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Marie

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23.09.2013
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Marie

Eigentlich kenne ich sie gar nicht. Ab und zu sehe ich sie im Park, bei den Teichen, oder ich laufe ihr zufällig über den Weg. Gelegentlich sah ich sie auch auf den Feldern hinter unserem Haus, zwischen den Apfelbäumen oder auf irgendeiner Wiese sitzen. Alles was ich von ihr weiß ist, dass sie immer mit einer alten Stoffpuppe umherwandert, und dass sie Marie heißt. Es ist keine dieser üblichen Puppen, mit verniedlichten Gesichtern und geröteten Bäckchen, im schönen Kleid und vom perfekt gezogenen Kunsthaarscheitel bis zu den glitzernden Schuhen, auf perverse Art verziert. Maries Puppe sieht eher aus wie ein menschenförmiges Nadelkissen, mit nur einem Knopfauge und einer zerfransten Naht, die mit viel Fantasie einen Mund darstellen könnte. Sie erinnert mehr an Voodoo, als an ein beliebtes Spielzeug.
Aber trotz aller Hässlichkeit dieser Baumwollverschwendung, sieht man Marie nie ohne ihre Puppe. In den letzten Jahren war sie für mich immer nur dieses merkwürdige Mädchen, die nicht spricht und keine Freunde hat. Naja, diese eine eigenartige Gestalt eben, die in Jeder Nachbarschaft vorkommt und die bestenfalls gemieden wird.
Ich kann mich gut daran erinnern, wie Maries Mutter versucht hatte mit den anderen Müttern Freunde für ihre Tochter zu finden. Dabei wurden ich und einige andere Nachbarskinder mit Marie in einem beliebigen Vorgarten eingepfercht und uns selbst überlassen, im Glauben diese Maßnahmen könnten Marie sozialisieren. Oder ihr mindestens einen, oder vielleicht zwei Freunde besorgen, die über einen Stoffwechsel verfügen und dazu in der Lage sind Laute von sich zu geben.
Es kam wie es kommen musste; Marie und ihr gruseliges Anhängsel verbrachten diese Zeit unter sich, trotz aller Versuche unserer Mütter uns alle zusammenzubringen. Sie war eben dieses eine merkwürdige Kind.
Seitdem verliefen die Kindheiten von mir und Marie nebeneinander und überschnitten sich nur für einige Sekunden, bei den Teichen im Park, zufällig auf dem Weg, bei den Apfelbäumen, auf den Feldern hinter unserem Haus oder ich sah sie mal hier und da auf Wiesen oder Bänken sitzen. Ich interessierte mich nie wirklich für sie und hatte damit auch meinen Frieden, auch wenn sie mir hin und wieder leid tat.
Es war, wenn ich mich noch richtig erinnern kann Juni. Vielleicht auch schon Anfang Juli; ich war in der dritten Klasse und ein aufgewecktes Kind das einen, (durch meine erste eins in Mathe, sowie meinen ersten Kuss eines dicklichen Mädchens) endorphingetränkten, enthusiastischen Sommer vor sich hatte.
Ein schwächlicher, aber im Grunde netter und unauffälliger Junge wurde in dieser Zeit von manchen gehänselt und weinte hin und wieder in der Schule. Jedoch ebbten diese Hänseleien auch schnell wieder ab. Ich fragte mich in dieser zeit oft, wieso gerade er gehänselt wurde? Wieso nicht ich? Wir waren uns sehr ähnlich: wir beide waren vergleichbar gut in der Schule, sahen ähnlich aus und beschäftigten uns gerne mit Malereien oder kletterten auf irgendwelche Bäume etc.. Mir kam der Gedanke, dass es daran liegen könnte, dass er ab und zu lieber für sich blieb, anstatt mit den anderen zu spielen. Mein nächster Gedanke war Marie. Sie musste nächstes Jahr eingeschult werden, und wenn Einzelgängertum zu Hänseleien führt, stand ihr eine harte Zeit bevor.
Nach meinen Sommerferien sah ich Marie zum ersten mal in der Schule, mit Puppe. Es dauerte nicht lange bis sie als sonderbar auffiel. Die Mädchen hatten zwar auch manchmal Puppen dabei, aber die sahen schön aus und waren modern. Außerdem spielten und lachten sie miteinander, während Marie für sich blieb.
Einige Lehrer versuchten an Marie heranzukommen, aber sie nickte die Fragen ab und machte ansonsten vollständig dicht. Kurz darauf begannen die Hänseleien, anfangs harmlos und selten aber mit den klischeehaft abfallenden Kalenderblättern, änderten sich Intensität und Frequenz rapide.
Es vergiengenen siebzehn Monate in denen mit Schülern geredet, mir Eltern diskutiert und mit Lehrern beraten wurde. Marie kam seltener zur Schule. Marie meidet andere Kinder wie Leprakolonien. In dieser zeit fiel mir auf, dass ich Marie zwar immer allein aber nie wirklich traurig erlebt hatte, bevor sie eingeschult wurde. Es gab immer nur sie und Ihre Puppe. Aber das hat ihr, glaube ich, voll und ganz gereicht.

Inzwischen aber sah sie immer ängstlich und traurig aus.
Das vorrangige Ziel der terrorisierenden Klassengemeinschaft hatte sich verändert in den letzten Wochen. Zuvor war es Marie, jetzt ihre Puppe. Mal ein Schnitt mit einer Schere oder ein Strich mit einem Filzstift. Marie kam noch seltener zur Schule und verbrachte die Pausen unmittelbar vor dem Lehrerzimmer.
Ich nahm mir oft vor Marie in Schutz zu nehmen, aber tat es nie. Ich stellte mir oft vor wie ich den anderen einen Stein entgegenschmettern, und sie in die Schranken weisen würde. Wie ich meine Stimme erheben und ihr Martyrium beenden würde. Aber tat es nie.
Ich stehe nicht weit von Marie entfernt, sie ist auf dem Heimweg. Umringt von kleinen Körpern, die Schulter an Schulter stehen, Hände greifen nach ihrer Puppe, Arme zerren daran. Marie kämpft um diesen verfetzten Lumpen, um diese Abscheulichkeit.
Sie verliert den Kampf und die Puppe wird unter allgemeinem Jubel auf einen der zugefrorenen Teiche im Park geschleudert. Die jubelnde Menge zieht weiter und Marie stapft durch den Schnee, und betritt den Teich, um diese gottverdammte Puppe zu holen.
Doch das Eis trägt sie nicht. Marie bricht ein, Ich stehe wie angewurzelt da. Zehn, Elf vielleicht Zwölf Sekunden, laufe so schnell mich meine Beine tragen können zu dem Teich, aber Marie hatte wohl Panik bekommen und unter Wasser die Orientierung verloren. Sie war irgendwo unter dieser ca. 40 m² großen Eisfläche, die von dickem Schnee bedeckt war und ich traute mich nicht den Teich zu betreten, vor Angst ebenfalls einzubrechen. Ich war nicht auf der Beerdigung.

Marie geht mir seitdem nicht mehr aus dem Kopf. Inzwischen bin ich ein erwachsener Mann und habe viel gesehen und viel erlebt. Ich habe aus meinem feigen Verhalten gelernt und weiß, dass Mut weniger von dir fordert, als Scham und Schuld dir nehmen kann.
Ich denke, dass jeder Mensch etwas braucht, etwas das einem den Rücken stärkt und das einen tröstet wenn man am Boden liegt. Etwas das mit seiner ständigen und fürsorglich Geduld einem alle Ängste zu nehmen vermag. Alle Ängste, bis auf eine; dieses Etwas zu verlieren.
Maries Puppe wurde für mich zu einem Sinnbild für etwas, dass eine unerklärlich Faszination auf eine Person ausübt, welche keine andere Person nachvollziehen kann.
Seitdem suche ich meine eigene, ganz persönliche, abscheuliche Puppe.

 

Hey Santiago

Du musst mit den Zeiten aufpassen. Dachte zu erst, da schreibt jetzt ein Kind seine Erfahrungen nieder mit diesem Mädchen Marie. Da das Ganze ja zunächst in der Gegenwartsform geschrieben ist. Nur merkt man irgendwann, okay das hört sich jetzt von den Formulierungen nicht gerade kindlich an und spätestens bei:

Es war, wenn ich mich noch richtig erinnern kann Juni. Vielleicht auch schon Anfang Juli; ich war in der dritten Klasse und ein aufgewecktes Kind das einen, (durch meine erste eins in Mathe, sowie meinen ersten Kuss eines dicklichen Mädchens) endorphingetränkten, enthusiastischen Sommer vor sich hatte.

Okay, das ist jetzt ein aus der Erinnerung geschriebener Rückblick eines Erwachsenen. Mach das von Anfang an klar, das das ein Rückblick darstellen soll. Da sind zu viele Zeitwechsel und Tempusfehler drin.

Inhaltlich konnte ich mit deiner kleinen Geschichte leider nicht sehr viel anfangen. Ich wurde nicht richtig warm mit deinen Figuren. Obwohl ich dieses sonderbare Mädchen, Marie, zunächst ganz interessant fand. Aber das verliert sich dann alles in Schilderungen und Erinnerungen, die das ganze dann auch für mich langweilig gemacht haben - weil man das vom Inhalt her, auch gut in einen Absatz bekommen hätte und Spannung nie wirklich aufkam dadurch. Ich fühlte mich nie wirklich in der Geschichte drin und so wurde das, auch bei der Kürze des Textes, ein wenig langatmig. Dramaturgisch hätte ich mir da mehr gewünscht. So wirkte die KG zu distanziert.

Aber das wird schon, Willkommen hier! :)

Lieben Gruß
Simba

 

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