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Herzenswunsch

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23.10.2016
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Herzenswunsch

Ein Windhauch trägt den erdigen, leicht modrigen Geruch des Waldes an Kiras Nase. Heimatduft. Sie fragt sich, ob sie jemals einen Ort besuchen wird, an dem es nicht nach Holz und Pilzen riecht.
Kiras Finger drücken sich in das Bild des Mädchens, deren Augen vor Wildheit funkeln, deren Lippen sich zur stummen Herausforderung verziehen, deren störrisches Haar sich aus dem Knoten löst. Die junge Menschenfrau hat im Laufe ihres Lebens wahrscheinlich abertausende unterschiedliche Gerüche erschnüffelt. Sie ist eine mutige Abenteurerin, da ist Kira sich sicher. In Kiras Vorstellung zähmt das Mädchen mächtige Drachen, stolziert durch die bodenlosen Hallen der Geisterstadt und entlockt allwissenden Dschinns ihre Geheimnisse.
“Drachen und Dschinns … Wer weiß schon, ob es die denn wirklich gibt?”, fragt eine blütenzarte Stimme in Kiras rechtes Ohr.
“Aber natürlich!”, ertönt dieselbe Stimme zu ihrer Linken. “Sonst hätte mir der Rabe doch nicht davon erzählt!”
“Der Rabe behauptet immer, alles zu wissen, aber in Wahrheit hat er doch keines von beiden jemals gesehen!”, erwidert die Rechte.
Mit einem sehnsüchtigen Seufzen legt Kira das Bild neben sich auf den Felsen und schaut über ihre baumelnden Beine hinweg in die Höhle hinab. Diese beherbergt einen winzigen See, auf dessen Oberfläche sich nicht das kleinste Kräuseln bildet. Von dort blicken ihr drei Mädchen entgegen, die einander gleichen, wie ein Ei dem Anderen, lediglich in den Farben ihrer Augen, Haare und Kleider unterscheiden sie sich voneinander: Während die Mittlere moosgrün schimmert, glitzern ihre Nachbarinnen goldgelb. Kira beachtet die Spiegelung kaum, stattdessen starrt sie in die Tiefe im Versuch, einen Blick auf die andere Seite zu erhaschen.
“Ich verstehe nicht, warum ich jeden Tag hierher kommen muss”, sagt Kiras Rechte. “Stundenlang starre ich auf diesen blauen Spiegel und doch tut sich nichts!”
“Aber irgendwann müssen die Gnome ja wiederkommen”, erwidert die Linke. “Wie soll ich denn sonst jemals all die fremden Welten entdecken?”
“Vielleicht bin ich ja nicht dazu bestimmt”, sinniert die Rechte. “Möglicherweise ist es mein Schicksal, wie Vater ein langweiliges Feenleben zu führen.”
Die Mädchen zucken wie ein Wesen zusammen, als sich vom Waldrand hinter ihnen eine gedehnte Stimme zu Wort meldet: “Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, was an einem bodenständigen Feenleben schlecht sein soll.”
Als Kira sich umdreht, ist ihr alle Farbe aus dem Gesicht gewichen.
“Va-ater …”
Drei Männlein in mausgrauen Anzügen ziehen die Augen zu Schlitzen. “Vielleicht könntest du dich besser mit einem gesitteten Feenleben anfreunden, wenn du nicht länger vorgeben würdest, ein Mensch zu sein.”
“Aber…”
“Das ist nicht natürlich”, erklärt der Mann, wobei er jedes Wort mit einer ausholenden Bewegung seines Zeigefingers unterstreicht. “Du bist eine Vogelfee und solltest dich auch so verhalten!”
Bibberte Kiras Unterlippe eben noch ängstlich, so bebt sie nun vor Zorn. “Ich kann sein, was immer ich will!”, schreit sie ihrem Vater entgegen. “Ist das nicht das Schöne daran, Fee zu sein?”
Kiras Vater schüttelt traurig den Kopf, aber es liegt keine Sänfte in seiner Stimme, als er antwortet: “Glaubst du wahrhaftig, die Menschen würden dich akzeptieren, nur weil du ihre Gestalt annimmst?”
Als Kira nichts erwidert, wendet er sich zum Gehen. “Die Sonne geht bald unter. Vergiss nicht, zur Versammlung zu Hause zu sein.”
Mit glänzenden Augen schaut sie ihrem Vater hinterher, bis er sich in drei flauschige Zwergeulen verwandelt, die mit geschwinden Flügelschlägen im Dickicht des Waldes verschwinden. Kira denkt nicht daran, rechtzeitig zu Hause zu sein. Nicht heute. Sie hat es so satt, immer gesagt zu bekommen, wie sie zu sein hat und was sie zu tun hat.
“Ich hab’ noch nie verstanden, warum ich zur Ratsversammlung am Stamm sein muss, wenn ich doch sowieso kein Mitspracherecht habe!”, klagt die Rechte.
“Vater will, dass ich dabei etwas lerne”, belehrt sie die Linke.
“Vater will mich doch immer nur einschränken! Wenn die Gnome endlich zurückkehren, wird er mir bestimmt nicht erlauben, mit ihnen zu gehen.” Der Rechten steigen Tränen in die Augen, während sie dramatisch mit den Armen wedelt. “Lieber würde er mich für alle Ewigkeit an den Stamm ketten!”
Kira sitzt noch lange Zeit auf ihrem Felsen am Rande der Brunnenhöhle, den Blick ins Leere gerichtet. Nicht einmal das zauberhafte Spiel von Licht und Schatten auf dem Wasser, das ihr sonst immer Trost zu spenden vermag, kann sie erheitern. Ebenso wenig gelingt es der Abendsonne, die den Himmel orange färbt und den Brunnen in einen goldenen Spiegel verwandelt, sie von der Melancholie zu befreien.

“Es ist nun wirklich höchste Zeit nach Hause zu gehen!”, hört Kira von ihrer Linken und muss ihr zustimmen. Ihr Vater ist jetzt wahrscheinlich schon furchtbar wütend und sie hat keine Lust schon wieder Nestarrest zu bekommen. Sie zieht ihre Beine an ihren schmalen Körper und schließt die Augen, bereit zur Verwandlung.
“Seit wann sind Feen denn Kinder solcher Traurigkeit?”, reißt sie eine dunkle, feigensüße Stimme aus ihrer selbstgebauten Welt aus Kummer, Fernweh und Selbstmitleid.
Gnome!, denkt Kira aufgeregt. Sie sind zurückgekommen! Ihr Herz macht einen Satz. Die Gnome, wenn sie sie nur lieb genug bittet, würden ihr sicherlich erlauben mit ihnen zu kommen, fremde Welten zu entdecken, waschechte Menschen kennenzulernen! Rasch schlägt sie die Äuglein auf, ein breites Grinsen im Gesicht, und hält nach der Sprecherin Ausschau.
“Wo bist du, Gnomin?”, ruft Kira ins Dunkel. “Ich kann dich nicht sehen!”
“Sieh aufs Wasser, Kind!”, fordert sie die Stimme auf, bei deren Klang sich - trotz der Zartheit - Kiras Nackenhaare aufstellen.
Als Kiras Blick die Wasseroberfläche erreicht, entweicht ihr ein Keuchen. “Du bist keine Gnomin, sondern ein Mensch!”
Der Brunnen reflektiert nun nicht länger den goldenen Schein der Sonne, sondern scheint vielmehr vom Grund aus zu leuchten. Knapp unterhalb der Oberfläche schwimmt das Gesicht einer zauberhaft schönen Frau: Die Haut so weiß wie die Flusssteine, die Kira so gerne sammelt, die Lippen so rot wie Beerensaft und die lockigen Haare so schwarz wie die sternenlose Nacht. Als sich ihr Mund jedoch zu einem Lächeln öffnen, offenbart er spitze Fangzähne.
Kira schreit auf und krabbelt vom Felsen runter, weg von der unheimlichen Erscheinung. Das boshafte Lachen aus der Höhle droht, ihre Knochen in Pudding zu verwandeln.
“Wo willst du hin, mein Kind?”, fragt die Fremde. “Du brauchst mich nicht fürchten. In Wirklichkeit bin ich überhaupt nicht hier.”
Rätselhafte Projektion im Wasser, fiese Zähne ... “Du bist die Hexe!”, kombiniert Kira.
Die benachbarten Feenkinder haben ihr viele Geschichten über die Hexe erzählt, die ihr Heim nicht verlassen kann. Manche Kinder sind sogar so dreist, Mutproben zu veranstalten: Wer traut sich am nächsten an das Hexenhaus heran? Kira hat gehört, dass sich einst ein besonders leichtsinniger Junge in das Haus hineinschlich und von dort nie mehr zurückkehrte. An jenem Abend beruhigte sie ihr Vater, versicherte ihr, dass es sich nur um eine erfundene Geschichte der anderen Kinder handle, um ihr Angst einzujagen. Nicht dass es nötig gewesen wäre, sie hätte sich ohnehin niemals in die Nähe der Hexe gewagt. Immerhin weiß jedes Kind, dass einen eine Hexe mit einem Schnippen ihrer Finger in einen Käfer verwandeln, oder die Flügel am Körper festwachsen lassen kann. Mit Hexen ist nicht zu spaßen, weshalb sie jetzt so schnell wie möglich verschwinden sollte.
“Ich kann dir geben, was dein Klan dir verwehrt”, säuselt die Hexe. “Ich kann dir die Freiheit schenken, an jeden erdenklichen Ort zu reisen.”
Kira stockt einen Moment.
“Warum zögere ich? Je früher ich fort bin, desto besser!”, mahnt Kiras Linke.
“Vielleicht ist das meine einzige Möglichkeit, jemals von hier fortzukommen! Ich kann mir zumindest anhören, was die Hexe zu sagen hat”, flüstert die Rechte.
“Hexen haben aus Prinzip nie Gutes im Sinn! Sie sind böse und gemein, es wäre Wahnsinn ihren Worten zu lauschen!”, betont die Linke.
Die Hexe lacht erneut, amüsiert von Kiras Zwiespalt. “Alles, was ich mir von dir wünsche, ist ein Gegenstand, der mir einst von einem der Deinen gestohlen wurde. Ein grüner Edelstein - ein Smaragd - in einer silbernen Einfassung. Wenn du mir diesen Dienst erweist, erfülle ich dir deinen Herzenswunsch, das schwöre ich.”
“Das kaufe ich ihr nicht ab”, sagt die Linke.
“Hexen müssen ihre Versprechen halten, das weiß doch jeder”, entgegnet die Rechte.
Kira kaut auf ihrer Unterlippe herum. Sie ahnt, von welchem Stein die Hexe spricht. Der Adler, ihr Klanvorstand, hütet ihn in seinem Horst. Als Kira jünger war, lugte sie - wie es jedes Kind irgendwann einmal tut - in einem unbeobachteten Moment durch eines der Fenster. Den Stein anzufassen, ist verboten, aber niemand erklärt jemals wieso, und wie es ein Rätsel verlangt, haben die Kinder allerhand abenteuerliche Theorien entwickelt. Manche vermuten, er mache unsichtbar, andere meinen, er verleihe Zauberkräfte, Kira gefiel es stets, zu glauben, es handle sich um einen Portalstein. Aber selbst wenn sie nicht weiß, was der Stein nun wirklich bewirkt, weiß sie doch eines mit Gewissheit: Die Hexe darf ihn auf keinen Fall in die Hände bekommen. Ohne eine weitere Sekunde zu zögern, schließt Kira die Augen und stellt sich die Berührung des Windes unter ihren Flügeln vor, bis drei Kolibris summend in der Luft schweben, wo vorher noch die Mädchen standen. Lediglich das Porträt der Menschenfrau bleibt von der Verwandlung unbetroffen und segelt wie ein Blatt im Wind zu Boden. Geschwind taucht Kira hinab und ergreift das Bild ihrer einzigen Freundin mit ihrem langen Schnabel.
“Denk über mein Angebot nach, Feenkind!”, hört Kira die Hexe sagen, während sie auf die üppigen Baumreihen zufliegt. “Ich werde es dir kein zweites Mal unterbreiten!”

Als Kira den Stamm erreicht, tagt der Rat bereits. Das erkennt Kira an all den winzigen, schimmernden Lichtern, die die Spitze des Stammes, ihres Heimatbaums, umschwirren. Wenn der Rat zusammenkommt, sind alle übrigen Feen verpflichtet, als Glühwürmchen für Beleuchtung zu sorgen. Ihr Vater würde unter ihnen sein, das erleichtert Kira ungemein, denn so bleibt ihr zumindest noch eine kurze Schonfrist.
Zielstrebig fliegt Kira auf ihr Nest zu: Eine Kugel aus rot gefärbtem, kunstvoll geflochtenem Stroh, die inmitten einer Vielzahl anderer farbenfroher Nester von einem dicken Ast baumelt. Sie wohnt im am dichtesten besiedelten Teil des Baumes, in dem normalerweise reges Gezwitscher herrscht. Da aber alle Erwachsenen in der einen oder anderen Form an der Ratssitzung teilnehmen, spähen jetzt nur die Kinder aus ihren Fenstern oder sitzen beisammen auf den weit verzweigten Ästen. Kira ist schon fast zu Hause, als sich je drei Zaunkönige, Rotkehlen und Sperlinge vom Dach eines riesigen Nests schwingen.
“He, Kira!”, zwitschert ein Sperling im Sturzflug. “Was hast’n da im Schnabel?”
Kira gibt vor, ihn nicht gehört zu haben.
“Das ist das Bild der Menschenfrau, das sie unter ihrem Bett versteckt”, klärt ihn ein Rotkehlchen auf. “Ich glaube, sie ist in sie verliebt!”
“Du meinst, Kira steht nicht nur auf Mädchen, sondern auf Menschenmädchen?”, fragt der Sperling zurück.
Kira würde ihnen zu gerne sagen, dass keins von beidem der Fall sei und dass es sie auch nichts anginge, wenn es denn so wäre, aber ihr steckt ja das Bild im Schnabel und sie will nicht riskieren, es zu verlieren. Stattdessen versucht sie, eine Art Schnauben von sich zu geben, was sich in Menschengestalt aber viel leichter gestaltet, als in der eines Vogels.
“Vielleicht denkt sie aber auch, sie wäre ihre Mutter. Das würde erklären, warum sie lieber Mensch als Vogel ist. Sie sollte sich mal mit einem Psychovogel unterhalten”, schlägt ein Zaunkönig vor.
Kira beschließt, die Störenfriede zu ignorieren, und schwebt schnurstracks an ihnen vorbei. Das wollen die sich jedoch nicht bieten lassen und beginnen sie rechts wie links, oben wie unten zu umkreisen und drängen sie, ihnen ihr geliebtes Porträt zu zeigen. Kira aber hat die Nase sowas von voll. Sie will nicht mehr wie eine Aussätzige behandelt zu werden, hat genug davon, dass sich alle über sie lustig machen. Sie lässt all ihrer angestauten Wut und all ihrem unterdrückten Frust freien Lauf und holt tief Luft. Sie spannt ihren Körper an, wie ein Falke im Sturzflug, reckt ihren Kopf nach vorne und fliegt, so schnell sie ihre winzigen Flügel tragen, direkt auf die anderen zu. Die halten erstmal perplex inne. So haben sie Kira noch nie erlebt. Als sie jedoch weiterhin auf sie zugerast kommt und keine Anstalten macht, auch nur das kleinste Bisschen abzubremsen, hasten sie aus dem Weg. Bis auf den Zaunkönig, der stattdessen nach Kiras Bild schnappt. In Kiras Verstand flammt Panik auf, als sie begreift, was das bedeutet und sie stemmt ihre Flügel gegen den Wind, aber es ist bereits zu spät. Sie segelt am Zaunkönig vorbei, begleitet vom Geräusch reißenden Papiers.
Als sie zum Stillstand kommt, steckt ihr nur mehr eine Hälfte ihres Bildes im Schnabel. Die Augen des Mädchens strahlen ihr noch entgegen, aber vom Lächeln ist nichts mehr zu sehen. In Kiras Herzen breitet sich eine dumpfe Leere aus, die im nächsten Moment schon mit tiefer Traurigkeit zugeschüttet wird. Wäre Kira ein Mensch, würde sie weinen, so aber starrt sie nur auf das Überbleibsel ihres liebsten Besitzes, ihrer einzigen Verbindung zu all den Welten dort draußen, ihr einziger Trost. Wem soll sie sonst ihren Kummer und ihre Träume anvertrauen?
Der Zaunkönig dagegen strahlt triumphierend - zumindest bis er die erschrockenen Blicke seiner Komplizen registriert und ihm dämmert, dass er zu weit gegangen ist. “H-hör zu, Kira, es t-tut mir Leid”, stottert er, aber Kira achtet nicht auf ihn und fliegt mit hängendem Kopf nach Hause.
Sie versteckt sich sofort in ihrem Zimmer, das durch einen bunten Blütenvorhang vom schlichten Wohnbereich abgetrennt ist. Dort stürzt sie sich auf ihr Bett aus flauschigen Moos und piepst herzzerreißend schrill vor sich hin, bis ihr die Kraft ausgeht. Womöglich hat ihr Vater ja doch Recht. Vielleicht sollte sie aufhören, von einem anderen, aufregenderen Leben zu träumen und stattdessen versuchen innerhalb des Klans ihren Platz zu finden.
„Da kann ich mich genausogut gleich ertränken“, sagt die Rechte. „Da wäre es ja noch besser, der Hexe eine Chance zu geben.“
Das Bett bebt, als sie Linke energisch den Kopf schüttelt. „Was für eine abgrundtief dumme Idee!“
„Warum muss ich immer das tun, was alle anderen für richtig halten? Die interessieren sich doch nicht einmal für mich!“, erwidert die Rechte.
Die Entscheidung ist gefällt. Bevor sie es sich anders überlegen kann, springt Kira aus dem Bett, versteckt den Überrest ihres Bildes an der gewohnten Stelle und verlässt das Nest.
Zu ihrem Glück diskutieren die Erwachsenen noch immer, sodass niemand bemerkt, wie drei Kolibris zum Nachbarbaum hinüber gleiten und seinen Stamm entlang in die Höhe schweben. Je näher Kira den glühenden Lichtern kommt, desto besorgter ist sie, dass jemand das Surren ihrer Flügelschläge, oder das Pochen ihres wild schlagenden Herzens, hören könnte. Ihre Sorge stellt sich aber als unbegründet heraus. Sie hört die Feen hitzig und lautstark über Zulassung oder Verbot von Reihennestern streiten. Unbemerkt steuert sie, über die Köpfe der Feen hinweg, auf die Spitze des Stammes zu.
Von allen Nestern findet Kira den Adlerhorst schon seit jeher am beeindruckendsten. Nicht nur, wegen der eindrucksvollen Lage, die einem das Gefühl gibt, den ganzen Wald überblicken zu können, sondern vor allem wegen der erstaunlichen Größe. Wie ein gigantischer Ring zieht er sich um den Baumwipfel, von mehreren Stützpfeilern getragen. Die Decke ziert ein Kranz aus dornigen Rosen und unregelmäßig versetzte, runde Öffnungen durchlöchern die Außenwand. Tagsüber tauchen die Strahlen der Sonne die Behausung in Licht und Wärme, nun aber sind die blätternen Vorhänge zugezogen.
Obwohl sie weiß, dass niemand zu Hause sein kann - der Adler und seine Frau haben keine Kinder - kitzelt es Kira unter den Federn, als sie durch den Blättervorhang hindurch fliegt. Als dieser hinter ihr zufällt, sperrt er damit das Licht der Sterne über ihr, sowie den Schein der Feen unter ihr aus. Bloß durch die feinen Löcher der geflochtenen Fenstervorhänge dringt noch ein bisschen Helligkeit herein. Kira denkt kurz darüber nach, sich selbst in Glühwürmchen zu verwandeln, um ein wenig Licht ins Dunkel zu bringen, aber was, wenn sie jemand durch eines der Fenster leuchten sieht? Nein, sie kommt nicht umhin, den Smaragd im Dunkeln zu suchen. Vorsichtig springt sie durch den Horst, darauf bedacht keines der verstreuen Schmuckstücke versehentlich anzurempeln. Anhand all des funkelnden Krimskrams würde jedem Fremden klar werden, dass des Adlers Frau eine Elster sein muss. Das meiste davon muss aus einer Zeit stammen, zu der der Weg zu den anderen Welten noch offen lag, denkt sich Kira.
Abgelenkt von dem ganzen Geglitzer, hüpft Kira beinahe an dem daumennagelgroßen Smaragd vorbei, der inmitten einer Sammlung bunter Edelsteine auf einem Vorsprung liegt.
„Noch kann ich es mir anders überlegen! Wenn ich jetzt nach Hause zurückkehre, wird niemand wissen, was ich beinahe getan hätte!“, fleht die Linke.
„Und ich werde nie erfahren, was für Abenteuer mir entgehen!“, fügt die Rechte dazu.
Kira versucht, den Stein mit ihrem Schnabel zu fassen zu bekommen, aber er passt beim besten Willen nicht hinein. Auch ihre Krallen sind zu klein, um den Smaragd zu tragen. Fieberhaft überlegt sie, wie sie diesen viel zu großen Stein jemals zur Hexe bringen soll, als die Feen plötzlich wild durcheinander schnattern. Das kann nur eines bedeuten: Die Sitzung ist beendet.
Jetzt sitze ich in der Klemme, denkt sich Kira, aber dann fällt ihr Blick auf die goldene Kette, die als Vorhangstange dient. Das ist die Idee! Blitzschnell reißt Kira den geflochtenen Vorhang ab und löst die feingliedrige Kette von der Verankerung. Mit der Kette im Schnabel springt sie zurück zum Vorsprung, fädelt die feinen Glieder durch die schmale Öse der silbernen Fassung und ergreift die Kette an beiden Enden. Im nächsten Moment schwingt sie sich auch schon aus dem Fenster und flüchtet in die Nacht.

“Habe ich schon erwähnt, was ich von der Idee halte, der Hexe ihren Edelstein zu bringen?”
Kira seufzt schwer. Ihre Linke hat Recht, die Idee ist irre, aber jetzt gibt es kein Zurück mehr. Wie soll sie denn ihrem Vater, dem Adler oder gar dem ganzen Rat erklären, warum sie den Smaragd gestohlen hat? Wie sehr würden sie die Kinder dann erst hänseln?
Entschlossen setzt sie einen Fuß vor den Anderen. Sie weiß selbst nicht genau, warum sie ihre menschliche Gestalt angenommen hat, sobald sie den Stamm hinter sich gelassen hat. Vielleicht um Zeit zu schinden, oder womöglich, weil sie sich als Mensch sicherer fühlt. Weniger zerbrechlich.
“Ich bezweifle, dass das für die Hexe einen großen Unterschied macht”, merkt ihre Linke an.
Als sie ein Dickicht aus Büschen umrundet, findet sie sich vor einer Lichtung wieder, in deren Zentrum ein tiefschwarzes, rundes Türmchen steht. Es ist so schwarz, dass es sich nur durch seine noch finstere Dunkelheit vom Nachthimmel abhebt. Von dessen Fensterrahmen und Torbögen strahlen goldene, ineinander verschlungene Symbole in einem sanften Licht. Obwohl sie durch die Öffnungen ins Innere schauen kann, vermag sie nichts zu erkennen. Egal, was sie erblickt, es verschwimmt im selben Augenblick vor ihren Augen. Als ihr davon schon ganz schwindlig im Kopf wird, betrachtet sie stattdessen den Garten, oder besser gesagt: Was von ihm übrig ist. Das Holz des Zauns ist so morsch, dass sich die Sträucher einen Weg hindurch gewachsen haben und große Teile davon sind von Moos überwachsen. Was einst ein gepflegter Kräutergarten gewesen sein wird, ist nun von einem Gewirr aus Unkraut bedeckt und dass es früher einen Weg vom Gartentor zur Haustür gegeben haben muss, ist nur noch mit gutem Willen zu erkennen. Das bedeutet wohl, dass die Hexe wirklich an den Turm gebunden ist, denkt sich Kira, sonst hätte sie den Garten nicht so verkommen lassen.
Kiras Schritte sind das einzige Geräusch, das die Nacht durchdringt. Nicht einmal der Wind wagt es, durch den Garten der Hexe zu blasen. Am Gartentor angekommen, bleibt Kira kurz stehen und lauscht in die Stille, bevor sie das Tor aufschiebt. Das Quietschen der Scharniere jagt ihr eine Gänsehaut ein. Obwohl Kira das Herz nun bis zum Hals schlägt, geht sie weiter, bis sie so dicht vor dem Eingang steht, dass ihre Nase an die Tür gestoßen wäre, wenn es denn eine gäbe.
Mit einem Ruck nimmt sie ihren ganzen Mut zusammen und betritt mit weit geöffneten Augen das Hexenhaus - und blinzelt überrascht. Sie weiß nicht, was sie erwartet hatte, aber sicher nicht das verblichene Blumenmuster an den Wänden, noch den elfenhaften Springbrunnen in der Mitte des Zimmers, geschweige denn die kuscheligen Sitzmöbeln ringsherum. Das Feuer, das im Kamin prasselt, spendet nicht nur Wärme, sondern taucht den Raum sogar in ein heimeliges Licht. Vielleicht ist die Hexe ja gar nicht so übel, wie immer alle sagen, denkt sich Kira. Ihr Blick wandert von einem Bild eines Mannes, dessen Gesichtszüge sich stetig ändern, über einen goldenen Pfeil, der frei in der Luft zu schweben scheint, hin zu einem silbernen Handspiegel mit eingravierten Sternen, der statt die Stube zu reflektieren, einen pompösen Speisesaal mit einer langen, wenn auch leeren, Tafel zeigt.
Kira macht einen zaghaften Schritt in die Mitte des Raums, als eine Bewegung aus dem Augenwinkel ihre Aufmerksamkeit erregt. Auf dem Fensterbrett, inmitten eines Sammelsuriums unterschiedlichster Vasen und Schalen, steht eine Kristallkugel. Innerhalb dieser Kugel fliegen drei gescheckte Miniaturhabichte gegen einen Luftzug, den es dort drinnen gar nicht geben dürfte. Alle drei weisen exakt dieselbe Musterung auf, nur einer hebt sich durch einen etwas helleren Braunton ab. Kira schaudert. Das muss der vermisste Junge aus der Geschichte sein! Also haben ihr die Feenkinder doch die Wahrheit erzählt! Der Vogel öffnet den Schnabel zum Schrei, aber nicht der geringste Laut erreicht Kiras Ohr. Dafür hört sie die Schritte hinter ihr umso deutlicher.
Und eben dachte ich noch, die Hexe könnte eigentlich ganz in Ordnung sein, geht es Kira durch den Kopf. Plötzlich erscheint ihr die Idee, einen Handel mit der Hexe zu schließen noch blöder, als in all ihren geistig klaren Momenten zuvor zusammengenommen. Was soll die Hexe davon abhalten, sie neben dem Jungen auf der Fensterbank auszustellen, in einer passenden Partnerkugel sozusagen? Genau genommen hat die Hexe mit keinem Wort erwähnt, wann sie Kira ihren Herzenswunsch erfülle. Zwischen ihr und ihrer ersehnten Freiheit könnten gut und gerne tausend Jahre Kreise fliegen liegen. Bei der Vorstellung durchläuft Kira ein Schaudern von Kopf bis Fuß. Kira steht noch immer wie angewurzelt an Ort und Stelle, als eine flaumweiche Stimme sich hörbar räuspert.
“Du bist klüger, als ich dir zugetraut hätte. Die meisten deiner Art, hätten sich diese einmalige Gelegenheit zweifelsohne entgehen lassen. Sie können ja so stur sein, die Feen, und genauso dumm.”
Kira zwingt ihre Füße, sie umzudrehen, sodass sie der Hexe ins Gesicht sehen kann, und bereut es sofort. Die Augen der Hexe strahlen so giftig wie Fliegenpilze und ihre Zähne jagen ihr eine Heidenangst ein. Trotzdem - oder vielleicht gerade deswegen - ringt sie sich dazu durch, dem schneidenden Blick standzuhalten. Wenn sie jetzt Schwäche zeigt, hat sie verloren, das weiß sie instinktiv. Mutig hebt sie das Kinn und verkündet: “Ich bin nicht, wie die anderen Feen.”
Die Grübchen die sich beim Lachen der Hexe bilden, würden auf einem anderen Gesicht herzlich wirken, auf dem ihren tragen sie jedoch nur zum ohnehin schon verstörenden Anblick bei. “Dann bringst du mir also meinen Smaragd?”
“Falls du mir im Gegenzug auf der Stelle einen Wunsch erfüllst”, erwidert Kira, wobei sie ihr Bestes gibt, das Zittern in ihrer Stimme zu unterdrücken.
“Sobald ich ihn in meinen Händen halte.”
Kaum dass Kira in die Tasche ihres Kleides greift, ertönt ein lautes ‚klonk‘ schräg hinter ihr. Der Habicht muss gegen die Kristallwand geknallt sein! Sofort dreht Kira sich zur Kugel, sodass sie gerade noch beobachten kann, wie die Vögel von einem Luftstoß zurück ins Zentrum geblasen werden. Sie schlagen nun deutlich schneller mit den Flügeln. Als sie Kiras Blick bemerken, schütteln sie hektisch ihre Köpfe.
Nun ja, denkt sich Kira, es ist ja nicht so, dass sie noch groß eine Wahl hätte. Sie könnte niemals rechtzeitig fliehen, dafür ist die Hexe viel zu nah und so gierig, wie sie auf ihre Tasche starrt, würde sie ihr den Stein sowieso jeden Moment entreißen. Während ihr ihre Rechte zuflüstert, dass sie es endlich hinter sich bringen soll, fleht sie ihre Linke an, nicht so egoistisch zu sein und an den Jungen zu denken, der seit, wer weiß wie langer Zeit, eingesperrt in der winzigen Kristallkugel lebt.
“Wo ich hingehe, kann mich niemand verurteilen, niemand wird wissen, was ich getan habe!”, zischt ihre Rechte.
“Nur ich, ich werde mich jeden Tag meines restliches Lebens daran erinnern und mir Vorwürfe machen!”, erwidert die Linke.
Während Kira noch mit sich selbst hadert, streckt ihr die Hexe auffordernd die Hand entgegen, an deren Fingern sich monströse Krallen befinden, und knurrt: “Worauf wartest du?”
Kiras Arm zittert, als sie den Edelstein umfasst und ihn über die Handfläche der Hexe hält. “Ich wünsche mir, dass du den Jungen und mich unbeschadet und frei ziehen lässt”, sprudelt es aus ihr hervor. Daraufhin öffnet sie ihre kurzen Finger.
Die Hexe lacht schrill auf, als der Smaragd auf ihrer Haut aufleuchtet. Dann macht sie eine fahrige Bewegung mit ihrer freien Hand, woraufhin Kira ein Windstoß erfasst, der sie nicht nur aus dem Fenster, sondern weit über Wald und Hügel befördert.
Unsanft landet sie auf einer Wiese, wo sie sich sogleich auf ihre Knie setzt und nach den Habichten Ausschau hält. Statt der Vögel entdeckt sie drei hochgewachsene Burschen mit kantigen Gesichtern, die mit zu Fäusten geballten Händen auf sie zu stapfen.
“Hast du den Verstand verloren?!”, ruft der Mittlere, noch bevor er sie erreicht hat.
Kira hebt ihr Kinn an und funkelt zurück. Da schenkt sie ihm die Freiheit und er erdreistet sich, sie anzufauchen? Sie hätte sich alles wünschen können, aber entschied sich stattdessen, ihm das Leben zu retten, und so zeigt er sich erkenntlich? “Ein Danke hätte auch gereicht.”
Er kommt vor ihr zu stehen und starrt mit zusammengekniffenen Augen auf sie herab. “Ist dir überhaupt klar, was du soeben angerichtet hast?”
Betont lässig wirft Kira ihre Haare in den Nacken. “Ich habe dich gerettet, wenn ich mich richtig erinnere.”
“Du hast der Hexe ihren Anker gebracht!”, schreit er. Er ist leicht rot an den Wangen und eine Ader pocht an seiner Schläfe. Als ihn Kira nur anschaut, wie eine Makrele, die man auffordert, einen Baum zu erklimmen, erklärt er: “Hexen beziehen ihre magische Energie aus einem Anker. Ohne den sind sie praktisch machtlos.”
“Sie hat dich in eine Kristallkugel gesperrt und sich selbst in den Brunnen projiziert, das nenne ich nicht gerade machtlos”, antwortet Kira.
“Sie hat mich genau genommen nicht aktiv eingesperrt”, sagt der Junge, wobei sein Gesicht einen kräftigeren Rotton annimmt. “Der Schutzzauber gegen Eindringlinge war schon vorher da. Sobald ich einen Fuß über sie Schwelle gesetzt hatte, umschloss mich eine riesige Blase, die dann schrumpfte - und mich mit ihr. Als ich versuchte zu entkommen, musste ich feststellen, dass die Wand steinhart geworden war. Hätte ich die Falle damals nicht schon ausgelöst, wärst du an meiner Stelle in die Kugel gewandert. Und was die Projektion angeht: Wenn die Sonne auf- oder untergeht, liegt dafür genug magische Energie in der Luft.” Er betrachtet Kira nun etwas sanfter. “Du weißt nicht besonders viel über Magie, nicht wahr?”
Kira schüttelt den Kopf.
Seufzend setzen sich die Jungen neben Kira ins feuchte Gras. “Du hast sie befreit.”
“Was? Wen habe ich befreit?”
“Na, die Hexe. Sie war durch einen Bann an ihr Heim gebunden, aber mit dem Anker kann sie kein Bann mehr halten”, erklärt der Junge, während er Grashalme zwischen den Fingern rollt. “Wahrscheinlich ist sie gerade dabei, Rache zu üben.”
Kira spürt, wie das Herz in ihrer Brust an Fahrt aufnimmt. Ihr Mund ist trocken, als sie fragt: “Rache? An wem?”
Die honigbraunen Augen des Jungen lösen sich von den grünen Halmen und blicken stattdessen in die ihren. “An den Feen natürlich und an unserem Klan im Insbesonderen.”
Das Blut rauscht so laut in ihrem Kopf, dass sie sich nicht sicher ist, ob sie den Jungen richtig verstanden hat. Das darf nicht sein. Kira denkt an ihren Vater, an den Adler, den Raben, die Elster und sogar an die Kinder, die sie immer drangsalieren. Würde sich die Hexe auch an ihnen rächen? Sie haben ihr nichts getan! Obwohl sie die leise Stimme zu unterdrücken versucht, ist ihr insgeheim bewusst, dass die Hexe alle Feen für ihr Schicksal verantwortlich machen wird. Immerhin haben sie ihr all die Jahre ihren Anker vorenthalten. Ihr steigen Tränen in die Augen, die sie hastig wegblinzelt. Sie will nicht, dass der Junge sie weinen sieht.
“Das einzig Gute ist”, hört sie ihn sagen, “dass wir beide wohl sicher sein dürften. Immerhin hast du sie befreit und ich habe schon genug gebüßt.” Er lässt die Grashalme fallen und lehnt sich zurück auf die Ellbogen. “Was wolltest du eigentlich von der Hexe? Du bist doch bestimmt nicht gekommen, um mich zu befreien?”
Kira spürt, wie ihr Gesicht heiß anläuft und wünscht sich halbherzig ihre Vogelgestalt herbei, die wäre nicht so verräterisch! “Ich wollte reisen. Fremde Welten entdecken.”
Der Junge hebt die Augenbrauen. “Und warum hast du dir das nicht gewünscht, als du die Gelegenheit hattest?”
“Ich konnte dich doch nicht zurücklassen.”
“Du hättest uns beide fortwünschen können.”
“Ich weiß nichts über fremde Welten”, gesteht Kira. “Und als ich dich dort in der Kugel fliegen sah, da musste ich befürchten, dass uns die Hexe in einem tiefen Ozean oder inmitten eines Raubtierbaus ausgesetzt hätte. Oder vor der Nase eines dieser Halbwesen, halb Löwe, halb Pfau, die einen auffressen, wenn man es nicht schafft, ihre Rätsel zu lösen.”
Da lacht der Junge und Kira lacht mit ihm, allerdings nur, bis sie sich an ihren Vater erinnert und an die missliche Lage, in die sie ihn, sowie alle anderen Feen, befördert hat. Plötzlich verstummt, richtet sie sich auf und streift sich die Grashalme vom Kleid. “Komm, wir haben keine Zeit zu verlieren.”
Der Junge starrt sie an. “Warum?”
“Wir müssen den Klan retten, die Hexe aufhalten!”
Jetzt kringelt sich der Junge vor Lachen. “Ich habe schon eine Ewigkeit im Hexenhaus verbracht, ich habe nicht die geringste Lust, nochmal da rein zu gehen.”
“Mir verdankst du deine Freiheit, du schuldest mir also etwas”, sagt Kira. “Und jetzt brauche ich dich, denn ich weiß nichts über die Hexe, du aber sehr wohl.”
Als der Junge nicht reagiert, stakst Kira von dannen. “Dann muss ich die Hexe wohl alleine aufhalten!”, ruft sie, wobei sie, ehrlich gesagt, nicht die spärlichste Ahnung hat, wie sie das anstellen soll.
“Warte!”, vernimmt sie hinter sich. “Ich habe da eine Idee!”

“Selbst die Wurmfeen schmieden bessere Pläne als dieser Habicht”, hört Kira ihre Rechte zwitschern, während sie auf einen Zweig am Rande der Lichtung das Hexenhauses beobachtet. “Und die besitzen bekanntlich nicht einmal ein Hirn!”
“Jetzt wäre der richtige Zeitpunkt für einen glorreichen Einfall in letzter Minute”, piepst es links von ihr. “Ich habe keinen? Dann brauche ich auch nicht jammern. Ich bin an dieser ganzen Misere schließlich Schuld.”
“Könntet ihr beide endlich mal die Klappe halten?”, entschlüpft es Kira, obwohl sie genau weiß, wie sinnlos die Bitte ist.
Als die beiden tatsächlich verstummen, schaut Kira verwundert auf und entdeckt den Habicht an einem Fensterbrett sitzen. Er deutet ihr zu kommen. Die Hexe ist also noch nicht wieder zu Hause. Nach einem kurzen Blick nach links, wie rechts, stößt sich Kira von ihrem Zweiglein ab und fliegt geschwind hinüber, an der anderen Fee vorbei und durch das Fenster hindurch.
Sie befindet sich wieder in dem Empfangszimmer mit den blassroten Blumen an den Wänden und dem filigranen Springbrunnen in der Mitte. Sie gewährt sich einen Moment, um die kleinen, geflügelten Elfen zu betrachten, die gleichmäßig im Kreis stehen und aus deren Handflächen Wasser in die Luft sprudelt. Das Wasser ergießt sich in den Krug einer weiteren Elfe, die in der Mitte kniet. Hatte ihr der Brunnen das letzte Mal noch zugesagt, kommt Kira dieses Mal nicht umher, sich zu fragen, ob nicht echte Elfen darin gefangen sind.
Sanfte Windstöße kräftiger Flügelschläge schieben Kira zur Seite, als die Habichte durch den Raum fliegen, um sich auf der Lehne eines gepolsterten Sessels niederzulassen. “Beeindruckend, wie du an Ort und Stelle in der Luft schweben kannst”, pfeift der Hellere der drei. “Das gleicht ja schon beinahe die geringe Größe aus.”
Kira bleibt nun absichtlich noch ein wenig länger in der Luft und sieht sich im Raum nach möglichen Hilfsmitteln um.
Der Junge stößt einen Warnpfiff aus. “Du fasst hier besser nichts an. Du hast keine Ahnung, was du alles auslösen könntest. Siehst du die Blume dort vorne im Eck, die mit dem immensen Kelch? Die könnte dich problemlos am Stück verschlingen. Und die Spieluhr dort drüben im Regal, die mit der Nixe? Ihre Musik könnte dich in den Wahnsinn treiben. Und wenn du das Porträt dort drüben berührst, das mit den sich immerzu ändernden Gesichtszügen, wird dein hübsches Gesicht vielleicht eines davon, verdammt eine Ewigkeit auf diesen trostlosen Raum zu starren.” Den Jungen schaudert bei der Erinnerung, Kira dagegen ist zu verblüfft über das versteckte Kompliment, um den anderen Dingen, die er sagte, weiterzuverarbeiten. Hat er ihr Gesicht eben wirklich hübsch genannt?
“Hörst du mir eigentlich zu?”
Kira plustert verlegen ihre Federn auf. “Ja, ja, immer schön vorsichtig sein und nichts anfassen. Aber ich dachte, wir hätten genau das vor? Etwas finden, das wir gegen die Hexe einsetzen können?”
“Ja, schon, aber keins der magischen Artefakte“, erklärt der Junge. “Wir sehen uns besser in ihrem Kräuterkeller um.”
Als sie sich im Raum umblickt, fällt ihr auf, dass sie keine Treppe erkennen kann. Sie befindet sich in einem Turm, da muss es doch einen Weg hinauf geben! Stattdessen bleibt ihr Blick auf einen eisernen Ring am Boden hängen. “Ich nehme an, es geht da runter?”
Sie wendet sich ihrem Begleiter zu. Wo vorher die Habichte saßen, lümmeln nun drei Menschenjungen auf dem Sessel, einer auf der Rückenlehne, die anderen beiden auf den Armlehnen. Sie rollen demonstrativ mit den Augen und greifen nach dem schweren Eisenring.
Ohne zu zögern, fliegt Kira in den dunklen Keller hinunter und nimmt ihre menschliche Gestalt an. Sogleich durchdringt ein strahlendes Licht das Zimmer, das von einer leuchtenden Glaskugel an der Decke ausgeht. Ein riesiger Kessel auf einer kurzen marmornen Säule beherrscht den länglichen Raum. Davor liegt ein rauer Lederteppich und der Weg ist gesäumt von prall gefüllten Regalen, in denen sich Bücher, Büchsen und Phiolen stapeln. Kira passiert pastellfarbene Puder, schillernde Flüssigkeiten, getrocknete Eingeweide und allerhand eingelegte Dinge, die sie lieber nicht zu identifizieren versucht.
“Schau mal her!”, ruft der Junge. “Hier sind schon jede Menge fertige Pulver und Tinkturen - einige davon sind sogar beschriftet.”
Kira tritt rasch neben ihn, nachdem sein linker Flügelmann ihr den Weg freigibt. “Agavenwurz mit Spinnenaugenextraxt und Engelshaar”, entziffert Kira auf einer gläsernen Puderdose. “Ich weiß nicht, wie uns das weiterhelfen soll.”
“Spinnenaugen”, liest der Junge aus einem staubigen, vergilbtem Buch vor, “können in Kombination mit Agavenwurz erblindend wirken.”
“Und mit dem Engelshaar?”, fragt Kira.
Der Junge zuckt die Achseln. “Steht hier nicht, aber ich bin dafür, dass wir das Pulver trotzdem an der Hexe ausprobieren.”
“Das Engelshaar verwandelt sie dann hoffentlich in keine Superhexe, die einen mit dem bloßen Blick ihrer Augen tot vom Himmel fallen lassen kann”, murmelt Kira.
Sie lässt ihren Blick erneut über den Inhalt der Regale wandern, als ein silberner Tischspiegel ihre Aufmerksamkeit erweckt. Sie erkennt das zarte Sternenmuster auf dem Ständer sofort wieder. Bei ihrem letzten Besuch stand er noch im Eingangszimmer, nur zeigte er da ein anderes Bild. Statt dem leeren Speisesaal, präsentiert er nun einen gepflasterten Platz, umgeben von steinernen Gebäuden und auf diesem Platz, da bewegen sich viele kleine Gestalten in bunten Gewändern hin und her. Menschen. Verzaubert streckt Kira eine Hand nach dem Spiegel aus, aber als ihre Finger die glatte Oberfläche berühren, zwingt sie ein ohrenbetäubender Schrei in die Knie, die Hände auf die Ohren gepresst.
“Diebe!”, hallt es schrill von den Wänden. “Es sind Diebe im Haus!”
Kira schaut sich zu ihrem Begleiter um, dessen Finger in seinen Ohren stecken. Mit einer zackigen Bewegung seiner Iris deutet er nach oben. Er hat Recht, denkt Kira, hier unten sitzen wir in der Falle. Ihr Blick wandert nochmal wie von selbst zu dem Spiegel. Mit einem geistigen Schulterzucken hebt sie ihn auf und steckt ihn in die breite Tasche ihres Kleides. Jetzt ist es immerhin auch schon egal. Ihre Füße tragen sie geschwind zur Falltür und ihre Hände umgreifen die Leiter, wo sie kurz verharrt und blind in das nächststehende Regal greift. Als sich ihre Finger um eine zarte Phiole schließen, klettert sie hinauf. Erst nachdem der Junge die Falltür hinter ihr schließt, untersucht sie, was sie da ergattert hat. Das unbeschriftete Fläschchen enthält eine orangegelbe, zähe Flüssigkeit.
“Wir sollten uns schnellstmöglich in Stellung bringen”, hört sie den Jungen an ihrer Seite zischen. “Sie kann jeden Moment hier sein. Du fliegst auf den Türrahmen und schüttest ihr dieses Pulver über den Kopf, sobald sie einen Schritt über die Schwelle macht. Dann gehst du ihr auf die Augen, während ich ihr den Anker vom Hals reiße.”
Kira nickt und beginnt sich vorzustellen, wie es sich anfühlt, ein Vogel zu sein, als sie sich an den Spiegel in ihrer Tasche erinnert. Den lasse ich ganz bestimmt nicht zurück, denkt sie und schaut zu dem Jungen hinüber, der dabei ist, nach einem geeigneten Versteck zu suchen. Sobald sie sich unbeobachtet wähnt, schleudert sie den Spiegel durch das Fenster. Als daraufhin der Junge zu ihr herumwirbelt und sie fragend ansieht, setzt sie eine unschuldige Miene auf. Sie spürt, wie seine Blicke ihr folgen, während sie die Phiole auf den Kaminsims stellt.
„Beil dich!“, wispert der Junge und streckt Kira das Döschen entgegen, das so dünn ist, dass sie es mit ihren Minikrallen umgreifen kann. Erst nachdem er sich vergewissert hat, dass Kira in Position ist, verwandelt er sich selbst.
Er schafft es gerade noch rechtzeitig, sich hinter einem Blumenstock zu verbergen, als auch schon eine fuchsteufelswilde Hexe durch den Torbogen tritt. Ihre Haare stehen ihr von allen Seiten ab und ihre Augen strahlen, als würden sie von innen beleuchtet.
Sofort stößt Kira die Puderdose vom Rahmen und beobachtet, wie sich die Dose im Fall um sich selbst dreht. Quälend langsam löst sich der Deckel, allerdings fällt dabei nicht ein einziges Körnchen aus der Schale. Als sie aber auf dem Scheitel der Hexe aufprallt und dabei zerbricht, stöbt das Pulver in alle Richtungen davon. Der Blick der Hexe schnellt nach oben und heftet sich auf Kira. Zu spät bemerkt sie die feinen Puderpartikel. Sobald sie ihr in die Augen rieseln, kippen diese schlagartig nach hinten, bis Kira nur noch die weißen Augäpfel entgegen starren.
Kira ist sofort bereit, sich abzustoßen, die Situation auszunutzen, aber ihre Füße wollen ihr nicht gehorchen. Auch ihre Schwingen lassen sich nicht bewegen, sie kann nicht einmal blinzeln! Zu allem Überfluss übermannt sie ein heftiger Schwindel, bis ihr schwarz vor Augen wird. Nur am Rande registriert sie noch, wie ihr Körper träge, aber unaufhörlich nach vorne kippt und in die Leere stürzt.
Gehässiges Gelächter durchdringt Kira vom Scheitel bis zur Schwanzspitze. Ihr Kopf pocht, als würde ein klitzekleines, gemeines Wesen von ihrem Gehirn aus Steine an die Schädeldecke werfen und die leichteste Bewegung ihrer Flügel sendet Feuer durch ihre Adern.
“Du!”, hört sie die Hexe lachend rufen. “Schon von Heimweh geplagt?”
Flatternd öffnet Kira ihre Lider und erblickt die Rückseite zweier riesiger Stiefel. Auf der anderen Seite liegen drei Habichte schlaff am Boden. Ein schrilles Piepsen entweicht aus Kiras Schnabel.
“Keine Angst, er lebt noch”, raunt die Hexe. “Ich habe seine Gesellschaft die letzten Jahrhunderte zu schätzen gelernt.” Ihre Augen funkeln amüsiert. “Für dich hingegen habe ich keine Verwendung.”
Kira sieht die Schwingen des Jungen zucken. Er richtet sich auf! Wenn sie die Hexe nur lange genug ablenken kann, schafft er es vielleicht doch noch zum Stein! Ihr Blick wandert zum Kaminsims. Die Augen der Hexe aber folgen Kiras Blick und blitzen erheitert auf, als sie das Fläschchen entdecken. “Hast du noch nicht hinreichend mit meinen Kreationen experimentiert?”
Kiras Herz macht einen Satz, aber bevor sie auch nur in irgendeiner Weise reagieren kann, schwebt die Flasche wie von Geisterhand getragen zur Hexe, die sie zwischen Daumen und Zeigefinger klemmt. “Willst du wissen, was die hier anstellt?”
Mit einem spöttischen Grinsen erhebt sie die Hand zum Wurf. Im selben Moment stoßen sich die Habichte vom Boden ab und segelt mit mächtigen Flügelschlägen auf die Hexe zu. Die Wurfhand der Hexe schießt vor, als ihr der Habicht in den Zeigefinger beißt. Mit einem spitzen Aufschrei lässt sie die Phiole los, die zu ihren Füßen zerberstet.
Überall, wo das zähe Sekret den Boden berührt, schießen efeuartige Schlingpflanzen hervor und verwandeln das Empfangszimmer in kürzester Zeit in ein Gewächshaus. Sie umwachsen alles, was sie greifen können: Tischbeine, Brunnenelfen, Regalwände. Sie machen auch vor den Beinen der Hexe keinen Halt und schlingen sich bis zur Brust empor, womit sie sie an Ort und Stelle fesseln.
Die Habichte beobachten das Geschehen vom Kaminsims aus und richten die Augen auf die Kehle der Hexe. Sie beugen sich nach vorne, bereit zu einem erneuten Angriff, als die Hand der Hexe mit weit gestreckten Fingern in Kiras Richtung schnellt.
Ein eisiger Luftsog erfasst Kira, dann steckt sie auch schon in der Umklammerung der Hexenfinger. Ein metallischer Duft steigt ihr in die Nase und sie bemerkt, wie das Blut der Hexe ihre Federn tränkt. Die Herzen ihrer beiden Flügelfeen schlagen hart gegen ihre Seite.
Kira beobachtet, wie die Habichte in der Bewegung verharren, unschlüssig, wie sie reagieren sollen. In der Zwischenzeit fährt sich die Hexe mit der Zunge genüsslich über die Zähne. “Nenn mir einen Grund, warum ich ihr nicht sofort ihr kleines Köpflein abbeißen sollte?”
Kira fiepst verzweifelt, was die Hexe mit einem Lachen erwidert.
“Fällt dir keiner ein? Dachte ich mir.”
Erst als die Hexe drohend ihren Mund aufreißt, fängt Kiras Verstand zu arbeiten an. Mit einem raschen Gedanken lässt sie von ihrer Vogelgestalt ab und stellt sich stattdessen vor, wie ihr Hinterteil Licht ins Dunkel bringt.
Während die Hexe noch verwundert auf ihre leere Hand starrt, nutzt der Habicht die Gunst der Stunde. Blitzschnell schließen sich seine scharfen Krallen um den Smaragdanhänger und reißen ihn in kurzerhand von der feinen Kette.
Die Hexe schnippt mit den Fingern - und nichts passiert. Ihres Ankers beraubt versucht sie, den Habicht mit ihren bloßen Händen zu fassen, aber er ist zu schnell. Ihr markerschütternder Schrei jedoch lässt Kira in der Luft taumeln und ihre Leuchtkraft schwinden. Sie verwandelt sich zurück in einen Vogel und muss entsetzt feststellen, dass ihre blutverklebten Flügel sie nicht tragen wollen! Sie stürzt ab!
Sie sieht sich selbst schon hart am Boden aufprallen, als sich starke Klauen um sie schließen und durch die Luft hinaus in die Freiheit tragen.
Zu einer Kugel zusammengekrümmt, kauert Kira in ihrem sicheren Käfig, in fester Erwartung, dass ihnen die Hexe nachsetzen würde. Als sich jedoch nichts tut, öffnet sie vorsichtig ein Auge. Alles, was sie sichtet, sind dunkle Schwingen und das Glitzern der Sterne am Nachthimmel. Sie überkommt sie eine grenzenlose Erleichterung. Sie haben es geschafft! Erschöpft entspannt sie sich in der sanften Umarmung der Krallen, bis sie ein silbernes Funkeln im Gras wahrnimmt: der Spiegel! Sie zwängt sich aus dem Griff des Habichts und gleitet zu Boden. Es ist tatsächlich ihr Spiegel und er ist sogar unbeschadet! Nur ist er viel zu groß, um ihn nach Hause zu bringen… Kira wirft einen Blick gen Himmel und erkennt, wie der Habicht zum Sturzflug ansetzt. Er wird jeden Moment bei ihr sein. Kurzerhand wünscht sie sich ihre Menschengestalt herbei und verstaut den Handspiegel heimlich in ihrer Tasche.
“Was ist los?” Die Haare des Jungen sind vom Wind verwuschelt. “Bist du verletzt?”
Kira schenkt ihm ein zurückhaltendes Lächeln und schüttelt den Kopf. “Alles in Ordnung. Ich möchte nur auf zwei Beinen zurückkehren, um noch etwas Zeit zu schinden. Zu Hause wartet eine Menge Ärger auf mich.”
Der Junge legt den Kopf schief. Kira ist sich nicht sicher, ob er ihre Ausrede glaubt. “Was dagegen, wenn ich dich begleite?”
Kira schüttelt erneut den Kopf. “Natürlich nicht. Wahrscheinlich hast du mir gerade die Federn gerettet.”
Der Junge lächelt. “Dann sind wir ja quitt.”
Er reicht ihr seine Hand und Kira nimmt sie zaghaft entgegen. Gemeinsam spazieren sie nach Hause, aber in einem unbeobachteten Moment späht Kira in ihre Tasche und streichelt hoffnungsvoll über die wuselnden Gestalten.

 

Hallo schneedrache!

Willkommen bei den Wortkriegern.

Eine lange Kurzgeschichte bietest du uns hier. 7500 Wörter. Aber sauber geschrieben. (Was leider längst nicht alle Neuschreiber hier schaffen, oder auch nur für nötig halten.)
Da du die Grundlagen des Schreibens offensichtlich bereits beherrscht, gehe ich mit meinen Kommentar etwas tiefer.

Also, gleich zum Anfang deiner Geschichte: Ich empfehle dir, dem Leser gleich am Anfang des Setting klarzumachen.
Im ersten Satz wird von einer Person gesprochen, und der Leser geht automatisch davon aus, dass diese Person die Protagonistin ist. (Reine Lesegewohnheit.) Beim zweiten Satz muss der Leser erkennen, dass er sich geirrt hat und sich umorientieren. Verwirrung und das folgende Umorientieren sind immer schlecht.
Bei "Gemälde" geht der Leser davon aus, dass die Protagonistin sich in einem Museum befindet oder in einer alten Villa oder so. Wieder geht der Leser feht. Nicht gut.

Zur Schreibweise:
"Dschinns…" => Leerzeichen vor die Auslassungspünktchen (wenn das Wort davor vollständig ist).

“Möglicherweise ist es mein Schicksal, wie Vater ein langweiliges Feenleben führen.”
=> zu führen, oder?

“Vater…”, stammelt sie.
=> Wenn sie es stammelt, würde ich es auch gestammelt hinschreiben: "Va-ater" oder so.

=> Übrigens mag ich die Idee, dass Kira und ihr Vater jeweils drei sind.

"Vergiss nicht, zur Versammlung zu Hause zu sein"
=> Leider weiß ich immer noch nicht genau, wo Kira ist, wie es um sie herum ausieht. Sitzt sie auf einer Brücke? (Reine Vermutung.) Fantasy lebt auch vom Setting, also der Beschreibung des Drumherums. So was schafft Atmosphäre; der Leser kann sich hineinversetzen, träumen.

"im Dickicht des Waldes"
=> Ach, da ist irgendwie ein Wald? Davon habe ich noch nichts gewusst.

"auf ihrem Felsen am Rande der Brunnenhöhle"
=> Damit kommt endlich mal was zum Setting. Allerdings kann ich mir nicht vorstellen, was du damit meinst, wie es da aussehen soll. Was kann eine "Brunnenhöhle" sein?

“Es ist nun wirklich höchste Zeit nach Hause zu gehen!”, hört Kira von ihrer Linken und muss ihr zustimmen.
=> Ich würde eine Leerzeile davor empfehlen, weil sonst die Zeit, die gefühlt vergangen ist, nur eine kurze, keine lange ist.

So, hier muss ich aussteigen (Zeitmangel). Ich lese auf jeden Fall noch weiter, und werde selbstverständlich auch weiterkommentieren, solltest du an so einem Kommentar, wie ich ihn oben geschrieben habe, Interesse haben. (Was hier auch nicht bei allen Neumitgliedern üblich ist, daher warte ich deine Antwort ab.)

Grüße,
Chris

 

Hallo Chris,

Vielen Dank für dein Feedback. Das finde ich super und ich würde mich riesig freuen, wenn du den Rest meiner Geschichte genauso ausführlich kommentieren könntest!

Liebe Grüße
schneedrache

 

Hallo schneedrache!

Da bin ich wieder. Und ich fange mit meinem Fazit an: Die Geschichte gefällt mir. Aufbau, Plot usw. Bestens. Es ist auch fast kein Kürz-Potential drin. Die Geschichte muss so lang sein - und das darf sie auch, denn sie lässt sich sehr gut lesen.
Mein Kommentar ist auch lang, aber das sind alles Details, keine grundsätzlichen Sachen. (Bis auf eine Kritik zum Ende - die findest du am Ende.)


"Die Haut so weiß, wie die Flusssteine"
=> Kein Komma. Das ist immer so, wenn das "wie" vergleichend gebraucht wird. (Gleich kommt's noch mal, da hast du es richtig.)

"Das boshafte Lachen der Hexe droht"
=> Woher weiß sie, dass das eine Hexe ist? Nach deiner Beschreibung hätte ich auf Unterwasservampir getippt. (Was immer das auch sein soll.)

"über die Hexe erzählt, die ihr Heim nicht verlassen kann."
"Wer traut sich am nächsten an das Hexenhaus heran?"
=> Dann kann die Frau ja schon gar nicht die Hexe sein, denn sie ist ja offensichtlich in keinen Haus. (Vermutlich willst du erzählen, dass da im See nur eine Projektion der Hexe ist? Hm, schwer zu beschreiben.)

"Die Nachbarskinder"
"einmal ein besonders leichtsinniger Junge"
=> Nochmals zum Setting, zu Beschreibungen usw. Das liest sich hier jetzt so, als ob es sich um ganz normale Menschenkinder in einer Menschenumgebung handelt. Das verwirrt.

"durch eines der Fenster."
=> Das hier ebenso. Der Adler wohnt in 'nem ganz normalen Haus?

Okay, weiter geht's nach der Leerzeile, Kira fliegt zu ihrem Stamm. Da sind die ganzen andern Feenkinder als Vögel. Was mich nun ein wenig verwirrt, sind die jetzt alle nur einzelne Feen/Personen? Sind nur Kira und ihr Vater Drei-Gestalten (ich weiß nicht, wie ich es besser ausdrücken soll)?

"springen sie hastig aus dem Weg."
=> Ich dachte, die fliegen, flattern herum. Im Flug kann man nicht springen.

"ihm sickert, dass er dieses mal zu weit gegangen ist."
=> Ihm sickert? Hab ich noch nie gehört.


Okay, nach der nächsten Leerzeile geht es weiter:
"Könnte sie in der Zeit zurückreisen, würde sie alles anders machen."
=> Die Stelle hat mich verwirrt. Ich heb gedacht: Zeitreisen? Hm, wieso, weshalb, warum? Dann habe ich nach oben gescrollt, um zu sehen, was die Hexe Kira versprochen hat, und dann gedacht, dass Zeitreisen Kiras Herzenswunsch sein müsste - und dann lese ich von dieser Stelle die nächsten Zeilen, und da steht, Zeitreisen sind nunmal nicht möglich und so. Wie gesagt, die Stelle hat mich verwirrt. Muss der Gedanke an Zeitreisen wirklich da rein?
(Weil, jetzt denke ich, was, wenn Zeitreisen wirklich Kiras Herzenswunsch wären? Könnte die Hexe das dann nicht möglich machen, hätte sie den Mund ja ziemlich vollgenommen. Hm, was kann die Hexe eigentlich möglich machen und was nicht?)

"warum sie ihre menschliche Gestalt angenommen hat, sobald sie den Stamm hinter sich gelassen hat. Vielleicht um Zeit zu schinden, vielleicht um ihrer Linken die Möglichkeit zu bieten, sie umzustimmen"
=> Vielleicht hat sie menschliche Gestalt angenommen, um ihrer Linken die Möglichkeit zu geben, sie umzustimmen? Das meinst du nicht, oder? Zum Umstimmen benötigt die Linke doch nicht zwingend menschliche Gestalt, oder?

Das Hexenhaus beschreibst du schön. So hätte ich das am Anfang der Geschichte auch gerne.

"Das leise Quietschen, der alten Scharniere"
=> Komma weg.

"setzt sie tapfer einen Fuß vor den anderen"
=> Merke ich bloß an, weil du die Formulierung eben schon mal gebraucht hast.

"Das muss der Junge aus der Geschichte sein!"
=> Was für eine Geschichte? Du meinst den "Jungen, der nie mehr zurückkehrte", okay. Allerdings musste ich wieder zurückscrollen, um mir den Zusammenhang zu erschließen. Auch, weil ich das um den Jungen nicht als "Geschichte" (also eher fiktiv) eingestuft habe. Es soll doch wirklich passiert sein, oder? Und natürlich, weil das schon so lange her ist, dass von dem Jungen erzählt wurde, und das ohnehin nur als klitzekleine Nebensache.

"strahlen so giftig, wie Fliegenpilze"
=> Hier ist wieder ein Komma zu viel.

"Mutig hebt die das Kinn"
=> sie

“Ich bin nicht, wie die anderen Feen.”
=> Auch kein Komma.

"Die Grübchen die sich beim Lachen der Hexe bilden"
=> Komma nach Grübchen.

"eine wirsche Bewegung"
=> Ich kenne nur "unwirsch"; wirsch steht auch nicht in meinem Wörterbuch.

"mit zu Schlitzen verengten Augen"
=> Die Formulierung hattest du auch schon.

“Sie hat mich genau genommen nicht aktiv eingesperrt”, sagt der Junge, wobei sein Gesicht einen kräftigeren Rotton annimmt. “Der Schutzzauber gegen Eindringlinge war schon vorher da."
=> Es ist nicht wirklich klar zu erkennen, was damit gemeint ist.

"Die honigbraunen Augen"
=> Brauner Honig?

An den Jungen gerichtet, sagt sie: “Komm, wir haben keine Zeit zu verlieren.”
=> "An den Jungen gerichtet, sagt sie", kannst du streichen, denn das ist klar.

"Der Junge blickt sie einfach nur ungläubig an."
=> "einfach nur" kannst du auch streichen. Kennst du den Begriff "Füllwörter"? Wenn du deinen Text darauf durchsiehst und die Füllwörter streichst, wird er noch besser.

"die Wurmfeen"
=> Wurmfeen, herrlich! Hast du über die auch eine Geschichte auf Lager?

"Das Wasser ergießt sich im Krug einer weiteren Elfe"
=> in den, oder?

"bemängelt Kira seinen Plan."
=> Die Redebegleitungen könntest du dir auch nochmal vornehmen. Wenn sie, wir hier, nur erklären, was gerade gesagt wurde (und das damit schon sonnenklar ist) - ersatzlos streichen!

"und laut Pfeifen"
=> pfeifen klein

=> Diese Szene (der Junge und Kira diskutieren über den "Plan", der keinen ist) finde ich übrigens nicht ganz so gut wie den Rest. Weil die Geschichte hier nicht wirklich voran kommt.
=> Und übrigens, hat der Junge denn keinen Namen?

"aus Elefanten-, oder Nashornhaut"
=> Ohne Komma.

"da bewegten sich viele, kleine Gestalten"
=> bewegen, und das Komma weg

"dann klimmt sie hinauf"
=> Sie klettert. Nimm lieber einfaches, normales Vokabular. Wird "klimmt" in der Weise überhaupt wirklich benutzt oder hast du das aus einem Synonymwörterbuch genommen, weil es ungewöhnlich klingt?

"bemerkt sie die feinen Puderpartikel. Sobald sie ihr in die Augen rieseln, kippen sie schlagartig nach hinten"
=> Die Puderpartikel kippen nach hinten? Du meinst die Augen, also besser: kippen diese

"die zu ihren Füßen zerberstet"
=> zerbirst

"Die Hexe versucht, den Habicht zu fassen, aber er ist zu schnell."
=> Eine ganz allgemeine Kritik an deinem Geschichtenende: Die Hexe scheint gar nicht wirklich mächtig zu sein; ich hatte mir da was anderes vorgestellt. Die Hexe scheint angewiesen auf Tränke, Pulver und ihre eigenen Hände. Kira und der Junge können sich in wohl jedes lebende Wesen verwandeln und sind der Hexe so weit überlegen. => Und da denke ich dann: Was soll der ganze Aufstand?

So, das war's. 'ne Menge Arbeit, aber es hat mir Spaß gemacht. Es würde mich wirklich freuen, wenn du dich dauerhaft bei den Wortkriegern beteiligen würdest.

Grüße,
Chris

 

Hallo Schneedrache,
auch ich bin neu in diesem Forum und habe gelesen, dass das Kommentieren von Texten sehr erwünscht ist - und da du Einverständnis signalisiert hast, möchte ich gern etwas zu deiner Geschichte schreiben - sonst würde ich mich das nicht trauen ... Ganz viele Punkte hat ja auch schon Chris Stone angemerkt.

Dein Text hat mich angesprochen, weil ich sehr gern Fantasy lese und mir der Grundton der Geschichte gefiel - in Farbe ausgedrückt würde ich sie pastellbunt nennen :)

Der Begriff "Gemälde" am Anfang des Textes hat mich zunächst auch an eine Galerie denken lassen, aber dann konnte ich doch - anders als Chris Stone - schnell in deine Welt finden - ein gutes Argument gegen ausschweifende Prologe, die eine Welt zuerst sturzlangweilig erläutern, bevor es endlich zur Sache geht.

Die Figur der Vogelfee finde ich fantastisch fantasievoll und liebevoll gezeichnet, ihre Dreifaltigkeit hat mich anfangs aber irritiert. Dazu haben auch die Sprünge in der der Erzählperspektive von
personal/ Menschenkind:

Ihre Augen funkeln vor Wildheit, ihre Lippen verziehen sich zur stummen Herausforderung, ihr Haar löst sich störrisch aus dem Knoten.

zu personal /Kira:

Sie ist eine mutige Abenteurerin, da ist Kira sich sicher.

zu auktorial:

Kira aber sieht die Mädchen kaum, ihr Blick geht viel tiefer, so als versuche sie, einen Blick auf die andere Seite zu erhaschen.

Und zurück zu Kira beigetragen.

Kiras gesellschaftlichen Fehltritt, der Hexe den Stein zu bringen, mit einer Trotzreaktion zu begründen, fand ich gut nachvollziehbar. Kiras Motivation, ein Mensch zu werden, könnte vielleicht deutlicher werden: Die kleine Meerjungfrau von Andersen sehnte sich nach einer unsterblichen Seele.

Die Dialoge haben mir ebenfalls gut gefallen, gerade an den witzigen Stellen. Der Konflikt Kira/Junge könnte konflikthafter sein, ist aber vielleicht Geschmackssache.

Eher störend fand ich die vielen Adjektive im Text, nach meinen Empfinden verlangsamen sie den Lesefluss und begraben meine Vorstellungskraft als Leser unter zu genauen Beschreibungen.

Insgesamt eine schöne Geschichte, die ich wirklich gern gelesen habe.

Viele Grüße

Willi

 

Vielen, vielen Dank für jeden einzigen eurer Ratschläge!

Chris, da hast du dir ja richtig viel Mühe gegeben. Die Geschichte so detailliert zu analysieren, hat bestimmt viel Zeit gekostet. Ich werde deine Anmerkungen bei der Überarbeitung auf jeden Fall beherzigen und mir auch die Regeln zur Kommasetzung noch einmal genauer ansehen. Über die Wurmfeen hab ich so ganz spontan noch keine Geschichte parat, aber was nicht ist, kann ja noch werden ;)

Willi, ich finde es toll, dass du dich getraut hast! Du hättest mal den Erstentwurf der Geschichte sehen sollen, ich hab bestimmt die Hälfte der Adjektive weggestrichen. Die Verbliebenen werde ich auf jeden Fall noch einmal kritisch unter die Lupe nehmen. Auch deine anderen Ratschläge werde ich berücksichtigen.

Am meisten freut mich, dass euch die Geschichte gefallen hat.
Die Schreiberei hat es mir angetan. Ich denke also, dass ihr in Zukunft noch mehr von mir zu lesen bekommt ;)

Grüße
schneedrache

 

Hallo Schneedrache,

vielen Dank für diese Geschichte. Ich kann kaum noch etwas hinzufügen, was die Vorredner nicht schon gesagt hätten, mir hat sie sehr gut Gefallen, auch wenn ich (wie die anderen) ein bisschen schwer rein gekommen bin. Die Welt, die du dir ausgedacht hast, ist toll und du beschreibst sie sehr schön. Die Geschichte ist ein bisschen "klassisch" (Hexe böse, Feen gut), aber gerade für ein Märchen finde ich das super (und ich hätte spontan auch keine Idee, was man daran verbessern könnte).

2 Anmerkungen habe ich trotzdem:
1. Als die Feen in das Haus der Hexe zurückkommen, um sie anzugreifen, könntest du als "Plan" schon von vornherein ausgeben, das sie das Labor der Hexe durchforsten wollen, um etwas zu finden, womit sie die Hexe angreifen können (was für ein langer Satz :)). Nur "geh auf die Augen, ich krall mir das Ding" ist irgendwie kein richtiger Plan (was du ja selber in der Geschichte auch aufgreifst). Das ist nur ein Vorschlag von mir, du hast den "Nichtplan" toll in die Geschichte eingebaut. Nur würde ein ausgereifter Plan die Geschichte schneller voran bringen und sie auch ein bisschen kürzen, ohne die hohe Qualität zu beeinträchtigen.

2. Bei der Länge des Textes hätte ich 2 oder 3 aufeinander aufbauende Geschichten daraus gemacht. Ich meine, das ist hier bei den Wortkriegern auch möglich (bin mir aber nicht ganz sicher, da ich auch noch neu hier bin).

Ansonsten finde ich die Geschichte einfach klasse. Ein tolles Märchen, mach weiter so.

VG,

Thomas

 

Danke für dein Feedback, Thomas. Dass du die Geschichte gut findest und sogar von „hoher Qualität“ sprichst, freut mich tierisch. Ich hätte mich schon viel früher bedankt, war aber der Ansicht, dass ich mit der Überarbeitung jeden Moment fertig sein müsste und dann alles in Einem ginge. Da habe ich den Aufwand deutlich unterschätzt.
Ich finde deine Anmerkung zum „Nicht-Plan“ einleuchtend und habe die Diskussion darüber deshalb gestrichen. Was die zweite Anmerkung angeht: Ich habe die Geschichte absichtlich an einem Stück veröffentlicht, da ich denke, dass sie idealerweise am Stück gelesen gehört.

Ich habe bei der Überarbeitung all die Fehler ausgebessert, die Chris gefunden hat und einige Dinge besser beschrieben (z.B. das Setting zu Beginn, oder was es mit dem Schutzzauber auf sich hat, den der Junge erwähnt). Nur die Augen des Jungen habe ich honigbraun belassen, da Honig meiner Meinung nach durchaus braun sein kann. Ich habe einige Zeit überlegt, das Ende der Geschichte umzuschreiben, die Hexe mächtiger darzustellen, es dann aber (zumindest vorerst) sein gelassen. Allerdings habe ich ein paar Kleinigkeiten abgeändert. Beispielsweise muss die Hexe sich nun nicht mehr selbst zum Kamin bewegen, um das Fläschchen zu holen, sondern lässt dieses zu sich schweben. Außerdem erwähne ich nun, dass die Hexe den Habicht nicht rechtzeitig greifen kann, weil sie nicht mehr in Besitz ihres Ankers ist.

Insgesamt enthält der Text jetzt deutlich weniger Füllwörter (abgesehen von den wörtlichen Reden), Adjektive und Adverbien. Außerdem habe ich mir die Redebegleitungen vorgenommen und hoffentlich alle Sprünge zwischen den Erzählperspektiven ausgemerzt.

Nochmals vielen Dank für die guten Hinweise!

 

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