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Copywrite In Kratten

Monster-WG
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18.06.2015
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In Kratten

Draußen standen sie im Gras, Sensen in der Hand, hellblaue Hemden, die Frauen mit Kopftüchern und weiten Röcken. Ein Wunder, dass sie nicht runter auf die Gleise rutschten, so steil war der Hang, den sie mähten. Paul schob das Fenster zu und setzte sich zurück an seinen Platz. Der Zug stand schon eine Weile still, Grafenort, man musste auf Zahnradantrieb umstellen. Die Strecke nach Kratten hatte über achtzehn Prozent, vielleicht mehr, er wusste es nicht genau. Paul blickte auf seine Uhr, dann hörte er Metall quietschen, ein Geräusch, das ihm Kopfschmerzen verursachte, die Zahnstange rastete ein und der Zug fuhr weiter, nach oben, in den Nebel.

Ein letzter Blick auf die Fakten. Bevor Paul die Aktentasche öffnete, hielt er sie sich vor die Nase und atmete tief ein. Der kräftige Ledergeruch gab ihm das Gefühl, seiner Aufgabe gewachsen zu sein. Er drückte zwei Finger gegen den Messingverschluss, der mit einem satten Geräusch nachgab. Zum ersten Mal war in der Tasche etwas drin, zum ersten Mal war Paul unterwegs, um einen Fall zu klären. Er zog das Dossier heraus. Alfred Zurgilgen, dreiundsiebzig. Herzversagen am dritten August, sechs Uhr morgens. Eine halbe Million Versicherungssumme. Auszubezahlen an den Sohn, Karl Zurgilgen, Bauer, Rütistrasse 1, Kratten. Der Totenschein war angeheftet, unterschrieben vom Hausarzt. Da lasse sich nichts machen, hatte Gander gemeint. Wenn der Herr Doktor schreibe, es sei Herzversagen, dann bleibe es Herzversagen, der passe schon auf, dass niemand das Gegenteil beweisen könne. Aber nach Kratten fahren und etwas herumstochern, hatte Gander gesagt, das könne nicht schaden. Und schließlich habe man diesen Hinweis bekommen, dem müsse man nachgehen, ideal für einen jungen Bluthund wie Paul.
Bevor er die Unterlagen zurück in die Mappe steckte, warf er einen Blick auf das beigelegte Foto. Alfred Zurgilgen in seiner Werkstatt. Im Hintergrund, gleich neben dem Kopf des Alten, sah man ein Bild an der Wand hängen, ein Frauenporträt. Noch hatte Paul keinen Plan, wusste nicht, wie genau er vorgehen sollte. Sich ein wenig umsehen, Zeit verbringen, schauen, was sich ergab. Ein Zimmer in der Krone war gebucht.

Kratten war Endstation. Paul wusste, dass das Dorf eingekesselt zwischen Bergen lag, sehen konnte er sie nicht. Graue Schwaden hingen über den Matten, es hatte zu nieseln begonnen. Der Ort war nicht viel mehr als eine lose Ansammlung von Häusern, verbunden durch eine schmale Straße, auf der so viel Schlamm und Geröll lag, dass man nicht erkennen konnte, ob sie asphaltiert war.
„Entschuldigen Sie“, fragte er den einzigen Passagier, der außer ihm noch im Zug saß, „wo finde ich den Hof der Zurgilgens?“
„Hä?“ Der Mann erhob sich, schulterte einen riesigen Rucksack und ging zum Ausgang.
„Karl Zurgilgen?“
Der Mann stieg aus, ohne sich umzudrehen, und Paul konnte durch die Fensterscheibe sehen, wie er den Arm hob und in Richtung Norden zeigte, bevor er im Nebel verschwand.

Es waren fast zwei Kilometer bis zum Hof. Pauls Haare waren feucht geworden, seine Socken auch, er hätte festere Schuhe anziehen sollen. Er stellte sich vor, wie es wäre, im Büro zu sitzen, unten in Luzern, einen Becher heißen Kaffee in der Hand. Aber was sein musste, musste sein, in Zeiten wie diesen war jeder verdächtig. Die Milchpreise lagen im Keller und auf einmal stand ein Hof in Flammen und noch einer und noch einer. Meistens machten sie Fehler, die Bauern, einer dümmer als der andere. Vergaßen, die Benzinkanister verschwinden zu lassen, verplapperten sich. Fast immer kamen sie ihnen auf die Spur, früher oder später.
Das hier war eine leicht andere Geschichte. Bei den Übersiebzigern macht die Pumpe auch mal schlapp, das konnte schon sein. Sie hätten die Sache wohl durchgewinkt, trotz der hohen Summe, wäre nicht dieser Anruf gewesen. Im Dorf erzähle man sich, der Alfred sei im Bett gestorben, hatte die Stimme am Apparat gesagt, er aber habe beobachtet, wie sie ihn von der Scheune ins Haus getragen hätten, die ganze Familie habe er gesehen. Karl, Fränzi, den Jungen. Von weitem, ja, aber er sei sich ganz sicher, und nein, seinen Namen nenne er nicht. Paul würde sein Bestes geben, um Licht in die Sache zu bringen. Es ging um viel Geld.

Der Hof sah aus, als sei nicht nur der alte Zurgilgen gestorben, sondern die ganze Familie. Niemand war zu sehen, im Wohnhaus brannte kein Licht, der Stall war leer. Davor stand eine Hundehütte, eine Kette lag am Boden. Kuhmist überall, vermischt mit fauligem Stroh. Paul rümpfte die Nase, drehte sich einmal im Kreis und ging zur Scheune. Oben war der Heuboden, unten standen ein Mähdrescher und Heugabeln, Plastikeimer, willkürlich verstreut. Nur die vordere Ecke war aufgeräumt. Das musste die Werkstatt des alten Zurgilgen sein. Eine schwere Hobelbank, blank geputzt, kein Sägespan zu sehen. Dahinter an der Wand die Werkzeuge, jedes an seinem Platz, nur ein Haken, gleich neben dem Bild der Greta Garbo, war leer.

„Was willst du hier?“ Die Stimme hinter seinem Rücken klang wie Hundegebell, Paul duckte sich, drehte den Kopf und sah einen Mann, der mit schnellen Schritten auf ihn zukam.
„Waser“, sagte er. „Paul Waser.“ Der Mann blieb stehen. „Alpha-Versicherung, Luzern.“ Paul streckte ihm die Hand entgegen.
„Aha.“ Der Mann zögerte eine Weile, schließlich griff er nach Pauls Hand, drückte sie kurz und kräftig. „Karl Zurgilgen.“
„Freut mich.“
„Warum bist du gekommen?“
„Ich möchte mich gerne etwas umsehen. Ein paar Fragen klären.“
„War doch schon einer von euch hier.“
„Ja, ja, Herr Zurgilgen. Aber das braucht halt seine Zeit. Wir müssen uns an Regeln halten, wissen Sie?“ Zurgilgen schien nachzudenken, kaute auf dem kalten Stumpen herum, den er im Mund hatte, dann nickte er.
„Gehen wir rein.“
„Wo ist der Hund?“, fragte Paul, während er Zurgilgen ins Haus folgte.
„Krepiert.“
Drinnen nahm Zurgilgen eine Flasche Zwetschgenschnaps und zwei Gläser aus dem Küchenschrank und sie setzten sich an den Stubentisch. Eine nackte Glühbirne brannte an der Decke, die so niedrig war, dass Paul sich hatte bücken müssen, als sie den Raum betraten.
„Wann bekomme ich das Geld?“, fragte Zurgilgen.
„Das entscheide nicht ich.“
„Warum bist du dann hier?“
„Herr Zurgilgen.“ Paul öffnete seine Aktentasche und breitete die Papiere vor sich aus. „Können Sie noch einmal alles bestätigen, was hier steht?“
„Stimmt alles“, sagte Zurgilgen, ohne einen Blick auf die Unterlagen zu werfen.
„Herzinfarkt also?“
„Ja.“
„Lag am Morgen im Bett?“
„Tot. Eingeschlafen und nicht wieder aufgewacht.“
„Im Bett?“
„Ja.“
„Nicht in der Scheune.“
„Wieso sollte er in der Scheune schlafen?“
„Ja, nicht schlafen. Aber den Herzinfarkt, den hätte er doch in der Werkstatt haben können.“
„Hat er aber nicht.“
„Nicht?“
„Wenn ich sage, mein Vater ist wegen seinem Herz gestorben, dann ist das wahr, da kannst noch hundertmal fragen.“
„Das habe ich nicht angezweifelt, ich habe nur gefragt, wo.“
„Dann ist ja gut.“ Zurgilgen erhob sich und blieb mitten im Raum stehen. Paul nahm das Dossier in die Hand.
„Könnte ich vielleicht noch mit Ihrer Frau sprechen?“
„Die ist nicht da.“
Er wusste nicht, was er noch fragen sollte, und starrte auf das gelbstichige Foto. Alfred und Greta Garbo. Dann sah er, dass neben ihrem Bild ein Seil am Haken hing, genau an der Stelle, die jetzt leer war.
„Ich möchte mir noch einmal die Scheune ansehen“, sagte er.

Es hatte aufgehört zu regnen. Paul stand vor der Krone und versuchte, seine Gedanken zu ordnen. Lustig gemacht hatte er sich über ihn, der Zurgilgen. Natürlich wisse er, wo das Seil sei. Runtergefallen sei es, als er Werkzeug auf dem Hürlimann habe befestigen wollen. Direkt in die Jauchegrube. Paul könne gerne nachsehen, wenn er wolle. Aber vielleicht habe es sich auch aufgelöst in der Brühe, das sei möglich, wer wisse das schon. Wer wisse schon irgendetwas, hatte er gefragt, mit ernster Miene und starren Augen. Das einzige, das er wisse, sei, dass seine Familie verhungere, wenn die Versicherung nicht zahle. Übertreiben konnte er gut, der Zurgilgen.
„Das Zimmer ist im ersten Stock“, sagte die Serviertochter und zeigte zur Treppe, die nach oben führte. „Zum Nachtessen gibt es Fleischvögel. Ist’s recht so?“
„Ja. Danke“, sagte Paul. Er fühlte sich nicht gut, der lange Weg zum Hof und zurück hatte ihn müde gemacht, Kopfschmerzen bahnten sich an, ihm war schwindlig und er fröstelte. Mitten im August, dachte er, so eine Scheiße. Er ging nach oben und nachdem er sein Zimmer begutachtet, die Füße gewaschen und sich aufs Bett gelegt hatte, schlief er auf der Stelle ein.

Der Fleischvogel war trocken und faserig, Paul spülte ihn mit einem großen Bier hinunter.
„Hat’s geschmeckt?“, fragte die Serviertochter.
„Wunderbar!“ Paul legte Messer und Gabel auf den Teller und blickte in den Raum. Er war leer, bis auf drei Männer, die an einem großen runden Eichentisch saßen. Paul nickte ihnen zu, nahm seinen Mut zusammen und fragte, ob er sich zu ihnen setzen dürfe. Die Männer sahen ihn kaum an, aber der eine schob den freien Stuhl, der neben ihm stand, um drei Zentimeter nach hinten.
„Danke. Ich bin Paul.“ Und nachdem er sich gesetzt hatte: „Übler Sommer, nicht?“
„Woher kommst du?“, fragte der eine, der ihm den Stuhl angeboten hatte. Er trug eine Brille, schien von den dreien der Hellste zu sein.
„Luzern.“
„Aha.“
„Noch eine Runde Bier für alle“, sagte Paul zur Serviertochter.
Eine Stunde später hatte er sie so weit. Zwar hatte er zugeben müssen, dass er bei einer Versicherung arbeitete und aus beruflichen Gründen am Tod von Alfred Zurgilgen interessiert war. Aber das schien die drei nicht weiter zu stören und alles, was sie erzählten, passte ins Bild. Sturzbesoffen sei der alte Zurgilgen gewesen, jeden Tag, und einmal sei er mit dem Traktor in Hubers Rapsfeld gefahren. Man habe ihn nicht mehr brauchen können, für nichts.
„Meist ist er dort hinten gesessen“, sagte der Mann mit Brille.
„Und gejammert hat er. Bald sei er tot, hat er gesagt, und dann tanze er im Himmel einen Vögelischottisch, mit Hanni im einen Arm und Greta Garbo im anderen. Jeden Abend der gleiche Text. Hanni, das ist seine Frau gewesen, weißt du, und nachdem sie gestorben ist, war‘s vorbei mit dem Alfred.“
„Das ist traurig“, sagte Paul.
„So ist es.“
„Der Franz tut mir leid“, sagte der Mann, der zu Pauls Linken saß.
„Franz?“
„Alfreds Enkel, der ist sieben. Du, der hat geschlottert, am ganzen Körper, bei der Beerdigung. Kreidebleich war er.“
„Am Tag, an dem Alfred gestorben ist, habt ihr da etwas gehört? Oder gesehen?“, fragte Paul.
Die drei schüttelten den Kopf, synchron, als hätten sie es einstudiert.

Er konnte nicht einschlafen, das Zimmer drehte sich um seinen Kopf, viel zu viel Bier hatte er getrunken. Du musst in Alternativen denken, hatte ihm Gander gesagt. Variante A und Variante B. Alfred Zurgilgen hatte einen Herzinfarkt gehabt, Alfred Zurgilgen hatte sich erhängt, in der Scheune, mit dem Seil, das verschwunden war, Alfred Zurgilgen hatte einen Herzinfarkt gehabt. Paul konnte nicht wissen, was stimmte, beides hätte sein können, aber er spürte es, er sah, wie der alte Zurgilgen am Balken baumelte, er sah es glasklar, natürlich war es so gewesen. Er brauchte einen Beweis. Oder Karl Zurgilgen gab es zu, gab zu, dass er ein Betrüger war und sie übers Ohr hauen wollte. Aber der gab nichts zu, niemals. Dann fiel Paul ein, was Gander ihm auch noch gesagt hatte. Der Ast bricht stets an der schwächsten Stelle.

„Noch einen Kaffee?“
„Danke, sehr freundlich.“
Pauls Augen schmerzten, sie waren verklebt, am Morgen, als er sie hatte aufschlagen wollen. Er fühlte sich fiebrig und schwach. Aber er war bereit, seinen Auftrag zu erfüllen.
„Wo ist das Schulhaus?“, fragte er die Serviertochter.
„Wir haben keines.“
„Aha?“
„In Grafenort.“
„Ach so. Und die Kinder laufen?“
„Jesses Maria, nein.“ Die Frau lachte und Paul sah, dass sie schlechte Zähne hatte. „Die nehmen den Zug.“
„Wann kommen sie zurück, ich meine, normalerweise?“
„Halb vier, glaube ich. Warum?“
„Nur so.“ Paul räusperte sich und stand auf. „Kann ich mir ein Seil ausleihen? Einen Strick oder so? Das wäre sehr nett.“
Nachdem er sich rasiert hatte, brach er auf in Richtung Norden, zu Zurgilgens Grundstück. Das Wetter war freundlicher an diesem Tag, ab und zu konnte man die feuchten Wiesen glänzen sehen. Rund fünfhundert Meter vor dem Hof zweigte er ab und nahm einen Weg, der auf eine Anhöhe führte. Er wollte sich einen Überblick verschaffen, von oben ließ sich vielleicht bestimmen, wo der anonyme Anrufer gestanden haben musste, als er die Zurgilgens beobachtet hatte. Erst als Paul schwer atmend auf einem Zwischenplateau angekommen war, erkannte er, die Hände in die Hüfte gestützt, die Sinnlosigkeit seines Unternehmens. Es hätte überall sein können, der Hof lag mitten in der Hochebene, es gab keinen anderen in unmittelbarer Nähe.

Den frühen Nachmittag verbrachte er im Bett, nachdem er in der Gaststube drei Stück hartes Brot in eine sämige Erbsensuppe getunkt hatte. Die Laken waren nass vom Schweiß, Paul wälzte sich hin und her, schlafen konnte er nicht. Immer wieder ging er seinen Plan durch, wägte die Wirkung dieses oder jenes Satzes, dieser oder jener Geste ab. Er kannte sich mit Kindern nicht so aus.
Um drei Uhr stand er auf, wusch sich das Gesicht, klemmte die Aktentasche unter den Arm und ging zum Bahnhof. Er wartete. Viele konnten es nicht sein, die ausstiegen. Franz musste zu den Kleinsten gehören und er musste den Weg nach Norden einschlagen.
Sie waren zu zweit unterwegs, damit hatte er nicht gerechnet. Sie schlenderten furchtbar langsam, blieben immer wieder stehen, um sich zu schubsen oder sonst wie zu ärgern. Etwa auf halber Strecke bog der eine Junge endlich ab und Paul beschleunigte seine Schritte.
„Hallo.“ Der Junge zuckte zusammen, es sah aus, als würde er gleich losrennen.
„Hallo“, sagte er mit piepsiger Stimme.
„Du bist der Franz, nicht?“
„Ja.“
„Ich muss zu deinen Eltern. Darf ich mit dir gehen?“ Der Junge nickte. „Ich bin Paul.“
Er streckte ihm die Hand hin, aber der wusste nichts damit anzufangen. Sie gingen eine Weile nebeneinander her. Dann fragte Franz, weshalb Paul seine Eltern besuchen wolle.
„Wegen deinem Ätti.“ Keine Reaktion. „Weißt du, wenn ich ganz sicher bin, was mit deinem Großvater passiert ist, dann bekommt dein Papa viel Geld und darum müssen mir alle erzählen, wie es gewesen ist.“
„Aha.“
„Hast den Ätti gerngehabt, nicht?“
„Mhm.“
„Bist traurig?“
„Ja.“
„Willst mir von ihm erzählen?“ Franz schüttelte den Kopf. Sie waren inzwischen schon recht nahe beim Hof, der Junge begann schneller und schneller zu laufen, Paul wollte ihn an der Schulter fassen, um ihn zu bremsen, ließ es dann aber bleiben. Er musste jetzt aufs Ganze gehen.
„Du hast deinen Großvater gesehen, als er gestorben ist, nicht?“ Sie blieben stehen.
„Der Ätti ist eingeschlafen und nicht wieder aufgewacht. Er lag im Bett und dann ist der Doktor gekommen.“ Es klang, als spreche der Junge mit dem Weihnachtsmann, ein Sprüchlein, lange eingeübt.
„Du weißt, dass man nicht lügen darf?“
„Ja.“
„Wenn du lügst, bekommt dein Papa kein Geld und dann muss er den Hof verkaufen.“
Franz starrte ihn an, blieb stumm. Paul packte seine Hand und zerrte ihn mit sich, es waren nur noch wenige Meter bis zur Scheune, der kleine Racker wehrte sich, aber es galt, die Sache durchzuziehen.
„Schau nach oben, Franz.“
„Nein!“
„Du schaust jetzt nach oben. Dort hat er gehangen, der Ätti, dort am Balken!“, rief Paul. Tränen schossen in die Augen des Jungen, er begann zu wimmern. Paul zog den Strick aus seiner Aktentasche. „Da! Mit diesem Strick, stimmt‘s?“ Paul ging in die Knie, legte seine Hände auf die Schultern des Jungen und schaute ihm in die Augen. „Da habt ihr den Strick durchgeschnitten, schau, und dann habt ihr den Ätti ins Haus getragen.“ Franz schluchzte, gleich würde er zusammenbrechen. Dann blickte der Junge auf einmal an ihm vorbei.
„Sauhund!“, schrie eine Stimme hinter Pauls Rücken. „Du verfluchter Sauhund!“ Er ließ den Jungen los, richtete sich auf und sah, wie eine Frau auf ihn zu rannte.
„Frau Zurgilgen“, sagte er. „Darf ich Ihnen bitte erklären …“
Sie schlug ihm mit der flachen Hand ins Gesicht.
„So, und jetzt hau ab!“
„Ich mache nur, was ich machen muss. Das ist mein Beruf. Es geht um die Wahrheit.“ Pauls Wange brannte.
„Wahrheit?“, lachte sie.
„Ja, genau.“
„Bursche, hier oben plagt man keine Kinder. Das ist die Wahrheit. Und jetzt …“ Sie blickte zum Tor. Paul legte das Seil zurück in die Aktentasche und gehorchte.

Zwei Tage, so hatte er es mit Gander vereinbart. Paul beschloss, noch eine Nacht in Kratten zu verbringen. Er hätte seinen Chef informieren müssen, aber ließ es bleiben. Nun saß er in der Krone und aß die gebrannte Creme, die es zum Nachtisch gab. Seine Hand zitterte, als er den Löffel zum Mund führte, es hatte ihn definitiv erwischt, Fieber, seine Stirn fühlte sich heiß an. Paul Waser sitzt mit Pullover und Jacke in der Krone zu Kratten, dachte er. Hat sich festgebissen. Gibt nicht auf. Jeder, der sich aufknüpft oder sich die Kugel gibt, hinterlässt einen Abschiedsbrief, das weiß man. Jeder. Auch der Zurgilgen.
„Kein Frühstück morgen“, sagte er zur Serviertochter, die ihn ansah, als krepierte er.
Er ging nach oben und legte sich ins Bett, ohne die Kleider auszuziehen, nur die Schuhe hatte er vor die Tür gestellt. Sie stanken, mehr als alles andere.

Paul saß auf der Anhöhe, die er am Tag zuvor bestiegen hatte. Den Jungen hatte er um halb acht weggehen sehen. Kurz darauf war Karl Zurgilgen losgefahren, mit dem Traktor. Und jetzt hatte, hundert Meter unter ihm, Fränzi Zurgilgen den Hof in Richtung Dorf verlassen. Es war so weit. Paul wartete noch ein wenig, dann machte er sich auf den Weg. Der Sommer war zurückgekehrt, Nebel und Wolken hatten sich verzogen, am Himmel kreisten Alpendohlen.

Als erstes durchsuchte er den Wohnzimmerschrank. Neben den Schnapsflaschen lagen Briefe und Papiere, das war ihm bei seinem Besuch aufgefallen. Er fand die Dokumente der Alpha-Versicherung und musste lachen. Das wäre was gewesen, wenn sie den Abschiedsbrief des Alten dazu gelegt hätten. Danach sah er sich in der Küche um. Nichts. Das Schlafzimmer. Paul öffnete die Nachttischschublade links. Eine Schachtel Stumpen. Stoffnastücher. Das war alles. Er ging um das Bett, dorthin, wo Fränzi schlafen musste und zog die Schublade heraus. Und da lag ein Zettel, einmal gefaltet. Er war zerknüllt und wieder geglättet worden. Paul schloss die Augen und atmete ein. Er hatte es gewusst! Sorgfältig faltete er den Zettel auseinander und las: Lieber Karl, liebe Fränzi. Macht euch keine Vorwürfe …
Ein Schlag auf seinen Hinterkopf. Paul wollte sich in die Haare fassen, seine Arme gehorchten ihm nicht, er wurde ohnmächtig.

Als erstes hörte er die Insekten. Ihm wurde bewusst, dass er auf dem Bauch lag, das Gesicht im Gras. Er rollte sich zur Seite, zog die Beine an den Körper und versuchte, ruhig zu atmen. Nach einer Weile wurde es besser, Paul fasste sich an den Kopf, Blut blieb an seinen Fingern kleben. Es fühlte sich an, als hätte man seinen Schädel mit Säure gefüllt. Lass den Mann liegen. Lass ihn einfach liegen. Hatte er das geträumt? Wo war er? Er öffnete die Augen und sah den blauen Himmel, die Alpendohlen und das Tor zum Hof. Sie hatten ihn aus dem Haus geschleift und drei Meter neben ihrem Grundstück abgelegt. Oder zwei, wer wusste schon, wie weit weg das Tor war? Er versuchte aufzustehen und übergab sich dabei auf seine Hände.

Er ging zurück zum Ort, immer wieder musste er sich hinsetzen, überprüfen, ob er noch blutete, durchatmen, weil ihm schwindlig war. Er brauchte Verstärkung, dachte er, Gander musste herkommen und die Polizei. Doch dann wurde ihm bewusst, was das bedeuten würde. Weshalb er das Kind derart drangsaliert habe, würden sie ihn fragen. Wie er in das Wohnhaus der Zurgilgens hineingelangt sei? Ob man sich bei der Alpha-Versicherung nicht ans Gesetz halte? Paul wurde übel. Er drehte sich um, betrachtete die Felsen, die sich hinter dem Hof auftürmten, und gab sich geschlagen.

„Gander.“
„Paul Waser hier.“
„Waser! Warum sind Sie nicht im Büro?“
„Ich bin in Kratten. In der Krone.“
„Und?“
„Nichts.“
„Was, nichts?“
„Nichts gefunden. Natürlicher Tod.“
„Haben Sie mit den Zurgilgens gesprochen?“
„Ja.“
„Nichts Verdächtiges?“
„Nein.“
„Rein gar nichts?“
„Nein.“
„Und dafür haben Sie drei Tage gebraucht, Waser?“
„Hier oben ist alles ein wenig anders, Herr Gander.“ Paul hängte ein, ohne sich zu verabschieden. Er ging zur Theke und bezahlte die Rechnung.
„Geht es ihnen gut?“, fragte die Serviertochter.
„Ja. Danke.“ Paul öffnete die Tür, frische Luft strömte herein, warme Sommerluft.

Die Zahnräder klinkten aus, ein Pfiff ertönte und der Zug setzte sich in Bewegung. Paul fragte sich, ob hier, in Grafenort, tatsächlich einmal Adlige gelebt hatten. Er hielt sich Nase und Mund zu, atmete aus, bis der Druck auf den Ohren verschwunden war. Dann sah er aus dem Fenster, blickte auf den gemähten Hang und schloss die Augen.

 

Hallo Peeperkorn,

ich habe die Copywrite-Aktion nur am Rande verfolgt, hätte gern selbst teilgenommen, aber mir fehlt die Zeit. Aber wenn einer der Top-Texte aus unserer legendären Dezember-Challenge kopiert wird und dann auch noch du der Copywriter bist, muss ich ja reinschauen.

Und das Ergebnis ist famos! Klar, dass nur ein Schweizer das Lokalkolorit so erhalten konnte. Und dein Krimi ist auch dann spannend, wenn man weiß, wie es ausgehen muss (denn ich habe einfach mal vorausgesetzt, dass du die Kontinuität zur Originalgeschichte nicht zerstören würdest).

Dein Protagonist Paul tut einem richtig leid, schleppt sich da krank durch Kratten, muss sich mit den störrischen Zurgilgens rumschlagen, kriegt eine über den Kopf und übergibt sich dann auch noch auf seine Hände (schönes Detail)! Fies allerdings, wie er den Jungen unter Druck setzt. Wären das denn überhaupt gerichtsfeste Beweise gewesen - so eine unfaire Befragung des Kindes oder auch das heimliche Eindringen ins Haus? Das ist doch glatter Einbruch, oder haben Versicherungsermittler in der Schweiz polizeiliche Befugnisse? Übrigens habe ich eine Weile gebraucht, bis ich seinen Beruf klar erkannt habe, zuerst hielt ich ihn für einen Polizisten; ich nehme mal an, das hast du mit Absicht gemacht.

Die Charaktere sind natürlich Peeperkorn-mäßig toll gezeichnet, einerseits treu zur Originalgeschichte, andererseits mit originellen Details. Die skurrilen Dörfler, für den Städter schwer zu durchschauen, das ist super dargestellt.

Du merkst, ich finde nichts, was ich so richtig kritisieren könnte. Na ja, eines vielleicht: die Sache mit dem anonymen Anruf. Ich hätte gerne erfahren, was es damit wohl auf sich hat, also wer da angerufen hat und warum. Die Geschichte gibt keinen Hinweis, dass die Zurgilgens irgendwelche Neider hätten, die Gäste in der Krone halten ja auch dicht. In dem Zusammenhang habe ich mich gefragt, woher der Anrufer wohl wusste, bei welcher Gesellschaft die Zurgilgens versichert sind und wo er genau anrufen muss. Er hätte sich ja auch einfach bei der Polizei melden können. Also entweder kennt der Anrufer die Familie sehr gut, oder er hat eine hohe Motivation und hat aufwendig recherchiert. Der Hintergrund dessen wäre m.E. von Interesse gewesen. So wirkt es ein bisschen wie ein reines plot device, damit irgendwie der Ermittler auf den Plan treten kann.

Nichtsdestotrotz: Super gemacht! :thumbsup:

Grüße vom Holg ...


PS: Auch die Anspielung auf deinen "Sauhund" fand ich schön - falls das denn Absicht war. Wo ist die Geschichte eigentlich geblieben? Ich habe sie im Forum nicht wiedergefunden.

 
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Hallo Peeperkorn,

da kann ja nichts schiefgehen, wenn zwei Schweizer zusammenwirken. Raffiniert, dass einer, der aufklären könnte und müsste, es nicht tut, um damit die Fortsetzung der Geschichte zu bestätigen, die schon geschrieben ist. Das hab ich erst beim zweiten Mal kapiert. Ich wollte mich schon beschweren, dass in der Schweiz Angriffe auf Vertreter der Obrigkeit nicht geahndet werden. Oder sind Versicherungsvertreter per se in der Schweiz so unbeliebt?
Zugegebenermaßen finde ich aber auch schockierend, wie Waser seine Ermittlungsarbeit ausführt. Oder ist das Standard?


Du erwartest hoffentlich nicht, dass ich jetzt nach "Flusen" (Friedrichard)suche. Was anderes findet man ja sowieso nicht.

Eine habe ich gefunden:
"Frau Zurgilgen ..., darf ich ihnen (Ihnen) bitte erklären ...";)

Ich würde die Fleischvögel nicht als zäh, sondern als trocken bezeichnen. Ich glaube, Rindsrouladen haben manchmal diese Tendenz.

Herzliche Grüße in die Schweiz
wieselmaus

 

Hey Holg

Und dein Krimi ist auch dann spannend, wenn man weiß, wie es ausgehen muss (denn ich habe einfach mal vorausgesetzt, dass du die Kontinuität zur Originalgeschichte nicht zerstören würdest).

Das freut mich ungemein! Dass die Story spannend wird, wenn man das Original nicht kennt, das habe ich mir schon erhofft, aber eben, wenn man weiss, dass die Fakten nicht verändert werden dürfen ... Toll, dass es dennoch geklappt hat.

Wären das denn überhaupt gerichtsfeste Beweise gewesen - so eine unfaire Befragung des Kindes oder auch das heimliche Eindringen ins Haus? Das ist doch glatter Einbruch, oder haben Versicherungsermittler in der Schweiz polizeiliche Befugnisse?

Das wäre einer der Gründe, weshalb Paul am Ende abbricht. Weil er merkt, dass er die Grenzen überschritten hat. Ich wollte das unausgesprochen lassen, um anderen Interpretationen Raum zu lassen.

Na ja, eines vielleicht: die Sache mit dem anonymen Anruf. Ich hätte gerne erfahren, was es damit wohl auf sich hat, also wer da angerufen hat und warum. Die Geschichte gibt keinen Hinweis, dass die Zurgilgens irgendwelche Neider hätten, die Gäste in der Krone halten ja auch dicht. In dem Zusammenhang habe ich mich gefragt, woher der Anrufer wohl wusste, bei welcher Gesellschaft die Zurgilgens versichert sind und wo er genau anrufen muss. Er hätte sich ja auch einfach bei der Polizei melden können. Also entweder kennt der Anrufer die Familie sehr gut, oder er hat eine hohe Motivation und hat aufwendig recherchiert. Der Hintergrund dessen wäre m.E. von Interesse gewesen. So wirkt es ein bisschen wie ein reines plot device, damit irgendwie der Ermittler auf den Plan treten kann.

Du erwischst mich - ja eigentlich auf gar keinem Fuss. Ich hatte an Huber gedacht, dem der alte Alfred ins Land gefahren ist. Und ich habe daran gedacht, den einzubauen, noch ein kleines Gespräch mit Paul. Aber dann dachte ich, dass das den Plot unnötig in die Länge zieht und prompt habe ich den Salat. Werde ich noch drüber nachdenken müssen.

PS: Auch die Anspielung auf deinen "Sauhund" fand ich schön - falls das denn Absicht war. Wo ist die Geschichte eigentlich geblieben? Ich habe sie im Forum nicht wiedergefunden.

Hehe. Ich dachte, wenn schon die Geschichte weg ist (die ist letzten Samstag in einem Schweizer Wochenmagazin erschienen, ich musste auch den Veröffentlichungsthread für eine Weile löschen lassen, komplizierte Geschichte), dann wenigstens diese kleine Reminiszenz. :)

Hab lieben Dank für deinen Ausflug ins CopyWrite.

Lieber Gruss
Peeperkorn

 

Hallo Peeperkorn,

zwei kleine Anmerkungen hatte ich gestern Abend vergessen, aber der Rechner war schon runtergefahren ...

pro: Die Fleischvögel und die gebrannte Creme hast du sehr elegant eingebaut!

contra: Den Titel "In Kratten" finde ich leider äußerst nichtssagend. Ich habe zwar selbst noch keine bessere Idee, aber da geht bestimmt mehr. "Fleischvögel und gebrannte Creme" war ja schon im Original eine ziemlich lakonische Überschrift, aber für einen Krimi erwarte ich etwas Fetzigeres. Oder zumindest etwas Verrätseltes, Hintersinniges. (Oder hat "Kratten" in der Schweiz noch eine übertragene Bedeutung? Der Duden sagt "Korb", das hat für mich keinen Bezug zur Geschichte.)

Grüße vom Holg ...

 
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Lieber Peeperkorn,

Graue Schwaden hingen über den Matten, es hatte zu nieseln begonnen.
An dieser Stelle hätte es mich nicht gewundert, wenn der Ort, an den Paul fährt, Twann geheißen hätte.

Als alter Dürrenmatt-Fan hat mir das Atmosphärische deiner Geschichte am besten gefallen. Deine Beschreibung zieht mich voll in diese Bergwelt und lässt mich die Einsamkeit des Hofes spüren. Wirklich gut gemacht.

Mit dem eigentlich Fall habe ich als Krimi-Leser ein paar kleine Probleme.

Im Hintergrund, gleich neben dem Kopf des Alten, sah man ein Bild an der Wand hängen, ein Frauenporträt. Paul musste lächeln.
Diesen Satz habe ich (erst mal) nicht verstanden. Er steht hier völlig ohne Zusammenhang, soll vermutlich den Leser in eine Fragehaltung bringen. Aber so empfinde ich ihn als zu gewollt, zu sehr als Fingerzeig für den Leser gedacht.

Später noch eine Stelle:

Er wusste nicht, was er noch fragen sollte, und starrte auf das gelbstichige Foto. Alfred und Greta Garbo. Dann sah er, dass neben ihrem Bild ein Seil am Haken hing, genau an der Stelle, die jetzt leer war.
Also, was nun: Hängt das Seil dort oder hängt es nicht? So verwirrt mich diese Stelle. Hat der Paul ein Foto in der Hand und vergleicht es mit der Stelle an der Wand: Er starrt auf das Foto, sieht, dass neben dem Bild ein Seil hängt, sieht aber auch, dass die Stelle jetzt leer ist. Dazu müsste er doch sicher aufschauen und auf die Wand blicken. Oder verstehe ich da etwas nicht?

Dann tat ihm auf einmal der Hinterkopf weh. Er wollte sich in die Haare fassen, doch seine Arme gehorchten ihm nicht.
Auch über diese Stelle bin ich gestolpert. ‚wehtun’ ist für mich so ein etwas ausgedehntes Gefühl. Hier scheint es sich allerdings um einen plötzlichen Schlag auf den Hinterkopf zu handeln. Und da empfinde ich den Begriff ‚wehtun’ als Irreführung des Lesers.

Aber das sind nur Kleinigkeiten, die vielleicht auch nur mich etwas stören. Ich finde, dir ist hier eine atmosphärisch dichte Geschichte gelungen, keine große Krimi-Handlung, aber das war sicherlich auch nicht deine Absicht.
Ich habe mich sehr gut unterhalten gefühlt. Leider sind mir die Einzelheiten der Vorlage nicht mehr so präsent. Aber ich wollte deine Geschichte auch für sich und nicht als Copywrite bewerten (mach ich vielleicht mal später).

Liebe Grüße
barnhelm

 
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Hallo Peeperkorn

Gefällt mir gut, wie du aus der Vorgeschichte einen Krimi in bester Dürrenmattmanier gezaubert hast. Und das tollste, auch wenn die Geschichte an einem anderen Ort spielt, du hast mein Personal wunderbar eingebaut, auch die anderen Artefakte (das Seil, die Fleischvögel, der Hürlimann, herrlich), ich hatte zeitweise tatsächlich Gänsehaut.
Klar, der anonyme Anrufer bleibt im Dunkeln, aber hei, das ist hier oben halt so, da bleibt noch mehr hinter dem Bierschaum verborgen, das hat mich jetzt weniger gestört. Neider gibt es viele.

Nur beim Schluss, und das wurde bereits erwähnt, könntest du einen klitzekleinen Hinweis anbringen, was Pauls Sinneswandel hervorgerunfen hat.
Nach dieser Stelle: "... wer wusste schon, wie weit weg das Tor war? Er versuchte aufzustehen und übergab sich dabei auf seine Hände." (- sehr schönes Detail, in der Tat -) kommt ja die Erkenntnis, zuweit gegangen zu sein. Das fehlt mir etwas in der Erzählung.

Noch zum Titel: "In Kratten" fand ich eigentlich treffend, weil ich darin gleich die Ortschaft las. (Gibt ja im Berner Oberland ein "Krattigen". Und es erinnert mich irgendwie auch an den Spruch "im hingerschte Chrache" (in hintersten Graben/Ausbruch/Tal).

Andere Trouvailles:

Die Milchpreise lagen im Keller
Sehr aktuell. Gefällt mir. ;)

War es Selbstmord gewesen, mussten sie nicht zahlen
Die Fakten zu offensichtlich erklärt. Vielleicht "Es ging schliesslich um viel Geld." oder so.

willkürlich verstreut, ohne System
'ohne System' kann weg. Willkür ist immer ohne System.

Der Mann zögerte eine Weile, schließlich griff er nach Pauls Hand, drückte sie kurz und kräftig. „Karl.“
Karl ist ja eher misstrauisch, da kommt mir das zutrauliche "Karl." falsch vor.
Besser "Karl Zurgilgen". Dann hätte Paul auch die Gewissheit, dass es sich wirklich um Karl Zurgilgen handelt und nicht irgend einen Knecht.

„Nicht in der Scheune.“
„Wieso sollte er in der Scheune schlafen?“
„Ja, nicht schlafen. Aber den Herzinfarkt, den hätte er doch in der Werkstatt haben können.“
Schön subtil gezeichnet. Denn es besteht ja auch die Möglichkeit, dass der Herzinfarkt tatsächlich die Todesursache war, nur die Örtlichkeit wurde etwas geschönt.

Übertreiben konnte er gut, der Kerl.
Da stolperte ich, wegen Kerl/Karl.

„Zum Nachtessen gibt es Fleischvögel. Ist’s recht so?“
Geil eingebaut!

Der Fleischvogel war trocken und faserig, Paul spülte ihn mit einem großen Bier hinunter.
„Hat’s geschmeckt?“, fragte die Serviertochter.
„Wunderbar!“
Hach, wir Schweizer, immer höflich und ja so gut erzogen.

Die drei schüttelten den Kopf, synchron, als hätten sie es geübt.
Ich weiss, deine Geschichte, aber: "als hätten sie es einstudiert."

am Morgen, als er sie hatten aufschlagen wollen.
hatte

„Aha.“
„Hast den Ätti gerngehabt, nicht?“
„Mhm.“
„Bist traurig?“
„Ja.“
„Willst [du] mir von ihm erzählen?“
Satzmelodie.

, die Äuglein zu,
Das störte mich irgendwie, hört sich nicht nach Franz an, aber Geschmacksfrage :D

„Sauhund!“, schrie eine Stimme hinter Pauls Rücken.
Ei, da ist er ja wieder, schöner Link.

„Aua“, sagte er und wurde ohnmächtig.
Wirkt etwas comicartig, würde ich ... also einfach Bumm und weg.

So, aber jetzt genug 'Chueplätter' zusammengesucht, denn ich mag dein "Prequel" zu meiner kleinen Hofgeschichte wirklich gerne, das hast du gut gemacht!

Danke dir dafür und liebe Grüsse,
dot

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Holg

Schön, dass du dir die Mühe gemacht hast, das noch nachzutragen. Ja, der Titel. Ich war den Text durchgegangen und mir hatte sich „Bluthund“ aufgedrängt. Dann hatte ich gegoogelt und gemerkt, dass die wegen ihrer Reinrassigkeit so heissen und nicht wegen ihrer Fähigkeiten. Und ich hatte befürchtet, dass nach dem Sauhund jetzt noch der Bluthund etwas ungewollt komisch wirken könnte. Vielleicht hatte ich zu viel darüber nachgedacht. Mal schauen, ob’s noch andere Meinungen dazu gibt. Die Titelgebung finde ich immer extrem mühsam, ich verstehe, weshalb „Ohne Titel“ ein so häufiger Titel von Bildern ist.
Danke dir sehr!

Hallo wieselmaus

Merci für deinen Kommentar. Schön, dass es diesmal wieder geklappt hat.
Ja, ich wollte den Waser als schockierend in seinem Verhalten zeichnen, das Ganze als eine Art Anti-Krimi aufziehen, wo man am Ende eher Sympathien für die Täter hat und nicht für den Ermittler.
Und ja, der Text liefert gewissermassen die Bedingung der Möglichkeit von dotslashs Story. ;)
Das höfliche „Ihnen“ habe ich geändert. Ich hatte das letzte Mal als Kind einen Fleischvogel im Mund, hätte mich besser informieren sollen, besonders da ich kürzlich erfahren habe, wie wichtig Recherche ist. Im Ernst, merci für den Hinweis, habe ich ebenfalls geändert.

Liebe barnhelm

Mit dem eigentlich Fall habe ich als Krimi-Leser ein paar kleine Probleme.

Da habe ich leer geschluckt, aber erwies sich als bewältigbar.

Diesen Satz habe ich (erst mal) nicht verstanden. Er steht hier völlig ohne Zusammenhang, soll vermutlich den Leser in eine Fragehaltung bringen. Aber so empfinde ich ihn als zu gewollt, zu sehr als Fingerzeig für den Leser gedacht.

Sehr aufmerksam gelesen! Ich hatte vorher noch „das Bild der Greta Garbo“ vor diesem Satz stehen, dachte aber, dass man auf dem Foto nicht erkennen kann, wer das ist, und hab’s geändert. Dann wollte ich den Satz „Paul lachte“, damit schon hier klar wird, dass er etwas überheblich an die Sache rangeht, die Welt der Zurgilgens nicht ernst nimmt. Aber ohne Greta Garbo macht das Lachen weniger Sinn (und hätte auch sonst nicht viel Sinn gemacht, du hast das schon gut auf den Punkt gebracht.) Ist gestrichen.

Also, was nun: Hängt das Seil dort oder hängt es nicht? So verwirrt mich diese Stelle. Hat der Paul ein Foto in der Hand und vergleicht es mit der Stelle an der Wand: Er starrt auf das Foto, sieht, dass neben dem Bild ein Seil hängt, sieht aber auch, dass die Stelle jetzt leer ist. Dazu müsste er doch sicher aufschauen und auf die Wand blicken. Oder verstehe ich da etwas nicht?

Ich sehe deinen Punkt. Aber das Fettgedruckte stimmt so nicht: Er sieht das Seil (auf dem Foto) an der Stelle, von der er weiss, dass sie (jetzt) leer ist.

Auch über diese Stelle bin ich gestolpert. ‚wehtun’ ist für mich so ein etwas ausgedehntes Gefühl. Hier scheint es sich allerdings um einen plötzlichen Schlag auf den Hinterkopf zu handeln. Und da empfinde ich den Begriff ‚wehtun’ als Irreführung des Lesers.

Gekauft.

Aber das sind nur Kleinigkeiten, die vielleicht auch nur mich etwas stören. Ich finde, dir ist hier eine atmosphärisch dichte Geschichte gelungen, keine große Krimi-Handlung, aber das war sicherlich auch nicht deine Absicht.

Cool, dieses Urteil aus deiner Feder freut mich sehr. Ja, ich habe lange überlegt, ob ich das überhaupt als Krimi tagen soll, war nicht mein Fokus. Wie gesagt, gäbe es Anti-Krimi als Kategorie, hätte ich diese gewählt.

Hab vielen Dank für diesen wie immer hilfreichen Kommentar!

Lieber dotslash

Du bist mir stets ein wichtiger Kritiker, dieses Mal der wichtigste, und ich bin sehr erleichtert darüber, wie die Sache auf dich gewirkt hat. Dass der Name Dürrenmatt nun zweimal gefallen ist, freut mich.

Und das tollste, auch wenn die Geschichte an einem anderen Ort spielt, du hast mein Personal wunderbar eingebaut, auch die anderen Artefakte (das Seil, die Fleischvögel, der Hürlimann, herrlich), ich hatte zeitweise tatsächlich Gänsehaut.

Ein schönes CopyWrite-Kompliment.

Nur beim Schluss, und das wurde bereits erwähnt, könntest du einen klitzekleinen Hinweis anbringen, was Pauls Sinneswandel hervorgerufen hat.
Nach dieser Stelle: "... wer wusste schon, wie weit weg das Tor war? Er versuchte aufzustehen und übergab sich dabei auf seine Hände." (- sehr schönes Detail, in der Tat -) kommt ja die Erkenntnis, zuweit gegangen zu sein. Das fehlt mir etwas in der Erzählung.

Da bin ich noch nicht ganz sicher, kann sein, dass ich das nachtragen werde. Zur Zeit beharre ich noch darauf, dass sich das erschliessen lässt und dass durch einen expliziten Hinweis andere Lesarten (schlichtes Scheitern aus Erschöpfung / Einsicht in die harten Lebensumstände der Zurgilgens) verhindert werden.

Die Fakten zu offensichtlich erklärt. Vielleicht "Es ging schliesslich um viel Geld." oder so.

Ha! Das war der allerletzte Satz, den ich noch in den Text geklebt habe (glaub sogar nach dem Einstellen). Weil ich Angst hatte, dass man nicht versteht, worum’s geht. Wieder mal die alte Geschichte.

„Ohne System“ ist gekillt, Karl stellt sich als Karl Zurgilgen vor, statt „Kerl“ nun „der Zurgilgen“. "Einstudiert" ist viel besser als "geübt". „Du“ gestrichen, „Äuglein“ gekillt, Bumm und weg übernommen.

So, aber jetzt genug 'Chueplätter' zusammengesucht, denn ich mag dein "Prequel" zu meiner kleinen Hofgeschichte wirklich gerne, das hast du gut gemacht!

Da fällt mir ein Stein vom Herzen. Wenn man eine so starke Vorlage hat, liegt die Latte hoch, der Sache gerecht zu werden. Ganz herzlichen Dank für deine wohlwollenden Worte.

Lieber Gruss an alle
Peeperkorn

 

Hej Peeperkorn,

wäre das der "Maskenball" und nicht das "Copywrite" , ich hätte dich niemals erkannt, nachdem ich seinerzeit deinen "Sauhund" gelesen habe.
So unterschiedlich klingen diese beiden Geschichten.
Ich bin sehr angetan von dieser hier. Diese Atmosphäre, diese kühlen Sommertage in der bizarren Berglandschaft, der erschöpfte Paul Waser in unangenehmer Mission, distanzierten Bauern im Kontrast zum Städter, der sich sehr zurücknimmt (naja).
Zeitweise war ich wirklich an Markus Werner erinnert, weil die Stimmung so klar ist und so gut gezeichnet.

Aber, was mich umtreibt: kann man tatsächlich nicht bei der Obduktion feststellen, ob Strangulierungsspuren vorhanden sind /waren?

Und, schade, dass Paul etwas auf den Hinterkopf benötigt, um zu verstehen, dass er auf Granit stößt.

Das Original benötigte ich für das Glossar, weil mir bei der Speise nicht klar war, dass es sich nicht um Gefieder handelt. Ansonsten gefällt mir deine Version ganz ausgezeichnet, weil ich nicht das Gefühl hatte, ich muss ganz dicht an deine Protagonisten, oder Sympathie empfinden. Ich habe beobachtet. Mit Abstand. Es hat nicht gestört.

Ich habe viel gelernt, vor allem, wie man sich einer Copywrite Geschichte nähern kann.

Freundlicher Gruß, Kanji

 
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Hallo Kanji

Dein Kommentar freut mich, ich habe mich gefragt, ob und wie das funktionieren kann, wenn man den Prot nicht so ganz sympathisch findet und weil ich ja zudem nicht viel von seinem Innenleben berichte. Danke für den Einblick in deine diesbezügliche Leseerfahrung.

Aber, was mich umtreibt: kann man tatsächlich nicht bei der Obduktion feststellen, ob Strangulierungsspuren vorhanden sind /waren?

Das musst du dotslash fragen, der hat mir die Sache eingebrockt. ;) Deshalb habe ich diese kurze Passage reingetan, wo der Gander meint, wenn der Herr Doktor schreibe, es sei Herzinfarkt, dann sei es Herzinfarkt - dotslashs Prämisse lautet ja, dass der Doktor eingeweiht ist. Ich habe es (implizit) so konstruiert, dass der alte Alfred schon unter der Erde lag (oder besser: eingeäschert war), als der anonyme Anruf kam.

Und, schade, dass Paul etwas auf den Hinterkopf benötigt, um zu verstehen, dass er auf Granit stößt.

Ja, schade, aber ich hoffe, gut für die Geschichte. Meine erste Idee war, Paul den Zettel lesen und ihn dann vor lauter Rührung wieder zurücklegen zu lassen. Aber das war mir in der Kürze irgendwie zu kitschig. Ich denke schon, dass sich eine Wende vom Saulus zum Paulus zeigen liesse, aber das bräuchte viel mehr Text, vielleicht 25 Seiten oder mehr.

Deine Bemerkung zum Stil, der vom Sauhund abweiche, finde ich interessant, da habe ich nichts mit Absicht getan, ich hätte sogar gedacht, dass er sehr ähnlich sei. Aber ich bin da sicher die falsche Person, um das zu beurteilen, viel zu nahe dran.

Herzlichen Dank für die Lektüre und deine Anmerkungen

Lieber Gruss
Peeperkorn

 

„Lag am Morgen im Bett?“
„Tot. Eingeschlafen und nicht wieder aufgewacht.“
„Im Bett?“
„Ja.“
„Nicht in der Scheune.“
„Wieso sollte er in der Scheune schlafen?“

Was das Dante Friedchen zuerst tat, darf niemand überraschen, den Rechtschreibduden aufschlagen und nachschauen, was denn „Kratten/kratten“ überhaupt bedeute und – verlöre ich darüber ein Wort, wenn's erfolglos geblieben wäre? - weiß nun, dass es landschaftlich („süddeutsch und schweizerisch“) für einen kleineren, engen und tiefen Korb steht. Aber dabei blieb es nicht, die Etymologie des Kratten bringt's in die Nähe, an die mich der Titel klanglich hinführte: ist das mhd. kratte schon klanglich abgeschliffen, so führt das ahd. die heutige nhd. Krätze noch melodiös als cratto. Ja, und eng geht's zu in der Weite der ländlichen Welt mit seiner sozialen Kontrolle, an die die viel engere Welt des Hochhauses nicht näherungsweise heranreicht (sehn wir mal vom Tratsch im Treppenhaus, der ja auf Gerüchtebasis beruht, absehn, dass es nicht nur manchem Paul jucken wird. Aber ist Paul nun eine gute Seele oder eher eingeschüchtert?

Und dann mit der Einleitung,

lieber Peeperkorn,

klingelt's bei mir weniger wie bei dot (den ich auf jeden Fall auch besuchen werde), sondern wie die Wiederkunft des Jeremias Gotthelf – mit Eisenbahn. Und genau da hakt's das einzige Mal richtig:

Paul blickte auf seine Uhr, dann hörte er Metall quietschten, ein Geräusch, das ihm Kopfschmerzen verursachte, die Zahnstage rastete ein und der Zug fuhr weiter, nach oben, in den Nebel.
Entweder, „er hörte Metall quietschen“, oder – was eher unwahrscheinlich ist, da er ja ums Metall weiß, „er hörte, wie Metall quietschte“, was aber noch nicht das Ende der Fahnenstange bedeudet, weil mir nicht klar ist, was eine „Zahnstage“ wäre, wenn nicht eine „...stange“.

Hier wird mal auf die sicherlich verwendete Höflichkeitsform verzichtet

„Könnte ich vielleicht noch mit hrer Frau sprechen?“
und nun mag sich alles selbst erklären
Paul stand vor der Krone und versuchte[,] seine Gedanken zu ordnen.

Nee, doch nich'!
Eine Stunde später hatte er sie soweit.
So weit, ist hier eben nicht die Konjunktion, „soweit“ ich weiß.

Pauls Augen schmerzten, sie waren verklebt gewesen, am Morgen, als er sie hatten aufschlagen wollen.
Lass das „gewesen“ weg, geht auch ohne Anklang ans Verwesen …

Und einmal German gerund

„Kein Frühstück morgen“, sagte er zur Serviertochter, die ihn ansah, als sei er am krepieren.
Ginge nicht auch bloßer Konjunktiv, etwa der Art „als krepierte er“ oder, für den Umgangssprachler „als würde er krepieren“?

Im Grunde könnt ich jetzt alte Kommentare von mir aufwärmen, was aber recht langweilig würde. Darum, obwohl ich ja keine Krimis mag, weil sie allemal von falschen Prämissen ausgehen, dat is jut jemacht. Aber hier ist ja eh alles anders und die Nähe zum Pfarrer aus Lützelflüh (den Ortsnamen konnt ich mir jetzt nicht verkneifen) kann nicht ausgeschlossen werden, wobei ja sein größter Verehrer Euer Nationaldichter ist.

Gruß

Friedel

 

Lieber Friedrichard

Ein Satz, zwei Fehler, lass alle Hoffnung fahren, habe ich mir gedacht, aber danach hat der Dante nicht mehr so viele Flusen gefunden, zum Glück. Habe das alles ausgebessert.

Schön, dass du im etymologischen Exkurs auch klangliche Aspekte angesprochen hast, war das doch der Hauptgrund für die Namenswahl. Weh tun soll es im Hals, wenn man ihn ausspricht (im Schweizerdeutsch: Chratte).


Darum, obwohl ich ja keine Krimis mag,

Unter der Prämisse ...

dat is jut jemacht

... zählt und freut das doppelt. Und Verwandschaften werde ich nicht leugnen, weder mit dem einen noch mit dem anderen. Merci, dass du reingeschaut hast.

Lieber Gruss
Peeperkorn

 
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Den Tag „Krimi“ hab ich einfach ignoriert, Peeperkorn, dieses Genre reizt mich nämlich überhaupt nicht. Aber einen Krimi, wie immer man einen solchen definiert, habe ich in deiner Geschichte dann sowieso nicht gelesen, sondern … nun ja, im Grunde die sehr geschickte Dekonstruktion einer Heimatgeschichte.
dots Geschichte nämlich nannte ich ja sinngemäß „Heimatdichtung von der guten Sorte sozusagen“, und meinte damit, dass dot sich zwar durchaus der einschlägigen Klischees bedient, es aber meisterhaft versteht, diese Klischees - die älplerische Kulisse, die sprachlichen Eigentümlichkeiten usw. - nicht romantisch zu verklären, nicht als quasi folkloristische Gimmicks zu missbrauchen, sondern sie vollkommen authentisch und dementsprechend lesenswert darzustellen.
Und du gehst hier sozusagen noch einen Schritt weiter, indem du uns auf dieses hermetische Soziotop eines Gebirgsdorfes den Blick eines Außenstehenden, eines Fremden gewährst, uns diese raue Welt durch die Augen - ich sag’s jetzt bewusst abwertend - eines degenerierten, verweichlichten Städters sehen lässt, der nicht nur in einer moralisch ohnehin fragwürdigen Branche seine Brötchen verdient, sondern obendrein sich auch fragwürdiger Methoden bedient, um seine Brötchengeber zufriedenzustellen.
In Wahrheit ein Unsympathler, dieser Paul, dem man seine Kränklichkeit, seine nassen, untauglichen Schuhe, das misslungene Abendessen, die verdiente Dresche, die er schließlich bekommt, beinahe vergönnt. Aber eben nur beinahe, weil irgendwie verstehst du es, mir selbst diesen schnöseligen Versicherungsheini nahezubringen, ja, mich beinahe mitleiden zu lassen mit ihm, wenn er da in einer ihm offenbar völlig fremden Welt mit seinen lächerlichen Strategien einfach scheitern muss.
Und dass er dann letztendlich drei(!) Tage in dem Dorf verbringt, obwohl seine eigentlichen, den Fall betreffenden Aktivitäten ja wohl kaum mehr als ein paar Stunden gedauert haben können, macht ihn mir dann schon fast sympathisch. Ich kann das nämlich so interpretieren, dass dieses Draußensein aus seiner gewohnten Lebenswelt sowas wie ein karthartisches Erlebnis für Paul ist, möglicherweise ein Umdenken bei ihm bewirkt und ein Hinterfragen seines bisherigen Lebensentwurfs.

„Geht es ihnen gut?“, fragte die Serviertochter.
„Ja. Danke.“ Paul öffnete die Tür, frische Luft strömte herein, warme Sommerluft.
Na bitte.
Tja, Peeperkorn, was soll ich sagen? Tolle Atmosphäre, tolle Figuren, tolle Sprache sowieso, einfach eine tolle Geschichte.
Überhaupt hast du den Copywrite-Gedanken perfekt umgesetzt, finde ich. Ohne am grundsätzlichen Plot oder an der Figurenkonstellation großartig was zu ändern, hast du nur durch das Einfügen einer neuen Figur einen entsprechend neuen Blickwinkel geschaffen und dadurch ein vollkommen eigenständige, originäre Geschichte erzählt. Wirklich toll.

offshore


Nur eine Kleinigkeit noch zum Layout: Ich weiß nicht, ob eine Kurzgeschichte diese Durchnummerierung der einzelnen "Kapitel" (die ja eigentlich eher einzelne Szenen sind) braucht, noch dazu, wo die eh schon durch die Leerzeilen sehr augenscheinlich voneinander getrennt sind. Ich finde diese Nummerierung ehrlich gesagt ein bisschen albern.

 

Hey offshore

Den Tag „Krimi“ hab ich einfach ignoriert

Und ich habe ihn entfernt, nachdem ich ja selbst geschrieben hatte, es sei eigentlich kein Krimi und weil ich denke, dass der Tag wenig hilfreich ist, sondern eher Probleme verursacht.

Ich finde diese Nummerierung ehrlich gesagt ein bisschen albern.

Habe ich entfernt. Es wäre schön, wenn man Leerzeilen fett markieren könnte, ich möchte da manchmal schon noch differenzieren.

Und du gehst hier sozusagen noch einen Schritt weiter, indem du uns auf dieses hermetische Soziotop eines Gebirgsdorfes den Blick eines Außenstehenden, eines Fremden gewährst, uns diese raue Welt durch die Augen - ich sag’s jetzt bewusst abwertend - eines degenerierten, verweichlichten Städters sehen lässt, der nicht nur in einer moralisch ohnehin fragwürdigen Branche seine Brötchen verdient, sondern obendrein sich auch fragwürdiger Methoden bedient, um seine Brötchengeber zufriedenzustellen.

Das liest sich wie das Konzept, das ich im Kopf hatte. Sehr cool.

Aber eben nur beinahe, weil irgendwie verstehst du es, mir selbst diesen schnöseligen Versicherungsheini nahezubringen, ja, mich beinahe mitleiden zu lassen mit ihm, wenn er da in einer ihm offenbar völlig fremden Welt mit seinen lächerlichen Strategien einfach scheitern muss.

Ich kann mich dumpf daran erinnern, dass du dich mal kritisch zur Phrase geäussert hast, Figuren könnten ein Eigenleben entwickeln. Dem stimme ich zu. Dennoch war und ist mir bei diesem Text nicht so ganz klar, weshalb auch ich diesen Paul doch irgendwie mag. Vielleicht einfach, weil er noch jung ist, und es nicht besser weiss.

Und dass er dann letztendlich drei(!) Tage in dem Dorf verbringt, obwohl seine eigentlichen, den Fall betreffenden Aktivitäten ja wohl kaum mehr als ein paar Stunden gedauert haben können, macht ihn mir dann schon fast sympathisch.

Oder deswegen, ja.

Ich kann das nämlich so interpretieren, dass dieses Draußensein aus seiner gewohnten Lebenswelt sowas wie ein karthartisches Erlebnis für Paul ist, möglicherweise ein Umdenken bei ihm bewirkt und ein Hinterfragen seines bisherigen Lebensentwurfs.

Diese Lesart ist der Grund, weshalb ich in Bezug auf Pauls Motive, die ihn zur Abreise bewegen, nicht eindeutiger werden wollte. Freut mich sehr.

Das Lob nehm ich mit. Danke, dass du reingeschaut hast.

Lieber Gruss
Peeperkorn

 
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Hallo Peeperkorn,

eigentlich habe ich gar keine Zeit, um hier grade herumzuflanieren. Aber beim Nach-dem-Rechten-schauen ist mir der Titel ins Auge gefallen. Holg findet den nichtssagend, mich hat er angezogen. Erst wahrscheinlich, weil ich sehr schöne Erinnerungen an Pratteln habe, was ja sehr ähnlich klingt, und dann finde ich auch, und das noch als wichtigeres Detail, dass das Wort Kratten so harsch klingt wie die Einwohner in dem Ort sind, besonders, wenn es dann noch mit dem Schweizer "Ch" ausgesprochen wird.

Mich hat der Anfang gleich reingezogen, da habe ich mir eben die Geschichte gegönnt. Das Original habe ich vor längerer Zeit gelesen, hatte aber keine Erinnerung mehr, so bekommst du von mir eine Rückmeldung ohne das Original im Hinterkopf (was ich auch ganz gut finde als Alternative zu den Lesern, die vergleichen, denn der Text muss ja für sich selbst auch stehen könnnen).

Den Anfang fand ich als unbedarften Leser am stärksten. Das las sich frisch, da gab es noch keine stereotypen Situationen, die man sonst so liest. Überhaupt finde ich, dass Paul mit Fortschritt der Geschichte als Protagonist abflacht. Nicht in deiner Erzählweise, aber inhaltlich wird es für mich immer unglaubwürdiger, so z.B. die Situation, dass alle Zurgilgens den Hof verlassen und er dann in der Nachttischschublade den Zettel findet. Das war mir dann zu einfach, nein, mich hat sogar enttäuscht und ich fand das inhaltlich dem Erzählniveau nicht mehr angepasst.
Dann habe ich immer noch auf die Auflösung gewartet, wieso denn das Bild nicht mehr an der Wand hing. Dieser Erzählstrang verlief sich, dafür kam ein Strick ins Spiel, der für mich nicht richtig eingeführt worden ist.

Hier mal noch ein paar Einzelheiten:

Der kräftige Ledergeruch gab ihm das Gefühl, seiner Aufgabe gewachsen zu sein.
Klasse.

Zum ersten Mal war in der Tasche etwas drin, zum ersten Mal war Paul alleine unterwegs, um einen Fall zu klären.
Das liest sich komisch, als wäre die Tasche neu, aber wenn sie neu wäre, würde ich das anders formulieren, weil ich denke, du willst damit eigentlich etwas anderes sagen - oder?

Kratten war Endstation. Paul wusste, dass das Dorf eingekesselt zwischen Bergen lag, sehen konnte er sie nicht. Graue Schwaden hingen über den Matten, es hatte zu nieseln begonnen.

Bei so einem Wetter geht kein Bauer auf die Wiese, um zu heuen, wie du es uns weismachen willst:

Draußen standen sie im Gras, Sensen in der Hand, hellblaue Hemden, die Frauen mit Kopftüchern und weiten Röcken. Ein Wunder, dass sie nicht runter auf die Gleise rutschten, so steil war der Hang, den sie mähten.

Und nochmal was anderes:
Paul wusste, dass das Dorf eingekesselt zwischen Bergen lag, sehen konnte er sie nicht. Graue Schwaden hingen über den Matten, es hatte zu nieseln begonnen. Das Dorf war nicht viel mehr als eine lose Ansammlung von Häusern, verbunden durch eine schmale Straße, auf der so viel Schlamm und Geröll lag, dass man nicht erkennen konnte, ob sie asphaltiert war.

Beim zweiten Mal Dorf würde ich Ort schreiben.


Wasserdichter Totenschein.
Würde ich löschen. Das weiß man schon zur Genüge mit:
Der Totenschein war angeheftet, unterschrieben vom Hausarzt. Da lasse sich nichts machen, hatte Gander gemeint. Wenn der Herr Doktor schreibe, es sei Herzversagen, dann bleibe es Herzversagen, der passe schon auf, dass niemand das Gegenteil beweisen könne.

„Wo ist der Hund?“, fragte Paul, während er Zurgilgen ins Haus folgte.
„Krepiert.“
Hab ich was überlesen? Wieso geht Paul davon aus, dass da ein Hund sein muss? Nur weil jeder Hof einen Hund hat? Dann müsste er doch eher fragen: Habt ihr keinen Hofhund? So wirkt die Frage auf mich, als würde Paul den Hund schon gesehen haben.

Drinnen nahm Zurgilgen eine Flasche Zwetschgenschnaps und zwei Gläser aus dem Küchenschrank und sie setzten sich an den Stubentisch. Eine nackte Glühbirne brannte an der Decke, die so niedrig war, dass Paul sich hatte bücken müssen, als sie den Raum betraten.
Reihenfolge der Sätze ändern, sonst kommt das mit dem Bücken komisch, wenn sie eigentlich schon sitzen. Ich bin beim ersten Lesen drübergestolpert.


Was mich stört:

„Wann bekomme ich das Geld?“, fragte Zurgilgen.

aber noch viel mehr:

Das einzige, das er wisse, sei, dass seine Familie verhungere, wenn die Versicherung nicht zahle.

Soll der Zurgilgen so dumm dargestellt werden? Verhungert wäre seine Familie dann ja auch, wenn der Vater noch gelebt hätte. Das finde ich zu dick aufgetragen und unpassend - unlogisch.


„Woher kommst du?“, fragte der eine, der ihm den Stuhl angeboten hatte. Er trug eine Brille, schien von den dreien der Hellste zu sein.
Weil er eine Brille trägt? Klischeekiste aufgemacht.


Er konnte nicht einschlafen, das Zimmer drehte sich um seinen Kopf, viel zu viel Bier hatte er getrunken. Du musst in Alternativen denken, hatte ihm Gander gesagt. Variante A und Variante B. Alfred Zurgilgen hatte einen Herzinfarkt gehabt, Alfred Zurgilgen hatte sich erhängt, in der Scheune, mit dem Seil, das verschwunden war, Alfred Zurgilgen hatte einen Herzinfarkt gehabt.

Lustig gemacht hatte er sich über ihn, der Zurgilgen. Natürlich wisse er, wo das Seil sei. Runtergefallen sei es, als er Werkzeug auf dem Hürlimann habe befestigen wollen

Hä? Ich finde keinen Zusammenhang. Da fehlt was für mich als Leser. Woher will er wissen, dass ein Seil verschwunden ist? Ein berstimmtes Seil wurde bisher in der Geschichte nicht thematisiert. Und Seile hängen überall auf einem Hof herum, das ist ja nicht so wie bei einem blutigen Fleischermesser, was auffallen würde. Oder habe ich wieder etwas überlesen?

So, das meine Anmerkungen zur Geschichte. Mir liegt die Schweiz nahe, mir liegt dein Schreibstil nahe, aber mit dem Inhalt hatte ich teilweise so meine Logik- oder Verständnisprobleme.

Liebe Grüße
bernadette

 

Hallo bernadette

eigentlich habe ich gar keine Zeit, um hier grade herumzuflanieren.

Umso mehr freue ich mich, dass du reingeschaut hast, gerade gestern habe ich mir gedacht, wo sich eigentlich bernadette herumtreibt.

Den Anfang fand ich als unbedarften Leser am stärksten. Das las sich frisch, da gab es noch keine stereotypen Situationen, die man sonst so liest. Überhaupt finde ich, dass Paul mit Fortschritt der Geschichte als Protagonist abflacht. Nicht in deiner Erzählweise, aber inhaltlich wird es für mich immer unglaubwürdiger, so z.B. die Situation, dass alle Zurgilgens den Hof verlassen und er dann in der Nachttischschublade den Zettel findet. Das war mir dann zu einfach, nein, mich hat sogar enttäuscht und ich fand das inhaltlich dem Erzählniveau nicht mehr angepasst.

Ja, das kann ich akzeptieren. Wenn ich die Sache richtig auserzählt hätte, dann hätte es mehr originelle Ideen und mehr Text gebraucht. Ich hab' den Text aber vor allem als Copywrite geschrieben, wollte das Atmosphärische von dots Geschichte erhalten und eine neue Perspektive reinbringen.

Dann habe ich immer noch auf die Auflösung gewartet, wieso denn das Bild nicht mehr an der Wand hing. Dieser Erzählstrang verlief sich, dafür kam ein Strick ins Spiel, der für mich nicht richtig eingeführt worden ist.

Das Bild von Greta Garbo hängt jederzeit an der Wand. Auf dem Foto von Alfred Zurgilgen sieht man, dass zudem ein Strick an der Wand gehangen hat (neben dem Bild von Greta Garbo). Dieser Strick hängt nun nicht mehr an der Wand - offensichtlich, weil sich Alfred Zurgilgen damit aufgehängt hat. Da ist dir glaub's Bild und Foto und Strick durcheinandergeraten.

Das liest sich komisch, als wäre die Tasche neu, aber wenn sie neu wäre, würde ich das anders formulieren, weil ich denke, du willst damit eigentlich etwas anderes sagen - oder?

Nein, genau das. Die Tasche ist neu. Wahrscheinlich extra für diesen ersten Einsatz im Aussendienst gekauft. Darum riecht auch das Leder so intensiv.

Bei so einem Wetter geht kein Bauer auf die Wiese, um zu heuen, wie du es uns weismachen willst.

Ja, das ist grenzwertig, ich versuch mich so zu retten: Erstens heuen sie unten in Grafenort, da hat es keinen Nebel. Zweitens habe ich mal einfliessen lassen (genau aus diesem Grund), dass der ganze Sommer verregnet war (übler Sommer, sagt Paul zu den Männern). Da geht man auch mal heuen, wenn die Sonne nicht scheint. Hauptsache, es war die letzten Tage trocken.

Beim zweiten Mal Dorf würde ich Ort schreiben.

Habe ich gemacht. Auch den wasserdichten Totenschein habe ich gelöscht.

Wieso geht Paul davon aus, dass da ein Hund sein muss? Nur weil jeder Hof einen Hund hat? Dann müsste er doch eher fragen: Habt ihr keinen Hofhund? So wirkt die Frage auf mich, als würde Paul den Hund schon gesehen haben.

Die Hundehütte mit Kette am Boden wird einige Sätze weiter oben erwähnt.

Reihenfolge der Sätze ändern, sonst kommt das mit dem Bücken komisch, wenn sie eigentlich schon sitzen. Ich bin beim ersten Lesen drübergestolpert.
[/B]

Das Bücken steht im PQP, also alles eindeutig, finde ich. Klar wäre es übersichtlicher, wenn die Reihenfolge anders wäre, aber ich wollte mir in einer linearen Erzählung auch mal eine Rückblende gönnen. :)

Soll der Zurgilgen so dumm dargestellt werden? Verhungert wäre seine Familie dann ja auch, wenn der Vater noch gelebt hätte. Das finde ich zu dick aufgetragen und unpassend - unlogisch.

Ja, das ist übertrieben - wie es Paul ja selbst anmerkt. Der Zurgilgen soll nicht als dumm dargestellt werden, er soll bloss - auf ein wenig unbeholfene Art - deutlich machen, wie viel für ihn auf dem Spiel steht. Ich finde das nicht unplausibel, dass jemand in der Erregung "Und soll ich jetzt verhungern?" sagt, wenn er z.B. seinen Job verliert.

Weil er eine Brille trägt? Klischeekiste aufgemacht.

Bestreite ich. Damit will ich zeigen, dass Paul in Sterotypen denkt. Da kritisierst du die Figur.

So, das meine Anmerkungen zur Geschichte. Mir liegt die Schweiz nahe, mir liegt dein Schreibstil nahe, aber mit dem Inhalt hatte ich teilweise so meine Logik- oder Verständnisprobleme.

Merci für diese Einschätzung, da freue ich mich. Und ich hoffe, dass sich die Verständnisprobleme verkleinert haben, nachdem die Sache mit dem Seil geklärt ist.

Lieber Grüsse und merci für den Besuch
Peeperkorn

 

Hoi,

Umso mehr freue ich mich, dass du reingeschaut hast, gerade gestern habe ich mir gedacht, wo sich eigentlich bernadette herumtreibt.
Meist hinter den Kulissen, da gibt es auch immer Arbeit, und wenn dann noch im realen Leben viel zu tun ist, komme ich leider nicht zum kommentieren. Aber ein Auge habe ich meistens auf WK. ;)


Das Bild von Greta Garbo hängt jederzeit an der Wand. Auf dem Foto von Alfred Zurgilgen sieht man, dass zudem ein Strick an der Wand gehangen hat (neben dem Bild von Greta Garbo).

Ah, ja. Ich habe nur auf das Foto richtig geachtet, das Paul in den Händen hielt.

Bestreite ich. Damit will ich zeigen, dass Paul in Sterotypen denkt. Da kritisierst du die Figur.
Stimmt.
Und ich hoffe, dass sich die Verständnisprobleme verkleinert haben,
mir ist im Nachhinein noch aufgefallen, dass man sich schon fragen muss, wie das kleine Bäuerlein dazu gekommen ist, soviel Versicherungsbeiträge einzuzahlen, dass dann eine halbe Million rauskommen kann :D

Liebe Grüße
bernadette

 

Lieber Peeperkorn

ich mag die Geschichte. Sie bleibt am Original und enthält dennoch diese idylischen peeperkornschen Schweizer Elemente. (Manchmal denk ich: man müsste Schweizer sein, aber nur manhmal :) Gute Unterhaltung mit einem Schuss Nachdenklichkeit. Erinnert mich an Dürrenmatt und Max Frisch, ich muss nachdenken: "Das Versprechen" ?
Kein großer Text, aber ein guter Text mit dem Schuss Wohlfühlzutaten.

Ich schau mal rein:

Noch hatte Paul keinen Plan, wusste nicht, wie genau er vorgehen sollte.
Du benutzt gelegentlich Dopplungen, glücklicherweise hast du noch andere Stilmittel, sonst wär's öde :)
Sich ein wenig umsehen, Zeit verbringen, schauen, was sich ergab
genauso hier: schauen, sehen...

Der Hof sah aus, als sei nicht nur der alte Zurgilgen gestorben, sondern die ganze Familie. Niemand war zu sehen, im Wohnhaus brannte kein Licht, der Stall war leer. Davor stand eine Hundehütte, eine Kette lag am Boden. Kuhmist überall, vermischt mit fauligem Stroh. Paul rümpfte die Nase, drehte sich einmal im Kreis und ging zur Scheune. Oben war der Heuboden, unten standen ein Mähdrescher und Heugabeln, Plastikeimer, willkürlich verstreut. Nur die vordere Ecke war aufgeräumt. Das musste die Werkstatt des alten Zurgilgen sein. Eine schwere Hobelbank, blank geputzt, kein Sägespan zu sehen. Dahinter an der Wand die Werkzeuge, jedes an seinem Platz, nur ein Haken, gleich neben dem Bild der Greta Garbo, war leer.
Das ist sehr sehr gut. Einige scheuen ja zurück vor Beschreibungen. Du nicht. Lohnt sich, weil es Ambiente schafft. :Pfeif:

„Hat er aber nicht.“
„Nicht?“
„Hör mal, du Jungspund. Wenn ich sage, mein Vater ist wegen seinem Herz gestorben, dann ist das wahr, da kannst noch hundertmal fragen. Das bleibt so, wie es ist.“
„Das habe ich nicht angezweifelt, ich habe nur gefragt, wo.“
Die Dialogstelle ist zwar folgerichtig, muss du machen, klingt aber etwas gewollt, so lehrermäßig... weiß nicht, wie echt das ist...
Der Ast bricht stets an der schwächsten Stelle.

„Sauhund!“, schrie eine Stimme hinter Pauls Rücken. „Du verfluchter Sauhund!“ Er ließ den Jungen los,
aha: Sauhund scheint gebräuchlich zu sein im Alpenland, hübsches Wort, muss ich mir merken...

Die Zahnräder klinkten aus, ein Pfiff ertönte und der Zug setzte sich in Bewegung. Paul fragte sich, ob hier, in Grafenort, tatsächlich einmal Adlige gelebt hatten. Er hielt sich Nase und Mund zu, atmete aus, bis der Druck auf den Ohren verschwunden war. Dann sah er aus dem Fenster, blickte auf den gemähten Hang und schloss die Augen.
Der Schluss befriedigt mich nicht, erklärt gar nichts oder zu wenig, weder direkt noch indirekt. Für mich bleibt die Motivation für Pauls Schweigen unklar, im vagen Nur, weil er eins auf den Schädel bekommen hat, der Sauhund?

viele Grüße
in das Sauhundland :D
Isegrims

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo bernadette

Meist hinter den Kulissen, da gibt es auch immer Arbeit, und wenn dann noch im realen Leben viel zu tun ist, komme ich leider nicht zum kommentieren. Aber ein Auge habe ich meistens auf WK. ;)

Ich weiss, dass du es nicht darauf angelegt hast, aber dennoch nehme ich diese Aussage als gute Gelegenheit, euch auch mal für diese Arbeit hinter den Kulissen zu danken. Ich weiss echt nicht, was ich ohne die WK gemacht hätte, wo ich jetzt stünde, sicher nicht dort, wo ich jetzt bin.


Hey Isegrims

Sie bleibt am Original und enthält dennoch diese idylischen peeperkornschen Schweizer Elemente.

Falls ich mal eine Geschichte schreibe, die in einer Alphütte in der Schweiz spielt und draussen ist Steinschlag und drinnen wird ein Baby gefoltert, ich bin sicher, du wirst noch immer von Idylle sprechen. :D

Kein großer Text, aber ein guter Text

Du verstehst es, mich zu motivieren. Mein ich ernst.

Du benutzt gelegentlich Dopplungen, glücklicherweise hast du noch andere Stilmittel, sonst wär's öde.

Vielleicht der Einfluss von ernst "Redundanz" offshore. Dot hat mir schon eine rausgekickt, die beiden anderen lass' ich aus Trotz drin.

Die Dialogstelle ist zwar folgerichtig, muss du machen, klingt aber etwas gewollt, so lehrermäßig... weiß nicht, wie echt das ist...

Da allerdings habe ich reagiert, denn du hast recht. Ich habe das "Hör' mal ... und die Bekräftigung am Ende gestrichen. Die Info bleibt, nachdrücklich sollte es noch immer wirken, aber weniger lehrerhaft. Merci für den Hinweis.

Der Schluss befriedigt mich nicht, erklärt gar nichts oder zu wenig, weder direkt noch indirekt. Für mich bleibt die Motivation für Pauls Schweigen unklar, im vagen Nur, weil er eins auf den Schädel bekommen hat, der Sauhund?

Ja, wieso nicht? Wenn ich krank bin und ich hab' ne Gehirnerschütterung, dann geb' ich es vielleicht einfach auf. Vielleicht hat er es mit der Angst gekriegt. Vielleicht hat er sogar so was wie eine Erkenntnis gewonnen - so hat es offshore gelesen. Ich kann mich einfach nicht überwinden, einen solch erklärenden Satz reinzuschreiben, der das verdeutlicht. Letztlich liegt genug Info da, um sich das einigermassen plausibel zu erklären, finde ich. DEN einen Grund möchte ich aber nicht nennen.

Ganz lieben Dank, Isegrims, für deinen Kommentar.

Lieber Gruss
Peeperkorn

 

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