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Das erste Mal

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26.06.2015
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Das erste Mal

Es war klar, dass dieser Tag kommen würde. Von Anfang an war es klar gewesen. Eigentlich war es erstaunlich, dass es so lange gedauert hatte.

Wie oft war ich zur Arbeit gefahren und hatte mich gefragt, ob es heute passieren würde. Hatte mit mulmigem Gefühl meinen Kittel angezogen und war auf meine Station gegangen. Einige Male war ich tatsächlich davon überzeugt gewesen, dass es nun soweit sei, nachts, wenn mich die Schwester wegen eines Notfalls unsanft weckte.

Es war klar gewesen und nur noch eine Frage der Zeit. Und trotzdem stand ich jetzt da und fühlte mich völlig unvorbereitet. Ich hielt die Patientenakte in der Hand, hatte die Todeszeit eingetragen und schien plötzlich nicht mehr zu wissen, wie es weiterging.
„Du musst da noch unterschreiben.“ Tanja deutete auf die Zeile, unter der „behandelnder Arzt“ stand. Ich starrte auf die Worte, sie kamen mir seltsam falsch vor. Wann war ich Arzt geworden?
„Ist das dein erstes Mal?“, fragte Tanja mich.
Ich nickte stumm.
„Du kannst nichts dafür“, sagte sie und ich nickte nochmals. Ein geplatztes Aneurysma, zu spät eingeliefert, alle Rettungsmaßnahmen erfolglos. Ich konnte nichts dafür. Niemand konnte etwas dafür. Irgendwie wünschte ich mir fast jemanden, dem ich die Schuld geben konnte.
Ich blickte auf die Patientin und ertappte mich dabei, wie ich dachte: Warum sie? Warum kein 80-jähriger Schlaganfallpatient? Warum sie? Warum heute?
Warum ich?
Durfte man sowas denken?
Sie sah so jung aus. Ich suchte auf der Akte nach dem Geburtsdatum und als ich es fand, hätte ich beinahe angefangen zu weinen. Jahrgang 1989, sie war so alt wie ich.
Gewesen.
„Ihr Freund sitzt noch in der Notaufnahme“, sagte Tanja und nahm mir vorsichtig die Akte aus der Hand, die ich so fest umklammert gehalten hatte, dass meine Fingerknöchel ganz weiß waren.
„Ich geh zu ihm“, hörte ich mich selbst sagen, als sei es das Selbstverständlichste der Welt. Als würde ich nicht am liebsten Tanja bitten, mitzukommen. Ich sprach mit fester, ruhiger Stimme und fühlte mich gleichzeitig wie ein kleiner Junge. Ein kleiner Junge, der plötzlich in der Erwachsenenwelt aufwacht, sich verwundert die Augen reibt und sich fragt, wie er da nur hingekommen ist.

Als ich in die Notaufnahme kam, sah ich ihn sofort. Er saß am Getränkeautomaten, die Ellenbogen auf die Knie gestützt, das Gesicht in den Händen vergraben. Ich stellte mir plötzlich vor, wie ich selbst dort säße und auf eine Nachricht von Judith wartete. Schon allein der Gedanke daran war so unerträglich, dass ich ihn sofort weit wegschob, in die hinterste Ecke meines Verstandes.
Ich trat zu ihm. „Sie sind mit Frau Weiß hergekommen?“
Er sprang auf. „Wie geht es ihr?“
Sein Blick flehte um die erhoffte Antwort, suchte in meinem Gesicht nach einer Reaktion, nach einem beruhigenden Lächeln.
Ich kann das nicht.
Ich musste plötzlich an meinen Vater denken. Wie er mich beim Klettern angefeuert hatte, wenn mir der nächste Tritt unendlich weit weg vorgekommen war. „Auf geht’s, Tom!“, hatte er gerufen. „Es kann nichts passieren, ich hab dich!“
Ich wünschte, er wäre jetzt da.

„Es tut mir leid“, sagte ich. Die Worte kamen automatisch aus meinem Mund, als gehöre er nicht mehr mir. In seinen Augen sah ich, wie etwas in ihm zu zerbrechen schien. Vielleicht reichte das schon. Vielleicht musste ich gar nicht mehr sagen.
„Wie geht es ihr?“, fragte er nochmal.
Es reichte nicht. In seinem Blick lag immer noch Hoffnung, ein letzter Rest, an den er sich klammerte und den er nicht hergeben würde, so lange, bis ich ihn ihm gewaltsam entreißen würde.

Wie oft hatte ich über diesen Tag nachgedacht und wie oft hatte ich mir überlegt, was wohl der beste Weg sei, einem Menschen den Tod eines Angehörigen beizubringen. Direkt, ohne Umwege? Vorsichtig und behutsam? Jetzt stellte ich plötzlich fest, dass es keinen besten Weg gab, nicht einmal einen guten. Egal, welche Worte man verwendete, sie waren immer falsch. Der Tod war nie richtig.
„Ihre Freundin hatte ein geplatztes Aneurysma. Sie ist leider zu spät eingeliefert worden, wir konnten sie nicht mehr operieren. Sie ist gestorben. Es tut mir leid.“ Wieder klang meine Stimme souveräner, als ich mich fühlte. Wieder hatte ich das Gefühl, dass sie nicht zu mir gehörte.
„Sie ist meine Verlobte“, sagte er hilflos, als könnte das irgendetwas ändern.
„Es tut mir leid“, wiederholte ich.
Er sah mich stumm an, ballte die Hände zu Fäusten und öffnete sie, immer wieder, als suchten seine Finger nach Halt. Und ich stand da, wusste nicht, was ich sagen oder tun sollte. Am liebsten hätte ich seine Hände festgehalten.

Dann sank er plötzlich auf die Knie, kauerte sich zusammen. Er vergrub das Gesicht in den Armen, die Hände immer noch zu Fäusten geballt, und weinte.
Ich sah mich um. Die Notaufnahme war voller Menschen. „Möchten Sie vielleicht mitkommen? Ich kann ein ruhiges Zimmer für Sie suchen.“
Er reagierte nicht. Mit einem Mal war mir ebenfalls nach Weinen zumute, am liebsten wäre ich davongelaufen und hätte mich irgendwo verkrochen. Hätte mich ganz klein gemacht, damit keiner mich sehen konnte. Aber ich blieb stehen, ratlos. Sollte ich gehen? Oder bleiben und versuchen, ihn zu trösten? Wie tröstet man jemanden, für den es keinen Trost gibt? Das hatten wir nicht gelernt in unserem Studium.
Vielleicht tat ich es, weil es mir schier das Herz brach, wie er so verloren dasaß. Vielleicht, weil es plötzlich keine Worte mehr zu geben schien. Oder ich sie nicht kannte. Eigentlich weiß ich es selbst nicht. Ich setzte mich einfach neben ihn, auf den Fußboden, mitten in der Notaufnahme. Ich hielt nicht seine Hand, ich sagte nichts.
Ich hörte nur zu, wie er weinte.

Und während ich dort saß und auf meine Schuhe starrte, sein leises Schluchzen an meinem Ohr, das Stimmengewirr im Hintergrund, da wusste ich plötzlich, dass ich heute Abend meinen Vater anrufen würde. Und irgendwie war das tröstend.

 
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Hey Tintenfisch,

schön! Wirklich sehr schön. Ich habe das total gern gelesen, wenn man das zu so einem Text überhaupt sagen kann. Für mich war das alles total stimmig und das Bild, wie die beiden da am Ende auf dem Fußboden sitzen auch total schlüssig und dann kam da noch der Satz mit dem Vater, den ich nicht wirklich kapiere und dann war Ende. Wo ist die Geschichte, die zu dem Vater gehört? Was tut diese Erfahrung mit Tom? Wie ergeht es ihm am nächsten Tag, in der nächsten Woche, bei seinem zweiten Todesfall? Wie in der Zeit dazwischen und wie läuft es mit dem Vater? Komm schon, schreib weiter. Noch vier Szenen wie diese! Erzähl mir die ganze Geschichte.

Und davor noch mal eben schnell die fünf Regeln für die wörtliche Rede angeschaut: udoklinger.de/Deutsch/Grammatik/W.Rede.htm
Sind nicht viele, ist nicht schwer, schaffst Du!

Ärmel hoch und losgetippt.
In diesem Sinne, Fliege

PS: Okay, ich kapiere die Vatergeschichte natürlich. Der Satz klebt halt nur so am Ende dran. Das Fußbodensitzen ist bis dato ein sehr viel schönerer Schluss für mich. Aber ich hätte so gern mehr ;).

 

Hallo Tintenfisch,

Deine erste Geschichte bei den Wortkriegern und ich bin sehr beeindruckt. Offensichtlich schreibst Du schon länger, denn ich habe keine weiteren verbesserungswürdigen Punkte gesehen.

Die Geschichte mit dem Vater: Ich denke, sie ist gut so und muss nicht ausgebaut werden. Ich hatte jedenfalls sofort Bilder vor Augen. Und so erinnert mich Deine Geschichte daran, dass ich auch mal wieder meinen vater anrufen sollte - bevor es zu spät ist und weil es gut ist, jemanden zu haben, der sagt "Ich halte Dich".

Sehr gerne gelesen.

Jobär

 

Hallo Tintenfisch,
ganz fein beobachtet. Das sind so die ersten Male, auf die uns das Leben nicht vorbereitet. Ich empfand die Reaktionen aller Beteiligter total stimmig. Sogar Tanja, die nur eine Statistenrolle hat, wirkt plastisch.

Er sah mich mit stumm an, ballte die Hände ...
Kleiner Stolperer, ansonsten sehr berührende Szene.
Freue mich auf die richtig grossen Momente von dir, da schlummert viel Erzählkraft. Lass sie raus ...

Sehr gern gelesen,
Gruss dot

 

Hallo Fliege,

danke für deinen Kommentar. Du hast natürlich Recht, es ist mehr eine Szene, als eine Geschichte. Ich habe mich irgendwie nicht getraut, gleich etwas Langes einzustellen. Die wörtliche Rede schau ich mir gleich nochmal an. Ehrlich gesagt, kannte ich diese Regeln bisher gar nicht.

schön! Wirklich sehr schön.
- und das freut mich natürlich sehr!

Hallo jobär,

auch dir danke! Meine erste Geschichte hier und gleich so ein netter Kommentar, das freut mich. Ich habe, bis ich 16 war, "für mich" Geschichten geschrieben, dann aber wieder aufgehört und jetzt erst vor zwei oder drei Monaten wieder angefangen.

Hallo dotslash,

danke für dein Feedback, das motiviert mich, weiterzuschreiben. :) Den Stolperer hab ich ausgebessert. (Irgendwas übersehe ich immer.)

Hallo Feuerwanze,

danke! Freut mich.


Liebe Grüße,

Tintenfisch

 

Hey Tintenfisch

Eine traurige kleine Geschichte. Kurzzeitig stand ich kurz davor, gleich zu heulen - gut, ich bin nahe am Wasser gebaut, ich gebs zu. :) Trotzdem, ein berührender Text, einfühlsam geschrieben. Die Dialoge wirken total echt. Einzig am Anfang stört mich etwas:

Es war klar, dass dieser Tag kommen würde. Von Anfang an war es klar gewesen. Eigentlich war es erstaunlich, dass es so lange gedauert hatte.

Für meinen Geschmackt ein bisschen zu viel "war".

Aber ansonsten bin ich echt beeindruckt. Die ganze Szene erinnert mich leicht an Grey's Anatomy, vielleicht hattest du beim Schreiben so was Ähnliches im Kopf? :)

Herzlich, nevermind

 
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Hallo Tintenfisch,

eine sehr berührende Kurzgeschichte ist dir da gelungen. Wie viele Ärzte so empfunden haben, als sie ihren ersten Todesfall hatten? Bestimmt so einige, da verwundert es nicht, dass Menschen in diesem Berufszweig überdurchschnittlich mit Alkoholproblemen zu kämpfen haben. Aber du zeichnest ein intensives Stimmungsbild dieses jungen Arztes und ich war voll in der Geschichte. Sprachlich sauber, die Charaktere verhalten sich authentisch, einfach sehr gute Unterhaltung. Spitze.

Ich blickte auf die Patientin und ertappte mich dabei, wie ich dachte: „Warum sie?“ Warum kein 80-jähriger Schlaganfallpatient? Warum sie? Warum heute?

Die Anführungszeichen brauchst du nicht, zumal dein Protagonist auch nach dem Ende der Anführungszeichen denkt.

Ich suchte auf der Akte nach dem Geburtsdatum und als ich es fand, hätte ich beinahe angefangen, Kein Komma zu weinen.

Schon allein der Gedanke daran war so unerträglich, dass ich ihn sofort ganz weit wegschob, irgendwo in die hinterste Ecke meines Verstandes.

Der Satz würde sich ohne Füllworte deutlich schöner lesen.
Allein der Gedanke daran war so unerträglich, dass ich ihn wegschob, in die hinterste Ecke meines Verstandes.

„Es tut mir Leid“, sagte ich.

leid

Mit einem Mal war mir ebenfalls nach Weinen zumute, am liebsten wäre ich davongelaufen und hätte mich irgendwo verkrochen. Hätte mich irgendwo ganz klein gemacht, damit keiner mich sehen konnte.

Die irgendwos brauchst du nicht. ;)

Sehr gerne gelesen.

Beste Grüße,
gibberish

 

Hallo Tintenfisch!

Dem Lob meiner Vorkommentatoren kann ich mich nur anschließen.

Ärzte gelten als Halbgötter in Weiß. Es hat wahrscheinlich mit dem Verlust an Religiosität in unserem säkularisiertem Zeitalter zu tun, dass Ärzte an die Stelle von Schutzengeln, ja an die Stelle Gottes getreten sind als übermenschlich mächtige Verbündete und Nothelfer gegen den Tod - High-Tech-Medizin als Ersatzreligion.

Und diese quasi-religiöse Verehrung des Arztes als Halbgott in Weiß hat wahrscheinlich deinen Ich-Erzähler den Arzt-Beruf ergreifen lassen - das kann man aus dieser Stelle erschließen:

Ein geplatztes Aneurysma, zu spät eingeliefert, alle Rettungsmaßnahmen erfolglos. Ich konnte nichts dafür. Niemand konnte etwas dafür. Irgendwie wünschte ich mir fast jemanden, dem ich die Schuld geben konnte.

Der Ich-Erzähler sagt sich, dass er selbst nicht schuld ist, genauer: Er schärft sich ein, dass er nicht schuld ist und will einen Sündenbock - also ist er nicht wirklich von seiner Schuldlosigkeit überzeugt. Eine Instanz in seiner Seele gibt ihm offenbar die Schuld am Tod der Frau. Diese Instanz ist sein Ich-Ideal, dieses doch ganz schön aufgeblähte Ich-Ideal, das er (und viele Mitmenschen) von sich hat: Ein Halbgott in Weiß und übermächtiger Retter und Heilgott zu sein.

Es beginnt der schmerzliche Prozess, einsehen zu müssen, dass er kein übermächtiger helfender und schützender Vatergott ist, sondern manchmal selbst immer noch wie in der Kindheit seines schützenden und helfenden Vaters bedarf.

Deine psychologisch einfühlsame Geschichte habe ich gerne gelesen!
Grüße
gerthans

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Maria, nevermind, gibberish und gerthans,

Oh Mann, so viel Lob, das hab ich gar nicht erwartet. Danke euch! Ich bin ganz geplättet.

Und danke auch für eure Hinweise und Verbesserungsvorschläge. Ich setz mich gleich dran und bessere die Fehler aus.

nevermind: Ja, da sind viele "war"s drin, merke ich gerade. Mal schauen, vielleicht fällt mir noch was ein.

gibberish: Das mit den Füllwörtern ist mir auch selbst immer beim Durchlesen aufgefallen, du glaubst gar nicht, wie viele ich schon rausgeschmissen habe. :D Du hast Recht, die braucht man nicht.

Liebe Grüße,

Tintenfisch

 

Hallo Tintenfisch,

wie sollte ein Arzt sein? Er hat sich mit hingesetzt und dem Verlobten der Verstorbenen beim Weinen, beim Trauern zugeschaut. Ich glaube, in so einem Moment kann so viel passieren, weil man nicht weiß, wie ein Mensch, der einen so herben Verlust erlitten hat, in diesem Augenblick tickt. Da können bestimmt alle Gefühle aktiviert werden, unter anderem auch Gewalt. Einfach, weil man nicht akzeptieren will, was da passiert ist. Ich weiß nicht, ob ein Arzt mittrauern sollte. Er sollte versuchen, dem Betroffenen Halt zu geben. Aber am schlimmsten sind Ärzte, die kaltschnäuzig sind und die keine Gefühle zu haben scheinen, was in den meisten Fällen auch nur eine Schutzfunktion ist.

Ich will aber nicht so um den heißen Brei herumreden. Mir hat deine Geschichte super gefallen und ich kann auch erst jetzt wieder richtig sehen, weil mir die Tränen den Blick verschleiert haben. Ja, ich habe akzeptiert, dass der Arzt so gehandelt hat. Und mir hat sehr gefallen, wie du den inneren Kampf, den der Arzt mit sich ausfechten musste, beschrieben hast.
Und natürlich ist der letzte Satz eine Punktlandung. Wir sollten nicht aufschieben, jemandem zu sagen, dass man ihn mag, dass man an ihn denkt, dass man ihm etwas sagen will ...

Da ich die erste Version nicht gelesen habe, ist der Text für mich sprachlich sauber, obwohl ich an dieser Stelle

Ich stellte mir plötzlich vor, wie ich selbst dort saß und auf eine Nachricht von Judith wartete.

statt des Indikativs den Konjunktiv II benutzt und aus dem saß ein säße gemacht hätte. Das hat mich an dieser Stelle nur etwas nachdenken lassen.

Tolle Geschichte, sehr gerne gelesen!

Schönen Gruß
khnebel

 

Hallo khnebel,

Ich will aber nicht so um den heißen Brei herumreden.

Find ich nicht schlimm, dass du noch "um den heißen Brei herumgeredet hast", im Gegenteil. Ich weiß auch nicht, ob ein Arzt mittrauern sollte. Vielleicht ist "trauern" dafür nicht der richtige Ausdruck, aber dass man manche Todesfälle mit nach Hause nimmt, da bin ich mir sicher.

Mir hat deine Geschichte super gefallen und ich kann auch erst jetzt wieder richtig sehen, weil mir die Tränen den Blick verschleiert haben.
Oh, wow, danke! Ein schöneres Kopliment kann man sich ja fast nicht wünschen.

Das mit dem Konjunktiv änder ich gleich. So wie ich es formuliert hatte, klingt es tatsächlich so, als erzähle er von seiner wirklichen Vergangenheit.

Lieber gerthans,

ich hoffe, dass du das noch liest. Ich konnte gestern nur so kurz auf deinen Kommentar eingehen, dabei hast du mir so viel geschrieben. Das hol ich jetzt nach.

Der Ich-Erzähler sagt sich, dass er selbst nicht schuld ist, genauer: Er schärft sich ein, dass er nicht schuld ist und will einen Sündenbock - also ist er nicht wirklich von seiner Schuldlosigkeit überzeugt. Eine Instanz in seiner Seele gibt ihm offenbar die Schuld am Tod der Frau.
Diese Instanz ist sein Ich-Ideal, dieses doch ganz schön aufgeblähte Ich-Ideal, das er (und viele Mitmenschen) von sich hat: Ein Halbgott in Weiß und übermächtiger Retter und Heilgott zu sein.

Das hat mich zum Nachdenken gebracht. Also, ja, ein "Ich-Ideal" hat vermutlich jeder und dieses kann sehr, sehr streng mit uns sein. Aber es hier dem Ideal "des Halbgotts in Weiß" entspricht, auf diesen Gedanken bin ich so noch gar nicht gekommen.
Denke immer noch darüber nach. Danke!


Liebe Grüße,
Tintenfisch

 

Hallo Tintenfisch,

Deine andere Geschichte hat Eindruck hinterlassen, sodass ich gleich mal gucken musste, was du sonst noch so schreibst. Und siehe da, du scheinst dieses gefühlvolle Beobachten und beleuchten eines tragischen Hintergrundes zu deinem Thema gemacht zu haben. Hier ist das perfekt so, würde ich nicht von mehr Distanz sprechen so wie ich es unter deine andere kg als Idee geschrieben habe, dieser Text hier lebt von der Nähe und die hast du wirklich bedrückend dicht und berührend in Szene gesetzt. Auch das Ende mit dem Vater finde ich einen gelungenen Schluss.
Erst wenn einem die Vergänglichkeit so vor Augen geführt wird, wird einem klar, wie wertvoll die Dinge sind, die wir für selbstverständlich hinnehmen.

Grüßlichst
Weltenläufer

 

Hallo weltenläufer,

das ist total schön, zu hören, ich weiß gar nicht, was ich sagen soll. :) Vielen Dank!! Es freut mich, dass dir auch diese geschichte gefallen hat!

Liebe Grüße,
Tintenfisch

 

Hi Tintenfisch

Gerade bin ich über die Geschichte gestolpert und wollte nur kurz im Vorbeigehen sagen, dass ich sie ganz beeindruckend finde. Vieles gefällt mir dabei, vor allem aber auch der Einfall, den Vater im Hintergrund erscheinen zu lassen, gerade so angedeutet, und trotzdem gibt er - kann man das so sagen? - der Geschichte Halt.

Allenfalls vom Titel bin ich nicht so begeistert. Das Spiel mit enttäuschten Lese-Erwartungen ist mir für das, was dann kommt, eigentlich eine Spur zu flapsig.

Und noch eine winzige Überlegung:

Sie sah so jung aus. Ich suchte auf der Akte nach dem Geburtsdatum und als ich es fand, hätte ich beinahe angefangen zu weinen.
Ich könnte mir vorstellen, dass die Handlung am Ende noch stärker wirkt, wenn das Weinen hier noch nicht droht.
Speziell dies hier:
Mit einem Mal war mir ebenfalls nach Weinen zumute
könnte dann frischer wirken.

In den Kommentaren hat jemand von einer anderen Geschichte von dir geschrieben. Die ist wohl gelöscht?! Gemeinheit!

Besten Gruß
erdbeerschorsch

 

Hey erdbeerschorsch,

vielen Dank für deinen Kommentar, hab gar nicht damit gerechnet, dass nochmal jemand was zu dieser Geschichte schreibt ;)

Freut mich sehr, dass sie dir gefallen hat!

Ich könnte mir vorstellen, dass die Handlung am Ende noch stärker wirkt, wenn das Weinen hier noch nicht droht.
Speziell dies hier:
Gute Anmerkung, werd ich mir durch den Kopf gehen lassen!

Zu dem Titel: Ich hatte ehrlich gesagt überhaupt nicht vor, den Leser irgendwie zu täuschen. Bis zu deinem Kommentar wär ich gar nicht auf die Idee gekommen, dass man den Titel auch anders interpretieren könnte. Ist ein guter Hinweis, auch wenn ich den Titel jetzt wohl nicht mehr ändern werde.

In den Kommentaren hat jemand von einer anderen Geschichte von dir geschrieben. Die ist wohl gelöscht?! Gemeinheit!
Die ist nur vorübergehend nicht zu finden ;)

Danke dir nochmal!

Liebe Grüße,

Tintenfisch

 
Zuletzt bearbeitet:

Hi Tintenfisch

während des Lesens hatte ich immer das Gefühl, selbst in dem Krankenhaus zu sein und diese tragische Szene mitzuerleben. Kompliment dafür, wie du es schaffst, den Leser in deine Geschichte eintauchen zu lassen.

Auch von deinem Schreibstil bleibt einiges hängen. Das Lesen hat total Spaß gemacht. Die gesamte Geschichte wirkt auf mich sehr harmonisch und stimmig.

Der einzige kleine Störungsfaktor meinerseits ist, dass du zu Beginn zu häufig betonst, wie klar es doch war, dass dies passieren würde.

Es war klar, dass dieser Tag kommen würde. Von Anfang an war es klar gewesen. Eigentlich war es erstaunlich, dass es so lange gedauert hatte.

Wie oft war ich zur Arbeit gefahren und hatte mich gefragt, ob es heute passieren würde. Hatte mit mulmigem Gefühl meinen Kittel angezogen und war auf meine Station gegangen. Einige Male war ich tatsächlich davon überzeugt gewesen, dass es nun soweit sei, nachts, wenn mich die Schwester wegen eines Notfalls unsanft weckte.

Es war klar gewesen und nur noch eine Frage der Zeit.


Hier wäre vielleicht etwas weniger mehr

Ansonsten - Daumen hoch !!! :thumbsup:

Grüße, KuJog

 

Hallo KuJog,

ich danke dir für deinen Kommentar!

Dass dir meine Geschichte gefallen hat, freut mich natürlich zu hören. :)

Danke auch für den Hinweis mit der Wiederholung bzgl "klar". Ich werde die Geschichte erstmal so lassen (sie ist ja auch shcon bisschen älter), aber das bedeutet nicht, dass ich deine Kritik nicht hilfreich fand!

Liebe Grüße,

Tintenfisch

 

Hallo Tintenfisch,

schön, dass deine Geschichte nochmal aufgepoppt ist, sonst hätte ich was Schönes verpasst. :)

Ich habe die anderen Kommentare nicht gelesen; es könnte sich also teilweise was wiederholen.

Am Anfang wiederholt es sich zu oft, finde ich.

"war klar, war es klar, war es erstaunlich"

Es war klar, dass dieser Tag kommen würde. Von Anfang an war es klar gewesen. Eigentlich war es erstaunlich, dass es so lange gedauert hatte.
Könnte man kürzen:
Es war von Anfang an klar gewesen, dass dieser Tag kommen würde. Eigentlich war es erstaunlich, dass es so lange gedauert hatte.

Es war klar gewesen und nur noch eine Frage der Zeit
Das wiederholt sich hier schon wieder.

Tanja deutete auf die Zeile, unter der „behandelnder Arzt“ stand.
Das würde ich anders als eine wörtliche Rede formatieren:
Tanja deutete auf die Zeile, unter der behandelnder Arzt stand.

Irgendwie wünschte ich mir fast jemanden, dem ich die Schuld geben konnte.
„Irgendwie“ und „fast“ schwächt das ganze zu sehr ab. Wünscht es es sich oder nicht?

Sein Blick flehte um die erhoffte Antwort, suchte in meinem Gesicht nach einer Reaktion, nach einem beruhigenden Lächeln.
Die Worte kamen automatisch aus meinem Mund, als gehöre er nicht mehr mir.
Das ist zwei der schönen Formulierungen in deinem Text. Sehr gut.

Jahrgang 1989, sie war so alt wie ich.
Viel dramatischer wäre doch, wenn es das gleiche Alter seiner Freundin wäre, zudem er auch an Judith denkt.

Ich musste plötzlich an meinen Vater denken.
Warum denn? Was ist denn mit seinem Vater? Ist er ähnlich krank?

Wie oft hatte ich über diesen Tag nachgedacht und wie oft hatte ich mir überlegt, was wohl der beste Weg sei, einem Menschen den Tod eines Angehörigen beizubringen. Direkt, ohne Umwege? Vorsichtig und behutsam? Jetzt stellte ich plötzlich fest, dass es keinen besten Weg gab, nicht einmal einen guten. Egal, welche Worte man verwendete, sie waren immer falsch.
Hier hätte ich mir gut vorstellen können, dass er an andere Kollegen denkt. Was sie ihm darüber erzählt haben, wie sie es machen, welche Gedanken sie sich beim ersten Mal gemacht hatten und wie sie überhaupt damit umgehen.

Wie tröstet man jemanden, für den es keinen Trost gibt? Das hatten wir nicht gelernt in unserem Studium.
Da ist so ein Hinweis, den ich oben vermisst habe. Was empfehlen andere?

Dann fällt mir auf, dass du oft „plötzlich“ verwendest. Die Such-Funktion findet neun Treffer. :Pfeif:

Ich denke, man sollte mit diesem Ausdruck sehr sparsam umgehen, ihn nur einsetzten, wenn tatsächlich etwas aus heiterem Himmel passiert.

Hier z.B. funktioniert es auch ohne „plötzilch“ sehr gut:

Jetzt stellte ich plötzlich fest, dass es keinen besten Weg gab, nicht einmal einen guten.
In anderen Fällen könntest du auch Synonyme verwenden, wenn es unbedingt notwendig ist.

Abgesehen vom Anfang, der mir nicht so gut gefällt (aber das sind ja nur der Sätze von vielen), habe ich deine Geschichte sehr gerne gelesen.
Wünsche mir, es wäre(n) mehr als bloß diese kurze(n) Szene(n).
Also: gerne mehr!

Schönen Feiertag und liebe Grüße,
GoMusic

 

Hallo GoMusic,

danke für deinen Kommentar!

Mit den Wiederholungen geb ich dir Recht (das wurde auch von KuJog angemerkt), ich denke, da lässt sich was kürzen.

„Irgendwie“ und „fast“ schwächt das ganze zu sehr ab. Wünscht es es sich oder nicht?
Ja, ich versuch, Füllwörter wie "irgendwie" und "fast" sonst auch immer zu vermeiden. Bei diesem Satz bin ich aber noch am überlegen, ob ich sie wirklich raushauen will. ;)

Warum denn? Was ist denn mit seinem Vater? Ist er ähnlich krank?
Hm, ich dachte eher wegen dem "Ich kann das nicht.". Aber das ist dann wohl nicht deutlich genug ...

Dann fällt mir auf, dass du oft „plötzlich“ verwendest. Die Such-Funktion findet neun Treffer.
Danke für diesen Hinweis! Ist mir so noch gar nicht aufgefallen, aber du hast Recht. Da werd ich paar "plötzlich"s rausschmeißen.

Ich hab die Geschichte schon ewig nicht mehr angeschaut und ich weiß auch noch nicht, wann ich genau dazukomm, sie nochmal zu überarbeiten. Aber dann werd ich deine Hinweise, genauso wie die von erdbeerschorsch und KuJog berücksichtigen.

Vielen Dank dir fürs Kommentieren und es freut mich natürlich sehr, dass dir die Geschichte gefallen hat :)

Liebe Grüße,

Tintenfisch

 

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