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Thema des Monats Ein Morgen danach

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19.05.2015
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Ein Morgen danach

Wind rauscht durch das geöffnete Fenster. Langsame Fahrt vorbei an Häuserreihen. Früh am Morgen. In der Ferne helle Stimmen. Kinder vielleicht. Finger, die auf dem Lenkrad irgendeinen Takt schlagen. Reifen, die durch Pfützen zischen.

„Du sagst mir, wie ich fahren soll, ja?“
„Letzte Ausfahrt vor der Autobahn. Danach ist es nicht mehr weit.“
„Ich kann auch das Navi einschalten.“
„Brauchst du nicht. Ich zeig dir den Weg.“

Graue Pudelmütze mit rotem Bommel. Seidige, sonnenblond leuchtende Locken, die darunter hervorlugen. Die Jacke fest geschlossen. Nebel, der sich über die Dämmerung legt. Ein Schimmern dahinter. Undeutlich, fahles Licht. Schweigen. Sie starrt vor sich hin und ich in den Dunst.

„Mir ist kalt.“
„Echt? Ich dreh die Heizung auf.“
„Lass mal. Die Jacke ist warm.“

Ein Stück unbedeckte Haut am Hals. Ein winziger Fleck am Kehlkopf, an den ich mich erinnere. Wie durchscheinend sie ist. Vor allem ihre Haut. So blass, sogar die feinen Äderchen sieht man darunter. Die Hände ineinander verschränkt. Smaragdfarbene Augen schauen mich an.

„Ich übernachte nicht mehr bei dir. Ich hab nicht gut geschlafen.“
„Warum?“
„Ich weiß nicht.“
„Mm.“

Ihre Stimme klingt in mir nach, leise und ohne Betonung. Mir fällt nichts ein, was ich sagen könnte. Die feuchte Straße vor mir reflektiert das Licht. Schweigen.

„Eigentlich will ich nicht zur Arbeit“, sagt sie schließlich.
Ich stelle mir die Lippen vor, die sie dabei leicht geöffnet hat. Weich.
„Ich kann umdrehen. Du kannst dich bei mir ausschlafen.“
„Geht nicht. Ich mach heute eine Präsentation.“
„Über was?“
„Neues EDV-Projekt. Serviceorientierte Software-Architekturen und was man damit sparen kann.“
„Ach so. Hast du mir gar nicht erzählt.“
„Nee.“

Schnellere Fahrt, als wir zur Bundesstraße kommen. Regentropfen, die als Schlieren auf der Scheibe zerfließen. Leise Musik aus dem Radio. Abgelöst von einer fröhlichen Sprecherstimme. Wir hören zu. Restgeruch der Zigaretten, die ich im Auto geraucht habe. Vermischt mit ihrem Parfüm, das mich an Frühjahr erinnert, an Oleander, an Brennnesseln, an Rosen. Sie schaut aus dem Fenster. Irgendwohin.

„Du musst jetzt abfahren. Nächste Ausfahrt und dann gleich rechts.“
„Was ist das für ein Parfüm?“
"Und jetzt die nächste rechts und gleich wieder rechts. Zweihundert Meter dahinter kannst du anhalten.“
Feste Stimme. Schnell gesprochene Worte.
„Da ist es. Hier kannst du anhalten.“

Eine rechteckige Glasfront mit Metallstreben, ein paar Büsche davor. Winterfeste Blumenstöcke. Am Eingang eine Tafel mit glänzenden Lettern. Die meisten goldfarben. Ich entschließe mich, den Zündschlüssel zu drehen. Der Motor verstummt. Wende mich um, blicke ihr entgegen. Keine Zeit mehr, um auszusteigen und ihr die Tür aufzuhalten. Sie öffnet sie selbst und schaut mich an. Dann lächelt sie und ich erinnere mich an die Fältchen um ihre Augen. Ihr Blick lastet auf mir. Sie sagt nichts und sieht irgendwie glücklich aus.
Ich halte mit beiden Händen ihre kalten, schmalen Finger, ziehe sie ein wenig zu mir. Küsschen rechts und links.

Sattes Klacken, als sie die Tür schließt. Für einen Moment steht sie noch da.
"Ich ruf dich an", sage ich. Worte, die im Nichts verhallen.
Sie nimmt die Mütze ab und schüttelt sich die Haare. Ich starte den Motor.
Sie dreht sich nicht mehr um.

 

Hallo AmelieS

danke dir herzlich für deinen Kommentar

Eine schöne Geschichte, ich freue mich für dich!

ja: ich bin erleichtert, dass es auch für dich funktioniert:)
Ich wusste nicht, dass eine Geschichte ohne Sätze funktioniert. Und es funktioniert, wie ich gerade erleben durfte.
wie leben ja in Zeiten der Dekonstruktion und ich finde schon, dass auch Satzfragmente den Anspruch erheben können, Sätze zu sein... gerade wenn sie etwas transportieren... klar, ich habe das in der Geschichte extrem genutzt, aber je mehr ich darüber nachdenke desto besser gefällt es mir. Nicht als einziges Mittel, aber doch als eine gute Möglichkeit... je nach Sujet...
Und sind nicht auch unsere Gedanken fragmentiert und gar keine ganzen Sätze?

und: die Reifen schnarren auf jeden Fall :)

Ich denke nicht, dass man bei geschlossener Jacke, die Äderchen auf dem ganzen Körper der Frau, sehen kann.
doch: die Gedanken können auch sehen und die sehen das :)

Lieben Gruß
Isegrims

Hallo jobär

vielen Dank für die Zeit und deinen hilfreichen Kommentar :)

„Mir ist kalt.“ ...
Regentropfen ...
Sattes Klacken, als sie die Tür schließt. Für einen Moment steht sie noch da.
"Ich ruf dich an"
Da stelle ich mir vor, dass das geöffnete Fenster des Autos spätestens bei dem "Mir ist kalt" geschlossen wird. Andererseits müsste des Fenster auf der Beifahrerseite offen sein. Denn sonst kann sie seine Abschiedsworte doch gar nicht hören. Vielleicht weist Du darauf hin, dass er das Fenster herunterfahren lässt? Oder ist das überflüssig?
Hierüber muss ich echt noch nachdenken... Klar: im Grunde kann sie seine Worte gar nicht mehr hören, sobald die Tür zugeschnappt ist... (und im ersten Moment wollte ich das dann auch ändern so ähnlich wie du es vorgeschlagen hat), aber mittlerweile denke ich mir, dass es gar nicht schlimm, wenn nicht sogar besser ist, dass sie es gar nicht hört...

Und Du bist über ein Problem gestolpert, das selten auffällt: Nimmt man Änderungen direkt vor, so werden keine typographischen Anführungszeichen gesetzt. Die Anführungszeichen in der letzten wörtlichen Rede passen daher nicht zu dem Schriftbild des vorhergehenden Textes.
mm: muss ich mir anschauen... mir ist es im Text nicht aufgefallen...

liebe Grüße
Isegrims

geht später weiter...

 

Guten "Morgen" Novak,

wow: das freut mich aber besonders, weiß gar nicht, was ich sagen soll:

Ich finde, du hast dich wahnsinnig verbessert.

Dieses reduzierte Schreiben hier in diesem Text, das steht dir gut. Find ich echt schön.
es ist echt ermutigend zu erfahren, dass dieser Stil gelingt, ich war so unsicher...

Ich habe zwar immer noch meine persönlichen Probleme mit Ellipsen in dieser Fülle. Aber das ist ja auch Geschmackssache. Würd mich mal interessieren, ob dieses verknappte Schreiben auch gelingt, wenn man nicht so viele Ellipsen schreibt.
ja: dieses zerhackende ist einerseits wirksam, aber vielleicht lässt sich das noch eleganter machen, so wie bei einer Wellenbewegung stelle ich mir das vor...

und: diese Blicke in die Schreibstube bringen wirklich weiter ...
bei jimmysalaryman sowieso, aber auch bei all den anderen :)

danke für deine Zeit und deinen Kommentar....:)
und lass dir Rindswurschd und Glühwein schmecken...
liebe Grüße
Isegrims

geht noch weiter...

 

Hey Isegrims,

Ich muss gerade etwas schmunzeln, weil ich die Kritik vom Holg eben gelesen habe, ich seh das ganz ähnlich wie er.
Zu deiner Geschichte, ich hab sie gestern schon gelesen, aber hatte da noch nichts zu sagen, jetzt aber schon und bin froh, dass ich sie doch noch wieder gefunden habe. Ich schreibe momentan selbst an einer, in der ich versuche, das zu tun, was du hier sehr gut umgesetzt hast. Du sagst sehr viel, ohne es auszusprechen. Das mag ich sehr und es ist ausgesprochen schwierig.

Du kreierst bei mir das Gefühl, durch seinen Betrachtungswinkel und ihre Antworten, dass er versucht Zugang zu ihr zu finden. Weil er viele kleine Dinge an ihr sieht, die ihn begeistern, es ist ein Anflug von Gefühl bei ihm, doch durch ihre Reaktion knallt sie ihm regelrecht die Tür vor die Nase. Du kriegst das Spiel da mit ganz kleinen Nuancen echt erstklassig hin.
Besonders durch die Betrachtungsweise, sie, dann doch wieder die Natur, bei mir zumindest den Eindruck, als würde er sich denken "Ach.. Vielleicht.." ihre Reaktion folgt wie ein Schlag ins Gesicht, obwohl sehr nüchtern, wenig Gefühlvoll (dadurch noch wirkungsvoller), er versucht sich abzulenken, es kommt wieder auf, sie haut ihm die Tür nochmal vor die Nase. Und das alles, ohne es zu sagen. Echt klasse.
Dein Erzählstil ist auch schön, mit dem Tempo sehr nah dran. Man sitzt quasi mit im Auto.
Eine Geschichte, die man sehr intensiv betrachten muss, was sich aber sehr lohnt.

Danke dass du das mit uns teilst. Ich finde, dass das Thema auch gut umgesetzt ist, für beide Protagonisten, er versucht die letzte Chance zu ergreifen, Zugang zu ihrer Welt zu bekommen und sie, ihm diesen zu verwehren, denn er ist nicht was sie will (sie schläft nicht gut bei ihm, findet keine Ruhe, fühlt sich nicht angekommen). Sehr fein beobachtet und gut geschildert.

Liebe Grüße
Lexi

 

Hi The Incredible Holg

ich hab's jetzt mal so gemacht:

Saftige, sonnenblonde Locken, die darunter hervorlugen.
Das enthält alles, was ich ausdrücken will: dichtes Haar; sonnig, golden glänzendes Haar...
ziemlich viele Adjektive... und manche könnten jetzt sagen; ach was, Adjektive sagen nichts... stimmt auch, wenn sie nichtssagend sind ... wunderschön, herrlich und so, hier versuche ich es mit Verfremdung und Kombinationen, die den ersten Blick verstören...
bin gespannt, was ihr sagt und ob es gelingt...

liebe Grüße
Isegrims

zu den unbeantworteten, unbedankten Kommentaren später ...

 

Hallo Tintenfisch

schön, dass du vorbeigeschaut hast und dabei Spuren übrig geblieben sind :)

Sie ist kurz, aber sie vermittelt trotzdem sehr viel Gefühl. Ganz toll finde ich das Minimalistische, ich mag den Stil sehr.
was soll ich da noch sagen, wie Öl, wie Glühwein geht das runter, wärmt :)

liebe Grüße
Isegrims

Guten Abend Dante Friedrichard

Fällt selbstverständlich sofort auf, dass drei Kürzest-Ellipsen gestrichen sind - ohne, dass es dem Text geschadet hätte. Logisch auch, dass Locken wenig "saftiges" an sich haben. Aber jetzt hab ich hier bedenken (warum nicht früher? K. A.):
Reifen, die über Pfützen schnarren.
"Über Pfützen" - wer oder was kann das? Wir können "über" Pfützen hinwegschreiten oder auch hineintreten und somit "durch" sie waten oder sonst was. Ein Reifen, der seiner Bestimmung folgt, nicht. Der rollt "durch", selbst wenn der größere Teil des Reifens übers Wasser hinausragt.
war trotzdem schwer: der Trennungsschmerz bei Textverknappungen ist geblieben... :)
das mit den "saftigen Locken habe ich ebenso gelassen wie das Schnarren... zum Saft: siehe oben (ich hab es sogar noch augebaut) und das Schnarren, ja das höre ich regelrecht, probier es doch mal mit deinem Fahhrad aus, rausch durch die Pfützen (gerade heute) und lass es schnarren :)

das mit den "nee" und "eine" habe ich so gemacht...

liebe Grüße in Wind, Regen und schnarrende Weihnachtsmarktpfützen
Isegrims

geht noch weiter: später...

 
Zuletzt bearbeitet:

rausch durch die Pfützen (gerade heute) und lass es schnarren
Aber, aber,

Isegrims
,
bis gerade hielt ich's noch für eine Gnade, auf einem (exakt: dem linken) Ohr taub zu sein, jetzt bedauer ich's, wenn auch nur ein ganz klein bissken - denn zum Artisten taug ich nicht ...

Aber ist schon in Ordnung, selbst wenn der Duden "schnarren" definiert als "[schnell aufeinanderfolgende] durchdringende, sich hölzern-trocken anhörende Töne ohne eigentlichen Klang" von sich gibt. Werden die Dudenkerle sicherlich nicht experimentell nachvollziehen wollen. Sind ja auch keine Artisten, geschweige denn Feldforscher. Sesselfurzer halt. Und wer Definitionen braucht, hat's nötig ..., sag ich immer. Oder doch fast.

Tschüss

Friedel

 
Zuletzt bearbeitet:

Guten Morgen Friedel,

ich glaub dir alles: egal, was du aus dem Duden zitierst:)
aber so ähnlich klingt es doch

schnarren" definiert als "[schnell aufeinanderfolgende] durchdringende, sich hölzern-trocken anhörende Töne ohne eigentlichen Klang" von sich gibt.
und wenn nicht: welches verdammte Wort beschreibt dann wie Reifen durch eine Pfütze fetzen?
Sind ja auch keine Artisten, geschweige denn Feldforscher. Sesselfurzer halt.
stimmt absolut:)

liebe Grüße
Isegrims

später mehr zu den anderen Kommentaren...

 

Hallo Lexi

oh; was soll ich da sagen...

Du sagst sehr viel, ohne es auszusprechen. Das mag ich sehr und es ist ausgesprochen schwierig.

Danke dass du das mit uns teilst.
das ist der Sinn jeglicher Literatur...

vielen Dank für deine Worte...
liebe Grüße
Isegrims

 

Hallo Isegrims,
für mich und meiner absolut unmaßgeblichen Meinung ist hier die Textverkürzung ins groteske gerutscht. Ich musste fast lachen. Drei Worte, bumm, Punkt. Vier Worte, bumm, Punkt. Landschaft=Dialog=Landschaft=Dialog. Ich sehe, anderen Schreibern hat es gefallen. Da ich ein Einzelschicksal bin, muss Du Dir das echt nicht zu Herzen nehmen.

Ist eben mein Geschmack, den das jetzt nicht trifft. Der Stil leitet für mich nicht elegant durch die Handlung, sondern wirkt auf mich wie ein Selbstzweck.

Ich wünsche Dir aber weiterhin viel Erfolg!
Gretha

 

Hallo Gretha

zugegeben ist dies ein experimenteller Text, in dem ich versucht habe in extremer Verkürzung den Augenmerk auf das Blitzartige des Gedanken einerseits und auf die Dialoge zu richten. die - um dein Wort aufzugreifen - grotesk wenig echte Kommunikation enthalten.

Konzentration war das Ziel, weniger einen geschmeidig-eleganten Stil zu erreichen. Was auch gar nicht der Situation gemäß ist und auch gar nicht nötig oder angemessen für einen derartig kurzen Text. (nach meiner Meinung)

und das muss man nicht mögen...:)
allerdings besteht das Erzählprinzip (über das ich lange nachgedacht habe) nicht darin:

Landschaft=Dialog=Landschaft=Dialog.
das wäre langweilig... wahrscheinlich hast du den Text nur flüchtig gelesen...
Der Plan ist folgender:
Situation/Sinneseindrücke=Dialog=Person/Situation/Stimmung=Dialog=Inneres/Stimmung/Sinne=Dialog=usw.

danke dass du da warst und danke für deine Meinung:)
Isegrims

 

Liebe Isegrims,

ich finde deine Geschichte jetzt perfekt. Die Verknappung zieht sich durch den gesamten Text und entspricht damit der Situation. Die Gespräche und Gesten sind auf ein Minimum reduziert. Es gibt keine Kommunikation mehr, nur noch ein paar sachliche Äußerungen. Gefühle finden sich allensfalls in den Erinnerungsfetzen des Mannes.
Eine Beziehung geht zu Ende, eine letzte Fahrt, Ende, die Andeutung von Erleichterung. Das ist dir gelungen, besonders jetzt, wo du so viel Überflüssiges weggenommen bzw. geändert hast. Diese Szene ist die Abstraktion einer Schlussszene, wie sie sich vermutlich ähnlich millionenfach abspielt. Und hier liegt mein Problem: Die Menschen bleiben gesichtslos. Wenn es deine Absicht war, so weit zu reduzieren, dass nur noch die Szene bleibt, so ist dir das gelungen, sie teilt sich uns nachvollziehbar und nacherlebbar mit, doch die Menschen in ihr sind austauschbar, haben keine Kontur.

Ich bin mir nicht ganz sicher, ob mir das gefällt. Und ich bin mir auch noch nicht sicher, welchen literarischen Wert das hat. Das ist jetzt keine Kritik an deinem Text, sondern das überlege ich wirklich. Ich bin hin und hergerissen zwischen dem Gefallenfinden an dieser reduzierten Darstellungsweise und dem Bedürfnis,mehr über die Personen zu erfahren, näher an sie heranzukommen, zu verstehen, wie es gerade bei ihnen zu dieser sich immer und immer wieder gleichenden Schulssszene kommt. Aber das hat jetzt gar nicht so viel mit deinem Text zu tun. Dieses Experiment scheint mir gelungen, weil es in sich stimmig ist.

Liebe Grüße
barnhelm

Nebenbei: Mit den ‚saftigen’Locken komme auch ich nicht zurecht. Es will kein Bild entstehen, auch nach allen Erklärungen nicht.

 

Liebe barnhelm

ich denke du hast es gut getroffen

Diese Szene ist die Abstraktion einer Schlussszene, wie sie sich vermutlich ähnlich millionenfach abspielt.
und:
Es gibt keine Kommunikation mehr, nur noch ein paar sachliche Äußerungen. Gefühle finden sich allensfalls in den Erinnerungsfetzen des Mannes.
Darüber wollte ich schreiben... und gerade weil der Rest sich millionenfach (bestimmt sogar jetzt, in diesem Moment) wiederholt, braucht es keine Kontur, braucht es womöglich gar nicht mehr, als eben das...
Klar ließe sich eine Geschichte dazu erfinden (und ich habe mir dazu auch ein paar Varianten überlegt: one-night-stand, ein Konflikt über unterschiedliche sozialen Status, das Ende einer langen Ehe), aber was geschähe dann? Wir könnten es exemplarisch abtun. So nach dem Motto: das bin ich nicht... Daran kranken ja einige Geschichten. Gerade in der gewollten Kontruiertheit. Das aber nur als Gedankenansatz.

Du schreibst noch etwas, über das ich nachdenken musste:

Und ich bin mir auch noch nicht sicher, welchen literarischen Wert das hat.
wow: was für eine Frage, was für eine Feststellung. Was ist das? Literarischer Wert? Gefälligkeit? Geschmeidigkeit?
Ich gebe wieder, ich beobachte, ich zeige ... und genau das - kann Literatur.

Wenn ich so darüber nachdenke, will ich noch viel mehr derartiges schreiben, weil ich persönlich (und da muss man mir nicht zustimmen) genau das für Literatur halte.

Dieses Experiment scheint mir gelungen, weil es in sich stimmig ist.
Du glaubst gar nicht, wie sehr ich mich darüber freue... :)
liebe Grüße
Isegrims

 

Hey Isegrims,

Vielen Dank auch Dir für die Geschichte zum TdM. Das ist irgendwie hübsch zu sehen, wie viele unterschiedliche Geschichten das Thema hervorzaubert, in welche Richtung die Gedanken da so fließen. Du schreibst ein Abschiedszene. Mehr ist es ja nicht, als eine Szene, aber die finde ich gelungen. Am Anfang fand ich diese kurzen Sätze ja recht gewöhnungsbedürftig so als alleinige Satzform, aber je mehr man dem Text folgte, je mehr funktionierten die bei mir. Diese Sprachlosigkeit zwischen den beiden, das spiegelt sich hübsch im Stil. Hier gehen Stil und Inhalt mal wirklich Hand in Hand für mich und das bleibt auch nicht ganz ohne Wirkung auf den Leser.

Inhaltlich kann man jetzt nicht viel drüber sagen, steht ja alles ziemlich deutlich da. Die Szene ist in ihrer Klarheit schon bestechend. Ist dann aber auch so, dass man nicht weiter drüber nachdenken muss oder irgendwelche Gedanken ins fließen kommen, man anderer Meinung sein kann oder sich aufregt, also der Text macht mit mir nichts. Irgendwie ist mit dem letzten Satz auch alles gesagt. Aber es ist eine kleine nette Unterhaltung, wie ich finde sehr gut gemacht und damit erreicht der Text sein Ziel. Oder wolltest Du mehr?

„Echt?. Ich dreh die Klimaanlage auf.“

?: Ein Satzzeichen würde mir auch reichen. An dieser Stelle musst Du nicht mit Verschwendung beginnen ;).

„Ich übernachte nicht mehr bei dir. Ich hab nicht gut geschlafen.“
„Warum?“
„Ich weiß nicht.“
„Mm.“

Gefällt mir gut.

„Ich kann umdrehen. Du kannst dich bei mir ausschlafen.“

Als wäre die Worte zuvor schon durch die Klimaanlage hinausbefördert :). Da musste ich echt schmunzeln. Typisch Mensch.

"Und jetzt die nächste rechts und gleich wieder rechts. Zweihundert Meter dahinter kannst du anhaltenLEERZEICHEN RAUS .“

Ich entschließe mich,LEERZEICHEN REINden Zündschlüssel zu drehen und den Motor auszuschalten.

Beste Grüße, Fliege

 

Hallo Isegrims,

Alles ist wohl gesagt in den vielen Kommentaren. Ein guter Text und vom Stil her besonders.
Das ist auch meine Meinung und auch ich habe die Geschichte gerne gelesen.

Aber irgendwie lässt mich die Geschichte nachdenklich zurück und wirft Fragen auf.
So wie ich es verstehe, geht die Trennung von der Frau aus. Weshalb?

[Wie durchscheinend ist sie. So blass. Sogar die feinen Äderchen sieht man überall auf ihrem Körper.
Sie schläft nicht gut und am liebsten möchte sie nicht zur Arbeit.
Was belastet sie?]

Die Geschichte sagt darüber nichts aus und ich denke, dass es so gewollt ist. Und trotzdem.....

Alles Gute wünscht Dir
Marai

 

Hallo Isegrims,

Wind rauscht durch das geöffnete Fenster.
Graue Pudelmütze mit rotem Bommel.
Winterfeste Blumenstöcke.

Es scheint ja Winter bzw. kalt zu sein. Wieso hat dann der Protagonist das Fenster offen? Das macht doch keiner freiwillig ;).

Saftige, sonnenblonde Locken, die darunter hervorlugen.
Das saftige war ja schon intensiv Thema, trotzdem hole ich es nochmal vor. Auch wenn es Holg geschafft hat, dass du wieder dazu zurückgekehrt bist, ist es für mich einfach unpassend. Haare saften nicht, es sei denn, sie wären furchtbar fettig. Das kommt da bei mir rüber, wenn ich saftig lese - und du wolltest ja grade das Gegenteil damit ausdrücken, nicht wahr? Nun gut, jetzt ist es halt so.

Aber ich wollte dir trotzdem nochmal dazu das Feedback geben, ansonsten denkst du ja, alle fänden das saftig toll.
Bei mir wären es vor Gesundheit strotzende, sonnenblonde Locken gewesen.


„Mir ist kalt.“
„Echt?. Ich dreh die Klimaanlage auf.“
„Lass mal. Die Jacke ist warm.“
Klasse. Da ist soviel Abneigung und Desinteresse rauszulesen.

Ein Stück nackte, unbedeckte Haut am Hals.
doppelmoppel

„Eigentlich will ich nicht zur Arbeit“, sagt sie und unterbricht die Stille

da fehlt noch ein Punkt

Regentropfen, die wie Kugeln auf der Scheibe abprallen.
Also der Vergleich ist mir nicht eindeutig genug mit den Kugeln. Erst dachte ich an Patronenkugeln, aber dann dachte ich, dass diese ja ins Glas eindringen würden. Dann dachte ich an Murmeln oder sowas ... also ich schwankte zwischen mehreren möglichen Objekten, die wie Kugeln aussehen. Das fand ich dann unbefriedigend. So ein vergleichendes Bild muss sofort sitzen.


„Was ist das für ein Parfüm?“
"Und jetzt die nächste rechts und gleich wieder rechts. Zweihundert Meter dahinter kannst du anhalten .“
Keine Antwort ist auch eine Antwort. Das ist herb.

Sattes Klacken, als sie die Tür schließt. Für einen Moment steht sie noch da.
"Ich ruf dich an", sage ich.
Also kann sie das gar nicht mehr hören, wenn die Tür geschlossen ist?

Sie nimmt die Mütze ab und ihre Haare flattern.
Warum flattern sie? Weil sie sie schüttelt? Wind kann es ja nicht gewesen sein, wenn es neblig war.
Das ist mir zu ungenau.

Ich mache den Motor wieder an.
Ich weiß echt nicht mehr viel von der Grundschule, aber daran, dass machen und tun bei Aufsätzen schlechte Verben sind, daran erinnere ich mich :D

Also vielleicht eher starten?

Grundsätzlich mag ich das Minimalistische. Die Dialoge sind hier für mich auch wirklich gelungen. Mit manchen sehr kurzen Beschreibungen der Umgebung habe ich noch etwas gehadert, weil es für mich nicht rund genug war in der Kürze.

Zum Beispiel hier, da hauen mich die fetten Sätze raus:

Wind rauscht durch das geöffnete Fenster. Langsame Fahrt vorbei an Häuserreihen. Früh am Morgen. In der Ferne helle Stimmen. Kinder vielleicht. Finger, die auf dem Lenkrad irgendeinen Takt schlagen. Reifen, die über Pfützen schnarren.

Ich konnte die Stimmung spüren und das ist für mich das Wichtigste.

Liebe Grüße
bernadette

 

Hallo Isegrims,

kurzer Text, kurze Texte – knackig und gut. :thumbsup:

Ein winziger Fleck am Kehlkopf, an den ich mich erinnere.
Erst hier – relativ spät – erfährt man, dass es ein(e) Ich-Erzähler(in) ist. Finde ich gut.

„Ich weiß nicht.“
„Mm.“

Ich höre ihre Stimme, leise und ohne Betonung. Mir fällt nichts ein, was ich sagen könnte. Die feuchte Straße vor mir reflektiert das Licht. Schweigen.

„Eigentlich will ich nicht zur Arbeit“, sagt sie und unterbricht die Stille(PUNKT)

„Ich höre ihre Stimme“: Das verstehe ich nicht. Als letztes hat der Prot. doch „Mm.“ gesagt, danach folgte doch nichts mehr.

Schnellere Fahrt, als wir zur Bundesstraße kommen.

Regentropfen, die wie Kugeln auf der Scheibe abprallen.
Ich würde meinen, “die Scheibe”.

„Was ist das für ein Parfüm?“
Und dann kommt keine Antwort … Sehr gut.

Glasfront. Metallstreben. Rechteckig. Ein paar Büsche davor. Winterfeste Blumenstöcke. Eine Tafel am Eingang. Glänzende Lettern. Manche goldfarben.
Durch diese Beschreibung erweckst du den Eindruck, dass der Prot. hier zum ersten Mal ist. Soll das so sein?

Ich entschließe mich,(LEERFELD)den Zündschlüssel

Sie sagt nichts und sieht irgendwie glücklich aus(PUNKT)

"Ich ruf dich an", sage ich.
Kann sie ihn überhaupt noch hören? Selbst wenn nicht, guter Monolog.

Ich habe den Text auch schon in der ersten Version gelesen, (die Kommentare dazu aber nicht).

Der Text ist richtig gut. Die Stimmung kommt gut rüber.
Ich kenne ja deinen Roman mit den langen, teilweise umständlichen Sätzen (ist jetzt nicht negativ gemeint) … und dann das hier: Wow!

Viel Spaß und Erfolg noch in der Challenge. :)

Liebe Grüße,
GoMusic

 
Zuletzt bearbeitet:

Hi Fliege

herzlichen Dank für deinen Kommentar.
Ja: auch dem Text ergeben sich Fragen und irgendwie habe ich das Gefühl, er hat sich selbständig gemacht, sodass ich gar nicht recht die Fragen beantworten kann, die du stellst...

Ist dann aber auch so, dass man nicht weiter drüber nachdenken muss oder irgendwelche Gedanken ins fließen kommen, man anderer Meinung sein kann oder sich aufregt, also der Text macht mit mir nichts.
zum Beispiel hier: es juckt mich zu widersprechen, weil ich anfangs einen breiteren Text mit Konflikt und so was, vor Augen hatte... aber jetzt denke ich, dass es eben exemplarisch ist für solch ein Szene, die praktisch jeder schon erlebt hat ... und wenn ich einen Konflikt einbaue (ich dachte ursprünglich an einen Streit, einen Schicksalsschlag oder ähnliches) dann gebe ich zu viel Raum für das Besondere... eine Nicht-Identifikation: na ja, was das steht, das geht mich nichts an könnte man denken... wie der Text jetzt läuft, liegt der Fokus allein auf der Beziehungsebene...
Aber es ist eine kleine nette Unterhaltung, wie ich finde sehr gut gemacht und damit erreicht der Text sein Ziel. Oder wolltest Du mehr?
und das wollte ich schon :)

Diese Sprachlosigkeit zwischen den beiden, das spiegelt sich hübsch im Stil. Hier gehen Stil und Inhalt mal wirklich Hand in Hand für mich und das bleibt auch nicht ganz ohne Wirkung auf den Leser.
schon viel mit dieser "Harmonie" erreicht :)

Lieben Dank für deinen Kommentar:)
(und die Korrekturen habe ich erledigt)
Isegrims

Hallo Marai

Ein guter Text und vom Stil her besonders.
Das ist auch meine Meinung und auch ich habe die Geschichte gerne gelesen.
dabei war ich so unsicher anfangs: vielen Dank:)

Aber irgendwie lässt mich die Geschichte nachdenklich zurück und wirft Fragen auf.
So wie ich es verstehe, geht die Trennung von der Frau aus. Weshalb?
es gibt glaube ich Millionen Gründe und alle sind besonders ... mein Stück lässt Raum für alle...jeder kann den einsetzen, den er möchte... und den er womöglich selbst erlebt hat...

liebe Grüße
Isegrims

später mehr zu den anderen Kommentaren

 

Hallo bernadette

Das saftige war ja schon intensiv Thema, trotzdem hole ich es nochmal vor. Auch wenn es Holg geschafft hat, dass du wieder dazu zurückgekehrt bist, ist es für mich einfach unpassend. Haare saften nicht, es sei denn, sie wären furchtbar fettig. Das kommt da bei mir rüber, wenn ich saftig lese - und du wolltest ja grade das Gegenteil damit ausdrücken, nicht wahr? Nun gut, jetzt ist es halt so.

Aber ich wollte dir trotzdem nochmal dazu das Feedback geben, ansonsten denkst du ja, alle fänden das saftig toll.
Bei mir wären es vor Gesundheit strotzende, sonnenblonde Locken gewesen.


nur mal kurz: ich kann mich gar nicht erinnern jemals so lange über ein einzelnes Wort nachgedacht zu haben und nachdem "saftig" wohl einige nicht so überzeigend finden...
"strotzend" ist super, aber kein richtig hübsches Wort, also habe ich es umklammert und dabei ist immerhin eine Alliteration rausgekommen :)
Seiden strotzende, sonnenblonde Locken

Ergebnis der Beobachtung einer Menschenansammlung während eines Konzertes heute Abend... :)
Da saß ein Mädchen, die hatte genau diese Kombination :)

den Rest muss ich morgen fortsetzen, zu spät jetzt...

 

Hallo bernadette

auch wenn ich mich jetzt nach vorne beame... ich dokumentiere ja nur, wie lange ich gebraucht habe, um abzuwägen...besonders bei solch einer kurzen Geschichte...

Ein Stück nackte, unbedeckte Haut am Hals.
doppelmoppel
selbst das hatte ich mir ursprünglich so gedacht: nackt als die Erinnerung an ihre nackte Haut, ein Hauch von Sex und unbedeckt, um zu zeigen, dass da noch eine Stelle unbedeckt ist, obwohl sie eingemummelt im Auto sitzt... unbedeckt ist jetzt übrig geblieben... und enthält ja auch beides...

Regentropfen, die wie Kugeln auf der Scheibe abprallen.
Also der Vergleich ist mir nicht eindeutig genug mit den Kugeln. Erst dachte ich an Patronenkugeln, aber dann dachte ich, dass diese ja ins Glas eindringen würden. Dann dachte ich an Murmeln oder sowas ... also ich schwankte zwischen mehreren möglichen Objekten, die wie Kugeln aussehen. Das fand ich dann unbefriedigend. So ein vergleichendes Bild muss sofort sitzen.
stimmt...
Ich hab's jetzt so gemacht:
Regentropfen, die wie winzige Kügelchen auf der Scheibe abprallen.

Sattes Klacken, als sie die Tür schließt. Für einen Moment steht sie noch da.
"Ich ruf dich an", sage ich.
Also kann sie das gar nicht mehr hören, wenn die Tür geschlossen ist?
Ja, sie hört seine Worte nicht mehr...
Da habe ich was ergänzt, um das zu verdeutlichen:
Worte, die im Nichts verhallen.
klarer?

Sie nimmt die Mütze ab und ihre Haare flattern.
Warum flattern sie? Weil sie sie schüttelt? Wind kann es ja nicht gewesen sein, wenn es neblig war.
Das ist mir zu ungenau.
Jetzt so:
Sie nimmt die Mütze ab und schüttelt sich die Haare.
und der Motor startet jetzt auch :)

Nur hier:

Zum Beispiel hier, da hauen mich die fetten Sätze raus:

Wind rauscht durch das geöffnete Fenster. Langsame Fahrt vorbei an Häuserreihen. Früh am Morgen. In der Ferne helle Stimmen. Kinder vielleicht. Finger, die auf dem Lenkrad irgendeinen Takt schlagen. Reifen, die über Pfützen schnarren.

Das ist schwierig. Für mich klingt gerade das durchbrochene, stakkatoartige richtig... muss ich drüber nachdenken...

Ganz lieben Dank für deine so hilfreichen Anmerkungen
Isegrims

später mehr...

 

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