu lesen!

Jaja, das mit dem "könnte" und "können": Hatte ich nach einem Tipp eines wohlmeinenden und sachkundigen Users rausgenommen.

Ich muß an dieser Stelle mal loswerden: Hier sind jede Menge richtig guter Leute im Forum, die nicht nur virtuos schreiben können, sondern die auch die Tücken der deutschen Kommasetzung, Anwendung der richtigen Zeiten etc. excellent beherrschen.
Kompliment! Da kann ich noch jede Menge lernen.

Gruß, Freegrazer

 

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