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Es schneite und schneite...

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28.05.2015
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Es schneite und schneite...

Es schneite und schneite....

Elli wachte weit vor dem Klingeln ihres Weckers auf. Draußen war es noch dunkel, doch sie konnte das schwache Rieseln des Schnees vor ihrem Fenster erkennen. Ihr Traum hatte sich erfüllt. In zwei Tagen würde sie zum neunten Male Weihnachten erleben und in diesem Jahr endlich auch weiße Weihnachten. Und sie wußte, dass der Weihnachtsmann artigen Kindern Heiligabend Geschenke brachte. Letztes Jahr hatte sie den Weihnachtsmann mit eigenen Augen gesehen und sie war das ganze Jahr sehr artig gewesen. Elli war unendlich glücklich, alles schien vollkommen.

Zum letzten Schultag vor den Weihnachtsferien fuhr sie die 3 Kilometer zur Koogschule im Windschatten des Sommerdeiches mit ihrem Fahrrad. Sie war blitzschnell da. Es war ein unbeschwerter Schultag. In der letzten Stunde begann die Klassenlehrerin Frau Reimers den Unterricht mit der Frage: „Was verbindet ihr mit Weihnachten und was feiern wir an Weihnachten?“ Die Schüler meldeten sich eifrig und sagten unter anderem: Es ist ein Familienfest, es ist das Fest der Liebe, es ist eine Erfindung der Kaufhäuser, es ist ein christliches Fest, es ist das Geburtstagsfest von Jesus und vieles mehr. Elli meldete sich auch und sagte ganz stolz, als sie drankam: „Weihnachten ist das Fest an dem der Weihnachtsmann artigen Kindern viele Geschenke bringt.“ Noch bevor sie ihren Satz zu Ende ausgesprochen hatte, lachte Benjamin Elli vor der ganzen Klasse aus und rief immer wieder: „Ha, Ha, Ha! Elli glaubt immer noch an den Weihnachtsmann und hat gar nicht bemerkt, dass im letzten Jahr mein Vater der Weihnachtsmann bei Elli war.“ Elli wurde rot, wollte versinken und aus dieser peinlichen Situation nur noch fliehen. Sie griff sich Ranzen, Jacke und rannte unter vollem Gelächter aus dem Klassenzimmer.

Das Wetter hatte am Vormittag gedreht. Typisches naßkaltes Dithmarscher-Wetter brauste nun über die Marsch. Es schneite nicht mehr, es regnete und die zarte Schneedecke hatte sich bereits wieder aufgelöst und grauer, matschiger Boden bestimmte wieder das Landschaftsbild. Elli fuhr wie in Trance nach Hause und zog sich innerlich zurück. Sie wollte nur noch, dass alles ganz schnell vorbeigeht und die Schmach aus der Schule abstreifen und vergessen. Die Tage bis zum 24. zogen sich und alle Vorfreude war verflogen und durch Gram gefüllt. Am 24. mußte Elli ihre Mutter in die Kirche begleiten. Ein ungeliebter Pflichttermin, den sie seelenlos absolvieren würde. Sie dachte bei sich: „Wozu das alles? Kann nicht alles ganz schnell vorbeigehen?“ Mit dem Auto fuhren sie nach Marne in die Kirche. Im Radio lief Weihnachtsmusik, eine Sondermeldung unterbrach das Programm: Unwettermeldung für die Dithmarscher-Bucht, Orkan mit heftigem Schneefall. Elli und ihre Mutter nahmen diese Meldung nur unbewußt wahr.

Die Kirche war bis zum letzten Platz besetzt. Die Konfirmanden führten das Krippenspiel auf. Elli saß mit ihrer Mutter neben Viktor, der mit seinem Vater da war. Sie kannte Viktor aus der Parallelklasse, hatte aber noch nie mit ihm geredet. Viktor begrüßte Elli: „Hallo Elli, schön dass Du auch hier bist! Gefällt Dir das Krippenspiel auch so gut wie mir? Erst wenn ich hier in der Kirche war, beginnt für mich Weihnachten!“ Elli war irritiert. Kann man Weihnachten auch ohne Geschenke schön finden? Nach der Messe verließ die Gemeinde unter Glockengeläut die Kirche. Draußen beherrschte das Wetter alles. Vor Schneetreiben konnte man kaum etwas sehen, die Wege waren vor überfrierender Nässe spiegelglatt. Und erste Schneeverwehungen versperrten Wege und Straßen. Die Polizei warnte, dass die Straßen in die Köge nicht passierbar und teilweise gesperrt sind.

Was nun? Wie sollten sie nach Hause in den Koog kommen? Wo würden sie heute schlafen können? Es war alles schrecklich. Für Elli begann die nahende Weihnachtszeit voller Glück und endete nun nach tiefer Schmach am Weihnachtstag in totalem Unglück und Unsicherheit. Wie hatte sie das nur als stets artiges Kind verdient? In dem Moment als Elli diesen Gedanken formulierte, sprach der Vater von Viktor Ellis Mutter an: „Es sieht so aus, dass sie nicht mehr nach Hause kommen können. Kommen Sie doch mit Elli zu Viktor und mir nach Hause. Unser großes Haus hat Platz für uns alle und ich habe viel zu viel gekocht, so dass es für uns vier mehr als reichen wird. Nur zwei Straßen von hier entfernt ist unser Zuhause. Es ist doch heute das Fest der Liebe und des Heilands. Seien sie unsere Gäste und teilen sie mit uns Speis, Trank und eine besinnliche Zeit.“ Ellis Mutter war perplex und antwortete zögerlich: „Ja, äh, das ist nett, aber wir kennen uns doch gar nicht!“ Als sie dies sagte, offenbarte sich ihr, dass sie eigentlich keine Alternative hatte. Die Köge waren nicht mehr erreichbar und in Marne kannte sie niemanden. Sie willigte mit dem Satz:“ Ja...., vielen Dank für die Einladung, wir kommen gerne mit.“ ein.

Sie betraten das Haus von Viktor und seinem Vater, es roch nach Gewürzen, gutem Essen, Kiefer, u.v.m. Es roch nach wahren Weihnachten.

Vor dem Essen beteten sie zu Ehren Jesu-Christus; Elli kannte so etwas gar nicht; sie genossen ein drei Gänge Mahl mit feinem Wein und schönen Getränken für die Kinder. Die Kerzen brannten im ganzen Haus und sperrten den Schneeorkan heimelig aus. Für Elli wandelte sich abermals der Tag. Das gefühlte Unglück löste sich auf. Sie empfand jetzt nicht nur Glück sondern auch Geborgenheit. Sie merkte, dass ihr die Geschenke nicht fehlten. Sie hatte nun etwas ganz besonderes erhalten. Neben der ihr bekannten Mutterliebe, erfuhr sie tiefe Nächstenliebe, Geborgenheit und noch mehr. Draußen schneite es weiter. Elli spielte mit Viktor vor dem Tannenbaum und Mutter und Vater unterhielten sich innig.

Seit diesem Weihnachtsfest verbindet Elli Weihnachten nicht mehr mit Geschenken und Weihnachtsmann, sondern mit einem festlichen Kirchbesuch und liebevollen Begegnungen mit anderen. Kein Fest der Geschenke, sondern ein Fest der Nächstenliebe und Begegnung.

Und es schneite und schneite...
Marek Rymarzik 20.11.2014

 
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Hallo Wolnomularz,

Herzlich willkommen bei den Wortkriegern!

Eine Weihnachtsgeschichte mitten im Jahr, das finde ich interessant! Aber Du hast recht, eigentlich gehört Weihnachten nicht nur zum Dezember. Die Botschaft von Weihnachten ist für das ganze Jahr gültig.
Du schreibst flüssig. Ich habe die Geschichte gerne gelesen und konnte mich gut hineinversetzen.
Was ich mich gleich am Anfang gefragt habe, glaubt ein neunjähriges Kind noch an den Weihnachtsmann und dass man Geschenke bekommt, wenn man das ganze Jahr brav ist?
Kann man das überhaupt, ein ganzes Jahr brav sein?

Nachdem Benjamin Elli vor der ganzen Klasse ausgelacht hat, habe ich eigentlich erwartet, dass sie zu Hause davon erzählt und vielleicht sogar in Tränen ausbricht. Das würde zu einem neunjährigen Mädchen passen. Elli aber zieht sich zurück und leidet.

Folgendes ist mir noch aufgefallen:

"Die Tage bis zum vierundzwanzigsten zogen sich [hin] und alle Vorfreude war verflogen."
"und durch Gram gefüllt", würde ich weglassen.

"Sie willigte mit dem Satz ein:"

"Es roch nach echter (statt wahrer) Weihnacht.

Vor dem Essen sprach der Vater von Victor ein Dankgebet (statt: sie beteten zu Ehren Jesu Christî).
Ich finde, das tönt besser.

"Das gefühlte Unglück löste sich auf". Das würde ich weglassen, da der nächste Satz genügt.

"Sie erfuhr echte (statt tiefe) Nächstenliebe und die beiden Erwachsenen ( Vater und Mutter tönt wie ein Ehepaar.) unterhielten sich prächtig.

Und zum Schluss noch eine Frage: Wo ist eigentlich Ellis Vater und Victors Mutter?

Lieber Wolnomularz, es ist eine schöne Geschichte und ich hoffe, dass Du mit meinem Kommentar etwas anfangen kannst.

Alles Gute wünscht Dir
Marai

 

Wenn schon zu Ehren, dann Jesu Christi, nicht Jesu-Christus. ;)

 

Hallo Wolnomularz,

eine Weihnachtsgeschichte im Sommer, das finde auch ich interessant. Aber ich konnte ganz gut mit der kleinen Elli mitfühlen und habe die Geschichte gerne gelesen. Die Entwicklung, die Elli durchmacht gefällt mir sehr gut.

Vielleicht noch ein kleiner Verbesserungsvorschlag zu deinem Satz: "Für Elli begann die nahende Weihnachtszeit voller Glück und endete nun nach tiefer Schmach am Weihnachtstag in totalem Unglück und Unsicherheit."

Das stimmt natürlich, so ergeht es Elli. Aber vielleicht könnte man diesen Satz weglassen und sich dafür mehr darauf konzentrieren, genau das zu zeigen. Vielleicht geht das, indem sie zu Anfang mit ihrer Mutter redet und ihr aufgeregt und glücklich erzählt, dass sie sich sooooo freut. Später könnte sie dann ganz ruhig und unsicher sein.

Es würde mich freuen, wenn dir mein Kommentar ein bisschen hilft.

Weiterhin viel Spaß und viele Grüße,
Sebastian

 

Habt Dank für Eure wertvollen Rückmeldungen. Ich werde diese gerne berücksichtigen.

 
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Hallo Wolnomularz

Ich habe deinen Text gerne gelesen. Es ist nicht einfach, aus der Perspektive eines Kindes zu schreiben, bzw. dessen Denken und Fühlen zu beschreiben. Das ist dir gut gelungen. Die Entwicklung, die Elli durchmacht, kommt gut rüber. Gegen Ende des Textes kommst du etwas in den Erklär-Modus, du erzählst die Pointe deiner Gesichte gleich mit. Vertraue deinen Lesern.
Noch zwei, drei konkrete und hoffentlich hilfreiche Anmerkungen:

Elli war unendlich glücklich, alles schien vollkommen.

Hier bist du nahe bei Elli, daher schlage ich vor: alles war vollkommen.

Sie griff sich Ranzen, Jacke und rannte unter vollem Gelächter aus dem Klassenzimmer.

Damit sagst du, dass Elli lacht. (analog: rannte unter Tränen...")

Es schneite nicht mehr, es regnete und die zarte Schneedecke hatte sich bereits wieder aufgelöst und grauer, matschiger Boden bestimmte wieder das Landschaftsbild.

Vielleicht ein seltsamer Punkt meinerseits: Mir war nicht klar, ob es hier um ein Landschaftsbild oder um einen Prozess geht. Das Bild vor Augen, bin ich dann über "bereits wieder aufgelöst" und "bestimmte wieder" gestolpert. Vielleicht: "grauer, matschiger Boden, wo vorher eine zarte Schneedecke gelegen hatte." o.ä.

Nach der Messe verließ die Gemeinde unter Glockengeläut die Kirche. Draußen beherrschte das Wetter alles. Vor Schneetreiben konnte man kaum etwas sehen, die Wege waren vor überfrierender Nässe spiegelglatt. Und erste Schneeverwehungen versperrten Wege und Straßen. Die Polizei warnte, dass die Straßen in die Köge nicht passierbar und teilweise gesperrt sind.

Wie/Wo warnt die Polizei? Ich stehe gerade mit der Gemeinde vor der Kirche...

Sie betraten das Haus von Viktor und seinem Vater, es roch nach Gewürzen, gutem Essen, Kiefer, u.v.m.

"u.v.m." streichen. Bei solchen Passagen möchte ich genauer wissen, wonach das Essen riecht: Zimt? Gekochte Äpfel mit Preisselbeersauce?

Sie hatte nun etwas ganz besonderes erhalten. Neben der ihr bekannten Mutterliebe, erfuhr sie tiefe Nächstenliebe, Geborgenheit und noch mehr.

Das ist mir etwas zu viel an Erklärung.

Lieber Gruss
Peeperkorn

 

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