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Die Pistole im Rücken
Freitagmittag. Die letzte Patientin hat die Praxis verlassen, Susanne Straub tritt ans Fenster, öffnet es und lehnt sich weit hinaus. Eine leichte Brise streicht um die Häuser. Tief unten eilen Menschen mit Taschen und Tüten bepackt durch die enge Gasse. Der kleine Zeiger der Kirchturmuhr nähert sich der Zwölf.
Susanne lächelt, sie denkt an Stephan. “Lass uns übers Wochenende in die Berge fahren“, hatte er vorgeschlagen. Dann hatten sie sich geküsst.
Die Tür fliegt auf. Susanne wirbelt herum, sie wendet sich dem jungen Mädchen zu, das im Türrahmen erschienen ist.
„Ich bin dann mal weg. Schönes Wochenende!“
„Danke, Pia, Ihnen auch!“.
Nachdem die Helferin die Tür hinter sich geschlossen hat, beginnt die Psychologin den Schreibtisch aufzuräumen. Therapieberichte verschwinden schnell im Aktenschrank, Gedanken an die letzte Patientin verscheucht sie mit einer raschen Handbewegung durch ihr krauses Haar. Susanne genießt das Gefühl der Vorfreude auf zwei freie Tage.
Noch ein paar Einkäufe sind zu erledigen, vor allem Getränke, Obst, Schokolade für Stephan, und natürlich Geld. Ich muss mich beeilen, überlegt sie, die Banken schließen um Eins.
Einige Minuten später verlässt Susanne die Praxis. Mit raschen Schritten eilt sie bei sommerlicher Hitze durch die verwinkelten Gassen der Kleinstadt, nach wenigen Minuten hat sie die Sparkasse erreicht. Beim Betreten der Halle schlägt ihr eine angenehme Kühle entgegen. Nur wenige Kunden befinden sich um diese Zeit in der Filiale. An einem der Kontoauszugdrucker entdeckt sie ihre letzte Patientin, Gisela Helfrich. Die ältere Frau, mit den zurückgekämmten Haaren, trommelt sichtlich nervös mit den Fingern auf den Schaltknöpfen herum. Sie ist schon lange in Behandlung bei ihr, wegen Panikattacken. Sie fürchtete sich vor Hunden, vor Katzen, sie kann keinen Aufzug benutzen und in Räumen, wie diesem hier, bekommt sie Schweißausbrüche. Nach einem kurzen Gruß stellt sich Susanne in der Reihe an der Kasse an. Vor ihr eine alte Dame mit gebeugtem Rücken, ein hochgeschossener Junge und direkt am Schalter eine Marktfrau in robustem Kleid und grüner Schürze. Die Bankangestellte zählt die Geldscheine einzeln und schiebt sie der drallen Frau über den Tresen zu. Ihre Augen wandern über die Kundin hinweg durch den Raum. Sie erstarrt. Susanne folgt ihren Blicken. Zwei Männer haben die Halle betreten. Der eine untersetzt und dick, der andere lang und dünn, beide schwarz gekleidet. Sie verbergen ihre Gesichter hinter Mützen, die nur ihre Augen freilassen. Susanne erschrickt, Bankräuber, ist ihr erster Gedanke.
„Überfall! Hinlegen! Alle hinlegen!“ Mit einer blitzschnellen Bewegung zieht der Dicke eine Pistole aus der Hosentasche, beschreibt damit einen Kreis in der Luft und hält sie dann auf die erschrockenen Kunden gerichtet. Susanne beobachtet die Menschen, die genau wie sie, langsam in die Knie gehen und sich hinlegen. Rasendes Herzklopfen macht ihr genauso zu schaffen, wie der dumpfe Geruch des Teppichs, auf dem sie sich der Länge nach ausstreckt. Während der eine Mann die Kunden im Auge behält, bedroht der andere nun die Kassiererin hinter dem Schalter. Aus den Augenwinkeln heraus sieht Susanne die Bankangestellte, die nach und nach Geldbündel in den Rucksack steckt, der vor ihr auf dem Tresen liegt.
„Beeilung! Schneller!“ Die Stimme des Bankräubers klingt bedrohlich.
Frau Helfrich richtet sich plötzlich auf. Taumelnd ringt sie nach Atem.
„Hinlegen, sofort hinlegen!“, brüllt der Aufpasser und hält ihr die Pistole an die Brust.
Die Frau ist schneeweiß im Gesicht, sie keucht und wischt sich mit einem Tuch Schweiß von der Stirn. Susanne springt hoch.
„Sehen sie nicht, dass die Frau krank ist?“ Sie kann nur mühsam sprechen, panische Angst kriecht in ihr hoch.
„Köpfe runter, los!“ Der Bankräuber ist irritiert. Er fuchtelt mit der Waffe herum.
Frau Helfrich läuft ein paar Schritte und fällt in einen Sessel. Ihr Atem geht rasselnd.
Susanne versucht ihre Patientin zu erreichen, doch der Dicke hält sie auf.
„Hinlegen hab ich gesagt, kannst du nicht hören?“
Von der Straße dringt Sirenengeheul in die Halle.
„Verdammte Scheiße!“. Der lange Dünne am Tresen hebt die Pistole in die Luft und schießt in die Decke, Putz rieselt herab. Susanne zuckt zusammen.
„Los, weg hier!“ befielt er mit schneidender Stimme und buckelt den Rucksack. Susanne fühlt sich hart am Arm gepackt.
„Mitkommen!“
Die Männer schieben sie vor sich her zum Ausgang. Sie spürt die Pistole im Rücken und tritt mit zitternden Knien hinaus auf die Straße. Das Sirenengeheul kommt näher.
„Einsteigen! Schneller!“ Der Dicke schubst sie in den Wagen, der vor der Filiale geparkt ist.
Der Geruch von Schweiß steigt Susanne in die Nase, als sich das Fahrzeug mit quietschenden Reifen in Bewegung setzt.
Die Männer schieben die Mützen hoch. Ihre Gesichter glänzen vor Nässe. Susanne stockt der Atem. Jetzt wird es gefährlich, jetzt habe ich sie gesehen. Sie zieht den Kopf ein und macht sich ganz klein.
Eine lange Strecke geht die Fahrt über eine belebte Landstraße, dann biegt der Wagen in eine Seitenstraße ab. Schon haben sie einen schmalen Waldweg erreicht, der an einem See endet.
„Aussteigen!“ befielt der lange Dünne, der den Wagen unter Bäumen angehalten hat.
Mit schlotternden Knien steht Susanne vor den Männern. Der Dünne vergräbt seine Hände in den Hosentaschen und runzelt die Stirn.
„Knall sie ab Kalle!“, sagt der Dünne.
Susanne fühlt, wie das Blut aus ihrem Kopf in die Beine sackt. Es ist aus. Aus! Susannes Stimme zittert. „Ja, tötet mich und dann geht ihr lebenslänglich in den Knast!“
Der Dicke lacht, der Dünne wehrt mit den Händen ab.
„Halts Maul! Scheißgeisel!“
„War es meine Idee, sie mitzunehmen?“, wirft Kalle, der Dicke, ein. Er schwitzt. Dunkle Flecken bilden sich auf seinem Hemd.
„Natürlich war es deine Idee, Blödmann!“
„Ihr seid so armselig, ihr schafft es nicht einmal mich zu töten.“ Verzweifelt kämpft Susanne um ihr Leben. Jetzt bloß nicht bitten und betteln. Noch einmal gibt sie sich einen Ruck.
„Erst mutig eine Bank überfallen und dann die Nerven verlieren.“
„Halt deine gottverdammte Schnauze, du dämliche Mistgeisel! Die Stimme des Langen überschlägt sich. Er fasst sich an den Hals, hustet und spuckt auf den Boden.
„Mach voran Alter, wir müssen los!“, drängt er und schubst den Dicken in Susannes Richtung.
Kalle fuchtelt mit den Armen „Lass die Finger von ihr!“
„Gut, ich erschieße sie.“ Der Lange scheint es ernst zu meinen.
„Nein, das tust du nicht!“
„Scheißer!“, brüllt der Lange, wuchtet den Rucksack aus dem Auto und bewegt sich fort in Richtung See. Susanne sieht die beiden Motorräder am Ufer. Der Dicke schaut Susanne stumm aus seinen Schweinsäugelein an, dreht sich um und folgt seinem Kumpel. Die Männer streiten noch eine Weile, dann steigen sie auf die Motorräder.
Wenige Augenblicke später schaut Susanne den Maschinen nach, auf denen die Räuber davon düsen. Was nun? Langsam kehrt das Blut in ihre Wangen zurück. Wie in einem schlechten Film. Ob ich mich später an die Gesichter erinnern werde? Susanne betrachtet den abgestellten Wagen. Unglaublich, der Schlüssel steckt. Ihre Beine zittern, sie fühlt sich benommen, doch sie steigt ein und lenkt das Auto sicher auf die Landstraße zurück. Schon von Weitem sieht sie den Streifenwagen am Straßenrand stehen. Eine Straßensperre! Die kommt gerade recht.
"Anhalten! Keine Bewegung!", tönt es aus einem Megaphon.
Wie bin ich froh dass jetzt alles vorbei ist. "Keine Bewegung!", ein Polizist mit gezogener Waffe läuft langsam auf sie zu.
Vielleicht kriegen sie die Räuber noch, sie haben noch nicht viel Vorsprung. Hastig reißt sie die Tür auf und springt aus dem Wagen.
Den Scharfschützen, welcher hinter einer Mauer Stellung bezogen hat, bemerkt Susanne nicht mehr. Sie ist sofort tot.