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Downhill

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29.05.2015
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Downhill

Downhill

Jetzt stehe ich hier. Ich stehe hier und sehe nach unten. Ich werde nicht zurückgehen. Ich habe genug Tequila getrunken, um so zu tun, als wäre das die dumme Idee eines Besoffenen. Gut möglich, dass ich wirklich so viel getrunken habe. Dafür hab ich noch nicht genug Erfahrung mit Alkohol. Genug Erfahrung mit dem Rollbrett hab ich. Dieses wird umgangssprachlich auch gerne Skateboard genannt. Eigentlich wird es immer so genannt. Da sag ich ja noch eher Set-Up als Rollbrett. Ich persönlich bevorzuge aber Deck zu sagen, auch wenn das rein theoretisch nur den hölzernen Teil meines Gefährts beschreibt.

So, jetzt hab ich genug gewartet, genug Angst hat sich angestaut.
Ich muss nur den Punkt erreichen, an dem das Bremsen oder abspringen zu gefährlich wird.
Ich streife meine Schuhsohlen am staubigen Boden ab, setze den linken Fuß über die vorderen Schrauben und bewege ihn leicht drehend, um mich vom Halt des Griptapes zu überzeugen.
Der Blick ist immer noch bergabwärts gerichtet. Mit dem rechten Fuß stoße ich mich ab. Ich fange nur langsam an zu rollen, und fange schlagartig an mit Vollgas zu pushen. Mein Puls erhöht sich. Bis jetzt habe ich nicht bemerkt, wie viele Schlaglöcher auf meinem Weg nach unten sind. Ich habe mich nicht herangetastet. Gleich von ganz oben. Ich fange an, Kurven zu fahren, um nicht zu viel Geschwindigkeit aufzubauen. Ich merke, wie meine Hinterachse kurz davor ist wegzurutschen, wenn ich die Kurve zu stark einlenke. Hier beginnt der schmale Grat zwischen Kontrolle und Sturz. Aber ich weiß noch, wo das Limit liegt. Ich vertraue auf mich. Auf mich.

Ein Auto kommt mir entgegen, jetzt muss ich geradeaus fahren. Keine Möglichkeit zu bremsen. Es sind zu viele Unebenheiten vorhanden, um nur auf meiner Spur in Schlangenlinien zu fahren. Ich muss den sichersten Weg einlenken. Ich fahre geradlinig. Ich bin zu schnell. Ich bin viel zu schnell. Ich gehe in die Hocke, um windschnittiger zu werden. Ich muss schneller werden. Jetzt ist es egal. Vollgas.
Egal wo der Berg angefangen hat, ich blicke nach vorne. Ich traue mich nicht, nach hinten zu schauen. Ich kann nicht anders, als an die nächsten fünf Sekunden, die nächsten fünf Bewegungen, zu denken. Mal sehen was passiert.

Ich bemerke, dass ich beobachtet werde. Die Gäste eines Restaurants beobachten mich, sehen mir nach. Die Gäste, die sich zum Essen auf die Terrasse gesessen haben, um sich nicht eingesperrt zu fühlen. Aber ich beachte sie nicht. Ich bemerke sie nur. Ich bemerke sie, und genieße es, wie sie mich sehen. Sie sehen mich frei. Sie beneiden mich. Sie könnten mir folgen. Sie müssten nur aufstehen. Wir könnten zusammen leben. Wir könnten uns gut fühlen. Sie verstehen das aber nicht. Sie meinen ich bin schneller als sie, dabei habe ich nur eine andere Geschwindigkeit. Es gibt so viele Geschwindigkeiten. Und alle sind OK, ich glaube an alle, fahre aber meine. Es gibt kein Limit. Wenn sie das verstehen, bin ich nicht mehr alleine auf der Straße. Ich wünschte so sehr, sie würden alles so verstehen, wie ich es jetzt verstehe.

Ich glaube es zerreißt mich. Wie kann man sich nur so gut fühlen? Wie kann man nur so tief einatmen? Wieso ist alles so verdammt wunderschön. Ich schließe die Augen, weil es Zeit dafür ist. Ich hoffe nicht, dass nichts Schlimmes passieren wird, sondern vertraue darauf, dass schon das Richtige passieren wird. Jetzt fühle ich nur noch, wie meine Rollen jede Wölbung des rauen Asphalts aufnehmen, und an meine Füße weiterleiten. Der Wind ist so schön warm. Und ich bin so schön schnell. Meine Hand streift am Boden, um jedes Steinchen zu spüren. Ich weiß gar nicht, ob die meisten Menschen das kennen, ohne Worte zu denken.

Es wird gehupt. Hinter mir. Wahrscheinlich wegen mir. Trotzdem schrecke ich nicht auf. Ich halte kurz inne und öffne langsam meine Augen. Ich bin noch immer am richtigen Platz.
Der Berg geht langsam dem Ende zu. Wie es aussieht, habe ich genug Strecke vor mir, um gemütlich auszufahren. Wieder gerade stehend fahre ich leichte Kurven. Ich springe über einen Gullideckel, anstatt ihn zu umfahren. Ich komme allmählich komplett zum Stillstand. Mit einer flüssigen Bewegung manövriere ich mein Skateboard in meine linke Hand. Ich werde von einem dicken BMW überholt. Der Fahrer zeigt mir einen Vogel, und ich gehe weiter.

 

Hallo! Ich bin gekommen, um zu nitpicken!

Ich streife meine Schuhsohlen am staubigen Boden ab, setze den linken Fuß über die vorderen Schrauben und bewege ihn leicht drehend, um mich vom Halt des Griptapes zu überzeugen.

Du hast im einführenden Absatz mehr als gründlich erklärt, dass es sich bei einem Rollbrett um ein Skateboard handelt. Darauf kann man von alleine kommen.

Jetzt sind wir beim Griptape. Als Freizeitskateboarder weiß ich, was das ist - aber wissen es die anderen? Ich hätte eher hier eine Aufklärung angesetzt, als beim Rollbrett.

und fange schlagartig an mit Vollgas zu pushen.

Auch hier kann sich ein Laie wohl kaum etwas vorstellen. Außerdem passt mir das Wort "Vollgas" nicht - warum nicht mit voller Kraft? Wenn er mit Vollgas pusht, stelle ich mir vor, wie sein Bein rotiert wie die Blätter einer Windmühle. Klingt nicht nur ungesund, ist es mit hoher Wahrscheinlichkeit auch.

Bis jetzt habe ich nicht bemerkt, wie viele Schlaglöcher auf meinem Weg nach unten sind.

Er ist da hochgekommen. Als gewissenhafter Skater schaut man sich die Beschaffenheit einer Straße an, bevor man drüberbrettert. Aber da er Alkohol getrunken hat, kneife ich hier nochmal ein Auge zu :P

Ich traue mich nicht, nach hinten zu schauen.

Das wäre bei dem Tempo auch schön blöde.

Die Gäste eines Restaurants beobachten mich, sehen mir nach.

Wie bemerkt er das, wenn er stur nach vorne schaut und ein hohes Tempo hat? Selektive Zeitlupe? Ist er Max Payne?

Aber ich beachte sie nicht.

Doch. Tut er. Er macht sich sogar Gedanken darum, warum sie draußen sitzen.

Ich bemerke sie nur.

Nein. Er weiß, dass sie ihn beobachten, er denkt über sie nach und weiß sogar, dass sie ihm nachsehen. Das ist nicht nur "bemerken", sondern aktives beobachten. "Bemerkt" hätte er sie, wenn er eine Silhouette vorbeiziehen sieht, während er den Berg runterbrettert.

Ich bemerke sie, und genieße es, wie sie mich sehen.

Auch hier wieder: Das geht über Bemerken hinaus.

Sie könnten mir folgen. Sie müssten nur aufstehen.

Man stelle sich vor, wie ein Skateboarder mit ~70 Sachen den Berg runterkommt. Nun kommt eine ganze Weile nichts und auf einmal folgt ihm eine Meute Leute, die wie die besengten im Laufschritt den Berg runterdüsen.

Wir könnten zusammen leben. Wir könnten uns gut fühlen. Sie verstehen das aber nicht.

Äh. Warum auch? Das klingt aufdringlich.

Sie meinen ich bin schneller als sie, dabei habe ich nur eine andere Geschwindigkeit.

Sein Körper bewegt sich mit höherer Geschwindigkeit durch den Raum als ihrer. Logischer Fakt: Er IST schneller.

Es gibt so viele Geschwindigkeiten.

Ja. Und seine ist höher als die derer, die ihm folgen sollen.

Es gibt kein Limit.

Da sollten wir mal das Licht fragen und warum wir es nicht überholen können.

Ich wünschte so sehr, sie würden alles so verstehen, wie ich es jetzt verstehe.

Wünsche ich mir gerade auch. Ich habe eine ungefähre Idee über die dahinter stehende Metapher, aber dazu fehlen mir noch einige Fakten.

Ich hoffe nicht, dass nichts Schlimmes passieren wird, sondern vertraue darauf, dass schon das Richtige passieren wird.

Das ist eine wenig professionelle und höchst gefährliche Herangehensweise. Damit gefährdet er nicht nur sich selbst, sondern andere.

Ich weiß gar nicht, ob die meisten Menschen das kennen, ohne Worte zu denken.

... Was?

Er denkt doch auch Worte. Sogar recht viele. Seine eigene Aussage ist beweisbar falsch. o_O

Es wird gehupt. Hinter mir. Wahrscheinlich wegen mir.

Oder wegen den ganzen Heinzelmännchen, die ihm nachgelaufen sind und die ganze Straße blockieren, anstatt ihr Essen zu bezahlen.

****

Was haben wir hier?

Einen angetrunkenen Skater, der einen Berg hinab rauscht, sich selbst und das Leben anderer gefährdet und den gesamten Verkehr aufhält.

Wie ich bereits sagte, ich habe eine ungefähre Idee über die dahinterstehende Metapher und das Gefühl der Freiheit, aber die ziehenden Kraft eines wirklich überzeugenden Arguments fehlt hier. Die meisten Aussagen, die der lebensmüde Bursche/die lebensmüde Dame trifft, sind philosophische Floskeln, die man mit ein wenig logischem Verstand einfach zerlegen kann.

Aber darum gings ja auch nicht. Ich sehe einen Skater, der seine eigene Angst überwindet und in einen Geschwindigkeitsrausch gerät. Wenn die Glückshormone mal so richtig auf Touren kommen, müssen nicht unbedingt die tiefsinnigsten Aussagen entstehen.

Ziel erfüllt, würde ich sagen - ich habe mir Gedanken über den Text gemacht.

Rein handwerklich hab ich gar nix zu meckern, ich habs gern gelesen. Hat Spaß gemacht!

 

Heyho,

meine alten Skateboarder-Augen sind am Titel hängengeblieben und was sage ma da, es geht tatsächlich um einen Typen, der Downhill fährt. Sprachlich sind mir kaum großartige Angeln aufgefallen, ich war ganz hin und weg vom Inhalt und musste grinsen. Nä Omma, watt waren das für Zeiten gewesen.

Das Problem mit deinem Text ist, dass er sehr zielgruppenspezifisch ist. Diese ganzen Vokabeln, Griptape, Deck, für mich ist das so, als wäre ich nach Neuseeland ausgewandert und treffe nach zehn Jahren einen Deutschen. Aber was ist mit dem Rest? Klar, mit der Verwendung solcher Details zeigst du, dass du weißt, wovon du schreibst, aber der Text kann halt nicht für sich stehen, wenn nur du und eine Handvoll Auserwählter den verstehen. Die Kunst ist an dieser Stelle, die Begeisterung fürs Skateboarden rüberzubringen, ohne Nicht-Skateboarder rauszuschmeißen. Das hat hier nicht geklappt, darum hast du zwei Kritiken, von einem Skater und einem Ex-Skater. Der Rest wird nach dem ersten Absatz schulterzuckend ausgestiegen sein.

Rocky kann man ja auch gucken, ohne je gegen einen Sandsack gehauen zu haben. Der war ein Welthit. Any Given Sunday dagegen war ein Flop - wohl nicht zuletzt, weil er viel Wissen über American Football voraussetzt. Falls du es noch nicht kennst, würde ich dir Slam! von Nick Hornby empfehlen. Dogtown Boys hast du mit Sicherheit gesehen. Der zeigt ebenfalls, wie man scheinbar nur vom Skateboarden, aber bei genauerem Hinsehen eben auch von lauter Dingen erzählen kann, die unser aller Leben ausmachen. In dem Moment packst du Leute, die noch nie auf einem Brett gestanden haben und die das auch nicht interessiert.

Für Literatur ist dieser Text zu voreingenommen. Der ist nicht wahr. Mich hat es an Kurzgeschichten erinnert, die zu meiner Zeit manchmal in den Skatemagazinen standen. Da steckt sehr viel von dieser szenetypischen Selbstbeweihräucherung drin, wir sind so frei, wir sind so crazy, wie sie uns alle anglotzen, die Spießer, uns olle Teufelskerle. Du brichst das, als dein Prot sagt "Jede Geschwindigkeit ist okay", aber das kommt so zaghaft, in dem einen Satz, dass ich ihn fast in Gedanken hinzufügen höre: Aber meine ist halt schon die beste. Und crazy.

Wenn du ehrlich bist, spiegelt sich in der Skateboardszene genau der Kram, den du auch in der Gesellschaft als Ganzes hast. Ich erinnere mich daran, dass Gleichheit und Zusammengehörigkeit immer viel beschworen und aufs Sentimentalste zelebriert wurden, dass aber tatsächlich an den Rampen, auf den Plätzen und in den Hallen eine ziemlich strikte Hierarchie herrschte, eben mit den Leuten an der Spitze, die am besten fahren konnten. Das ist jetzt zu viel für so einen kurzen Text über eine Downhill-Fahrt, aber mal so für die ungefähre Richtung. Ehrlichkeit.


Grüße
JC

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Stawrogin

Vom Skaten verstehe ich nichts. Den Text habe ich dennoch verstanden. Die Szenerie wirkt anschaulich und das Geschehen glaubhaft.

Wenig anfangen könne ich mit diesem Teil

Sie sehen mich frei. Sie beneiden mich. Sie könnten mir folgen. Sie müssten nur aufstehen. Wir könnten zusammen leben. Wir könnten uns gut fühlen. Sie verstehen das aber nicht. Sie meinen ich bin schneller als sie, dabei habe ich nur eine andere Geschwindigkeit. Es gibt so viele Geschwindigkeiten. Und alle sind OK, ich glaube an alle, fahre aber meine. Es gibt kein Limit. Wenn sie das verstehen, bin ich nicht mehr alleine auf der Straße. Ich wünschte so sehr, sie würden alles so verstehen, wie ich es jetzt verstehe.

Das tönt nach schönen Worten mit wenig Gehalt. Er vertröstet sich mit gefälligem Schmus.

Dennoch, die Geschichte hat mir gefallen.
Gruss teoma

 

Danke für dein Kommentar!
Einiges was du gesagt hast muss ich mir nochmal durch den Kopf gehen lassen. Ich möchte kurz sagen, dass ich keinen philosophisch einwandfreien Text abliefern , sondern vielmehr ein Gefühl von Freiheit vermitteln wollte, und das geschieht hier nunmal in dem Kopf eines Betrunken. Aber das hast du ja auch selbst gemerkt, wie ich deinem Kommentar entnehmen kann.
Freut mich, dass es dir gefallen hat, und ich werd den Text und dein Kommentar noch einmal richtig durchgehen wenn ich etwas Zeit dafür finde.

Grüße
Stawrogin

 

Hi Proof,

ich wollte eigentlich nur das Gefühl von Freiheit vermitteln, und keinen Hochgesang aufs Skaten anstimmen. Ich hätte auch von einem Typen schreiben können, der Klippenspringen geht, oder vlt. von jemandem, der zu Fuß durch ganz China wandert, aber ich bin eben bei diesem Szenario hängen geblieben.
Vor allem hätte ich selbst genug an der Skatewelt auszusetzen, unter anderem auch die Punkte, die du erwähnt hast.
Ich könnte auch schreiben, wie ich mit dem Rad am Abend in der Dämmerung total kaputt und freihändig nach Hause fahre, und mich dabei einfach nur wohl fühle, aber wenn ich das Rad mit einem Skateboard austauche, dann kommt mir das ganze für mich viel vertrauter und natürlicher vor.
Wo ich mir auf jeden Fall nochmal Gedanken drüber mache, ist der Punkt mit Dogtwon Boys, und wie der Film es schafft, mehrere Menschen als nur Skater anzusprechen.

Danke, dass du dir Zeit für meinen Text genommen hast!
Stawrogin

 

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