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Der Sprung

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18.06.2015
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Der Sprung

Vier Meter. Das ist nicht viel. Das ist zu schaffen. Gestern war er dort und hat nachgemessen. Hat einen Ast in den Boden gesteckt, ein Schnurende darum gewickelt, das andere Ende an einen Stein geknüpft, den Stein rüber zum anderen Ufer geworfen. Vier Meter von der einen Seite zur anderen. Das kann man schaffen. Scheisse, das hätten wir nicht gedacht, Lureng. Das werden sie zu ihm sagen, nachdem er gesprungen ist. Respekt, werden sie sagen.
Und wenn es doch nicht reicht? Nicht daran denken. Einfach durchziehen. Er wird abheben, fliegen, ihre offenen Münder sehen, wenn er über dem Wasser schwebt. Das war easy, wird er nach der Landung sagen. Oder: Keine Sache. Oder …
„Lureng?“, fragte Frau Giudici.
„Was?“
„Wie lautet die Antwort?“
„Entschuldigung, ich habe die Frage nicht gehört.“
„Also echt.“ Frau Giudici verschränkte die Arme. „Ich finde, man sollte dich mal abklären. Das ist doch nicht normal“, sagte sie. „Sitzt jeden Tag hier und bist doch nie da.“ Die Klasse lachte. Lureng senkte den Kopf und starrte auf die Zeichen, die einer in die Pultfläche geritzt hatte. LML. Keine Ahnung, was das bedeuten mochte. Er dachte nach. Vielleicht: Lebe mutig, Lureng. Frau Giudici schimpfte noch immer mit ihm. Wenn sie wüsste, was er vorhatte.

Nach der Schule machte er sich mit Pablo auf den Weg nach Hause. Es dämmerte, dabei war es noch nicht mal fünf. Der Schnee knirschte unter ihren Moonboots.
„Du willst über den Ribibach springen?“, fragte Pablo.
„Ja.“
„Auf einem Schlitten?“
„Ja.“
„Wie?“
„Ich baue eine Schanze. Oben beim Cladetsch-Hof. Neben der Brücke.“
„Du spinnst.“
„Ich schaff‘ das“, sagte Lureng.
„Du spinnst trotzdem.“ Pablo zog seine Handschuhe aus, griff in den Schnee, der am Wegrand lag, und formte daraus einen Ball. „Wer weiter wirft, gewinnt!“
„Du zuerst, Spanioggel!“, rief Lureng. Pablos Eltern kamen aus Spanien. Alle Spanier stinken, sagten die Jungs. Das war scheisse. Dennoch nannte Lureng seinen Freund manchmal Spanioggel. Weil Pablo ihn ja auch manchmal einen Spinner nannte.
„Whoaah!“, schrie Pablo und sein Geschoss verschwand in der Dunkelheit.

Am Samstag trafen sie sich beim Cladetsch. Pablo hatte eine Schaufel mitgebracht, Lureng eine leere Zweiliter-Colaflasche. Sie arbeiteten, bis die Sonne entkräftet hinter dem Ribihorn verschwand. Am Ende war die Schanze mehr als einen Meter hoch. Und sie hatten eine Piste hochgezogen, vorbei an zwei Rottannen, die alleine standen, und dann nach oben, bis fast zum Waldrand. Hatten den Schnee festgeklopft und mit dem Schlitten gespurt, Meter für Meter. Hatten die Flasche hundert Mal in den Bach getaucht, um die Sprunganlage zu wässern und über Nacht gefrieren zu lassen.
„Und jetzt?“, fragte Pablo.
„Unbemannte Testfahrt. Morgen Vormittag.“ Lureng grinste und klatschte in die klammen Hände. Pablo hüpfte auf und ab. Aus Vorfreude oder weil ihm so kalt war.

Nach dem sonntäglichen Gottesdienst blieben zwei Stunden bis zum Mittagessen. Lureng band eine Kartonschachtel, die er auf dem Dachboden gefunden hatte, auf den Schlitten und zog los. Seine Eltern hatten nichts mitgekriegt. Mutter stand in der Küche und Vater rauchte in der Stube seine Pfeife. An den letzten Häusern des Dorfes vorbeigekommen, dauerte es noch zehn Minuten bis zum Cladetsch-Hof. Dort angelangt, machte sich Lureng auf die Suche nach Steinen. Als sein Freund auftauchte, war die Schachtel schon fast voll.
„Soll ich helfen?“, fragte Pablo.
„Schon gut. Das sollte reichen.“
Gemeinsam setzten sie den Schlitten in die Spur und zogen ihn nach oben. Die Piste war vereist, zwei oder drei Mal rutschten sie aus und hätten dabei das Gefährt, das zusammen mit den Steinen ganz sicher mehr als vierzig Kilo wog, und das sie mittlerweile auf den Namen Sputnik getauft hatten, beinahe losgelassen.
„Und wenn Sputnik im Wasser landet?“, schnaufte Pablo.
„Ich hab‘ Gummistiefel dabei.“
Oben angelangt, stellten sie den Schlitten quer und setzten sich in den Schnee. Im dichten Nebel konnte man den Bach fast nicht mehr sehen. Aber man konnte sein Rauschen gut hören.
„Auf geht’s“, sagte Lureng. Sie hievten den Schlitten zurück in die Spur, Lureng zählte auf drei, und sie schoben Sputnik kräftig an. Die ersten Meter ging alles gut. Doch dann kam er von der Bahn ab. Er brach nach rechts aus, dorthin, wo die Tannen standen, und hinter dem nebligen Schleier konnten sie sehen, wie Sputnik in den vorderen Baumstamm krachte.
„Heilige Scheisse“, rief Pablo.
Sputnik war hin. Drei Latten der Sitzfläche waren zersplittert und, schlimmer, die linke Kufe ruiniert. Der Metallstreifen hatte sich vom Holz gelöst und war so deformiert, dass man ihn in Frau Giudicis Garten hätte stellen können, wo seltsame Skulpturen standen, über die ihre Lehrerin sagte, das sei Kunst.
„Heilige Scheisse“, sagte nun auch Lureng.
„Und jetzt?“, fragte Pablo.
„Kann ich deinen Schlitten haben?“

Pablo besass bloss einen Bob. Einen orangen aus Plastik. Das wäre auch gegangen, wahrscheinlich sogar besser. Aber Lureng hatte den Jungs gesagt, er springe mit einem Schlitten über den Ribibach. Also musste ein Schlitten her. Bis der Zorn seiner Eltern verraucht war und sie ihm einen neuen kauften, das konnte dauern. Als Lureng darüber nachdachte, von wem er sich einen leihen konnte, kam ihm nur Livia in den Sinn.
Livia war nett. Sie war gleich alt wie er, besuchte die Parallelklasse, trug einen schwarzen Pony und wenn sie ihn sah, lächelte sie meistens. Viel miteinander gesprochen hatten sie allerdings noch nicht, dafür war sie viel zu hübsch und Lurengs Knollennase zu gross.
Vor einiger Zeit hatte er ihr einen Stein geschenkt. Auf dem Schulweg gefunden. Der hatte ausgesehen wie kein anderer Stein, dunkelgrün und mit feinen Rissen drin. Livia hatte sich bedankt. Mehr nicht.
Lureng atmete erleichtert auf, als Livia und nicht ihr Vater öffnete, nachdem er geklingelt hatte.
„Du willst meinen Schlitten? Was ist denn mit deinem?“, fragte sie.
„Kaputt.“ Livia sah ihn fragend an. „Lange Geschichte“, sagte er.
„Dann komm rein und erzähl‘.“
„Muss gleich wieder nach Hause. Erster Advent. Gemeinsam Kerzen anzünden.“
„Ach so.“
„Also wenn du vielleicht …“
„Jetzt?“
„Wäre super.“
„Wozu brauchst du denn heute Abend einen Schlitten?“
„Nicht heute Abend, aber morgen …“
„Ja?“
„Da geh ich nach der Schule mit Pablo …“
„Weshalb lügst du, Lureng?“ Livia schüttelte den Kopf. So erinnerte sie ihn an Frau Giudici. Nur tausendmal schöner.
„Wieso?“, stammelte er.
„Die ganze Schule redet davon.“
„Ach ja?“
„Wieso willst du so was machen?“
Ja, warum eigentlich?
„Damit sie dich das nächste Mal einladen, wenn es ein Geburtstagsfest gibt?“, fragte Livia. „Gehörst du dann zu ihnen? Weil du mit einem Schlitten über einen Fluss springst?“
Das war fies. Lurengs Herz klopfte. Nur ja keine Tränen.
„Damit sie aufhören, meine Schuhe zu verstecken. Und Kaugummi in mein Etui zu kleben“, sagte er leise.
„Und das soll funktionieren? Ich versteh euch Jungs echt nicht.“ Etwas mehr Mitleid hätte Lureng schon erwartet. Immerhin war Livias Stimme jetzt etwas sanfter.
„Ich eigentlich auch nicht.“ Lureng versuchte zu lächeln.
„Hör zu“, sagte Livia. „Du kriegst den Schlitten. Weil ich dich mag. Aber ich werde morgen nicht dort oben sein und dir dabei zuschauen, wie du diese Idioten beeindrucken willst. Weisst du, was ein Boykott ist?“
„Nein.“
„Eben das“, sagte Livia. Danach führte sie ihn zum Schuppen, wo der Schlitten stand.
Lureng rannte nach Hause. Er verschwendete keinen Gedanken an die Frage, was ein Boykott war, obwohl er das noch immer nicht ganz verstanden hatte. Weil ich dich mag. Weil ich dich mag.

Er konnte nicht einschlafen. Vier Meter. Wieder und wieder stellte er sich den Sprung vor. Nur nicht mit den Füssen abstossen. Einfach sitzen bleiben. Wenn du versuchst, mit den Füssen abzuspringen, bist du tot! Aber das war es nicht, was ihn wach hielt. Wenn er hätte wählen können, ob alle Jungs im Dorf ihn springen sehen oder bloss Livia, er hätte Livia gewählt. Aber die wollte das ja gar nicht sehen. Das war wirklich verwirrend.

Montagnachmittag. Dicke Skihosen, zwei Skijacken. Knieschoner. Ellenbogenschoner, Skibrille, der schwarze Mofahelm seines Grossvaters. So sass er auf dem Schlitten. Sputnik Zwei. Die Sitzfläche war viel zu klein, er fand keine Position, die sich richtig anfühlte. Als er seine Beine anwinkelte und die Füsse auf die schmalen Kufen stellte, spürte er einen stechenden Schmerz in seinen Hoden. Doch es gab kein Zurück. Er schlug mit der flachen Hand dreimal gegen seinen Helm, so wie Pablo es ihm geraten hatte, tock, tock, tock, und gab ein entschlossenes Knurren von sich. Unten, hinter dem Bach, standen die Jungs und johlten. Mach schon, Knolli!
„Los!“, schrie Lureng.
Pablo gab dem Schlitten einen Stoss und Sputnik Zwei setzte sich in Bewegung, langsam zunächst, dann schneller und immer schneller. Vor den Tannen war die Schneedecke dünn, dort musste er links halten, um den Wurzeln auszuweichen. Geschafft! Jetzt ging es nur noch geradeaus, steil hinunter zur Schanze. In der Nacht hatte es geschneit und auch jetzt fiel Schnee. Weisser Staub legte sich auf Lurengs Brille, er konnte kaum mehr etwas sehen. Damit hatte er nicht gerechnet. So würde er die Schanze nicht erwischen. Er riss sich die Skibrille vom Kopf und warf sie in den Schnee. Nun sah er klar, nun sah er, wie die Schanze näher kam, grösser wurde, eine Nase in der Piste, nur nicht verfehlen, nur nicht die Füsse bewegen, still halten, keine Panik, Lureng, keine Panik.

Und da blieb die Zeit stehen. Schneeflocken schwebten in der Luft. Lureng sah die Jungs. Sie bewegten sich nicht. Standen da wie Bäume. Der Himmel war grau und alles war still. Lureng atmete ein, und er glaubte, ein leises Pfeifen zu hören. Dann sah er Livia. Sie stand auf der Brücke und hatte ihren Arm erhoben, als winkte sie ihm zu. Sie trug eine rote Jacke. War es wirklich Livia? Manchmal sah er Dinge, die waren gar nicht da. Und jetzt? Weshalb war sie gekommen? Weil sie ihn mochte?

Lureng gab Sputnik einen Ruck und der Schlitten sprang aus der Spur. Beinahe hätte er das Gleichgewicht verloren, aber er hatte Glück. Lureng streckte seine Beine und bremste die Fahrt. Kurz vor der Brücke blieb er stehen.
„Hallo Lureng.“ Livia lächelte.
„Hallo Livia.“ Er hörte die Jungs schreien. Knolli, du Feigling! Wie peinlich! Buuh!
„Du warst ziemlich schnell. Das war unheimlich“, sagte Livia.
„Ja, das war heftig.“
„Hattest du Angst?“
„Eigentlich nicht.“
„Schön, dass du nicht gesprungen bist.“
„Mhm.“
„Die werden dich ganz schön ärgern.“ Sie blickte zu den Jungs, die näher kamen.
„Ich weiss.“
„Schlimm?“
„Nö.“
„Hauen wir ab?“
„Ja!“

 

Hallo peeperkorn,

ich habe Deine Geschichte gerne gelesen, auch wenn Jugend nicht mein Metier ist. Der Lureng wurde mir erst deutlicher, als ich gegoogelt hatte, dass er bei uns Lorenz (oder sogar Laurentius) hieße. Bis dahin hatte ich ihn für einen Asylbewerber gehalten.

Den Schluss finde ich sehr gut. Er hat die letzte Ausfahrt noch erwischt und den Hauptgewinn bekommen. Das ist eine schöne Happy-End-Geschichte.

Fehler sind mir nicht aufgefallen (weil ich so schnell gelesen habe).

Liebe Grüße

Jobär

 

Hallo Peeperkorn,

boah ist das eine schöne Geschichte. Das meine ich so, wie ich es schreibe: einfach schön. Ich finde die so unheimlich warm und nah dran erzählt, ich konnte da sofort mitfühlen und war mittendrin. Auch die Dosierung ist dir in meinen Augen außerordentlich gut gelungen. Wieviel du von Lunrengs Innenleben zeigst, wie viel von außen du andeutest, wie du die Livia anleuchtest, auch die Dialoge - richtig, richtig gut. Da ist kein Gramm zu viel dran und ich habe auch nichts vermisst, was da noch reinmüsste. Aber ich würde gerne weiterlesen, mehr von deinem kleinen Helden und seiner sich anbahnenden Liebesgeschichte lesen - und genau so sollte eine Geschichte in meinen Augen sein. Ein befriedigendes Ende setzen an einem Punkt, wo man so gepackt ist, dass man gerne weiterlesen würde.
Das Ende finde ich sehr gelungen. Bei dem Thema hätte ja wirklich alles möglich sein können. Das hältst du meisterlich in der Schwebe, wie der Sprung ausgehen wird. Jugend und Romantik, da hat auch echtes Drama seinen Platz. Du ziehst den Spannungsbogen gekonnt an, da war ich wirklich erleichtert am Ende.
Du siehst, ich bin richtig begeistert. Diese kg ist auf jeden Fall ganz klar für mich auf der favoritenliste bei der Challenge.
gerne mehr davon :)

grüßlichst
weltenläufer

 

Boah, Peeperkorn!

Sorry, das ist kein vernünftiger Gruß, aber das Erste, was mir in den Sinn kommt. Kaum hat Fliege ihre Geschichte aus der Challenge zurückgezogen, legst Du die Latte wieder auf fast die gleiche Höhe. Chapeau! Und das in zwei Kategorien, die mich eigentlich nicht gerade anziehen.

weltenläufer hat sehr eloquent beschrieben, wie die Geschichte ankommt. Das könnte ich nur in anderen Worten wiederholen, und das erspare ich uns. Aber ich habe zumindest zwei winzige Kritikpunkte gefunden (und bin fast froh darüber, weil Perfektion so schwer zu ertragen ist ;)):

... und hätten dabei das Gefährt, das zusammen mit den Steinen ganz sicher mehr als vierzig Kilo wog(,) und das sie mittlerweile auf den Namen Sputnik getauft hatten, beinahe losgelassen.

Da ist ein Komma zu viel.

„Schlimm?“
„Nö.“
„Wollen wir wegrennen?“
„Ja.“

Dieser Schlussdialog ist für mich etwas unbefriedigend. Leider kann ich ganz schlecht sagen, wieso. Dass die beiden wegrennen wollen, ist eigentlich okay, auch wenn es irgendwie feige ist. Vielleicht ist es dieser eigentümliche, lakonische Wechsel "Nö" - "Ja". Vielleicht fällt es auch bloß gegenüber der Eloquenz des restlichen Textes zu stark ab, auch wenn Deine Charaktere ja durchgängig eher einsilbig reden. Oder es liegt gar nicht am Dialog, sondern nur am Spannungsabfall nach dem vorherigen Geschehen. Sorry, ich kann nicht den Finger darauf legen.

Keine Ahnung, ob Dir das weiterhilft. Vielleicht hat ja auch jemand anderes einen Gedanken dazu. Ansonsten jedenfalls: ein Hammerbeitrag!

Grüße vom Holg ...

 

Das wegrennen ist ja erforderlich, weil wir lesen und nicht schauen, sonst hätte ich es auch noch weggelassen und durch eine eindeutige Bewegung des Mädchens ersetzt. Gerade diese "Einsilbigkeit" macht für mich den Reiz und die Echtheit dieses Dialoges aus. Und ich weiß auch nicht, ob wegrennen das richtige Wort ist. Ich sehe es eher so, dass sich die beiden von den anderen absondern und es offen bleibt, was sie dann unternehmen - durch das wegrennen wird die Geschichte aber in eine bestimmte Richtung gelenkt.

Jobär

 

Lieber Peeperkorn,

was soll ich sagen? Eine richtig gute und runde Geschichte. Mir geht’s wie Holg: Ich finde nichts, was mich stört. Deshalb nur kurz: Ich habe deinen Text sehr gerne gelesen.

Liebe Grüße
barnhelm

 
Zuletzt bearbeitet:

Mir ging es mit dieser Geschichte wie mit deinem Schwarzhorn-Drama, Peeperkorn. Ich hatte das Gefühl, eine nahezu perfekte Geschichte gelesen zu haben. Plot, Dramaturgie, Stil, Figurenzeichnung, mein Berührtsein als Leser … was immer ich zur Bewertung einer Story heranziehen will, hier kann ich in allen Kategorien eigentlich nur Höchstnoten geben.
(Nahezu perfekt sage ich ja nur deshalb, weil es die vollkommen perfekte Geschichte vermutlich gar nicht geben kann. Aber mit dieser hier bist du für mein Gefühl schon sehr knapp dran.)

Wirklich nur eine winzige Sache irritierte mich:
Du erwähnst ja nirgends explizit das Alter von Lureng, Aber sein ganzes Verhalten, z.B. wie er mit Pablo umgeht und die Art der Mutprobe, die er sich ausdenkt (und die mich an Erlebnisse in meiner eigenen Kindheit erinnerte), ließen mich von Beginn weg an einen … was weiß ich, Zehn- bis Zwölfjährigen denken. Also irgendwie sah ich Lureng halt als ein richtiges Kind noch.
Erst bei dieser Szene dann stellte ich ihn mir etwas älter vor:

„Damit sie dich das nächste Mal einladen, wenn es eine Party gibt?“, fragte Livia. „Denkst du, dann gehörst du zu ihnen? Weil du mit einem dämlichen Schlitten über einen dämlichen Fluss springst?“
Das war fies. Lurengs Herz klopfte. Nur ja keine Tränen.
Aber auch höchstens dreizehn.
Deshalb irritierte mich dann dieses Detail:

Montagnachmittag. Dicke Skihosen, zwei Skijacken. Knieschoner. Ellenbogenschoner, Skibrille, Pablos Mofahelm.
Bei uns in Ö nämlich muss man mindestens fümfzehn sein, um offiziell mit dem Mofa fahren zu dürfen, und weil ich mir Pablo und Lureng gleichalt vorstellte, war Lureng plötzlich fünfzehn. Und das schien mir einfach zu alt, das passte mir mit der ganzen Geschichte nicht mehr recht zusammen, auch nicht mit der Schlussszene, als Livia und Lureng davonlaufen.
Das mag jetzt wirklich nur ein ganz persönlicher Stolperstein sein, den außer mir kein Leser wahrnimmt, aber er wäre ganz leicht aus dem Weg zu räumen, ohne dass sich an der Geschichte irgendwas ändern würde. Wenn der Mofahelm nicht von Pablo wäre, sondern von z.B. Lurengs Opa, oder von wem auch immer, dann könnte sich jeder Leser sozusagen selber aussuchen, wie alt er Lureng (und Livia) gern sehen möchte.

Und auch stilistisch fand ich den Text wieder ganz großartig. Ich fand nichts, wo ich mir dachte, also das hätte ich gern ein bisschen anders gelesen.
Bis auf eine Ausnahme:

Seine Eltern hatten nichts mitbekommen. Mutter stand in der Küche und Vater rauchte in der Stube seine Pfeife. An den letzten Häusern des Dorfes vorbeigekommen, dauerte es noch zehn Minuten bis zum Cladetsch. Dort angekommen, …
Diese Wortwiederholung ließe sich leicht vermeiden, weil es für jedes dieser drei Verben eine Fülle von Alternativen gibt.

Trotzdem ist das für mich einer der schönsten Texte seit Langem hier im Forum.
Wie schon Holg sagte: Die Latte in der TdM-Challenge hängt jetzt wieder verdammt hoch.
Sie zu überspringen, werde ich mir wohl abschminken können, aber zumindest will ich erhobenen Hauptes drunter durchmarschieren.


offshore

 

Wie schon Holg sagte: Die Latte in der TdM-Challenge hängt jetzt wieder verdammt hoch.
Sie zu überspringen, werde ich mir wohl abschminken können, aber zumindest will ich erhobenen Hauptes drunter durchmarschieren.

Sehr treffend ausgedrückt. Zum Glück ist das umso leichter, je höher die Latte hängt. :lol:

Grüße vom Holg ...

 

Liebe alle

Wow! Merci für die Kommentare. Bald ruft wieder die Pflicht, ich gehe zum jetzigen Zeitpunkt mal auf die ersten beiden Rückmeldungen ein - später dann auf die anderen.

Lieber Jobär

Es freut mich, dass du diesen Text gerne gelesen hast. Dies umso mehr, als du bei zwei meiner letzten Geschichten keinen Einstieg gefunden und v.a. Venus tanzt als sperrig empfunden hast. Das habe ich mir zu Herzen genommen und freue mich nun über das Ergebnis.
Ich habe in meiner Studienzeit einen Lureng kennengelernt. Der hatte was Ausserirdisches an sich. Wenn du dabei (zunächst) an einen Asylbewerber gedacht hast - wieso nicht? Ich hoffe, der Text hat auch so funktioniert.

Vielen Dank für deinen Kommentar
Peeperkorn


Hallo weltenläufer

Merci für deine Rückmeldung. Nachdem sich jetzt mein Puls wieder etwas gelegt hat, antworte ich gerne darauf:

Ich finde die so unheimlich warm und nah dran erzählt, ich konnte da sofort mitfühlen und war mittendrin.

Super! In letzter Zeit habe ich mich genau mit diesen Aspekten (Nähe / Distanz / Identifikation mit dem Prot) beschäftigt, Aspekte, die ich in einigen meiner Geschichten nicht so gut im Griff hatte. Ich habe mir explizit vorgenommen, diese Baustelle zu bearbeiten und habe mir u.a. viel mehr Zeit für die Figurenskizze genommen, so dass ich einiges über Lureng weiss, das nicht im Text steht. Es ist sehr ermutigend zu lesen, dass das deiner Meinung nach so gut geklappt hat.

Auch die Dosierung ist dir in meinen Augen außerordentlich gut gelungen. Wieviel du von Lunrengs Innenleben zeigst, wie viel von außen du andeutest, wie du die Livia anleuchtest

Ich zitiere nochmal ein Lob. Aber auch hier sprichst du Fragen an, die mich doch recht gequält haben. Erfährt man genug über Lureng? Bleibt Livia zu blass? Schön, dass du das so siehst, wie du geschrieben hast.

gerne mehr davon

Ich versuch's.

Ganz herzlichen Dank, lieber weltenläufer, für deine wohlwollende und differenzierte Rückmeldung, die so viele Bereiche abdeckt.

Peeperkorn

 

Hallo,

das ist eine gute Geschichte, das vorneweg. Ich habe damit aber folgendes Problem: Die Erzählperspektive. Im ersten Absatz ist das so eine Mischmasch aus auktorial und personal.
Vier Meter. Das ist nicht viel. Das ist zu schaffen. Zum Bsp: Wer sagt das, und woher weiß der Erzähler das? Die Vermutungen und alles an Bewertung, Reflektion, das müsste aus Lurengs Kopf stammen, meiner Meinung nach. Dann wäre es personal. Manchmal kommt es mir so seltsam distanziert vor, als sei noch eine Instanz zwischen Lureng und dem Erzähler, als schalte der sich ein und funke dazwischen. Wie gesagt, ich vermute, die Perspektive ist manchmal nicht ganz sauber. Oder es fühlt sich nur so an.

Die Beschreibung von Livia: Das geht mir etwas zu fix. Da lässt du sehr viel auf den Leser einprasseln, sehr viel Info. Ich würde das hier konkretisieren, eventuell ein Treffen oder eine Begebenheit, die mit den beiden zu tun hat und die schon in der Vergangenheit liegt: Sie hat ihm ein Korb gegeben, oder er wollte sie ansprechen und hat sich dann noch nicht getraut. Etwas, dass eine backstory liefert, etwas Handfestes, auf das er sich beziehen kann. Das erhöht auch den Konflikt, intern, traut er sich, traut er sich nicht? Es bräuchte hier so was wie dieses Lebe mutig Lureng. Das fand ich übrigens sehr gut, dieses konkrete Detail. Das macht alles lebendig.

Im dichten Nebel konnte man den Bach fast nicht mehr sehen. Aber man konnte sein Rauschen gut hören. Es klang etwas bedrohlich.
Show, don't tell. Nicht sagen: Es ist bedrohlich. Zeigen.

Livia schüttelte den Kopf. So erinnerte sie ihn an Frau Giudici. Nur tausendmal schöner.

Du sagst das nicht, aber Lureng muss, um diesen Gedanken zu haben (bzw der Erzähler, der ihn ja für Lureng hat und formuliert) Frau Giudici schön finden. Er findet Livia dann zwar tausendmal schöner, aber Grundvoraussetzung ist, dass er die Giudici auch schon schön findet. Ich würde das auch zeigen. Warum ist Livia schöner? Was heißt das für Lureng? Das finde ich sehr abstrakt. Du installierst Livia im Prinzip als eine Art Über-Ich, so eine moralische Instanz, der Kyle Broflofsky Effekt (wenn du South Park kennst), der am Ende immer ein Fazit zieht. Im Grunde ist diese Livia-Figur ja auch so angelegt. Ich persönlich würde mir da etwas mehr Strecke wünschen. So ganze ohne Bezug zu einander wird mir die Motivation nicht ganz klar, nicht ganz glaubwürdig.

Das Ende ist toll. Den Dialog, die Fahrt, wie er sich diesem Männlichkeitsritual entzieht, wirklich toll.

Konstruktiv: Mittelteil, also das Beziehungsgeflecht von Livia zu Lureng, den würde ich mir vertieft wünschen, eine Annäherung. Das kann ja in der Geschichte schon angelegt sein, also diese Beziehung kann bereits Realität sein, die musst du nicht extra einführen, die kann Tatsache sein. Aber so hast du eben einen glaubwürdigeren Zugang zum Schluss.

Gruss, Jimmy

 

Hola Peeperkorn,

auch wenn ich der fünfzigste Lobende wäre - das muss raus:

HERZLICHEN GLÜCKWUNSCH !

Selten eine so schöne, in sich stimmige Geschichte gelesen wie Deine.
Die hat Vorbildcharakter! Gut, dass Du die Latte so hoch gelegt hast, da komme ich mit meinen 1,90 aufrecht drunter durch.

Alles Gute und weiterhin viel Feuer unterm Kessel!

José

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Peeperkorn,

Ich bin richtig stolz auf Lureng, dass er den Mut fand, mit dem Schlitten aus der Spur zu springen.
Livia's Frage [wieso willst du so was machen], ist nicht spurlos an ihm vorbeigegangen.

Ich fand es auch mutig, dass er mit Livia über den Grund seines Vorhabens gesprochen hat.

Und auch das punktet für ihn: [Wenn er hätte wählen können, ob alle Jungs im Dorf ihn springen sehen, oder nur Livia, er hätte Livia gewählt.]

Dass Livia am Schluss den angekündigten Boykott bricht und mit erhobenem Arm bei der Brücke steht. das war für Lureng wohl noch das Zünglein an der Waage.

Eine sehr schöne Geschichte, die mir in Erinnerung bleiben wird.

Alles Gute wünscht Dir
Marai

 

Hey Peeperkorn,

und wie schön, dass Dich das TdM motiviert hat, diese Geschichte zu schreiben. Jetzt haben alle was davon, Du und lauter glückliche Leser :).

Man schrieb mir einst unter eine Geschichte: "Make simply things well."
And you did it. Das ist eine ganz einfach gestrickte, aber wunderschön erzählte Geschichte. Und da es für den Leser vor allem auf Letzteres ankommt - alles richtig gemacht!

Und wenn es doch nicht reicht? Nicht daran denken. Einfach durchziehen. Er wird abheben, fliegen, ihre offenen Münder sehen, wenn er über dem Wasser schwebt. Das war easy, wird er nach der Landung sagen. Oder: Keine Sache. Oder…

Das stehen nur ein paar Worte rum und doch sagen sie ganz viel über deinen Lureng. Sehr schön!

„Also echt.“ Frau Giudici verschränkte die Arme. „Ich finde, man sollte dich mal abklären. Das ist doch nicht normal“, sagte sie. „Sitzt jeden Tag hier und bist doch nie da.“ Die Klasse lachte.

Boah habe ich mich hier über die Lehrerin aufgeregt. Da wusste ich noch nicht mal, dass er ein Außenseiter ist. Hätte ich das gewusst, ich wäre wahrscheinlich vor Wut explodiert.
Klar, ich hätte es wissen können, aber sich nach Anerkennung zu sehnen, dass ist für mich nicht nur Markenzeichen von Außenseitern.

Lureng band eine Kartonschachtel, die er auf dem Dachboden gefunden hatte, auf den Schlitten und zog los.

Heißt das bei Euch so? Ich war total verwirrt, weil Karton = groß, Schachtel = eher klein und zusammen sind sie was?

„Heilige Scheisse“, sagte nun auch Lureng.
„Und jetzt?“, fragte Pablo.
„Kann ich deinen Schlitten haben?“

Ich mag total gern, wenn die beiden reden.

Als Lureng darüber nachdachte, von wem er sich einen leihen konnte, kam ihm nur Livia in den Sinn.
Livia war nett. Sie war gleich alt wie er, besuchte die Parallelklasse, trug einen schwarzen Pony und wenn sie ihn sah, lächelte sie meistens.

Hier fiel auch bei mir der Groschen und eigentlich ist es ganz hübsch, dass er erst jetzt fiel. Wenn sich so Dinge erst so nach und nach zusammensetzen. Hauptsache man ist zwischendurch nicht verwirrt und hat am Ende ein komplettes Bild.

... dafür war sie viel zu hübsch und Lurengs Knollennase zu gross.

nice

„Weshalb lügst du (mich an), Lureng?“ Livia schüttelte den Kopf.

Klingt für mich echter.

„Wieso willst du so was machen?“
Ja, warum eigentlich?
„Damit sie dich das nächste Mal einladen, wenn es eine Party gibt?“, fragte Livia. „Denkst du, dann gehörst du zu ihnen? Weil du mit einem dämlichen Schlitten über einen dämlichen Fluss springst?“

Livia kommt schon bisschen wie der heilige Engel vom Himmel daher. Warum redest sie eigentlich nie mit ihm, wenn sie sich so um ihn sorgt und auf einmal Schutzinstinkte ausfährt? Und dann klingt sie auch gleich noch wie ein Sozialpädagoge :D. Ja, eindeutig, die redet die ganze Zeit so, wenn ich jetzt weiterlese.

Er konnte nicht einschlafen. Vier Meter. Wieder und wieder stellte er sich den Sprung vor. Nur nicht mit den Füssen abstossen. Einfach sitzen bleiben. Wenn du versuchst, mit den Füssen abzuspringen, bist du tot! Aber das war es nicht, was ihn wach hielt. Wenn er hätte wählen können, ob alle Jungs im Dorf ihn springen sehen oder bloss Livia, er hätte Livia gewählt. Aber die wollte das ja gar nicht sehen. Das war wirklich verwirrend.

Schön!

Ja, sehr schöne Geschichte. Ich drück die Daumen.

Beste Grüße, Fliege

 

Liebes Peeperkorn,

ich weiß jetzt auch nicht mehr was ich noch schreiben soll, es wurde alles gesagt. Ich machs ganz kurz: eine richtig tolle Geschichte, die mir sehr ans Herz gegangen ist.

Liebe Grüße
Lobilotte

 

Hey Peepperkorn,

Erstmal danke für das Teilen dieser wirklich sehr runden Geschichte.
Da du ja bereits finde ich, konstruktive Kritik bekommen hast und ich beim lesen auch nicht gestolpert bin, beschränke ich mich auf das, was die Geschichte und vor allem dein Stil bei mir ausgelöst haben.

Ich mag deine Art zu erzählen sehr, ist bis jetzt die erste (glaube ich), die ich von dir lese, aber ich finde du hast eine sanfte unaufdringliche Art beim Leser Bilder zu erzeugen. Und das ohne krampfhaftes beschreiben, du zeigst dem Leser die Szene und wie du es tust, mag ich's sehr!

Außerdem, entdecke ich eine gewisse Wärme in deinen Worten, mag auch daran liegen, dass ich mich an gewisse Begebenheiten erinnert habe. Du nimmst den Leser regelrecht mit vor einen Karmin und erzählst eine Anekdote aus deiner Jugend, von welcher man was Wichtiges lernen kann. Diesen Eindruck hast du mir vermittelt und das hab ich genossen!

Liebe Grüße
Lexi

 

Hey Holg

Schön, dich kennenzulernen, und besten Dank für deinen Kommentar. Es freut mich, dass dich die Tags nicht abgeschreckt haben. Ich habe mir tatsächlich überlegt, ob es geschickt ist, die beiden Kategorien „Jugend“ und „Romantik“ zu nennen, fand dann aber, dass man den Sack, in dem die Katze steckt, halt schon beschriften sollte. Das Komma habe ich entfernt. Und ja, deine Bemerkungen zum Schluss der Geschichte helfen weiter, auch wenn du den Finger nicht drauf legen kannst. Ich bin ja eher der analytische Typ, schreibe jetzt aber dennoch, dass ich zwar ebenfalls nicht den Finger drauf legen kann, aber schon irgendwie spüre, was du meinst. Hätte Lust, mit dir ein Bier zu trinken und das gemeinsam herauszufinden. Auf alle Fälle werde ich mich revanchieren. Ich habe mir vorgenommen, in nächster Zeit wieder häufiger zu kommentieren, und da standst du eh schon auf der Liste.

Merci und auf bald
Peeperkorn

Liebe Barnhelm

Da ich mittlerweile eine gewisse Vorstellung davon habe, was dich an (meinen) Geschichten stören könnte, ist deine Bemerkung, du habest nichts Entsprechendes gefunden, hilfreicher, als es vielleicht erscheinen mag. Ganz lieben Dank für das „gern gelesen“.

Lieber Gruss
Peeperkorn


Lieber offshore

Plot, Dramaturgie, Stil, Figurenzeichnung, mein Berührtsein als Leser … was immer ich zur Bewertung einer Story heranziehen will, hier kann ich in allen Kategorien eigentlich nur Höchstnoten geben.
So was muss ich einfach zitieren. Danke!

Erst bei dieser Szene dann stellte ich ihn mir etwas älter vor […] Aber auch höchstens dreizehn.
Ja, Lureng ist dreizehn. Und den Mofahelm hatte er zunächst von seinem Bruder, aber dann dachte ich mir, dass es nicht nötig ist, eine zusätzliche Figur zu nennen und habe ihn Pablo zugeschrieben. Dass du die sich daraus ergebende Unstimmigkeit bemerkt hast, zeigt wieder einmal, welch gutes Auge du fürs Detail hast. Ich habe auch gleich deinen Vorschlag übernommen: Lureng hat den Helm nun von seinem Grossvater.
Auch dein Spürsinn bezüglich Wortwiederholungen hat sich nicht zum ersten Mal als hilfreich für mich erwiesen. Hab‘ ich geändert.

Sehr schmeichelhaft, deine Bemerkungen zur Höhe der Latte. Wir werden sehen und ich freue mich auf deinen Text.

Ganz lieben Dank für diesen Kommentar.
Peeperkorn

 

Hallo Peeperkorn,

wenn mit uns Jungen Schlitten gefahren wurde, dann hatten Ältern die Finger im Spiel, da tut eine Jugendgeschichte gut, in der Erwachsene so gut wie keine Rolle spielen (außer Frau G., die berufsmäßig mit den lieben Kleinen zu tun hat) und in der vor allem die Heldentat der Verzicht aufs Heldentum ist, um es gegen ein wärmeres Gefühl einzutauschen.

Eine fast perfekte Geschichte, wie ich – und offensichtlich nicht allein - meine, mit wenigen Flusen, wie etwa den Auslassungspunkten, die immer wieder behaupten, am vorherigen Wort fehle mindestens ein Buchstabe. Was natürlich erstunken und erlogen ist! Denn was sollte an dem fragenden „oder“ fehlen? Oder gar an einem abwägenden „vielleicht“?

Oder: Keine Sache. Oder…
und später
„Also wenn du vielleicht…“
(da müsstestu den dann folgenden Dialog noch mal durchgehn). Also immer in den Fällen eine Leerstelle zwischen Wort und Auslassungspunkten …!

Hier stottert es ein wenig

Und sie hatten eine Piste hochgezogen, vorbei an zwei Rottannen, die alleine standen, und danach nach oben, bis fast zum Waldrand.
wenn hintereinander das von der Bedeutung gleiche „(da)nach“ folgt; „dann nach oben“ wäre vllt. Eleganter.

Aber, ach, wer achtet in diesem Alter auf Eleganz?

Hier besser mit Komma

Er brach nach rechts aus, dorthin[,] wo die Tannen standen, und hinter dem nebligen Schleier konnten sie sehen, wie Sputnik in den vorderen Baumstamm krachte.

Und hier das Genitiv-s nicht vergessen
, der schwarze Mofahelm seines Grossvater.

Und für L. & L. die Keller-Verse

"Wohl dem, der nun zufrieden ist
Und innerlich sich kennt!
Dem warm ein Herz beschieden ist,
Das heimlich loht und brennt!"
aus Gottfried Keller "Im Schnee"​

Ich mach jetzt eine Schleife zum Anfang und schlage vor, Ältern zu verbieten!

Gern gelesen und Gratulation vom

Friedel

 

Hallo Jimmy

Danke, dass du dich so intensiv mit meinem Text auseinandergesetzt hast. All deine Bemerkungen kann ich gut nachvollziehen. Du sprichst u.a. grundsätzliche Fragen an (Perspektive / Tragfähigkeit), und ich denke, dass ich von diesen Ausführungen nicht nur in Bezug auf diese Geschichte profitieren kann. Ich werde – zumindest zum jetzigen Zeitpunkt – nicht viel ändern, aber ich bin überzeugt, dass deine Anmerkungen auf eben dieser grundsätzlichen Ebene nachhaltig weiterwirken werden.

Show, don't tell. Nicht sagen: Es ist bedrohlich. Zeigen.
Erwischt! Meine erste Reaktion war: Easy, da schreibe ich einen Vergleich. Das Rauschen klang wie … Und da wurde mir bewusst, weshalb ich hier gesagt und nicht gezeigt habe. Wie klingt das bedrohliche Rauschen eines doch ziemlich weit entfernten Bachs? Entweder mir fällt doch noch was ein, oder ich streiche den Satz.

Ich habe damit aber folgendes Problem: Die Erzählperspektive. […] Manchmal kommt es mir so seltsam distanziert vor, als sei noch eine Instanz zwischen Lureng und dem Erzähler, als schalte der sich ein und funke dazwischen.
Spannender Punkt. Da sind ja zwei Fragen aufgeworfen. Zum einen der Wechsel der Perspektive, zum anderen die grundsätzliche Distanz. Die Geschichte beginnt im Kopf von Lureng. In dem Moment, da ihn die Lehrerin anspricht, gehen wir aus dem Kopf raus und bleiben dann (so habe ich mir das gedacht) bis auf wenige Ausnahmen in einer Nahdistanz zu Lureng. Der Perspektiven-Deal mit dem Leser erfolgt also nicht in den ersten Sätzen, wie es wohl sein sollte. Werde ich für nächste Geschichten mitnehmen.
Dann die Distanz im Allgemeinen. Wenn du Regisseur wärst, würde dein Kameramann wohl mitspielen und mit dem Smartphone drehen müssen. In den Texten, die ich von dir gelesen habe, sieht man die Poren der Protagonisten und riecht ihren Schweiss. Es überrascht mich daher nicht, dass du sensibel auf Distanznahmen reagierst. Mir gefällt es hingegen, einen halben Meter neben den Protagonisten zu stehen - auch wenn ich manchmal in die Köpfe reingehe. Denke ich aber auf alle Fälle weiter darüber nach.

Die Beschreibung von Livia: Das geht mir etwas zu fix. Da lässt du sehr viel auf den Leser einprasseln, sehr viel Info. Ich würde das hier konkretisieren, eventuell ein Treffen oder eine Begebenheit, die mit den beiden zu tun hat und die schon in der Vergangenheit liegt.

Auch das ein interessanter und wichtiger Punkt. Ich habe mir einige Gedanken gemacht, ob Livia in der Lage ist, den weiteren Verlauf der Geschichte mitzutragen, und war mir dabei sehr unsicher. Ich nehme deine Bedenken mal auf und überlege zu einem späteren Zeitpunkt, ob ich noch etwas in diese Richtung einbauen werde. Kann ja auch sein, dass es da nur noch zwei, drei Sätze braucht. Das gilt ebenso für die von dir angesprochene Konstellation Livia/Giudici.

Dann freut es mich natürlich sehr, dass dir das Ende der Geschichte gefallen hat.

Herzlichen Dank, Jimmy, für diesen wirklich äusserst hilfreichen Kommentar!

 
Zuletzt bearbeitet:

Lieber Jobär, lieber Holg (der du weniger schnell warst)

Ganz, ganz lieben Dank für die Empfehlung. Zu meinem Gefühlszustand habe ich jetzt sechs Sätze geschrieben und wieder gelöscht, weil sie zu kitschig klangen; den hier lass ich stehen.

Liebe Grüsse
Peeperkorn

Hola José

Ein solches Lob aus deiner Feder, da bilde ich mir echt was drauf ein. Hoffentlich wird sichtbar, wie sehr ich in den letzten Monaten von den Wortkriegern profitiert habe, u.a. auch von deinen Äusserungen zum Thema Stimmung vs. routiniertes Runterschreiben.

Danke und – versprochen – auf bald
Peeperkorn

Liebe Marai

Danke für deinen schönen Kommentar, da wird der Lureng richtig lebendig. Dass eine Geschichte in Erinnerung bleiben wird, finde ich ein tolles Kompliment, Merci.

Lieber Gruss von Bern an den Zürichsee
Peeperkorn

Liebe Fliege

Zuerst nochmal zu deinem Themenvorschlag „letzte Ausfahrt“. Der ist wirklich toll, das schreit einfach nach einem guten Plot und leistet diesbezüglich schon einiges. Ich zumindest hatte sofort Assoziationen und Ideen.
Ja, keep it simple, das war diesmal die Devise. Das eigene Schreiben zu entwickeln braucht eine Menge Zeit und da habe ich mich vielleicht etwas gar schnell an komplexen Texten versucht. Das war jetzt ein Schritt rückwärts, der mich hoffentlich vorwärts bringt.
Besten Dank auch für die Anmerkungen zu einzelnen Passagen. Ich finde das immer sehr nützlich, weil man so viel konkreter sieht, was funktioniert hat.
Karton ist bei uns in der Schweiz das Material, aus dem Schachteln gefertigt sind, ein aus „Zellstoff, Holzschliff und Altpapier hergestellter Werkstoff“. Ich lasse es mal so stehen, die Geschichte spielt ja in den Schweizer Bergen.
Deinen Vorschlag „Weshalb lügst du, Lureng?“ habe ich übernommen.
Und ja, Livia als Sozialpädagogin, da triffst du einen m.E. wunden Punkt. Aber, wie gesagt, ich wollte es einfach halten. Ansonsten hätte ich die entwicklungspsychologischen Bedenken, die man gegenüber dieser angeblichen Heldentat hat, an eine weitere Figur, wohl eine erwachsene Person, delegieren müssen.

Lieben Dank, Fliege, für deinen Kommentar.
Peeperkorn

Liebe Lobilotte

Vielen Dank auch für deine Rückmeldung. „Ans Herz gegangen“: Das freut mich sehr!

Liebe Grüsse
Peeperkorn


Hey Lexi

Ich muss immer ein wenig darauf Acht geben, dass mir Sprache und Stil nicht wichtiger als der Inhalt wird. Dennoch freue ich mich ungemein über deine Ausführungen dazu, wie du meinen Text auf dieser Ebene wahrgenommen hast. Bisher habe ich eher düsteres bis mitteldüsteres Zeugs geschrieben und war sehr gespannt, ob ich die Wärme, die diese Geschichte braucht, auf der sprachlichen Ebene hinkriege. Deine Rückmeldung freut mich daher sehr.

Merci!
Peeperkorn

 

So, jetzt sind wir wieder im Takt.

Maria!

Ich hasse dich!

Man soll dem Hass mit Liebe begegnen, heisst es. Das sehe ich anders. Mach dich auf etwas gefasst, Bitch!

Denkst du eigentlich nach, bevor du einen Kommentar online stellst? Darüber, dass am Ende ein erwachsener Mann mit Tränen in den Augen vor dem Bildschirm sitzen könnte? Vor Lachen oder wegen sonst was. Hast du über die Möglichkeit nachgedacht, dass dieser Mann, weil er deinem Urteil traut, auf einmal wähnt, er sei ein grossartiger Schriftsteller, am nächsten Tag seinen Job kündigt, all seine Ersparnisse an besonders dubiose Zuschuss-Verlage überweist und genau heute in einem Jahr am Bahnhof Bern anzutreffen sein wird, mit verwirrtem Blick und einer Aludose Bier in der Hand? So nicht, meine Dame!

Und jetzt noch eine Drohung. Damit eines klar ist: Wenn der Schiss, von dem du sprichst, der Grund sein sollte, weshalb wir bis Ende Dezember keinen Wettbewerbstext von dir lesen dürfen, dann komme ich persönlich vorbei und haue dir die Rübe ab! (Falls andere Gründe dazu führen sollten, werde ich nachsichtig sein.)

Ein Knurren aus der – nein, ich bin nicht in die Hölle gefahren, sorry.

Peeperkorn


Lieber Friedel

Mein Fernziel: Der flusenfreie Text. Wenigstens bezüglich Zeichensetzung. Irgendwann, Friedel, ich werde es dir beweisen. Den Satz, der stottert, hatte ich auch im Auge; etwas daran gefiel mir nicht, aber ich konnte es nicht identifizieren. Danke für den Hinweis. Danke für den Kommentar. Danke für die Gratulation. Danke für die Begleitung in den letzten Monaten.

Lieber Gruss
Peeperkorn

 

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