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Es schneite und schneite...
Es schneite und schneite....
Elli wachte weit vor dem Klingeln ihres Weckers auf. Draußen war es noch dunkel, doch sie konnte das schwache Rieseln des Schnees vor ihrem Fenster erkennen. Ihr Traum hatte sich erfüllt. In zwei Tagen würde sie zum neunten Male Weihnachten erleben und in diesem Jahr endlich auch weiße Weihnachten. Und sie wußte, dass der Weihnachtsmann artigen Kindern Heiligabend Geschenke brachte. Letztes Jahr hatte sie den Weihnachtsmann mit eigenen Augen gesehen und sie war das ganze Jahr sehr artig gewesen. Elli war unendlich glücklich, alles schien vollkommen.
Zum letzten Schultag vor den Weihnachtsferien fuhr sie die 3 Kilometer zur Koogschule im Windschatten des Sommerdeiches mit ihrem Fahrrad. Sie war blitzschnell da. Es war ein unbeschwerter Schultag. In der letzten Stunde begann die Klassenlehrerin Frau Reimers den Unterricht mit der Frage: „Was verbindet ihr mit Weihnachten und was feiern wir an Weihnachten?“ Die Schüler meldeten sich eifrig und sagten unter anderem: Es ist ein Familienfest, es ist das Fest der Liebe, es ist eine Erfindung der Kaufhäuser, es ist ein christliches Fest, es ist das Geburtstagsfest von Jesus und vieles mehr. Elli meldete sich auch und sagte ganz stolz, als sie drankam: „Weihnachten ist das Fest an dem der Weihnachtsmann artigen Kindern viele Geschenke bringt.“ Noch bevor sie ihren Satz zu Ende ausgesprochen hatte, lachte Benjamin Elli vor der ganzen Klasse aus und rief immer wieder: „Ha, Ha, Ha! Elli glaubt immer noch an den Weihnachtsmann und hat gar nicht bemerkt, dass im letzten Jahr mein Vater der Weihnachtsmann bei Elli war.“ Elli wurde rot, wollte versinken und aus dieser peinlichen Situation nur noch fliehen. Sie griff sich Ranzen, Jacke und rannte unter vollem Gelächter aus dem Klassenzimmer.
Das Wetter hatte am Vormittag gedreht. Typisches naßkaltes Dithmarscher-Wetter brauste nun über die Marsch. Es schneite nicht mehr, es regnete und die zarte Schneedecke hatte sich bereits wieder aufgelöst und grauer, matschiger Boden bestimmte wieder das Landschaftsbild. Elli fuhr wie in Trance nach Hause und zog sich innerlich zurück. Sie wollte nur noch, dass alles ganz schnell vorbeigeht und die Schmach aus der Schule abstreifen und vergessen. Die Tage bis zum 24. zogen sich und alle Vorfreude war verflogen und durch Gram gefüllt. Am 24. mußte Elli ihre Mutter in die Kirche begleiten. Ein ungeliebter Pflichttermin, den sie seelenlos absolvieren würde. Sie dachte bei sich: „Wozu das alles? Kann nicht alles ganz schnell vorbeigehen?“ Mit dem Auto fuhren sie nach Marne in die Kirche. Im Radio lief Weihnachtsmusik, eine Sondermeldung unterbrach das Programm: Unwettermeldung für die Dithmarscher-Bucht, Orkan mit heftigem Schneefall. Elli und ihre Mutter nahmen diese Meldung nur unbewußt wahr.
Die Kirche war bis zum letzten Platz besetzt. Die Konfirmanden führten das Krippenspiel auf. Elli saß mit ihrer Mutter neben Viktor, der mit seinem Vater da war. Sie kannte Viktor aus der Parallelklasse, hatte aber noch nie mit ihm geredet. Viktor begrüßte Elli: „Hallo Elli, schön dass Du auch hier bist! Gefällt Dir das Krippenspiel auch so gut wie mir? Erst wenn ich hier in der Kirche war, beginnt für mich Weihnachten!“ Elli war irritiert. Kann man Weihnachten auch ohne Geschenke schön finden? Nach der Messe verließ die Gemeinde unter Glockengeläut die Kirche. Draußen beherrschte das Wetter alles. Vor Schneetreiben konnte man kaum etwas sehen, die Wege waren vor überfrierender Nässe spiegelglatt. Und erste Schneeverwehungen versperrten Wege und Straßen. Die Polizei warnte, dass die Straßen in die Köge nicht passierbar und teilweise gesperrt sind.
Was nun? Wie sollten sie nach Hause in den Koog kommen? Wo würden sie heute schlafen können? Es war alles schrecklich. Für Elli begann die nahende Weihnachtszeit voller Glück und endete nun nach tiefer Schmach am Weihnachtstag in totalem Unglück und Unsicherheit. Wie hatte sie das nur als stets artiges Kind verdient? In dem Moment als Elli diesen Gedanken formulierte, sprach der Vater von Viktor Ellis Mutter an: „Es sieht so aus, dass sie nicht mehr nach Hause kommen können. Kommen Sie doch mit Elli zu Viktor und mir nach Hause. Unser großes Haus hat Platz für uns alle und ich habe viel zu viel gekocht, so dass es für uns vier mehr als reichen wird. Nur zwei Straßen von hier entfernt ist unser Zuhause. Es ist doch heute das Fest der Liebe und des Heilands. Seien sie unsere Gäste und teilen sie mit uns Speis, Trank und eine besinnliche Zeit.“ Ellis Mutter war perplex und antwortete zögerlich: „Ja, äh, das ist nett, aber wir kennen uns doch gar nicht!“ Als sie dies sagte, offenbarte sich ihr, dass sie eigentlich keine Alternative hatte. Die Köge waren nicht mehr erreichbar und in Marne kannte sie niemanden. Sie willigte mit dem Satz:“ Ja...., vielen Dank für die Einladung, wir kommen gerne mit.“ ein.
Sie betraten das Haus von Viktor und seinem Vater, es roch nach Gewürzen, gutem Essen, Kiefer, u.v.m. Es roch nach wahren Weihnachten.
Vor dem Essen beteten sie zu Ehren Jesu-Christus; Elli kannte so etwas gar nicht; sie genossen ein drei Gänge Mahl mit feinem Wein und schönen Getränken für die Kinder. Die Kerzen brannten im ganzen Haus und sperrten den Schneeorkan heimelig aus. Für Elli wandelte sich abermals der Tag. Das gefühlte Unglück löste sich auf. Sie empfand jetzt nicht nur Glück sondern auch Geborgenheit. Sie merkte, dass ihr die Geschenke nicht fehlten. Sie hatte nun etwas ganz besonderes erhalten. Neben der ihr bekannten Mutterliebe, erfuhr sie tiefe Nächstenliebe, Geborgenheit und noch mehr. Draußen schneite es weiter. Elli spielte mit Viktor vor dem Tannenbaum und Mutter und Vater unterhielten sich innig.
Seit diesem Weihnachtsfest verbindet Elli Weihnachten nicht mehr mit Geschenken und Weihnachtsmann, sondern mit einem festlichen Kirchbesuch und liebevollen Begegnungen mit anderen. Kein Fest der Geschenke, sondern ein Fest der Nächstenliebe und Begegnung.
Und es schneite und schneite...
Marek Rymarzik 20.11.2014