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Im Präsens schreiben

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22.10.2011
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Im Präsens schreiben

Wie ja einige wissen, überarbeite ich gerade einen Schülerroman über syrische Jugendliche, die nach Deutschland geflüchtet sind. Der Roman ist im Präsens verfasst. Die Jugendlichen wurden beim Schreiben von einer Autorin angeleitet, die ihnen diese Zeitform anempfohlen hat.
Nun steh ich vor dem Problem, dass bei Rückblenden oder zeitlichen Rückbezügen ziemlich wild Perfekt und Präteritum durcheinander verwendet werden. Diese Sache klingt ziemlich scheiße.
Ich merk da jetzt sehr deutlich, dass ich immer im Präteritum geschrieben habe oder dieser Schwierigkeit auf andere Weise aus dem Weg gegangen bin. Der Deutschunterricht-Leitlinie, Prät und Plusquamperfekt gehören zusammen und Präsens und Perfekt kann ich nicht besonders viel abgewinnen. Wie gehts denn richtig bei einem ordentlichen Autoren?
Ganz großes Sorry, aber ich hab grad keine Zeit das selbst zu recherchieren oder nachzugucken, wie das gemacht wird.

 

Hallo Novak,
schau doch mal hier:
marcusjohanus.wordpress.com/2013/07/06/in-welcher-zeitform-du-deinen-roman-schreiben-solltest/
Besonders unter dem Begriff 'dramatisches Präsens' und der Überschrift 'Die hohe Kunst' steht vielleicht etwas, was du gebrauchen kannst.

Natürlich gehört zum Präsens als Vorzeitigkeit das Perfekt, aber auch ich finde das Präteritum oft einfacher und schöner.
Keine Ahnung, ob dir das hilft?
Liebe Grüße
barnhelm

 

Hallo zusammen,

ich habe jetzt mal keinen neuen Thread aufgemacht. (Weiß nicht, ob das richtig ist. Ansonsten bitte korrigieren.) Der Titel ist ja allgemein formuliert. Mir geht es nicht um das Tempus für die Vorzeitigkeit, sondern grundsätzlich darum, wie es ist, in der Vergangenheit zu schreiben oder eben im Präsens.

Vor noch nicht allzu langer Zeit fand ich Präsens undenkbar. Jetzt schreibe ich selbst so, anscheinend beeinflusst von dem, was ich zuletzt gelesen habe. In der Vergangenheit zu schreiben, fühlt sich für mich momentan seltsam an, so distanziert.

Erstens die Wahl der Zeitform. Folgendes ist im Grunde unmöglich:

Ich gehe die Straße entlang, sehe die Häuser links und rechts, die blühenden Bäume. Ich rieche den Duft der Blüten. Ich denke an die zurückliegenden Wochen, in denen ich …

Kein Mensch nimmt die Welt (die innere wie die äußere) auf diese Weise wahr, außer vielleicht für eine kurze Zeit die Teilnehmer eines Vipassanā-Retreats. Die Empfindung und die Beschreibung dieser Empfindung sind zwei verschiedene Dinge. Niemand betrachtet eine Blume und denkt: Ich betrachte eine Blume.
[...] Entweder wir erleben die Welt oder wir reflektieren über das, was wir erlebt haben. Beides zur gleichen Zeit geht nicht, zumindest nicht in der Komplexität, die zum Erzählen einer Geschichte nötig ist.

Überhaupt: Eine Geschichte ist immer etwas Geformtes. Sie entsteht nicht spontan, sondern stets retrospektiv. Mit anderen Worten: Niemand erlebt eine Geschichte. Geschichten entwickeln sich erst hinterher, indem wir Ereignisse miteinander in Verbindung setzen.


Das, was Achillus an barnhelm geschrieben hat, finde ich sehr spannend, bringt mich gleichzeitg aber ins Grübeln. Habe ich mehr Möglichkeiten, wenn ich in der Vergangenheit schreibe, weil ich deutlich kennzeichne, dass ich erzähle? Kann ich überhaupt im Präsens erzählen? Oder ist das nur eine Frage der Konvention, der Wahrnehmung?

Verwirrte Grüße
Anne

 

Liebe Anne49,

schön, dass du das aufgegriffen hast. Denn das geht mir auch schon durch den Kopf, seit ich es heute bei Achillus gelesen habe. Bin auch noch nicht wirklich weiter. Aber schön, dass du die Diskussion aufgenommen hast. Und ich bin sehr interessiert, auch andere Meinungen zu hören.

Grüße
barnhelm

 
Zuletzt bearbeitet:

Habe ich mehr Möglichkeiten, wenn ich in der Vergangenheit schreibe, weil ich deutlich kennzeichne, dass ich erzähle? Kann ich überhaupt im Präsens erzählen? Oder ist das nur eine Frage der Konvention, der Wahrnehmung?

ich schließe mich Bas und sage auch: klar kannst du im Präsens erzählen. :) Literatur darf alles, wie Kunst allgemein.
in meinen Augen ist die Präsenserzählung ein unlogischer Kunstgriff. aber zulässig. und wenn du dich im Präsens gerade wohlfühlst, schreibe dich da durch, wäre meine Empfehlung.
unlogischer Kunstgriff ist Präsens beim Erzählen, weil Geschichten ja eigentlich in der Vergangenheit erzählt werden müssen - sie sind ja schon geschehen, wenn wir davon erzählen. wir haben ja auch diese Vorstellung vom linearen Zeitverlauf, was eine so selbstverständliche Konvention ist, dass wir sie kaum mehr wahrnehmen.
ob unsere Ahnen ums Feuer versammelt dem Rest des Clans berichten, wie Krek bei der Mammutjagd starb oder ob wir hier Geschichten aufschreiben, hochladen und veröffentlichen - das Prinzip ist meines Erachtens gleich. es werden bereits geschehene Ereignisse verarbeitet und mitgeteilt
aber Präsens kann zusätzliches Tempo in Geschichten bringen. da ist schon weniger Distanz drin, sehe ich auch so - es wird mit der Fiktion gearbeitet, dass alles gerade jetzt geschieht. so könnte mensch auch den Ich-Erzähler sterben lassen, was immer noch eine unerwartete Wendung ist und was andere Erzähler nicht können, denn sie müssen ja die Geschichte noch erzählen, können also nicht in ihr gestorben sein.

ps: aber gutes Geschichtenerzählen schafft - vllt über Interessantheit und Identifikation? - es auch, in der Vergangenheit die Geschichten so zu vermitteln, dass der Laser 'eintauchen' kann, also sich quasi in der Geschichte befindet, mitfiebert, mitfühlt. mir ist das letztens bei einer mündlichen Erzählung aufgefallen - da war ich die ganze Zeit mittendrin, obwohl die Erzählerin eindeutig von der Vergangenheit berichtete und lebte
und ich kann mir Präsens wirklich nur für Ich-Erzähler gut vorstellen. das ist ja ein doppelter Zoom: in die immer jetzt gerade jetzt vergehende Gegenwart und in den Figurenkopf. damit ist man als Leser ganz nah dran und drin. wird aber wahrscheinlich auch schneller und ruppiger rausgeworfen, wenn was nicht funktioniert. irgendwas muss diese extreme und wirkmächtige Kombination kosten.

 

Hallo Ihr Zwei,

das ist schon witzig, wie dieses Thema hochkocht. Ich stolpere nämlich bei jeder Geschichte hier, die im Präsens geschrieben ist, dachte aber immer, dass dies an mir läge, bis ich heute den Kommentar von Achillus gelesen habe und das Gefühl hatte, mir spricht da jemand aus der Seele.

Ein ähnliches Problem habe ich mit der Ich-Perspektive und die Kombination von Präsens und Ich-Perspektive, die in dem obigen Beispiel verwendet wird, verschärft die Problematik noch.

Andererseits ist jede Erzählperspektive und auch jede Zeitwahl künstlich und letztlich auch unrealistisch und bei jeder Wahl gibt es die Gefahr, Widersprüche zu erzeugen.

Ich sehe bei der Thematik zwei Ebenen:
1) Die Autorenebene
2) Die Leserebene

Die Autorenebene betrifft das Schaffen der Geschichte und damit auch Fragen, wie man den Leser fesselt, wie man möglichst nahe an die Figuren kommt, etc. Dazu stellt man als Autor gerne Theorien und Regeln auf, die helfen sollen, gewünschte Effekte zu erzielen (oder dem Autor das Schreiben erleichtern sollen).

Und dann gibt es die Ebene des Lesers, der sich an bestimmten Dingen stört und an anderen nicht, was aber am Ende sehr individuell ist, vom "Zeitgeist" abhängt, etc. Ich habe mich z. B. durch die vielen Geschichten hier, die in der Ich-Perspektive und/oder im Präsens geschrieben sind, an die damit verbundenen Probleme/Widersprüchlichkeiten in gewissem Maße gewöhnt (wobei natürlich die Anzahl der Widersprüche und wie sehr sie stören von der Fähigkeit des Autors abhängt).

Lese ich eine Geschichte durch meine "Autorenbrille", springen mir aber Probleme/Widersprüche stark ins Auge, weil ich dann versuche, darauf zu achten. Die Autorenbrille kann aus meiner Sicht übrigens dazu führen, dass der auf der Leseebene erzeugte Effekt nicht wahrgenommen wird (ein Problem, was ich grundsätzlich immer wieder mit Kommentaren habe, weil die meisten Kommentare mit der Autorenbrille auf der Nase verfasst sind und daher womöglich verkennen, welchen Effekt der Autor auf der Leseebene eigentlich erzeugen wollte).

Also was tun? Ich denke, dass es am Ende egal ist, welche Perspektive man wählt oder welche Zeitform(en). Wahrscheinlich sollte man aber möglichst wenige/keine oder nur sehr bewusst gesetzte Widersprüche in Bezug auf die gewählte Erzählperspektive und Zeitform erzeugen, um den Lesefluss nicht zu stören, z. B. weil man beim Leser unrealistische Bilder oder Empfindungen hervorruft.

Am Ende ist wohl die Kunst, zu wissen was man tut oder wenigstens eine gutes Bauchgefühl dafür zu haben, welchen Effekt man mit der Art zu schreiben erzielt.

Gruß
Geschichtenwerker

 
Zuletzt bearbeitet:

Zu dem von dir zitierten Auszug aus einem Kommentar von Achillus:

Erstens die Wahl der Zeitform. Folgendes ist im Grunde unmöglich:

Ich gehe die Straße entlang, sehe die Häuser links und rechts, die blühenden Bäume. Ich rieche den Duft der Blüten. Ich denke an die zurückliegenden Wochen, in denen ich …

Kein Mensch nimmt die Welt (die innere wie die äußere) auf diese Weise wahr, außer vielleicht für eine kurze Zeit die Teilnehmer eines Vipassanā-Retreats. Die Empfindung und die Beschreibung dieser Empfindung sind zwei verschiedene Dinge. Niemand betrachtet eine Blume und denkt: Ich betrachte eine Blume.

Ich weiß nicht, in welchem Zusammenhang Achillus das geschrieben hat, aber ich finde, er weist auf etwas sehr Wichtiges hin, es ist doch tatsächlich so, dass man die Welt nicht so methodisch wahrnimmt. Nur hat das für mich gar nicht so sehr viel mit der gewählten Zeitform zu tun. Im Ptäteritum würde ich das eventuell auch monieren. Sondern es hat was damit zu tun, dass wir zu oft (und zu selbstverständlich ohne Bewusstsein dafür) bei der Darstellung eines Wahrnehumgsvorgangs den Wahrnehmenden und die Wahrnehmung durch den Akt der Wahrnehmung (das sehen, hören, riechen) voneinander trennen.
Man schreibt: Ich gehe die Straße entlang, sehe die Häuser links und rechts, die blühenden Bäume. Ich rieche den Duft der Blüten. Ich denke an die zurückliegenden Wochen, in denen ich …
anstatt zu schreiben: Ich gehe die Straße entlang. Rechts und links blättern Häuserfassaden munter vor sich hin, in den Gärten blühen Kastanien. Mandelduft weht zu mir herüber (oder liegt in der Luft oder der Duft eines Mandelbaums bringt mich zum Niesen und ich finde, dass man Mandelbäume grundsätzlich abholzen sollte.) Ich denke an die zurückliegenden Wochen.
Also anstatt einfach zu zeigen, was der Protagonist da sieht oder riecht. Den Zusammenhang zwischen dem durch die Straßen wandelnden Menschen und den Bäumen und Häusern leistet der Leser schon automatisch.

Ich meine übrigens nicht, dass man dieses "Ich sehe, ... ich rieche, ... überhaupt nicht machen darf, sondern ich finde nur, dass man sich bewusster machen soll, dass und was man da macht. Es gibt mit Sicherheit Situationen, wo es genau richtig ist, diese Wahrnehmungstrennung zu betonen. Dann zum Beispiel, wenn man darstellen will, dass oder wie sehr jemand neben sich steht.

Das alles wäre aber im Präteritum aber auch nicht viel anders.

Und ganz grundsätzlich meine ich, das sind zum Teil Modeerscheinungen und Geschmacksentscheidungen, ob man eher im Präsens oder im Präteritum schreibt. Oder ob man die indirekte Rede sehr betont statt der Dialoge.
Präsens und Präteritum haben ihre jeweiligen Vorteile. Von der Logik her müsste man die Vergangenheit verwenden, weil das Erzählte bereits Vergangenheit ist. Aber Präsens täuscht eben Jetztzeitigkeit und damit Aktualität des Geschehens vor. Es ist auch imstande, generell Spannung zu erhöhen, wenn man in der Zeit wechselt innerhalb einer Geschichte.
Ebenso ist es mit der Ichperspektive. Sie bietet Identifikationspotential wie blöd. Personales und Auktoriales Erzählen haben wieder andere Vorteile.
Es gibt da doch kein Falsch oder richtig, sondern es gibt nur eine Reihe schreiberischer Methoden und Tricks, von denen es gut ist, man beherrscht sie und überlegt sich ihren jeweiligen Nutzen.
Das einzige, was man wirklich muss, das ist, sich zu überlegen, was zu der Geschichte passt und was zu einem selbst.

Einem Durcheinanderwürfeln der Zeiten würde ich trotzdem nicht das Wort reden, das kommt halt immer drauf an - wie passend das eingebaut ist vom Autoren.

 
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Ich finde sehr erhellend, was du, @Novak, schreibst. War mir bisher nicht so bewusst.

Ansonsten sehe ich das wie viele hier: Alles ist möglich. Vielleicht noch interessant: Wenn ich mich nicht verzählt habe, dann sind von den letzten 10 empfohlenen Texten hier im Forum 8 im Präsens geschrieben, die meisten aus der Ich-Perspektive, aber es gibt auch Ausnahmen, zum Beispiel der Text von Bas. Präsens funktioniert offenbar recht gut. :)

 

Hehe, du bist lustig, Peeperkorn, dafür kriegst du jetzt glatt das hier :kuss:
Du machst das eh so gut wie nie, (wahrscheinlich automatisch) dieses methodische Ich sehe ... ich rieche ... ich höre ... ich denke ... und dann kommt erst das eigentlich Objekt der Wahrnehmung oder Denkleistung, du zeigst eh gleich was man hört, sieht, denkt. Ich glaube, es war mal bei einem deiner Texte, da habe ich mir das mal klar gemacht, dass das nichts taugt, immer so scheinpräzise die Hör- und Seh- und Denkbrille dazwischenzubauen.

 

Im Grunde geht's um die Frage, wie setzen wir die Verben ein, die in den deutschen Bezeichnungen als Tu-, Tätigkeits-und Zeitwort alles umfasst, was hier von Interesse ist, in dem es eine Tätigkeit, einen Vorgang oder gar einen Zustand benennt, der sich subsumusieren lässt unterm Geschehen als schon Geschehenes, gerade Geschehendem oder schon Geschehenem und in seinem umgelauteten substantivierten Verb zur Geschichte gerinnt, deren Erzählungen selbst zur Geschichte/zu Geschichten werden,

ihr Lieben.

Da geht es jedem, wie dem Historiker, selbst unter fiktiven Verhältnissen (da dann aber auch extrem).

Für alle Formen Erzählens – für das fiktive wie die (auto-)biografische gilt, dass es bloße Annäherung bleibt, ein Bild, dass sich der Autor von der/den Person/en, dem/den Ereignis/sen macht. Selbst wenn ich eins auf die Nase krieg, der (hoffentlich "authetische") Polizeibericht wie meine Erzählungen übers persönliche Heldentum sind nicht die krumme Nase. Alles bleibt pure Annhäherung (da kann sogar der "Versuch" als Attribut wegfallen).

Zwei (eigentlich drei, wird gleich klar, warum) Beispiele will ich nennen: Den grünen Heinrich und die Selberlebensbeschreibung, die schon benennt, was ein Autobiografie sei und nirgendwo ist man befangener, als wenn man sieben Jahre vor seinem Tod seine Kindheit und Jugend aufzeichnen will.

Wir hätten Fotoalben, Filme und die Geschichten, die uns über uns von anderen erzählt werden. Jean Paul hatte 1818 nur noch das, was er selbst notiert hatte - wer täte das heute als sechsjäriger Bengel schon?, wusste und ihm erzählt wurde. Es blieb der Versuch einer Biografie, wie der ganze Mensch "wie aus dem Mond gefallen" (Schiller) wirkte.

Gottfried Keller hingegen hat den Grünen Heinrich in der älteren Fassung negativ ausgehen lassen und die jüngere, die zwote, "überabreitete" positiv und beides ist Weltliteratur (weitere Änderungen wie Wechsel zum Icherzähler braucht uns da nicht interessieren.)

Nun haben wir zwo einstellige Zeitformen, die 90 % oder mehr - meine Dudengrammatik ist zwar nicht so alt, wie die gebundene Rechtschreibung (2006), aber vom Prinzip her hat sich da nix geändert gegenüber den Angaben im Duden Bd. 4 von 1995, dass ich - als Meister der angewandten Mathematik - von einer (wenn auch nur näherungsweisen) Konstanten der letzten Jahrzehnte ausgeh (ich weiß, dass es keine Ewigkeit gibt - außer tödlicher Langeweile, die aber - wie das Attribut beweist - alles andere als unendlich dauert ...)

Präsens hat den Vorteil, dass die andern Zeitformen in ihm ausgedrückt werden können (wodurch vor allem das Futur I zur bedrohten Art wird). Ich werde Morgen kommen. Ich komm Morgen, wird jeder als das erkennen, was es meint. Das Problem, etwas im Präteritum zu schreiben, ist die Gegenwart, die als Futur dargestellt werden muss - wofür inzwischen die blödsinnigen denglisierenden Formulierung, "er würde kommen", wobei "wird kommen" schon einen Buchstaben einsparte und zudem nicht unbedingt nach einer Begründung suchen lässt, denn beim "würde" warte ich rundsätzlich auf die Begründung, warum nicht? Dabei ist das "would" ja von einem viel größeren Bedeutungsumfang als unser läppisches "würde". Der Konjunktiv ist keine Zeitform, er sagt was über Wahrheit und Lüge und den vielen Wahrscheinlichkeiten dazwischen aus. Und ist eine Zukunft, die eh nicht präzise vorhersehbar ist, nicht prickelnd genug, dass man unbedingt eine Konjunktiv-Konstruktion braucht? Glauben denn die Denglisierten, "God save te Queen" sei falsches English?

Kurz:

Ich bevorzug Präsens. Schön brav zwischen Anfang und Ende. Das eine vorbei und das andere offen und mit Wünschen belastet.

Allemal bleibt es eine Annäherung, ein Bild, dass sich der Autor von der/den Person/en, dem/den Ereignis/sen macht. Und sei's die eigene Nase.

Tschüss, und schöne Tage zwischen den Jahren, an alle!

fw

 

Präsens liest sich etwas eigenartig, finde ich. Eher weil es ungewohnt ist und sich zu unmittelbar anfühlt, als würde im Moment des Lesens die Zeit stehen.

 
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In meinem Beitrag zum Text von Barnhelm habe ich mich nicht auf die Verwendung des Präsens allgemein bezogen, sondern auf die Verwendung des Präsens in der Ich-Form. Wird die Geschichte von einem auktorialen Erzähler beschrieben, liegen die Dinge aus einem einfachen Grunde anders:

Ein auktorialer Erzähler ist kein Mensch, er ist keine menschliche Figur, denn er verfügt über Allwissenheit. Wie sonst wäre zu erklären, dass er die Gedanken der Protagnisten kennt, erzählen kann, wer sich wann an die Nase fasst und selbst das Verhalten von Personen beschreiben kann, die sich ohne Kamera in geschlossenen Räumen befinden, Tiere und unbelebte Dinge durchschaut usw. usf. Das bedeutet, er steht außerhalb der Kategorien von Zeit und Raum und kann deshalb eine Geschichte „in Echtzeit“ erzählen.

Das alles gilt nicht für eine menschliche Figur der Geschichte, die die Geschichte erzählt. Sie kann die Geschichte zwangsläufig nur im Rückblick erzählen.

... es ist doch tatsächlich so, dass man die Welt nicht so methodisch wahrnimmt. Nur hat das für mich gar nicht so sehr viel mit der gewählten Zeitform zu tun. Im Ptäteritum würde ich das eventuell auch monieren.

Novak, das stimmt. Aber bei einer Erzählform, die die Vergangenheit verwendet, kann ich als Leser einen Reflexionsprozess voraussetzen. Ich weiß, dass der Erzähler die Zeit hatte, sich seiner Empfindungen bewusst zu werden und sie in geeigneter Form zu artikulieren. Das ist in der Gegenwart nicht möglich.

 

Ei, kaum bin ich ein paar Stunden weg und schon so viele Antworten!
Bas und Kubus, klar, ich glaube auch nicht daran, dass mir die Schreibpolizei vorschreibt, ich müsse nur diese oder jene Regeln anwenden und dann würde es eine gute Geschichte. Regeln sind Hilfskonstrukte, nützliche Beobachtungen. Wenn ich die alle beachte, mehr nicht, dann ist es immer noch ‚Dienst nach Vorschrift‘. Also Mist.

Es ging mir darum, Achillus‘ Zitat besser zu verstehen und zu hören, mit welchen Tempusfarben die anderen Maler gerne malen und warum.
Der Großteil der Weltliteratur ist im Präteritum geschrieben. Präsens ist erst seit wenigen Jahren als Erzähltempus in Mode, ihm wird Unmittelbarkeit zugesprochen. Teilweise heißt es, es würde Lesern explizit auffallen, wenn eine Geschichte im Präsens geschrieben sei. Präteritum sei als Erzähltempus unsichtbar und im Zweifelsfalle vorzuziehen. Soweit meine kleine Recherche.

Die Autorenebene betrifft das Schaffen der Geschichte und damit auch Fragen, wie man den Leser fesselt, wie man möglichst nahe an die Figuren kommt

Für mich stellt sich beim Schreiben eher die Frage, wie ich in den Erzählfluss komme, dass ich meine Erzählstimme ‚höre‘, sonst kann ich nämlich gar nicht schreiben. Und vorher brauche ich mir keine Gedanken darüber zu machen, wie das beim Leser ankommt.

Ich kann mich an das Befremden bei erste Person Präsens, das Geschichtenwerker und Grayson erwähnen, noch gut erinnern und finde es verrückt, dass es bei mir verschwunden ist.

Ich weiß nicht, in welchem Zusammenhang Achillus das geschrieben hat

Wenn man in meinem Zitat auf den Knubbel rechts von Achillus‘ Namen klickt, gelangt man zu seinem Beitrag unter barnhelms Andalusiengeschichte.

es hat was damit zu tun, dass wir zu oft (und zu selbstverständlich ohne Bewusstsein dafür) bei der Darstellung eines Wahrnehumgsvorgangs den Wahrnehmenden und die Wahrnehmung durch den Akt der Wahrnehmung (das sehen, hören, riechen) voneinander trennen. [...] Das alles wäre aber im Präteritum aber auch nicht viel anders.

Das hast du wunderbar erklärt, Novak. Direkt ist fast immer besser (außer in den seltenen Fällen vielleicht, wenn ich auf die geschärfte Wahrnehmung meines Protagonisten hinweisen will).

Ebenso ist es mit der Ichperspektive. Sie bietet Identifikationspotential wie blöd.

Und praktischerweise kann man den Autor gleich mit dem Icherzähler in einen Pott werfen ... :D

Präsens hat den Vorteil, dass die andern Zeitformen in ihm ausgedrückt werden können (wodurch vor allem das Futur I zur bedrohten Art wird). Ich werde Morgen kommen. Ich komm Morgen, wird jeder als das erkennen, was es meint. Das Problem, etwas im Präteritum zu schreiben, ist die Gegenwart, die als Futur dargestellt werden muss - wofür inzwischen die blödsinnigen denglisierenden Formulierung, "er würde kommen" [...] Kurz: Ich bevorzug Präsens. Schön brav zwischen Anfang und Ende. Das eine vorbei und das andere offen und mit Wünschen belastet.

Stimmt, und dem garstigen Plusquamperfekt entkommen wir im Präsens ebenfalls besser. Über Peeperkorns Statistik war ich doch überrascht, ich hätte mit weniger Präsens gerechnet.

 
Zuletzt bearbeitet:

Liebe Bea Milana

die oben zitierte Frage stammt von 2015, als ich einen von Schülern geschriebenen Roman nachgeguckt und verbessert habe. Und da kam es eben zu dem Problem, dass die Kinder die Zeiten wild durcheinandergeschludert hatten. Bis dahin hatte ich immer nur im Präteritum geschrieben - glaube ich jedenfalls. :) - und fühlte mich schlicht hilflos.
Ich hab damals daraus gelernt, dass man besser ins Präteritum wechselt, wenn in einer Geschichte, die eigentlich im Präsens steht, eine vergangene, abgeschlossene Handlung vorkommt. Gerade um das, was du auch schreibst, eine Häufung von Hilfsverben, zu vermeiden. Aber da ging es um einen ganz speziellen Sachverhalt.

Zu deinem nachträglichen Edit, was ein wenig verletzt klingt, kann ich nicht viel sagen, nur so viel, dass die Kritik eines Kommentators doch nicht daran liegen muss, dass er an alten Lesegewohnheiten hängt. Vielleicht funktioniert für ihn iwas einfach innerhalb dieser Geschichte nicht oder weil irgendwas nicht bedacht ist, obwohl er prinzipiell allen möglichen Neuerungen gegenüber aufgeschlossen ist. Aber das ist so ein weites Feld und ich finde, das lässt sich eigentlich nur im Einzelfall an einer speziellen Geschichte entscheiden.

 

Ich hab mich trotzdem gefreut über die Antwort. :)

Von mir Grüße zurück

 

Literatur darf alles, wie Kunst allgemein.

Aber Präsens täuscht eben Jetztzeitigkeit und damit Aktualität des Geschehens vor.

…, dann sind von den letzten 10 empfohlenen Texten hier im Forum 8 im Präsens geschrieben, …

Das Schreiben in Präsens ist wie Malen mit grellen Farben. Auch viele Gebäude werden bunt angestrichen, um die Trostlosigkeit der Architektur zu übertünchen. Und in der Musik gibt es kaum noch leise Töne, denn sie werden durch Kompression lauter gemacht, wodurch eine Nähe entsteht, die ursprünglich nicht da war – besonders bei den Film-Trailern und bei der Radiowerbung ist das der Fall, was ich sogar verstehen kann, schließlich wollen sie was verkaufen.

Allen diesen Kunstgriffen ist eines gemeinsam: Sie täuschen etwas vor, was sonst nicht da wäre. Oder: Der Effekt zählt mehr als der Inhalt.

Und wir alle fallen auf diesen Trick herein: 8 von 10 empfohlenen Geschichten sind in Präsens geschrieben. Wir leben halt in einer Zeit, in der die Pastellfarben es gegenüber der leuchtenden schwer haben. Dem war es vermutlich schon immer so, aber im Zeitalter des Internets und damit auch der vielen schreibenden Menschen, die früher nur mündlich miteinander kommunizierten, ist diese mündliche Sprache anscheinend in die Zunft eingedrungen, der auch wir angehören.

Alle (alten) Sprachen haben eine Menge Methoden entwickelt, um den Bedürfnissen des Lebens bestmöglich zu genügen. Wir haben sicher nicht umsonst Zeitformen wie Gegenwart, Vergangenheit, vollendete Gegenwart, vollendete Vergangenheit, Zukunft und vollendete Zukunft.

Klar, all diese Formen werden im Alltag der gesprochenen Sprache nicht immer oder kaum noch verwendet, aber das ist kein Grund, diesem Schlendrian auch durch Geschriebenes Vorschub zu leisten; wir Schriftsteller sind die Hüter der Sprache, sonst niemand. Ohne uns wird die sprachliche Vielfalt verschwinden und wir landen irgendwann tatsächlich in der einfachen Welt von 1984, in der Unwissenheit Stärke bedeutet.

 

finde ich auch, dass das Präsens viel aktiver und presenter wirkt...man kann sich alles viel besser vorstellen, wenn es gerade geschieht, und eben nicht schon vorbei ist...schwierig finde ich jedoch immer, etwas Vergangenes einfließen zu lassen. Meist probiere ich, am Anfang viele Charaktereigenschaften einzubringen (meist eher nur nebensächlich, zb. nicht "sie kocht gerne" sondern, "sie achtet auf jedes Salzkorn, damit die Suppe die richtige Würze für sie hat" oder so was)

 

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