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02.10.2016
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Sie kommen

Es war der Moment, an dem der Tag seinen letzten erschöpften Atemzug nahm. Der letzte Sonnenstrahl glänzte über die Hügel am Horizont, so dicht bewaldet, dass sie wie grüne Wattebällchen aussahen. Jedenfalls fand Egbert, dass sie so aussahen.

Er hatte einen harten Arbeitstag hinter sich gehabt. Seinen Letzten. Und jeder, der Abschiede nicht leiden mochte, konnte sich vorstellen, wie Egbert sich gefühlt hatte.

Die Sekretärin bedauerte sehr, dass sie sich wohl nicht wiedersehen würden. Sie wünschte ihm noch alles Gute. Eine Höflichkeitsfloskel, wie ihr Egbert unterstellte, sie hatten nie besonders viel miteinander zu tun gehabt.

Silas, sein Bürokollege, schüttelte ihm die Hand. Der Händedruck war feucht und schlaff gewesen.

Machs gut

Zehn Jahre und das war alles, was er herausbrachte. Nach zehn Geburtstagskuchen und mehreren tausend Kaffee hatten sie sich nichts weiter zu sagen gehabt.

Egbert schüttelte für einen Moment fassungslos den Kopf. Dann inhalierte er die frische, kühle Abendluft, ließ sie tief in seinen Körper strömen und beim Ausatmen ließ er die Kollegen hinter sich.

Er fischte sein Smartphone aus der Tasche, entsperrte den Bildschirm und öffnete seine Messenger App.

H & L Distribution and Friends lautete der fürchterliche Name der Kollegengruppe. Er verließ sie auf der Stelle und löschte den Verlauf. Danach öffnete er seine Kontakte und begann damit jeden seiner Kollegen nacheinander aus seinem Telefonbuch zu entfernen.

Er blieb einen Augenblick an Christian hängen. Sein Name war oft auf dem Bildschirm angezeigt worden. Er war der Praktikant und ihm zugeteilt gewesen. Christian rief bei jeder noch so unbedeutenden Frage an, er wollte alles makellos erledigen und nahm es dafür gerne in Kauf bei einigen Angestellten in Ungnade zu fallen. Doch nicht bei Egbert. Es erfrischte ihn einen jungen Mann voller Tatendrang in einem Job zu sehen, der ihm schon bald wie eine Zecke, jegliches Engagement aus dem Körper saugen würde.

Kontakt gelöscht, wurde auf dem Bildschirm angezeigt.

Christians Name war verschwunden. Die restlichen Kollegen löschte er in einem Rutsch, bis nur noch seine Familie übrig war. Er hatte keine anderen Freunde. Fünf Kontakte und die Mailbox. Die Mailbox zu löschen war ein Mysterium, dem Egbert nie auf die Schliche gekommen war.

Er tippte auf den Kontakt seines Vaters, dann auf Löschen. Danach tippte er auf den Namen seiner Mutter. Löschen.

Als nächstes kam William dran, sein Sohn. Sein Kontakt war mit einem Bild versehen. Ein junger Mann, dessen Gesicht übersät von Pickeln du Pusteln war, stand mit stolzer Brust in einem zu groß ausfallenden Smoking vor einer Grillhütte. Sie Arm war um ein Mädchen gelegt, das einen Kopf größer war als er.

Egbert sah sich das Bild genau an, bevor er der Kontakt verschwand.

Der Kontakt seiner Frau hatte kein Foto. Sie hatte sich erst kürzlich ein neues Handy gekauft und es war ihr zu teuer gewesen ihre Nummer übertragen zu lassen. Egbert war noch nicht dazu gekommen ihr ein Bild zuzuordnen.

Das macht es leichter, dachte er und entfernte den Kontakt vom Handyspeicher. Einen Augenblick hielt er inne. Er konnte einige Feldhasen in der Ferne über die Wiese hoppeln sehen. Sie jagten einander durch einen dünnen, feuchten Nebelfilm, der sich in der Luft bildete. Egberts Atem stieg als Wolken auf.

Wieso fiel es ihm überhaupt noch schwer? Was auf sie zukam wussten alle bereits seit Monaten. Es war nicht so, dass nicht genug Zeit der Vorbereitung gewesen wäre. Vielmehr hatte er die letzten Wochen mit kaum etwas Anderem verbracht, als mit seiner Therapeutin über diese Sache zu sprechen. Dabei hätte seine Therapeutin die Zeit besser auch mit einem Therapeuten verbringen sollen.


Der Himmel war leergefegt. Keine Wolke durchkreuzte den Blick in die unendlichen Weiten direkt über den Köpfen der Menschheit. Normalerweise hätten langsam die ersten Sterne am Abendhimmel zu leuchten anfangen müssen. Doch nicht heute.

Egbert sah erneut auf sein Smartphone hinab.

Was tat er hier? Schweißperlen bildeten sich in seinem Nacken.

Der letzte Sonnenstrahl machte nun Anstalten hinter den Hügeln zu verschwinden. Egberts Hände begannen zu zittern. Er biss die Zähne zusammen, im Glauben seinen Körper so im Griff behalten zu können. Das Smartphone fiel ins feuchte Gras.

Die Konturen der buschigen Berge waren nun von einem goldenen Schimmer umrahmt. Kein Sonnenlicht fiel mehr in die Ebene. Das Surren begann. Erst klang es wie ein entfernter Bienenschwarm, doch es wurde schnell lauter. Kalter Wind kam auf und zwang das Gras in die Knie. Egberts Krawatte wirbelte ihm um die Ohren. Einen Moment blickte er noch stur geradeaus. Er schluckte bevor er den Kopf in den Nacken legte.

Blaues Licht, grell und eiskalt, schimmerte vom Himmel herab. Hunderte Kegel davon, überall auf die Stadt, die Wiese und die ferne Landschaft gerichtet.
Der Himmel schein aufzubrechen und die metallen schimmernden Ungetüme wurden im sanft orangefarbenen Himmel sichtbar.

Egbert stürzte urplötzlich zurück über die Wiese, sein Auto stand auf einem kleinen Trampelpfad. Als er die Autotür zuknallte und die Schlüssel zur Hand nahm, verwandelte sich das Surren der Flugobjekte in donnerndes Grollen. Ein paar Mal stocherte er daneben, bis er das Zündschloss fand, seine Hände zitterten mittlerweile fast unkontrolliert.

Er gab Vollgas. Es war 19:27 Uhr. Er hatte noch eine halbe Stunde, um nach Hause zu fahren. Er kurvte über die Landstraße, sein Tacho zeigte etwas, das weit oberhalb der erlaubten Geschwindigkeit lag. Aus dem Radio blubberte fröhliche Fahrstuhlmusik, es gab keine Moderatoren mehr die arbeiteten. Es war das Leerlaufprogramm. Egbert drehte die Lautstärke auf, um den Lärm von draußen zu übertönen.

Das energische Hupen durchbrach das Radioprogramm bereits am Ortseingang. Es herrschte Konfusion auf den Straßen und bald bewegte sich kein Fahrzeug mehr.

Um 19:46 Uhr verließen die ersten Menschen ihre Wagen und nahmen die Beine in die Hand. Egbert war einer von ihnen. Das Dröhnen der Schiffe am Firmament ließ mittlerweile alles andere verstummen. Jeder von Egberts Schritten fühlte sich taub und unwirklich an. Er schwang sich über einige Gartenzäune und bahnte sich seinen Weg durch die Horden von Leuten, die seinen Weg kreuzten. Die Meisten, denen er begegnete, huschten in Panik über die Straßen und warfen alle paar Minuten verstörte Blicke in den Himmel. Jeder warf unüblich viele Schatten, wie die Spieler auf einem beleuchteten Fußballfeld. Niemand sagte etwas.

Zehn Minuten später erreichte er seine Straße, zwei Minuten danach sein Haus. Seine Familie würde bereits warten. Er sah ein letztes Mal hinauf.

Pechschwarze Metallkolosse bildeten ein Abbild der Landmasse und hielten in ihrer Schwebe inne, wenige hundert Meter über den Dächern der Stadt. Vom Himmel fehlte jede Spur. Das künstliche Licht strahlte grell und stechend auf die Erde herab.

Egberts Kehle schnürte sich zu. Er erinnerte sich bereits jetzt nicht mehr daran, wie der dämmrige Abendhimmel ausgesehen hatte, oder wie sich die Sonne auf der Haut anfühlte.


Fassungslos öffnete er die Haustür.

Sie kamen.

 

Hallo Singularity!

Ich habe mir deine Geschichte unvoreingenommen zur Brust genommen und muss dennoch feststellen, dass sie mir nur bedingt zusagt.

Da geht also irgend so ein Bürotyp in Pension, oder er verlässt die Firma, was auch immer. Und du machst bereits von Anfang an mysteriöse Andeutungen, dass alles der/die/das "letzte" ist. Der letzte Sonnenuntergang, der letzte Arbeitstag, usw. Ich interpretiere das so, dass du damit andeuten willst, dass Egbert von der Ankunft der Aliens (?) weiß und quasi jetzt seine letzten Augenblicke auf Erden/im Leben/ erlebt.

Wenn dem tatsächlich so ist, kann ich allerdings sein gesamtes Verhalten nicht nachvollziehen. Und das ist auch der Hauptkritikpunkt an deiner Story - ich finde sie nicht nachvollziehbar.
Wenn ich weiß, dass riesige Alien-Raumschiffe auf mich runterdonnern, dann lösche ich doch nicht erstmal meine Handy-Kontakte!
Wenn ich weiß, dass riesige Alien-Raumschiffe auf mich runterdonnern, dann warte ich doch nicht bis zum letzten Augenblick, wenn alle Straßen verstopft sind und eine Massenpanik ausbricht, um dann erst zu meiner Familie zu fahren.
Wenn ich weiß, dass riesige Alien-Raumschiffe auf mich runterdonnern, dann vertrödele ich doch nicht die wenige mir verbliebene Zeit bei ner Therapeutin.
Wenn ich weiß, dass riesige Alien-Raumschiffe auf mich runterdonnern, dann vertrödele ich doch nicht die wenige mir verbliebene Zeit mit Arbeit - vor allen Dingen nicht bei einem Job, der mir offensichtlich nichts gibt und an dem ich nicht besonders hänge.
Wenn ich weiß, dass irgendwann riesige Alien-Raumschiffe auf mich runterdonnern, wieso bin ich dann auf einmal so überrascht, "fassungslos" und aus dem Häuschen, wenn sie denn tatsächlich kommen?

Sorry, aber für mich zündet die Geschichte einfach nicht. Wenn du die letzten Augenblicke der Menschheit/eines Menschen darstellst, bevor "Sie kommen", dann hättest du dir vielleicht etwas mehr Gedanken darüber machen sollen, wie sich Menschen in so einer Situation tatsächlich verhalten würden.
Mag ja sein, dass es Leute gibt, die versuchen würden, so "normal" wie möglich weiterzuleben - aber dann ist es dennoch recht unglaubwürdig, wie sich Egbert verhält, als die Aliens landen.

Wie gesagt - bei mir zündet die Geschichte leider nicht.

Viele Grüße
EISENMANN

 

Hallo Singularity,

deine Geschichte weckte während der fortschreitenden Handlung eine große Neugierde in mir. Alles schien geheimnisvoll, aber durchaus zielorientiert zu sein.
Am Ende verpuffte diese aufgestaute Neugierde jedoch und neben dem großen Fragezeichen in meinem Kopf blieb eine leichte Entäuschung zurück. Für meinen Geschmack blieben zu viele Fragen ungeklärt.

Dies mag auch in den Punkten begründet sein, die in EISENMANNs Kritik bereits aufgeführt sind. Ich stimme ihr im Großen und Ganzen zu, habe aber noch eine Inhaltliche Anmerkung beizusteuern:

Dreh und Angelpunkt der Geschichte ist wohl das Löschen der Kontaktdaten der Kollegen und der Familie, was du sehr ausführlich beschreibst.
Für mich war nach dieser Passage klar, dass Egbert aktiv den Kontakt zu seinen Liebsten abbricht und womöglich untertauchen möchte.
Nachdem die Schiffe am Himmel zu sehen waren, stürzt er zu seinem Auto und fährt doch noch nach Hause, obwohl er doch für mich eindeutig nichts mehr mit seiner Familie zu tun haben wollte.
Hat er sich in diesem Moment umentschieden? Haben sich seine Beweggründe mit dem Auftauchen der Gebilde geändert? Wusste er überhaupt vorher, ob diese Gebilde am Himmel auftauchen würden?

Ich würde mir wünschen, dass die Beweggründe Egberts klarer ersichtlich sind und dass vielleicht deutlicher wird, warum er denn nun seine Kontakte löscht.

Viele Grüße
Philip

 

Hallo Eisenmann,


vielen Dank für deine Mühe und die Zeit, die du dir genommen hast, um meine Geschichte zu lesen und, dass du mir ein ausführliches Feedback da gelassen hast :)

Nun ich erkenne nun mein größtes Versagen in dieser Geschichte.

Gerade mit diesen Banalitäten, diesen Dingen, die man niemals täte, würde der Weltuntergang bevorstehen, wollte ich deutlich machen, dass auch kein Weltuntergang bevorsteht.
Entsprechend handelt Egbert nicht wie ein Totgeweihter...

Ich entnehme dem Feedback also, dass meine Geschichte tatsächlich nicht zündet und das zusätzlich auch dadurch, dass das, was ich genau sagen wollte gar nicht rüber gekommen ist.,

 

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