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Das Schönbergzimmer

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21.12.2015
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Das Schönbergzimmer

Sonntags, nach dem Hochamt, versammelten wir uns zu einem kurzen Familientreffen in Omas großer, altmodischer Wohnküche. Mindestens zwölf Personen konnten am Tisch Platz finden. Heute waren es bloß acht, sechs Erwachsene und zwei Kinder, nämlich ich und Wolfi. Oma legte großen Wert auf diese Tradition. Zur Feier des Tages wurde weiß gedeckt und Mia holte das gute Geschirr mit dem Goldrand unten aus dem Küchenschrank. Mein Bruder und ich durften sie einfach „Mia“ nennen, obwohl sie unsere Tante war.
Im Winter dampfte Nudelsuppe mit Rindfleisch und Schnittlauch in der Terrine mit den Löwenkopfgriffen, im Sommer löffelten wir Gazpacho, eine kalte Gemüsesuppe, deren Rezept für meinen Bruder und mich ebenso geheimnisvoll blieb wie ihr Erfinder. Auch gab es französisches Stangenbrot, auf das wir besonders scharf waren. Angeblich stammte das Rezept für den Gazpacho von Mias verflossenem Freund, der sich wieder nach Teneriffa zu Frau und Kindern zurückgeschifft hatte, obwohl er doch mit Mia verlobt war.
„Dein Fausto“, sagte Onkel Willem, schlürfte genussvoll und ließ sich den Pfefferstreuer reichen, „dein Fausto hatte es faustdick hinter den Ohren. Von wegen 'fleißiger' Gastarbeiter, in der Werkstatt war er faul. Auf anderem Gebiet war er ja durchaus fleißig. Aber schnell kapiert hat er nichts, jeden Handgriff musste man ihm dreimal erklären.“
Mia, schmal und nicht so strahlend wie sonst, zuckte zusammen und öffnete den Mund, schloss ihn aber gleich wieder. Sie durfte sich gegenüber dem deutlich älteren Bruder keinen Widerspruch erlauben. Mama hatte kürzlich erwähnt, dass Onkel Willem ihr eine Reise nach Holland finanziert habe, deren Zweck uns Kindern verborgen blieb. Mia kam ziemlich erschöpft zurück, ohne das kleinste Mitbringsel für uns im Gepäck, obwohl wir ihre Lieblinge waren.
„Aber er hat so schön im Kirchenchor gesungen", sagte Oma und schielte zu Wally, "und kochen hat er besser können als alle Frauen in unserer Familie. Gell Mia, e bissle hasch ja doch von ihm glernt.“
„Oma, du bist ungerecht, an Weihnachten hat's dir ja recht gut geschmeckt bei uns. Mein Kartoffelsalat ...“ Tante Wally knallte den halbvollen Löffel auf den Tisch, wo sich sofort ein braunroter Fleck bildete. Auch Mama protestierte, während unser Vater wortlos grinste und schnell noch einmal seinen Teller füllte.
Mia verschluckte sich, hustete und musste kurz in Omas Schlafzimmer neben der Küche verschwinden. Ihr Zimmer lag ein Stockwerk höher unterm Dach. Als sie nach ein paar Minuten wiederkam, hatte sie leicht gerötete Augen und ein verknülltes Taschentuch im Ärmel. Sie räumte die Suppenteller weg und machte sich an der Spüle zu schaffen.
„Es gibt Vanillepudding mit Himbeersoße für die Kinder. Will jemand einen Schnaps oder lieber Tee?“

Der Friede hielt nicht lange an.
„Hast du's dir überlegt, Mutter? Das Haus ist zu alt, es lohnt sich einfach nicht, umzubauen. Die Nachbarn haben jetzt alle verkauft. Oder willst du warten, bis die Stadt dir den Stuhl unterm Hintern wegzieht?“
„Das dürfen die doch gar nicht. Das Haus gehört mir, ich bleib hier wohnen, bis ich sterbe, und die Mieter auch. Hab's ihnen versprochen.“
„Du könntest es viel besser haben. Ein Badezimmer, einen Balkon, kein zugiges Außenklo und keine steilen Treppen mehr. Wally hat schon Pläne für eine Einliegerwohnung bei uns. Es wär auch einfacher, wenn du mal Pflege brauchst.“
„Mia wird mich pflegen, wenn's so weit ist, das ist schon geklärt.“ Omas Schultern strafften sich und sie presste die Lippen zusammen.
„Dann räumt wenigstens mal die Rumpelkammer leer, damit ihr mehr Platz habt. Das ist doch kein Zustand! Einen Raum einfach vergeuden, das größte Zimmer hier auf dem Stockwerk und das mit der schönsten Aussicht.“
„Auf den Schönberg?“, fragte ich dazwischen. Am Schönberg wohnten nämlich wir, ungefähr eine Stunde zu Fuß von Omas Haus aus.
„Ja, auf den Schönberg, Kind. Das Zimmer bleibt, wie es ist, bis ich unter der Erde bin. So lange werdet ihr noch abwarten können. Auch wenn du jetzt Geld brauchst, Willem, für deine Autowerkstatt. Mia, ich leg mich jetzt hin. Mein Kreuz tut mir weh. Um drei kannst du Tee kochen.“

Das 'Schönbergzimmer' war ein gefangener Raum, man konnte ihn nur von der Küche aus betreten. Er war immer abgeschlossen, und Oma trug den Schlüssel ständig in der Kittelschürze, sogar Mia musste darum bitten. Über Nacht hing die Schürze an eben dieser Tür, neben einem Besen und einem kleinen Handspiegel, sowie einem Schuhlöffel und einer Taschenlampe. Immer in derselben Reihenfolge. Das Hakenbrett, eine Laubsägearbeit mit dem Spruch 'Ordnung ist das halbe Leben', hing seit Omas sechzigstem Geburtstag dort. Es war, glaube ich, ein Geschenk von ihren Mietern im Parterre.
Nachdem Onkel Willem den Raum für das schönste Zimmer hielt, war klar, dass mein Bruder und ich ein Geheimnis witterten.
„Wir brauchen den Schlüssel. Anni, du musst Oma mal ablenken, wenn der Kittel am Haken hängt.“
„Wie denn? Sie geht ja kaum aus dem Haus. Höchstens zu den Nachbarn. Oder auf den Friedhof.“
„Du könntest Oma dann begleiten. Ich bleibe hier und sage, ich hab mir den Fuß verstaucht.“
Typische Vorschläge von Wolfi. Natürlich wollte er der Entdecker sein.
„Nee, Brüderchen, entweder gehen wir beide in das Zimmer oder keiner.“
„Und wenn wir Mia fragen? Wegen der Aussicht?“
Aber wie befürchtet, war da nichts zu machen. Mia reagierte sehr kurz angebunden und überhaupt nicht freundlich wie sonst.

Und dann kam er doch, der günstige Moment. Als wir drei Wochen später zum Mittwochsbesuch in die Küche stürmten, saß Oma fein angezogen am Tisch. Die Kittelschürze hing über einer Stuhllehne.
„Ihr müsst heute allein Tee trinken. Oma muss zum Röntgen. Es kann zwei Stunden dauern, bis wir zurück sind. Ich hab euch den Kniffelblock und die Würfel hingelegt“, sagte Mia und goss heißes Wasser in die Teekanne, „im Schrank sind noch Kekse. Wenn was ist, könnt ihr zu Brenneisens runter gehen."
„Macht bloß keine Dummheiten.“ Oma drohte gerne mit dem Kochlöffel, aber sie meinte es nicht so.
„Aber Oma, ích doch nicht, versprochen. Ich pass gerne auf die Anni auf. Die mag das. Lasst euch ruhig Zeit.“
Wir warteten, bis unten die Tür ins Schloss fiel, dann stürzten wir uns auf die Schürze. Wolfi war schneller. Er drehte den Schlüssel zweimal um, dann stieß er die Tür auf.
Dunkelheit. Das Aussichtsfenster war durch schwere Holzjalousien verschlossen. Nur spärliches Licht drang herein. Es roch muffig, obwohl ein Fensterflügel offenstand. Vor uns türmte sich ein Berg auf bis kurz unter die Zimmerdecke. Wolfi fand den Lichtschalter an der Wand, aber es gab kein Licht. Wahrscheinlich war die Glühbirne im Deckenlicht kaputt.
„Zieh die Jalousie hoch“, kommandierte er, „aber nur ein bisschen, damit es von der Straße her niemand sieht.“
Wir blieben erst mal eine Weile stehen und betrachteten den Berg, ein wahres Monster. Es erhob sich über alten Kästen, Schränken und Matratzen. Über diesem Sockel stapelten sich Kartons mit alten Zeitungen, Katalogen, ausrangiertem Küchengerät in schrägen Türmen. Auch an den Wänden entlang kletterten Schachteln voll Joghurtbechern und prallen Plastiktüten in die Höhe. Auf der linken Seite des Monsters diente eine Stehlampe als Kleider- und Hutständer. Die bucklige, rechte Seite war mit Teppichen und Tischtüchern zugedeckt, als ob sich darunter etwas Schreckliches verbergen müsste. Nach einigem Zögern hob ich vorsichtig eine Teppichecke hoch, da raschelte es und mehrere graue Biester mit langen Schwänzen flitzten davon. Ich ließ den Teppich fallen und machte einen Satz an die Tür.
„Was ist los, hast du Angst? Das sind bloß Mäuse, keine Ratten. Warte, wir gehen der Sache gleich auf den Grund.“
Wolfi holte die Taschenlampe und leuchtete in die dunkelste Ecke. Dort stand ein Kreuz aus schwarzem Schmiedeeisen, verziert mit vergoldeten Blättern und Blüten. Wolfi strich mit dem Zeigefinger an einer Ranke entlang. Wo der Staub entfernt war, blitzte das Gold im Strahl der Taschenlampe auf.
„Das muss noch vom Opa sein, der war doch Kunstschmied. Nicht schlecht. Ob er dieses Kreuz für das Familiengrab geschmiedet hat? Aber warum steht es hier?“
„Es gibt ja gar kein Familiengrab, Opa ist doch im Krieg gefallen. Wolfi, ich mag nicht mehr. Es ist unheimlich. Ich hab mir was ganz anderes vorgestellt. Komm jetzt, ich mach die Jalousie wieder runter. Mir reicht's.“
„Ja, gleich, ich will nur noch geschwind schauen, ob ich die obere Schublade von dem Kasten da aufkriege. Wetten, dass was Interessantes drin ist?“
Wolfi zog vorsichtig am Griff, es quietschte, und schon fing das Monster an, bedenklich zu wackeln. Die Stehlampe schwankte wie ein erhobener Zeigefinger hin und her, und ich verstand. Das Monster wollte in Ruhe gelassen werden. Das kapierte nun auch Wolfi.
„Wir dürfen keine Spuren hinterlassen“, sagte er und sorgte dafür, dass sich alles wieder an seinem Platz fand, Taschenlampe, Schürze und Schlüssel, während ich nach den Keksen suchte und zur Beruhigung Tee mit Vanillezucker trank. Beim Kniffeln war ich nicht so richtig bei der Sache. Es störte mich nicht mal, dass ich nur Schrott würfelte.
„Kein Wort zu niemandem, auch nicht zu Mama“, sagte Wolfi streng, der meine Neigung zum Ausplaudern kannte, „immerhin haben wir jetzt einen Namen für das Zimmer. Wir taufen es 'Schönbergzimmer', ha, ein prima Name für den Monsterberg.“
„Ich finde den Berg nicht schön, eher gruselig. Ich versteh' echt nicht, warum Oma den alten Kruscht aufhebt.“
„Alte Leute sind halt so, vielleicht hängen Erinnerungen daran“, sagte Wolfi, und das war seit langem der gescheiteste Satz von ihm.

Omas Geburtstag, drei Monate später, wurde in ihrem Haus gefeiert, kein Gedanke daran, auswärts essen zu gehen, denn Oma konnte nicht mehr lange auf einem Stuhl sitzen, sondern brauchte nach kurzer Zeit ein bequemes Sofa oder, noch besser, ihr eigenes Bett. Da sie sich hartnäckig geweigert hatte, einen Wunsch zu äußern, legten ihre drei Kinder zusammen und kauften ihr einen multifunktionalen Sessel, elektrisch verstellbar und auf Rollen. Oma konnte damit vorwärts, rückwärts und im Kreis fahren.
„Ha, jetzt lern ich noch zu guter Letzt das Chauffieren“, sagte sie aufgeräumt, „aber nächstes Jahr wünsch ich mir einen Porsche, hörst du, Willem, oder einen Mercedes. Das gibt deine Firma doch her? Oder?“ Onkel Willem lachte verkniffen. Aber es stimmte, seine Werkstatt nannte sich jetzt „Autohaus Ehret OHG“.
Auch Wolfi und ich hatten ein Geschenk. Wolfi hatte sich das ausgedacht. Ich hätte der Oma lieber was anderes gebastelt. Aber Wolfi war ganz vernarrt in seine Idee. Es war ein großes Poster, eins zwanzig auf eins zwanzig. Im oberen Drittel stand „Schönbergzimmer“. Wir hatten aus Katalogen und Prospekten farbige Druckbuchstaben ausgeschnitten und aufgeklebt, eine gezackte Bergkette war im Hintergrund angedeutet. In der Mitte darunter stand in einem dreieckigen Warnschild: Achtung! Lebensgefahr, betreten nur mit Erlaubnis der Bergwacht.
Wolfi hatte darauf bestanden, auch ein Bergseil, Bergschuhe und eine Gämse auszuschneiden und in die unteren Ecken zu kleben. Ich fand, dass diese Dekoration überflüssig war und überhaupt,
würden wir uns dadurch nicht verraten?
Aber ich hatte keine Chance.
„Es ist eine Collage, Schwesterchen, und da darf man alles, je mehr, desto besser.“ Dreizehnjährige Jungen sind ganz schön besserwisserisch. Dabei war Wolfi in künstlerischen Dingen eine glatte Null. Aber ich war ja nur seine kleine Schwester.

Oma sagte nicht viel, nur, sie freue sich, dass wir so viel Zeit und Mühe aufgewendet hätten. Mia schaute auch nicht besonders begeistert auf das Poster und ließ sich erst nach einigem Drängen dazu überreden, es mit Tesa an der Tür zu befestigen. Dazu musste man natürlich alles andere abhängen, so dass jetzt die geballte Botschaft zu entziffern war:

Ordnung ist das halbe Leben
sonst besteht Lebensgefahr.

Die Gäste, die keine Familienmitglieder waren, lachten beim Anblick höflich oder verlegen, weil sie sich wahrscheinlich nichts zusammenreimen konnten.
Ich glaube, Oma hat die Zusammenhänge sofort erkannt. Jedenfalls fuhr sie auf ihrem Rollstuhl nur mit dem Rücken zum Schönbergzimmer durch die Küche. Mia rümpfte die Nase und sagte, sie müsse erst überlegen, wo man das Kunstwerk sonst noch unterbringen könne, schließlich hätten Kittelschürze, Spiegel und die anderen Sachen ältere Rechte. Und dann sagte sie noch über die Schulter:
„Haltet ihr mich für doof?“
Da streifte mich ein erster Anflug von schlechtem Gewissen. Hatten wir durch das Poster ein Familiengeheimnis verraten?

Dann ging alles sehr schnell. Oma starb friedlich in ihrem Bett, den Rosenkranz um die rechte Hand gewickelt. Bei der Beerdigung rühmte der Pfarrer sie als Kriegerwitwe, die, ganz allein auf sich gestellt, ihre drei Kinder zu guten Christen und Bürgern erzogen habe und ein treues Mitglied der Michaelsgemeinde gewesen sei.
Das Haus sollte abgerissen werden. Onkel Willem hatte sich durchgesetzt. Er wollte auf dem Grundstück selber bauen und seine Geschwister auszahlen. Mia bot er als Entschädigung eine lebenslange Mietwohnung an. Außerdem könne sie bei ihm arbeiten, er brauche eine Bürokraft. Mit Mama musste er sich erst noch über die Höhe der Auszahlung einigen. Mama war nicht besonders gut auf ihren Bruder zu sprechen.
Für Mia war die Veränderung am größten. Ich durfte ihr beim Ausräumen der Wohnung helfen. Auch Mama beteiligte sich daran. Es war nicht leicht zu entscheiden, was aufbewahrt und was weggegeben oder entsorgt werden sollte.
Im Schönbergzimmer waren Fenster und Jalousien weit geöffnet. Der Modergeruch war aber noch nicht verschwunden. Unten im Hof stand ein Container, den hatte Onkel Willem herschaffen lassen. Ein Teil der Kisten und Schachteln war schon darin verschwunden.
„Du kannst in den Schubladen nachschauen, was drin ist. Leg alles, was du findest, auf den Küchentisch.“
Das war aufregend, weil ich mich erinnerte, dass Wolfi liebend gern die Schubladen durchsucht hätte.
Ich fand zwei Päckchen Briefe, sorgfältig verschnürt, mit Feldpost und Stempel gekennzeichnet und an Frau Amalie Ehret gerichtet, natürlich von Opa. Die würde ich gerne mal lesen.
In einer anderen Schublade fand ich ein weiteres Päckchen Briefe, auch an Oma und alle vom gleichen Absender. Der Name war mir nicht bekannt. Es waren aber Briefmarken der Bundesrepublik Deutschland darauf. Sie mussten also viel später als die Feldpostbriefe verfasst worden sein. Mia war gerade dabei, Tücher, Decken und Matratzen in den Container zu werfen, als ich ihr die Briefe unter die Nase hielt.
„Kennst du den Mann? Ist er ein Verwandter von uns?“
„Nicht jetzt, Anni, nicht jetzt. Später werd ich's dir erklären. Sei lieb und leg sie zu den anderen auf den Tisch. Und, Anni, denk dran, es gibt ein Briefgeheimnis. Diese Briefe gehen dich nichts an.“
„Ja, aber wenn es doch ein Verwandter ist ...“
„Kein Aber. Such weiter in den Schubladen. Wir reden später darüber.“
Ich wollte ja folgsam sein, aber dann konnte ich es doch nicht lassen. Nur einen kleinen Blick wollte ich riskieren, den Anfang eines Briefes lesen. Und so entdeckte ich Omas Geheimnis. Denn der erste Brief, den ich herauszog, begann so:
„Meine allerliebste Amalie, die Zeiten sind nicht günstig für uns. Anders, als ich gehofft habe, kann ich mein Versprechen nicht halten. Gerade jetzt, wo du kurz vor der Entb...“
Weiter las ich nicht, denn aus dem Schönbergzimmer kam ein Schreckensschrei von Mia und ein zweiter hinterher, von Mama. Ich stopfte den Brief wieder in das Bündel. Was war da los? Mia und Mama standen vor einer Puppenwiege und starrten auf ein Skelett.
„Es ist eine Katze, ganz bestimmt ist es eine Katze, schau dir doch den Schädel an, die Form, die spitzen Zähne.“ Mama hatte sich wieder gefangen, aber Mia zitterte und klammerte sich an ihre Schwester.
„Aber wie kommt die Katze in die Wiege? Die hat sich doch nicht freiwillig hineingelegt? Und ich habe in den letzten Tagen überall kleine Knochen gefunden. Und dann noch diese Schachtel mit den Babysachen! Oh Gott, wer weiß, was wir noch entdecken.“
„Du spinnst dir was zusammen, Mia, hier in diesem Zimmer sind im Lauf der Zeit allerhand Tiere gestorben, Marder und Tauben. Und wo ist überhaupt unsere Fiffi geblieben? Nein, Mia, hör auf, dir Gedanken zu machen, jetzt kommt alles in den Container, und Schluss ist.“
Die Feldpostbriefe nahm Mama an sich.
„Ich heb sie auf für dich und Willem. Wenn ihr mal Interesse habt. Oder die Kinder. Die anderen Briefe, da kümmerst du dich drum. Ich erinnere mich an einen Hermann, der eine Zeitlang um die Oma herumscharwenzelte. Du warst noch sehr klein. Ich möcht's gar nicht genauer wissen. Ich konnte ihn überhaupt nicht leiden.“
Mia hat, wie sie mir später erzählte, Hermanns Briefe noch am selben Abend verbrannt. „Es war zu traurig“, sagte sie, „niemand hat Oma so gut gekannt wie ich und ich weiß nun ziemlich genau, was sie durchgemacht hat. Bitte, erzähl es nicht weiter.“
Und jetzt habe ich ein Geheimnis vor Wolfi.

 
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Hallo Wieselmaus,

um es vorweg zu nehmen, ich finde die Geschichte richtig gut, wahrscheinlich sogar die beste, die ich bislang von dir gelesen habe.

Ich hoffe, dass das jetzt nicht allzu arrogant klingt, aber du bist für mich ein Paradebeispiel, wie sehr eine regelmäßige Teilnahme auf diesen Seiten die Entwicklung einer Autorin oder eines Autors fördern kann. Ich finde, du hattest von Anfang an einen guten Stil und man merkte sofort, dass du schreiben kannst, nur war es zumindest bei mir anfangs so, dass mich die Thematik deiner Geschichten nicht immer unbedingt mitgerissen hat. Das war oft gut und angenehm zu lesen, aber nichts, was mich fesselte. Dass der letzte Funke nicht übergesprungen ist, lag also nie daran, wie es geschrieben war, sondern was bzw. worüber du geschrieben hast. (Ich hoffe, du weißt, dass nichts davon böse gemeint ist. Ja, das weißt du! ;))

Das hat sich geändert. Du erzählst imme rnoch viel Alltägliches, was ich aber nicht schlecht finde, im Gegenteil, weil du es seit einioger Zeit schon mit viel mehr Story verbindest. Natürlich ist das nur mein Geschmack, aber für mich hast du als Erzählerin einen richtig großen Schritt gemacht. Das ist mir schon bei den Geschichten zuvor aufgefallen. Und diese Geschichte ist ein super Beispiel dafür, die ist total souverän erzählt, ganz vieles so beiläufig nebenbei, aber eben total auf den Punkt.

Ich bin mit großem Interesse deiner Geschichte gefolgt. Das liest sich sehr autentisch, nicht konstruiert und dennoch zeiht sich schöner Spannungsbogen durch. Und das Ende ist klasse: So schön unaufgeregt und doch richtig fein morbide - und obwohl ja nicht der Schocker schlechthin hier passiert, ist für mich unheimlicher als so manche Horrorgeschichte, die hier auf kurzgeschichten.de gepostet worden ist. Das ist so ein Grusel bester Art, überhaupt nicht mit dem Holzhammer, sondern auch hier so wunderbar beiläufig... um es mal bildlich zu machen, du watscht da mich als Leser so im Vorbeigehen richtig schön ab, ohne dass ich damit gerechent habe. Ich mag das ja ;)... Also Daumen hoch für die Skelett-Wendung!
Übrigens finde ich die Figur der Mia sehr spannend, ich finde, die hat noch einiges an Potenzial, da kannst du hier noch mehr erzählen. Aber auch fällt ist jetzt wohl auch persönliche Vorliebe.

Sehr gern gelesen, Wieselmaus!

LG svg

 
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Auch Wolfi und ich hatten ein Geschenk. Es war ein großes Poster, eins zwanzig auf eins zwanzig. Im oberen Drittel stand „Schönbergzimmer“. Wir hatten aus Katalogen und Prospekten farbige Druckbuchstaben ausgeschnitten und aufgeklebt, eine gezackte Bergkette war im Hintergrund angedeutet. In der Mitte darunter stand in einem dreieckigen Warnschild: Achtung! Lebensgefahr, betreten nur mit Erlaubnis der Bergwacht.
Wolfi hatte darauf bestanden, auch ein Bergseil, Bergschuhe und eine G[ä]mse auszuschneiden und in die unteren Ecken zu kleben. Ich fand, dass diese Dekoration überflüssig war und die Grundidee verwässerte.
„Es ist eine Collage, Schwesterchen, und da darf man alles, je mehr, desto besser.“ Dreizehnjährige Jungen sind ganz schön besserwisserisch. Dabei war Wolfi in künstlerischen Dingen eine glatte Null. *

Ja. das ist so eines Sache, nachdem die alten Troglodyten sesshaft wurden und den Besitz aus Jagd und Sammlung (incl. Grundstück) vom Gemein- in Privateigentum umwidmeten. Fällt ja auch schwer, sich von Erinnerungsstücken zu trennen – besonders, wenn man selber nicht mehr daran denkt und sich buchstäblich das staubige Tuch des Vergessens darüber ausbreitet. Und wenn‘s dann noch heißt
Mindestens zwölf Personen konnten am Tisch Platz finden
lässt mich an eigene Erfahrungen vorpubertärer Zeit zelebrierter Familientreffen von nahezu religiös anmutenden Riten erinnern, wo der/die/das dreizehnte verschwiegen werden kann, weil es zumeist den Pechvogel (Schlabbern, Schmatzen, Rülpsen, kurz: Die kulinarische Wildsau) des Tages, selbst am Abend erwischte.

Aber ich sag‘s ja immer wieder, man kann nur Autobiografisches korrekt wiedergeben, und das ist Dir gelungen,

liebe wieselmaus,

wobei ich nicht von Authentizität spreche, die in Polizeiberichte und Gerichtsprotokolle gehört. Wir sind bestenfalls Chronisten und nähern uns der eigenen Vergangenheit an. Treiben quasi Historik bis hin zur Archäölogie, je weiter es zurückliegt. Und dass Du gut schreibst - wem sag ich das? -
selbst wenn es noch einen Block darinnen gibt, der Opfer der Schulgrammatik ist:

Mama hatte kürzlich erwähnt, dass Onkel Willem ihr eine Reise nach Holland finanziert hatte, deren Zweck uns Kindern verborgen blieb. Mia kam ziemlich erschöpft zurück und hatte für uns nicht das kleinste Mitbringsel im Gepäck, obwohl wir ihre Lieblinge waren.
„Aber er hat so schön im Kirchenchor gesungen",[...]sagte Oma und schielte zu Wally, "und kochen hat er besser können als alle Frauen in unserer Familie. Gell Mia, e bissle hasch ja doch von ihm glernt.“
Wohlgemerkt, da ist nix falsch. Wobei schon ein erstes „hatte“ im ersten Nebensatz, durch das sanftere „habe“ ersetzt werden kann, was zudem der indirekten Rede keinen Schaden zufügt. Mia hingegen könnte es auch ohne „hatte“ durch einfaches Möbelrücken. (Wörtl. Rede ist unantastbar ---jedenfalls für mich. Denn so spricht man halt i. d. R.): „Mia kam ziemlich erschöpft zurück ohne das kleinste Mitbringsel für uns im Gepäck, obwohl ...“
(nach der wörtl. Rede Omas nicht die Leerstelle vergessen, ich hätt's gerade schon fast verpasst und ja, gelegentliche Flüchtigkeit findet sich auch
Mein Kartoffelsalat ...“.[...]Tante Wally knallte …
Widerfährt mir auch
„Auf den Schönberg?“[,] fragte ich dazwischen.
...“, sagte Mia und goss heißes Wasser in die Teekanne, „im Schrank sind noch Kekse. Wenn was ist, könnt ihr zu Brenneisens unten gehen.[“]
„Macht bloß keine Dummheiten.“

„Mia wird mich pflegen, wenn's so[...]weit ist, das ist schon geklärt.“
Soweit ich weiß, weißtu was jetzt käme … Kommt öfter vor, dass unbestimmte Raum/Zeitangaben mit der (zusmmengeschriebenen) Konjunktion verwechselt werden, wie hier
So[...]lange werdet ihr noch abwarten können.
Oma sagte nicht viel, nur, sie freue sich, dass wir so[...]viel Zeit und Mühe aufgewendet hätten.

Immer in der selben Reihenfolge.
Hier mal besser zusammen „derselben“

Hier ist mal ein Komma entbehrlich

Vor uns türmte sich ein Berg auf[...] bis kurz unter die Zimmerdecke.

Hier fehlt m. E. was
..., aber Mia zitterte und klammerte sich ihre Schwester.
Ein „an“ vielleicht? Ähnlich hier
..., Mia, hier in diesem Zimmer sind im Lauf der Zeit allerhand Tieren gestorben, …
alternativ braucht aber nur das Endungs-n der Tiere gestrichen zu werden ...

Sehr gern gelesen vom

Friedel


* Die "Gams" ist wieder aufs ahd. "gamiza" durch die Rechtschreibreform zurückgeführt, nachdem seit dem 11. Jh. die "gemeze" bis 1996 unangetastet blieb.)

 

Hallo wieselmaus,

da hast du sehr schön dargestellt, wie unterschiedlich die Geschlechter sind, auch bei der "Vergangenheitsbewältigung". Die Frauen stopfen alles in ein Zimmer und schließen ab. Ab und an wird ja neuer Müll von gestern hereingetragen, aber nach den dort bereits gelagerten Dingen schaut keine. Erinnert man sich, ist's schon schwer genug. Auch das wird in deiner Geschichte herausgestellt.
Und die Männer: Wegwerfen, abreißen, neu bauen. Als ob man sein Leben neu bauen könnte. Und sie haben ja nicht einmal ihr eigenes Leben im Blick, sondern bestimmen, wie die Frauen zu leben haben.

Ich habe deine Geschichte gerne gelesen. Da kommen ja manche Erinnerungen hoch. Aber am Ende habe ich mich doch über Onkel Willem sehr geärgert und war ein wenig traurig über diese ganze Tragik unter dem Staub und Müll der Jahrzehnte.

Fehler sind mir nicht aufgefallen.

Liebe Grüße

Jobär

 
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Liebe Wieselmaus,

eigentlich kann ich mich in vielem svg anschließen. Das ist eine sprachlich gut geschriebene Geschichte über ein Familiengeheimnis. Eigentlich ist es so etwas wie ein 'Brücken-am-Fluss-Geheimnis’, das die Oma da jahrelang bewahrt und in diesem düsteren Zimmer versteckt hat. Allerdings hatte ich als Leser so meine kleine Not herauszufinden, um was es nun gehen würde: Zuerst dachte ich, dass Mias Holland-Reise den Ausgangspunkt deiner Geschichte bilden würde, dann hielt ich das Messie-Zimmer mit dem 'Monster' für den Kern deiner Erzählung, bis dann zum Schluss dieser Briefstapel die Lösung brachte.

Mit den 'Gruseleffekten' deiner Geschichte kam ich nicht immer ganz zurecht:

Das Zimmer und seine Insassen:

Das 'Schönbergzimmer' war ein gefangener Raum, man konnte ihn nur von der Küche aus betreten.

Das Aussichtsfenster war durch schwere Holzjalousien verschlossen. Nur spärliches Licht drang herein. Es roch muffig, obwohl ein Fensterflügel offenstand.

Mia und Mama standen vor einer Puppenwiege und starrten auf ein Skelett.

Mia, hier in diesem Zimmer sind im Lauf der Zeit allerhand Tieren gestorben, Marder und Tauben. Und wo ist überhaupt unsere Fiffi geblieben?

Wenn ich es richtig sehe, so befindet sich das Zimmer zumindest im ersten Stock und die Holzjalousien sind verschlossen. Wie können da all diese Tiere reinkommen? Das kann ich nicht so richtig nachvollziehen. Fehlt vielleicht nur ein erklärender Satz?

Und dann das Monster:

Vor uns türmte sich ein Berg auf, bis kurz unter die Zimmerdecke.
Wir blieben erst mal eine Weile stehen und betrachteten den Berg, ein wahres Monster. Es [das Monster] erhob sich über alten Kästen, Schränken und Matratzen. Darauf stapelten sich Kartons mit alten Zeitungen, Katalogen, ausrangiertem Küchengerät in schrägen Türmen. … Auf der linken Seite des Monsters diente eine Stehlampe als Kleider- und Hutständer. Die bucklige, rechte Seite war mit Teppichen und Tischtüchern zugedeckt, als ob sich darunter etwas Schreckliches verbergen müsste.
Ich habe mal die Stellen gekennzeichnet, die mir nicht so richtig stimmig formuliert zu sein scheinen. 'Es erhob sich' ist Subjekt und du fährst fort: 'Darauf stapelten sich ...'. Stapeln sich auf dem 'Monster' die Kartons oder besteht das Monster aus Zeitungen, Katalogen usw.? Müsstest du vielleicht ein wenig klarer formulieren.

Mit der Bezeichnung ‚Monster’' verbinde ich in der Regel irgendwie etwas Lebendiges. Und du behandelst dein Monster dann ja auch wie so etwas:

Wolfi zog vorsichtig am Griff, es quietschte, und schon fing das Monster an, bedenklich zu wackeln. Die Stehlampe schwankte wie ein erhobener Zeigefinger hin und her, und ich verstand. Das Monster wollte in Ruhe gelassen werden.

Wolfi zieht am Griff der Schublade und das Monster beginnt zu wackeln? Was wackelt? Der Berg? Die Kartons und Kataloge?
wieselmaus, wie ich schon am Anfang gesagt habe, gefällt auch mir dein Stil immer besser. Das liest sich alles sehr gut. Du hast deine Geschichte mit sehr vielen anschaulichen Einzelheiten über diese Familie ausgestattet, so dass sie einem am Ende recht vertraut ist. Ich kann zwar nicht so richtig nachvollziehen, wie die beiden (ansonsten wohlerzogenen) Kinder mit dem 'Messie-Zimmer' der Oma umgehen und sie durch ihre Collage mehr oder weniger bloßstellen. Da ist wenig Achtung vor dem Alter, aber der Anni ist ja dann auch nicht so recht wohl bei der Sache.

Außerdem habe ich das Gefühl, dass da etwas mit Mia ist, was angerissen, aber nicht ausgeführt wird. Das beginnt mit der 'Fausto'-Bemerkung und Mias Hollandreise und endet mit ihren Reaktionen in verschiedenen Situationen:

Mia verschluckte sich, hustete und musste kurz in Omas Schlafzimmer neben der Küche verschwinden.

Mia reagierte sehr kurz angebunden und überhaupt nicht freundlich wie sonst.

Mia zitterte und klammerte sich ihre Schwester.
„Aber wie kommt die Katze in die Wiege? Die hat sich doch nicht freiwillig hineingelegt? Und ich habe in den letzten Tagen überall kleine Knochen gefunden, oh Gott, wer weiß, was wir noch entdecken.“

Mia hat, wie sie mir später erzählte, Hermanns Briefe noch am selben Abend verbrannt. „Es war zu traurig“, sagte sie, „niemand hat Oma so gut gekannt wie ich und ich weiß, was sie durchgemacht hat. Bitte, erzähl es nicht weiter.“

Was ist da los? Was ist los mit Mia? Wird sie von der Oma unterdrückt wegen ihres 'Fehltritts'?
Mia, ich leg mich jetzt hin. Mein Kreuz tut mir weh. Um drei kannst du Tee kochen.“

So richtig kann ich mir Mia, ihr Verhalten und ihre Reaktionen nicht erklären. Es kommt mir so vor, als deutetest du etwas an, was sich mir aber auch am Ende nicht erschließt. Mia scheint wichtig zu sein für deine Geschichte, aber ich kann dieses 'Wichtig-sein' nicht so recht packen. Mal sehen, wie es anderen geht? Vielleicht habe ich auch nur nicht genau genug gelesen?

Und auch der Charakter der Oma will mir nicht so ganz einleuchten: Auf der einen Seite ist sie ja eine ordentliche Frau,

Über Nacht hing die Schürze an eben dieser Tür, neben einem Besen und einem kleinen Handspiegel, sowie einem Schuhlöffel und einer Taschenlampe. Immer in derselben Reihenfolge.
auf der anderen Seite lässt sie zu, dass sich in dem Zimmer über die Zeit nicht nur Unmengen von Jogurtbechern sammeln und stapeln, auch lässt sie den modrigen Gestank verwesender Tiere zu. Das muss sie doch gerochen haben, wenn sie dort immer weiter Dinge ablud und sammelte. Und auch Mia scheint ja manchmal in diesen Raum gegangen zu sein:

Oma trug den Schlüssel ständig in der Kittelschürze, sogar Mia musste darum bitten.

Noch drei Anmerkungen:
Mia, schmal und und nicht so strahlend wie sonst

„Du könntest es viel besser haben. Ein Badezimmer, ein Balkon, kein zugiges Außenklo und keine steilen Treppen mehr.
Das ist zwar wörtliche Rede, aber alle sprechen ja ansonsten Hochdeutsch: MMn müsste es ‚einen Balkon’ heißen, denn es bezieht sich ja auf ‚haben’.

Jedenfalls fuhr sie auf ihrem Rollstuhl nur mit dem Rücken zum Schönbergzimmer durch die Küche.
‚nur mit dem Rücken’ ? Das ist nicht ganz klar ausgedrückt.

Das war's von mir zu deiner kleinen Familien-Saga.

Schöne Grüße in den hoffentlich nicht zu regnerischen Schwarzwald.

barnhelm

 
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Lieber svg,

das ist ja ein tolles Lob, so früh am Morgen. Nein, ich bin keineswegs gekränkt über deine Gedanken zu meiner Entwicklung bei den Wortkriegern. Ich sehe ja, wie gut mir die Kommentare helfen und wie gut es ist, selber zu kommentieren (auch wenn ich die Suche nach den formalen Fehlern gerne anderen überlasse :shy:, ich musste vierzig Jahre lang Aufsätze korrigieren).

Für dich hat also der Spannungsbogen geklappt, so wie ich glaubte, dass meine Kinderprotagonisten den Ablauf erlebt haben könnten. Ich weiß wohl, dass durch den Andeutungscharakter für manche Leser Lücken entstehen. Aber ganz ehrlich, es ist mir lieber, wenn die Leser schreiben: Och, darüber hätte ich gerne mehr erfahren, als wenn gesagt wird: irrelevant! Kürzen, kürzen, kürzen.

So bin ich also mit deinem Urteil höchst glücklich, lehne mich zurück und lese die anderen Challenge-Geschichten.

Herzliche Grüße
wieselmaus

Liebe Bea Milana,

danke für deine schöne Beurteilung. Wir haben ja beide gerne Frauenschicksale im Fokus, du die modernere Vision (zu der du natürlich gehörst), ich, mindestens vier Dekaden älter als du, pflege Erinnerungen an frühere Zeiten. Das Heute betrachte ich oft aus ironisch-wohlwollender Distanz.

Mit den Namen ist es oft eine Abwägung, wann man damit herausrückt. Ein Kind wird sich nicht gleich vorstellen, da muss der Leser sich möglicherweise gedulden. Vielleicht es es aber auch nur ein pädagogischer Trick, um genaues Lesen zu erzwingen:D. In einem Roman würde ich allerdings ärgerlich werden, wenn ich die Namen nicht auseinanderhalten könnte. Mindestens verlange ich da eine Personenliste zum Nachschlagen.

Die Namen selber kommen bei mir meistens aus dem Bauch, entpuppen sich aber nicht selten als durchaus strukuriert. Hier sind zwei Lager angedeutet: Willem, Wally und Wolfi, die rationale Seite, und Mia, Mama, Anni, Amalie, alle vier, in das Familiengeheimnis Eingebundene, auch phonetisch verknüpft.
Hä, sagst du jetzt, und das alles hast du dir vorher überlegt?? Nö, sage ich, aber es macht Spaß, es hinterher so auszulegen.

Jetzt habe ich ja Zeit für die anderen Challenge-Texte. Wir hören voneinander.

Liebe Grüße
wieselmaus


Guten Morgen, lieber Friedrichard,

wenn ich Post von dir erhalte, stürze ich mich gleich auf deine Korrekturvorschläge, arbeite sie ein und freue mich über "kleine Ursachen (Mängel), große Wirkung (Lesevergnügen).

Eigentlich müsste ich bei größerer Geduld und Ausdauer die meisten Fehler selbst sehen. Z.B. "Gämse". Hab ich gewusst, aber nicht verinnerlicht. Es ist überhaupt so, dass die Korrektur der Korrektur der Korrektur der RSR mich ziemlich verwirrt hat. Und ist es nicht so, dass man im Alter sich an die früheren Sachen deutlicher erinnert? Also nehme ich mal den Altersbonus in Anspruch.

Authentisch schreiben war immer mein großes Ziel. Über das schreiben, was man wirklich kennt. Kann sein, dass es nur ein sehr begrenzter Ausschnitt ist. Aber es gibt ja unerschöpfliche Innenwelten und mit den Jahren kommen etliche Außenwelterfahrungen dazu.

Dein unverblümt ausgesprochenes Lob rührt mich wirklich. Allmählich glaube ich, die Domäne gefunden zu haben, wo ich mich schreiberisch wohlfühle. Da hast du einen großen Anteil daran. Danke.

Herzliche Grüße
wieselmaus

 

Hallo wieselmaus,

eine Kurzgeschichte, die im Schwarzwald spielt? Die muss ich mir aber unbedingt durchlesen :D Ich weiß ja, dass du ein echtes Bobbele bist und da kommt der Dialekt natürlich super zum Ausdruck.

Du hast ja schon ziemlich viel Lob für deinen Stil bekommen. Und ja, da stimme ich zu, mir gefällt der genauso. Allerdings habe ich ein kleinen Punkt zum Mosern: Mir driftet (Huiui;-) dein Text stellenweise zu sehr ins Alltägliche und in das Beschreiben von Kleinigkeiten ab - was keinesfalls falsch sein soll, das will ich nicht sagen - nur rücken dadurch bestimmte Ereignisse meiner Meinung nach mehr in den Vordergrund, so dass ich beim Lesen manchmal eher einen Bericht gelesen habe (soll nicht böse oder gewollt kritisch klingen! Der Punkt ist auf jeden Fall kleinlich!). Hier zum Beispiel:

Sonntags, nach dem Hochamt, versammelten wir uns zu einem kurzen Familientreffen in Omas großer, altmodischer Wohnküche. Mindestens zwölf Personen konnten am Tisch Platz finden. Heute waren es nur acht. Unser einziger Cousin studierte seit einiger Zeit in Berlin. Zur Feier des Tages war weiß gedeckt und Mia hatte das gute Geschirr mit dem Goldrand aufgelegt. Wir Kinder durften sie einfach „Mia“ nennen, obwohl sie unsere Tante war.

Ich muss neuerdings manchmal Protokolle schreiben und vom Aufbau her hat mich dieser Abschnitt ein bisschen daran erinnert, wie ich verzweifelt versucht habe, den Text in die richtige Form zu bringen: Sonntags, nach dem Hochamt, ...
Das hat sicher viel mit der Frage nach dem eigenen Geschmack zu tun, war aber ein der wenigen Dinge, die mir beim Lesen aufgefallen sind. Vielleicht hilft's dir ja irgendwie zumindest ein kleines Stückchen weiter -). (Und he: Ich erwarte auf keinen Fall, dass du den Absatz zwingend veränderst, okay :)? Wie gesagt, vielleicht ist das hier alles nur Gebrabbel und dann darfst du's gern auch ignorieren...!!).


Ansonsten habe ich nur ein paar kleinere Textstellen, aber weil ich davon ausgehe, dass du da ohnehin permanent dran arbeitest, ist dir wahrscheinlich das ein oder andere schon über den Weg gelaufen:

Aber er hat so schön im Kirchenchor gesungen",[Hier fehlt ein Leerzeichen!] sagte Oma und schielte zu Wally
Das Hakenbrett, eine Laubsägenarbeit mit dem Spruch 'Ordnung ist das halbe Leben',
Hier fände ich "Laubsägearbeit" sprachlich schöner.

„Aber Oma, ích doch nicht, versprochen. Ich pass gerne auf Anni auf. Anni mag das. Lasst euch ruhig Zeit.“
Nanana. Wir sind ja immer noch im Badischen, da kann sich der Akzent auf dem "i" wohl eher mal verkrümeln.


Viele Grüße,
SCFuchs


Ps: Ziemlich cooler Titel übrigens! Der hat viel Aussagkraft, finde ich.

 
Zuletzt bearbeitet:

Lieber jobär,

es freut mich sehr, dass es mir gelungen ist, auch deine Erinnerungen zu beflügeln. Das finde ich wunderbar, denn dann weiß ich, mein Text hat etwas Wahres an sich.
Es stimmt, man kann tatsächlich geschlechterspezifisches Verhalten beim Erinnern, Verdrängen und Aufarbeiten herauslesen. Vielleicht ist es heute nicht mehr so signifikant, oder doch? Die Zeichen stehen gerade auf "Retro".

Solche Familiengeheimnisse gibt es wahrscheinlich viele, und nicht wenige sind bestimmt noch düsterer als das in meinem Text. Meinen Prot Willem sehe ich als typischen Mann seiner Zeit: fürsorglich und herrsüchtig zugleich, gekoppelt an den ökonomischen Erfolg des "Wirtschaftswunders".

Danke für deinen Kommentar und liebe Grüße
wieselmaus


Liebe barnhelm,

schön, wieder einmal von dir zu lesen. Ich will mal detailliert, der Reihe nach, auf deine Kritikpunkte eingehen. Du bist ja eine sehr gründliche Leserin, der nicht so schnell ein Stolperstein entgeht.

... worum es nun gehen würde

Die Kinder sind sozusagen meine Führer durch Alltägliches, Geheimnisvolles, Gruseliges, Feiern, Tod und Enthüllung, eben in der Reihenfolge ihres Erlebens. Dabei entstehen Wissenslücken, Fragezeichen und Überraschungen. Das ist durchaus beabsichtigt zugunsten der Spannung bis zum Schluss. Etwas wie eine Spirale. So wenigstens war der Plan.

Die Die "Gruseleffekte".

Sie waren nur Nebenprodukt meiner Erzählintention, vielleicht ein klein wenig zur absichtlichen Irreführung des Lesers gedacht. Aber diesen Tag "Horror" setze ich nicht, weil ich mir das nicht als Hauptintention zutraue.

gefangener Raum ... nur von der Küche aus betretbar

Diese an sich unnötige Doppelung habe ich deswegen gewählt, weil Anni als Erzählstimme von diesem Wort "gefangen" fasziniert sein sollte und es Assoziationen auslösen kann (auch beim Leser).

... schwere Holzjalousien verschlossen

Mia geht regelmäßig in diesen Raum zum Lüften, vor allem nachts sind Fenster und Jalousien auf und oben, über Jahre hinweg ... Ich selber hatte mal einen Schwarm junger Fledermäuse im Zimmer :eek:
Die Katze bleibt natürlich das Rätsel und auch der verschwundene Hund Fifi. Ein Detektiv müsste vielleicht den Container genauer inspizieren ...

Das Monster

Ich habe jetzt verbessert:
Es erhob sich über alten Kästen, Schränken und Matratzen. Über diesem Sockel stapelten sich ...
Das Monster hat in Annis Wahrnehmung eine Art Buckel. Überhaupt wird es aus Annis Sicht etwas Lebendiges. Und der ganze Schrottberg droht bei Erschütterung zusammenzustürzen.

Mia

Die Ich-Erzählerin ist ein Kind und schnappt nur Andeutungen auf. Ja, Mias Geschichte könnte eine eigene Erzählung sein. Sie weiß am meisten über ihre Mutter, aber nicht alles. Sie schützen sich gegenseitig. Hier hat der Leser in der Tat große Interpretationsmöglichkeiten.

immer in der selben Reihenfolge

Mia ist die Ordentliche. Ich wollte übrigens keine Messi-Geschichte schreiben. Im aufkommenden Wirtschaftswunder waren viele Menschen noch von der Not der Nachkriegszeit geprägt. Es war noch keine Wegwerf-Gesellschaft. Die Oma wollte nichts sammeln, sondern verbergen.

fuhr ... mit dem Rücken zum Schönbergzimmer

Da habe ich im Text verbessert:

... multifunktionalen Sessel, elektrisch verstellbar und auf Rollen. Oma konnte damit vorwärts, rückwärts und im Kreis fahren
Dann bekommt der von dir monierte Satz hoffentlich mehr Sinn.

Ich danke dir für deine Gründlichkeit und freue mich, dass du doch ein wenig Lesespaß hattest.

Das Wetter im Schwarzwald ist ein paar Grad milder als im restlichen Deutschland. Bis vor wenigen Tagen war ich noch auf Teneriffa, bin aber gleich von einer heftigen Erkältung hier erwischt worden.

Wo bleibt deine Challenge-Geschichte ???

Es grüßt dich ganz herzlich
wieselmaus

 

Hallo Sportsfreund SCFuchs,

du hast dich ja gut eingelebt hier im Forum. Ich schließe daraus, dass dich die Anfangsschelte nicht demotiviert hat. Und schön, dass du dich an mich erinnerst;)

Nun das "Schönbergzimmer". Womöglich kannst du von deinem Zuhause den Berg sehen. Es ist mein Berg der Kindheit.

Du findest den Anfang zu berichtmäßig und zu alltäglich. Du hast richtig beobachtet. Die Idee war, so eine Art Bühnenbild zu schaffen, wo die Akteure alle zusammen auftreten. Ein Familienfoto. Das Alltägliche ist nun mal mein Thema, nix Spektakuläres, aber ein Lebensausschnitt, den viele Menschen so erleben und an den sie sich auch viel später noch erinnern. Harmlos vielleicht, und doch verbergen sich dahinter oft Tragödien, eben die berüchtigten Familiengeheimnisse. Kinder wittern dies, wenn sie neugierig und clever sind.

Und so geht es weiter. Alle die scheinbar unbedeutenden Details habe ich versucht, bedeutsam zu machen für den Spannungsaufbau. Vieles habe ich wieder herausgestrichen, wo andere Leser gerne mehr erfahren hätten. Das ist halt das Schwierigste bei Kurzgeschichten: die Balance zwischen zu viel und zu wenig. Ich weiß inzwischen, dass es fast unmöglich ist, alle Leser zu erwischen.

Ich danke dir sehr für das aufmerksame Lesen und werde umgehend die Korrekturen vornehmen. Natürlich muss es Laubsägearbeit heißen.

Was meinst du mit unbadischen Akzent auf Anni? Ich kenne Anni mit Betonung auf der ersten Silbe. Alternativ wäre Annele. Aber das ist mir zu betulich für eine aufgeweckte Zehnjährige.

Viele Grüße von Bobbele zu Bobbele
wieselmaus

 
Zuletzt bearbeitet:

Liebe wieselmaus,

das ist eine schöne Geschichte über Familienbande und Geheimnisse. Wohl jede Familie hat solche Geheimnisse, uralte, die irgendwann gefunden werden. Und wenn es durch neugierige Kinder ist. ;)

Wirklich sehr souverän geschrieben. Am Anfang hatte ich kurz Probleme, mich zurecht zu finden, du startest immerhin mit einem vollen Familientisch, da muss man sich erstmal durch die Onkel und Tanten wuseln. Aber nach dem ersten Absatz ist das schon erledigt, dann fließt die Geschichte nur noch, und das sehr gut.

Du schreibst unaufgeregt, und das meine ich durchweg positiv. Der Ton passt einfach perfekt zu diesem Alltäglichen, wo doch etwas Besonderes noch mitschwingt. Dein Stil passt zu solchen Geschichten, über Familien und ihre Sorgen, das hat mir schon beim Copywrite sehr gefallen. Da gibt es nichts zu meckern.

Du schreibst auch sehr detailreich, vor allem am Anfang mit dem Geschirr und dem Essen, später mit dem Müll im Zimmer. Aber ich finde, das wirkt nicht überladen. Es trägt vielmehr zur Atmosphäre bei, und die gelingt dir wirklich gut. Das wirkt alles sehr authentisch. Da erfasst einem so ein heimeliges Gefühl, Nostalgie fast.

Die Messie-Neigung der Oma (inklusive toter Katze) hat dann schon für eine ziemliche Überraschung gesorgt und dem Text nochmal schönen Schwung gegeben. Und eine mysteriöse Liebesbeziehnung, bei der man am Ende eigentlich nicht so richtig weiß, was da vorgefallen ist, tut ihr Übriges.

Ich habe nicht wirlich was zu beanstanden, die Geschichte ist genau so, wie eine solche Geschichte eben sein muss. Hut ab.

Drei Kleinigkeiten:

Wir Kinder durften sie einfach „Mia“ nennen, obwohl sie unsere Tante war.
Im Winter dampfte Nudelsuppe mit Rindfleisch und Schnittlauch in der Terrine mit den Löwenkopfgriffen, im Sommer löffelten wir Gazpacho, eine kalte Gemüsesuppe, deren Rezept für uns Kinder ebenso geheimnisvoll blieb wie ihr Erfinder. Auch gab es französisches Stangenbrot, auf das wir Kinder besonders scharf waren. Angeblich stammte das Rezept für den Gazpacho von Mias verflossenem Freund, der sich wieder nach Teneriffa zu Frau und Kindern zurückgeschifft hatte, obwohl er doch mit Mia verlobt war.

Da sind ja viele Kinder. ;)

„Zieh die Jalousie hoch“, kommandierte er, „aber nur ein bisschen, damit es von der Straße her niemand sieht.“.

Da ist dir ein Punkt zu viel hingerutscht.

Mia hat, wie sie mir später erzählte, Hermanns Briefe noch am selben Abend verbrannt.

hatte

Gerne gelesen, liebe wieselmaus, der Text ist dir wirklich gelungen.

Liebe Grüße
gibberish

 

Hallo Wieselmaus!

ich nochmal kurz ;)
Nee, ganz losgeworden seid ihr Krieger mich nicht, haha. Dafür kann man hier dann doch zuviel lernen.

Was meinst du mit unbadischen Akzent auf Anni? Ich kenne Anni mit Betonung auf der ersten Silbe. Alternativ wäre Annele. Aber das ist mir zu betulich für eine aufgeweckte Zehnjährige.
Nein, Anni passt gut, finde ich. Mit dem unbadischen Akzent meinte ich den auf dem 'i' hier:

„Aber Oma, ích doch nicht, versprochen. Ich pass gerne auf Anni auf. Anni mag das. Lasst euch ruhig Zeit.

Da hat sich deine Tastatur wohl einen Sprung zu weit nach oben gewagt ;)


Viele Grüße grüßt das Bobbele,
SCFuchs

 

Hallo wieselmaus!

Eine schöne, leicht düstere Familiengeschichte hast du da geschrieben. Auch mir gefällt dein Schreib- und Erzählstil sehr gut. Nur finde ich nicht, dass diese Geschichte jetzt unbedingt die "beste" ist, weil das ja implizieren würde, deine anderen Geschichte seien dann ja "schlechter", und das finde ich nicht so.
Eher im Gegenteil - ich lese deine Geschichten immer sehr gerne, weil du (mehr oder weniger:D) immer einen so freundlichen, warmherzigen und liebevollen Ton triffst. Ich finde deine Geschichten sehr ... harmonisch, denke ich, beschreibt es ganz gut. Wie ein warmes Bad oder ein guter Whiskey am Kamin.
Von daher hat mir diese Geschichte auch wieder sehr gut gefallen, obgleich sie dieses Mal in der Tat etwas düsterer war als sonst.
Das dunkle, verdreckte, ungezieferverseuchte Zimmer, der riesige "Berg" bzw. das "Monster", Knochen in ner Kinderwiege, Geheimnisse - wow, hätte glatt von mir sein können. Nur hätte es dann sicher in einer Blut- und Mordorgie geendet!!:lol:

Hat mir gefallen, deine Geschichte und deshalb gern gelesen, sagt der
EISENMANN, der sich trotzdem fragt, was zum Geier Mia in Holland gemacht hat. Gras kaufen, vielleicht?;)

 

Lieber gibberish,

na, das ist aber mal ein dickes Lob.
Ich bedanke mich und habe gleich ein paar verbale Kinder eliminiert. Es gibt jetzt nur noch Bruder und Schwester, bzw.Wolfi und Anni. Ich hatte es schon im Fokus, wollte aber die kindliche Sicht von Anni, die halt immer nur "wir" oder "wir Kinder" denken würde, zugunsten der Erzählstimme retten. Manchmal übersieht man die naheliegensten Lösungen. Aber außer dir hat es keiner gemerkt :D.

Anders sieht es mit

Mia hat, wie sie mir später erzählte, ...

aus. Es ist eigentlich indirekte Rede und müsste

habe

heißen. Mein Bauchgefühl sagt mir aber, dieser Abschnitt gehört inhaltlich zum letzten Satz

Und jetzt habe ich ein Geheimnis vor Wolfi,

daher mein Präsens.

Schulgrammatik gegen Sprachgefühl. Friedrichard weist immer wieder darauf hin.

Ich wünsch dir viel Erfolg in der Challenge und freue mich, dass du wieder an Bord bist.

Herzliche Grüße
wieselmaus

 

Lieber Eisenmann,

keine schlechte Idee, die mit dem Whiskey am Kamin. Da hat man gleich etwas Wärme, wenn einen die Gänsehaut überkommt.

Du hast dich ja richtig als Fan leiser Töne geoutet. Das sind unerwartete Lobeslieder und deshalb darfst du mich gerne wieselchen nennen. Mauswiesel gibts wirklich, und das sind echte kleine Raubtiere :D

Ich danke dir für das Lob. Was Hannah betrifft, gab es nichts zu verzeihen. Sollten wir jemals wieder in einem Copywrite aufeinandertreffen, darfst du gerne die Katze in der Puppenwiege austauschen ...

Holland war für junge Frauen im gebärfähigen Alter eine Notadresse. Es gab die Pille noch nicht, und schon gar nicht die Pille danach. Lange her ...

Herzliche Grüße
wieselmaus

 

Liebe wieselmaus
Ich mag den Text mit all den Zutaten, die ich aus deinen Geschichten kenne. Du beschreibst eine bürgerliche Welt, in der er zwar Brüche gibt, die aber in Ordnung ist und alles, was Unordnung schafft, verschweigt oder in Wohlgefallen auflöst. Es ist dennoch ein tragisch-wehmütige Geschichte, die über die Sehnsucht der Oma berichtet, über das, was vergeht, wenn jemand stirbt und seine Erinnerungen verloren gehen. Dass Mia die Briefe verbrennt, macht mich traurig. Solche Briefe müssen bleiben, solche Erinnerungen. Auch das Bild des Monsters im verschlossenen Zimmer, das wird bleiben, geht mir nicht so schnell aus dem Kopf.

Klar, diese ganzen Verwandtschaftsbeziehungen, damit reicherst du den Text an, aber die brauche ich nicht, die lenken mich vom Kern ab und ich habe sie teilweise überlesen, stattdessen hätte ich gern mehr über die Erzählerin und über Wolfi erfahren. Und die Wahl des Titels, okay, da musste ich an den Komponisten Schönberg gedacht und was intellektuelles erwartet.

Ein paar Textstellen:

Auch gab es französisches Stangenbrot, auf das wir besonders scharf waren.
Baguette?

Das 'Schönbergzimmer' war ein gefangener Raum, man konnte ihn nur von der Küche aus betreten. Er war immer abgeschlossen, und Oma trug den Schlüssel ständig in der Kittelschürze, sogar Mia musste darum bitten.
gefangener Raum klingt merkwürdig, ist das nicht einfach ein geheimer Raum oder so was und die Kittelschürze, die erinnert an ganz alte Filme:hmm:

Oma drohte gerne mit dem Kochlöffel, aber sie meinte es nicht so.
Kochlöffel würde reichen, dass sie es nicht so meinte steckt schon im drohen,

Wir blieben erst mal eine Weile stehen und betrachteten den Berg, ein wahres Monster.
Monster haben Zähne, oder?

'Schönbergzimmer', aber nur wegen seinem schönen Berg und nicht wegen der Aussicht.“
der klingt nicht elegant, erklärt mir nicht, was du meinst:confused:

„Alte Leute sind halt so, vielleicht hängen Erinnerungen daran“, sagte Wolfi und das war seit langem der gescheiteste Satz von ihm.
dafür ist das umso besser :thumbsup:

Ordnung ist das halbe Leben, sonst besteht Lebensgefahr.
klug versteckte Message

Hat mir wirklich gut gefallen, diese nostalgische Geschichte.
viele Grüße
Isegrims

 

Liebe Isegrims,

ich glaube, zu nachtschlafender Zeit ist man besonders empfänglich für Nostalgisches. :read:Ich hoffe, das Monster hat dir nicht den Schlaf geraubt. Und dass du mit "Schönberg" den Komponisten Arnold Sch. verbindest, kommt mir nicht ungelegen. Erstens liebe ich verrätselte Titel, zweitens bringt der Komponist ja ein modernes Element in die Rückschau - ein Aufbruch in die Moderne.
Es ist für mich auch wichtig, welche Personen das meiste Interesse wecken. Es ist wohl ein Merkmal von Familienerzählungen, dass hier sehr viel Streuung möglich ist. Ist ja auch nachvollziehbar: Jeder Leser dockt sich dort an, wo er eigene Erinnerungen hat.
Mich freut diese Vielfalt und spornt mich vielleicht an, die losen Fäden an anderer Stelle aufzugreifen.

Jetzt zu einzelnen Anmerkungen von dir.

Französisches Stangenbrot

Ist natürlich Baguette. Nur kannten die Kinder diesen Ausdruck (noch) nicht. Eigentlich hieß es
Franzosenbrot, eine Reminiszens an die Zeit der französische Zonenzeit.

Gefangener Raum

Ist ein Fachausdruck für Durchgangszimmer. Anni hat ihn aufgeschnappt und für sich umgedeutet. Eigentlich müsste er den Zugang zu einem weiteren Raum haben. Der ist aber zugemauert. Aus einer ursprünglich großen Wohnung wurden zwei kleinere. Der Ausdruck weckt halt schöne Assoziationen bei der Prota, aber auch beim Leser ;) vielleicht streich ich ihn aber noch.

Kittelschürze

Laut "Brigitte" wurde sie bis in die Fünfziger Jahre getragen. Von Frauen wie Oma Amalie sowieso.

Monster ... Zähne

Das Schönbergmonster ist eher gesichtslos, ich wüsste ehrlich nicht, wie ich "Zähne" produzieren könnte. Hast du eine Idee?

Schönbergzimmer ... aber nur wegen ...

Stimmt, gefällt mir auch nicht. Da lass ich mir noch was einfallen.

Liebe Isegrims, ich danke dir sehr für dein Lob.
Hat Spaß gemacht, mit dir zu disputieren. Das gibt mir immer neue Impulse.

Liebe Grüße
wieselmaus

 
Zuletzt bearbeitet:

Liebe wieselmaus

Was mir besonders an deiner Geschichte gefällt, ist der Kontrast zwischen heimeligem Erzählton und unheimlichem Inhalt. Das wird dadurch verstärkt, dass aus der Perspektive eines Kindes erzählt wird, was denselben Kontrast erzeugt, wenn z.B. ganz unschuldig von Mias Reise nach Holland erzählt wird. Du spielst sehr gekonnt mit dem Verborgenen. Einiges kommt ans Licht, einiges nicht.

Ich hatte aber auch Mühe mit dem Text und musste ihn zweieinhalbmal lesen (beim dritten Mal noch ausgesuchte Stellen). Du hast eben nicht nur viel Personal (das fand ich recht gut bewältigbar), sondern auch so einige Schauplätze. Da ist die Entdeckungs- und Abenteuerlust der Kinder, auch ihr Verhältnis zueinander, da ist diese seltsame Parallele von Mia und der Oma (dasselbe Schicksal, eine Abtreibung?) und ihr gespanntes Verhältnis zueinander. Das hätte mir schon gereicht. Aber dann kommt noch die gespannte Beziehung von Mia und Willem dazu und die ganze Geschichte mit der Wohnung, die Ansprüche darauf. Mensch, das ist Material für einen ziemlich dicken Familienroman! Ich will dir nicht raten, das zu entschlacken, denn es wäre um jeden Aspekt schade, aber ich muss auch sagen, dass es für mich ein bisschen zu dicht ist, ich den Fokus nicht sehe (okay, der Fokus ist einfach die ganze Familie), ich wie gesagt zwei Anläufe brauchte. Hast du Lust, daraus noch etwas Grösseres zu machen? Ich fände das grossartig. Das Personal gäbe es ebenso her wie die Erzählperspektive. Dabei müsste man nicht auserklären, die Geheimnisse dürften so bleiben, wie sie sind. Aber ich denke, dass es dem Text gut tun würde, wenn das etwas entzerrt wäre.
Ich sehe jedoch, dass andere damit keine Probleme hatten, also kannst du das getrost ignorieren.

Ansonsten habe ich nichts zu kritisieren. Doch. Die Katze (und andere Tiere). Ich bin kein Experte. Aber ich denke wirklich nicht, dass der Verwesungsgeruch eines mittelgrossen Tiers auszuhalten wäre, auch nicht in den Nebenräumen. Auf der anderen Seite sehe ich aber auch nicht, weshalb Oma das Skelett dorthin gelegt haben sollte. Also, das ist natürlich blöd, weil das eine sehr schöne Idee ist. Vielleicht findest du eine Lösung - oder belehrst mich eines Besseren.

Trotz meiner Einwände: Dicht, psychologisch fein, atmosphärisch, subtil. Gern gelesen!

Lieber Gruss
Peeperkorn

 
Zuletzt bearbeitet:

Lieber@Peeperkorn,

so viel Lob von dir, das ist schon was. Ich bin fast versucht zu sagen, das wäre doch nicht nötig gewesen ;).

Ein Glück, dass einige Anmerkungen dazu geeignet sind, mich aus faulem, selbstzufriedenen Zustand aufzujagen, um nochmals nachzudenken.

... aber ich muss auch sagen, dass es ein bisschen zu dicht ist, ich den Fokus nicht sehe (okay der Fokus ist einfach die Familie)

Ja, die Familie steht im Mittelpunkt meiner Thematik. Mal sind es die Großeltern, dann wieder die jüngste Generation. Das springt schon hin und her, lässt einzelne Fäden hängen, nähert sich dem Gebilde in Spiralen. Du hast bestimmt Recht, die Romanform wäre dem Sujet angemessener. Es schmeichelt mir sehr, dass du annimmst, es reiche das Personal ebenso ... wie die Erzählperspektive dafür aus.

Ich glaube nicht, dass ich nochmals die Zeit und die Nerven für ein Romanprojekt aufbringen kann. Mir gefällt die derzeitige Situation sehr gut: Kompetente, wohlgesonnene Leser im Forum begleiten mich. Ich kann einzelne Fäden aufgreifen und zu einem lockeren Gewebe verspinnen. Und ich habe die Freiheit, mich von Zeit zu Zeit in ganz anderen Themen zu tummeln. Das Kommentieren schätze ich auch inzwischen und bin immer wieder erstaunt (und erfreut) wenn meine Anmerkungen ernst genommen werden.

Die Katze

Ja, da habe ich mir lange den Kopf darüber zerbrochen. Die Oma hat sie möglicherweise als einen Ersatz in eine Wiege gelegt, anstelle einer Totgeburt, die verborgen bleiben musste, oder auch als Symbol ihrer Trauer wegen einer Abtreibung. Ein Psychologe könnte wahrscheinlich Genaueres darüber sagen, ob so eine Handlung denkbar ist.

Was den Verwesungsgeruch angeht: Der Raum wurde ja jede Nacht belüftet, über Jahre hinweg. Nach einer gewissen Zeit nimmt man als Bewohner den Geruch überhaupt nicht mehr wahr und das Zimmer war ja für den Rest der Familie tabu.

Eine weitere Lesart: Mias ältere Schwester, die Mutter von Anni und Wolfi, war durchaus in Omas Geheimnis eingeweiht, deshalb ist sie sehr daran interessiert, alles ohne Federlesens( kann man wörtlich nehmen) in den Container zu werfen.
Diese Familie hat eben ihre Leichen nicht im Keller, sondern im Nebenzimmer.

Es bleibt also für jeden Leser reichlich Futter zum Spekulieren. Auch mir selber fallen immer noch weitere Indizien ein ...

Ich danke dir sehr für dein abschließendes Urteil.

Herzliche Grüße
wieselmaus

 

Hey @wieselmaus

Ich finde die Geschichte sehr gelungen! Die Figuren waren wunderschön gezeichnet, und ich habe mich bereits nach wenigen Sätzen (auch wenn es vielleicht etwas komisch klingen mag) sehr heimelig gefühlt - im Text, in der Atmosphäre, in allem. Ich kenne die Familie kaum und doch ist sie mir schon ans Herz gewachsen, großes Kompliment an dich. Ich hätte ewig lang so weiterlesen können, und dass hinter allem ein dunkles Familiengeheimnis steht, das du nicht genau benennst, macht die KG für mich sogar noch besser.

„Es ist eine Katze, ganz bestimmt ist es eine Katze, schau dir doch den Schädel an, die Form, die spitzen Zähne.“

Und vor allem wahrscheinlich der Schwanz :D Die Stelle war echt toll, das sprichwörtliche Skelett im Schrank (wenn auch nicht direkt im Schrank) kam für mich aus dem Nichts und hat mich sehr amüsiert. Ich hab nichts zu bemängeln, total gerne gelesen!

Lg,
pumpkin

 

Liebe pumpkin

ha, du als Katzenfreundin hast natürlich sofort erkannt, dass man ein Katzenskelett am schnellsten am Schwanz erkennt. Was aber, wenn im Lauf der Jahrzehnte die bösen Ratten das Schwänzlein abgebissen und verschleppt hätten?

Du siehst, ich bin nicht um Antworten verlegen, wenn es um die Rettung meiner Darlings geht.:lol:

Dein uneingeschränktes Lob schmeckt mir ganz ausgezeichnet und es freut mich, dass ich wiederum deinen Geschmack getroffen habe. Ich glaube, Familiengeheimnisse sind deshalb als Thema so beliebt, weil es vielen erlaubt, nach den eigenen Leichen im Keller zu suchen. Du doch auch, oder??

Herzliche Grüße
wieselmaus

 

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