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Einzelfall im Massenstudium

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29.07.2016
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Einzelfall im Massenstudium

„Ich hab‘ Hunger, nicht mal Suppe da“, schallt es aus dem Lautsprecher des Laptops. Er hört zu, aufmerksam, fokussiert. Im Hintergrund laufen die Bilder seines noch jungen Lebens verschwommen vorbei. „Mama ist den ganzen Tag am ackern für ein bisschen Brot“, er fühlt sich verstanden. Plötzlich sind die Bilder ganz nah, er sieht seine Mutter. Mittlerweile braun gefärbtes kurzes dünnes Haar, schmale Schultern, nach unten hin fülliger werdend. „Klein ist sie geworden.“
Um den Anflug der Sentimentalität zu bekämpfen, nimmt er einen großen Schluck aus dem rechts neben ihm stehenden Bier. Becks. #Bierausgrünenflaschen, so schreibt er es seinen Freunden. „Freunde“, denkt er in diesem Moment. Sollten Freunde eigentlich nicht genau dann eingreifen, wenn sie merken, dass die Hashtags überhand nehmen und zur Routine werden? Nicht Eingreifen im Sinne von trister Unterstützung, sondern sollten Freunde nicht nachfragen und sich erkundigen, ob auch wirklich alles so gut läuft, wie er es immer propagiert? „Schwierig zu beurteilen, wenn man noch nie Freund war und einen solchen noch nie besessen hat“, fängt er nun an zu grübeln. Nächster Schluck. Flasche leer.
„Stichwort Trapattoni, guter Mann“, die Selbstgespräche steigern sich heute nur langsam. Zum Glück war es einer dieser Gedankensprünge, die mittlerweile automatisch dann eintreten, wenn die Gedanken an den kritischen Punkt gelangen. Der von ihm als so bezeichnete kritische Punkt beginnt dort, wo das nebulöse Verdrängen entrinnt und die Reflexion in Erscheinung tritt. Kein gutes Zeichen. Nein, nicht jetzt. Leere. Er sitzt an seinem weißen Schreibtisch, neben ihm das weiße mit Büchern zugestopfte Regal. Dahinter die weiße Küche. Alles ist weiß, die restlichen Möbel, die Wände, die Decke, das Bett, die Bettdecke; ausnahmsweise ist der Boden, ein billiger Laminat-PVC-Boden, braun. „Auf Abschaum lässts` sich immer noch am besten laufen“ – rutscht ihm immer mal wieder mit einem Grinsen von den Lippen, wenn er auf einem braunem Fußboden läuft. Seine Blicke schweifen über den, überwiegenden ohne Prinzip als gelesen, sortierten Bereich des Regals. Kafka, Grass, Nietzsche, Kant, zwischendurch Bukowski, Brecht, dann Mann. Alle. Klaus, Erika, Hermann und natürlich er, sein Idol: der unbeschreibliche Nobelpreis-gekrönte Thomas. Sein „Grund auf wenigstens irgendwas in diesem Land stolz zu sein“, ja sein „Goethe der Neuzeit“. Doch jetzt nicht, nicht über den Zauberberg philosophieren. Nein, er ist nicht in Stimmung – will nicht nachdenken.
So sitzt er weiter wie angewurzelt auf seinem viel zu tief eingestellten Schreibtischstuhl. Die Gedanken werden klarer, fassbarer und entwickeln sich zu Filmen. Er sträubt sich. Seine Rettung der letzten Wochen ist, ihm das überaus bewusste Dilemma, seine oberste Schreibtischschublade. Er bricht einen kleinen Teil des Steins ab, zerreibt ihn zwischen einer nicht mehr gültigen Fitnesskarte aus seiner Heimat und der dunklen Rückseite einer Zeitschrift. „Heimat“, schießt es durch seinen Kopf; „Zuhause, Liebe“. Heimat ist ein für ihn nicht mehr zu definierender, viel zu kontaminierter Begriff, um etwas Kluges darüber zu denken. Es ist ein Gefühl, sein individuelles Gefühl. Wieso also mit jemandem teilen? Es ist ein Gefühl, kein Begriff. Zu allem Überfluss ist auch das rechte Nasenloch verstopft.
„Dann eben links“, achselzuckend schnieft er eine überflüssige Line. Drauf ist er schon seit Stunden. Er mag das Gefühl. Dieser besondere Moment, wenn der immer klarer werdende Gedankenfilm wieder zu verschleierten Einzelbildern wird und in den hinteren Bereich verschwindet. Er fängt wieder an plastisch zu denken und stellt sich die Erinnerungen als eine Ein-Cent-Münze in einem Basketball vor. Ist er in Bewegung, irrt die Münze unendlich im geschlossenen Raum umher, ohne auch nur einmal einen festen Ort zu finden. Anhalten, Abschalten kann er nicht. Die Münze darf nicht zum Erliegen kommen.
Immer wieder muss er es sich anhören: er verschwende sein Leben. Er selbst weiß, dass sie Recht haben. Es reicht ihm allerdings auch vollkommen aus, zu wissen, dass sein Potential nahezu unendlich ist. Der Sparmodus hat in 25 von 25 Jahren bisher überaus ausgereicht. "Wozu also abrufen?!". Zu seinem Verhängnis ist jedoch genau das einer der Gründe, warum er am liebsten unter ihm unbekannten Menschen weilt. Mit nahezu äußerster Perfektion kann er sich seinem intellektuellen Umfeld optimal anpassen. „Niemand hat mich bisher in diesem Punkt verstanden“, meint er. "Niemand versteht das Prinzip des lebenslangen Stromsparens", er öffnet die nächste Flasche, nimmt einen großen Schluck.
Eigentlich müsste er an einer Seminararbeit schreiben. Der Fall? Seit Wochen in seinem Kopf bis ins kleinste Detail gelöst. Die schriftliche Ausführung? Reine Formsache. „Formsachen“. Das Problem seines Lebens. Der Horroreffekt in seinen Tagträumen, der Grund für seine übermäßigen Schweißausbrüche, mittelbar der Grund, warum er im Sommer nur Schwarz oder Weiß trägt. Es hasst es. Vor allem wegen des Schwitzens. Dann wird es wieder knapp und die Abgabefrist nähert sich.
Während die anderen ihren Lernzeitplan strikt einhalten und ihr Wissen kontinuierlich erweitern und repetieren, schaut er YouTube-Videos über Autotuning, Drogengeschäfte, zwischendurch Tatort, dann wieder Musik. Er verteufelt das innere Gefühl zu wissen es sowieso zu können. Im Freundeskreis profiliert er sich mit seinen Leistungen: „Andere lernen 4 Wochen, um mit ihren 4-6 Punkten zu bestehen. Ich habe zwei Tage vorher gelernt und 11 Punkte geschrieben.“ Innerlich weiß er, dass es sein persönlicher Untergang ist. Normalsein. Fragt man ihn anonym nach seinem innerlichen Wunsch, so antwortet er normal sein. Geht das überhaupt als Jurastudent? Bier leer.
„Scheiss‘ auf Trapattoni, fang' endlich an, dein Leben in den Griff zu bekommen“, wütet es, wie schon die letzten Tage, in seinem Kopf. Er blickt nach oben: das große Bild seiner Exfreundin, sein Leben. Obwohl es schon seit längerer Zeit aus ist, hat er es noch nicht abgehangen. „Gewohnheit? Liebe? Liebe aus Gewohnheit oder Liebe zur Gewohnheit?“, er weiß es nicht, darum lässt er es einfach hängen.
Wie sein Leben.

 

Hola Held,

mitten in der Nacht kann früh oder spät bedeuten. Du hast Deine Geschichte eben eingestellt und ich bin gerade aufgestanden – alte Männer und die Schlaflosigkeit.
Ich lese in Deinem Profil:

Feedback für den ein oder anderen in der Freizeit entstandenen Text.
Das geht in Ordnung, soweit Du bereit bist, ebenfalls zu kommentieren – sonst funktioniert der Laden nicht. Allerdings ist diesem einen Satz auch zu entnehmen, dass Dir wohlgesonnene Kommentare mehr am Herzen liegen als Arbeit am eigenem Text, um besser zu werden. Hier, glaube ich, könnte es hakeln.

Zu Deiner Geschichte (die für mich leider keine ist) – also zu Deinem Text will ich nicht viel sagen, denn ich wurde beim Lesen ungewollt schneller und schneller, damit unaufmerksamer. Da war nichts dabei, was mich angesprochen, Spannung erzeugt, Gefühle geweckt hätte. Nur eitles Gerede.
Ist das Spiegelschau eines vermeintlich klugen Monoredners? Was, zum Teufel, soll ich diesem Text entnehmen. Alle diese aneinander gereihten ‚Weisheiten’ langweilen. Beinahe peinlich, die nochmals aufzuwärmen; selbstverliebte Wortspiele, dass es kneift:

„Gewohnheit? Liebe? Liebe aus Gewohnheit oder Liebe zur Gewohnheit?“
Das scheint mir einem Jahrhundert entlehnt, in dem auch das ‚Fishing for Compliments’ sehr beliebt war.
Wen beeindruckt ein Podiumsspruch wie:
Mit nahezu äußerster Perfektion kann er sich seinem intellektuellen Umfeld optimal anpassen.
Sei mer net bös, aber da lachen doch die Hühner.

Tja, das ist alles gar nicht so einfach. Mal sehen, wie Du Dich entscheidest. Immerhin schreibst Du handwerklich prima, da gibt es keinen Zweifel – nur würde ich vorschlagen: Weg vom Spiegel, hin zum Leser. Dann kommen wir noch ans Staunen. Jedenfalls wünsch’ ich uns das.

Ein schöner Gruß
von José

 

Der Autor schrieb zum Text:

Hallo liebe Gemeinde,

ich bin neu, unerfahren, erwartungsvoll und habe dieses Forum als Tipp erhalten. Vorstellen möchte ich mich mit einer schon etwas älteren Kurzgeschichte und hoffe auf zerreißend ehrliche Kritik. Vielen Dank.


Solche Anmerkungen bitte immer im Extra-Post unterhalb der Geschichte.

Willkommnen hier, Held :)

 

Hallo Held ohne Umhand ,

also Deine Geschichte hat mich nicht wirklich mitgerissen. Du hast zwar schon einen schönen Erzählstil, aber Du hättest schon etwas mehr daraus machen können.
Du deutest die Konflikte im Leben Deines Protagonisten an, aber führst sie nicht richtig aus. Das ist schade.

„Ich hab‘ Hunger, nicht mal Suppe da“, schallt es aus dem Lautsprecher des Laptops. Er hört zu, aufmerksam, fokussiert. Im Hintergrund laufen die Bilder seines noch jungen Lebens verschwommen vorbei. „Mama ist den ganzen Tag am ackern für ein bisschen Brot“, er fühlt sich verstanden.

Hier komme ich gleich am Anfang nicht ganz mit. Wer redet da (mit wem)? Sagt er das oder eine Stimme im Radio oder seine Mutter über Skype?

Heimat ist ein für ihn nicht mehr zu definierender, viel zu kontaminierter Begriff, um etwas Kluges darüber zu denken.

Hier z.B. frage ich mich, warum, bekomme aber keine Antwort.

"Wozu also abrufen?!". Zu seinem Verhängnis ist jedoch genau das einer der Gründe, warum er am liebsten unter ihm unbekannten Menschen weilt. Mit nahezu äußerster Perfektion kann er sich seinem intellektuellen Umfeld optimal anpassen. „Niemand hat mich bisher in diesem Punkt verstanden“, meint er. "Niemand versteht das Prinzip des lebenslangen Stromsparens",

Hier frage ich mich wieder "warum". Zudem fehlt mir der Zusammenhang, warum seine - ich nenne es einmal - Bequemlichkeit dafür sorgt, dass er sich nur mit Fremden umgeben will? Nichts aus seinen Talenten machen, bedeutet ja nicht gleich eine Sozialphobie zu kriegen. Zudem widerspricht er sich. Auf der einen Seite scheint er zu bedauern, keine echten Freunde zu haben, auf der anderen Seite geht er offenbar Sozialkontakten bewusst aus dem Weg.

Reine Formsache. „Formsachen“. Das Problem seines Lebens. Der Horroreffekt in seinen Tagträumen, der Grund für seine übermäßigen Schweißausbrüche, mittelbar der Grund, warum er im Sommer nur Schwarz oder Weiß trägt.

Auch hier fehlt mir jeder Zusammenhang. Was hat die Formsache einer Arbeit damit zu tun, dass er nur schwarz und weiß trägt?

schaut er YouTube-Videos über Autotuning, Drogengeschäfte, zwischendurch Tatort, dann wieder Musik.

Der Satz ist nicht sehr gelungen. Er schaut "Drogensgeschäfte"? Besser wäre ... schaut er YouTube-Videos, Tatort, kauft Drogen, hört Musik.

Er blickt nach oben: das große Bild seiner Exfreundin, sein Leben. Obwohl es schon seit längerer Zeit aus ist, hat er es noch nicht abgehangen. „Gewohnheit? Liebe? Liebe aus Gewohnheit oder Liebe zur Gewohnheit?“, er weiß es nicht, darum lässt er es einfach hängen.
Wie sein Leben.

Ist das jetzt nur ein weiteres Bild oder soll es dem Leser suggerieren, dass Liebeskummer schuld an seiner Situation ist?

Dein Schreibstil ist, wie gesagt, durchaus ansprechend. Deiner Geschichte fehlt es mir leider an Inhalt.

Viele Grüße
Mädy

 

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