Was ist neu

Was wäre wenn… oder ein Priester, ein Archäologe und ein Philosoph…

Mitglied
Beitritt
04.05.2016
Beiträge
28
Zuletzt bearbeitet:

Was wäre wenn… oder ein Priester, ein Archäologe und ein Philosoph…

Er hörte das Telefon schon klingeln, als er noch vor seiner Wohnungstür stand und nach dem Schlüssel kramte.
Er stöhnte. Wie hasste er diese Hetzerei. Immer musste er sich beeilen. Und das nach so einem Tag. Hektisch suchte er mit dem Schlüssel das Schloss, drehte um, riss die Tür auf, bereit hineinzustürmen und hielt inne…
Das Klingeln hatte aufgehört.
Ärger flutete hoch. Er musste dringend an seiner Einstellung arbeiten. Immer zur Verfügung, wenn jemand ihn sprechen wollte. Er hatte jetzt Feierabend. Schluss aus. Sollte, wer auch immer das gewesen sein mochte, doch einfach noch einmal anrufen, wenn es wichtig war, würde das sowieso unweigerlich passieren. Dieses Gefühl, was zu verpassen, in einem wichtigen Moment nicht da zu sein, war lächerlich. Und der immer wiederkehrende Ärger auf sich selbst, die Frustration, zogen ihn noch weiter runter.
Noch während er mit sich haderte, stellte er fest, dass er in die leere Wohnung hinein hörte, ob der Anrufer wohl auf seinen AB gesprochen hatte.
Er seufzte und beschloss, sich ganz bewusst erst ein wenig auszuruhen und nicht sofort zum AB zu gehen. Wie konnte er anderen den Rat geben, achtsam mit sich umzugehen und selbst…?
Er stellte seine Notebooktasche im Flur an die Bank und zog die Schuhe aus. Nachdem er Schal und Jacke an die kleine Buchengarderobe gehängt hatte, ging er ins Wohnzimmer und ließ sich seufzend in seinen alten Sessel fallen.
Müde rieb er sich die Augen. Er fühlte sich so leergequatscht. Den ganzen Tag hatte er Trost gespendet. Eine Beerdigung, ein Todesfall und dann der Besuch im Altenheim in der Marienstraße. Dort war er trotz aller Vorsicht Frau Memsel in die Arme gelaufen. Der immer strahlenden, von Herzen glücklichen Frau Memsel.
Er hatte schon länger den Verdacht, dass sie ihn sehr bewusst abpasste, regelrecht stellte, als wäre sie ein Jagdhund und er ein begehrliches Stück Wild. Manchmal dachte er, sie wäre geradezu auf ihn angesetzt worden, ihm aufzulauern und ihn voll zu labern.
Normalerweise hörte er gerne die Geschichten, die Menschen wie ihr in einem langen Leben widerfahren waren. Er konnte stundenlang sitzen und sich über Kriegszeiten, Todesfälle, Kummer und Sorgen oder auch die guten Ereignisse eines solchen Lebens berichten lassen. Aber bei Frau Memsel war es anders. Sie erzählte ihm gar nicht von ihrem Leben. Frau Memsel war eine sehr schlichte – seine Freunde würden sagen dumme – Frau. Sie erzählte nicht von aufregenden Urlauben, Liebschaften oder sonst irgendwelchen spannenden Erinnerungen, stattdessen berichtete sie ihm von jedem Sonnenstrahl, den sie gerade gespürt hatte, machte ihn auf jedes Gänseblümchen aufmerksam, begeisterte sich für einen Schluck Wasser und kostete ihn den letzten Nerv.
Wenn sie sprach, spürte er eine innere Unruhe. Eine Gereiztheit, die er sich nicht erklären konnte. Lange hatte er geglaubt, er könne sie einfach nicht leiden, doch mittlerweile war ihm klar, dass die Frau ihm unheimlich war. Es war, als wolle sie ihm zwischen den Zeilen irgendetwas sehr Wesentliches sagen, das er nicht verstand. Er verglich es mit einem Film, bei dem sich die Tonspur verstellt hatte. Er hörte die Worte, verstand aber ihren Sinn nicht.
Sonst freute er sich auf die Gespräche, die er zu führen hatte. Sie waren wichtig. Er hatte jedes Mal das Gefühl, den Menschen, denen er zuhörte, einen Dienst zu erweisen, dass sein Leben sinnvoll und nützlich war.
„Sieh zu, dass du dein Leben nicht mit Belanglosigkeiten verbringst“, hatte sein Vater ihm immer gesagt.
Das hatte er beherzigt. Priester zu sein, war sinnvoll.
Warum aber hatte er dann bei Frau Memsel immer den Eindruck, sie war es, die ihm einen Dienst leistete?

Er streckte sich, knackte mit dem Nacken, holte tief Luft und hievte sich aus dem Sessel.
Die AB-Lampe leuchtete. Er drückte auf Play.
„Sie haben sieben neue Nachrichten.“ Er stöhnte.
„Nachricht eins:“
„Hey Priester.“
Er horchte auf. Seine Müdigkeit war sofort wie weggeblasen.
„Du wirst nicht glauben, was ich gefunden habe. Es ist un-fucking-fassbar.“ Lachen. Der Priester schüttelte den Kopf, musste grinsen. Der Archäologe… Typisch.
„Ich ruf später nochmal an.“
Was er wohl wollte?
Die nächsten fünf Nachrichten waren vom Büro und hatten mit Terminverschiebungen der kommenden Woche zu tun.
Erleichterung durchströmte ihn. Keine weiteren Toten – ein guter Tag.
„Nachricht sieben:“
„Hey Priester, ich bin‘s nochmal. Sag mal, müsstest du nicht schon längst zu Hause sein? Die alten Leutchen schlafen doch schon alle.“ Wieder Lachen.
Der Priester musste auch lachen. Die Leute stellten sich sein Leben immer als Kaffeekränzchen vor, bei dem er von Kuchenbuffet zu Schnittchenteller schlurfte.
„Weswegen ich anrufe, ich muss dich treffen! Der Philosoph kommt auch. Morgen Abend 20:00 Uhr im Eck. Kommst du? Es ist sehr wichtig.“
Pause und dann ernster: „Bitte.“
Natürlich würde er gehen. Was für eine Frage. Neue Energie durchströmte ihn.

„Hallo Priester!“
Der Archäologe stand lachend von seiner Bank auf.
„Schön, dass du es geschafft hast!“
„Als ob ich so ein Treffen jemals versäumen würde“, antwortete der Priester seinerseits mit einem Lachen.
„Hallo“, wandte er sich an den Dritten im Bunde.
Der Philosoph war wie immer still abwartend sitzen geblieben, bis die anderen beiden sich ihm zuwandten. Nie würde er sich in den Vordergrund drängen, nie die Initiative ergreifen. Still und in sich gekehrt, wirkte er auf viele Menschen schüchtern und bescheiden. Nur seine beiden besten Freunde seit Kindertagen wussten, dass er einfach lieber beobachtete und nachdachte. Wenn er sich einmal äußerte, schockierte er seine Zuhörer. Er sagte stets, was er dachte. „Messerscharf und gnadenlos“ hatten sie ihn in ihrer Abizeitung beschrieben. Als Junge war er mit seinem Vorgehen viel auf Kritik gestoßen, so hatte er gelernt, sich zurückzuhalten und abzuwarten, ob seine Meinung überhaupt gefragt war.
„Hey“, sagte er nun, als er sich erhob und den Priester freundschaftlich in die Arme schloss.
„Ein Jahr ist zu lang.“
„Ist das schon ein Jahr her, dass wir uns gesehen haben?“ Der Archäologe schaute ungläubig.
„Ja, ein Jahr ist zu lang“, sagte der Priester nur.
Sie setzten sich alle um den Tisch herum, den Tisch an dem sie schon seit mehr als zwei Jahrzehnten bei stundenlangen Gesprächen über Politik, Geschichte, Religionen und den Sinn in allem diskutiert und gestritten hatten. Vor dem Tisch im „Eck“ hatten sie dasselbe schon auf dem Schulhof oder am Lagerfeuer getan. Manche Dinge durften sich nicht ändern.
„Ja, die Messenger weichen das Zusammenkommen auf“, bemerkte der Archäologe geistesabwesend, als hätte er den Satz schon duzende Male gesagt, und warf noch einen Blick auf sein Handy, bevor er es wegsteckte.
„Die Menschen sind so damit beschäftigt, ihre Leute an ihrem Alltag teilhaben zu lassen, Witze und Nichtigkeiten weiterzuleiten, dass sie gar nicht merken, dass sie eigentlich in einem Hamsterrad sitzen“, stimmte der Priester traurig zu. „Die wichtigen Dinge werden überhaupt nicht mehr besprochen.“
„Es ist ja auch schwer, den Arsch hoch zu kriegen und das Wichtige anzupacken. Alle wissen es, keiner ändert was. Wir auch nicht.“ Der Philosoph lehnte sich zurück.
„Hm“, machte der Priester, dem war nichts mehr hinzuzufügen.
Der Archäologe sprang auf. „Ich geh nach vorne und bestell uns erstmal ne Runde. Alles wie Immer?“
„Ja“, sagte der Priester, der Philosoph nickte nur.
Kaum war der Archäologe außer Hörweite, wandte sich der Priester an den Philosophen.
„Er ist heute aber sehr hibbelig.“
„Er hat auch guten Grund dazu.“
„Du weißt, warum er uns einbestellt hat?“ Der Priester war überrascht und ein bisschen gekränkt. „Hat er dir schon von seiner Entdeckung erzählt?“
„Nein. Er macht ein großes Gewese draus, aber ich kann es mir denken.“
„Hm“, machte der Priester, „das hilft mir leider nicht weiter, ich kann mir nix denken.“
Der Philosoph grinste.
„Komm schon, hilf mir auf die Sprünge.“
„Und verderbe dem Archäologen seine Überraschung? Wohl eher nicht.“
In dem Moment kam der Archäologe mit ihren Getränken zurück.
„Der Abend heute geht übrigens auf mich.“ Er strahlte und stellte vor jeden ein großes Glas ab. „Bevor ich anfange: Alles, was ich sage, ist rein hypothetisch, klar? Wir dürfen eigentlich nicht darüber reden, aber ich muss das alles irgendwie für mich klar kriegen und da kommt ihr ins Spiel. Also! Stellt euch vor, was wäre, wenn...“, er unterbrach sich, als er sah, wie der Priester und der Philosoph einen Blick wechselten. Der Archäologe lachte.
„Habt ihr schon spekuliert, als ich draußen war?“
„Mach es nicht so spannend.“ Der Priester beugte sich vor. Er war nun richtig neugierig.
Der Philosoph trank einen Schluck und lehnte sich wieder zurück, ein wissendes Lächeln um den Mund.
„Nein Priester, so was wie diesen Moment erlebt man nur einmal, den gedenke ich zu genießen. Also, habt ihr spekuliert?“
Er schaute fragend in die Runde.
„Los, gönnt es mir, ratet“, forderte er sie auf.
Der Philosoph verwies mit einer Handbewegung auf den Priester.
Der ließ sich nicht lange bitten.
„Du warst auf einer Grabung. Soweit ich weiß, hast du nach den Anfängen der frühsten Kulturen der Menschen gesucht.“
„So weit, so richtig“, bestätigte der Archäologe nickend und trank einen Schluck.
„Du hast was gefunden, das dich überrascht hat.“
„Das kann man mal sagen!“
„Ok, ich verstehe, es hat dich umgehauen.“
„Oh yeah, baby!“
„Also muss es was sein, dass die Forschung um ein ganzes Stück voranbringt.“
„Nein.“ Der Archäologe lachte laut auf. „Nein, ich denke, dass es die Forschung eher in Schockstarre geschickt hat.“
„Also stellt es alles auf den Kopf, was man bislang vermutet hat“, mutmaßte der Priester gespannt weiter.
„Ja.“ Der Archäologe amüsierte sich offensichtlich köstlich.
„Hm“, machte der Priester und schaute in die Runde.
Der Archäologe schaute den Philosophen auffordernd an. Doch der schüttelte nur den Kopf.
„Ach kommt Leute, macht weiter. Hört bitte noch nicht auf.“ Er wandte sich wieder an den Priester.
„Ich geb euch einen Tipp.“ Er machte eine Kunstpause. Der Priester hielt den Atem an.
„Wir waren nicht die erste Kultur.“
Der Priester ließ die Luft entweichen. „Ach was. Das wissen sogar wir schon, mein Lieber“, meinte er spöttisch. „Vor uns gab es die Römer, die Griechen, Sumerer…“
„Nein“, unterbrach ihn der Philosoph leise in seiner Aufzählung.
Der Priester und der Archäologe blickten zu ihm.
„Er spricht nicht von den menschlichen Kulturen der Geschichte.“
Der Priester stutzte und schaute von einem zum anderen. Ihn beschlich ein mulmiges Gefühl. Der Archäologe und der Philosoph schauten sich an. Ersterer erst überrascht, dann fragend, dann… Der Priester konnte nur ‚ängstlich‘ denken. Als er sah, mit welcher Ruhe der Philosoph den Blick des Archäologen erwiderte, verstärkte sich seine Anspannung. Keiner sagte etwas.
„Was ist hier los?“ fragte der Priester schließlich vorsichtig.
„Du weißt es?“ Der Archäologe klang fassungslos, konnte den Blick nicht vom Philosophen wenden.
„Es ist die einzig logische Schlussfolgerung.“
„Was denn?“ Der Priester wurde ungeduldig. „Was soll das heißen? Ihr wollt mir doch nicht erzählen, dass ‚nicht menschliche Kulturen‘ Aliens heißt, oder? Das soll doch ein Witz sein?“
Der Priester hatte nie zu denen gehört, die die Bibel wörtlich nahmen. Auch nicht die Schöpfungsgeschichte. Für ihn waren die verschiedenen heiligen Schriften – egal welcher Religion – nur als Hilfsmittel der jeweiligen Glaubensrichtung gedacht. In seiner Vorstellung musste jeder Mensch mit seinem Leben einen Grat beschreiten, der manchmal schwer zu halten war. Einen Grat zwischen Altruismus und Egoismus. Glaube, Religionen und somit auch die Bibel waren für ihn Fahrbahnmarkierungen, nichts weiter. Eigentlich, so hatte er oft gedacht, hätte er genauso gut evangelischer Pfarrer oder Rabbi werden können. Auch das, was er vom Islam wusste, reizte ihn. Vielleicht hätte er heute Allah gepriesen, statt die Heilige Messe zu lesen, wäre er nicht zufällig in die katholische Kultur hineingeboren worden.
Eines aber war für ihn immer unumstößlich gewesen: Der Mensch war die Krone der Schöpfung. Wie sollte das mit Außerirdischen zusammenpassen?
„Nein, mit Aliens hat das nichts zu tun.“ Der Archäologe konnte sich endlich vom Blick des Philosophen lösen. Er wirkte erschüttert.
„Dann erklär bitte endlich, von was zum Geier hier eigentlich die Rede ist.“ Der Priester war nun ernsthaft sauer.
Der Archäologe sah nicht von dem Glas auf, das er zwischen seinen Händen im Schein der Lampe hin und her drehte, als er leise begann: „Ich bin letztes Jahr als Fachmann für Sakralbauten zu den Grabungen gestoßen. Wir wollten Tempelformen erkunden.“ Er schluckte. „Als wir den ältesten bekannten Tempel vollständig ergraben hatten, begann eine Art Schnitzeljagd, die uns von einer Grabung zur nächsten führte. Am Ende fanden wir immer Hinweise auf noch ältere Bauten. Die letzten beiden hatten Inschriften, die wir erst entziffern mussten, aber mit der sumerischen Keilschrift verwandt sind. Sie erzählten von Zeiten, lange vor unserer Vorstellungswelt. Wir konnten uns keinen Reim darauf machen. Und schließlich…,“ der Archäologe holte tief Luft. „schließlich fanden wir das Grab. Und Überreste. Überreste mehrerer“, er schaute hilflos auf, zuckte mit den Schultern. „Wesen.“
„Ihre Körper wiesen viele Merkmale auf, wie wir sie noch heute von den verschiedensten Lebewesen kennen. Sie betrieben Photosynthese, hatten Hände, Rüssel, Flügel, Schuppen, Kiemen und Lungen.“
Wieder holte er tief Luft, als er sich jetzt erleichtert zurücklehnte und seine beiden Freunde ansah.
Der Priester wartete, stutzte, setzte zum Sprechen an, stockte und versuchte es noch einmal.
„Was soll das heißen? Also stammen wir von diesen Wesen ab oder was?“
„Ja. Das Leben,“ er unterbrach sich, „alles Leben auf der Erde stammt von diesen Wesen ab. Es ist unglaublich! Aber begreift ihr? Die Inschriften sprachen von Milliarden von Jahren.“ Er sah die anderen bedeutungsschwer an. „Äonen, in denen diese Wesen versucht haben, das Glück und den Sinn in allem zu finden. Sie haben ihre Körper verändert, Kriege geführt, Wissenschaft und Technik betrieben, Fortschritt gesucht. Doch je weiter sie kamen – und sie kamen über alle Grenzen unserer Vorstellung hinaus, das Gesuchte haben sie nicht gefunden. Bis ihnen klar wurde, dass ihr Verstand und ihre Gier nach mehr sie in all den Jahren nur beschäftigt gehalten hatten. Ein Ankommen gab es nie.
Schließlich gelangten sie zu der Überzeugung, dass das wahre Glück und der Sinn in allem ein und dasselbe sind. Und so beschlossen sie, umzukehren und die Einfachheit zu suchen.
Nun werdet ihr sagen, dass wir das heute auch schon wissen, doch diese Wesen meinten nicht das Häuschen auf dem Lande. Sie wollten in ihrer Konsequenz zurück zu den Wurzeln gehen. Sie verstanden, dass sie keine Lösung finden, sondern Teil der Lösung werden mussten.
Unsere DNA-Untersuchungen haben dann gezeigt…“
„Dass sie noch hier sind“, führte der Philosoph den Satz zu Ende.
„Richtig.“
„Noch hier sind?“ fragte der Priester.
„Ja“, antwortete der Archäologe. Er wirkte erschöpft. Lehnte sich zurück und trank in großen Schlucken sein Glas aus.
„Ich vermute, sie teilten sich in Gruppen auf und entwickelten sich zurück“, sprach der Philosoph weiter. „Wollten wieder einfachere Lebensformen annehmen. Nach dem Motto ‚dumm und glücklich‘.“
Der Archäologe nickte: „Das vermuten unsere Leute auch.“
„Unsere Evolutionsgeschichte ist richtig“, bemerkte der Philosoph trocken. „Wir lesen sie nur falsch herum.“
„Wahnsinn“, sagte der Priester.
„Aber warum haben sie dann diese Stätte da, diese Bauten, die du ausgegraben hast, übrig gelassen? Was sollte das? Wesen ihrer Entwicklungsstufe hätten doch…“
„Für uns.“
„Ja für diejenigen, die es nicht alleine schaffen würden, die auf dem Weg zurück, das Ziel aus den Augen verlieren und wieder vermeintlich vorwärts streben würden.“
„Aber das hieße ja, wir sind nicht die Krone der Schöpfung, sondern ihr Schlusslicht.“ Alle Farbe wich aus dem Gesicht des Priesters.
„Welcher Schöpfung, Priester?“
Minutenlang sagte niemand etwas. Jeder hing seinen Gedanken oder seinem Entsetzen nach. Plötzlich erstarrte der Priester.
„Jetzt verstehe ich sie“, er schlug sich mit der flachen Hand vor die Stirn. „Jetzt weiß ich, was sie mir sagen will.“ Er schaute erwartungsvoll in die Runde. „Versteht ihr? Nein“, beantwortete er direkt wieder seine eigene Frage. „Wie solltet ihr auch, ihr kennt sie ja nicht.“ Er lachte laut auf. Die anderen beiden sahen ihn an.
„In meiner Gemeinde gibt es eine Frau. Ich versuche ihr aus dem Weg zu gehen.“ Er holte tief Luft. „Sie nervt mich.“ Aufgeregt schaute er den Philosophen und den Archäologen an. Als keiner der beiden reagierte, fuhr er fort: „Sie lauert mir auf. Ich dachte immer, sie sei einfach nur dumm. Sie plappert – stundenlang. Aber sie erzählt nichts Wesentliches. Ha! Das dachte ich jedenfalls bis jetzt. Sie redet vom Essen und Trinken, von der Sonne auf ihrem Gesicht, von einem Lächeln, davon, dass ihre Kinder an sie gedacht haben. Versteht ihr jetzt?“
„Nein“, sagte der Archäologe.
„Ja“, sagte der Philosoph und lächelte.
Die anderen schauten ihn an. Der Archäologe verblüfft, der Priester begeistert.
„Sie will dir von dem zu erreichenden Ziel berichten.“
„Genau!“ Der Priester schrie beinahe.
„Ihr meint“, der Archäologe stockte geschockt. „Ihr meint, ein jeder von uns erhält dieselbe..., ja was denn? Botschaft?“
„Der Philosoph erkennt sie, der Archäologe findet sie und der Priester lauscht ihr in den Erzählungen einer alten Frau.“
„Wer behauptet denn, der siebte Tag sei schon vorbei?“
...

 

Vorab finde ich deinen Anfang sehr ansprechend, da ich mir die gestresste Situation des Priesters sehr gut bildlich vorstellen kann...wie er da steht mit den Schlüsseln und absolut genervt ist (sehr getreu einer Alltagssituation)
Allerdings finde ich dass einige Sätze, vor allem die mit eingeschobenen Sätzen etwas kürzer gefasst werden können. Dies würde dann den Lesefluss vereinfachen.

Sein Vater, noch ganz die Generation, die ihren einmal ergriffenen Beruf vierzig Jahre lang ausübte, war während seines Lebens zu der Ansicht gelangt, dass jede Arbeit irgendwann zur Routine würde, doch bei der einen wurde man irgendwann wach und stellte fest, dass man sein Leben mit Nichtigkeiten verbracht hatte.

Gut finde ich auch den Vergleich von der Frau zu einem Jagdhund...das Gefühl ständig beobachtet zu werden:
Er hatte schon länger den Verdacht, dass sie ihn sehr bewusst abpasste, regelrecht stellte, als wäre sie ein Jagdhund und er ein begehrliches Stück Wild. Manchmal dachte er, sie wäre geradezu auf ihn angesetzt worden,

Allerdings finde ich den Archäologen hier und da im Charakter nicht kongruent, da es Stellen gibt, in denen er sehr umgangssprachlich und locker spricht und in anderen eher nicht.
Ansonsten ergeht für mich vor allem die Fragen nach der Existenz, des Lebens, der Hinterfragung von Religionen und des Seins hervor, die ich in so einer Verfassung (mit Aliens) noch nie gelesen habe. Es war spannend doch fand ich den Lesefluss teilweise stockend.
Lg

 

Hallo,

wenn man das zusammenfasst und nicht auf ein paar in die Länge gezogenen Passagen herumreitet, dann ist das philosophisch schon sehr ansprechend.

Mir gefällt das auch, dass die Story mit dieser nervigen Alten startet. Da denkt man erst, die wolle dem Kerl an die Wäsche oder so. Sehr interessant aufgezogen. Auch die Entwicklung bis zum Ende hin. Ob mich das, was die Schlauen da hervorbringen, letztendlich befriedigt, ist ja meine eigene Sache. Aber als Geschichte funktioniert es meiner Meinung nach.

Mir gefallen auch Sätze wie jener, der - lose nachgesprochen - dass man das gesunde Mittelmaß zwischen Altruismus und Egoismus finden müsse. Macht schön nachdenklich.

Ach so, was das Formelle angeht, ist der Text auf einem Miniatur-Notebook, wie ich es habe, schwer zu lesen. Nun sehe ich aber ein, dass man solch zusammenhängende Gespräche und auch die Anfangssequenz nicht sinnlos zerteilen kann. Man muss es sich also einfach mal antun. Manche Sachen MUSS man sich eben einfach mal antun.

LG

LG

 

An Antl

Vielen Dank für Deine Kritik! Du hast natürlich völlig recht. Ich neige zu Bandwurmsätzen. Muss ich dran arbeiten.
Was den Archäologen angeht, so sollte er der Lockerste und Aktivste der drei sein. Er sorgt fürs Treffen, spricht sein Problem an, holt die Getränke, lacht laut, fordert die anderen zum Gespräch, während die eher passiv bleiben. Werde schauen, wie ich das besser raushole.

 

An Alltagsschleife

vielen lieben Dank! Freut mich, dass meine Geschichte Dir gefällt!

 
Zuletzt bearbeitet:

Liebe AlteHummel,

die Idee, die in deiner Geschichte versteckt ist, gefällt mir: Wir müssen zurück zum Wesentlichen, zum Eigentlichen, zur Wertschätzung der fundamentalen Dinge. So verstehe ich zumindest die Botschaft deiner Geschichte. Und so schließt du den Bogen zum Anfang deiner Geschichte. Zuerst habe ich gedacht: Warum erzählt er/sie mir das alles nur in solcher Breite? Es löst sich dann ja auf. Insgesamt meine ich allerdings, solltest du besonders den ersten Teil straffen, sonst passiert es dir, dass die Frau Memsel in all den anderen Informationen untergeht. Es ist natürlich ein Trick, sie mehr oder weniger beiläufig zu erwähnen, aber mir war das ganze Drum und Dran dieses Priesteralltags dann doch zu ausführlich. Unter Umständen verlierst du hier deinen Leser schon, weil du zu weit ausholst. Nur so ein Gedanke.

Und auch das Gespräch der Drei hat für mich deutliches Straffungspotential.

Es passiert uns Hobbyschreibern ja manchmal, dass wir in unseren Texten alles verkaufen möchten, was uns so durch den Kopf geht. So erscheint mir deine Geschichte an manchen Stellen. Aber das geht auf Kosten der Stringenz des Textes. Also lieber mal verknappen, als zu ausführlich auch noch den letzten Gedanken, der einem zum Thema durch den Kopf geht, ausführlich darzustellen. Die Kunst besteht darin, das Gemeinte auf den Punkt zu bringen. Zum Beispiel würde ich die Selbstreflektion des Priesters kürzer fassen. Und auch den langen Monolog des Archäologen. Beschränke dich auf das unbedingt Notwendige, dann kommen deine Gedanken klarer rüber. So verliert sich vieles in deinem Wortschwall. (Keine Ahnung, wie alt du bist. Aber manchmal habe ich das Gefühl, das ist auch eine Altersfrage. Wir werden beredter. Erlebe ich zumindest so.)

Nun noch ein paar andere Dinge: Du machst kaum Rechtschreibfehler, aber ich finde recht viele Zeichensetzungsfehler. (Wenn du möchtest, schicke ich dir den korrigierten Text als PN. Hier würde es jetzt zu viel Raum brauchen.)

Noch ein paar Kleinigkeiten:

Fielen sie durch eine Klausuren, …
Klausur

Einen Grat zwischen Altruismus und Egoismus.(,) Zwischen Verantwortung für andere und der für das eigene Glück.
…, zwischen der Verantwortung für andere und dem eigenen Glück.

Wesen ähnlich vielem, was wir auch heute noch kennen. Physiognomisch, meine ich.
Dieses ‚vielem’ halte ich für schlecht gewählt. Eventuell hier schon ‚Wesen’ oder etwas Ähnliches.

Du hast im Ursprungsland gegraben
.
Im Ursprungsland von was? So finde ich das zu allgemein.

Die letzten beiden hatten seltsame Inschriften. Sie sprachen von Zeiten, lange vor unserer Vorstellungswelt. Wir konnten uns keinen Reim darauf machen. Und schließlich…“
Das ist für mich ein Logikfehler in deinem Text: Können die Archäologen diese Inschriften so ohne Weiteres entziffern? Du thematisierst das nicht weiter. Aber für mich ist es schon erstaunlich, denn du sprichst von ‚Zeiten, lange vor unserer Vorstellungswelt’.

Liebe AlteHummel, die Grundidee deines Textes finde ich sehr gut. Es ist eine philosophische Betrachtungsweise dessen, was wirklich wichtig ist. Die Ausführung gefällt mir wegen ihrer Langatmigkeit nicht immer. Hier würde ich nachbessern.

Auf jeden Fall begrüße ich dich bei den Wortkriegern und wünsche dir hier viel Spaß.

Liebe Grüße
barnhelm

 
Zuletzt bearbeitet:

Liebe Barnhelm,

ich danke Dir sehr für Deine ausführliche Kritik.
"Leider" ;) finde ich sie sehr gerechtfertigt, insbesondere die Langatmigkeit. Ich habe die Geschichte nach einigen sehr intensiven Gesprächen zum Thema Religion geschrieben und anscheinend in ihr einfach weiterdiskutiert. Werde mir Deine Worte zu Herzen nehmen und beim Überarbeiten der Geschichte in ein paar Tagen (hoffentlich) einfließen lassen können.

Was den Satz "Einen Grat zwischen Altruismus und Egoismus, zwischen Verantwortung für andere und der für das eigene Glück." angeht, so wollte ich bewusst die Verantwortungen einander gegenüberstellen.

Mit "Ursprungsland" meinte ich Mesopotamien. Ich lese gerade über die Obed-Kultur. Ich war allerdings der Meinung, dass diese detailierten Infomationen für den Kern der Geschichte unwesentlich sind und ich nicht erwarten kann, dass jeder Leser mit ihnen etwas anzufangen weiß. "Ursprungsland" erschien mir für alle verständlich.

Dass Du Dich daran störst, dass ich das Entziffern der Inschriften nicht weiter thematisiere, hat mich - ehrlich gesagt - zum Lachen gebracht. Normalerweise ernte ich Kritik für meine vermeintlich zu genauen Erklärungen und dafür, dass ich immer versuche, alles möglichst logisch mit der Realität in Einklang zu bringen. Jetzt habe ich einmal versucht, nichts darüber zu verlieren und schon treffe ich jemanden, der es auch genauer mag.

Und schließlich, was Dein Angebot angeht, mir den korrigierten Text zu schicken: Sehr gerne. :) Was muss ich tun?

LG
AlteHummel

 

Liebe Barnhelm,

ganz herzlichen Dank für Deine Mühe mit den Korrekturen! :thumbsup: Da waren ja wirklich einige drin... Erstaunlich wie betriebsblind ich werden kann.

sonnige Grüße
AlteHummel

 
Zuletzt bearbeitet:

So, nun ist die Überarbeitung fertig.
Habe versucht, die Punkte stärker herauszuholen, um die es mir ging, statt zu viele Fässer auf einmal aufzumachen.
Ich hoffe, meine Geschichte liest sich nun besser.

Schöne Grüße
AlteHummel

 

Letzte Empfehlungen

Neue Texte

Zurück
Anfang Bottom