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Endlich!

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01.12.2015
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Endlich!

Endlich!
Ich renne. In meinen dünnen Schuhen spüre ich die heißen rauen Steine der Treppenstufen. Ich darf nicht stolpern. Sie dürfen mich nicht kriegen. Trotzdem muss ich zurück schauen. Sehe, wie sie ihn wegzerren. Sehe, wie sein Blick mich noch einmal trifft: „Lauf!“ bevor sie ihn niederknüppeln. Ich stolpere die Treppen hinauf. Mein Kleid klebt mir am Körper. In der großen Umhängetasche ist das Gemüse welk geworden. Es hat seinen Zweck erfüllt. Ich bin entkommen. Noch wissen sie nicht, dass ich zu ihm gehöre, aber sie werden kommen. Bald. Deshalb muss ich sie loswerden, die Flugblätter unten in meiner großen Tasche unter den Lauchstangen und den Auberginen. Diese Blätter werden den Unterschied machen, zwischen ein paar Jahren und lebenslang.

Diesmal renne ich nicht. Ich kann nicht. Ich gehe langsam auf ihn zu. Fünf Jahre! Und nun steht er endlich vor dem Tor. Verloren mit seinem schmutzigen Rucksack. Seine Locken haben sie ihm kurzgeschoren und er ist mager, aber er ist immer noch er. Und mein Herz macht einen Sprung. Als er mich sieht, kommt er über die Straße. Den Rucksack lässig über die Schulter geworfen, versucht er cool zu sein. Wir umarmen uns nicht. Wie im Besuchsraum fühlen wir die Blicke des Feindes, streifen nur zart die Hand des anderen. „Endlich!“ sagt er. „Endlich!“ antworte ich und wir nehmen den Bus in die Altstadt.

Im Bus sitzen wir dicht nebeneinander. Schenkel an Schenkel. So dicht, wie ewig nicht. Ich spüre seine Wärme, seine harten Muskeln. Der dünne Stoff meines Kleides ist das Einzige, was uns trennt. Nicht mehr Mauern, Gitter, Trennscheiben, Tische, Wachpersonal. Es ist vorbei. Endlich. Ich traue mich noch nicht, seine Hand zu nehmen. Er riecht so fremd. Es umgibt ihn eine Einsamkeit, in die ich nicht einzudringen wage, aber ich lege meine Hand sanft auf seinen Oberschenkel. Leicht, fast nicht zu spüren. Ein Angebot. Er legt seine Hand darüber. Drückt sie und ich spüre seine vertraute Haut, seine kräftigen, schmalen Finger.

Vom Markt sind es nur ein paar Querstraßen bis zu meiner Wohnung. Er folgt mir, wie ein Kind. Wir drängen uns durch die Menschenmenge, bis es langsam leerer wird in den Nebenstraßen. Er schaut auf den Boden beim Gehen, aber ich schaue den Leuten ins Gesicht. Trotzig. Starren sie uns an? Beobachten sie uns? Sind wieder ihre Spitzel unterwegs und verfolgen mich, wie in der Anfangszeit während seiner U-Haft? Immerzu tauchten sie auf, durchsuchten die alte Wohnung, kontrollierten, mit wem ich mich traf. Wollten Beweise, dass er mehr war, als ein einfacher Teilnehmer. Ich ging nur selten raus. Besuchte meine Freunde, unsere Freunde, immer seltener. Irgendwann bin ich umgezogen. Irgendwann haben sie mich in Ruhe gelassen. Ich schließe die Haustür auf. Wir steigen die Stufen hoch. Er folgt mir ohne ein Wort.

Ich öffne die Wohnungstür, lasse ihm den Vortritt: „Bitte, tritt ein!“ Zögernd betritt er sein neues Zuhause. Bleibt an der Tür stehen. Stellt seinen Rucksack ab. Ich bin stolz auf diese Wohnung. Ich habe hart dafür gearbeitet. Links neben dem Eingang ist die kleine offene Küche, nur durch eine halbhohe Mauer vom Wohnraum getrennt. Das Zimmer hat einen wunderbaren Blick über die Dächer der Altstadt. Ich habe unsere alte Couch vor das Fenster gestellt. Seine Gitarre aufgehängt. Die Palme, die er mir geschenkt hat, steht vor dem Fenster. Erkennt er seine Lieblingsbücher im Regal? Ich stehe hinter ihm und zittere. Warte, dass er ankommt, aber er steht nur da.

Ich stelle meine Tasche ab und trete zu ihm. Streiche mit meiner Hand vorsichtig über sein Rückgrat. Er zuckt zusammen. Seine Schultern sind verspannt. Dann lässt er locker, dreht sich um, nimmt mich in die Arme. Sein weißes Hemd klebt ihm am Körper, aber er fühlt sich so gut an. So vertraut. Ich schmiege mich an ihn, passe immer noch gut in die Kuhle zwischen seiner Schulter und seinem Hals. Er wühlt seinen Kopf in meine Locken. „Ich habe dich so vermisst. Jeden verdammten Tag!“ murmelt er. „Komm!“ Ich ziehe ihn fort zum Schlafzimmer. Ich will ihn ganz nah bei mir haben. Will merken, dass er wieder da ist. Wir sitzen auf dem Bett und halten uns. Eng. Ich bekomme kaum Luft. Wir küssen uns, vorsichtig. Seine Lippen sind so vertraut. Weich, heiß und er schmeckt ein bisschen nach Metall, wie er das immer getan hat.

Er zuckt zusammen, als die Tür geht. Ich höre Raja und verfluche sie leise. Oder mich. Ich hätte es ihr sagen müssen. Auf ihre raumnehmende Art steckt sie den Kopf zur Tür herein. Grinst, als sie ihn sieht. „Oh, was ist denn das für ein heißer Typ? Lasst euch nicht stören. Ihr Turteltäubchen. Bin schon wieder weg.“ Und das ist sie auch. Aber er hat mich losgelassen, ist von mir weggerückt. „Das war Raja“, versuche ich zu erklären. „Eine Bekannte, sie nutzt öfter mal das Arbeitszimmer, wenn ich nicht da bin. Sie …“

Raja interessiert ihn nicht. „Hattest du andere Männer, als ich weg war?“ Ich starre ihn an. „Hattest du?“ Er schüttelt mich. „Nein“,sage ich. „Doch. Einmal, auf einem Fest. Es war nichts. Ich …“ Er lässt mich los und ich verstumme, als ich die Kälte in seinem Gesicht sehe. „Weist du eigentlich, wie es war, die letzten fünf Jahre? Wie es ist, wenn man ganz alleine in einer Zelle ist, wenn man sich fürchtet, dass sie einen holen, dass sie einen schlagen. Wie es ist, wenn man im Verhörraum sitzt und wartet, Tag und Nacht. In seine Hose pisst, weil sie einen nicht auf die Toilette lassen. Wie ...“ Er beißt sich auf die Lippen und schließt die Augen.

Mein Herz rast. Ich weiß nicht, ob ich hören will, was er zu sagen hat. Habe Angst, seine Narben zu sehen. Aber ich muss. Ich will ihn nicht allein lassen in der Dunkelheit. Ich greife nach seiner Hand, aber er stößt mich weg. „Und du hurst hier rum. Feierst Partys, hast dein beschissenes, ganz normales, tolles Leben.“ Die Tränen steigen mir in die Augen. Wie kann er das sagen? Wie kann er das denken? „Nein, ich weiß nicht, wie es sich anfühlt, in einer Zelle zu sein. Ich weiß nicht, wie sich die Angst angefühlt hat. Der Schmerz, die Erniedrigung. Aber ich habe es mir vorgestellt, jeden verdammten Tag. Und ich habe mich schuldig gefühlt. Dass sie dich erwischt haben, während ich davon gekommen bin.“

Ich weiß es ist unfair, aber ich kann nicht mehr stoppen. „Und weißt du, wie es einen zerreißt, wenn man nichts tun kann?“ Ich springe auf und reiße die Schranktüren auf. „Hier“, schreie ich „und hier.“ Ich zerre schwarze Kleider heraus und werfe sie auf den Boden. „Ich habe Trauer getragen. Wollte nicht weiterleben, wie davor. Aber was nutzte es? Ich musste mein verdammtes, scheißnormales Leben weiterleben. Ich habe gearbeitet, wie eine Besessene, um dir diese Wohnung zu kaufen, damit du ein neues Zuhause hast. Ich musste einkaufen, musste kochen, musste mit Nachbarn reden, musste freundlich zu Kunden sein, musste weiterleben. Ja, und ein einziges Mal, habe ich gefeiert und getrunken und einen anderen Mann geküsst. Und es war furchtbar. Es war so furchtbar, wie es jeden Tag furchtbar war, meinen Alltag zu leben und zu wissen, dass du da drin bist und sie dich quälen. Ich wollte mitleiden, wollte ein Teil deiner Schmerzen auf mich nehmen, aber es ging nicht. Verstehst du? Nichts was ich getan habe, hat es für dich besser gemacht.“

Ich knie vor ihm in einem Wirrwarr dunkler Kleidungsstücke. Röcke, Kleider, Strümpfe, Tücher. Die Tränen laufen mir die Wangen hinunter. Er sitzt unbeweglich auf der Bettkante. Vertraut und fremd. Er ist ein anderer geworden und ich auch. „Weißt du noch“, sagt er nach einer Weile, „bei unserem ersten Treffen hattest du auch ein grünes Kleid an.“ Ich schaue ihn verwirrt an und folge dann seinem Blick zu meinem zerknitterten Kleid. Fleckig von Tränen und zerlaufener Wimperntusche leuchtet es grün inmitten des schwarzen Chaos um mich herum.

 

Hallo Snowmaid,

herzlich willkommen bei den Wortkriegern.

Eine beklemmende Geschichte. Ich vermute mal, dass sie in einer Gesellschaft mit Zensur und anderen Schikanen spielt. Die beiden überleben, aber wofür? Das grüne Kleid ermöglicht einen neuen Anfang und steht so auch mit seiner Farbe für die Hoffnung in der Hoffnungslosigkeit.

Ein Fehlerchen ist mir aufgefallen:

Ich habe gearbeitete, wie eine Besessene
e, muss weg.

Gut geschrieben, ich habs trotz des bedrückenden Themas gerne gelesen.

Liebe Grüße

Jobär

 

Hallo Jobär,
mein erster Beitrag. Bin noch ganz aufgeregt. Vielen Dank für deine herzliche Aufnahme. "e" ist jetzt raus.
Liebe Grüße
Snowmaid

 

Hey Snowmaid,

Willkommen hier im Forum :)
Schöne Geschichte, teilst du da mit uns, also schön geschrieben.
Die Welt in die wir da kurz blicken können, ist eher bedrückend, kalt... Erinnert mich etwas an Texte, die nach Kriegen geschrieben werden, besonders die Trümmerliteratur. Bedrückend, hinter oder vor einem liegt ein Krieg, jeder Mensch könnte ein Feind sein. Jeder einen Regimekritiker hinhängen.

Ich finde den Konflikt deiner beiden Protagonisten gut ausgearbeitet, auch wenn mir persönlich dein Stil zu sachlich ist, ist aber Geschmackssache. Hingegen sehr mag ich, wie genau du beobachtest.

Und das Ende, mittem im Schwarz auf den Knien sitzend, komplett am Boden, ist da ein bisschen grün, das die Trauer und die Verzweiflung mitträgt, bis man beides wieder hinter sich lassen kann. Das Alte ist unweigerlich tot, aber macht Platz für das Neue, es wird anders sein, aber sein.

Sehr schön, ich mags.

Liebe Grüße
Lexi

 

Liebe Snowmaid

Ich mag deine Geschichte sehr.... Ich kann mir gut vorstellen, dass nach fünf Jahren Knast, das Leben schwer ist, sachlich ohne Emotion. Aber es stimmt mich freudig, dass durch die Emotionen am Schluss alles in Bewegung kommt und ich bin zuversichtlich, dass das Lebendige und Freudige bei den Beiden wieder einkehrt.
Was ich nicht verstanden habe, ist das Hereinplatzen von Raja.

Danke für die Geschichte

Griessli Simone

 

Ich renne. In meinen dünnen Schuhen spüre ich die heißen rauen Steine der Treppenstufen. Ich darf nicht stolpern. Sie dürfen mich nicht kriegen. Trotzdem muss ich zurück schauen. Sehe, wie sie ihn wegzerren. Sehe Kommawie sein Blick mich noch einmal trifft: „Lauf!“ bevor sie ihn niederknüppeln. Ich stolpere die Treppen hinauf. Mein Kleid klebt mir am Körper. In der großen Umhängetasche ist das Gemüse welk geworden. Es hat seinen Zweck erfüllt. Ich bin entkommen. Noch wissen sie nicht, dass ich zu ihm gehöre, aber sie werden kommen. Bald. Deshalb muss ich sie loswerden, die Flugblätter unten in meiner großen Tasche unter den Lauchstangen und den Auberginen. Diese Blätter werden den Unterschied machen, zwischen ein paar Jahren und lebenslang.

Diesmal renne ich nicht. Ich kann nicht. Ich gehe langsam auf ihn zu. Fünf Jahre! Und nun steht er endlich vor dem Tor. Verloren mit seinem schmutzigen Rucksack. Seine Locken haben sie ihm kurzgeschorenKomma und er ist mager, aber er ist immer noch er. Und mein Herz macht einen Sprung. Als er mich sieht, kommt er über die Straße. Den Rucksack lässig über die Schulter geworfen, versucht er cool zu sein. Wir umarmen uns nicht. Wie im Besuchsraum fühlen wir die Blicke des Feindes, streifen nur zart die Hand des anderen. „Endlich!“ sagt er. „Endlich!“ antworte ich und wir nehmen den Bus in die Altstadt.

Im Bus sitzen wir dicht nebeneinander. Schenkel an Schenkel. So dicht, wie ewig nicht. Ich spüre seine Wärme, seine harten Muskeln. Der dünne Stoff meines Kleides ist das Einzige, was uns trennt. Nicht mehr Mauern, Gitter, Trennscheiben, Tische, Wachpersonal. Es ist vorbei. Endlich. Ich traue mich noch nichtKomma seine Hand zu nehmen. Er riecht so fremd. Es umgibt ihn eine Einsamkeit, in die ich nicht wage einzudringenWürde ich persönlich umstellen: einzudringen wage, aber ich lege meine Hand sanft auf seinen Oberschenkel. Leicht, fast nicht zu spüren. Ein Angebot. Er legt seine Hand darüber. Drückt sie und ich spüre seine vertraute Haut, seine kräftigen, schmalen Finger.
Vom Markt sind es nur ein paar Querstraßen bis zu meiner Wohnung. Er folgt mir, wie ein Kind. Wir drängen uns durch die Menschenmenge, bis es langsam leerer wird in den Nebenstraßen. Er schaut auf den Boden beim Gehen, aber ich schaue den Leuten ins Gesicht. Trotzig. Starren sie uns an? Beobachten sie uns? Sind wieder ihre Spitzel unterwegs und verfolgen mich, wie in der Anfangszeit während seiner U-Haft? Immerzu tauchten sie auf, durchsuchten die alte Wohnung, kontrolliertenKomma mit wem ich mich traf. Wollten Beweise, dass er mehr war, als ein einfacher Teilnehmer. Ich ging nur selten raus. Besuchte meine Freunde, unsere Freunde, immer seltener. Irgendwann bin ich umgezogen. Irgendwann haben sie mich in Ruhe gelassen. Ich schließe die Haustür auf. Wir steigen die Stufen hoch. Er folgt mir ohne ein Wort.
Insgesamt würde ich mehr Absätze einfügen
Ich öffne die Wohnungstür, lasse ihm den Vortritt: „Bitte, tritt ein!“ Hier würde ich z.B. einen Absatz machenZögernd betritt er sein neues Zuhause. Bleibt an der Tür stehen. Stellt seinen Rucksack ab. Ich bin stolz auf diese Wohnung. Ich habe hart dafür gearbeitet.Absatz Links neben dem Eingang ist die kleine offene Küche, nur durch eine halbhohe Mauer vom Wohnraum getrennt. Das Zimmer hat einen wunderbaren Blick über die Dächer der Altstadt. Ich habe unsere alte Couch vor das Fenster gestellt. Seine Gitarre aufgehängt. Die Palme, die er mir geschenkt hat, steht vor dem Fenster. Erkennt er seine Lieblingsbücher im Regal? Ich stehe hinter ihm und zittere. Warte, dass er ankommt, aber er steht nur da. Ich stelle meine Tasche ab und trete zu ihm. Streiche mit meiner Hand vorsichtig über sein Rückgrat. Er zuckt zusammen. Seine Schultern sind verspannt. Dann lässt er locker, dreht sich um, nimmt mich in die Arme. Sein weißes Hemd klebt ihm am Körper, aber er fühlt sich so gut an. So vertraut. Ich schmiege mich an ihn, passe immer noch gut in die Kuhle zwischen seiner Schulter und seinem Hals. Er wühlt seinen Kopf in meine Locken. „Ich habe dich so vermisst. Jeden verdammten Tag!“ murmelt er.Absatz „Komm!“ ich Ich ziehe ihn fort zum Schlafzimmer. Ich will ihn ganz nah bei mir haben. Will merken, dass er wieder da ist. Wir sitzen auf dem Bett und halten uns. Eng. Ich bekomme kaum Luft. Wir küssen uns, vorsichtig. Seine Lippen sind so vertraut. Weich, heiß und er schmeckt ein bisschen nach Metall, wie er das immer getan hat. Hier finde ich "getan hat" nicht so passend. Evtl.: "Wie ich es von früher kenne?"Er zuckt zusammen, als die Tür geht. Ich höre Raja und verfluche sie leise. Oder mich. Ich hätte es ihr sagen müssen. Auf ihre raumnehmende tolles Wort! Art steckt sie den Kopf zur Tür herein. Grinst, als sie ihn sieht. „Oh, was ist denn das für ein heißer Typ? Lasst euch nicht stören. Ihr Turteltäubchen. Bin schon wieder weg.“ Und das ist sie auch. Aber er hat mich losgelassen, ist von mir weggerückt.Absatz „Das war Raja“, versuche ich zu erklären. „Eine Bekannte, sie nutzt öfter mal das Arbeitszimmer, wenn ich nicht da bin. Sie…“

Raja interessiert ihn nicht. „Hattest du andere Männer, als ich weg war?“ Ich starre ihn an. „Hattest du?“ Er schüttelt mich. „Nein.“"Nein", sage Sage ich. „Doch. Einmal, auf einem Fest. Es war nichts. Ich…“Absatz Er lässt mich los und ich verstumme, als ich die Kälte in seinem Gesicht sehe. „Weist du eigentlich, wie es war, die letzten fünf Jahre? Wie es ist, wenn man ganz alleine in einer Zelle ist, wenn man sich fürchtet, dass sie einen holen, dass sie einen schlagen. Wie es ist, wenn man im Verhörraum sitzt und wartet, Tag und Nacht. In seine Hose pisst, weil sie einen nicht auf die Toilette lassen. Wie..“ vor die Auslassungspunkte gehört immer ein Leerschritt. Und dann sind es immer3 Er beißt sich auf die Lippen und schließt die Augen. Mein Herz rast. Ich weiß nicht, ob ich hören will, was er zu sagen hat. Habe Angst, seine Narben zu sehen. Aber ich muss. Ich will ihn nicht allein lassen in der Dunkelheit. Ich greife nach seiner Hand, aber er stößt mich weg. „Und du hurst hier rum. Feierst Partys, hast dein beschissenesKomma ganz normales tolles Leben.“ Die Tränen steigen mir in die Augen. Wie kann er das sagen? Wie kann er das denken?Absatz „Nein, ich weiß nicht, wie es sich anfühlt, in einer Zelle zu sein. Ich weiß nicht, wie sich die Angst angefühlt hat. Der Schmerz, die Erniedrigung. Aber ich habe es mir vorgestellt, jeden verdammten Tag. Und ich habe mich schuldig gefühlt. Dass sie dich erwischt haben, während ich davon gekommen bin.“ Hier würde ich mehr mit Ausrufezeichen arbeiten, sonst klingt der Streit so lautlos
Ich weiß es ist unfair, aber ich kann nicht mehr stoppen. „Und weißt du, wie es einen zerreißt, wenn man nichts tun kann?“ Ich springe auf und reiße die Schranktüren auf. „Hier“, schreie ich „und hier.“ Ich zerre schwarze Kleider heraus und werfe sie auf den Boden. „Ich habe Trauer getragen. Wollte nicht weiterleben, wie davor. Aber was nutzte es? Ich musste mein verdammtes scheißnormales Leben weiterleben. Ich habe gearbeitet, wie eine Besessene, um dir diese Wohnung zu kaufen, damit du ein sicheres Zuhause hast. Ich musste einkaufen, musste kochen, musste mit Nachbarn reden, musste freundlich zu Kunden sein, musste weiterleben. Ja, und ein einziges Mal, habe ich gefeiert und getrunken und einen anderen Mann geküsst. Und es war furchtbar. Es war so furchtbar, wie es jeden Tag furchtbar war, meinen Alltag zu leben und zu wissen, dass du da drin bist und sie dich quälen. Ich wollte mit leidenmitleiden, wollte ein Teil deiner Schmerzen auf mich nehmen, aber es ging nicht. Verstehst du? Nichts was ich getan habe, hat es für dich besser gemacht.“ Ich kniee vor ihm in einem Wirrwarr dunkler Kleidungsstücke. Röcke, Kleider, Strümpfe, Tücher. Die Tränen laufen mir die Wangen hinunter. Er sitzt unbeweglich auf der Bettkante. Vertraut und fremd. Er ist ein anderer geworden und ich auch. „Weißt du noch?“, sagt er nach einer Weile, „bei unserem ersten Treffen hattest du auch ein grünes Kleid an.“ Ich schaue ihn verwirrt an und folge dann seinem Blick zu meinem zerknitterten Kleid. Fleckig von Tränen und zerlaufener Wimperntusche leuchtet es grün inmitten des schwarzen Chaos um mich herum.


Deine Geschichte habe ich gerne gelesen, weil mir der kühle Stil gefällt. Für einen ganzen Roman wäre es mir zu deprimierend, aber hier wird die kalte, harte Umgebung gut in Worten gefangen. Die Personen, das Land, die Städte haben keinen Namen. Nur die raumnehmende Raja. Seltsam. Was mich erstaunt, ist, dass sie sich eine neue Wohnung suchen und alles den Eindruck völliger Normalität erweckt. Es wird nicht klar, warum die alte Wohnung überwacht wurde, und das gleiche nicht in der neuen Wohnung auch passieren sollte. Warum ist die neue sicher?
Zum Schluss finde ich das Bild mit den vielen schwarzen KLamotten, aus denen das grüne Kleid wie ein Hoffnungsstrahl blitzt sehr gelungen (wenn auch nicht subtil)
Schönen Abend noch!

 
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Hey Lexi,
vielen Dank für deinen Kommentar. Ich freu mich, dass du meine Geschichte gelesen hast.
LG Snowmaid


Hi Simone,
auch dir vielen Dank für deinen Kommentar. Hat mich sehr gefreut.
Durch Raja wird ihm bewusst, dass das Leben weitergegangen ist - ohne ihn.
Hilft dir das?
Gruß Snowmaid


Hey Ruvanna,
sorry, dass ich mich erst jetzt melde. Erst einmal vielen Dank für deinen Kommentar. Werde mich gleich noch an die fehlenden Kommata und die Absätze machen.

Über den Abschnitt mit der neuen Wohnung muss ich noch einmal nachdenken.

Sie ist umgezogen, weil sie raus wollte, aus dem Gerede in der Nachbarschaft. Die neue Wohnung sollte für sie und ihn ein Rückzugsort sein. Sicher vor Spitzeln ist sie natürlich nicht. Aber zumindest hat sie bisher keiner durchwühlt und beschmutzt.

Muss ich mal sacken lassen.
Dir auf jeden Fall vielen Dank für die Fragen.
Liebe Grüße von Snowmaid

 

Hi Snowmaid,

mir hat deine Geschichte gut gefallen, obgleich das Genre eigentlich nicht zu meinen bevorzugten Themen zählt. Aber ich finde deinen Schreibstil gut, du kannst eine glaubwürdige emotionale Verbindung zwischen beiden Figuren aufbauen und außerdem finde ich die Rahmenhandlung interessant - so ein bisschen was von Orvell'schem 1984 bzw. Polizeistaat - und das wiederum gefällt mir sehr gut ...ich meine damit das Thema als solches, nicht die Existenz von Polizeistaaten!:lol:

Das optimistische Ende finde ich gut - schön mit dem grünen Kleid dargestellt. Wie gesagt - eine gute Geschichte.

Vorweihnachtliche Grüße vom Eisenmann

P.S. Könntest du bei der nächsten Geschichte dieser Art vielleicht etwas detaillierter von den Verhören der Gefangenen erzählen?:D

 

Hi Eisenmann,
danke für deinen Kommentar. Freut mich, dass du mit der Geschichte etwa anfangen konntest, auch wenn es nicht so dein Genre ist.
Was deinen Wunsch am Ende betrifft, weiß ich nicht, ob ich den erfüllen kann. Ich finde, das ist ein sehr schwieriges Thema.
Mir ging es vor allem um die Sicht des Menschen, der dabei steht und nichts tun kann.
Grüße zurück von Snowmaid

 

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