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Lisboa

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10.09.2014
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Lisboa

Ich bin Autor und sitze im Nachtzug nach Lissabon.
Jaja, das gab’s schon mal, ich weiß – aber ich bin keiner, der Ideen klaut. Es entspricht der Wahrheit und deshalb kann ich nicht schreiben, dass ich im Frühzug nach Paris sitze.
Außerdem kann ich’s beweisen: Fahrkarte und Platzreservierung bewahre ich vorsichtshalber in meiner Brieftasche.
Die trage ich immer am Herzen. Besonders jetzt, denn meine Reise nach Lissabon ist eine Herzensangelegenheit.
Lissabon oder Lisboa? Nie kann ich mich entscheiden. An gewissen Tagen gefällt mir Lisboa besser, an anderen Tagen Lissabon. Vielleicht sind es die Tage mit oder ohne ‚r’. Aber wenn ich es recht überlege, dann ist es wohl wie mit Hedwig und Anja.
Hedwig steht am Bahnsteig, zuverlässig wie immer, hilft mir beim Gepäckschleppen und fährt mich in selbstloser Weise zu meiner Adresse. Klingt komisch, aber bei ihr will ich nicht logieren – sie hat es schon so oft angeboten.
Ich schlafe lieber bei Anja. Die steht nie am Bahnsteig.

Der Grund für diese Reise ist sentimentaler Natur.
Eventuell - bei Lust und Laune - will ich einen Text über die Stadt schreiben, wie sie mir heute erscheint. Vielleicht geht’s auch nur darum, statt Venedig noch einmal Lissabon zu sehen und dann zu sterben.
Aber das ist doch Blödsinn! So schnell stirbt man nicht in Lissabon. Hier ist man lieber lange traurig als schnell tot. Der prall gefüllte Raum zwischen Leben und Tod verwischt, fast unmerklich gehen die beiden Extreme ineinander über. Ein Traum ist in dieser merkwürdigen Atmosphäre keine Halluzination, sondern steht gleichberechtigt neben der Realität - die hier oft weniger real erscheint als anderswo. Aber vielleicht werde ich das selbst erfahren?

Ich möchte noch einmal dort sein, wo ich mich früher herumgetrieben habe - an den zugigen Haltestellen der Aufzüge, bei den Docks und den schwarzen Mädchen, an den endlosen Treppen im geheimnisvollen Licht. Will mich an Ort und Stelle erinnern an bemerkenswerte Momente - ganz besonders an ‚mein’ heiß geliebtes Kaffeehaus. Wie hieß das doch?
Irgendwas mit ‚Gloria’.
Aber egal, es ist abgerissen worden, wie das restliche Barockviertel. Bald wird sich die Welt auch nicht mehr an meinen Namen erinnern. Was macht das schon?
Und doch kommt leises Sehnen auf, fast höre ich die Geburtswehen der adlergekrönten Kaffeemaschine, wenn sie meinen kleinen Schwarzen, die Bica, mit Keuchen und Schnaufen aus sich herauspresste.

Eine leichte Melancholie kommt über mich, einer dieser Lissabonner Momente, in denen man allein ist, auch keine Gesellschaft braucht, nur etwas Alkohol. Und wie durch Zauber stehe ich einen Augenblick später an der Liliput-Theke von „A Ginjinha“ im Zentrum des Zentrums, so zentral gelegen, dass es schon wieder ein Geheimtipp ist, aber das hängt mit der Winzigkeit des Lädchens und des Angebots zusammen: Auch wer keinen Kirschlikör mag, muss ihn hier trinken – oder wieder gehen, denn es gibt nur den. Aber gut ist er, dafür leg’ ich meine Hand ins Feuer. In meinem Fall beschert mir dieses kleine Stimulans noch ein amüsantes Wiedersehen, denn mir fällt die Rua do Loureiro ein. Ja, da will ich noch mal hin!

Nach unvorstellbar langer Zeit betrete ich diesen Antiquitätenladen, in dem ich bei meinem ersten Lissabon-Besuch eine faszinierende Waage sah – ein prächtiges Stück, wie es in Apotheken stand - ehrfurchtheischend mit Mahagonisockel, zwei blinkenden Messingschalen und einem kunstvollen Zünglein in der Mitte des Waagebalkens.
Ich musste es beim Anschauen belassen, hatte weder genügend Geld noch eine Transportmöglichkeit. Als Trost kaufte ich mir eine hübsche Briefwaage.
Der junge Verkäufer, blass, mit Moustache, einem Berg schwarzer Locken und kessem Blick, sagte beim Einwickeln meines Lissabonner Souvenirs: „Da haben sie etwas Gutes gekauft. Das ist Qualität aus Deutschland“, und zeigte mir das gravierte D.R.P.

Jedenfalls hat es mich noch mal hierher gezogen. Ein freundlicher Mann legt sein Buch zur Seite, steht auf und sagt: „Guten Tag, der Herr. Womit kann ich dienen?“
„Guten Tag, darf ich mich ein bisschen umsehen bei Ihnen?“
„Aber selbstverständlich doch. Bitte sehr.“ Er macht eine weit ausholende Geste, als würde er mir die ganze Welt zu Füßen legen, hält abrupt inne, der ausgestreckte Arm bleibt wie bei einer Statue steif in der Luft stehen. Ist er plötzlich versteinert? Er macht große Augen und findet dann die passenden Worte: „ Ich hab’s gewusst, dass Sie zurückkommen. Ich hab’s gewusst! Sie haben damals Tiagos Waage gekauft!“
Ich verstehe nicht so recht und muss mich sammeln: „Eine Briefwaage – ja, das stimmt. Aber woher wussten Sie, dass ich zurückkommen würde?“
„Von meinem Vater. Der sagte immer: ‚Jeder kommt irgendwann zurück nach Lisboa.’ Und natürlich – je jünger einer ist, desto sicherer ist das.
Oh, Verzeihung, ich habe mich noch gar nicht vorgestellt - Nuno Carvalho.“
„Freut mich. Klaus Lorenz - aber ich kann nicht glauben, dass Sie sich an mich erinnern! Das sind doch locker an die zwanzig Jahre?“
„Mais o menos, kommt so ungefähr hin. Die meisten Gesichter vergisst man nach einiger Zeit, aber Ihres habe ich mir eingeprägt wegen Tiagos Heft. Und einprägsam ist ja auch Ihre Körpergröße.“
So langsam erkenne ich meinen Verkäufer wieder. Moustache und Lockengebirge sind grau geworden. Es ist kein vornehmes Grau, kein nobles Platin, es ist eher die Farbe schmelzender Gletscher. Sein Blick jedoch hat nichts an lustiger Wachheit eingebüßt.
Erst einmal will ich etwas klären: „Wer ist Tiago?“
„Ach, das ist ein alter Bekannter, ein ehemaliger Seemann, der hier in der Nähe gewohnt hat und ein paar Mitbringsel aus Übersee verkaufen wollte. Aber das waren Sachen fürs Kuriositätenkabinett - Antiquitäten waren keine dabei, bis auf Ihre Briefwaage. Für die hab ich ihm einen Preis gemacht und er hat sie hier gelassen.“
Er durchsucht eine Schublade und wird fündig: „Dieses Heft hat er dazugelegt und mir einen Eid abgenommen, diese beiden Sachen nur zusammen zu verkaufen.“

Er reicht mir ein blau eingebundenes Schulheft.
„Als Sie hier waren“, fährt er fort, „hatte ich das Geschäft gerade von meinem Vater übernommen. Ich habe Ihnen die Waage versehentlich ohne das Heft gegeben. Mein Fehler. Ob Sie damit wirklich etwas anfangen können, kann ich mir nicht vorstellen, aber jetzt hat ja alles seine Ordnung“.
Ich bedanke mich und frage: „ Aber wieso gehört das Heft zur Waage?“
„Das war Tiagos Idee: Der Käufer seiner Waage könnte viel mit Schriftlichem zu tun
haben“, erklärt Nuno Carvalho. „Beim Lesen würde der vielleicht Tiagos Gedanken verstehen, seinen Freunden davon erzählen, sie möglicherweise sogar veröffentlichen. Tiago litt unter der Angst, umsonst gelebt zu haben. Er wollte etwas hinterlassen, müssen Sie wissen.“
„Das versteh’ ich. Haben Sie mal einen Blick hineingeworfen?“
„Ja, hab ich.“
„Und?“, bohre ich weiter.
„Na ja, ist schon interessant. Vieles hab ich nicht verstanden, aber einiges hat mir gut gefallen. Der Tiago war ein Philosoph. Bisschen eigenbrötlerisch, ja, und ziemlich ernsthaft.“ Er holt viel Luft, wie vor dem Tauchgang: „Seine Worte haben etwas Drängendes, ich verspüre beim Lesen ein Unbehagen – als wenn man die Schminke vom Leben kratzt.“
Wir tauschen noch einige Höflichkeiten aus und ich stehe in der Nachmittagssonne. Carvalhos Worte hallen nach. Die Zugabe zu meiner Waage ist wohl mehr als ein Poesiealbum.

Ah, der Tejo! Der große Spiegel, der meistens funkelt und glitzert und auch über und neben sich alles aufwertet, fast veredelt. Der Himmel glänzt, die Stadt glänzt.
Die glänzt mehr, als sie wert ist.
Wer weit über den Strom schaut, das andere Ufer zu erfassen versucht, versteht mit einem Mal die großen Seefahrer. Der Fluss selbst ist schon Meer in seiner Mächtigkeit, fasziniert die Unzufriedenen, Chancenlosen und Verzweifelten. Schiebt und drückt alles hinaus aus dem engen, kleinkarierten Land in die Unwägbarkeit - hinaus ins Ungewisse, aber Mögliche.

Tiagos blaues Heft nehme ich überallhin mit, nutze jeden Augenblick, darin zu blättern. Seine Bildhauerschrift trifft mich mit Intensität und Wucht. Sein Text beeindruckt mich nicht nur, nein – er fesselt mich.
Ich wollte von Lissabon schreiben, von dieser alten Kuh mit den Triefaugen. Aber daraus wird nichts, denn Tiagos Leben wird meine Geschichte füllen. Ich muss von ihm schreiben, von einem Mann berichten, der sagt, was er denkt – und weil er Portugiese ist, sagt, was er empfindet.

Ich lese: ‚Ich kann hier nicht bleiben. Die ganze Welt lebt nach ihren Plänen und Zielen, aber ich kenne so etwas nicht.
Was sollte ich denn planen und worauf zielen, mit schiefen Absätzen und ohne Geld? Ich muss fort.
Denn bliebe ich hier, müsste ich mir im Alter sagen, dass ich mein Glück in der Ferne nicht gesucht und damit nicht gefunden habe. Ich habe gar keine andere Wahl als wegzugehen.’

Jede Nacht piesacken ihn Träume von einer schöneren Welt - weit weg von hier. Er würde reich sein, reich und glücklich.
Hundertmal größere Ländereien würde er haben als Don Vincente, mit Dienern, einem Koch, Gärtnern und einem weißen Bentley.

Tiagos Hände reißen auf, vom Salzwasser genässte Taue vervielfachen den Schmerz seiner Wunden. Der Fraß aus der Kombüse ist fürchterlich.
Das gelobte Land entdeckt er nicht.
Wohin er kommt, ist alles schon verteilt, besetzt, reserviert.

Eleanora, seine große Liebe, beachtet ihn nicht – und kann bei seiner Ungeschicklichkeit auch gar nicht wissen, was er für sie empfindet. Er verzehrt sich immerzu nach ihr, träumt von ihr, tagsüber und nachts, träumt, dass sie am Hafen steht, wenn er heimkommt, wie die Frauen der anderen, träumt, dass sie ihm über den Kopf streicht und ihn küsst.

Je länger er auf den Schiffen schuftet, desto realistischer wird sein Weltbild. Dem Land entfremdet er sich immer mehr, doch sein Leben auf den Schiffen ist ebenfalls freudlos.
Wie schnell so ein Menschenleben vorbei ist! Wie lange liegt das zurück, als er noch dachte, unbegrenzt Zeit zu haben, um all seine Wünsche und geheimen Vorstellungen zu leben.

Mir ist, als wäre ich dabei gewesen. Tiago hatte nur die Wahl zwischen Enttäuschungen. Ich wäre zerbrochen.

Er nicht. Er ist Portugiese! Für ihn scheint über einem ungerechten Planeten mild ein Stern mit tröstenden Strahlen. Die tasten über seine Seele und massieren sanft sein Herz. Langsam lösen sich die Verkrampfungen und die Verbitterung.
‚Saudade’ heißt das Zauberwort - eine milde Betäubung, die sich barmherzig auf den Leidenden senkt und ihn zwischen ihren Brüsten wärmt und liebkost.

Geräuschlos lässt sich Tiago neben mir nieder. Es überrascht mich nicht. Anstandshalber rücke ich ein wenig zur Seite.
Er sagt: „Danke“.
Ich weiß nichts zu sagen.
Wir schweigen.

Ein feiner Sprühregen geht nieder. Aus einer Tür in Rot und Grün quillt ein schwermütiger Fado. Er winkt ab, sein Leben ist ihm Fado genug. Schwaden dieser sentimentalen Musik verfangen sich in unseren Kleidern. Wir wollen uns befreien von dieser Traurigkeit und stehen wieder bei „Ginjinha“.
Kirschen und Alkohol gehen mit unserem Blut eine innige Verbindung ein.

Melancholische Stadt an Fluss und Meer.
Liegt sein Schiff in Lisboa, geht Tiago von Bord, streicht durch die Straßen, durch die Bars. Fremde Leute rempeln ihn an, grässlich geschminkte Frauen zeigen mit kalten Augen ihre Zähne und Brüste.
Er hofft, der Abschiedsschmerz beim Hinausfahren werde aufgewogen durch das Glücksgefühl bei der Rückkehr. Doch die Stadt kümmert sich nicht um ihn, hat für Gefühle keinen Sinn, geht lieber ihren Geschäften nach.
Ha – seine Stadt! Wie sie ihn verwöhnen will mit der gemauerten Symbolik der Größe. Wie sie versucht, ihn zu korrumpieren mit der Großartigkeit ihrer Avenues, mit der Aufeinanderfolge der beeindruckenden Plätze. Ein Pappmachétheater für die kleinen Leute.
Seine Stadt? Aber nein, das ist sie schon lange nicht mehr. Trotz der vielen gemeinsamen Jahre haben sie sich auseinander gelebt. Er ist die meiste Zeit auf See, sie gefällt sich in Erinnerungen an eine mondäne Zeit. Beflissen versucht sie, ihre Schäbigkeit zu verbergen, will Verfall als pittoresk verkaufen. Tiago kennt sie genau.

Oberhalb der Alfama finden wir ein billiges Lokal.
Er kramt einige Münzen aus seiner Tasche, nimmt eine Bica und einen Schnaps. Ich entscheide mich für einen eiskalten Rosé.
Die Sonne bricht durchs Gewölk und wir treten hinaus auf die kleine Terrasse.

In der Kurve hinter uns quietscht die alte Tram, unter uns staffeln sich die Dächer der Altstadt. Ein Irrgarten von krummen Gassen. Gemurmel wie Meeresrauschen dringt herauf, verzerrte Musik, der Gestank gegrillter Sardinen. Der breite Fluss ist kein Magnet mehr. Der hat nur enttäuscht. Gibt vor, den Weg zum Glück zu kennen und lässt uns dann im Stich. Daran ändert auch sein Aufscheinen im Glanz der durchbrechenden Sonne nichts. Diese silbernen Blitze – einfach lächerlich.
Tiago stellt die Getränke auf die Mauer, es stehen ein paar Stühle herum. Über die Tische ist eine hässliche Plane gezurrt. Ich greife zu meinem Schreibzeug. Er zieht begierig an seiner Zigarette.

Das Meer und Du und ich und auch sonst das ganze Leben –
das alles ist so hoch und tief und weit und breit.
Und niemand weiß rein gar nichts und kann’s auch gar nicht wissen.
Nicht einmal ich selbst weiß,
wer ich bin oder war.“

Ich bin Tiago etwas schuldig. Meine Macht als Autor wird mir plötzlich bewusst.
Zwar kann ich sein Leben nicht mehr ändern, aber ich werde ihm ein Denkmal setzen.
Er soll nicht umsonst gelebt haben. Die Welt wird sich an ihn erinnern. Bessere Zeiten werden kommen.
In den Lokalen des Bairro Alto werden Frauen mit schwarzer Stola und durchdringender Stimme von seiner unglücklichen Liebe, seinen Entbehrungen und Sehnsüchten singen – begleitet von der guitarra portuguesa, die unnachahmlich jedes Gefühl verstärken kann.
Die Zuhörer werden sich öffnen, mit feuchten Augen jedes Wort auf sich wirken lassen. Sie werden ergriffen sein von seiner Entschlossenheit, der Misere zu widerstehen, sich zu behaupten, den Kopf hoch zu tragen.
Seine Verehrer werden ihn San Tiago nennen. Auch die Fremden werden, ohne portugiesisch zu sprechen, seine Botschaft verstehen und mit in ihre Länder nehmen: Lass Dich nicht unterkriegen!

Zum Schluss wird er von seiner rosafarbenen Wolke noch einmal herunterschauen auf seine große Liebe – nicht auf Lisboa, auf Eleonora!

Gerade bereitet sie für ihre Enkel das Abendessen: fette Kohlsuppe und warmes Maisbrot.

 

Hallo José,

in den ersten Sätzen vermeine ich eine leise Anspielung auf "Nachtzug nach Lissabon" zu lesen, und auch später tauchen die Verweise immer wieder auf: die Apotheke, die mit philosophisch angehauchten persönlichen Gedanken gefüllte Kladde, der Protagonist, der in das Leben - und die unglückliche Liebesgeschichte - anderer Menschen eintaucht.

Vielleicht höre ich die Flöhe husten, doch selbst wenn ich recht hätte, stört mich das weiter nicht, denn Du machst etwas ganz eigenes aus diesen Versatzstücken, brichst sie teilweise ironisch und gibst ihnen eine neue Wendung. Das gefällt mir gut.

Vielleicht erklärt das aber auch, warum manchem, der Merciers Roman nicht gelesen bzw den Film nicht gesehen hat, die Feinheiten entgehen, die Du (meiner Vermutung nach) transportieren möchtest.

Das wäre natürlich schade, könnte aber kaum ausbleiben. Ob die Geschichte ohne das nicht ganz verständlich ist, und damit einen Teil ihrer Leserschaft verliert, kann ich nicht beurteilen. Was man mal gesehen hat, kann man nicht mehr ungesehen machen.

Trotzdem: mit viel Genuss gelesen.

Gruß, Pardus

 
Zuletzt bearbeitet:

Hola Graziano,

danke schön für Deine anerkennenden Zeilen! Das freut mich sehr, dass Du mit der Geschichte gut zurecht gekommen bist.

Nur an den Dialogen kannst du noch etwas feilen, finde ich.

Ja, Du hast recht – an manchen Stellen geht es ein bisschen zu flott.
Der ursprüngliche Text war eher eine Erzählung, jedenfalls zu ausschweifend. Durch das Kürzen wird es dann hastig.
Ich habe beinahe Schwierigkeiten, eine echte Kurzgeschichte zu schreiben, weil ich oft versucht bin, vom Thema abzuschweifen. Doch unterm Strich ist es doch schön, wenn das dabei herauskommt:

Ich muss mir diese Stadt unbedingt mal anschauen, ...

Kann ich nur empfehlen. Gute Reise, viel Spaß – und wenn noch Zeit ist: Évora anschauen!

Alles Gute!

José

 

Hola Pardus,

wir hatten ja bislang noch nicht die Ehre miteinander und deshalb freue ich mich über Deinen Kommentar.
Es ist in der Tat so, dass ich den - von vielen erwähnten - Roman nur vom Titel her kenne.
Hätte ich den Inhalt gekannt, dann hätte ich mit meinem Text einen weiten Bogen darum gemacht, um Ähnlichkeiten zu vermeiden und nicht als Abkupferer zu gelten.
Das war ein blöder Zufall, aber von Lissabon musste ich unbedingt etwas schreiben. Ich war mehrmals dort und hatte interessante Erlebnisse – aber da wäre eine längere Geschichte passender.

Du schreibst:

Vielleicht erklärt das aber auch, warum manchem, der Merciers Roman nicht gelesen bzw den Film nicht gesehen hat, die Feinheiten entgehen, die Du (meiner Vermutung nach) transportieren möchtest.

Ganz klar. Aber wenn es mir gelingt, den Leser zumindest neugierig auf diese Stadt zu machen, dann ist doch schon etwas gewonnen.

Ob die Geschichte ohne das nicht ganz verständlich ist, und damit einen Teil ihrer Leserschaft verliert, kann ich nicht beurteilen.

Solche Bedenken bestehen auch meinerseits, doch das schreckt mich nicht ab, zu schreiben, wonach mir der Sinn steht. Ich finde Texte bedenklich, wenn ich schon am Titel zu erkennen glaube: Aha, da ist wieder ein Thema gewählt, das hohe Einschaltquoten garantiert.

Pardus, ich danke Dir für Deine eingebrachte Zeit und freue mich, dass wir eigentlich einer Meinung sind.

Schöne Grüße!

José

 

Lieber José´

jetzt habe ich deinen Text plus die Kommentare ungefähr 1,5 mal gelesen und möchte dann doch noch meine eher grundsätzlichen Anmerkungen machen....

Vor allem eins: hättest du doch über Evora oder über Estoril oder gar über Melides geschrieben, dann hätte man was neues gelesen, etwas, das meine Augen öffnet.... so aber .....

Lissabon... melancholische Blicke auf melancholische Menschen und eine Grundstimmung die absolut und ohne sich besonders darum zu bemühen allein an den bereits erwähnten Roman erinnert.... ein wenig ironisiert und mit denselben sprachlichen Mitteln.....was soll selbst der geneigte Leser da mehr machen als entspannt aufgähnen und auf Tiagos Worte warten....

Ja: es ist ganz gut zu lesen und gut geschrieben, aber doch nur Spielerei und Erinnerungsliteratur....

gewiss: ich bin kein Portugiese aber ich war schon oft dort und nicht allein in Lissabon und was ich in deinem Text lese ist dann doch nur folkloristisch und an der intellektuellen Oberfläche.....

Das kannst du besser, wenn du den Blick nur weitest.... viel besser... du hast alle Möglichkeiten mit deinem Schreiben ......

viele Grüße
Isegrims

 

Hallo José,

schön, dass du mit meinem Kommentar so viel anfangen konntest. :) Ich hätte dir gerne schon früher geantwortet, wenn ich die Zeit (und das Internet) dazu gehabt hätte.

Verlass Dich auf mich – ich streiche nichts!
-> Sehr beruhigend.

Gestrichen hast du nichts, aber - wenn mich nicht alles täuscht - eine Stelle deutlich geändert, den Dialog zwischen dem Protagonisten und dem Händler. Und wie es nunmal so ist: Erst beschwere ich mich, dass es zu ruckelig ist; und jetzt, wo es viel flüssiger ist, will ich mich wieder beschweren. :D
Es ist zu ausschweifend, zu langatmig geworden. Der Dialog liest sich zwar angenehmer, aber verlangsamt den Lauf deiner Geschichte.

Erst einmal will ich etwas klären: „Wer ist Tiago?“
Es stört mich, dass er vorher erklärt, was er dann sagen will. Das hier soll nur ein Beispiel sein. Mit weniger Erzählerkommentar würde es für mich besser wirken.

Beim Lesen würde der vielleicht Tiagos Gedanken verstehen, seinen Freunden davon erzählen, sie möglicherweise sogar veröffentlichen. Tiago litt unter der Angst, umsonst gelebt zu haben. Er wollte etwas hinterlassen, müssen Sie wissen.
Was ich vorher noch selbst interpretieren musste, sagst du mir jetzt direkt. Das ist schade. Du nimmst dem Leser für meinen Geschmack zu viel Arbeit ab. Ein einfaches "Vielleicht hatte er Angst, vergessen zu werden." o.ä. hätte mir besser gefallen.

Interessant finde ich Deinen Einwand:
Auch finde ich das hoch und tief und weit und breit ein bisschen billig.

Gerade hier dachte ich, Tiagos Schlichtheit darstellen zu können, die ja für meinen Geschmack auch ihre Qualitäten hat. Das hat wohl nicht hingehauen.


Ich habe nochmal darüber nachgedacht, warum mich das Gedicht stört. Tiago soll ein einfacher und schlichter Mensch sein, wie du sagst. Daher auch die Formulierung mit hoch und tief und weit und breit... Andererseits formuliert er aber den Gedanken, dass der Mensch nicht in der Lage ist, sich selbst zu begreifen: Nicht einmal ich selbst weiß wer ich bin. Und das auch noch in Form eines Gedichtes in einem Heft, das er schreibt, um nicht vergessen zu werden. Das ist nicht schlicht und einfach.
Und dadurch wird es unstimmig. Entweder du lässt ihn wirklich schlicht sein, dann würde ich das Philosophische in seinen Gedanken reduzieren oder du zeigst, dass mehr in ihm steckt als man erwartet. Dann würde ich das Gedicht lyrisch verbessern, mit Versmaß, Reimschema,... und den Anfang etwas kreativer gestalten.

So viel erstmal dazu. Ich würde übrigens gerne mal die Geschichte in Originallänge lesen, falls das möglich ist. Und eine tatsächliche Grenze, wann ein Geschichte zu lang ist, um Kurzgeschichte zu heißen, ist hier ja meines Wissens nicht definiert, oder? Warum hast du dann nicht das Original gepostet?

Liebe Grüße
blackfyre

 

Hallo José,

angeregt durch deine schöne Hamburg-Landungsbrücken-Geschichte bin ich jetzt auch hier gelandet.

„Da haben sie etwas Gutes gekauft. Das ist Qualität aus Deutschland“, und zeigte mir das gravierte D.R.P.
Sehr gut!

„Guten Tag, der Herr. Womit kann ich dienen?“
„Guten Tag, darf ich mich ein bisschen umsehen bei Ihnen?“
„Aber selbstverständlich doch. Bitte sehr.“

Das klingt m.E.n. alles etwas gekünstelt.

„ Ich hab’s gewusst, dass Sie zurückkommen. Ich hab’s gewusst! Sie haben damals Tiagos Waage gekauft!“
Da ist vorne ein Leerfeld reingerutscht

„Von meinem Vater. Der sagte immer: ‚Jeder kommt irgendwann zurück nach Lisboa.’ Und natürlich – je jünger einer ist, desto sicherer ist das.
Oh, Verzeihung, ich habe mich noch gar nicht vorgestellt - Nuno Carvalho.“
Der Zeilenumbruch nach „ist das.“ ist unnötig, da es keinen Sprecherwechsel gibt.

Es ist kein vornehmes Grau, kein nobles Platin, es ist eher die Farbe schmelzender Gletscher.
Sehr schön.

Mein Fehler. Ob Sie damit wirklich etwas anfangen können, kann ich mir nicht vorstellen, aber jetzt hat ja alles seine Ordnung“.
seine Ordnung.“

„Das war Tiagos Idee: Der Käufer seiner Waage könnte viel mit Schriftlichem zu tun
haben“,

Hier ist irgendwie ein Zeilenwechsel/eine Returntaste nach „zu tun“ reingeraten.
Er sagt: „Danke“.

„Danke.“
Das Meer und Du und ich und auch sonst das ganze Leben –
das alles ist so hoch und tief und weit und breit.
Und niemand weiß rein gar nichts und kann’s auch gar nicht wissen.
Nicht einmal ich selbst weiß,
wer ich bin oder war.“

Hier fehlt am Anfang ein Gänsefüßchen.

Mir gefällt diese Geschichte. Vor allem zeigt sie mir, dass man sich durch Städtereisen gut inspirieren lassen kann und dabei/danach mit ein wenig Fantasie kleine, passende Geschichten schreiben kann ;)

Gerne gelesen :thumbsup:

Liebe Grüße,
GoMusic

 

Hola Blackfyre,

Menschenskind, da hast Du Dich aber reingekniet in die Materie!
Da muss ich leider an verschiedenen Punkten passen, aber am bedauerlichsten ist die Tatsache, dass ich die Originalgeschichte durch ständiges Verändern, Streichen und Kürzen nicht mehr zusammenkriege – beim besten Willen nicht.
Blackfyre, im Übrigen bin ich Anhänger der Sowohl-als-auch-Theorie der schwäbischen Vierteleschlotzer, und ich sehe mich auch bestätigt durch Dein Statement

Erst beschwere ich mich, dass es zu ruckelig ist; und jetzt, wo es viel flüssiger ist, will ich mich wieder beschweren.

Es ist nicht einfach. Man sollte resignieren. Aber dann überkommt mich der Trotz und ich verweise auf die von mir erfundene, eigentlich entdeckte ‚Blätterteig-Wahrheit’.
Die unzähligen feinen Teigschichten symbolisieren die unzähligen Wahrheiten, dazu eine endlose Anzahl von Deutungsmöglichkeiten, Blickwinkeln und Geschmäckern. Puh.

Je mehr ich die Geschichte Deinen Vorstellungen anpasse, desto weiter rückt sie von den Vorstellungen eines anderen Lesers – oder gar von meiner. Verstoscht?

Ich hab noch einen anderen Charakterfehler: Ist eine Geschichte fertig, dann ist sie fertig.
(Das schließt selbstverständlich nicht aus, dass sie eventuell nachgebessert werden muss – wenn das Sinn macht. Aber es muss im Rahmen bleiben.)
Du könntest sagen: Eine Geschichte ist nie fertig. Auch das stimmt – wenn man sie als Einzelstück wahrnimmt. Aber wir sind in der Schreibwerkstatt.
Ich sehe sie als eine beliebige Nummer in einer laufenden Serie.
In der Industrie kommt irgendwann ein Modellwechsel, wo alle zusammengetragenen Erkenntnisse umgesetzt werden. Bei einem Autoren geht es weniger abrupt zu: Der sollte – egal in welchem Schrittformat – mit jeder Geschichte ein bisschen besser werden.
Wenn er das selbst spürt, und wenn es ihm hoffentlich auch andere sagen – wie hier im Forum – dann wäre aus meiner Sicht alles in Butter.

ABER:

Ich habe nochmal darüber nachgedacht, warum mich das Gedicht stört. Tiago soll ein einfacher und schlichter Mensch sein, wie du sagst. Daher auch die Formulierung mit hoch und tief und weit und breit... Andererseits formuliert er aber den Gedanken, dass der Mensch nicht in der Lage ist, sich selbst zu begreifen: Nicht einmal ich selbst weiß wer ich bin. Und das auch noch in Form eines Gedichtes in einem Heft, das er schreibt, um nicht vergessen zu werden. Das ist nicht schlicht und einfach.

BLACKFYRE – DU BIST EINFACH FURCHTBAR!!
Fürs Verrecken lässt Du nicht locker!
Aber weiter so, mein Lieber! Die ganzen Dummschwätzer lassen wir mal beiseite.

Tiagos „Gedicht“ habe ich noch. So, wie es Tiago schrieb, habe ich es herausgenommen, weil ich es aus verschiedenen Gründen – ach, ich weiß nicht so recht. Deine Vorgaben erfüllt es ja auch nicht:

Dann würde ich das Gedicht lyrisch verbessern, mit Versmaß, Reimschema,..
Da wäre er vermutlich überfordert, ich auch.

Warum hast du dann nicht das Original gepostet?
Ei, das ist fix beantwortet: Meine ersten Geschichten habe ich im Original eingestellt, aber das wurde gerügt: Zu lang, zu ausführlich.
Ich muss dazu sagen, dass diese Striktheit heute, nach nur weniger als einem Jahr, passé ist.
Das Forum ist lockerer geworden (Ich bin ja erst seit September letzten Jahres dabei).

Blackfyre, ich schicke Dir Tiagos „Gedicht“ gerne, aber Du willst ja nicht glauben, das er eine schlichte Seele war. Und vielen Dank für Dein mich schmeichelndes Interesse an „Lisboa“!

José

PS: Ich hefte Tiagos „Gedicht“ an Deine Pinnwand.

 
Zuletzt bearbeitet:

Lieber Blackfyre,

mit der Pinnwand hat es leider nicht geklappt. Ich schicke das "Gedicht" als PN.

 

Hola Eleanore!

(Du hast mich übrigens mal mit o, mal mit a geschrieben.)

Ähm, hier liegt meines Erachtens eine bedauerliche Verwechslung vor. Ich bin untröstlich. Das passiert mir immer wieder!

ich habe Deine Geschichte entdeckt und gestern Abend bei einem Glas Rotwein – wie es der Zufall wollte: portugiesischem – genossen.

Die Lautmacherin hat meinen Text genossen! Schon bin ich getröstet.

wo sich das Herz doch schon längst eine Meinung gebildet hat.

Wow, mir geht es ebenso.

Und ich mag „den Autoren“.

Champagner, aber flott!!

... und setzt einen weichen Punkt unter die Geschichte.

Das hast Du sehr liebevoll gesagt.

Und nun noch mein Lieblingssatz. Einer, der mir unter die Haut geht:
Zitat von josefelipe
„Seine Worte haben etwas Drängendes, ich verspüre beim Lesen ein Unbehagen – als wenn man die Schminke vom Leben kratzt.“

Lautmacherin (Ich bin oft versucht, Lautmalerin zu sagen), listen:
Ich freue mich ganz wahnsinnig, dass Du als einzige diesen mir sehr am Herzen liegenden Satz so wahrgenommen hast, wie auch ich ihn empfinde.

Ich beurteile im Moment noch viel aus dem Bauch heraus.

Da liegst Du immer richtig;).

Lautmacherin, ich finde das prima, dass Du meine Geschichte magst und ich hab auch Spaß, mit Dir ein bisschen Ping-Pong zu spielen.

Und jetzt, jetzt packe ich meine Koffer. Ich werde mich auf einer Bank am Tejo niederlassen und auf Gesellschaft warten.

Jetzt hör auf, rumzuzappeln – ich komm ja schon. Oder hast Du schon mal von einem Nachtzug gehört, der bereits beim ersten Hahnenschrei durch die Gegend rattert?

Meine Teure, je t`embrasse.
José

 

Hola GoMusic,

danke schön für Deinen Kommentar –
und die Korrektur. Pünktchen, Pünktchen, Komma, Strich – ich werd’s mir merken.


Mir gefällt diese Geschichte. Vor allem zeigt sie mir, dass man sich durch Städtereisen gut inspirieren lassen kann und dabei/danach mit ein wenig Fantasie kleine, passende Geschichten schreiben kann

‚Städtereisen’ sagst Du. Vielleicht noch ‚Bildungsreisen’? O mei, das wär' mir ein Graus.
Nein, nein, ich habe immer in den untersten Schichten herumgewühlt, Charaktersache.
Aber ich fand’s da immer farbiger als im Museum. Und gerade Lissabon ist ja mit einem Riesenpacken Klischees beladen. Ich war verblüfft, dass ich das gewohnte Reisen zu zweit hier nicht vermisste. Vielleicht kreuzen sich hier tatsächlich die Meridiane für Tiefsinn und Weltzweifel – und schaffen eine ideale Atmospäre für den einsamen Spaziergänger?

GoMusic, sei bedankt und gegrüßt!

José

 

Hallo José,
danke für das Gedicht. :)

Klar, dass jeder Leser eine andere Vorstellung hat, was ihm gefällt. Ich würde auch niemals erwarten, dass du nur wegen meines Kommentars alles wieder änderst. Wenn du die Geschichte für fertig befindest, ist sie fertig. Ich denke nur, dass jeder einigermaßen durchdachte Kommentar hilft, den eigenen Schreibstil auf Dauer weiterzuentwickeln.
Und gerade das Gedicht ist für mich die Schwachstelle in dem Text. Das komplette Gedicht, das du mir geschickt hast, ist aussagekräftiger, aber natürlich zu lang für die Geschichte. Hat mir aber deutlich besser gefallen.

Bin gespannt, welches Modell als nächstes aus deiner Werkstatt kommt.
liebe Grüße
blackfyre

 

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