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Copywrite Windhund

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19.05.2015
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Windhund

Welch gewaltige Sache ein Furz ist und welch ungeahnte Folgen ein solcher haben kann, wusste Jochens Vater nicht, als er im Hobbykeller damit begann, aus Streichhölzern das Taj Mahal zu bauen. Der Palast, der ein Grabmal für die Frau eines Maharadschas war. Nicht dass Patricia, die Frau des Joachim Kolinski, gestorben wäre, nein, sie lebte und lag, während er bastelte, ausgestreckt vor dem Großbildschirm, schaute sich Serien an, löste Kreuzworträtsel oder Sudokus. Wäre er bei ihr, würde sie sich müde an ihn schmiegen, ihn nach den ungelösten Lücken des Rätsels fragen, von ihren Sorgen über Jochens schulische Fortschritte berichten oder von einer sommerlichen Karibikreise schwärmen. Er zog es vor, im Keller zu werkeln und der Liebe, die er einst für seine Frau empfunden hatte, ein schwefliges, explosives Grabmal zu setzen. Es war eine einsame Arbeit. Stunde um Stunde, Tag um Tag. Woche um Woche, verbrachte er damit. Aus Pappe und Holz baute er die Plattform, überklebte sie mit weißem Tuch. Für das Wasserbassin schnitt er ein Loch, weil er zunächst daran dachte, es zu füllen und darunter eine Apparatur für einen Springbrunnen anzubringen, ließ das Vorhaben aber fallen, weil er zunächst die Aufbauten anfangen wollte. Wände entstanden, angefertigt aus Verstrebungen, aneinander geklebter Streichhölzer. Am schwierigsten war es, die rechtwinkligen Kanten exakt zu erstellen. Die ersten Wände waren schief, bis er Rechtecke aus Pappe ausschnitt, die er zwischen die Streichhölzer klemmte. Die vorgefertigten Elemente passten und waren gerade und im rechten Winkel. Das Modell hatte eines stattliche Größe: 1.50 x 0,50 x 0,30 m. Eine knifflige Arbeit unter dem Licht einer Neonröhre, die frei schwingend von der Decke herab hing. Die Tür sperrte er sorgsam ab, wenn er den Raum verließ, stieg die Treppen hoch zum Schlafzimmer und legte sich neben seine schnarchende Frau.

Das Werk war vollendet, als das Unglück geschah. Der Hochzeitstag, die Enthüllung nahte. Zwei Tage davor beschloss Jochen, herauszufinden, was sein Vater hinter der verschlossenen Tür verbarg. Er stellte sich den Wecker und stand mitten in der Nacht auf, um das Geheimnis des Hobbykellers zu ergründen. Mit einer Taschenlampe und in Begleitung seines Terriers Robby zog er los. Den Schlüssel nahm er sich aus der Kommode neben dem elterlichen Bett. Er schlich sich ins Schlafzimmer, fand die Mutter schnarchend zusammengerollt und den Vater auf dem Rücken liegend mit gefalteten Händen, als läge er in einem Sarg. Robby winselte, wartete aber brav vor der Tür und folgte Jo mit aufgerichtetem Schwanz in den Keller. Er schloss die Tür des Hobbykellers auf und strahlte den Raum mit der Taschenlampe ab. Ein eigenartiges Modell stand auf dem Tisch, ein fremdartiges, pompöses Bauwerk. Wollte sein Vater den Job wechseln und Häuser bauen? Robby schnupperte in der Luft, lief unruhig hin und her. Er kannte den Schwefelgeruch nicht. Jo betrachtete es von allen Seiten, schob es zu sich und schaute nach, ob sich dahinter etwas verberge. Nichts. Einfach das Modell eines Palastes. Das war alles und dafür die ganze Geheimniskrämerei? Erwachsene sind merkwürdig.

Jochen wollte sich gerade auf den Rückweg machen, da hörte er Schritte. Der Vater war aufgewacht. Mist. Er knipste die Taschenlampe aus, kroch unter den Tisch, packte Robby und presste ihn an sich. Die Aktion war dumm, das wusste er. Das Licht ging an, so hell, dass Jos Augen schmerzten. Die Neonröhre strahlte ihr grelles Licht ab.

„Kommt unter dem Tisch vor, Jo. Was machst du hier und wie bist du reingekommen?“
„Weiß nicht, Robby wollte unbedingt.“
„Robby, was? Na warte, Bürschchen, du kannst was erleben. Komm da unten vor!“

Jochen war kurz vorm Heulen und ahnte, was folgen würde. Zimmerarrest, Handy und Playstation weg. Das volle Programm. Manchmal dachte er, dass die Strafen, die sein Vater als Junge bekommen hatte, um einiges milder waren. Ein paar Ohrfeigen, Rohrstock, aber das war’s dann.
Robby wusste überhaupt nicht, wie er die Lage einschätzen sollte, also kauerte er sich an Jo, bis der Vater begann, ihn herauszuziehen. Der Terrier sprang auf und rannte unter dem Tisch von der einen zur anderen Seite. Der Tisch wankte und fiel, als Jo, an dem der Vater zerrte, mit dem Kopf gegen die Platte stieß. Das Taj Mahal rutschte gefährlich zum Rand des Tisches. Eine Kettenreaktion folgte, ein Zufallsprodukt, das unwahrscheinlich war, wie so oft. Das Taj Mahal fiel genau an der Stelle vom Tisch, wo sich das Kabel befand, dessen Kunststoffhüllen Jos Vater abgeknipst hatte, um das Kunstwerk zu illuminieren. Durch die Kabel floss Strom, was an sich nicht gefährlich war, weil sie ohne Kontakt waren.

Durch den Fall des Taj Mahal erschrocken, machte Robby einen Satz zu Seite und entlud einen gewaltigen Furz. Der Sog des Darmwindes war so heftig, dass die Kupferenden die Schwefelköpfe der Streichhölzer berührten. Mit einem Zischen entzündeten sie sich. Das Grabmal der Liebe brannte. Wie eine Fackel, mit hellen Flammen. Robby war der erste, der nach oben raste, weg vom Keller. Jochen stand neben seinem Vater Joachim, der sich nicht bewegte und teilnahmslos auf das entflammte Modell starrte, das zu einer unförmigen Masse abfackelte. Die Mühen all der Stunden waren unwiederbringlich dahin, vom Feuer verzehrt. Die Erstarrung von Jochens Vater löste sich, als die Neonröhre mit einem lauten Knall auf die Flammen donnerte. Surrende Stromblitze breiteten sich aus. Es wurde gefährlich. Der Vater schnappte sich Jo und rannte die Treppen empor. Ein weiterer Knall und im ganzen Haus wurde es dunkel. Der Strom war ausgefallen.

„Weck die Mama, ich ruf die Feuerwehr.“
Rauch kroch aus dem Keller, beißender Geruch breitete sich aus. Das Feuer suchte und fand Nahrung. Patricia Kolinski wischte sich über die Augen, als ihr Sohn sie mit Rufen und Rütteln an der Schulter weckte.
„Im Hobbykeller brennt es.“
Sie roch es und schrie laut auf, gefolgt von einem empörten Blick.
„Hab ich gleich gedacht, dass der Joachim da im Keller eines Tages ein Unglück anrichtet.“
„Komm jetzt, Mama. Es brennt. Robby war schuld.“
„Wieso Robby?“
„Der hat gefurzt. Das war’s.“
„Ah ja. Hat der Papa dir das gesagt?“
„Ich war dabei, glaub mir. Komm jetzt!“
Sie schlüpfte in die graue Jogginghose. Beim Verlassen des Schlafzimmers wehte ihnen Rauch entgegen.
„Wir müssen raus hier.“

Tränen liefen Jos Mutter über die Wangen, Entsetzen zeichnete sich auf ihrem Gesicht ab. Sie packte Jochen an der Hand und wollte zur Haustür.

„Wo ist Robby?“, fragte Jochen.
Ein gewaltiges Poltern ertönte vom Keller, als sei etwas umgefallen.
„Raus jetzt!“ Die Eltern schoben Jo mit vereinten Kräften aus dem Haus.
„Robby, aber wo ist Robby?“
„Du gehst jetzt raus mit der Mama und ich such Robby. Die Feuerwehr kommt auch gleich“, sagte der Vater, den gleichzeitig Unbehagen befiel. Er wollte kein Held sein. Dennoch durchstöberte er die Zimmer von oben bis unten und ließ keinen der Lieblingsplätze des Terriers aus, suchte hinter der Couch und unter den Betten, bevor er aufgab. Nichts, Robby blieb verschwunden und Jos Vater verließ das Haus, in dem sich Nebel und beißender Rauch so ausgebreitet hatten, dass er nach Luft schnappte, als er sich zu seiner Frau und Jo stellte.
„Wo ist Robby?“, fragten sie ihn.

Die grellen Laute der Sirenen drangen zu ihnen. Die Häuser ringsum waren erleuchtet. Eine Ansammlung von Menschen stand auf der Straße. Die Feuerwehrleute zogen Schläuche hinter sich her, Kommandos erschallten, Wasser und Brandbekämpfungsmittel kamen zum Einsatz. Der Brandherd unten im Keller glühte weiter und ließ sich nicht löschen. Es blieb dieses seltsame Licht, während das Haus frei von Feuer war und sich auf den Böden, den Wänden, auf den Textilien, den elektrischen Geräten und den Plüschtieren Jochens feiner Ruß festsetzte.

Das Taj Mahal, oder das, was von ihm übrig war, sah aus wie eine weißliche Masse an Energie, gab Hitze und Licht ab und konnte auch unter Anwendung von Sauerstoffentzug nicht gelöscht werden. Ein ewiges Feuer. Schnell verbreitete sich die Nachricht über die Singularität dieses besonderen Glutherdes. Besucher kamen, Neugierige, Politiker, Geheimdienste. Menschen pilgerten zu dem Haus, das Jos Eltern bewohnt hatten, um sich vor den strahlenden Überresten des Taj-Mahal-Modells zu verneigen. Einige glaubten, dass es ein Zeichen Gottes oder der Götter wäre oder ein sichtbares Symbol der Natur, weiße Magie, schwarze Magie, die Liebe schlechthin. Journalisten aus aller Welt erschienen mit ihren Kamerateams, die Facebook-Likes überschritten nach wenigen Stunden die Millionengrenze, Youtube-Videos und Twittergefolgschaften, alles, was die Social-Media-Gemeinschaft braucht und liebt. Der Papst schickte eine Gesandtschaft, die alles genauestens begutachtete und der Dalai Lama brach in schallendes Gelächter aus, als er das den Haufen leuchtender Materi sah. Nahezu jeder, der davon erfuhr, legte die Erscheinung auf seine Weise aus. Es war ein Mysterium, das auch von der Wissenschaft nicht erklärt werden konnte, obwohl Physiker sich aufmachten, die Lehre von Materie und Antimaterie neu zu überdenken, weil die geltenden Gesetze außer Kraft gesetzt waren, weil es ein Seiendes gab, das ohne Energiezufuhr aus sich selbst heraus existierte. Manche sprachen einfach von Gott., der in einer modernen Version erschienen war. Gott 4.0.

Jochens Familie baute sich eine neue Existenz auf. Sie umzäunten das Haus und verlangten Eintrittsgelder, ein neues Haus entstand ganz in der Nähe. Sie konnten ausgezeichnet von der Touristenattraktion leben. Ihr neues Domizil war prächtig, eine richtige Villa, hatte einen großzügigen Garten und eine Rasenfläche mit einem Pool, der fünfzig Meter lang war. Jochen war glücklich. Er konnte seine Freunde einladen, schwimmen, spielen und in der Sonne liegen. Jochens Eltern schlossen Frieden miteinander und verbrachten die Abende seit dem Brand stets gemeinsam. Sie lösten zusammen Kreuzworträtsel und Sudokus, lasen sich gegenseitig vor und nutzten Streamingdienste, um sich Kinofilme auf dem Großbildschirm anzuschauen. Im Keller des neuen Hauses gab es keinen Hobbyraum. Joachim Kolinski hörte auf zu basteln. Die Kellerräume waren vollgestellt mit dem Gerümpel aus dem alten Haus.

Und Robby, der furzende Hund, der alles in Gang gesetzt hatte? In den ersten Tagen nach dem Brand hielt er sich verborgen und schlief in einem Holunderbusch nahe des Wäldchens, warm und geborgen. Von weitem beobachtete er das Geschehen. Als die Aufregung sich gelegt hatte und es sich abzeichnete, dass sich das Schicksal für Jos Familie zum Guten wendete, kam er eines Tages bellend und wild mit dem Schwanz wedelnd, auf Jo zu gerannt. Die Freude war groß. Er sprang an Jo hoch, schleckte ihm über das Gesicht und ließ sich streicheln. Beide waren glücklich. Die Eltern kamen freudestrahlend herbei und wurden auf dieselbe Weise begrüßt. Sobald das neue Haus errichtet war, tobte Robby über die Wiese, furzend, quiekend, bellend und das Schwänzchen wie ein Propeller benutzend.

In memoriam @JoGy+
dedicato Signor Giuseppe Tedesco e misteroso Signor Enzo Ernesto Offshore

 

oh je Andrea H.

jetzt habe ich mch bei dir noch gar nicht für deinen Kommentar, die Zeit, dich mit diesem windigen Hund und dem ewigen Licht und den ganzen Blödsinn, zu befassen...

Ich denke nach wie vor, dass Humor wirklich eine schwierige und nur mit äußerstem Ernst gelingende Disziplin ist, Aus dem Stück habe ich gelernt, dass ich so was nicht aus dem Bauch heraus ... fließen lassen kann... sondern supergenau planen muss... vielleicht, irgendwann, mache ich das ....

viele Grüße
Isegrims

 

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