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Der Rabenvater

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27.10.2014
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Der Rabenvater

Seltsam, welche Momente sich einfach in ein Leben fressen, sich einen bequemen Platz aussuchen und nie wieder fortziehen. Dass sich ein solcher in einem meiner etlichen Spaziergänge mit Emily verbarg, hätte ich nicht erwartet.

Das Wetter zeigte sich von seiner Schokoladenseite. Luftig leichte weisse Schokolade mit Blaubeeren. Als ich die bucklige, alte Frau entdeckte, musste ich grinsen. Bei jedem ihrer Schritte schaukelte sie wie ein Stehaufmännchen und zog einen fetten Appenzeller Bless hinter sich her.
„Schau mal, die Raben.“ Emily zeigte mit dem Finger auf den Hund. „Schau mal wie sie dem Hund folgen.“
Erst jetzt bemerkte ich sie. In leichtem Abstand hinter dem Hund hüpfte eine Bande Raben umher. Es waren wohl sechs oder sieben. Ohne den Abstand zu verringern, folgten sie der Frau und pickten immer wieder etwas vom Boden auf. Die Frau schien das nicht zu kümmern. Sie schaukelte weiter.
Es ging nicht lange, bis wir sie eingeholt hatten.
„Ihr Hund hat aber ein paar lustige Freunde.“ Diesen Blick mochte ich schon immer an Emily. Sie zog die linke Augenbraue neckisch hoch und strahlte über das ganze Gesicht, als hätte sie den Schalk persönlich geschluckt.
Die Alte erschrak kurz, blieb stehen und drehte sich etwas ächzend um. „Was meinen Sie?“
Der Hund setzte sich hin und hechelte.
„Die Raben. Das ist ein herrliches Bild. Wie sie Ihnen und Ihrem Hund nachtrotten. Das sieht man nicht alle Tage.“
„Ah das. Ja, das ist immer so. Die sind immer da, wenn ich Gassi gehe. Wissen Sie …“, die Frau fing an der Vordertasche ihrer blumigen Küchenschürze herumzutasten und hielt uns kurz darauf einen kleinen Plastikbeutel entgegen. „Wissen Sie, ohne Leckerli bringe ich den Bärli nicht mehr aus dem Haus. Der ist zu dick, geht nicht mehr gerne raus. Und deshalb muss ich ihn mit den Leckerli etwas locken.“
„Klingt logisch“, sagte ich und dachte Klar, weil er zu fett zum Gehen ist, muss man ihn ja füttern.
Emily trat mich ins Schienbein. Mit einem Blick.
Bärli wuffte kurz und streckte seine Zunge noch weiter hinaus.
„Ja, ja, Bärli. Hier ist noch eins, du.“
Emily hakte nach. „Aber die Raben. Warum die Raben?“
„Ah ja, die Raben. Bärli sieht eben nicht mehr so gut, und deswegen findet er nicht mehr alle Leckerli, die ich ihm hinwerfe. Irgendwann haben die Raben das bemerkt, und seither begleiten sie uns.“ Die Alte erzählte das in einem Ton, als sei das ja nichts Besonderes, aber es war nicht zu übersehen, dass sie ein wenig stolz darauf war.
„So, Bärli, weiter jetzt.“ Die Alte zog beherrscht an der Leine. Bärli japste kurz. Mir schien, als habe er leise geknirscht, als er sich in Bewegung setzte.
„Alles Gute mit ihrem Kleinzoo.“ Wir überholten die Dame und Emily winkte nach. Sie warf mir nochmals diesen Blick zu. Der Blick, als wäre sie gerade mit der ganzen Welt im Einklang. Sie sah dann immer so furchtbar hübsch aus.

Das war vor zehneinhalb Jahren. Hätte ich vor sechs Jahren das mit dem Messer nicht gemacht, würde ich vielleicht heute noch mit Emily spazieren. Und mit Flo und Mia. Lass dich behandeln, sagte sie. Tu’s wenigstens für die Kinder. Sie versteht das nicht. Als Mann darfst du vielleicht ein Burnout haben, ja. Ein Burnout vielleicht, aber keine Depression. Ein Burnout kriegst du, wenn du zuviel geleistet hast. Eine Depression nur, wenn du ein Versager bist. Red mit mir. Wie willst du reden, wenn in dir alle Buchstaben einen dunklen, zähflüssigen, klebrigen Klumpen bilden. Ich greife in meine lederne Umhängetasche und krame eine Tüte Katzenfutter hervor. Das Futter habe ich von Sven. Der hat mir einfach eine Kiste voll Katzen- und Hundefutter vor die Türe gestellt, obwohl ich kein Haustier habe. Er meint es ja gut. Über mir kreist ein Rabe. Ich lege eine halbe Handvoll Futter auf die rote Bank neben mir und geh ein paar Schritte, bevor ich mich umsehe. Der Rabe landet auf dem dicken Ast der alten Eiche. Irgendwann wird er kommen und später auch seine Freunde mitnehmen. Ich bin einfach nur ausgerastet an diesem Abend. Es wäre mir auch lieber gewesen, ich hätte in diesem Moment nur einen nassen Teller in der Hand gehabt. Aber es war eben ein Messer. Die Gesichter der Kinder quälen mich. Ich blutete und mein halber Zeigefinger hing nur noch am Faden. Und Emily. Ich säe eine Handvoll Futter auf dem Weg hinter mir. Heute ist der Hügel dort so warm und goldig. Kaum zu ertragen. Soll ich sie einfach besuchen gehen? Flo ist vierzehn. Mia elf. Sie wollen mich nicht sehen. Emily auch nicht. Da ist wieder dieser Kerl mit seinem Fahrrad. Der dreht immer seine unsinnigen Runden hier. Warum wohl. Wann kommt man aus der Schule? Mit sechzehn, siebzehn? Jetzt ist er auf der Bank. Bring deine Freunde mit, du Vieh. Ich denke an Poe. Vielleicht liege ich irgendwann auf diesem Weg hier, mit ausgehöhlten Augen und einem breiten Lächeln im Gesicht.

 

Hallo tjasager,

das ist mal eine Kontrast! Der zweite Abschnitt macht das Herz so schwer, wie der erste es noch leicht gemacht hat. Die dem Futter folgenden Raben stellen die Brücke her, funktioniert für mich sehr gut.

Danke auch für die Idee mit dem Bärli, dem man logischer Weise mehr Futter gibt, weil er sonst zu fett zum Laufen ist, hat mich zum Lachen gebracht :D

Die Alte ist allgemein sehr sympathisch und gleichzeitig glaubwürdig geschildert. Da schweift sie erst mal von der eigentlichen Frage ab und muss dann nochmal daran erinnert werden, diese auch noch zu beantworten, das kennt man doch!

Bärli japste kurz. Mir schien, als habe er leise geknirscht, als er sich in Bewegung setzte.
Hat mir noch einen Lacher beschert, sehr schön! :)

„So, Bärli, weiter jetzt.“ Die Alte zog beherrscht an der Leine.
Warum "beherrscht"? Warum muss sie sich denn beherrschen?

die Frau fing an der Vordertasche ihrer blumigen Küchenschürze herumzutasten
Da fehlt noch ein weiteres "an" würde ich sagen.

Als Mann darfst du vielleicht ein Burnout haben
Irgendwie sieht das komisch für mich aus. Duden sagt (online auf duden.de) zwar Neutrum bzw. "das Burnout", ist aber meiner Meinung nach nicht gebräuchlich. Wenn ich in die Presse schaue oder Leute darüber sprechen höre, heißt es immer "der Burnout" (so auch bei Wikipedia). Ich glaube eher, die Angabe beim Duden bezieht sich auf die vorher schon existierenden Begriffe für Raumfahrt und Kernphysik und beim Hinzufügen der "neuen" Bedeutung hat man nicht weiter darüber nachgedacht.
Ich würde hier jedenfalls "einen Burnout" erwarten, kommt mehrmals vor.


Viele Grüße
Cyrian

 
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Hola Tjasager,

Das Wetter zeigte sich von seiner Schokoladenseite. Luftig leichte weisse Schokolade mit Blaubeeren.

Das finde ich richtig gut!

Bärli sieht eben nicht mehr so gut, und deswegen findet er nicht mehr alle Leckerli, die ich ihm hinwerfe.

Das allerdings verstehe ich nicht. Ein Hund hat eine exzellente Nase – mit der sieht er auch nachts. Ich verstehe nicht, dass ein halbblinder Hund die Leckerli nicht findet, die auf dem Wege liegen. Diese Industrieware ist so stark angereichert mit Lock- und Duftstoffen, dass selbst ich sie - auch bei Dunkelheit - erschnüffeln würde. Aber es ist ja weiß-blauer Schokoladenhimmel.
Viele Worte wegen ein paar Leckerli?
Stimmt, doch die sind nun einmal Voraussetzung für den Fortgang der Geschichte ( bis auf zwei vergessene Kommas fehlerfrei geschrieben und prima formuliert).

Dass ich aber den gesamten zweiten Teil Deiner Geschichte nicht verstehe, wundert mich gewaltig.
Meine Vermutung: Ich bin ein bisschen schwer von Begriff. Gut möglich.
Oder: Du schwurbelst – aber ich möchte Dir nicht zu nahe treten. Könnte auch sein, dass Du den Masterplan im Kopf hast und nach Art eines Spielchens nur ein paar Andeutungen herausrückst. Beispiel:

Ich blutete und mein halber Zeigefinger hing nur noch am Faden. Und Emily. Ich säe ...

Blutete die auch? Oder hing sie nur noch am Faden?
Hier bin ich der Tjasager. Tja, wie soll ich das verstehen?
Burnout, Depression, vermutlich ein Grabhügel (weil der Rabenvater seine Kinder umgebracht hat), ein mysteriöser Radfahrer (vielleicht der Tod? Vielleicht das Leben, zumindest einer seiner schwer zu erfassenden Zyklen?)
Oder doch Dein Hang zum großen Vorbild:

Ich denke an Poe.

Ich auch – aber der hat’s besser gemacht.

José

PS:
Bis jetzt eine Zuschrift. (Als ich mit dem Komm begann, waren es null). Haben die alle Angst, sich mit einer Fehlinterpretation zu blamieren?
Möglicherweise habe auch ich mich blamiert, aber Du wirst die (für mich) äußerst komplizierte Angelegenheit schon aufdröseln – hoffe ich zumindest.

 

Hallo, diese Geschichte hat es ganz schön in sich. Der erste Teil hat mir vor allen Dingen wegen der Sprache sehr gut gefallen, ich konnte mir vorstellen, wie alles bei diesem Spaziergang war. Doch beim zweiten Teil muss ich passen: es wimmelt von angefangenen Gedanken, Vermutungen und das ganze ist überzogen mit einer Extraportion Ungewissheit.

"Da ist wieder dieser Kerl mit seinem Fahrrad. Der dreht immer seine unsinnigen Runden hier. Warum wohl. Wann kommt man aus der Schule? Mit sechzehn, siebzehn? Jetzt ist er auf der Bank. Bring deine Freunde mit, du Vieh. Ich denke an Poe. Vielleicht liege ich irgendwann auf diesem Weg hier, mit ausgehöhlten Augen und einem breiten Lächeln im Gesicht."

Wer sitzt auf der Bank? Der Kerl mit seinem Fahrrad oder der Rabe?

Vielleicht ist es aber auch Absicht: bei einer Depression kann es vorkommen, dass die Gedanken von einem Thema zum anderen springen (Gedankenflucht), manche wollen und können gar nicht zu Ende gedacht werden. Wenn dies der Ansatz ist, dann hast Du es sehr gut beschrieben. Passt dann aber trotzdem nicht zum ersten Teil, weil er sich da ganz gut erinnern kann. Mich hat die Geschichte auf jeden Fall berührt.

 

Hallo tjasager,

Die Begnung mit der alten Frau, dem Hund und den Raben brachte auch mich zum Schmunzeln. Sehr gut beschrieben.
Auch Emilys Mann musste grinsen. Zu diesem Zeitpunkt war seine depressive Verstimmung wohl noch nicht so ausgeprägt.
Ich habe versucht heraus zu finden, was hier abläuft. Ob es sich so verhält, bin ich mir nicht sicher.

Mit der Zeit verstärken sich die Depressionen von Emilys Mann. Immer wieder versucht Emily mit ihm zu reden: "Sprich mit mir." Er kann nicht. Sie möchte, dass er sich behandeln lässt, wenigstens der Kinder wegen. Doch er lehnt jegliche Hilfe ab und fühlt sich als Versager. Die Atmosphäre zu Hause wird mühsam, mit der Zeit unerträglich.
Und dann kommt jener Abend, wo der Mann ausrastet. Für Emily ist das zu viel. Sie verlässt ihn mit den Kindern.
Das Ende der Geschichte zeigt mir, dass sich im Leben des Mannes nichts geändert hat. Schade!

Eine interessante Geschichte, die einem nachdenklich zurücklässt.

Alles Gute wünscht Dir
Marai

 

Hallo Tjasager,

ich hatte schon am Mittwoch deine Geschichte gelesen, da war sie quasi noch taufrisch und heute habe ich sie noch einmal gelesen. Jetzt weiß ich was es ist, das mir nicht passen will.

Seltsam, welche Momente sich einfach in ein Leben fressen, sich einen bequemen Platz aussuchen und nie wieder fortziehen. Dass sich ein solcher in einem meiner etlichen Spaziergänge mit Emily verbarg, hätte ich nicht erwartet.

Dein Protagonist erzählt aus der Ich-Perspektive, und befindet sich in diesem Moment in der Depression. Und da sind mir die Gedanken, die er in den ersten zwei Sätzen äußert, schon zu klar. Gut, zehneinhalb Jahre sind eine lange Zeit. Wer so lange depressiv ist, der durchlebt Zeiten, in denen sie schwer und welche, in denen die Krankheit leichter verläuft. Aber ohne ärztliche Hilfe ist es nur äußerst schwer, diesen Teufelskreis zu durchbrechen.
Eine gute Freundin von uns leidet an Depressionen. Die sind mitunter so schwer, dass sie nur weint und kaum ihren Haushalt bewältigen kann. Diese Phasen sind dank der Medikamente selten geworden und sie kann in den Zeiten dazwischen normal leben und herzlich lachen und sich an ihrem Enkel freuen. Was ich damit sagen will: Es fehlt die Aussage, ob dein Protagonist, nachdem ihn seine Frau und die Kinder verlassen haben, sich Hilfe geholt hat. Wie du ihn im zweiten Abschnitt beschreibst, hat er sich nicht wieder gefangen.

Ich fand es gut, wie du den Kontrast, schon während des Spaziergangs mit seiner Emily, gezeichnet hast. Sie ist lebenslustig und hat den Schalk im Nacken, und er sieht damals schon nur das Schlechte, indem er nur eine Bemerkung übrig hat zum Überfüttern des schon zu fetten Hundes. Auf der anderen Seite fand er aber das Bild komisch, wie die alte Frau mit ihrem Bündel schaukelnd und den Hund hinter sich herziehend, durch den Wald wackelte. Da ist aber bei ihm schon etwas nicht so, wie es sein soll. Man muss dabei aber auch sehen, dass in einer Beziehung nie beide Partner vom gleichen Charakter sein können. Das hält die Welt nicht aus. Sie müssen sich ergänzen können.

„So, Bärli, weiter jetzt.“ Die Alte zog beherrscht an der Leine. Bärli japste kurz.

Cyrian hat dich schon darauf hingewiesen, beherrscht passt hier nicht. Schau dir mal die Bedeutung und die Synonyme dazu an. Es kann kaltblütig bedeuten, aber ich glaube nicht, dass du das meintest.

Vom Thema her eine sehr schöne Geschichte, von der Ausführung her noch nicht optimal gelungen. Ich habe sie aber gern gelesen.

Schönen Gruß
khnebel

 

Hallo an alle. Vielen Dank für eure Kommentare. Habe gerade momentan viel um die Ohren, aber reagiere raschmöglichst. tjasager

 

Hallo tjasager!

Also ich hatte Emily beim ersten Lesen für seine Tochter gehalten. Warum? Erster Hinweis war natürlich der Titel "Rabenvater". Wenn du von einem Vater erzählst, erwarte ich in der Erzählung auch mehr von den Kindern als Namen und Alter. (Was hat er ihnen denn angetan, um den Titel zu verdienen? Im Moment erzählt der Text nur, dass sie zusehen mussten, dass er sich in den Finger geschnitten hat.)
Warum noch? Die erste Begegnung des Lesers mit Emily. „Schau mal, die Raben.“ Emily zeigte mit dem Finger auf den Hund". => Das liest sich hundertprozentig nach Kinderverhalten.
Das Einzige im ersten Abschnitt, was mich ein wenig von "Kind" wegbringt, ist der Tritt ans Schienbein des Protagonisten.

Der Sprung, der dann folgt, in den zweiten Abschnitt, gefällt mir gut.

Es sind im zweiten Abschnitt aber einige Unklarheiten, auf dich die anderen zum Teil ja auch schon hingewiesen haben. Daran solltest du arbeiten.

Die Unklarheiten, die mit ins Auge gesprungen sind:

"Sie versteht das nicht." => Warum dieser Satz in Präsens? Müsste doch Vergangeheit sein, oder?

"Der hat mir einfach eine Kiste voll Katzen- und Hundefutter vor die Türe gestellt, obwohl ich kein Haustier habe. Er meint es ja gut." => Verstehe ich nicht. Was soll an sowas gutgemeint sein? Mir fällt da spontan eine Szene aus "Herr der Gezeiten" ein, als die Mutter dem Vater, der über das liebevoll gekochte Essen meckert, Hundefutter serviert. Da war er dann zufrieden, der Vater.

"Ich blutete und mein halber Zeigefinger hing nur noch am Faden. Und Emily." => Emily hing auch am Faden, oder am Zeigefinger?

"Jetzt ist er auf der Bank." => Dein letzter Bezugspunkt war der Radfahrer. Folglich müsste er jetzt auf der Bank sein. (Übrigens, der Radfahrer hat null Bedeutung für die Geschichte. Warum ist er drin?)

"Bring deine Freunde mit, du Vieh." => "Vieh"? Hm, bisher dachte ich, dein Protagonist möchte die Raben anlocken wie die alte Frau, also sich darüber freuen. Dann würde er das Tier aber nicht "Vieh" nennen.
=> Die letzten drei Sätze geben deiner Geschichte nochmals einen anderen Touch, der mich verwirrt. Warum will dein Protagonist die Raben anlocken? Das kann ich aus deiner Geschichte nicht erschließen.

Und übrigens, ich würde auch: einen Burnout sagen.

Grüße,
Chris

 

Hej tjasager,

Seltsam, welche Momente sich einfach in ein Leben fressen, sich einen bequemen Platz aussuchen und nie wieder fortziehen.
Ich verstehe nicht so ganz, wie das mit dem Hineinfressen gemeint ist. Weil es doch ein lichter Moment ist, den Du anschließend beschreibst und der in Bruchstücken die später stattgefundene Katastrophe überlebt.
Inwiefern "frisst" der sich irgendwo rein?
Oder versteh ich da was ganz falsch?

Mir gefällt der zweite Absatz nicht so sehr gut. Da wird alles Wichtige für meinen Geschmack zu sehr abgehandelt und zu vieles angerissen, was dann unklar bleibt.

Hätte ich vor sechs Jahren das mit dem Messer nicht gemacht
Würd ich entweder konkret machen oder an der Stelle noch weglassen.

Sie versteht das nicht.
Durch das Präsens entsteht der Eindruck, dass sie sich regelmäßig darüber unterhalten. Ich habe aber eher das Gefühl, dass es darum geht, was sie damals nicht verstanden hat.

Als Mann darfst du vielleicht ein Burnout haben, ja. Ein Burnout vielleicht, aber keine Depression. Ein Burnout kriegst du, wenn du zuviel geleistet hast. Eine Depression nur, wenn du ein Versager bist.
Dass Männer mit einer Depression anders umgehen, ist inwiefern für die Geschichte relevant?
Das klingt gar nicht nach "Ich hatte/habe eine Depression und diese oder jenes war/ist ein Problem", sondern eher nach "Wie fies, ein Mann zu sein und eine Depression zu haben." und das ist irgendwie auch ein etwas alberner Gedanke.

Auch die selbstgewählte Bezeichnung "Rabenvater" find ich nicht so glücklich. Einem "echten" Rabenvater würde man unterstellen, seine Kinder aus Desinteresse und Egoismus sich selbst zu überlassen und seine Frau kommt in diesem Begriff gar nicht unter. Von ihr ist aber viel mehr als von den Kindern die Rede. Und dass eine Depression mit Schuldgefühlen einhergeht, schön und gut, aber das mit einem Begriff einzutüten ... das ist mir zu einfach (oder zu bemüht). Auch für einen, der 'ne Depression hat.

Ich frage mich übrigens neidvoll, wo Dein Prot lebt, dass da lauter Raben durch die Gegend spazieren.

Hat mich insgesamt nicht so richtig überzeugt, aber die Eingangs-Szene fand ich gut eingefangen.

Gruß
Ane

 

So. Danke für eure Kommentare. Bitte verzeiht mir die späte Antwort.

Cyrain:
"Der zweite Abschnitt macht das Herz so schwer, wie der erste es noch leicht gemacht hat." - Schön ausgedrückt. Darum ging es mir.
"ein oder einen Burnout"- Du hast wohl recht. Das müsste "einen" heissen. Da ist wohl der Schweizer in mir durchgebrannt.

josefelipe:
"Das allerdings verstehe ich nicht. Ein Hund hat eine exzellente Nase – mit der sieht er auch nachts" - Natürlich hast du recht. Aber die Alte hat sich das eben so zurechtgelegt, dass sie ihr Verhalten rechtfertigen kann. *grins
"Dass ich aber den gesamten zweiten Teil Deiner Geschichte nicht verstehe, wundert mich gewaltig." - Dass dich der zweite Teil verwirrt, ist ganz okay (sh. Kommentar zu Kelelia)

Kelelia:
"Vielleicht ist es aber auch Absicht: bei einer Depression kann es vorkommen, dass die Gedanken von einem Thema zum anderen springen (Gedankenflucht), manche wollen und können gar nicht zu Ende gedacht werden. Wenn dies der Ansatz ist, dann hast Du es sehr gut beschrieben. " - Das war der Ansatz. Danke für diesen Kommentar. Das klärt auch einige Fragen bei anderen Kommentaren.
"Passt dann aber trotzdem nicht zum ersten Teil, weil er sich da ganz gut erinnern kann." - Meine Erfahrung mit Depressiven ist, dass der Wechel von "klar und deutlich" zu "völlig verwirrt" manchmal sehr abrupt vonstatten gehen.

Schon mal herzlichen Dank euch dreien für die Kommentare. Auf die anderen komme ich noch zu sprechen.

Liebe Grüsse
tjasager

 

Marai:
"Mit der Zeit verstärken sich die Depressionen von Emilys Mann. Immer wieder versucht Emily mit ihm zu reden: "Sprich mit mir." Er kann nicht. Sie möchte, dass er sich behandeln lässt, wenigstens der Kinder wegen. Doch er lehnt jegliche Hilfe ab und fühlt sich als Versager. Die Atmosphäre zu Hause wird mühsam, mit der Zeit unerträglich.
Und dann kommt jener Abend, wo der Mann ausrastet. Für Emily ist das zu viel. Sie verlässt ihn mit den Kindern.
Das Ende der Geschichte zeigt mir, dass sich im Leben des Mannes nichts geändert hat."
So war das angedacht, ja. Wenn es dich nachdenklich zurückgelassen hat, habe ich mein Ziel erreicht. Danke für deinen Kommentar.

khnebel:
Danke für deinen interessanten Kommentar. Mir scheint, du kennst dich mit dieser Krankheit aus, ... liegt wohl an der Freundin.
"Sie ist lebenslustig und hat den Schalk im Nacken, und er sieht damals schon nur das Schlechte, indem er nur eine Bemerkung übrig hat zum Überfüttern des schon zu fetten Hundes. Auf der anderen Seite fand er aber das Bild komisch, wie die alte Frau mit ihrem Bündel schaukelnd und den Hund hinter sich herziehend, durch den Wald wackelte. Da ist aber bei ihm schon etwas nicht so, wie es sein soll."
Dieser Teil deines Kommentars hat mich besonders gefreut, da du die Finesse darin erkannt hast.
"Vom Thema her eine sehr schöne Geschichte, von der Ausführung her noch nicht optimal gelungen."
Hm. Was meinst du genau mit "Ausführung nicht optimal gelungen"? Zu wirr? Zuwenig Details?

Chris Stone:
Die Unklarheiten im zweiten Teil sind gewollt und sollten die Gedankenflucht vermitteln, mit der Depressive oft zu kämpfen haben. Gedankensprünge, Unfähigkeit zu Lesen oder sich zu konzentrieren etc. ..
"Der hat mir einfach eine Kiste voll Katzen- und Hundefutter vor die Türe gestellt, obwohl ich kein Haustier habe. Er meint es ja gut." => Verstehe ich nicht. Was soll an sowas gutgemeint sein? Mir fällt da spontan eine Szene aus "Herr der Gezeiten" ein, als die Mutter dem Vater, der über das liebevoll gekochte Essen meckert, Hundefutter serviert. Da war er dann zufrieden, der Vater."
Manchen Depressiven hilft es wirklich, wenn sie sich einen Hund beschaffen, um den sie sich kümmern können. Sven, der Freund, stellt ihm Hundefutter oder Katzenfutter vor die Tür, weil er ihm diesen Hinweis geben will. Männer tun sich schwer, mit ihren Freunden über Depressionen zu sprechen, was nicht heisst, dass sie sich weniger Sorgen machen ...
Danke auch für deinen Kommentar.

Ane:
"Auch die selbstgewählte Bezeichnung "Rabenvater" find ich nicht so glücklich. Einem "echten" Rabenvater würde man unterstellen, seine Kinder aus Desinteresse und Egoismus sich selbst zu überlassen und seine Frau kommt in diesem Begriff gar nicht unter. Von ihr ist aber viel mehr als von den Kindern die Rede. Und dass eine Depression mit Schuldgefühlen einhergeht, schön und gut, aber das mit einem Begriff einzutüten ... das ist mir zu einfach (oder zu bemüht). Auch für einen, der 'ne Depression hat."
Die Frage ist nicht, ob er ein Rabenvater ist oder nicht. Er fühlt sich wie einer. Das genügt.
"Ich frage mich übrigens neidvoll, wo Dein Prot lebt, dass da lauter Raben durch die Gegend spazieren."
Das ist mein Arbeitsweg, in der Schweiz. Täglich eine Viertelstunde hin und her. Eine Landstrasse mit etlichen Raben als Begleitung. Glaub mir, ich habe Katzenfutter in der Tasche ...*grins.

**********

Nochmals herzlichen Dank für all eure Kommentare und eure Anregungen.

Liebe Grüsse

tjasager

 

Hallo tjasager!

Also, okay, du hast das Wirre, die Unklarheiten so gewollt, weil im Kopf deines Protagonisten alles durcheinandergeht. Damit kann ich aber nichts anfangen, es entsteht kein Leseerlebnis. Ich sehe nur, dass da was wirr ist.
Ich möchte aber Geschichten lesen, die klar sind, die mir erzählen, was ist, warum etwas ist ...
Dass es z.B. diese "Gedankenflucht" bei Depressiven gibt - woher soll ich das wissen, wenn es mir keiner, also in diesem Fall du, der Autor dieser Geschichte, erzählt? Im Klartext: Es ist vollkommen unmöglich, dass mir die Unklarheiten in der Geschichte diese "Gedankenflucht" vermitteln, wenn ich keine Ahnung habe, dass eine "Gedankenflucht" bei Depressiven existiert.
Meine Frage: "Warum will dein Protagonist die Raben anlocken? Das kann ich aus deiner Geschichte nicht erschließen." => hast du mir leider nicht beantwortet. (Vermutlich weiß er das selbst nicht, wegen der Gedankenflucht? Das fände ich allerdings höchst unbefriedigend.)

Grüße,
Chris

 

Hola tjasager,

ich bin’s noch mal. Ich hab nicht vor, bereits besprochene Details noch einmal zu zerpflücken. Nur hat mir Deine Art, der Leserschaft eine Geschichte zu präsentieren, überhaupt nicht gefallen.

Der Autor, in diesem Fall Du, wirft ein paar Brocken in die Runde und umhüllt sich mit Schweigen. Soll der Leser doch etwas daraus machen - aus diesen Zutaten Depression, Burnout und Larifari!
Nee, nee, mein Lieber: Wenn Du diese äußerst schwierige Thematik anfasst, dann musst Du richtig rackern. Das kann Wochen dauern. Möglicherweise ist Dir das zu aufwändig, aber ich als Leser bin nicht bereit, Deine Aufgabe zu übernehmen.
Ich hab keine Lust, mir aus Deinem Zettelkasten eine passable Geschichte zu basteln – auch wenn einige Kommentatoren spekulieren und interpretieren, wie das denn nun gemeint sein könnte.
Im Feedback zu Deiner Geschichte schaut es (neben vielen netten Worten) so aus:

Doch beim zweiten Teil muss ich passen: es wimmelt von angefangenen Gedanken, Vermutungen und das ganze ist überzogen mit einer Extraportion Ungewissheit. (Kelelia)

Es fehlt die Aussage, ... (Khnebel)

Es sind im zweiten Abschnitt aber einige Unklarheiten, auf dich die anderen zum Teil ja auch schon hingewiesen haben.
... , der mich verwirrt. ... Das kann ich aus deiner Geschichte nicht erschließen. (Chris Stone)

Ich verstehe nicht so ganz, ...
Oder versteh ich da was ganz falsch?
zu sehr abgehandelt und zu vieles angerissen, was dann unklar bleibt. (Ane)

Ich hab’s nur aufgeführt, damit Du nicht annimmst, ich hätte mich auf Dich eingeschossen.
Überhaupt nicht, es geht nur um den Text. Und wenn viele das gleiche sagen, werden sie wohl nicht alle Unrecht haben.

Bedenklich schön fand ich den Kontrast zwischen

„... das mit einem Begriff einzutüten“ (Ane) ... und

„Ich denke an Poe.“ (Tjasager).

José
(der Dir empfiehlt, sich zu entscheiden, Jasager oder Neinsager zu sein.
Andrerseits ist Tjasager auch ein Standpunkt. Da ist man fein raus und muss sich nicht um einen eigenen Standpunkt bemühen.)

 

Hallo Christ Stone

Also, okay, du hast das Wirre, die Unklarheiten so gewollt, weil im Kopf deines Protagonisten alles durcheinandergeht. Damit kann ich aber nichts anfangen, es entsteht kein Leseerlebnis. ... Ich möchte aber Geschichten lesen, die klar sind, die mir erzählen, was ist, warum etwas ist ...
Dass es z.B. diese "Gedankenflucht" bei Depressiven gibt - woher soll ich das wissen, wenn es mir keiner, also in diesem Fall du, der Autor dieser Geschichte, erzählt?

Ehrlich gesagt, mag ich es, Geschichten zu lesen, die mir einen Knochen hinwerfen, an dem ich zu nagen habe. Aber ich verstehe schon, was du meinst. Auch ich möchte, dass der Knochen nicht einfach liegen gelassen wird, weil er nicht schmeckt. Das Leseerlebnis muss sein. Vielleicht hatte ich aufgrund meiner Erfahrungen mit Depressiven mich zuwenig in die Situtationen derer versetzt, die das nicht so kennen. Und wenn das Leseerlebnis bei dieser Zielgruppe nicht da ist und die Geschichte ungelesen weggelegt wird, habe ich das Ziel auch klar verfehlt.

Meine Frage: "Warum will dein Protagonist die Raben anlocken? Das kann ich aus deiner Geschichte nicht erschließen." => hast du mir leider nicht beantwortet. (Vermutlich weiß er das selbst nicht, wegen der Gedankenflucht? Das fände ich allerdings höchst unbefriedigend.)

Depressive werden mit der Zeit oft sehr einsam und flüchten sich in ihre eigene Welt. Manchmal werden einzelne Situationen ihrer Vergangenheit in ihrem Leben sehr zentral. Der Prot findet vielleicht so etwas wie Trost in dem Gedanken, wie die Alte Raben zu füttern und so eine andere Art "Rabenvater" zu werden.

Danke für deine Hinweise.
lg tjasager

*************************

Hallo josefelipe

Wenn Du diese äußerst schwierige Thematik anfasst, dann musst Du richtig rackern. Das kann Wochen dauern. Möglicherweise ist Dir das zu aufwändig, aber ich als Leser bin nicht bereit, Deine Aufgabe zu übernehmen. Ich hab keine Lust, mir aus Deinem Zettelkasten eine passable Geschichte zu basteln – auch wenn einige Kommentatoren spekulieren und interpretieren, wie das denn nun gemeint sein könnte.

Kann ich nachvollziehen (sh. auch Kommentar zu Chris Stone). Da habe ich wohl zuwenig gerackert. Das Lesen einer Geschichte soll entweder berühren, Freude bereiten oder nachdenklich machen. Aber wenn nur Verwirrung oder gar Ärger bleibt, passt das nicht.

José -(der Dir empfiehlt, sich zu entscheiden, Jasager oder Neinsager zu sein.
Andrerseits ist Tjasager auch ein Standpunkt. Da ist man fein raus und muss sich nicht um einen eigenen Standpunkt bemühen.)

*grins / beim Tjasager bleibe ich. Auch ein "tja" kann ein klarer eigener Standpunkt sein. Es gibt viele Situationen, die irgendwo zwischen einem klaren Ja und einem klaren Nein liegen ...

Vielen Dank und lg - tjasager

 

Nochmals hallo tjasager!

Mir geht's hier selbstverständlich auch nur um den Text und er interessiert mich genug, mich nochmals zu melden, in der Hoffnung, du arbeitest irgendwann mal dran (Ich erwarte keine Schnellschüsse, lass dir bloß Zeit. Gut Ding will Weile haben.)

Dazu nochmal:
"Der Prot findet vielleicht so etwas wie Trost in dem Gedanken, wie die Alte Raben zu füttern und so eine andere Art "Rabenvater" zu werden."
=> Aber das (was ich zuerst ja auch gedacht habe) beißt sich mit deinen drei letzten Sätzen! Wegen dieser drei letzten Sätze ("Vieh, Poe, ausgehöhlte Augen) hatte ich die Frage ja gestellt.

So, das war's jetzt von mir. Lass dich von unserer Kritik bloß nicht abschrecken.

Grüße,
Chris

 
Zuletzt bearbeitet:

Hey Chris

Die Kritik geht ganz in Ordnung. Dafür ist ja das Forum da.

Mit starken Depressionen geht auch oft eine Todessehnsucht einher. Auch neigt man dazu, Dinge, die einem lieb geworden sind, schlecht zu machen. Darauf sollten die von dir erwähnten Sätze abzielen ...

Texte, die ich geschrieben habe, ändere ich nicht gerne. Ich finde es sehr interessant, heraus zu finden, wie sie auf andere wirken und dieses Forum ist dafür wirklich toll. Würde man jedoch jeden Tip und Rat, den man hier kriegt, gleich in den Text verarbeiten, droht die Gefahr, dass der Text nicht mehr authentisch ist.

Mein Fazit hier ist, dass die Geschichte wohl verstanden wurde, auch teilweise berührte, aber leider auch zu viel Verwirrung und Lustlosigkeit verbreitete. Von daher: Ziel verfehlt. Danke allen für euer Feedback. Das hilft bei der nächsten Geschichte ...

tjasager

 

Hallo tjasager,

ich denk, es ist halt noch en Tick zu wenig. Die Anfängsszene ist gut, irgendwie spannend kannst du ja schreiben, dann ist der nächste Absatz schon Rückblende und Ende. Ist einfach zu schnell. Also auf mich wirkt das dramaturgisch so, als hättest du den Mitteilteil einfach weggelassen. Du kannst schon springen und alles und das so machen, aber wo ist der Mittelteil? Da muss noch was kommen, das kann dann auch wirr sein, aber mein Gefühl sagt mir grad ganz stark .. dazwischen muss noch irgendwas Gruseliges kommen, eine zweite Szene .. und dann meinetwegen bam, Riesensprung, Rückblende.

MfG,

JuJu

 

Hoi Juju

Was du da schreibst, kann ich gut nachvollziehen. Ich könnten mir vorstellen, dass diese Anregung die Geschichte stark beeinflussen würde. Sobald ich die Musse habe, werde ich versuchen, das umzusetzen.

Herzlichen Dank für den Hinweis und liebe Grüsse

tjasager

 

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