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Stinkreich

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07.06.2015
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Stinkreich

Die Motorhaube des Ferraris an meiner Wange ist eiskalt, genauso wie meine Füße, die durch meine kaputten Turnschuhe bereits mit dem matschigen Schnee in Kontakt getreten sind. Meine Gedanken rasen, während der Polizist die Handschellen an meinen Handgelenken zuschnappen lässt. Einen Moment lang denke ich ans Weglaufen, im nächsten aber schon daran, dass der Mann hinter mir bewaffnet ist und sein Kollege wohl ebenfalls, und dass ich noch nicht einmal weiß, wohin ich zwei Tage vor Heiligabend von einem Autobahnparkplatz irgendwo in Deutschland fliehen soll.
Und dann bist da noch du, rechts neben mir, ich kann fast die Knoblauchsoße in deinem Atem riechen, aber sie haben mein Gesicht von dir weggedreht, und alles was ich rieche ist der Gestank der Parkplatztoilette. Zu gern würde ich wissen, was du jetzt denkst und ob du auch für diese Situation einen Plan B parat hast, schließlich war das alles deine Idee, und vom Erwischenlassen war in den letzten zwei Stunden nie die Rede. „Er wird gar keine Zeit haben, es zu vermissen“, hast du gesagt, „wenn er für das Meeting um halb sieben sein Zimmer verlässt, steht sein Baby schon längst wieder in der Tiefgarage.“
Das war ungefähr anderthalb Minuten, bevor du am Steuer des schwarzen Berlinetta gesessen und anstatt ihn ins Parkhaus zu lenken, auf die Autobahn zugesteuert hast. Mit mir als Beifahrer und voll aufgedrehter Sitzheizung. Sogar deine Mütze hast du ausgezogen, so heiß war es irgendwann im Auto, aber wir wollten uns das nicht nehmen lassen, so eine Affenhitze in einem so geilen Wagen, und das mitten im Winter. Das tust du sonst nie, die Mütze abnehmen, meine ich, das kann ich verstehen, auch ich vermisse zugegebenermaßen deine Haare; früher hatte ich noch nicht das Gefühl, neben einem alten Glatzkopf zu sitzen, wenn ich dich nur aus dem Augenwinkel ansah.
Die Kiste zu klauen, war einfach gewesen. Du hast das Glück, im besten Hotel der Stadt zu arbeiten, zwar nur als Spülkraft in der Küche, aber wen kümmert das schon, was genau du dort machst? Wie sich das anhört: im besten Hotel der Stadt! Der Mann vom Parkservice hatte Mitleid mit dir, der ist sowieso nett, und einem Todkranken kann man doch keinen Wunsch abschlagen, und das noch so kurz vor Weihnachten. Er hat dir den Autoschlüssel in die Hand gedrückt, nachdem du versprochen hattest, den Wagen ohne Umwege auf den Parkplatz zu stellen, und kaum warst du außer Sichtweite, bin ich zugestiegen.
Nach einer halben Stunde Herumfahrerei haben wir Hunger bekommen, also habe ich zwei Döner abgeholt, während du im Auto gewartet hast. Geparkt hatten wir eine Straße weiter; aus einem Ferrari in die Dönerbude zu steigen, ist uns ein wenig merkwürdig und peinlich vorgekommen.
Dann wieder auf die Autobahn, von Null auf Hundert in drei Sekunden, auf Zweihundert in weiteren sechs. Unsere Begeisterung hat sich in keinen Grenzen gehalten. Das Radio laut, das Gaspedal beinahe durchgedrückt, die Hand aus dem Fenster und erst wieder rein, wenn sie taub geworden ist. Du hast den Leuten zugewunken oder die Zunge rausgestreckt oder den Mittelfinger gezeigt, je nachdem, wer im Auto saß. „Man darf alles, wenn man reich ist“, hast du erklärt, und ich habe dir geglaubt, einfach weil es so schön ist, sich stinkreich zu fühlen. Auf einmal habe ich Lust bekommen, den Menschen Geld aus dem Fenster zuzuwerfen, aber alles, was ich im Auto gefunden habe, war Alufolie, in die der Döner eingewickelt gewesen war, und eine weiße Plastiktüte mit der Aufschrift „Kebab“, die beim Flattern im Fahrtwind ziemlich lustig ausgesehen hat.
Für einen Augenblick haben wir beide vergessen, dass der Ferrari gar nicht uns gehört, dass Autodiebstahl mit Freiheitsentzug bestraft werden kann, dass Freiheitsentzug so viel bedeutet wie Knast und dass es solche Orte überhaupt auf der Welt gibt. Aber als das Radio und das Röhren des Motors nicht mehr die einzigen Geräusche gewesen sind, die wir wahrgenommen haben, und sich im Rückspiegel ein Polizeiauto angekündigt hat, ist uns das alles auf einen Schlag wieder eingefallen.
Nach einigen Minuten Verfolgungsjagd haben wir schließlich aufgegeben, der Verkehr hat sich gestaut, wir sind auf den Parkplatz gefahren, der Polizeiwagen gleich hinterher. Dann ist alles so passiert, wie es in den Filmen gezeigt wird: Wir sind ausgestiegen, sie haben uns die Hände hinter dem Rücken verschränkt und uns auf die Motorhaube gedrückt. Und jetzt friere ich mir die Füße ab, du dir wahrscheinlich die Glatze.
„Der Besitzer des Wagens hat sein Handy im Auto liegen gelassen. So konnten wir euch ohne großartige Anstrengungen orten“, sagt der Polizist hinter mir. Wir haben es ihnen also besonders leicht gemacht. Wie dumm von mir, nicht ins Handschuhfach zu schauen! Ich ärgere mich, und noch mehr darüber, dass ich dein Gesicht nicht sehen kann. Wenn sie uns tatsächlich einbuchten, dann wirst du wenigstens nicht mehr viel davon erleben, drei Monate geben dir die Ärzte noch, nicht viel mehr.
Der Polizist zieht an meinem Arm, ich soll mich aufrichten. Du siehst erst den Ferrari an, dann mich. Ein Grinsen liegt auf deinem Gesicht, noch breiter als während der gesamten Autofahrt. „Was ist?“ Die Stimme kommt von hinten. „Ich bin reich“, antwortest du, immer noch breit grinsend, und siehst ihm dabei direkt in die Augen. Er schnaubt verächtlich. Ich frage mich, ob sie dich vor der Gerichtsverhandlung auf psychische Störungen prüfen werden.
Du fängst meinen Blick ab und plötzlich habe ich überhaupt keine Angst mehr. Das, was ich in deinen Augen sehe, rückt meine panischen Gedanken in den Hintergrund. Ich denke an dein ansteckendes Lachen über die lahmen Witze des Moderators, an deine Grölerei zu den Schlagern im Radio, ich denke an den beträchtlichen Fleck Dönersoße auf dem Fahrersitz und an das Gesicht, das der Besitzer des Ferraris machen wird, wenn er herausfindet, warum es in seinem Baby nach Knoblauch stinkt, wenn er die Sitzheizung einschaltet. Ich denke, sollen sie mich doch ins Alcatraz stecken oder sogar nach Azkaban zu den Dementoren. Ich kann mein Grinsen nicht länger unterdrücken. Das alles hat sich auf jeden Fall gelohnt.

 

Hallo Wortesammlerin.

leider formatiert diese Seite Absätze nur mit einem Zeilenrücklauf. Um einen echten Absatz mit Leerzeile zu erhalten, muss man zwei Absätze hintereinander eingeben. Dann ist die Geschichte gleich übersichtlicher und besser zu lesen.

Sogar deine Mütze hast du ausgezogen,
Handelt es sich um eine Wintermütze, die den halben Kopf umgibt, kann man sie ausziehen. Sonst werden Mützen eher abgenommen.

Wie dumm von mir, nicht ins Handschuhfach zu schauen!
Da ich keinen Ferrari fahre, weiß ich nicht, wie das Handschuhfach konstruiert ist. Im Handschuhfach meines Autos hat ein Handy keinen Epfang, weil das Fach recht stabil gebaut ist.

„Ich bin reich“
Dieser Satz ruft einen Sinneswandel beim Prot hervor und die Geschichte ist zu Ende. Das ist mir ein wenig plötzlich und dadurch wirkt die ganze Geschichte wie ein recht belangloses Stammtsichgespräch. Kommt die Erkenntnis, dass Reichtum etwas anderes bedeuten kann, als Geld haben?

Der Fahrer hat noch drei Monate, nicht viel mehr. Ich kenne Menschen, die im Wissen um ihren baldigen Tod das getan haben, was sie schon immer tun wollten. Hier scheint sich diese Energie im Ferrarifahren zu erschöpfen. Kein Wort über das geplante Danach - wahrscheinlich wird sich ja auch nicht mehr viel ereignen.

Gut geschrieben, aber irgendwie saftlos und blutleer.

Liebe Grüße

Jobär

 
Zuletzt bearbeitet:

Hola Wortesammlerin,

ich will Dich nicht lange aufhalten, will Dir nur sagen, dass ich begeistert bin von Deinen schriftstellerischen Fähigkeiten.

Ich schreibe, weil ich die Menschen berühren möchte. Ganz einfach.

Ganz einfach – was denn sonst? Mit Sechzehn! Voraussetzung, man hat so viel Talent wie Du.
Und dazu meinen herzlichen Glückwunsch! Das ist Kapital für’s ganze Leben.
Ich hoffe, Du hast als angehende Bestseller-Autorin und damit Multimillionärin ein gutes Bauchgefühl.

Schöne Grüße!
José

 

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