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Der Frosch und das Mädchen
Frank huschte mit flackerndem Blick durch die Wohnung und sammelte seine Plörren in eine Plastiktüte. Als die Tür hinter ihm ins Schloss fiel, heulte Lauras Mutter schrill auf und sperrte sich ins Schlafzimmer.
Laura hörte sich ihr Greinen noch einen Moment an, dann stellte sie die Anlage auf Trommelfellschaden und begann zu tanzen. Sie riss die Fenster auf, um den Frankmief abziehen zu lassen und saugte rasselnde Pistazienschalen aus der Sofaritze. Einen von Franks Käsesocken, der dabei schlürfend im Rohr steckenblieb, fischte sie heraus und warf ihn den Mäusen als Zerfetz- und Nestpolstermaterial in den Käfig. Danach brachte sie einen Beutel Flaschen weg und kaufte vom Pfand gelbe Rosen aus dem Wassereimer vor der Kasse des Supermarkts.
Sie würde es gemütlich machen. So arschgemütlich, dass ihre Mutter es endlich begreifen musste: Ohne Frank war das Leben besser.
Als Lauras Mutter am Abend aus ihrer Schlafzimmerhöhle tapste, hatte sie eine dicke Nase, rote Augen und Haare, die in Klumpen vom Kopf wegstanden. Aber sie lächelte tapfer und drückte Laura an ihren Busen, der ganz weich und entspannt unter ihrem Nachthemd hing. Sie sagte: „Wer braucht schon Frank? Wir machen uns jetzt einen gemütlichen Mädelsabend.“
Dazu wurden fünfzehn Fischstäbchen gebraten, in Küchenkrepp geschlagen und mit einem Topf Rahmspinat zum Dippen auf den Couchtisch gestellt. Wenn Frank da war, musste man ordentlich am Küchentisch essen, damit man sich in Ruhe darüber unterhalten konnte, wie der Tag so gewesen war. Auf dem Sofa gab es mit Frank nur blöde Pistazien, deren rote Häute er mit der Zunge so laut aus den Zähnen zitschelte, dass man sich kaum darauf konzentrieren konnte, was im Fernsehen lief.
Nachdem das fünfzehnte Fischstäbchen gerecht halbiert und verspeist war, streckte sich Laura über die gesamte Länge der Couch aus. Den Kopf legte sie zum Zöpfeflechten in den Schoß ihrer Mutter. Dabei klemmte sie die Fernbedienung fest zwischen ihre Oberschenkel. Heute würde niemand über die Schwachsinnigkeit von Heidis Topmodels meckern und auf strunzlangweilige Nachrichtenkanäle umschalten.
Doch als Laura am nächsten Tag nach Hause kam, hing der grüne Plastikanorak wieder an der Garderobe und Frank saß wieder auf dem Sofa. Die Fernbedienung ragte aus der Brusttasche seines Hemdes. „Na, habt ihr heute Zeugnisse bekommen? Darf ich mal sehen?“, fragte er und lächelte Pistazienhäute.
„Natürlich nicht. Das geht nur echte Familie was an“, sagte Laura.
In diesem Moment kam ihre Mutter ins Wohnzimmer gefegt, den Busen hochgeschnallt, dass er aus dem Ausschnitt quetschte, mit schwarzer Schminke über dem Augenrot und flusig ausgebürsteten Haarklumpen.
„Wir dachten, wir drei versuchen es noch einmal zusammen“, sagte sie und küsste Franks Stirnglatze dort, wo sich die Deckenlampe spiegelte.
Der nickte. „Wär ja auch zu schade um unseren Wanderurlaub in der Eifel gewesen. Starten wir halt am Montag, dann ist der Verkehr nicht mehr so wild.“
Laura schüttelte nur stumm den Kopf und verzog sich in ihr Zimmer. Gestern hatten sie doch noch Pläne für Londoner Shoppingtrips geschmiedet.
Am nächsten Morgen wurde Laura um halb neun zum Frühstück geweckt. So war das, wenn Frank und ihre Mutter einen ihrer Wir-Drei-Anfälle hatten. Dabei hatte Laura sich schon so auf einen Wir-Zwei-Samstag gefreut: Frühstück um zwölf mit Tomatenhering aus der Dose und drei Schüsseln Frosties zum Nachtisch, dazu Wiederholungen von Grey's Anatomy. Stattdessen gab es aufgetaute Graubrotscheiben, Kamillentee und Glibbereier. Frank hatte die Uhr natürlich auf fünf Minuten gestellt und ihre Mutter überschlug sich wie immer vor Begeisterung: „Perfekt. Wie im Fünf-Sterne-Hotel.“
Er hatte auch Rosen gekauft, langstielige, buschige, rote Rosen, und sie zu Lauras kurzen Teerosen in die Vase gequetscht.
„Dir hab ich auch was mitgebracht.“
Auf Lauras Teller lagen rosa Haargummis mit Plastikherzen. Sie räumte sie mit spitzen Fingern zur Seite, wie Zwiebelringe vom Thunfischsalat.
„Na die passen doch aber toll zu deinem T-Shirt“, zwitscherte ihre Mutter und wickelte die Gummis so stramm, als wolle sie Lauras Zöpfe erwürgen.
„Ja, ganz toll“, brummte Laura und hockte sich mit angezogenen Beinen auf die Küchenbank.
„Das ist schön, so eine richtige Frühstücksfamilie“, sagte Frank, als das Brot aus dem Toaster sprang.
Aber Frühstücksfamilie war natürlich erst der Anfang, danach sollten sie auch noch eine Spaziergangsfamilie sein und eine Minigolffamilie. An die dräuende Eifelwanderfamilie wollte Laura gar nicht erst denken. Sie ließ sich auf dem Weg durch den Wald weit zurückfallen, um das Liebesgesäusel nicht hören und das Geknutsche nicht sehen zu müssen. Als sie beim Minigolfplatz ankamen, war der wegen einer Familienfeier geschlossen. Doch dadurch ließ Frank sich seine Ausflugsfamilie nicht vermiesen. Er zerrte einen armlangen Stock aus der Hecke und trieb mit weiten Golfschwüngen einen eingebildeten Ball über die Bahnen. Wenn er ihn im Loch versenkte, reckte er die Arme jubelnd empor. Lauras Mutter gackerte dazu, als habe sie noch nie im Leben eine tollere Comedynummer gesehen und folgte Frank von Bahn zu Bahn, um seine Phantomsiege mit schmatzenden Küssen zu belohnen.
„Wenn jetzt jemand aus meiner Stufe vorbeikommt, bin ich sowas von erledigt“, dachte Laura und nestelte an ihren Kleinmädchenhaargummis.
Am Rande des Golfplatzes, unter einer alten Linde, lag ein kleiner Swimmingpool, der schon seit Jahren außer Betrieb war. Darüber war eine schwarze Plane gespannt, in deren Mitte sich ein algengrüner Regenwassertümpel gebildet hatte. Dort, wo die Leiter in den Pool führte, war die Plane zurückgeworfen. Es sah aus wie ein Maul. Laura hockte sich vor das Loch, konnte in seiner Dunkelheit aber nichts erkennen. War da unten noch Wasser? Sie zog einen Rotzklumpen hoch und seilte ihn an einem Schleimfaden in die Finsternis ab, bis er sich losriss. Wie er aufschlug, hörte sie nicht.
Am anderen Ende des Geländes hampelte Frank noch immer mit seinen staksigen Beinen über die Bahnen, sprang auf winzige Hügel und eierte Schlangenlinien entlang.
„Quak, quak!“, rief Laura unter die Plane, „quak, quak, ich bin der Froschfrank. Ich habe Froschaugen, ein Froschmaul und Froschschenkel. Quaaaak!“
In einem Lufthauch wie Atem echote es aus dem Maul zurück: „Quaaaak, ich bin der Froschmann, quaaaak.“
„Quak, quak“, antwortete Laura und tastete den Boden nach Steinen oder Müll zum Runterwerfen ab. Da wurde sie plötzlich an der Schulter zurückgerissen und landete auf dem Hosenboden. Frank fuchtelte mit seinen langen Fingern durch die Luft und glubschte sich fast die Augen aus dem Kopf.
„Bist du verrückt? Das ist saugefährlich. Was, wenn du da reingefallen wärst?“
„Bist du bescheuert? Die ist neu“, schimpfte Laura und wischte an ihrer Leggings mit hellem Blumenprint herum. „Außerdem geht dich das einen Scheiß an, wo ich reinfalle und wo nicht. Du bist nicht mein Vater. Sehʼ ich etwa aus wie eine Kaulquappe? Nein? Dann kann ich unmöglich deine Tochter sein. Mein Vater wohnt in München. Also lass mich gefälligst in Ruhe mit deinem Familienmist!“
Frank klappte sein breites Maul ein paar Mal auf und zu. Dann sagte er: „So besonders scheint sich dein toller Vater ja nicht für dich zu interessieren, wenn er sich nie meldet.“
Laura schüttelte den Kopf, dass die rosa Herzchen klimperten. „Immerhin schenkt der mir nicht so’n Plastikmüll aus’m Kaugummiautomaten, sondern richtig echten Schmuck.“
Damit rupfte sie den Ring, den ihr Vater vor zwei Jahren zu ihrem Geburtstag geschickt hatte, vom Finger und hielt ihn Frank unter die Nase.
„Der ist doch nur vergoldet“, schnaubte der und grabschte danach. Laura sprang dem Ring hinterher, bekam ihn kurz zu fassen und fühlte, wie er ihren Finger wieder entglitt, als sie ihren Arm mit einem Ruck aus Franks Griff riss. Der Ring flog hoch in die Luft und drehte sich noch einmal funkelnd im Sonnenlicht, bevor er im Maul des Pools verschwand. Laura stand kurz fassungslos, dann stürzte sie auf die Leiter zu, kratzte, biss und fauchte, als Frank sie zu Boden warf und dort mit seinem Gewicht festnagelte.
„Nicht da rein. Zu gefährlich. Es tut mir leid. Ich kauf dir einen neuen Ring. Aus richtig echtem Gold“, schnaufte er feucht in ihren Nacken. Laura trat in die Luft und brüllte vor Wut. Erst spät bemerkte sie, dass ihre Mutter über dem keuchenden Laura-Frank-Knäuel stand und sich das Gesicht hielt.
„Nichts gönnst Du mir“, schluchzte es aus ihr heraus, „nicht das kleinste bisschen Glück.“
„Aber der Depp hat Papas Ring in den Pool geschmissen“, brüllte Laura unter Franks Achsel hervor.
„Das war keine Absicht. Ich hab genau gehört, was du zu ihm gesagt hast. Du warst so gemein. Dabei sorgt er sich nur um dich.“
Auf dem Rückweg hielt sich Lauras Mutter an Frank fest und heulte in den wasserabweisenden Kragen seines Anoraks. Laura umrundete das Paar wie ein nervöser Hund und zuppelte am Ärmel ihrer Mutter. „Mama, bitte Mama, es tut mir leid. Ich versprech, nicht mehr so biestig zu sein, aber wir müssen den Ring da raus holen. Wir binden mir ein Seil um den Bauch und du hältst es fest. Dann ist es sicher.“
Doch ihre Mutter heulte nur noch nasser, vor allem aus der Nase. Erst als sie wieder zuhause angekommen waren, blickte sie Laura wieder an. „Geh bitte in dein Zimmer. Ich kann dich heute nicht mehr sehen.“
So saß Laura auf ihrem Bett und wollte sich einsam und verlassen fühlen, vielleicht ein bisschen ins Kissen weinen, doch als die Bettfedern im Nebenzimmer anfingen zu quietschen, rauschte nur noch heiße Wut in ihren Ohren. Sie würde sich den Ring zurückholen. Endlich begriff sie, warum ihr Vater ihn geschickt hatte. Der Ring war ein Zauberring, der sie vor ihrem bösen Stiefvater retten und zu ihrem echten Vater zurück bringen würde. Natürlich musste man im echten Leben auch Zauberringen etwas auf die Sprünge helfen. Sie würde ihn in der Pfandleihe an der Ecke versetzen und sich von dem Geld ein Zugticket nach München kaufen. Und ihre Mutter würde niemals erfahren, was aus ihr geworden war, ob sie von Kindsräubern entführt, oder in den Gartenhäcksler vom Hausmeister gefallen war. Bis an ihr Lebensende würde sie sich vorwerfen, den bescheuerten Frank ihrer einzigen Tochter vorgezogen zu haben, sich die Augen knallrot heulen und den Schädel kahl raufen.
Nachdem die Geräusche im Nebenzimmer verstummt waren, stahl Laura sich aus der Wohnung.
Der Vollmond spiegelte sich in der Pfütze auf der Plane. Laura leuchtete mit ihrem Handy in die Schwärze des Mauls, konnte aber nichts erkennen. So stieg sie rückwärts die Leiter hinunter. Die Luft im Maul legte sich warm und feucht auf ihr Gesicht. Mit jedem Schritt nach unten erwartete sie, ihren Fuß in eiskaltes Brackwasser zu tauchen. So viel tiefer konnte das Becken doch gar nicht sein. Sie tastete mit der Fußspitze nach Grund, fand aber keinen. Also noch ein paar Stufen, dachte sie und trat ins Leere, versuchte noch, sich an den glatten Stahlrohren festzuhalten und fiel, fiel länger und tiefer als sie es für möglich hielt. Dabei sah sie Frank und ihre Mutter am Frühstückstisch sitzen. Sie schlürften glibbrige Eier durch Strohhalme und toasteten herzförmiges Brot. Ihre Mutter sagte: „Wer braucht schon Laura? Wir machen es uns jetzt so richtig romantisch.“
Dann legten beide die Köpfe zurück und lachten.
Lauras Schrei hallte als jämmerliches Quaken von den Betonwänden zurück.
***
„Müllmüllmüllmüllmüll.“
Laura wurde an einem Fuß bäuchlings über den Boden geschleift. Dann fiel ihr Bein herab und etwas stocherte in ihren Rücken. „Müllmüllmüllmüllmüllmüll.“ Die missmutige Stimme entfernte sich langsam.
Laura hustete fauliges Wasser und setzte sich auf. Die Sonne stach in ihre Augen. Wenige Meter entfernt beugte sich ein Mann im braungestreiften Bademantel mit Kapuze über den Rand eines Swimmingpools und rührte mit einem Stab darin herum. Dann zog er die Harke zurück und hievte ein Fahrrad aus dem Wasser. Er warf es quer über einen zerbeulten Einkaufswagen, an dessen Vorderseite ein ganzes Arsenal unterschiedlich großer Kescher, Rechen und Angeln wie Lanzen emporragten. Schließlich schob er den Wagen, der bockte und hüpfte wie ein Zicklein, zum nächsten Pool. Sein Mantel hinterließ eine dunkle Spur im Staub. Er triefte vor Nässe.
Die Landschaft war seltsam, flach wie ein Pfannkuchen, dürre Grasbüschel und Geröll, dazwischen glitzerten unzählige Seen und Pools bis zum Horizont. Das war jedenfalls nicht der Minigolfplatz.
„Hey“, rief Laura dem Bademantelmann hinterher und sprang auf die Füße. Der blieb abrupt stehen, drehte sich aber nicht um. Laura trabte zu ihm hinüber, umrundete den Einkaufswagen und schrak zurück. Die Nase der Gestalt bestand eigentlich nur aus zwei Löchern. Der schmallippige Mund querte das Gesicht von einem Ohr zum anderen – oder zumindest bis dahin, wo Laura die Ohren unter der Kapuze vermutete. Das Kinn ging absatzlos in die Kehle über, die sich in regelmäßigen Abständen aufblähte. Doch noch merkwürdiger waren die riesigen Glubschaugen, die irgendwie verrutscht schienen, zu hoch auf der Stirn und viel zu weit voneinander entfernt. Laura konnte nicht ausmachen, wohin der starre Blick gerichtet war.
„Du bist ja ein Frosch.“
„Ist das ein Problem?“, erwiderte der Frosch gereizt.
„Nein, nein, kein Problem, jedem das Seine. Ich hab nur noch keinen Frosch im Bademantel gesehen.“
„Okay“, sagte der Frosch kehlig und schubste den Einkaufswagen nach vorne, dass Laura aus dem Weg springen musste, um nicht über den Haufen gefahren zu werden. Bei dieser ruckartigen Bewegung begann der Frosch zu klingeln. Über seiner perlmuttschillernden Brust und dem aufgedunsenen Bauch lagen kiloweise Ketten. Er war mit Gold behängt wie ein Gangster-Rapper.
„Nun warte doch mal kurz“, sagte Laura und hielt den Einkaufswagen fest. „Ich glaub, ich hab mich verlaufen. Ich war vorhin noch auf dem Minigolfplatz und hab keine Ahnung, wie ich hier gelandet bin.“
„Du bist durch den Pool gefallen,“ sagte der Frosch.
„Stimmt, jetzt erinnere ich mich. Aber wie komme ich wieder zurück?“
Der Frosch verdrehte die Augen. „Du kommst natürlich genauso wieder zurück, wie du hergekommen bist. Und jetzt steh mir nicht länger im Weg rum. Ich muss Dinge suchen.“
„Schon gut, schon gut, danke für die freundliche Auskunft.“ Laura wandte sich zum Gehen, doch dann fiel ihr etwas ein. „Warte mal, Du hast nicht zufällig einen kleinen goldenen Ring gefunden?“
Der Frosch ließ den Griff des Einkaufswagens fahren und schob die Hände in die jeweils gegenüberliegenden Ärmel. „Goldring? Was für ein Goldring? Ich habe keine Goldringe.“
„Hast du wohl“, rief Laura, denn sie hatte es bereits an seinen langen Fingern glitzern sehen.
„Aber die gehören alle mir,“ blökte der Frosch.
„Dann zeig sie doch mal her, deine Ringe. Mein Ring hat eine kleine Schleife obendrauf.“ Laura rupfte den Frosch am linken Frotteeärmel. Da zog er die Hände wieder heraus und versetzte ihr einen Stoß vor die Brust, dass sie auf dem Boden landete.
Ihr Ring saß am äußersten Glied des kleinen Fingers seiner rechten Hand.
„Das ist mein Ring!“, rief Laura empört.
„Falsch“, sagte der Frosch und band sich den gelockerten Gürtel neu. „Was man in interterrestrischen Gewässern findet, darf man behalten. Weiß jeder.“
Laura rappelte sich wieder auf die Füße, hielt aber nun eine Armeslänge Sicherheitsabstand. „Den Ring hat mir mein Vater geschenkt und ich brauche ihn unbedingt zurück.“
Der Frosch fuchtelte jetzt aufgebracht mit den Händen. „Warum hast du ihn dann in den Pool geworfen? Wer so mit Wertgegenständen umgeht, hat sie auch nicht verdient. Aber so seid ihr Menschen. Schmeißt mit eurem Gold um euch und erwartet dann vom treudoofen Frosch, dass er euch das Zeug wieder rausholt.“
„Ich hab den Ring nicht in den Pool geschmissen. Das war mein bescheuerter Stiefvater. Du brauchst ihn doch gar nicht. Du hast doch kiloweise Gold.“
Der Froschmann machte „pah“ und winkte ab, wobei seine Armreifen klimperten. „Genau genommen habe ich tonnenweise Gold. Ich sammele ja nicht erst seit gestern.“
Laura zog die Bettelschnute, die bei ihrer Mutter immer zuverlässig wirkte. „Na also. Dann gib mir doch diesen einen klitzekleinen Ring zurück. Bittebitte. Es ist wirklich wichtig.“
„Na gut.“
„Ja?“
„Aber du musst etwas dafür tun.“ Blitzartig wischte sich der Frosch mit der Zunge über’s Auge.
Laura rümpfte angewidert die Nase. „Muss ich dich etwa küssen?“
„Sei nicht albern, Mädchen. Was ihr euch immer einbildet. Wer möchte schon sowas Haariges küssen?“
Laura zwirbelte einen Zopf um die Finger und spürte, dass sie rot wurde. „Was soll ich denn dann tun?“
„Du sollst ein Jahr und einen Tag meine Magd sein.“
„Das geht nicht. Ich muss zur Schule. Ich hab nur sechs Wochen Sommerferien.“
„Na gut, dann sechs Wochen.“
„Was tut eine Magd?“
„Wir brauchen vor allem Hilfe mit den Quappen. Hast du schon mal als Babysitter gearbeitet?“
„Ich bin doch selbst noch ein Kind.“
„Wirklich? Aber du hast doch schon Extremitäten und Lungen. Du bist doch mindestens zwölf Wochen alt.“
„Ich bin zwölf Jahre alt.“
„Verblüffend. Dass eure Spezies bei solchen Aufzuchtzeiten überlebt. Dabei hast du sicher nur ein paar hundert Geschwister.“
„Ich habe einen jüngeren Halbbruder. Der wohnt in München.“
„Verblüffend“, murmelte der Frosch, dann straffte er sich. „Also, sind wir im Geschäft?“
Laura zuckte die Schultern. Sechs Wochen Ferien als Froschmagd konnte kaum schlimmer sein als zwei Wochen Eifelwanderfamilie mit Frank. „Und danach bekomme ich den Ring zurück?“
„Nach sechs Wochen hast du einen Wunsch frei, den ich dir erfüllen werde.“
„Wieso einen Wunsch? Ich brauch doch eh nur den Ring.“
„Dann kannst du ihn dir ja wünschen. Aber wer weiß, vielleicht änderst du deine Meinung bis dahin noch. Sechs Wochen sind eine lange Zeit. Außerdem bist du ein Mensch und ein Weibchen noch dazu.“
„Pfff, wie du meinst. Ist mir auch wurscht.“
Insgeheim amüsierte sich Laura über die Dummheit des Frosches. Wenn er unbedingt auf dem Wunsch bestand, würde sie sich halt eine Tonne Gold inklusive ihres Ringes wünschen und mit einem Privatjet nach München fliegen. Oder sie würde sich unbegrenzte Wünsche wünschen und sich und ihr Gold in einer Sänfte von ihrem neuen Froschknecht nach München tragen lassen.
„Deal“, sagte Laura und der Frosch schlug ein.
Die Sonne im Nacken lief Laura lange hinter dem klingelnden Frosch mit dem scheppernden Einkaufswagen her. Ihr wurde schwindelig. Über der Steppe waberte eine Wolke Chlor. Die Pools waren rund und oval, quadratisch und langgestreckt, blitzeblau und algengrün. Dazwischen gab es Seen mit Uferschilf und Seerosen, ein paar Brunnen.
„Weißt du, wohin die alle führen?“, fragte Laura, doch der Frosch schlappte einfach weiter und machte nur „tsssssssssss“. Das tat er auch bei allen anderen Fragen, die sie stellte.
Endlich flirrten ein paar Erhebungen am Horizont. Laura hoffte, dass es keine Fata Morgana war, sondern eine Oase mit erfrischendem Eistee. Tatsächlich handelte es sich weder um das eine, noch um das andere, sondern um Berge aus Plunder: schiefe Sonnenschirme, Strandliegen, Schwimmflossen und Bierflaschen. Erst auf den zweiten Blick entdeckte Laura zwei Hütten in der Müllhalde, die offenbar aus demselben Schrott zusammengezimmert waren.
„Komm, ich zeig dir, was du machen musst.“ Der Frosch griff einen tropfenden Pelzklumpen aus dem Einkaufswagen und strebte auf ein Moskitonetz zu, das von einer Schaufensterpuppe mit stolzem Blick in die Höhe gehalten wurde. Je näher Laura diesem Zelt kam, desto lauter wurde das Brummen. Es stank schlimmer als Franks französische Käsespezialitäten.
Der Frosch lupfte die Gaze und warf den Pelzklumpen hinein. Die dicken Fliegen, die dabei aus dem Spalt quollen, pflückte er mit der Zunge aus der Luft. Dann schob er einen kleinen Kescher durch die Öffnung und fuhrwerkte damit im Moskitonetzzelt herum. Als er ihn wieder herauszog, war er mit wuselndem Gesumm gefüllt. Der Frosch nahm ein Plastikpaddel und hieb auf das Gewusel ein. „Du musst schnell sein, damit nicht zu viele entfleuchen.“ Mahnend hob er einen Finger. „Und nasch nicht zu viele.“
Er schabte den Brei mit den zuckenden Beinchen und Flügelchen in eine Frisbeescheibe. Dann lief er auf ein flaches Kinderschwimmbecken zu. Laura würgte ein paar Mal trocken, bevor sie ihm hinterher eilte.
„Ja, meine Kleinen, meine Süßen, ich hab was Feines für euch“, gurrte der Frosch und ließ den zähen Fliegenbrei ins Wasser flatschen. Im Becken brodelte es eine Weile schwarz, bis die Quappen vollgefressen zu Boden sanken und dort träge herumdümpelten.
„Füttern also?“, fragte Laura.
„Fliegenfangen, Füttern und Ablaichassistenz“, antwortete der Frosch, „aber das erklärt dir besser meine Frau.“
Er strebte zurück zur Müllhalde und blieb vor einer der Hütten stehen.
„Hier wohnt meine Frau“, flüsterte er. „Du gehst besser ohne mich rein. Und gib ihr das von mir“. Mit diesen Worten drückte er Laura eine Badehose in die Hand. Die duckte sich unter dem Türsturz hindurch und kämpfte noch mit den Badelaken, die den Eingang verhängten, als es aus dem Inneren keifte: „Was hast du hier zu suchen? Verschwinde aus meinen Gemächern! Ich rede nicht mit dir.“
„Entschuldigung“, sagte Laura, „ihr Mann meinte, ich soll mit ihnen sprechen.“
Sie stand in einem kreisrunden Raum, ein Mülliglu. Hunderte Münder lächelten sie mit strahlend weißen Zähnen an – Catherine, Victoria, Charlotte, Madeleine. Die knubbeligen Wände waren mit den Titelblättern von Klatschmagazinen tapeziert. Davor saß die Fröschin auf einem Klappstuhl. Sie trug ein Bikinioberteil und ein turmhohes Haarnest. „Bist du etwa eine Prinzessin?“, fragte sie mit misstrauisch zusammengekniffenen Augen.
„Nicht, dass ich wüsste. Ich soll hier sechs Wochen als Magd arbeiten. Fliegenfangen, Füttern und Ablaichassistenz.“
Das Gesicht der Fröschin entspannte sich. Sie lächelte mit riesigen Zähnen. „Da hat der alte Taugenichts ja zur Abwechslung mal was Nützliches aus dem Wasser gefischt. Ablaichassistenz. Wurde auch Zeit. Muss ich das fette alte Scheusal endlich nicht mehr stundenlang auf dem Rücken herumschleppen.“
Die Fröschin wuchtete sich ächzend aus dem Stuhl. Tatsächlich war sie noch sehr viel größer und fetter als der Frosch. Die straff gespannte Haut an ihrem Unterleib war geradezu durchsichtig. Laura schlug beschämt die Augen nieder.
„Hier, ihr Mann hat mir diese Badehose mitgegeben.“
Versunken liebkoste die Fröschin Lauras Zöpfe, dann nahm sie ihr den Stoff aus der Hand und hielt ihn neben ihr Bikinioberteil.
„Dieser Crétin! Das ist doch nicht ozeanblau, das ist lagunengrün.“ Sie blies missbilligend den Kehlbeutel auf. „Sag doch mal, Mädchen, das beißt sich doch.“
„Na ja,“ sagte Laura und zuckte die Schultern, „immer noch besser als gar nichts.“
„Immer noch besser, immer noch besser“, schimpfte die Fröschin und warf die Hose auf einen bunten Haufen Lycra im hinteren Bereich der Hütte. „Es ist ja nicht so, als hätte ich nichts anzuziehen. Aber nichts passt zusammen. Wie sieht das denn aus?“
„Was muss ich da überhaupt machen bei der Ablaichassistenz?“, fragte Laura.
„Das zeige ich dir, wenn es so weit ist. Es wird gleich dunkel. Am besten fängst Du schon mal an, dir eine Höhle zu bauen.“
Laura war heilfroh der stickig-süßlichen Luft in der Hütte und den grabbeligen Fingern ihrer Bewohnerin zu entkommen. Der Frosch war nirgends zu sehen und so streunte sie alleine über die Müllkippe und trug Dinge zusammen, die ihr hüttenbaunützlich erschienen: ein Stück Wellblech, ein paar Plastikstühle und einen mechanischen Rasenmäher, dazu ein verheddertes Knäuel Wäscheleine. Doch die Konstruktionen, die sie daraus errichtete, stürzten immer wieder zusammen. Nachdem ihr das Wellblech zweimal auf die Füße gefallen war und der Rasenmäher einen großes Loch in ihre Leggins gerissen hatte, vertagte sie das Projekt. Ihr Lager für die Nacht war ein riesiges Luftmatratzenkrokodil, auf dem sie sich in mehrere Strandtücher gewickelt zusammenrollte. Kurz bevor sie einschlief, vernahm sie ein leises Pfeifen und spürte, wie ihr Hintern tiefer in das erschlaffende Krokodil sank.
Lauras Ferien als Froschmagd waren schmutzig und eintönig. Jeden Morgen fing sie mehrere Kescher Fliegen, zerdrosch sie mit dem Paddel und fütterte die Quappen. Zum Glück fand sie bald eine Taucherbrille mit Gumminase, die den Gestank am Moskitonetz erträglicher machte. Es gab fünf Pools, die sich in einem Radius von etwa fünfhundert Metern um die Müllkippe verteilten. Darin wuchsen unterschiedliche Generationen von Quappen heran, Kopfschwänzler mit Kiemenbüscheln, Kopfschwänzler mit verbreiterten Hautsäumen, Kopfschwänzler mit Hinterbeinchen und winzige Fröschlein mit Stummelschwänzen, dazu ein Pool für die Laichschnüre.
Alle paar Tage, wenn die Schwänze der Minifrösche fast verschwunden waren, musste Laura sie in einen Sangriaeimer abschöpfen und in die umliegenden Tümpel verteilen. Da die Seen und Teiche weit verstreut lagen und der Frosch ihr einschärfte, die Kleinen niemals in gechlortes Wasser zu schütten, dauerten diese Aussetztouren oft bis zum Sonnenuntergang. Am nächsten Morgen musste sie dann das Wasser aus dem Pool ablassen, den stinkenden Schlick, der dabei zurückblieb, herausschippen, und neues Wasser mit dem Eimer aus dem nächsten Brunnen nachfüllen. Wenn das Becken vorbereitet war, machte sie sich an die Ablaichassistenz. Dazu musste sie den warzigen Rücken der Fröschin massieren, während diese unter Stöhnen ellenlange Laichschnüre in einen Wäschekorb legte. Den Korb brachte Laura dann zum Froschmann, der damit in seiner Hütte verschwand und ihn eine halbe Stunde später wieder herausreichte. Dann waren die Laichschnüre mit einer milchigen Flüssigkeit bedeckt. Zuletzt musste Laura die Schnüre, die ihr immer wieder aus den Händen glitschten, an den Beckenrand heften. Kurz unterhalb der Wasseroberfläche und in schönen, gleichmäßigen Schlingen – darauf bestand die Fröschin.
Nach solchen Tagen schmerzte Lauras Körper vom verbrannten Scheitel bis zu den blutig gelaufenen Füßen. Oft knurrte ihr Magen, wenn der Frosch nicht genügend Obst, Kokosnüsse und Fische für sie gefunden hatte. Die schleimigen Laichschnüre verfolgten sie bis in ihre Träume, wanden sie um ihren Hals, fesselten ihr die Arme eng an den Körper und drückten zu, bis die Rippen knackten. Doch Schmerzen, Hunger und Ekel waren nicht das Schlimmste. Das Schlimmste waren die Langeweile und die Einsamkeit, die sich wie eiserne Bänder um Lauras Herz legten.
Der Frosch war den ganzen Tag mit dem Einkaufswagen unterwegs und wenn er abends zurückkam, drückte er ihr nur mürrisch ertrunkene Katzen, Hündchen oder Meerschweinchen für das Fliegenzelt in die Hand, oder schleimige Haarbüschel und Zahnprothesen für die Fröschin. Nur wenn er ausnahmsweise mal etwas Gold gefunden hatte, wurde er geschmeidiger, pfiff kleine Melodien, half Laura, die Knochen aus dem Moskitonetz zu fegen, oder wisperte Koseworte und Versprechungen durch die Ritzen der Hütte seiner Frau, bis die Fröschin wutentbrannt daraus hervorsprang und ihn mit Flüchen und Tritten vertrieb.
Mit der Fröschin war auch nicht viel anzufangen. Tagsüber verließ sie nur selten ihre Hütte, um sich eine Portion Fliegen aus dem Moskitonetz zu holen, den Quappen die Köpfchen zu tätscheln oder nachzuschauen, ob die Laichschnüre ordentlich drapiert waren. Wenn ihr Mann dann zurück war, zupfte sie ihre Perücke zurecht, überprüfte den Sitz ihres neuesten Gebisses, knotete sich eine purpurrote Picknickdecke wie ein Superheldencape um den Hals und stolzierte ein paar Runden im Abendlicht auf der Müllkippe umher, ohne den Frosch eines Blickes zu würdigen. Anfangs hatte Laura noch geglaubt, mit der Fröschin könne man sich unterhalten. Nach ein paar Tagen war ihr jedoch klar geworden, dass ihre Gespräche immer um dieselben Themen kreisten: Welche Bikiniteile passten farblich am besten zusammen? Sollte man die Oberteile ausstopfen oder besser leer hängen lassen? Konnte man Nagellack benutzen, wenn man keine Fingernägel hatte? Was war mit Lippenstift ohne Lippen? Sollte man noch bunte Schleifen in die Turmperücke flechten? Außerdem konnte die Fröschin die Finger einfach nicht von Lauras Zöpfen lassen, fummelte ständig an den Herzchenhaargummis herum und hatte sich einmal sogar hinterrücks mit einer Schere angepirscht. Seitdem mied Laura die Gesellschaft der Fröschin.
Nachts lag sie oft wach und starrte in die Sterne. Da die Nächte mild waren und sie nur ein halbes Jahr bei den Pfadfindern gewesen war, hatte Laura den Hüttenbau schnell aufgegeben und sich stattdessen eine Rattanliege mit mehreren Schichten Handtüchern aufgepolstert. Vielleicht würde sie ihrer Mutter nach ihrer Ankunft in München doch eine Karte schreiben, damit sie zumindest an den Wochenenden mal zu Besuch kommen könnte. Sogar mit Frank, wenn es denn nötig sein sollte. Überhaupt Frank, den vermisste sie natürlich kein Stück, aber manchmal träumte sie davon, wie er sie nach der Schule ausquetschte, wie ihr Tag gewesen sei, und dazu einen schiefen Stapel Pfannkuchen briet. Pfannkuchen konnte Frank wie kein Zweiter. Trotzdem kam Aufgeben und zurück durch den Pool zu Frank und ihrer Mutter Springen nicht in Frage. Dann wäre ja alles Fliegenzermatschen und Laichschnüredrapieren umsonst gewesen.
Täglich fragte Laura den Frosch: „Ist es noch lang? Wie viele Tage fehlen noch zu sechs Wochen?“ Sie hatte jedes Gefühl dafür verloren, wie lange sie schon in der Froschwelt schuftete.
Der Frosch antwortete darauf jedes Mal: „Ein bisschen noch. Es ist bald so weit.“
Eines Abends sah sie ihn zum ersten Mal mit der Fröschin tuscheln. Zwar hatte er schon viele Tuschelversuche unternommen, aber dass die Fröschin dabei stehen blieb und ihm sogar ihr Hörloch hinabneigte war neu.
Als Laura am nächsten Morgen die Quappenfütterung vorbereitete, stand der Frosch plötzlich hinter ihr und verkündete ungefragt: „Es sind noch drei Tage.“
Laura ließ das Fliegenpaddel sinken und wäre dem Frosch vor Freude fast um den Hals gefallen. Ein Schwarm dicker Brummer taumelte in die unverhoffte Freiheit. „Das ist ja wunderbar.“
Der Frosch nickte. „Und ich hab noch eine Überraschung für dich. Etwas Köstliches.“
Laura bemühte sich um ein erwartungsfrohes Lächeln. In der Beurteilung von Menschenköstlichkeiten lag der Frosch oft daneben. Noch letzte Woche hatte er ihr stolz einen Klumpen Seife präsentiert und war tief beleidigt gewesen, als sie erklärte, dass Seife ungenießbar sei. Doch diesmal hatte er es richtig getroffen. Er zog eine Dose Cola aus der Tasche seines Bademantels hervor. Nun gab es auf der Halde genug Dosen, um damit eine Kette zum Mond und zurück zu bilden, doch diese Dose war noch verschlossen. Laura strich sanft die geschwungenen weißen Linien auf rotem Grund nach. Die Dose war sogar kalt. Wie der Frosch das in der Hitze hinbekommen hatte, war ihr ein Rätsel.
„Sowas hast du dir doch schon lange gewünscht, nicht wahr?“ fragte der Frosch zufrieden.
„Ja, dieses schale Brunnenwasser kommt mir schon zu den Ohren raus.“
Der Frosch reichte ihr die Dose und Laura riss sie sofort auf. Allein schon dieses zischende Geräusch und dann das fast schmerzhafte Prickeln in der Kehle.
Der Frosch kicherte sich ins Fäustchen. „Trink, trink, Mädchen.“
Laura war verwirrt, so fröhlich hatte sie den Frosch noch nie gesehen, nicht einmal als er mit der goldenen Armbanduhr nach Hause gekommen war, die er jetzt am rechten Fußknöchel trug.
Sie setzte die Dose ab. „Warum lachst du so, Frosch?“
„Du hast dir die Cola gewünscht, hihi. Das war jetzt dein Wunsch. Wenn du den Ring willst, musst du noch ein Jahr und einen Tag lang bleiben.“
Die Kälte des Getränks kroch Laura bis in die Fingerspitzen. „Willst du mich verarschen, Frosch? Erstens war das überhaupt kein Wunsch. Ich habe nicht gesagt: „Ich wünsche mir eine Dose Cola.“ Ich hab das nicht als Wunsch eingeloggt. Das gilt überhaupt nicht. Und zweitens ist die Frist sowieso noch nicht abgelaufen.“
Jetzt fing der Frosch an zu prusten, dass sein Kehlsack vibrierte. „Doch, die Frist ist heute abgelaufen. Trag es mit Würde, Mädchen, ich habe dich überlistet. Du hast deinen Wunsch verspielt.“
Er ruckte den Kopf gerade noch rechtzeitig zur Seite, sonst hätte ihn die halbleere Coladose mitten ins Gesicht getroffen.
Laura brüllte ihn an: „Nein, Frosch, das war keine clevere List, das war ein ganz mieser, plumper Pfuschversuch. Du hast einfach nur gelogen!“
„Nanana, Mädchen, wer wird denn so eine schlechte Verliererin sein? Nur weil jetzt einmal der Frosch gewonnen hat. Ihr Menschen seid doch auch ganz groß im Verarschen. Versprecht einem das Blaue vom Himmel und wenn man dann mal höflich nachfragt: Klatsch! Na schönen Dank auch.“
Laura stampfte mit dem Fuß auf: „Ich hab keine Ahnung wovon du faselst, Frosch. Ich hab fair gespielt. Rück jetzt gefälligst den Ring raus! Sofort!“
Der Frosch tänzelte von einem Fuß auf den anderen und ließ seine Goldketten rasseln. „Hol ihn dir doch, Mädchen!“
Das ließ sich Laura nich zweimal sagen. Mit einem Wutgeheul preschte sie auf den Frosch los und rammte ihm den Schädel in den Bauch. Der war so weich, dass sie erst bis zu den Ohren darin versank, und so elastisch, dass sie Sekundenbruchteile darauf zurückgeschnellt wurde wie von einer Zwille. Sie landete rücklings auf dem Boden. Doch auch der Frosch hatte durch den Ansturm das Gleichgewicht verloren und stand nun mit rudernden Armen am Rande des Laichbeckens, bis er sich in seinem Bademantel verhedderte und mit einem lauten Klatschen hineinplumpste. Laura stürzte zum Beckenrand und als der Frosch wieder an der Wasseroberfläche auftauchte und nach der Leiter griff, briet sie ihm das mit Fliegen bematschte Plastikpaddel über der Schädel. Der Frosch verdrehte seine riesigen Augen, machte „urks“ und versank wie ein Stein.
Die Laichschnüre trieben in kurzen Fetzen über die Wasseroberfläche. Laura stand einen Moment reglos am Beckenrand und sah wie sich der Mantel in der Tiefe um den grünen Körper bauschte.
„Blöder Frosch“, seufzte sie, dann streifte sie die Schuhe von den Füßen und sprang hinterher.
Den Bewusstlosen am Schlafittchen zu packen und nahezu schwerelos an die Oberfläche zu ziehen, war kein Problem, aber den glitschigen Dickwanst aus dem Becken zu hieven, war ein echter Kraftakt. Hätte Laura in den letzten Wochen nicht so viele Wassereimer geschleppt, wäre es ihr sicher unmöglich gewesen. So schaffte sie es schließlich, ihn mit einem letzten, gewaltigen Ruck am Fuß über die Kante zu wuchten. Sie überlegte kurz, ob sie ihn nun Mund zu Mund beatmen müsste, doch er schnaufte schon wieder ganz gleichmäßig. So griff sie nach dem kleinen Finger seiner rechten Hand. Das Ringabziehen gestaltete sich schwerer als gedacht – die klumpig verdickten Fingerspitzen des Frosches wirkten wie eine natürliche Diebstahlsicherung – doch mit etwas Laichschleim flutschte es dann doch. Laura steckte sich den Ring an den Finger, stand auf und warf die nassen Zöpfe über die Schultern zurück. Die Augenlider der Frosches begannen zu flattern und er stöhnte ein zitteriges „Quaaaak“. Da beugte sich Laura herab, drückte ihm einen Kuss auf die kalte Wange und zog ihm die Goldketten über den Kopf.
„Sorry, Frosch, aber du hast es nicht anders gewollt“, sagte sie, hängte sich sein Geschmeide um den Hals und marschierte in die Steppe hinaus.
Als sie hundert Meter gegangen war, vernahm sie einen gellenden Schrei und wandte sich um. Die Fröschin stürzte zum Frosch, der sich mittlerweile aufgesetzt hatte und die Stirn hielt. Sie kümmerte sich nicht einmal darum, dass ihr Haarturm vom Kopf rutschte, als sie ihren Mann mit Küssen bedeckte.
Laura irrte stundenlang durch die flirrende Hitze der Einöde. Nur selten hielt sie an, um aus einem Brunnen zu trinken oder sich die Knöchel in einem Pool zu kühlen. Noch nie zuvor hatte sie darüber nachgedacht, wie ähnlich sich die Becken alle sahen und wie wenig Anhaltspunkte die Landschaft bot. War der Pool beim Minigolfplatz eher quadratisch oder länglich gewesen? Bald schälte sich die Haut von ihren Schultern und ihre Lippen platzten auf.
In der Dämmerung fasste sie einen Entschluss. Jeder dieser Pools würde sie irgendwo hin führen. In eine Ferienanlage in Dubai, ein Olympiacamp in China oder einen Garten in Castrop-Rauxel. Sie trug genug Gold bei sich, um jede Reise zu bezahlen und eine deutsche Botschaft gab es so gut wie überall. Sie suchte sich einen Pool aus, der besonders geflegt schien und sie an ihren letzten Urlaub in der Türkei erinnerte: blitzeblau mit geschwungenen Linien. Er sah nicht sehr tief aus. Laura betrachtete ihren Ring, dessen Schleife im letzten Licht des Tages rotgold funkelte. Dann hielt sie die Luft an und sprang.
Sie hatte sich Sorgen gemacht, ob sie zu viel Auftrieb haben würde – schließlich musste sie zum Grund gelangen – doch das kiloschwere Gold um ihren Hals zerrte sie in die Tiefe.