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Copywrite Die Botschaft

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21.12.2015
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Die Botschaft

Matthias schwankte und wäre beinahe auf der Treppe ausgerutscht, in deren ausgetretenen Stufen sich Wasser gesammelt hatte. Das Gasthaus „Zum roten Ochsen“ lag direkt neben der Kirche. Matthias kannte die Zahl 1656, sie war auf dem Stirnbalken über dem Eingang eingebrannt, daneben hing das Wirtshausschild mit dem Ochsen. Es hatte sich etwas aus der Verankerung gelöst. Beim geringsten Wind fing es an zu klappern, aber das schien niemanden zu stören. Nach der Sonntagsmesse trafen sich in dem dunklen Schankraum nur noch wenige Männer zum Frühschoppen. Unter der Woche lebte das Wirtshaus vor allem von den einheimischen Rentnern am Stammtisch.
Lange her, dass hier Familienfeiern und Cegoturniere stattgefunden haben, dachte Matthias, als er sich gegen Mitternacht auf den Heimweg machte, die Jungen gehen lieber ins „Outback“ oder zum „Playpoint“. Auch Stefan war lieber ins Vereinslokal des FC Oberweiler gegangen.
So ist es halt. Jugend sucht Jugend.
Wie jeden Samstagabend diskutierten die vier Alten am Stammtisch heftig über die Zukunft ihrer Gemeinde. Wortführer war Hubert, mit seinen fünfundsechzig der Jüngste in der Runde.
„Der Egon will den 'Ochsen' verkaufen." Matthias nickte. Davon hatte er schon gehört.
"Er schafft es nicht mehr, jetzt, wo die Lina Diabetes hat."
„Und woher willst du das wissen?“ Ernesto stellte immer alles in Frage, was von Hubert kam.
„Ich weiß es halt. Es ist nicht nur Geschwätz. Im Gemeinderat wird auch gerade über den 'Ochsen' diskutiert. Ihr wisst ja, Erneuerung der Ortsmitte. Seit die Grünen die Mehrheit haben, ist wenigstens Leben in der Bude.“
Hubert hatte zu allem eine feste Meinung, besonders zu Fragen der Ernährung und Fitness. Noch immer lief er den Halbmarathon in Lörrach und Schaffhausen mit.
„In Niederweiler erzählen sie, sie hätten UFOs gesehen. Blitze am Himmel und vier oder fünf blinkende Scheiben. Am helllichten Tag, dabei keine Gewitterwolke weit und breit.“
„Die Niederweiler sind schon immer Spinner gewesen. Die 'UFOs' kommen wahrscheinlich von den Immelmännern in Bremgarten.“
„Ach was, die gibt’s doch gar nicht mehr! Die sind doch jetzt in ...“
Matthias ärgerte sich.
„Und wenn schon. Was ist mit den Kornkreisen, die sie in Bayern entdeckt haben? Wie heißt das Kloster gleich wieder?“
„Langenthal oder so ähnlich.“
„Matti, redest du ernsthaft von Außerirdischen? Ich fass' es nicht.“
„Wieso nicht? In Amerika glauben viele, dass die Aliens längst unter uns sind. Roswell, Area 51, ihr wisst schon. Und immer wieder verschwinden Leute, einfach so. Ich sage euch, da hat's schon mehr als einmal Entführungen gegeben. Grüne Männchen sind auch gesehen worden. He, Hubert, das müsste dich doch freuen.“ Matthias grinste.
„Nee, Matthias, mit mir nicht. Bisschen dünn, der Witz. Egon, noch eine Runde!“ Matthias und Ernesto hatten nichts dagegen.

Josef hatte den ganzen Abend so gut wie gar nichts gesagt und nur, seinen Gutedel vor sich, in den Herrgottswinkel gestarrt. Die Hände mit den eingerissenen Nägeln pressten sich um sein Glas, wenn er es losließ, bemerkte Matthias, dass sie zitterten. Mehr als einen halben Liter trank Josef normalerweise nicht. Er hatte den weitesten Heimweg, mehr als zwei Kilometer von Oberweiler entfernt. Den legte er mit dem Fahrrad zurück. Sein Zuhause war ein Aussiedlerhof, wie sie nach der Flurbereinigung zu Dutzenden in der Rheinebene entstanden waren. Schmucklose Wohngebäude mit extra Scheunen und Stallungen, Mensch und Vieh lebten nicht mehr unter einem Dach. Um den Hof herum lagen die Felder, bequem zu bewirtschaften, weil man kaum mehr kleine und kleinste Gewanne pflegen musste. Eine Chance für Bauern, die ihren gesamten Lebensunterhalt ohne Nebenerwerb verdienen wollten. Josef, als einziger in der Stammtischrunde, war früher so ein Bauer.
Bei dem Wort „Entführung“ räusperte er sich und hob sein Glas. Er wartete, bis alle zuhörten, auch die Fremden an den anderen Tischen.
„Heute wär ich fünfundzwanzig Jahre verheiratet. Silberhochzeit. Und die Hertha hätte übermorgen ihren Zweiundsechzigsten. Ich möcht, dass ihr mit mir auf die Hertha trinkt.“
Pause. Dann stießen ein Weinglas und drei Biergläser zusammen. Es klang nicht besonders harmonisch und niemand sagte Prost oder was Ähnliches. Egon, der Wirt, legte an der Theke das Poliertuch zur Seite, stellte vier Henkelgläser und eine Flasche Wein auf ein Tablett und baute sich hinter Josef auf.
„Geht aufs Haus, Sepp“, sagte er und ließ seine Linke schwer auf Josefs Schulter fallen, als wolle er ihn auf dem Stuhl festnageln.
Es war fast unmöglich, wieder in ein Gespräch zu finden. Schließlich landeten sie bei den Fußballergebnissen und den Wetteraussichten. Ein Unfall auf der Bundesstraße mit zwei Toten beschäftigte sie eine Weile. Einer der beiden Verunglückten stammte aus Niederweiler, ein ganz junger Spund, gerade mal mit der Lehre fertig. Was konnte da schon Großartiges im Nachruf stehen. Der Nachruf, die Wertschätzung durch die Gemeinde, immer wieder kamen sie auf dieses Thema zurück. Auch, was auf dem Grabstein stehen sollte.

Josef war wieder in brütendes Schweigen verfallen. Matthias kannte wie alle die tragische Geschichte von Josef und Hertha. So ein Aussiedlerhof war vielleicht komfortabler als die meisten alten Bauernhöfe im Dorf. Aber welche junge Frau wollte schon in die Einsiedelei, ohne Nachbarn für ein kurzes Gespräch über den Zaun, ohne Kirchenchor oder wenigstens ein Kaffeekränzchen, um Rezepte auszutauschen? Es war ein veritables Wunder, dass schließlich doch noch eine junge Frau auf dem Hof einzog. Sie war deutlich jünger als Josef, der durch die schwere Hofarbeit ein wenig gebückt ging und auch sonst kein Ausbund an Schönheit war.
Matthias erinnerte sich an seinen Versuch, Genaueres über das Wunder zu erfahren.
„Sie sieht aus wie eine aus der Großstadt. Woher kennst du sie?“
„Partnersuche in der Zeitung vom Bauernverband.“
„Und das hat sofort geklappt?“
„Nee, hatte da ein Abo.“
„Wie bist du denn darauf gekommen?“
„Ehrlich?“
„Ehrlich.“
„Der Pfarrer hat mir den Tipp gegeben. Der hatte wohl Mitleid mit mir. Vielleicht war er auch wütend. Ewig dieselben Sünden.“
„Und jetzt? Meinst du, das geht gut?“
„An mir soll's nicht liegen. Wir sind schon verheiratet, auf dem Standesamt in Müllheim. Hertha weiß noch nicht, ob sie in der Kirche getraut werden will. Aber sie war froh, aus Berlin fortzukommen. Dort hatte sie kein schönes Leben.“
„Was meinst du damit?“
„Was ich sage. Kein schönes Leben. Sie will nicht darüber reden. Vielleicht später mal.“
Sechs anscheinend glückliche Jahre folgten. Matthias und Marie, seine Frau, wunderten sich, wie schnell Hertha alles lernte: Brot backen, Gemüse und Obst anbauen, Ferkel aufziehen. Dann legte sie sich Hühner zu, schließlich eröffnete sie einen Hofladen. Ihr liebstes Projekt, erfuhr Matthias von Marie, sei der Ausbau einer kleinen Ferienwohnung.
Josef blühte sichtlich auf. Beim Kirchgang am Sonntag führte er seine Hertha stolz ins vordere Drittel der Bankreihen, dahin, wo es Polster für die Knie gab. Zuhause oder auf dem Feld trug sie enge Jeans und Oberteile mit tiefem Ausschnitt, bei Dorffesten und zum Erntedankfest erschien sie in Tracht. Niemand fand sie lächerlich.
„Bella figura, sie macht wirklich bella figura“, sagte Ernesto, der, wie die meisten Männer um die fünfzig herum, für die flotte „Zug'reiste“ schwärmte.
Im sechsten Jahr, am dritten Juni, verschwand Hertha spurlos. Weder die zahlreichen Hundestaffeln noch Fahndungen im Elsass und in der Schweiz brachten Ergebnisse. Josef wurde kurzzeitig in Haft genommen, aber es gab nicht den geringsten Beweis, dass er etwas mit dem Verschwinden zu tun hatte. Die Gerüchte blieben.

Die spendierte Flasche war fast leer. Von der Kirche her schlug es Viertel vor zwölf. Josef goss den Rest Wein in sein Glas. Nach dem zehnten oder elften letzten Tropfen stellte er die Flasche auf den Tisch zurück. Er zitterte so sehr, dass sie beinahe umfiel.
„Ich muss euch noch was sagen.“
„Hast du was Neues über Hertha gehört?“
„Nein. Was ich sagen will, es gibt Aliens. Und es gibt Beweise dafür, ganz in der Nähe. In meinem Kornfeld hinter der Scheune. Zwei Ringe. Ich hab sie gestern entdeckt.“
„Du machst Witze. He, Sepp, was ist los mit dir? Hat dich der Wein jetzt umgehauen?“ Matthias dachte an Josefs klappriges Fahrrad.
„Kein Witz. Ihr könnt es euch selber ansehen. Montagabend, ja, übermorgen wäre gut.“
„Na hör' mal, Sepp, selbst wenn es UFOs gäbe, warum sollten sie gerade in deinem Kornfeld landen?“
„Ich hab's doch schon gesagt, übermorgen hätte Hertha Geburtstag.“
„Ja, und?“
„Es ist eine Botschaft von Hertha. Ich glaube, sie ist von Aliens entführt worden.“

Hubert hätte nicht so lauthals lachen und ihm den Vogel zeigen dürfen, dachte Matthias, als er die nasse Dorfstraße entlangging, So behandelt man Freunde nicht. Mein Gott, wie blass er war. Hoffentlich kommt er gut heim. Verrückte Geschichte mit den Aliens. Trotzdem, ich frag mal Ernesto, ob wir rausfahren sollen. Hubert wird wohl nicht mitgehen. Wir waren ja ewig nicht mehr da draußen. Eine Botschaft von Hertha zur Silberhochzeit. Eigentlich ein schöner Gedanke.
Matthias ging gerne durch den Juniregen, die feuchte Luft tat seinen Bronchien gut. Nur mit den Knien hatte er bei solchem Wetter einige Probleme. Und das Kreuz spürte er auch von Jahr zu Jahr stärker. Waldarbeit war eben Schwerarbeit, trotz der guten Luft. Es wäre besser, wenn er mit dem Rauchen ganz aufhören würde. Überhaupt hatte Josefs Silberhochzeit ihn daran erinnert, dass er seiner Frau nach vierzig Jahren immer noch die Hochzeitsreise an den Luganer See schuldig war. Wir sollten mehr zusammen unternehmen, wer weiß, wie lange ich noch kann.
Vor seinem Haus blieb er stehen. Im oberen Stockwerk brannte Licht. Marie hatte wohl den Laptop mit ins Schlafzimmer genommen.
„Marie, ich bin wieder da, es ist doch etwas später geworden“, rief er nach oben, „ich schau noch mal, ob das Katzenfenster offen ist. Brauchst du noch etwas?“
„Nee, alles gut.“ Als Matthias, nur noch in Unterwäsche, ins Schlafzimmer kam, schaute sie kurz hoch.
„Du lieber Himmel, dass es so spät ist, habe ich gar nicht gemerkt.“
Für Landfrauen gab es neuerdings viel Unterstützung in PC-Initiativen. Stefan hatte seine Mutter von Anfang an unterstützt und ihr seinen alten Laptop geschenkt.
Matthias ließ sich ins Bett fallen und drehte sich ein paar Mal hin und her, bis er eine bequeme Lage gefunden hatte.
„Mach jetzt Schluss, du verdirbst dir bloß die Augen.“ Ich würde lieber noch über Sepp reden. Wieso kommt er mit dieser Alien-Geschichte? Ob er wirklich daran glaubt?
„Wenn du meinst.“ Mit einem Seufzer schaltete Marie ihren Laptop aus, schob ihn unters Bett und griff nach dem Lichtschalter. „Demnächst lernen wir im Kurs noch ein anderes System, skype, da kann man die Person, mit der man am Computer spricht, sehen, wie sie in ihrer Wohnung herumläuft. So ähnlich jedenfalls. Ich hab noch nicht alles verstanden. Hörst du mir überhaupt zu, Matti? Wir können dann jeden Tag unsere Enkel sehen. Sag doch mal was dazu.“
Aber was sollte er dazu sagen? Er verstand ja nichts von dieser neuen Technik, in der Marie fast schon heimisch war.
"Du bist halt ein alter Grübler und Sinnierer, deswegen gehst du ja auch zu deinem Stammtisch, die passen zu dir", sagte sie halb lachend, halb ärgerlich, "aber lass du mir meine Landfrauen. Ich brauch das."

Mit auf der Brust gefalteten Händen lag er lang ausgestreckt wie auf einem Schragen und starrte die weiße Zimmerdecke an. Die Straßenlaterne vor dem Haus warf diffuse Muster an die Wände, vielleicht Schatten von Laub, das sich im Wind bewegte. Marie wollte die Rollläden im Sommer immer oben haben, wegen der Luft, wie sie sagte. Sie konnte auch gut schlafen, wenn es nicht ganz dunkel war.
Ist wohl sinnlos, jetzt noch mit Sepp anzufangen. Sie ist ja ganz besessen von ihrem Internet. Aliens. Vielleicht ist doch was dran. Sonst wäre er niemals dermaßen wütend abgehauen. Ich kenne ihn gar nicht so. Schade für den Abend … Mit Hubert stimmt auch was nicht. Er hat heute auf alles gereizt reagiert. Heute Morgen geh ich mal ganz früh in die Reben und zur Wiese ... Und wenn sie aus der Kirche kommt, hört sie mir vielleicht eher zu. 'Sinnierer' hat sie gesagt ..."

Der Aufstieg durch die Reben zur Streuobstwiese war steil und verlangte Matthias' Knien einiges ab. Es war kein großes Rebstück. Die Trauben konnten auch mit wenig Helfern in einer halben Woche gelesen werden. Zum Keltern wurden die Bottiche bei der Winzergenossenschaft abgeliefert und dort vermarktet. Es sprang nur ein kleiner Nebenverdienst dabei heraus. Oben lag die Wiese in vollem Sonnenlicht. Seit Matthias in Rente war, verging kaum ein Tag, an dem er hier nicht nach dem Rechten sah. Matthias ließ sich ächzend auf der leicht verrotteten Bank nieder. Wieder einmal nahm er sich vor, sie zu ersetzen. Die Rheinebene lag noch im Morgennebel. Wenn er sich ganz verzogen hatte, würde man sehen, wie sich der Strom als glitzerndes Band durch den Rheingraben wälzte, flankiert von Vogesen und Schwarzwald, deren Gipfel sich in bläulichem Dunst verloren.
Trotz der starken Besiedelung und Kanalisierung ein Anblick von elementarer Kraft. Matthias konnte diesen Satz auswendig. Er hatte ihn im Kalender aus der Apotheke gefunden, den sie jedes Jahr geschenkt bekamen.
Unter den Apfelbäumen, die bereits Frucht angesetzt hatten, stand das Gras fast einen halben Meter hoch. Wildkräuter und Wiesenblumen lockten jede Menge Insekten und Vögel an, die Hummeln brummten so laut, dass sie sogar den Motorenlärm der Autobahn übertönten. Höchste Zeit, mit der Sense unter den Bäumen Platz zu schaffen für die Fruchtausdünnung. Auch kein leichtes Unterfangen für seine alten Knochen. Für eine Weile vergaß er Josef und die Aliens. Er musste sich allmählich Gedanken darüber machen, wie es mit den Reben und der Obstwiese weitergehen sollte. Auf Stefan konnte er nicht zählen. Der hatte sich im Tessin ein Haus gebaut, seine Töchter waren halbe Italienerinnen mit rabenschwarzen Augen und Haaren. Liebe, hübsche Dinger, mit einem ganz anderen Temperament als die deutsche Oma. Badeurlaub an der Riviera fanden sie allemal attraktiver als Ferien in dem biederen Oberweiler. Matthias seufzte. Er würde wohl verkaufen müssen.

Schon von weitem sah er Marie, wie sie sich den Hang heraufquälte.
„Der Hubert ist in der Klinik. Herzinfarkt. Er liegt auf der Intensivstation. Ernesto ist bei ihm."
„Hubert? Der ist doch kerngesund. Wann ist das passiert? Gestern Abend war er wie immer, schwer am Politisieren.“
„Ernesto meint, Hubert habe sich mächtig aufgeregt über Josef und den Blödsinn mit den Kornkreisen. Du hast mir gar nichts davon erzählt.“
„Ich hätt schon, aber du warst ja mit deinem Laptop beschäftigt.“
„Ich versteh das nicht. Sepp ist doch kein Spinner. Vielleicht ein wenig schrullig in den letzten Jahren. Ist ja auch kein Wunder, so allein da draußen. Meinst du, wir sollten mal nach ihm schauen? Oder ihn lieber zum Kaffee einladen?“
„Lass nur, Marie. Morgen Abend fahr ich zu ihm raus. Ich will mir die Kreise vor Ort ansehen. Besser, ich geh allein, vielleicht kann ich dann rauskriegen, was dahinter steckt. Er redet ja nicht mehr mit jedem.“
„Die Landfrauen wollten ihm eine Dorfhelferin schicken. Aber er hat alles abgelehnt, nicht nur einmal. Manche lassen sich eben nicht helfen. Armer Mann.“
„Ich werd' es rausfinden. Morgen Abend.“

Die Sonne verabschiedete sich gerade hinter den Vogesen, als Matthias seinen VW vor Josefs Hofeinfahrt abstellte. Der blutrote Abendhimmel kündigte Regen an. Matthias stellte den Korb mit dem Apfelmus und den frisch gebackenen Waffeln auf einen rostigen Gartentisch neben dem Eingang. Die Haustür stand offen und auch die Tür im Flur zur Wohnküche. Josef war nirgends zu sehen oder hören. Auf dem Elektroherd stand ein Topf mit Kartoffelsuppe, die vor sich hin köchelte. Die Kücheneinrichtung sah genau so aus wie zu Herthas Zeiten. Immer noch die rot-weiß karierten Kissen auf der Sitzbank, jetzt aber durchgesessen und fleckig. An der Wand ein Lebkuchenherz mit der Zuckerschrift 'zum Fressen gern'. Die Küchenuhr war stehengeblieben. Im Haus rührte sich nichts.
Bestimmt steht er bei seinen Kornkreisen. Hinter der Scheune, hat er gesagt. Sieht nicht so aus, als hätte er mit Besuch gerechnet. Na, dann will ich mal dort nachschauen.
In diesem Augenblick trat Josef aus der Scheune. Er trug seine blauen Latzhosen und wischte mit einem Lappen die Hände ab. Die aufgekrempelten Ärmel waren bis obenhin mit Schmieröl bespritzt, auch das Gesicht hatte etwas abgekriegt. Als er Matthias erkannte, blieb er stehen.
„Hätte nicht geglaubt, dass jemand aufkreuzt“, sagte er und bearbeitete Arme und Hände weiter. „Bist du allein?“
Matthias war ebenfalls stehen geblieben. Die Abendsonne blendete ihn, so dass er den Gesichtsausdruck des alten Freundes nicht richtig deuten konnte.
„Ja. Ernesto kümmert sich um Hubert im Krankenhaus“.
„Krankenhaus?“
Matthias nickte. Er wusste nicht genau, wie er es Josef beibringen sollte.
„Ein Sturz?“
„Nein. Schwerer Herzinfarkt. Hat sich wohl daheim tierisch aufgeregt und hat im Wohnzimmer herumgetobt. 'Der alte Krauterer bringt noch das ganze Dorf in Verruf!' Das hat er, sagen sie, immer wieder geschrien, bis er umgefallen ist.“ Matthias machte eine Pause. „Sepp, ich bin wegen der Kreise da.“
Josef ließ den Lappen fallen und deutete auf die Stühle neben dem Gartentisch.
„Setz dich, bitte. Es … es gibt keine Kreise und auch keine Botschaft. Ich muss jetzt erst mal ins Haus. Was anderes anziehen. Der verdammte Unimog.“

Als Josef zurückkam, trug er in der linken Hand zwei Schnapsgläser und eine weiße Flasche ohne Etikett, in der rechten zwei Suppenteller und Löffel.
„Hefe, hab mal mit Brennen angefangen, brauchst es ja nicht weitererzählen. Ich hab auch Kartoffelsuppe. Wir können hier draußen essen.“
„Im Korb sind frische Waffeln, von Marie, ich soll dich grüßen. Was ist jetzt mit den Kreisen?“
„Das mit dem Hubert tut mir leid. Aber so ist es halt. Es kann jeden erwischen, du weißt nicht, wann es passiert. Wenn man dann nur nicht allein ist.“
„Ja, da hat Hubert Glück gehabt.“
„Manchmal stell ich mir vor, ich liege ganz allein auf dem Acker oder in der Küche, und niemand merkt es. Vielleicht ist es Hertha ja auch so gegangen. Ich habe Angst, Matti, ich habe eine Scheißangst davor, allein zu sterben. Abends, wenn es dämmert, ist es am schlimmsten, wenn das Zwielicht kommt und ich weiß, dass ich wieder eine schlaflose Nacht vor mir habe.“
Josef sprach selten so zusammenhängend. Matthias ließ die lange Rede erst einmal auf sich wirken.
„Warum hast du denn nie etwas gesagt?“
„Was hätte ich denn sagen sollen? Hallo, ich sterbe vor Einsamkeit, bitte, bitte, kommt doch vorbei? Du weißt genau, was für Gerüchte über mich im Umlauf sind.“
Das konnte Matthias nicht abstreiten. Also schwieg er wieder. Einsamkeit. Das kannte Matthias auch. Er musste nur an an Stefan denken. Sogar Marie war da keine Hilfe. Die hatte ja jetzt die Landfrauen und das Internet.
Zwischen den aufziehenden Wolken funkelten die ersten Sterne. Matthias erinnerte sich. Hertha hätte die Sternbilder benennen können, sie wusste mehr darüber als mancher Dörfler. Venus am Abendhimmel, blinkend wie ein Leuchtfeuer oder ein Morsezeichen. Matthias glaubte nun zu verstehen, wie Josef auf die Idee mit der Botschaft aus dem All gekommen war.
„Manchmal ist man auch in der besten Ehe einsam. Es sieht nur so aus, als ob es uns besser ginge. Ich glaub sogar, am meisten Angst hat Hubert vor dem Sterben. Gerade, weil er so um seine Gesundheit besorgt ist. Wir hören alle vier die Uhr ticken.“
„Aber verstehst du denn nicht, Matti? Ich will nicht über Zipperleins und Nachrufe reden. Ich will, dass Leute zu mir herausfahren, Neugierige, Fremde, Grillfeste auf dem Hof, Leben.“
Die Kartoffelsuppe hatten sie vergessen. Aber Josef packte die Waffeln aus. Eine nach der anderen verschlang er, so als könne er damit eine wichtige Erinnerung zurückholen.


Leben. Matthias horchte dem Klang dieses Wortes nach. In das Zirpen der Grillen mischte sich der klagende Ruf eines Käuzchens, eine Igelfamilie raschelte durch den vernachlässigten Gemüsegarten. Dahinter monotone Maisfelder. Eine düstere Pflanze. Und raumgreifend. Wenn man in so ein Maisfeld hineinging, konnte man sich gut verstecken oder verlorengehen. Nicht so lebendig und heiter wie Getreidefelder, besonders Hafer oder der Weizen, bevor die Halme immer kürzer wurden.
Maisfelder? Unversehens schoss ihm eine Idee durch den Kopf.
„Bei Opfingen gibt es auch ziemlich viele Maisfelder, so wie hier.“
„Ja und?“
„Die haben dort ein Maislabyrinth angelegt. Hat ganz groß eingeschlagen. Am Wochenende stehen die Leute Schlange. Macht natürlich Arbeit, das Labyrinth anzulegen und zu pflegen. Die bieten Kindergeburtstage an und Rentnerausflüge, alles Mögliche. Mensch Sepp, ich glaube, für die Idee könnten wir auch bei uns Helfer finden. Wir sollten das mal genauer überlegen. Marie kann uns da mit dem Internet helfen.“
Josef goss beiden noch einmal einen Hefe ein.
„Und du meinst, das ist keine Schnapsidee?“ Sogar Josef musste grinsen, bevor sie die Gläser kippten.
„Du willst Leben um dich herum, Sepp, richtig viel Leben. Dann tausch verdammt noch mal deine Kornkreise gegen das Labyrinth. Ja, ich glaube, das hat was. Statt immer im Kreis, gehst du durch ein Labyrinth. Hauptsache, am Ende kommst du wieder heraus. Genau das ist es doch. Du musst nur wollen. Und … und außerdem glaube ich, das hätte Hertha gefallen.“
Josef sagte nichts. Aber Matthias sah, wie es hinter seiner Stirn arbeitete. Er erwartete nicht, dass Josef sofort auf die Idee eingehen konnte. Aber er würde darüber nachdenken. Vielleicht war ja dies Herthas Botschaft gewesen.

 

Mein Text bezieht sich auf "Kreise" von gibberish.
Das mit dem Link hat nicht geklappt, leider.

Mein Text versucht, das Thema von den Weiten Nordamerikas auf deutsche Verhältnisse zu übertragen.

Gruß wieselmaus

 

Hallom wieselmaus,

nachdem ich die erste Rohfassung meines Copywrite endlich fertig habe, kann ich auch wieder Texte lesen.

Das Gasthaus „Zum roten Ochsen“ stand direkt neben der Kirche und war beinahe genau so alt.
Ich weiß nicht warum, aber das stand hat mich gestört. Für mich klingt lag besser.

Er schafft es nicht mehr, jetzt, wo
die Lina Diabetes hat. Bei ihrem Umfang wundert's mich nicht.“
Ich denke, dieser Zeilenumbruch ist nicht vorgesehen.

an seiner Herkunft als italienischer Gastarbeiter gelegen.
Herkunft wäre Italiener, vielleicht sogar konkreter - Mailänder oder Südtiroler oder so. Ich denke, das Gastarbeiter denkt sich ohnehin jeder Lesende.

Matthias und Ernesto hatten nichts dagegen.
Also ich habe jetzt Matthias, Hubert und Ernesto. Es sollen doch aber vier Alte sein?! Und dann - Überraschung - kommt der Josef. Damit hast Du ihn ohne Worte schon gut charakterisiert.

Aber es lag nicht an ihrem VW,
Die Rheinebene lag teilweise noch im Morgennebel.
Das teilweise würde ich weglassen oder ein Wort nehmen, das besser zu der Stimmung passt. Teilweise klingt mir zu technisch.

Soweit ich weiß, ist von seiner Landwirtschaft nicht mehr viel übrig.
Klingt nicht gut.
... das gepachtete Land ... von seiner Landwirtschaft ist doch kaum noch was übrig ...

Mensch Sepp,
ich glaube,
Noch ein unnötiger Zeilenumbruch.

Ja, die Landschaft ist mir nicht unbekannt, auch wenn ich zum Neckartal hin wohne. Und in Rexingen gibts ein Maislabyrinth, sogar mit Wegweiser und viel Trubel.

Der erste Abschnitt kam mir recht zäh vor, aber dann war ich drin in der Geschichte. Die Einsamkeit hast Du gut dargestellt. Das Verhältnis zwischen Marie und Matthias bleibt ein wenig im Dunkeln, aber das stört nicht weiter.

Hat mir gefallen, wie ich auch die Geschichte von gibberish gerne gelesen habe. Die habe ich jetzt nicht noch einmal gelesen, aber ich habe den Eindruck, dass Du das Grundgerüst neu eingekleidet hast - schon vom Handlungsort her. Alles viel näher dran, viel "bodenständiger" und für mich damit bewegender als die Kreise.

Liebe Grüße

Jobär

 
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Liebe wieselmaus,

deinen Text habe ich mit Interesse gelesen, auch deshalb, weil ich von gibberishs Text sehr angetan war. Sprachlich setzt du diese Geschichte über das Alleinsein und die Angst, in der letzten Phase des Lebens ohne einen Menschen zu sein, souverän um. Leider kommt für mich, wenn ich deine Geschichte mit der Vorlage vergleiche, nicht das Atmosphärische rüber, das ich verspürt habe, als ich ‚Kreise’ gelesen habe. Das mag daran liegen, dass sich gibberish sehr auf die Beschreibung der Landschaft fokussiert hat. Das geht bei dir etwas unter. Und leider setzt du mMn, was das Atmosphärische angeht, nichts so recht an dessen Stelle.

Richtig interessant wird deine Geschichte für mich erst, als Josef von den Ringen erzählt. Auch hier (wie in der gesamten Geschichte), nimmst du für mein Empfinden zu viele Details auf, die nicht unbedingt erzählenswert sind. Zum Beispiel die Szene, als Matthias nach Hause kommt. Ihn beschäftigt, was Josef gesagt hat, aber seine Frau ist abwesend und er kann nicht mit ihr darüber sprechen. Ich markiere mal die Einzelheiten, die ich für nicht so wichtig halte:

„Marie, ich bin wieder da, es ist doch etwas später geworden“, rief er nach oben, holte eine alte Zeitung aus der Küche und stellte im Flur seine feuchten Schuhe sorgfältig nebeneinander auf. „Ich schau noch mal, ob das Katzenfenster offen ist, dann komm ich. Brauchst du noch etwas?“
„Nee, alles gut.“ Maries Antwort klang abwesend, aber nicht verärgert.
„Du lieber Himmel“, sagte sie, als Matthias, nur noch in Unterwäsche, ins Schlafzimmer trat, „dass es so spät ist, habe ich gar nicht gemerkt, vor lauter surfen.“
Seit die Landfrauen erkannt hatten, dass das Internet eine große Hilfe gerade für ihre älteren Mitglieder sein konnte, boomten die PC-Initiativen im Landkreis. Stefan hatte seine Mutter von Anfang an unterstützt und ihr seinen alten Laptop geschenkt. Seit er als Straßenbauingenieur in der Schweiz arbeitete, waren Emails ein bequemes Medium, um den Kontakt mit den Eltern aufrechtzuerhalten. Matthias hätte es lieber gehabt, wenn sein Sohn mit den beiden Enkelkindern häufiger zu Besuch gekommen wäre. Und selber fuhr er lange Strecken nicht mehr gerne.
„Nicht mit dem alten Schlitten, damit kommen wir über keinen Berg mehr.“ Aber es lag nicht an iihrem VW, Baujahr 1997, sondern an Matthias' Knien und der Tatsache, dass er zum Fahren eigentlich eine Brille brauchte.
Marie ihrerseits hatte nach einem Unfall, den sie verschuldet hatte, nicht mehr den Mut gehabt, sich ans Lenkrad zu setzen.
Matthias ließ sich ins Bett fallen und drehte sich ein paar Mal hin und her, bis er eine bequeme Lage gefunden hatte.
„Mach jetzt Schluss, du verdirbst dir bloß die Augen.“ Ich will lieber noch über Josef reden.

Ähnliche Stellen gibt es auch im ersten Teil. Diese Details bringen der Geschichte mMn nichts, sie haben keinen Bezug zum Thema der Geschichte, sagen nichts über den Protagonisten (Matthias) aus und erzeugen auch keine Atmosphäre. Hier könntest du kürzen. Das würde mich als Leser weniger vom Thema ablenken. Aber möglicherweise ging es nur mir so.
Bei mir bewirkten diese vielen Einzelheiten, mit denen du deine Erzählung ausstattest, leichte Ermüdungserscheinungen, so dass ich fast den gelungenen Schluss nicht mehr richtig mitbekommen hätte. Der ist wirklich gut. Dieses Gespräch der beiden ist für mich das Highlight deiner Geschichte. Hier bekommt sie Tiefe:

Die Kartoffelsuppe hatten sie vergessen. Aber Josef packte die Waffeln aus. Eine nach der anderen verschlang er, so als könne er damit eine wichtige Erinnerung zurückholen.
Leben. Matthias horchte dem Klang dieses Wortes nach. In das Zirpen der Grillen mischte sich der klagende Ruf eines Käuzchens, eine Igelfamilie raschelte durch den vernachlässigten Gemüsegarten.

Eine schöne Stelle, obwohl ich meine, dass ‚verschlingen’ und ‚zurückholen’ sich irgendwie widersprechen.

Liebe wieselmaus, der Schluss deiner Geschichte hat mich mit ihr versöhnt und unter dem Strich habe ich sie deshalb gerne gelesen. Du warst sehr mutig, dir eine atmosphärisch so dichte Geschichte auszusuchen. Dafür hast du meine Achtung.

Noch ein paar Kleinigkeiten:

Wie jeden Samstagabend hatten die vier Alten am Stammtisch wieder heftig über die Zukunft ihrer Gemeinde diskutiert.
Warum PQP?

Marie war entweder am Lesen oder hatte ihren Laptop mit ins Schlafzimmer genommen.
Das ist klingt nicht sehr elegant.

"Nicht mit dem alten Schlitten, damit kommen wir über keinen Berg mehr.“ Aber es lag nicht an iihrem VW, Baujahr 1997, sondern an Matthias' Knien und der Tatsache, dass er zum Fahren eigentlich eine Brille brauchte.

Ich will lieber noch über Josef reden.
Meinst du: Ich würde lieber … (Denn das denkt er doch.)

Schon von weitem sah er Marie, wie sie sich den Hang hinauf quälte.
hinaufquälte

vor lauter surfen.“
Surfen ist hier mMn Substantiv.


Ich wünsche dir weiterhin einen schönen Sonntag.

Liebe Grüße
barnhelm

 
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Lieber Jobär,

ich danke dir sehr für dein aufmerksames Lesen. Deine Vorschläge habe ich eingearbeitet. Große Zweifel hatte ich, ob es mir gelingen würde, das Atmosphärische des Originaltextes adäquat umzusetzen. Um so mehr freut es mich, dass dir das "Bodenständige" gefallen hat.

Ich wünsche dir viel Erfolg bei deinem copywrite.

Herzliche Grüße

wieselmaus

 

Liebe barnhelm,

schön, so früh am Sonntag von dir zu hören. Und danke, dass du meine Version akzeptieren konntest. Deine Verbesserungsvorschläge werde ich noch einarbeiten. Zwei Überlegungen möchte ich noch anschließen. Zum einen wusste ich nicht, wie nahe man am Originaltext bleiben muss oder darf. Gerade die Stellen, die du zum Kürzen empfiehlst, sind sehr dem Original nachgebildet, allerdings umgeformt mit Blick auf das total veränderte atmosphärische Umfeld. Statt dem sich in der Weite der amerikanischen Landschaften verlierenden Individuum leben meine Protas in einer kleinteiligen, engen Dorfgemeinschaft, in der Einsamkeit kaum auffällt. Das war für mich die Herausforderung. Ich habe versucht, diese ganz andere Atmosphäre durch Aktivitäten statt durch Landschaft plausibel zu gestalten. Das war wirklich schwierig und ich werde daran noch weiterarbeiten. Da bin ich für jede Kritik sehr offen.

Ich wünsche dir noch schöne Sonnentage mit vielen Wanderungen oder Spaziergängen.

wieselmaus

 
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„Das mit dem Hubert tut mir Leid. Aber so ist es halt. Es kann jeden erwischen, du weißt nicht, wann es passiert. Wenn man dann nur nicht allein ist.“

Ja, nun geht’s von Iowa ins Schwabenländle und droht zunächst eine bloße Kopie der Vorlage unter eben landschaftlich anderen Bedingungen zu werden und hat doch eine andere Lösung gegen die Einsamkeit des Alters. Wobei der „Aussiedlerhof“ aufzeigt, dass Josef/Sepp als ein Fremder gekommen ist und voll integriert ist ...

Was ich wie nebenher bei gibberish und Dir finde, ist das Aufzeigen von Einsamkeit in der Landwirtschaft und dem dörflichen Leben, wo doch vor allem in den großen Städten die Leute zwar geradezu aufeinander und auf engstem Raum nebeneinander leben, aber oft nicht einmal den Mitbewohner hinter der Tür auf dem gleichen Flur kennen und der Wandel von der Industrie- zur Dienstleistungsgesellschaft weitestgehend vollzogen ist. Aber Vereinsamung ist halt ein Problem schon bei den Jägern und Sammlern und nicht erst mit den festen Wohnsitzen ...

Gelungen ist die Darstellung des Schicksals Josefs, den der "Aussiedlerhof" ja selbst als halben "Alien" ausweist, der aber die Integration geschafft hat, die nie ohne die Eingeborenen klappen kann.

Trivialeres

Hier will mal der Abschlusspunkt ausbrechen ...

„Nee, hatte da ein Abo“.
und der folgt dem schlimmen Beispiel
„Ehrlich“.

Die spendierte Flasche war fast leer. Von der Kirche her schlug es drei[...]viertel zwölf.

Ein kurzer Augenblick fürs German gerund (she's reading/sie ist am Lesen)
Marie war entweder am Lesen oder hatte ihren Laptop mit ins Schlafzimmer genommen.
Warum nicht schlicht „Entweder las Marie oder hatte ...“?

Aber es lag nicht an iihrem VW,

Hier gibt’s eine kleine „haben“-Schwemme
Marie ihrerseits hatte nach einem Unfall, den sie verschuldet hatte, nicht mehr den Mut gehabt, sich ans Lenkrad zu setzen.
Warum nicht „… hatte nach einem selbstverschuldeten Unfall nicht mehr den Mut, sich ...“?

Gern gelesen vom

Friedel

 

Lieber Friedel,

wie immer finde ich bei dir hilfreiche Anmerkungen, die ich gerne beherzigen werde. Besonders hat mich auch gefreut, dass du auf die sehr schöne Geschichte von gibberish eingegangen bist. Es war ja schon gewagt, diesen Transfer vorzunehmen. Es ist wie mit dem Reiter über den Bodensee, der erst hinterher gemerkt hat, auf welch brüchigem Eis er so forsch galoppiert ist. Eine kleine landsmannschaftliche Anmerkung sei mir gestattet. Die Story spielt keinesfalls im Schwabenländle, sondern in der alemannischem Sprachregion ganz in der Nähe der Schwyz. Für eingefleischte Badener ist die Gleichsetzung mit den Schwaben nur schwer auszuhalten. Das hat Tradition. Ich selber amüsiere mich darüber, aber man wird immer wieder darauf gestoßen, wenn auch heute eher mit einem Augenzwinkern.

Ich danke dir für dein 'gern gelesen' und warte gespannt auf deine Geschichte.

Herzliche Grüße
wieselmaus
.

 
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Liebe wieselmaus

ich habe das Original von gibberish und dein Copywrite gelesen und muss sagen: es gefällt mir beides. Die Grundidee verändert sich in deiner Version nicht. Das Thema: ich interpretiere die Sehnsucht nach Gemeinschaft, die Angst vor Einsamkeit, (die es ja auch gibt, wenn man jünger ist, aber im Alter tragischer) auch nicht
Dafür ein Settung, das ich überzeugender als im Original finde. Du beschreibst sehr detailliert, sehr treffend, die Landschaft. Die Menschen, die sich mit der Region verbinden. Ich sehe nahezu die Weinberge vor Augen, die Vogesen im Hintergrund. (auch wenn mancheiner sich an solch einer Verortung stören mag: mir gefällt's, mich berührt's)
An einzelnen Stellen machst du womöglich zu viel an Erklärung, an 'tell' (was die ganzen Familienverhältnisse anbetrifft zB), aber du wirfst auch aktuelle Probleme auf: der Verfall der Landschaft, die Weinberge, die nicht mehr bearbeitet werden). Da ist viel Nostalgie, Melancholie. In beiden Texten. Mit einem gehörigen Schuss Weisheit.
Klar: man kann einwenden, dass es künstlerisch hätte mutiger sein können, innovativer im Vergleich zum Urtext, aber muss es das?
Ich habe beide Geschichten ausgesprochen gern gelesen

viele Grüße
Isegrims

P.S.

Eine kleine landsmannschaftliche Anmerkung sei mir gestattet. Die Story spielt keinesfalls im Schwabenländle, sondern in der alemannischem Sprachregion ganz in der Nähe der Schwyz. Für eingefleischte Badener ist die Gleichsetzung mit den Schwaben nur schwer auszuhalten. Das hat Tradition. Ich selber amüsiere mich darüber, aber man wird immer wieder darauf gestoßen, wenn auch heute eher mit einem Augenzwinkern.

Heißt das nicht Badenser? Ich habe gehört, die Schwaben nennen die Leute unterhalb Karsruhes so:Pfeif::D
Ist das der Unterschied zwischen Schäuble und Kretschmann?

 

Liebe wieselmaus,

da ist es also, das Copywrite meines Textes. Kreise hast du dir ausgesucht, und ich muss sagen, das freut mich sehr. Die KG ist wohl meine freundlichste, und ich weiß noch, wie stolz ich damals war. Die Kritiken waren ziemlich gut, das war schon was, jedenfalls für mich. Gäbe es Kreise nicht, ich hätte das Schreiben wohl an den Nagel gehängt; aber genug von der Nostalgie, hier geht es um dich. Schon wa mal, was du hier gezaubert hast.

Ja, dein Text ist wirklich sehr sympathisch. Jeder Charakter hat so seine Macken und Eigenarten, die es dem Leser vereinfachen, Bezug zu finden, sich zu identifizieren. Die Dialoge sind wirklich schön und sehr authentisch. Die lesen sich locker weg, da gibt's nichts zu beanstanden.

Es stimmt schon, das Szenario deines Textes ist greifbarer, bodenständiger, wie jobär sagt. Ob das nun an der Verortung des Textes im tiefsten Deutschland liegt oder an der Zeichnung der Charaktere, das müssen andere entscheiden. Ich kann nur sagen, dass dein Text weniger prätentiös wirkt, jedenfalls auf mich. Es wirkt einfach authentischer, mehr "aus dem Leben". Orte, Gespräche, Begrifflichkeiten; hier passt vieles, das zieht einen natürlich in die Geschichte. Sind auch ein paar schöne Sätze drin, überraschend humorvolle auch, die ließen mich echt lächeln. :)

Ganz besonders gefällt mir das Ende. Deine Geschichte bietet tatsächlich einen Ausweg aus der Einsamkeit, das finde ich schön. Bei mir haben sich die Herrschaften eher etwas vorgemacht, viele Worte gesprochen, doch nichts getan, dem armen Otis nicht durch Taten geholfen. Das war durchaus so gewollt, aber dein Ansatz gefällt mir sehr. Du bietest handfeste Hilfe, das ist einfach berührender, macht den Protagonisten noch sympathischer, sodass ich als Leser am Ende lächelnd zurückbleibe und hoffe, dass ihr Vorhaben gelänge. Find ich toll. ;)


Dann habe ich noch etwas Kleinkram, wirklich nur Nichtigkeiten:

[...] sich gegen Mitternacht auf den Heimweg machte, die Jungen gehen lieber ins „Outback“ oder zum „Playpoint“.Auch sein Sohn war lieber ins Vereinslokal des FC Oberweiler gegangen.

Da fehlt ein Leerzeichen.

Matt, redest du ernsthaft von Außerirdischen? Ich fass' es nicht.“

Das Szenario ist ja doch sehr deutsch, da kommt mir diese Kurzform von Matthias ziemlich amerikanisch vor. Vielleicht wäre Matze o.Ä. besser? Nur ein Vorschlag, ist Geschmackssache.

Die Hände mit den eingerissenen Nägeln pressten sich um sein Glas; wenn er es los ließ, bemerkte Matthias, dass sie zitterten.

losließ

Zuhause oder auf dem Feld trug sie enge Jeans und knappe Oberteile mit tiefem Ausschnitt, bei Dorffesten und zum Erntedankfest erschien sie im Trachtenlook, ohne dass sie lächerlich wirkte.

Dasselbe wie bei Matt; vielleicht das look rausnehmen, einfach: erschien sie in einer Tracht?

Hubert hätte nicht so lauthals lachen dürfen und Josef den Vogel zeigen

Ich würde das dürfen umstellen, hinter zeigen packen; das klänge ein bisschen schöner, finde ich.

Sonst wäre Josef niemals dermaßen wütend abgehauen. Ich kenne ihn gar nicht so. Schade, dass der Abend dermaßen schief gelaufen ist

schiefgelaufen

Die alten Apfelsorten, Adams Parmäne und Baumanns Renette, wuchsen schon seit vielen Jahre auf dem Grundstück.

Jahren

Schon von weitem sah er Marie, wie sie sich den Hang hinaufquälte.

heraufquälte; sie kommt ja auf Matthias zu, der oben sitzt.

Das mit dem Hubert tut mir Leid.

leid

Ein sehr guter Text, hab ich gern gelesen. Bleibt mir nur, dir zu dafür zu danken, dass du dich der Kreise angenommen hast. Das Copywrite ist dir wirklich gut gelungen.

Liebe Grüße,
gibberish

 
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Lieber Isegrims,

bin total gerührt, dass du meine Landschaften wiedererkannt hast. Und natürlich dein dickes Lob! Zwischendurch dachte ich, es sei doch sehr vermessen, gerade eine so hoch gelobte Geschichte wie "Kreise" auszusuchen. Da haben ja einige Kommentatoren gezweifelt, ob sich dieses Atmosphärische übersetzen lasse. Es ist auf jeden Fall aufregend, da ja mein erstes copywrite.

Deine Frage nach Badener und Badenser muss ich so beantworten: Badenser gilt als abwertender Ausdruck, der mit dieser Absicht von den Schwaben gebraucht wird. Es hängt mit der Bildung des Südwest-Staates zusammen. Altbadener ( von denen gibt es nicht mehr so viele) hätten lieber ein rein badisches Ländle gehabt.

Du hast Recht, Schäuble ist als gebürtiger Freiburger ein Badener, Kretschmann ein Schwabe. Wenn jetzt Schwarz-grün kommt, mit Kretschmann und Strobl, der ja bekanntermaßen Schäubles Schwiegersohn ist, dann haben wir den perfekten Südwest-Staat:D

Nochmals herzlichen Dank für deinen Kommentar und
viele Grüße

wieselmaus

Lieber gibberish,

es war die von mir sofort gespürte Wellenlänge, die mich zu deinem Text geführt hat. Dieses Einfühlungsvermögen in so jungen Jahren! Ich bin sehr froh, dass dieses Experiment geglückt ist. Das darf ich wohl annehmen, da du, der Hauptbetroffene, so positiv reagiert hast. Dafür danke ich dir recht herzlich. Und mein Wunsch: Lass dich nie wieder verunsichern. Du kannst wunderbar schreiben, hast nicht diese Egozentrik drauf, die doch recht häufig bei den "jungen" Autoren hier im Forum anzutreffen ist. Gelegentliche Zweifel gehören wohl zum Geschäft, wenn man es ernst nimmt.

Deine Verbesserungen habe ich übernommen. Wie du selbst gemerkt hast:D, gibt es noch nach Jahren "Flusen". Man wundert sich immer wieder; inzwischen glaube ich nicht mehr an den Druckfehlerteufel, sondern befürchte, dass ein Flusenteufel sein Unwesen treibt.
In einem muss ich dir widersprechen: es tut mir Leid war richtig nach der neuen Rechtschreibung!

Ich bin sehr gespannt auf dein copywrite und natürlich auf alle anderen Texte, die ich von dir erwarte.

Herzliche Grüße
wieselmaus

 

Hey wieselmaus,

vorab muss ich Dich als Moderatorin mal bitten, nicht für jede Antwort einen eigenen Beitrag aufzumachen, wenn Du mehreren Leuten gleichzeitig schreibst. Immer schön untereinander in ein Feld ;).

Jetzt als Leserin ;).

Feine Geschichte. Ich habe erst Dein Copy gelesen, dann das Original, und habe festgestellt, na ja, die Blumen gehen ans Original. Ich mein, Du hast Dir einen starken Text ausgesucht (sehr gute Wahl!), hast Thema und Plot serviert bekommen und übernommen, hast im Prinzip nur die Örtlichkeit ausgetauscht und wenn man ein wenig das Handwerk beherrscht (und das tust du), muss man sich schon echt Mühe geben, dass Ding zu versemmeln. Aber hier stehen Übung und Spaß im Vordergrund, also will ich Dir das auch nicht kleinreden.


Aber welche junge Frau wollte sich schon in die Einsiedelei begeben, ohne Nachbarn in der Nähe für ein kurzes Gespräch über den Zaun, ohne Kirchenchor oder wenigstens ein Kaffeekränzchen, um Rezepte auszutauschen?

Bei 2 km vom Wirtshaus entfernt, scheint mir Kaffeekranz und Rezepte austauschen aber schon noch möglich. Okay, kein Zaunnachbar, aber so einsam, dass man nur aller paar Wochen mal jemanden trifft, ist nun auch nicht.

Matthias ging gerne durch den Juniregen, die feuchte Luft tat seinen Bronchien gut. Nur mit den Knien hatte er bei solchem Wetter einige Probleme. Und das Kreuz spürte er auch von Jahr zu Jahr stärker. Waldarbeit war eben keine leichte Arbeit, trotz der guten Luft. Es wäre besser, wenn er mit dem Rauchen ganz aufhören würde. Überhaupt hatte Josefs Silberhochzeit ihn daran erinnert, dass er seiner Frau nach vierzig Jahren immer noch die Hochzeitsreise schuldig war.

Schön!

Ich würde lieber noch über Josef reden. Wieso kommt er nach so langer Zeit mit dieser Alien-Geschichte? Ob er wirklich daran glaubt? Und wie verzweifelt er immer wieder gesagt hat, dass wir auf den Hof kommen und die Kreise ansehen sollen. Ich glaub', da steckt noch was anderes dahinter.

Während Du die "Rede" ganz gut im Griff hast, bei den "Gedanken" holzt es ziemlich doll. So denkt doch keiner. Das ist alles viel zu brav, zu korrekt, zu umständlich und um die Ecke.
Und: "Und wie verzweifelt er immer wieder gesagt hat" - hat er? Ich hab es nur einmal gehört/gelesen ;).
Kurze Sätze und auf keinen Fall, dem Leser irgendwas erklären wollen, Zusammenhänge oder so. Muss nicht immer in logischer Reihenfolge sein ...

Wie kommt er bloß auf diese Alien-Geschichte? Nach all den Jahren? Glaubt er wirklich? Hinkommen, und die Kreise ansehen. Als ob die irgendwas beweisen würden. Ob's viel Schaden angerichtet hat? Vielleicht geh ich doch mal.

Es hat wohl keinen Sinn, jetzt noch mit Josef anzufangen. Sie ist ja ganz besessen von ihrem Internet. Aliens. Vielleicht ist doch was dran. Sonst wäre Josef niemals dermaßen wütend abgehauen. Ich kenne ihn gar nicht so. Schade, dass der Abend dermaßen schiefgelaufen ist … Mit Hubert stimmt auch was nicht. Er hat heute auf alles gereizt reagiert. Morgen geh ich mal ganz früh in die Reben und zur Obstwiese. Da kann ich am Besten nachdenken. Und wenn sie aus der Kirche kommt, hört sie mir vielleicht eher zu.

Klingt auch nicht so wirklich nach Denken.

Josef war nirgends zu sehen oder hören. Auf dem Elektroherd stand ein Topf mit Kartoffelsuppe, die leise vor sich hin köchelte. Die Kücheneinrichtung sah noch genau so aus wie zu Herthas Zeiten, nur viel schäbiger. Es war nicht zu übersehen, dass hier eine weibliche Hand fehlte. Im Haus rührte sich nichts.

Show, don't tell. Hier wäre es wirklich sehr einfach gewesen. Gardien halb abgerissen. Offene, halbleere Tüte mit Haferflocken auf dem Tisch, Spinnweben in den Ecken, dreckige Handtücher ... so was halt.

„Sepp, ich will jetzt die Kreise sehen. Und endlich wissen, was du mit der Botschaft von Hertha meinst.“

Hier geht auch die Rede bisschen schief.
"Ich bin wegen der kreise gekommen." Punkt , aus, Ende. Nichts Erklärendes hintendran.

Das Ende mögen ja die meisten sehr gern. Das ist wohl so in der heutigen Zeit, dass man sich nach was Gutem, was Optimistischen sehnt. Ich finde immer, dass macht die Grundstimmung kaputt, verdreht sie, macht alles, was man aufgebaut hat mit drei Sätzen - zack. Da schwingt dann auch nix mehr nach. Da wird ja alles gut. Das beklemmende Gefühl, was man so mühsam aufgebaut hat, über Seiten und dann drei Sätze ... nix mehr von übrig. Wie gesagt, da gehen die Vorlieben auseinander und am Ende will ich das auch gar nicht kritisieren, nur mein Empfinden zum Ausdruck bringen. Aber ich verstehe auch, warum man sich dazu entscheidet und dem Leser noch was Gutes gönnt.

Ich finde die "Einsamkeit", die Angst vor dem alleine Sterben hier nicht ganz so gut herausgearbeitet wie in der Originalstory. Das schwimmt da zwar alles an der Oberfläche mit, aber es wird auch nie wirklich die Kamera draufgehalten, wenn sich die Einsamkeit da Bahnen bricht. Da kommt dann schnell der Szenenwechsel. Und es gibt natürlich auch erst gar nicht so viele Szenen wie im original, die das Thema ins Zentrum rücken. Da könnte noch bisschen was draufgelegt oder nachgeschoben werden, sofern Du es denn willst. Muss nicht, aber würde dem, glaub ich, gut tun.

Ansonsten ist das aber schon eine feine Geschichte, die ich gern gelesen hab. Wirklich. Auch wenn ich bisschen pingelich daherkomme ;).

Beste Grüße, Fliege

 

Liebe Fliege,

ich möchte dir doch schon mal antworten, wer weiß, ob noch andere Kommentare kommen.
Zuerst danke ich dir für das "feine Geschichte". Es war für mich nicht von vorne herein klar, ob der Schwerpunkt auf "copy" oder "write" liegen muss. Jetzt weiß ich, dass "write" die eigentliche Leistung sein soll. Ich habe mich bei gibberish bedankt für die tolle Vorlage;)

Deine Vorschläge habe ich eingearbeitet. Die " Küchengeschichte" hatte ich im Entwurf ausgestaltet, aber aus Angst vor Weitschweifigkeit wieder eingestampft. Außerdem habe ich Matthias' Profil als Grübler verschärft. Seine Art zu denken, dieses Umständliche, Langsame, ist mir wichtig. Das darf nach meinem Gefühl durchaus im Gegesatz zu seiner Rede stehen. Zumal man ja "denken" nicht so gut beobachten kann wie"reden";)

Ich danke dir nochmals herzlich für dein Interesse allgemein und die Verbesserungsvorschläge im besonderen.

Jetzt habe ich den Kopf frei alle Copywrites.

Liebe Grüße

wieselmaus

 

Liebe wieselmaus

Endlich komme ich dazu, mich dem Copywrite zu widmen, heute habe ich mit meinem Text begonnen, gleichzeitig möchte ich auch kommentieren und starte mit deiner Geschichte.
Bei der USA-vs.-Deutschland-Debatte bin ich ziemlich indifferent, ich fand beides gut, beides hat seine Vorteile, du hattest eine starke Vorlage, deine Adaption hat für mich gut gepasst.

Insgesamt hat mir dein Text gefallen, da hat es keine Stolperer und einige schöne Passagen drin, so zum Beispiel:

Die Sonne verabschiedete sich gerade hinter den Vogesen, als Matthias seinen VW vor Josefs Hofeinfahrt abstellte. Der blutrote Abendhimmel kündigte Regen an. Matthias stellte den Korb mit dem Apfelmus und den frisch gebackenen Waffeln auf einen rostigen Eisentisch neben dem Eingang. Die Haustür stand offen und auch die Tür im Flur zur Wohnküche. Josef war nirgends zu sehen oder hören. Auf dem Elektroherd stand ein Topf mit Kartoffelsuppe, die leise vor sich hin köchelte.

Das ist im hier und jetzt, sehr sinnlich, da kann ich gut eintauchen. Ich hätte mir noch mehr solche Stellen gewünscht. Raum dafür könntest du schaffen, indem du einige Informationen weglässt, die für die Stimmung der Geschichte nicht so wichtig sind, im Gegenteil Platz im Gehirn des Lesers wegnehmen. Exemplarisch:

Dann legte sie sich Hühner zu, schließlich eröffnete sie einen Hofladen. Ihr liebstes Projekt, erfuhr Matthias von Marie, sei der Ausbau einer kleinen Ferienwohnung. Nicht weit vom Hof führte ein Fernwander- und Radweg am Rhein entlang. Da waren solche Unterkünfte sehr gefragt.

An anderen Stellen kannst du vielleicht auf tell verzichten, weil du es (z.B. im Dialog) schon gezeigt hast, z.B. hier:

Er verstand ja nichts von dieser neuen Technik, in der Marie sich fast schon heimisch fühlte. Vielleicht lag es daran, dass Marie ein paar Jahre jünger war. Aber nein, sie war schon immer aufgeschlossener gewesen. Merkwürdig, dass sich dies im Alter so deutlich zeigte.

Vor allem am Anfang ist mir aufgefallen, dass du manchmal noch einen erklärenden Satz nachschiebst:

„Und woher willst du das wissen?“ Ernesto stellte immer alles in Frage, was von Hubert kam.
Seit die Grünen die Mehrheit haben, ist wenigstens Leben in der Bude.“
Hubert ließ keine Gelegenheit aus, am Stammtisch ein wenig Parteipolitik zu betreiben.

Ich denke, das liesse sich streichen. Generell hatte ich den Eindruck, dass du die Figuren mit vielen Erklärungen einführst, mit allgemeinen Charaktereigenschaften, Formulierungen wie „hatte schon immer …“ oder „hatte zu allem …“ Ich zumindest lese das nicht so gerne. Vielleicht kannst du hier überlegen, ob du die Figuren (noch) mehr aus dem Dialog, aus der Situation heraus charakterisieren willst.

Im weiteren Verlauf nimmt die Geschichte immer mehr an Fahrt auf, gewinnt an Stimmung (siehe die eingangs zitierte Stelle). Ich hatte den Eindruck, dass du die Figuren, nachdem sie doch ziemlich formell auf die Bühne geführt wurden, nun viel freier hast agieren lassen.

Und so konnte ich in den Text eintauchen, bis …

Mit dem Ende deiner Geschichte kann ich mich überhaupt nicht anfreunden, das ist mir zu sehr Kaninchen-aus-dem-Hut, finde ein Hobby und alles ist gut. Ich will es so formulieren: Das Ende deiner Geschichte nimmt die Geschichte zu wenig ernst. Wenn ich diese letzten Sätze ausblende, bleibt jedoch ein sattes "gern gelesen".

Liebe Grüsse
Peeperkorn

 

Hallo Peeperkorn,

da hast du dir ja ein gewaltiges Pensum vorgenommen. Es sind ja nicht nur die Copywrite-Texte, sondern die Wortkrieger waren auch sonst sehr fleißig.

Danke für deine Anerkennung meines Textes. Alle haben ja gefunden, dass ich mir eine anspruchsvolle Geschichte ausgesucht habe. Es stimmt schon, zu Beginn war ich sehr fixiert auf meine Vorlage, zumal ich echt nicht wusste, wieviel Abstand man zum Original wählen muss. Später kriegte meine Fassung tatsächlich ein Eigenleben, und es freut mich, dass du gerade hier gelungene Passagen gefunden hast.

Nun ja, der Schluss. Ich muss gestehen, dass ich den zwar auf eine Weise pfiffig, andererseits zu platt fand. Ich wollte, dass er sich von der Vorlage abhebt. Die Friede-Freude-Eierkuchen- Variante werde ich entschärfen. Aber ein bisschen Hoffnung muss sein;)

Ich danke dir nochmals für deine insgesamt positive Bewertung. Ich jedenfalls als Person fühle mich ernstgemommen.
Gruß wieselmaus

 

Hallo wieselmaus,

wie Fliege schon sagt, bewegst du dich ja hier recht nah am Original.
unabhängig vom Original hätte ich mir bei deiner Geschichte gewünscht, dass du unmittelbarer anfängst. Du hast ja quasi schon action im ersten Satz (ausrutschen), aber das wird dann sehr weich aufgefangen und der text geht erstmal erklärend und behäbig weiter. Klar, ist ein ruhiger Text, ich meine jetzt auch keine rattatazong!-action. Aber ein bisschen mehr Fahrt gleich zu beginn hätte mir schon gefallen. Bis die Aliens kommen, vergeht ja schon einige Zeit. Und das lässt ja erst aufhorchen. Wenn das erstmal gefallen ist, kann auch der reflektierende Teil zur Spannungsdehnung eingebaut werden. Denke also, ist die falsche Reihenfolge für den Einstieg.

Nach dem zehnten oder elften letzten Tropfen stellte er die Flasche auf den Tisch zurück.
:D
Er zitterte so sehr, dass er sein Glas beinahe umgestoßen hätte.
das finde ich etwas zu viel des Guten. ich denke, eine Abschwächung hier würde mehr bringen. Entweder er zitterte, oder er hätte das Glas beinahe umgestoßen. Da sind einige Stellen im Text, die ich kürzen würde wegen Redundanz.

Matthias ging gerne durch den Juniregen, die feuchte Luft tat seinen Bronchien gut. Nur mit den Knien hatte er bei solchem Wetter einige Probleme. Und das Kreuz spürte er auch von Jahr zu Jahr stärker. Waldarbeit war eben keine leichte Arbeit, trotz der guten Luft. Es wäre besser, wenn er mit dem Rauchen ganz aufhören würde. Überhaupt hatte Josefs Silberhochzeit ihn daran erinnert, dass er seiner Frau nach vierzig Jahren immer noch die Hochzeitsreise schuldig war. Wir sollten mehr zusammen unternehmen, wer weiß, wie lange wir noch können.
Vor seinem Haus blieb er stehen. Im oberen Stockwerk brannte Licht. Marie las oder sie hatte ihren Laptop mit ins Schlafzimmer genommen.
„Marie, ich bin wieder da, es ist doch etwas später geworden“, rief er nach oben, holte eine alte Zeitung aus der Küche und stellte im Flur seine feuchten Schuhe sorgfältig nebeneinander auf. „Ich schau noch mal, ob das Katzenfenster offen ist, dann komm ich. Brauchst du noch etwas?“
das hier zum Beispiel. Wie viel braucht es dafür wirklich für die Geschichte? Also damit man im Bilde ist? Straffen könnte dem Text gut tun.

JHoffentlich kommt er gut heim.
J zu viel

Ich denke, etwas mehr Straffung würde der Geschichte gut tun. Ich wollte trotzdem wissen, wie es ausgeht, was es mit den Aliens auf sich hat. Aber der viele Text zwischen Andeutung und Auflösung hat mich auch ungeduldig gemacht. Entweder da kommen noch weitere enthüllende Szenen, die die Geschichte vorantreiben, einen neuen Drive geben, oder es lädt eben zum Überfliegen ein. Tendenziell war es für mich Zweiteres.
Aber das klingt jetzt sehr hart. Ich habe den text dennoch gern gelesen. Meiner Meinung nach könnte er aber aber mehr Fahrt vertragen.

grüßlichst
weltenläufer

 

Hallo weltenläufer,

danke, dass du mein copywrite gelesen hast. Ich habe nicht gewusst, wieviel man vom Originaltext mitnehmen muss. Jetzt bin ich schlauer, weil ich andere Beispiele gelesen habe. Ich habe den Focus vor allem darauf gelegt, ob es mir gelingt, die Geschichte von den USA nach Deutschland zu transportieren. Du hast natürlich Recht damit, dass man kürzen müsste, um schneller zum Kern zu kommen. Die ausführlichen Gedankengänge meines Prots waren sehr an der Vorlage orientiert, wie auch die Reihenfolge.
Für mich war das Ganze eine sehr lehrreiche Übung. Deshalb bleibe ich bei meiner Meinung: copywrite macht Spaß. Ich bin gespannt auf die Texte, die noch ausstehen.

Freundliche Grüße
wieselmaus

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo wieselmaus

Verzeih schon mal, wenn sich was mit den Vorrednern überschneidet, hab erst geschrieben und dann Coms gelesen.

Der Einstieg wurde ja bereits als etwas zäh angemerkt, (gut, das habe ich vorher gelesen :shy:) aber mit Auftritt Joseph kommt dann Schwung in die Geschichte, ab da wirds interessant. Nun der Reihe nach

„Der Egon will den 'Ochsen' verkaufen. Er schafft es nicht mehr, jetzt, wo die Lina Diabetes hat. Bei ihrem Umfang wundert's mich nicht.“
„Und woher willst du das wissen?“
Würde ich Dialogtechnisch aufteilen, kommt natürlicher.

"Der Egon will den Ochsen Verkaufen" - BAMM, das sitzt, vielleicht verschluckt sich dabei der eine oder andere am Bier.
"Er schafft es nicht mehr, jetzt, wo die (gute) Lina Diabetes hat." (und den Rest streichen)
"Was, woher willst das wissen?" usw. so liest es sich flüssiger, natürlicher.

Sie hatten beide einmal um den Vorsitz im Fußballverein konkurriert, und Ernesto hatte verloren.
ist das wichtig? Weckt irgendwie einer Erwartungshaltung in mir, doch da kommt später nix mehr zu, also weg.

Kleiner Schmunzler am Rande:
Hertha ... Berlin / Fussball schwingt da doch irgendwie mit. Absicht? :D

Matthias kannte wie Hubert und Ernesto, ja, wie das ganze Dorf, die tragische Geschichte von Josef und Hertha.
Vorschlag: Matthias, ja das ganze Dorf, kannten die tragische ...

„Und das hat sofort geklappt?“
„Nee, hatte da ein Abo.“
Der kam gut. :)

Im sechsten Jahr, am dritten Juni, verschwand Hertha spurlos. Weder die zahlreichen Hundestaffeln noch Fahndungen im Elsass und in der Schweiz brachten Ergebnisse. Josef wurde kurzzeitig in Haft genommen, aber es gab nicht den geringsten Beweis, dass er etwas mit dem Verschwinden seiner Frau zu tun hatte. Die Gerüchte blieben.
Da wünschte ich mir mehr Details, weshalb wurde Joseph verhaftet? Was geschah zuletzt? Gab's Streit? Woraus bestehen die an anderer Stelle ebenfalls zitierten Gerüchte?

Wir sollten mehr zusammen unternehmen, wer weiß, wie lange wir noch können.
Was unternahmen sie denn sonst noch, ausser nach der Kirche am Stammtisch einen Heben?
Vorschlag: Wir sollten etwas zusammen unternehmen

Marie las oder sie hatte ihren Laptop mit ins Schlafzimmer genommen.
Marie hatte sicher wieder ihren Laptop mit ins Schlafzimmer genommen.
Hier und im weiteren verschenkst du etwas die Distanz und Einsamkeit von Matthias in der Ehe darzustellen.

„Du lieber Himmel“, sagte sie, als Matthias, nur noch in Unterwäsche, ins Schlafzimmer trat,
Mit allem hätte ich jetzt gerechnet, nur nicht mit
„dass es so spät ist, habe ich gar nicht gemerkt, vor lauter Surfen.“
:D
Lass Marie etwas aus dem Internet rezitieren, vlt sogar über gesichtete UFOs oder so? ;)
Denn sie liest ja weiter, und dann greift Matthias' Aufforderung, den Laptop zu schliessen besser,
"ist grad so spannend, ich kann auch im Dunkeln ..." o.s.ä.

"Du bist halt ein alter Grübler und ein Sinnierer, deswegen gehst du ja auch zu deinen Stammtisch", sagte sie halb lachend, halb ärgerlich, "aber lass du mir meine Landfrauen. Ich brauch das."
Josef ist ein Grübler und Sinnierer, deshalb geht er zum Stammtisch? Diese Aussage verstehe ich nicht ganz. Ich sehe da eher seinen Obstberg, da flüchtet er andentags ja auch wieder hin.
Gut, ich bekomme da schon ein Bild, die engagierte Marie zieht ihr Ding durch, und Matthias versinkt ins Grübern und Sinnieren.

Unter den Apfelbäumen, die bereits Frucht angesetzt hatten,
sagt man das so? Schimmel, Rost, Moos, ja, aber Frucht angesetzt?

Der ganze Abschnitt über Matthias Kraftort hoch über dem Rhein hat mir gefallen, der Konflikt, dass Kinder ihren eigenen Plänen folgen, kommt hier zum Tragen, eine schmerzhafte Erkenntnis, auch wenn sie mir richtig erscheint.

Schon von weitem sah er Marie, wie sie sich den Hang heraufquälte.
Ja, wenn der Matthias nur nicht so technikresistent wäre, ein Königreich für ein Smartphone. :D

„Ernesto meint, er habe sich mächtig aufgeregt über Josef und seinen Blödsinn mit den Kornkreisen. Du hast mir gar nichts davon erzählt.“
Ernestos Frau wäre mir da plausibler, die ist nämlich sicher auch bei den Landfrauen. ;)

„Ja. Ernesto kümmert sich um Hubert im Krankenhaus“.
Stärker fände ich: Hubert ist im Krankenhaus, Ernesto kümmert sich um ihn.

Seine Frau hat nicht verstanden, worum es ging. 'Der alte Krauterer bringt noch das ganze Dorf in Verruf!' Das hat er, sagt sie, immer wieder geschrien, bis er umgefallen ist.“
Woher hatte er denn diese Information? Er war ja nicht dabei, so wirkt es etwas konstruiert, alles in allem brauchst du ja nicht so dick aufzutragen, "Hat sich anscheinend tierisch über etwas aufgeregt." reicht da, als Reaktion könnte Josef schnauben und so eine Verbindung zum Hintergrund geben. Nur so als Idee.

„Manchmal stell ich mir vor, ich liege ganz allein auf dem Acker oder in der Küche, und niemand merkt es. Vielleicht ist es Hertha ja auch so gegangen. Ich habe Angst, Matti, ich habe eine Scheißangst davor, allein zu sterben. Abends, wenn es dämmert, ist es am Schlimmsten, wenn das Zwielicht kommt und ich weiß, dass ich wieder eine schlaflose Nacht vor mir habe.“
Die Quintessenz der Geschichte, wie auch des Originals.

Einsamkeit. Das kannte Matthias auch. Er musste nur an an seinen Sohn Stefan denken. Sogar Marie war da keine Hilfe. Die hatte jetzt ja die Landfrauen und das Internet.
Wirklich? Also das ist jetzt etwas weinerlich, denn wie die Maria da gleich zu ihm in den Obstberg hochgespurtet ist, also das nenn ich doch eher sorgsame Freundschaft.

Alles in allem eine feine unaufgeregte Adaption nahe an gibberishs Kornkreisestory, wobei mir gefallen würde, wenn du die Einsamkeit deines Protagonisten Matthias noch besser herausarbeiten könntest. So wirkt das Sinnieren über die verrinnende Zeit und das drohende Ende in Einsamkeit noch nicht ganz rund. Du hast den Geist des Originals übernommen, da du nahe an der Vorlage bleibst.
Was mir halt gut gefällt, ist der Schauplatz mit Lokalkolorit. Spätestens seit Douglas Adams wissen wir, Aliens verschlägt's halt auch schon mal nach Europa.

Kleinzeugs:

JHoffentlich kommt er gut heim.

Waldarbeit war eben keine leichte Arbeit, trotz der guten Luft.
WW

Mit einem Seufzer schaltete Maria ihren Laptop aus,
Marie

Gern gelesen.
Liebe Grüsse,
dot

 

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