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"Irgendwann komme ich und hole dich, versprochen."

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28.07.2015
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"Irgendwann komme ich und hole dich, versprochen."

Matteo hasste die Dunkelheit. Sie hatte etwas von Wasser an sich, kaltem Wasser, das einen umhüllte und einen in die Leere greifen ließ, weil man nicht wusste was man tun sollte. Schon als Kind hatte er sich vor der Finsternis gefürchtet, die hinter der Tür lauerte und hervor kroch, sobald der letzte Spalt zwischen Tür und Rahmen sich schloss und der Lichtstreifen aus dem Flur langsam dünner wurde, bevor er ganz erlosch. Dann konnten die dunklen Gedanken in Form von Schatten in der Finsternis über den Boden kriechen und nach seinen Gliedern greifen, ihn hinab ziehen, bis unter das Bett, wo er nie wieder aus dem Wasser heraus fand, das ihm dann langsam in die Lungen strömte.
Plötzlich begann er zu Husten, wollte das Wasser ausspucken, das ihm den Atem raubte und seine Lungen von Innen betäubte. Übelkeit überkam ihn. Durch seine geschlossenen Augenliedern flackerten Blitze und sein Körper bebte, genau wie der Boden unter ihm. Ein Zittern fuhr durch seine Arme und über seinen Rücken. Nur langsam brachte er es zustande sich aus dem ungewollten Schlaf zu quälen und zögernd zu blinzeln, bis er bemerkte, dass kein Gewitter ihn geweckt hatte, sondern die Lichter der Straßenlaternen und Reklametafeln, an denen sie vorüber fuhren und die nun über sein blasses Gesicht huschten. Seine Augen brannten und sein Blick verschwamm, den er, noch vom Schlaf benommen, zu dem Fenster des Wagens hob, auf dessen Rücksitz er sich wieder fand. Es war Nacht geworden. Sein Kopf schien unglaublich schwer.
In wessen Wagen lag er? Das Ruckeln bereitete ihm Kopfschmerzen. Obwohl er durchaus glaubte sich in einer Lage zu befinden, die ihn hätte verängstigen müssen, war er völlig ruhig und kaum fähig sich aufzuregen. Die Klänge eines Klaviers drangen in seinen Kopf wie kühlende Kälte, die sich auf seine glühende Stirn legte und es ihm einfacher machte zur Besinnung zu kommen. Wo war er nur? Die Lichter verschwammen vor seinen Augen zu flinken Fingern, die wie im Scheinwerferlicht leuchtende Katzenaugen über die Tasten des Klaviers huschten. Die Töne des Spiels hallten in seinen Knochen nach. Er schloss die Augen wieder, nicht spürend, dass er durch den Mund atmete und den Geruch von Zigarettenqualm kaum wahr nahm, der im sommerlichen Fahrtwind der städtischen Nacht davon wehte. Durch das offene Fenster der Fahrerseite drang der Wind hinein, der ihm das Haar in das Gesicht wirbelte. Wer saß auf dem Fahrersitz? Matteos Blick suchte durch den Spalt zwischen der Innenwand des Wagens und dem Fahrersitz nach einem Umriss, doch alles was er fand war eine in der Dunkelheit und dem Nebel vor seinen Augen aufglimmende Zigarette. Das Knistern des verbrennenden Tabaks schien plötzlich viel lauter, als die Melodie des Klaviers, die aus dem Autoradio drang. Dieser Geruch kam ihm bekannt vor. Er blinzelte. Keinen Finger konnte er rühren. Schon das Drehen seines Kopfes machte ihm Mühe. Er wollte etwas sagen, aber er entschied sich dagegen und beobachtete den Schatten, der vor ihm saß. Wo sie wohl hin fuhren? Matteo drehte den Kopf wieder mit Blick an die Wagendecke und schloss die Augen für einen Moment. Das letzte, an was er sich erinnerte, war, dass sein Handy klingelte. Seine Mundhöhle war unglaublich trocken. Seine Mutter hatte in der Küche gestanden und ihn gerufen. Er hatte gerade zum dritten Mal seine Schuhe zu geschnürt und hatte es noch ein viertes Mal gemacht, bevor alles schwarz wurde.
Plötzlich war alles still gewesen. Ein dämmernder Donner, der in seinem Kopf herrschte, hatte ihn mit beruhigenden Regentropfen einschlafen lassen, die ihm auf die Stirn prasselten und alles mit einem süßlichen Geruch benebelten. Eben dieser Geruch jagte ihm nun immer wieder Übelkeit in die Kehle. Irgendeine Stimme schwirrte wie ein verirrtes Insekt durch seinen Kopf, aber er kam nicht darauf wieso sie ihm so bekannt vor kam. Er blinzelte, als er in der Melodie der Klaviertöne ein Pfeifen hörte und in seinem Augenwinkel sah wie der glühende Stummel der Zigarette aus dem Fahrerfenster flog, um sich, funkenspuckend, in der Dunkelheit der Straßen zu verlieren. „Bist du wach?“ Eine Stimme und die Musik wurde minimal herunter gedreht. „Ich kann dein Herz klopfen hören. Dein Rhythmus sagt mir, dass du wach bist.“ Matteo antwortete nicht. Es war ein Mann. Ein junger Mann saß am Lenkrad dieses Wagens und seine Stimme klang in Matteos Schädel nach. „Hast du Durst?“
Es blieb einen Augenblick abgesehen von der Musik und den Verkehrsgeräuschen, die durch das Fenster hinein kamen, still im Wagen. Der Mann griff in ein Tasche auf dem Beifahrersitz und streckte den Arm nach hinten, in dessen Hand er nun eine Wasserflasche hielt. „Wir fahren noch eine Weile, du musst etwas trinken.“ Matteo versuchte sich aufzusetzen und lehnte sich mühsam mit der Schulter gegen die Innenwand des Wagens. Es musste ein VW sein. Drei Türen, die Ausstattung des Armaturenbretts kam ihm bekannt vor. Valentins Tante fuhr auch solch einen Wagen. Der Sechzehnjährige musterte die Hand, die die Wasserflasche hielt. Er hatte sie nie zuvor gesehen und auch die Stimme nie zuvor gehört. „Nimm schon!“ forderte sie ihn auf. Matteo griff nach der Flasche. Obwohl er nicht wusste was geschah und wo er sich befand hatte er keine Angst, doch er zögerte einen Augenblick, bevor seine zitternden Finger vergeblich versuchten den Deckel aufzudrehen. Erst beim zweiten Versuch, nachdem er die Finger einige Male gespreizt und die Hand dann wieder zur Faust geballt hatte, legte er sich die Flasche an die Lippen. Das Atmen fiel ihm leichter, nachdem er etwas getrunken hatte, doch er spürte wie ihm schwindelig wurde und schloss die Augen, bis das unerträgliche Gefühl des Gleichgewichtsverlustes schwand und einer schummrigen Klarheit Platz machte. Sein Blick hob sich zum Fenster über seinen Füßen. Seine Beine waren stark angewinkelt und das harte Polster schmerzte in seinem Rücken. Kraftlos setzte er sich auf und harrte einen Moment mit dem Rücken an das Fenster gelehnt aus, bevor er einen Fuß in den Fußraum stellte und sich das Haar aus dem Gesicht strich. Nun konnte er, wo er saß, vernünftig aus dem Fenster des Wagens sehen. Es regnete. Die Regentropfen rannen wie Tränen funkelnd im nächtlichen, künstlichen Licht der Straßenlaternen die Fenster hinab. Die, die auf der Frontscheibe landeten, machten keinen Ton, sondern wurden von der Musik übertönt. Krampfhaft versuchte Matteo einen Punkt in der Stadt zu finden, der ihm erklärten wo genau sie sich befanden, doch er konnte nicht sagen wie lange sie bereits fuhren und auch nicht, ob sie noch immer in seiner Heimatstadt waren. „Wo sind wir?“ Seine Stimme klang kratzig und irgendwie verraucht. „Vielleicht solltest du noch etwas schlafen.“
„Wo fahren wir hin?“ Durch den Rückspiegel traf ihn der Blick des Fahrers. „Nach Hause.“ Antwortete er. Matteo wurde kalt. Er drehte den Kopf und suchte im Seitenspiegel der Fahrerseite nach dem Gesicht des Mannes. Langsam wurde ihm klar, wem die Stimme gehörte, aber er hatte sie tatsächlich nie zuvor gehört. Nur seine Worte hatte er gelesen, auf dem staubigen Computerbildschirm, eingepfercht zwischen dem Bücherregal und dem Fenstersims seines Zimmers. Er erinnerte sich an das Geräusch seiner Finger, die über die Tastatur huschten und der Anonymität seine Ängste offenbarten, alles, was er niemandem erzählen konnte. Er hatte die Versprechungen nie ernst genommen, die ihm erwidert wurden. „Wer bist du?“
„Wir haben noch genug Zeit uns darüber zu unterhalten.“ Die Bestimmtheit in seiner Stimme veranlasste Matteo den Atem anzuhalten und die Worte in seinem Kopf noch einmal zu wiederholen. „Trink noch etwas, das hilft gegen deine Kopfschmerzen.“ Es half tatsächlich. Der im Wasser zersetzte und geschmacklose Stoff nahm Matteo nur wenige Minuten später erneut das Bewusstsein, doch noch während seine Gedanken in den Nebel eines ungewollten, tiefen und traumlosen Schlafes hinab sanken, sah er noch einmal den Bildschirm seines Computers vor sich.
Matteo hatte nirgendwo einen Platz gehabt, an dem er sich willkommen gefühlt hatte. Vielleicht würde er jetzt endlich ankommen...

 

Hallo Miss Nobody,

als erstes möchte ich Dir sagen, dass Du richtig gut und bildhaft schreibst. Dein Stil gefällt mir.

Um den Text etwas aufzulockern würde ich mehr Absätze vorschlagen und die Dialoge abgrenzen.

Den nachfolgenden Satz würde ich etwas abändern:


Die Bestimmtheit in seiner Stimme veranlasste den Jungen den Atem anzuhalten und die Worte in seinem Kopf noch einmal zu wiederholen.

Da wechselst Du die Perspektive. Ich würde Matteo schreiben, statt Jungen.

Die letzten beiden Sätze finde ich an dieser Stelle unpassend. Denn er schläft ja schon. Die Überleitung finde ich nicht gut. Evtl. könntest Du es so schreiben:

Als er wieder aufwachte, kam ihm der Gedanke: Er hatte bis jetzt nirgendwo einen Platz gehabt, an dem er sich willkommen gefühlt hatte. Vielleicht würde er jetzt endlich ankommen...

Der ... am Ende gibt dem Ganzen eine nachdenkliche Note.

Der Titel dagegen verspricht entweder etwas gutes oder etwas schlechtes. Nachdem ich den Text gelesen habe, komm ich eher zu dem Punkt, dass es was schlechtes ist, denn es ist schon sehr sonderbar, was er alles erlebt. Also wie er sich fühlt und auch wie sich der Fahrer benimmt.
Auch fände ich den Titel so aussagekräftiger:

Irgendwann komme ich und hole dich. Versprochen!

Gruß Sonnenschein5

 

Hallo, Sonnenschein5.

Vielen Dank für deine Rückmeldung! Ich werde auf jeden Fall versuchen deine Verbesserungsvorschläge umzusetzen. Ich bin froh, dass dir mein Schreibstil gefällt.

Danke schön.
Liebe Grüße, Miss Nobody.

 

Hallo Miss Nobody,


mir ist noch was eingefallen:


Den Titel kannst Du getrost ohne Gänsefüßchen schreiben.


„Nimm schon!“ Komma forderte sie ihn auf.


„Nach Hause.“ Antwortete er.

So ist es richtig:

„Nach Hause“, antwortete er.


Ich merke mir das immer so:

Wenn die Handlung weiter geht, schreibt man groß weiter. Auf Deine Geschichte bezogen:

„Wo fahren wir hin?“ Durch den Rückspiegel traf ihn der Blick des Fahrers.

Kommt nach der Rede: antwortete, fragte, sagte, schimpfte, maulte, blaffte usw., dann schreibt man klein weiter (siehe oben).

Vielleicht hilft Dir das auch weiter.

Gruß Sonnenschein5

 

Hallo, Sonnenschein5,

das hilft mir tatsächlich sehr weiter. Das habe ich wirklich nicht gewusst und ich werde auf jeden Fall versuchen es umzusetzen. Danke!

Liebe Grüße, Miss Nobody

 

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