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Hahn im Korb

Wortkrieger-Team
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07.09.2014
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Hahn im Korb

„Schickes Hemd, Herr Thomsen! Was seh'n Sie fesch aus, heute! Ihr Schnäpschen stell' ich Ihnen schon mal hin!“ Die Pflegerin zwinkert ihm zu, stellt den kleinen Plastikbecher ab und läuft zum Nachbartisch. Er parkt seinen Rollator hinter dem Stuhl, stellt die Bremsen fest und hangelt sich an der Lehne zu seinem Platz, der heute blau-weiss dekoriert ist. Das Heim feiert bayrische Woche. Seinen rechten Arm legt er so weit auf den Tisch, dass er nicht herunterrutschen kann. Im Auge behalten will er ihn trotzdem. Zuerst kippt er sein Medikament hinunter. Dann pickt er die vorgeschnittenen Weißwurststücke mit der Gabel auf, tunkt sie in den süßen Senf und schiebt sie sich vorsichtig in den Mund. Er konzentriert sich, um genau zu treffen, doch schon nach dem zweiten Stück hat er das Gefühl, dass ihm der Saft am Kinn herunterrinnt. Hastig greift er nach der Serviette und schüttelt sie auseinander. Ein Zettel flattert heraus, dreht sich in der Luft und bleibt zwischen Tasse und Teller liegen. Die Buchstaben sind zittrig, aber sogar für ihn zu erkennen: „Ich liebe Sie.“ Daneben ein verunglücktes Herz. Er stößt die Tasse um, als er nach dem Zettel greift, der Tee fließt über den Tisch, läuft am Tischbein hinunter. Gerade noch gelingt es ihm, den Zettel in seiner Hand zu verbergen, als die Schwester mit einem Lappen naht.
„Na, na, na, nicht so stürmisch, Herr Thomsen!“ Ihre Stimme klingt schrill in seinen Ohren. Er sieht, dass sie immer noch zwinkert, gar nicht aufhört mit dem Gezwinkere, und macht eine entschuldigende Geste. „Da, da.“
"Schon gut." Sie taucht hinter dem Tisch ab. Als sie wieder weg ist, schiebt er den Zettel in seine Hosentasche. Die Trinkerin, darauf könnte er wetten. Er vermeidet den Blick in die Richtung, wo sie sitzt, drei Tische weiter, hochrot im Gesicht vermutlich und leicht angeschickert. Ständig bietet sie ihm Hustenbonbons an und jetzt das. Die Wurst schmeckt auf einmal fade.
Als er den Speisesaal verlässt, steht sie aufgeregt lächelnd im Ausgang, ihre grauen Haare trägt sie heute offen bis zur Schulter. Das sieht er noch, bevor er den Blick abwendet und beginnt seinen Kopf zu schütteln. So schnell er kann, schiebt er seinen Rollator an ihr vorbei. Ja, sie riecht nach Alkohol.
„Haben Sie's gelesen?“ fragt sie in seinem Rücken leise. Er schüttelt den Kopf, läuft noch schneller, so dass er beinahe über seinen kranken Fuß stolpert.

Nachmittags kommt sein Sohn Martin zu Besuch, worüber er sich so freut, dass er die Frau vergisst. Martin ist der Klügste von seinen Jungs, das ist ihm früher nie aufgefallen. Er kann ihm ein Zeichen machen, dass er pinkeln muss, und Martin versteht. Paul hingegen klingelt immer sofort nach der Schwester. „Mein Vater will irgendwas. Meinen Sie, er hat Schmerzen?“
Er lächelt Martin an, und Martin sagt: „Gut siehst du aus, Papa.“ Du auch, will er sagen, aber wieder kommt nur, „Da, da.“
„Danke!“ Martin lacht, und er lacht noch lauter, nickt beifällig. Da klopft es, und die Schwester kommt herein.
„Na, Sie haben ja Spaß hier. Ich hätte hier noch ein Schnäpschen für den Papa.“ Sie zwinkert Martin zu.
„Na, wenn's wenigstens ein Schnäpschen wäre, nicht Papa?“ sagt Martin.

Nachts fährt er hoch. Licht fällt durch die Tür ins Zimmer. Da steht jemand, ganz nah bei seinem Fußende. Die Schwester? Nein. Die Person bewegt sich nicht. Steht einfach nur da. Sein Herz klopft wie verrückt. Dann erkennt er, dass es eine alte Frau ist. Und dass sie nackt ist. Durch ihre fedrigen Haare scheint von hinten das Licht bis auf die Kopfhaut. Ihr Gesicht liegt im Dunkeln, aber er ist sich sicher, dass sie ihn anstarrt. Er hört auf zu atmen, als sie nach der Bettdecke greift und sie lautlos über seinen Füßen hochzieht. Ein Luftzug streicht bis zu seinen Knien, er ballt die linke Faust, bewegt die Lippen.
"Füße", sagt sie plötzlich laut. Und dann noch einmal, nachdenklich, "Füße."
Nach endlosen Sekunden lässt sie unvermittelt die Decke fallen, dreht sich um und geht. Ein beißender Geruch steigt ihm in die Nase. Er hat ins Bett gemacht.

Am nächsten Tag knickt ihm beim Aufstehen das rechte Bein weg, worauf sie ihn im Rollstuhl zum Frühstück fahren. Zweimal verschluckt er sich. Als er beim zweiten Mal nach der Serviette greift, rutscht wieder ein Zettel heraus. Ohne ihn anzusehen, steckt er ihn in seine Hosentasche. Danach möchte er am Liebsten wieder ins Bett, aber die Schwester mit dem harten, osteuropäischen Akzent spricht ihn an.
„Im Marienzimmer sind sie am Basteln. Haben Sie Lust?“ Er schüttelt den Kopf, worauf sie seine Bremsen löst und ihn vom Tisch wegzieht.
„Das kann viel Spass machen, werden Sie schon sehen. Sie können was Schönes für mich basteln. Ich freu mich.“ Sie beugt sich um ihn herum, um ihm ins Gesicht zu sehen. „Na?“
Er mag die Schwester, vielleicht, weil sie die Einzige ist, die schon da war, als er hier vor zwei Jahren einzog. Also zuckt er mit den Schultern.
„Sehr gut. Ich bring Sie hin.“
Er erkennt die rauhe Stimme nicht gleich.
„Ich kann den Herrn Thomsen mitnehmen. Ich will auch ins Marienzimmer.“
„Oh, prima“, sagt die Schwester in seinem Rücken. „Herr Thomsen, die Frau Ruge übernimmt Sie mal. Und machen Sie was ganz Schönes für mich, ja?“
Weg ist sie, und er ist allein mit der Trinkerin. Frau Ruge heißt sie, mag sein, er kann sich keine Namen mehr merken, und ihren will er gar nicht wissen. Und er will auch nicht von ihr gefahren werden. Sein Rollstuhl setzt sich wieder in Bewegung, langsamer als vorher. Er schweigt.
„Geht's Ihnen gut?“, fragt sie schließlich. Er nickt. An der Schräge hört er an ihrem Atem, wie sehr sie sich anstrengen muss. Sie ist dünn, die Ruge, und alt. Womöglich wird sie ihn loslassen, so dass er rückwärts die Schräge hinunterrollt. Er wird sie überrrollen, umkippen und mit dem Kopf gegen den Türrahmen knallen. Sein Bein streckt sich plötzlich und rutscht von der Fußstütze auf den Boden, blockiert noch zusätzlich.
„Oh“, schnauft sie „oh nein, Ihr Bein.“ Irgendwie schafft sie trotz schleifendem Fuß die letzten Meter.
„Ui, das war knapp.“ Sie stellt sich vor ihn, lacht und hört gar nicht mehr auf. Bestimmt will sie, dass er auch lacht, dass sie zusammen lachen, und er beißt die Zähne zusammen. Er will jetzt in das verdammte Marienzimmer.
Doch zunächst zerrt sie an seinem Bein und versucht, es wieder auf die Fußstütze zu stellen. Warum ruft sie keine Schwester? Die Haare fallen ihr immer wieder ins Gesicht, und er fragt sich mit Schaudern, warum sie sie heute schon wieder offen trägt. Schließlich hat sie das Bein wieder oben, wenn auch gestreckt, mit der Wade auf der Kante. Es tut weh.
„Geht das so?“ Er nickt.
„Haben Sie meinen Brief gefunden? In der Serviette?“ Ein knurrender Laut rutscht aus seiner Kehle und er deutet herrisch den Flur entlang, Richtung Marienzimmer. Ihr Gesicht, eben noch bereit, mit ihm zu lachen, scheint in lauter kleine Stücke zu zerfallen. Den Kopf zur Seite geneigt, eine Schulter hochgezogen, schaut sie an ihm vorbei. Er macht eine entschuldigende Bewegung mit seiner Hand und lässt sie in seinen Schoss sinken. Ein Fehler, denn sofort strahlt sie. Wieder weist er Richtung Marienzimmer, und sie nickt heftig, tritt hinter den Rollstuhl und schiebt los, zügiger als vorher. Er atmet auf. Es gelingt ihm sogar, unter sein Bein zu greifen und es hochzuziehen. Sie gibt einen kleinen beifälligen Laut von sich und beschleunigt. Er freut sich.
Bis sie mit ihm am Marienzimmer vorbeirauscht. Er ruft “Da, da“, versucht sich zu drehen und fuchtelt mit dem Finger.
„Pscht, ich will Ihnen noch was zeigen“, flüstert sie,“Nur noch zweimal um die Ecke. Da vorne ist es doch schon.“
Seine Versuche aufzustehen gibt er bald auf, denn sie ist zu schnell. Wieder hört er sie schnaufen. Bald kennt er sich nicht mehr aus, hier war er noch nie. Nirgendwo ist eine Schwester zu sehen. Er ruft sein "da,da" in den leeren Flur und endlich bleibt sie abrupt mit ihm vor einem Fenster stehen. Ihre Worte überschlagen sich.
„Ist doch gut, hier ist es doch schon! Ich wollte Ihnen doch nur mal zeigen, wo ich gewohnt habe. Da schauen Sie, dahinten neben dem Wasserturm, die Reihenhäuser, die schwarzweißen. Da haben wir gewohnt.“
Er sackt auf seinem Sitz zusammen. Schüttelt den Kopf.
„Ich mein', das interessiert Sie doch vielleicht. Es ist das erste Haus von links. Man kann alles sehen. Den Garten. Sogar die Apfelbäume. Früher hatten wir da für die Kinder eine Schaukel hängen. Jetzt ist es verkauft. Gucken Sie mal.“
Er schüttelt wieder den Kopf, zeigt nach hinten.
„Ich komme jeden Tag hierher. Manchmal sieht man Leute im Garten.“
Immer noch steht sie am Fenster und deutet. Dann lässt sie den Arm sinken.
„Sind Sie mir böse?“
Aufstöhnend stößt er sich rückwärts mit dem Fuß ab. Mühsam gelingt es ihm, sich in den Flur zurückzuschieben. Sie stürzt hinter den Stuhl.
„Warten Sie doch. Sie sollen doch nicht alleine.“
Diesmal hält sie am Marienzimmer an.
„Ich komm nicht mit rein.“
Er nickt.
„Oder vielleicht nur kurz.“
Er nickt wieder. Sie soll endlich die Tür aufmachen.
„Sind Sie mir böse?“
Er schüttelt den Kopf.
Sie soll jetzt die Tür aufmachen.
„Wollen Sie vielleicht ein Hustenbonbon?“
In dem Moment wird die Tür von innen geöffnet. Ein Mädchen mit Rastahaaren.
„Ha, das habe ich doch gehört, dass da jemand ist. Kommen Sie rein. Wir brauchen Verstärkung beim Ausmalen. Ich bin die Maja. Ich mach hier Praktikum.“
„Ich mach nicht mit“, sagt die Ruge schroff. “Das ist mir zu blöd.“
Das Mädchen lächelt weiter.
„Dann setzen Sie sich doch zu den anderen am Nebentisch. Und Sie?“
Er nickt heftig.
„Oh, toll“, juchzt das Mädchen, "dann kommen Sie zu uns.“
Sie drückt ihm einen blauen Stift in die Hand. Karos ausmalen für die Girlande. Er sieht jede Linie doppelt, malt vier einzelne Striche, lehnt sich erschöpft zurück und zuckt zusammen. Sein Rücken ist schweissnass. Drüben versucht die Pflegerin einer widerstrebenden Frau Wasser aus einem Plastikbecher einzuflößen.
„Bitte, Frau Hemnes, nur zwei Schlückchen, dann lasse ich Sie auch in Ruhe!“ Mit einem Mal erinnert er sich, was nachts passiert ist. Ist das die Frau? Die Haare … Sie sieht zu ihm rüber. Ihre zusammengepressten Lippen verziehen sich zu einem Lächeln.
„Ausmalen, einfach ausmalen, Herr Thomsen. Probieren Sie es ruhig nochmal“, ruft das Mädchen über den Tisch, und endlich kann er seinen Blick von der Frau lösen. Er malt noch mehr Linien, gibt sich Mühe, sie parallel zu setzen, als jemand in seinen Stift greift, seine Hand energisch führt, das Karo schnell mit hin und her schwingenden Strichen ausfüllt. Er kennt die Frau nicht, die sich seiner Hand bemächtigt hat, während sie sich mit einer Faust schwer auf dem Tisch aufstützt. Aber sie riecht schlecht aus dem Mund.
„Helfen Sie dem Herrn Thomsen ein bisschen, Frau Münting? Da freut der sich aber! Nicht, Herr Thomsen?“ Das Mädchen kichert zur Pflegerin rüber. „Süüüß!“
An seinem Ohr spürt er den fauligen, warmen Atem, er dreht den Kopf weg, sieht drüben die Ruge sitzen. Sie schaut ihn an. Ihre Augen sind gerötet. Vorsichtig versucht er, seine Hand zu befreien, schüttelt den Kopf. „Da, da.“ Doch die dicke Frau umklammert seine Hand noch fester.
„Na, na, da, da, wir sind noch nicht fertig, mein Lieber.“ Aus ihrem Mund ein Schwall Atem. Ihm wird übel. Er reißt den Arm hoch, knallt ihn vor ihre Brust, drückt sich am Tisch zurück, sodass er der Frau gegenüber den Tisch in die Rippen stößt. Die Frau schreit, die Dicke schreit, alle schreien, das Mädchen ist sofort bei ihm, ihr Gesicht verzerrt.
„So geht das nicht, Herr Thomsen!“
„Da, da!“ Er regt sich auf. Sieht, dass die Frau hingefallen ist, die Pflegerin kümmert sich um sie. Durch das Geschrei der Leute hindurch wird er in sein Zimmer geschoben.

Er ist tatsächlich eingeschlafen, nachdem sie ihn ins Bett gepackt haben. Als er aufwacht, hört er Martins Stimme draußen auf dem Gang.
„Das kann doch nicht ... mein Vater ist doch nicht aggressiv! Mein Vater ist ein ganz sanfter Typ, der war immer so gutmütig, der ist doch nicht aggressiv!“
Die Stimme der Zwinkerschwester, leise, gehetzt.
„Das ist für Angehörige oft schwer zu verstehen. Da kann ihr Vater gar nichts dafür. Das ist auch hirnorganisch bedingt, so eine Wesensveränderung. Er baut ab, wir sehen das ja hier. Wirft Tassen um, ist nachts neuerdings inkontinent, er läuft ganz schlecht, und jetzt noch das. Die Frau Münting hat Gottseidank nur Prellungen. Wenn das ein Oberschenkelhalsbruch gewesen wäre! “
Ihm wird heiß vor Scham.
„Mein Vater war Bürgermeister bei uns im Dorf. Alle sind sie zu ihm gekommen mit ihrem Kram, alle! “
„Ja. Wir müssen jetzt einfach mal mit der Ärztin sprechen, was man da geben kann. Das geht so nicht weiter. Wir müssen hier auch die Frauen schützen, die haben alle Angst vor ihm.“
„Aber … “
„Herr Thomsen, es tut mir leid, ich muss weiter, da wird geklingelt. Wir sprechen mit der Ärztin, und dann telefonieren wir nochmal, okay?“
Schritte, die sich schnell entfernen. Es dauert eine ganze Weile, bis Martin ins Zimmer kommt. Er zieht sich einen Stuhl ran.
„Na, Papa?“
Er versucht gar nicht zu sprechen, schüttelt nur den Kopf.
„Ist irgendwie dumm gelaufen, oder?“
Er kann gar nicht mehr aufhören zu schütteln, bis er sieht, wie blass sein Sohn ist. Er hebt seine gesunde Hand, um ihm über den Kopf zu streichen, aber Martin sitzt zu weit weg. So winkt er ihm.

Seit zwei Tagen ist er so müde. Die Schwester fährt ihn zu seinem Tisch, lagert seinen Arm, legt ihm den Kleiderschutz um und stellt ihm den Teller mit der Brezel hin. Er trinkt sein Schnäpschen und isst. Am Ende schüttelt er seine Serviette auseinander. Kein Zettel. Gut.

 

Hallo Chutney,

oh ja, Pflegeheim wie es leibt und lebt. Man kann sich als einzelner Mann bei dem Frauenüberschuß kaum wehren. Das wird erst auf der Dementenstation anders. Da ist Händchenhalten an der Tagesordnung, aber die Erinnerungen gehen wahrscheinlich in die Kindergartenzeit.

Ich habe nichts zum Kritiseren gefunden. Besonders gut fand ich, wie du die Grunderkrankung des Prots darstellst, ohne sie auch nur ansatzweise zu nennen. Auch diese empathische Aufmerksamkeit, wie bei seinem Sohn Martin ist immer wieder zu beobachten.

Ich habe die Geschichte sehr gerne gelesen. Ich sehe schon, die Abstimmung wird immer schwieriger.

Liebe Grüße

Jobär

 

Hallo Chutney,

ich habe Herrn Thomsen sofort gemocht. Und alle um ihn herum - bis auf seinen Sohn - empfand ich als bevormundend und aufdringlich. Besonders die Zwinkerschwester. Trotz der Tragik, dass Herr Thomsen alles noch mitbekommt, sich aber nicht mehr artikulieren kann, hast du zwischen manchen Sätzen selbst ein Augenzwinkern gesetzt, das fand ich schön. Dadurch versinkt deine Geschichte nicht zu sehr im Dramatischen.

Ich hätte gerne erfahren, wer sich in ihn verliebt hat. Und ich hätte der Dicken, die sich einfach seine Hand krallt und damit weitermalt, am liebsten eine geschmiert. Letztendlich fand ich dein Ende aber trotzdem gut, also dass man nicht erfährt, wer die nackte Dame an seinem Bett war. Schmunzeln musste ich auch über das "gut" als Schlusswort. Herr Thomsen scheint froh darüber zu sein, dass die Aufregung ein Ende hat. Vielleicht ist er aber auch ein klein wenig traurig.

Sprachlich bin ich über nichts gestolpert, hat mir gut gefallen.
Viele Grüße
RinaWu

 

Hallo jobär,

oh ja, Pflegeheim wie es leibt und lebt.

Über deine Rückmeldung habe ich mich riesig gefreut. :) Da ich mitbekommen habe, dass du Erfahrung im Seniorenbereich hast, bin ich sehr froh, dass für dich alles glaubwürdig rüberkommt.

Man kann sich als einzelner Mann bei dem Frauenüberschuß kaum wehren.

Ja, ich denke, als Mann im Pflegeheim, das kann Fluch und Segen sein, in meiner Geschichte eher ersteres.

Ich habe nichts zum Kritisieren gefunden. Besonders gut fand ich, wie du die Grunderkrankung des Prots darstellst, ohne sie auch nur ansatzweise zu nennen.

:D Vielen Dank!

Auch diese empathische Aufmerksamkeit, wie bei seinem Sohn Martin ist immer wieder zu beobachten.

Ja, und gerechterweise muss man sagen, auch beim Pflegepersonal. Die stehen allerdings heute schon sehr unter Druck.

Ich habe die Geschichte sehr gerne gelesen. Ich sehe schon, die Abstimmung wird immer schwieriger.

Nochmal herzlichen Dank, Jobär!

Liebe Grüße von Chutney


Hallo RinaWu,

auch dir vielen Dank für deine Rückmeldung, ich freue mich sehr, dass sie so positiv ausfällt.

ich habe Herrn Thomsen sofort gemocht.

Ich auch.

Und alle um ihn herum - bis auf seinen Sohn - empfand ich als bevormundend und aufdringlich. Besonders die Zwinkerschwester.

Manchmal ist es, glaube ich, auch so eine Art Selbstschutz, dieses frisch/fröhliche, diese Phrasen.

Trotz der Tragik, dass Herr Thomsen alles noch mitbekommt, sich aber nicht mehr artikulieren kann, hast du zwischen manchen Sätzen selbst ein Augenzwinkern gesetzt, das fand ich schön. Dadurch versinkt deine Geschichte nicht zu sehr im Dramatischen.

Zwischendurch war ich selbst schon ganz deprimiert, aber es ist ja auch so, dass auch so eine Situation nicht komplett schwarz ist. Das mit dem Augenzwinkern gefällt mir.

Ich hätte gerne erfahren, wer sich in ihn verliebt hat.

Nachdem ich die Geschichte eingestellt hatte, hatte ich auch plötzlich den Gedanken, ob ich der "Trinkerin" nicht besser noch etwas mehr Raum gegeben hätte. Die nackte Dame war für mich wieder jemand anderes, eine demenzkranke Frau, die nachts verwirrt durch die Zimmer läuft.

Und ich hätte der Dicken, die sich einfach seine Hand krallt und damit weitermalt, am liebsten eine geschmiert.

Tut er ja dann auch. ;) Man kann ihn gut verstehen. Letztendlich wäre es Aufgabe der Schwester oder der Praktikantin gewesen die Frau sanft, aber bestimmt in die Schranken zu weisen.

Schmunzeln musste ich auch über das "gut" als Schlusswort.

Das freut mich, sollte auch so eine Art Ironie drin stecken.

Liebe Rina, ich danke dir sehr, ich habe mich gefreut!

Liebe Grüße von Chutney

 

Hi Chutney,

da hast du aber eine tolle Geschichte ins Rennen geworfen! Schauerlich, wie der arme Mann ganz klar ist, aber sich kaum äußern kann. Das ist wirklich beklemmend und großartig dargestellt! Kurz gesagt, ich bin beeindruckt.

Gleich zu Beginn hat mich ein Tippfehlerchen in eine Sackgasse geführt:

Ihr Schnäppschen stell' ich Ihnen schon mal hin!“
Ich dachte an eine Pflegerin, die Dialekt spricht und dann - was für ein Schnäppchen denn..?Später wurde es klar. Ich fürchte, da ist ein "P" zu viel.

Nachts fährt er hoch. Licht fällt durch die Tür ins Zimmer. Da steht jemand, ganz nah bei seinem Fußende. Die Schwester? Nein. Die Person bewegt sich nicht. Steht einfach nur da. Sein Herz klopft wie verrückt. Dann erkennt er, dass es eine alte Frau ist. Und dass sie nackt ist. Durch ihre fedrigen Haare scheint von hinten das Licht bis auf die Kopfhaut. Ihr Gesicht liegt im Dunkeln, aber er ist sich sicher, dass sie ihn anstarrt. Er hört auf zu atmen, als sie nach der Bettdecke greift und sie lautlos über seinen Füßen hoch zieht. Ein Luftzug bis zu seinen Knien, er ballt die linke Faust, bewegt die Lippen. Nach endlosen Sekunden lässt sie unvermittelt die Decke fallen, dreht sich um und geht. Ein beißender Geruch steigt ihm in die Nase. Er hat ins Bett gemacht.
Sehr schön. Als ob es nicht schwer genug wäre, so eine Szene überhaupt schon mal einigermaßen glaubwürdig zu schreiben, und dann kommt sie noch mit so souverän gesetzten Einzelbildern daher, dass sie einen ganz und gar einfängt.

Von dieser Sache mit den Karos bin ich allerdings nicht weniger beeindruckt.

Das Mädchen kichert zur Pflegerin rüber. „Süüüß!“
Mich hat das schon ergriffen, wie es da daneben geht, selbst wenn man es wirklich nett meint und sogar gar nicht von der täglichen Routine aufgebraucht ist. Das Mädchen kann ja nicht einmal was dafür, woher soll es wissen, dass der Mann alles wahrnimmt und versteht.

„Das ist für Angehörige oft schwer zu verstehen. Da kann ihr Vater gar nichts dafür. Das ist auch hirnorganisch bedingt, so eine Wesensveränderung. Er baut ab, wir sehen das ja hier. Wirft Tassen um, ist nachts neuerdings inkontinent, er läuft ganz schlecht, und jetzt noch das. Die Frau Münting hat Gottseidank nur Prellungen. Wenn das ein Oberschenkelhalsbruch gewesen wäre … “
Ihm wird heiß vor Scham.
Man fühlt sich mit ihm in sein Gefängnis eingeschlossen, wenn man das liest. Nur schon vom Lesen alleine habe ich mich unangenehm in meinen Körper eingezwängt gefühlt...

So, jetzt wird aber mal was kritisiert, pass auf:
„Mein Vater war Bürgermeister bei uns im Dorf. Er war so beliebt.“
"Er war so beliebt" - ach nö, das ist doch ein Allerweltssatz. Könnte weg, oder durch etwas anderes ersetzt werden.

Also, es ist ja, wie du weißt, nicht so, dass mir deine früheren Geschichten nicht gefallen hätten. Aber was da in letzter Zeit von dir ankommt, ist noch ein ganz anderes Kaliber, finde ich. Respekt!

Besten Gruß
erdbeerschorsch

 

Hallo Chutney,

ich habe mich ein wenig vor deiner Geschichte gedrückt aus einem höchst persönlichen Grund. Ich bin in einem Alter, wo ich durchaus in die Situation kommen könnte, wie sie dein Prot erlebt.Das stelle ich mir ganz schlimm vor, geistig voll auf der Höhe, aber nicht mehr in der Lage, das zu artikulieren, was man denkt und fühlt. Und zu wissen, dass alles sich nur verschlechtern kann.

Ein schwieriges Thema hast du gewählt. Das kann vielleicht nur ein Insider gut beschreiben, jemand der den Alltag dort gut kennt, die bedrückenden Seiten ebenso wie die komischen. Das ist dir sehr gut gelungen. Also habe ich mich auf das Thema einlassen können. Es ist ein ganz wichtiges.

Danke für diesen Schubs, einer möglichen Zukunft im Alter ins Auge zu sehen.

Liebe Grüße
wieselmaus

 

Hallo @Erdbeerschorch,

wie schön, von dir zu lesen! Das Schäpschen, natürlich! Da habe ich wirklich völlig auf der Leitung gestanden, dachte sogar nach deinem Tip zuerst noch "Wieso, stimmt doch!" Vielen Dank für den Hinweis!

da hast du aber eine tolle Geschichte ins Rennen geworfen!

Hurra!

Sehr schön. Als ob es nicht schwer genug wäre, so eine Szene überhaupt schon mal einigermaßen glaubwürdig zu schreiben, und dann kommt sie noch mit so souverän gesetzten Einzelbildern daher, dass sie einen ganz und gar einfängt.

Ich hatte sowohl beruflich, als auch privat schon mit Seniorenheimen zu tun, insofern habe ich einen kleinen Fundus, aus dem ich schöpfen kann. Schön, dass die Szene für dich glaubwürdig rüber kommt!
Die Szene nachts im Zimmer ist ziemlich typisch, wenn man mit demenzkranken Menschen auf einer Station ist, ich würde bald schon sagen, das passiert jedem mal. Wenn es machbar ist, hilft es sich einzuschliessen.

Zitat Zitat von Chutney Beitrag anzeigen
Das Mädchen kichert zur Pflegerin rüber. „Süüüß!“

Mich hat das schon ergriffen, wie es da daneben geht, selbst wenn man es wirklich nett meint und sogar gar nicht von der täglichen Routine aufgebraucht ist. Das Mädchen kann ja nicht einmal was dafür, woher soll es wissen, dass der Mann alles wahrnimmt und versteht.


Ja, das Mädchen meint es total gut, aber sie ist ziemlich unbedarft, kann sich weder einfühlen, noch guckt sie genau hin. Selbst, wenn er nicht alles verstünde, sollte sie trotzdem nicht mit ihm sprechen, wie mit einem Dreijährigen.

Man fühlt sich mit ihm in sein Gefängnis eingeschlossen, wenn man das liest. Nur schon vom Lesen alleine habe ich mich unangenehm in meinen Körper eingezwängt gefühlt...

Danke, das nehme ich als Kompliment!

So, jetzt wird aber mal was kritisiert, pass auf:
Zitat Zitat von Chutney Beitrag anzeigen
„Mein Vater war Bürgermeister bei uns im Dorf. Er war so beliebt.“
"Er war so beliebt" - ach nö, das ist doch ein Allerweltssatz. Könnte weg, oder durch etwas anderes ersetzt werden.

Du hast vollkommen recht, das ist irgendwie uninspiriert. ich habe den Satz jetzt ersetzt, bin aber immer noch nicht ganz glücklich und werde noch weiter überlegen. Wenn ich ihn ganz weglasse, steht der Bürgermeister-Satz so komisch da, finde ich.

Also, es ist ja, wie du weißt, nicht so, dass mir deine früheren Geschichten nicht gefallen hätten. Aber was da in letzter Zeit von dir ankommt, ist noch ein ganz anderes Kaliber, finde ich. Respekt!

Oh, was für ein tolles Lob, das freut mich riesig, Erdbeerschorch!

Ich bin schon sehr gespannt, ob du auch noch was ins Rennen schmeißt.

Liebe Grüße von Chutney

Hallo wieselmaus,

ja, das sind so Themen, die man lieber verdrängt, altersmässig ist es bei mir noch ein bisschen hin, aber es gibt ja auch so einiges, was einen in jedem Alter erwischen kann. Ich kannte eine Dame in einem Heim, die mich immer bedeutungsvoll ansah. "Mensch, bedenke dein Ende." Letztlich intensiviert es ja auch das Leben, wenn man das tut.

Ich freue mich, dass du dich auf das Thema einlassen konntest und dass du es gut beschrieben fandest. Ursprünglich war ich mal angetreten Unterhaltsames zu schreiben und nur gute Gefühle zu wecken, aber in letzter Zeit zieht es mich doch immer mehr in die Realität.

Danke für diesen Schubs, einer möglichen Zukunft im Alter ins Auge zu sehen.

Und ich danke dir, Wieselmaus, deine Worte sind sehr ermutigend für mich.

Liebe Grüße von Chutney

 

Hallo Chutney,

hervorragend die ironische Überschrift zum Text!

Schön wär’s, wenn Herr Thomsen sich als Hahn im Korb sehen könnte.
Stattdessen gibst du dem Leser Einblick in das einengende und fremdbestimmte Leben eines Heimbewohners nach einem Schlaganfall.
Anschaulich schilderst du die Bewegungseinschränkungen und das sprachliche Unvermögen des Protagonisten. Seine Handzeichen und das „Da-da“ werden von seinem Umfeld oft nicht verstanden. Im wahrsten Sinne des Wortes ent-mündigt ihn die Sprachlosigkeit, und so handelt man über seinen Kopf hinweg.

Die Diskrepanz zwischen klarem Denk- und Entscheidungsvermögen und der fehlenden Kommunikationsmöglichkeit, Wünsche oder Abneigungen nicht artikulieren und beeinflussen zu können, führt bei dem alten Herrn zu Frust und Aggressivität, aber auch zu Angst (s. nächtl. Szenerie mit dem Einnässen), begleitet von Scham.
Der ehemalige Bürgermeister darf keine Entscheidungen mehr selber treffen, alles wird ihm aufgezwungen, das Schnäpschen (offenbar der Medikamentencocktail), das niveaulose Ausmalen der Girlande und dann auch noch distanzlose Heimbewohnerinnen höchstpersönlich.

Deshalb freut er sich auch nicht über das „Liebesgeständnis“ auf dem Zettel; er möchte selbst über die Aufnahme zwischenmenschlicher Kontakte entscheiden.

In deiner Geschichte stellt der Zettel in der Serviette nur ein Ärgernis für den Protagonisten dar.
Er ist aber kein Konfliktauslöser, da der gesamte Heimaufenthalt für ihn einen Konflikt darstellt.


Am Ende schüttelt er seine Serviette auseinander. Kein Zettel. Gut.
Dadurch, dass du am Ende der Geschichte den Fokus noch einmal auf einen „Zettel“ lenkst, gibst du der ersten Zettel-Episode mehr Gewicht und betonst die Angst des Protagonisten vor Übergriffigkeiten durch Bewohnerinnen.
„Kein Zettel. Gut.“ Das lässt hoffen, dass Herr Thomsen zukünftig von Nachstellungen durch Heimbewohnerinnen nicht mehr belästigt wird.

Das herzliche Verhältnis zu seinem jüngsten Sohn kommt, trotz der sparsamen Darstellung, für mich realistisch nachvollziehbar rüber; da ist alles drin, von wortloser Verständigung und Näheerlebnissen bis hin zum Fremdschämen über den Ausraster des Vaters.

Obgleich der Aufenthalt von Menschen mit kommunikativen Einschränkungen in Heimen ohne speziell geschultes Personal oft noch viel trostloser, entwürdigender und demütigender ist, hast du die Szenerie zum Monatsthema passend gezeichnet.

Die Idee zur Geschichte finde ich toll, und der Schreibstil passt zur nachvollziehbaren Handlung.

Ein paar Kleinigkeiten noch:

Weisswurststücke
Weißwurststücke


Ein Luftzug bis zu seinen Knien, er ballt die linke Faust, bewegt die Lippen.
Irgendwie fehlt mir hier ein Prädikat: evtl.: Ein Luftzug streicht/ Kalte Luft kriecht bis …


Es dauert eine ganze Weile, bis Martin ins Zimmer kommt. Er sieht, dass er wach ist, und zieht sich einen Stuhl ran.
Zweimal „er“, aber verschiedene Personen; vielleicht besser:
Er sieht, dass sein Vater wach ist und …

Mit einem lieben Gruß
kathso

 

Bedrückend reale Zeichen des Alters - die Unfähigkeit zur gezielten Kommunikation - zur Annahme der eigenen, wachsenden Unfähigkeit über sich und seinen Körper zu verfügen. Dazwischen Pflegerinnen und der Sohn - brillante Darstellung. Bedrückend für jeden, der es in der Elterngeneration erlebt hat - miterleben musste - und nun selbst der Situation näher kommt. Ein gewichtiger, guter Text - leider ohne Hoffnung - nur sehr real.

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Chutney,
danke für diese Kurzgeschichte! Zunächst kann ich dem Text Authentizität bescheinigen, denn seit mehr als einem halben Dutzend Jahren kenne ich die von dir dargestellte Welt weitaus besser als mir lieb ist. Nicht erschrecken, ich selber bin kein Pflegefall, aber für drei sehr nahestehende Menschen war ich der gesetzliche Betreuer, zwei von diesen sind im Jahre 2014 kurz hintereinander gestorben, einer lebt noch. Die Welt der Pflegeheime ist also zum Teil auch die meine. Was ich mit meinen drei Angehörigen alles erlebt habe, das würde ganze Regale füllen! Deshalb besser jetzt konkret zu deinem Text: Du hast einen sehr scharfen Blick für das Tragikkomische, denn es ist auch immer wieder lustig im Pflegeheim. Wenn sie dort Oktoberfest feiern, zum Beispiel! Die Alten und Gebrechlichen sind auch oft witzig, wie ja aus Literatur und Film hinreichend bekannt, haben Alzheimer und Demenz durchaus ihre komischen Seiten. Eine großartige Momentaufnahme ist dir gelungen, die Leserschaft kann mitfühlen, in welche Schwierigkeiten der arme Herr Thomsen unverschuldet gerät. Geriatrische Erotik ist aber auch eine Nummer für sich! Ich war immer wieder schockiert und fassungslos, was da passiert, gesagt und getan wird. Zu intimen Geständnissen, die man dann auch zu hören bekommt, habe ich einmal in meinem Blog geschrieben: „Und doch kann ich mich der Faszination nicht entziehen, als mein Opa alle Hemmungen ablegt und intimste Details preisgibt. Vor seinem Schlaganfall hätte er solche Schweinereien nie und nimmer erzählt (…).“ Das Gehirn kann die Schranke nicht mehr aufrechterhalten, ein Damm bricht, im Reden wie im Handeln. Falsche Diagnosen, hier etwa die einer hirnorganisch bedingten Wesensveränderung in Aggressive, sind ebenfalls an der Tagesordnung. So schockierend die Lektüre dieser Momentaufnahme aus dem Heimalltag für viele sein mag, das ist immer noch der schönere und lustigere Teil vom Ganzen. Wenn 24-Stunden-Pflege mit Bettlägerigkeit und künstlicher Ernährung einsetzt, der Höhepunkt des Tages darin besteht, dass sich mal ein Auge öffnet und wenn die letzten drei verbliebenen Wörter aus „ja“, „nein“ und „mmh“ bestehen, dann lässt sich auch keine Kurzgeschichte mehr darüber schreiben. Alles richtig gemacht, liebe Chutney!
Gruß,
Bjoern

 

Liebe Chutney,

ich habe eben nochmals deine Geschichte und die Kommentare dazu studiert. Es geht ja um auch um den Verlust an Würde, den der Prot selber verspürt. Ein tätlicher Angriff hat ja wohl in seinen gesunden Zeiten nicht zu seinem Verhaltensrepertoire gehört.
Vielleicht lässt sich dies mit dem "Bürgermeistersatz" vertiefen.
Vorschlag:

Mein Vater war Bürgermeister bei uns im Dorf. Er war immer eine Respektsperson.

Das ginge dann auch als versteckte Kritik an die Pflegekräfte, die Patienten wie Sandkastenkinder behandeln.

Gruß am frühen Morgen
wieselmaus

 

Guten Morgen

Mich hat die Geschichte sehr berührt. Das Ende ist unheimlich traurig, da ich annehme, dass sie ihm Medikamente gegeben haben, damit er sich ruhig verhält und nicht mehr aggressiv ist. Traurige Wirklichkeit und die grosse Müdigkeit für den Protagonisten. Danke.
Lieben Gruss silea

 

Hallo kathso60,

auch dir ganz herzlichen Dank. Du hast das Anliegen meiner Geschichte nochmal toll auf den Punkt gebracht.

hervorragend die ironische Überschrift zum Text!

Freut mich, dass sie dir gefällt. Ich bin auch ganz zufrieden damit.

Der ehemalige Bürgermeister darf keine Entscheidungen mehr selber treffen, alles wird ihm aufgezwungen, das Schnäpschen (offenbar der Medikamentencocktail), das niveaulose Ausmalen der Girlande und dann auch noch distanzlose Heimbewohnerinnen höchstpersönlich.

Ja, es ist dieses Entmündigende, was wehtut. Für die Teilnahme am Malen hätte er zumindest gefragt werden müssen. (Und ich denke mal, dass das auch oft passiert, aber hier in meiner Geschichte eben nicht) und man ist ihm gegenüber wirklich übergriffig.


Deshalb freut er sich auch nicht über das „Liebesgeständnis“ auf dem Zettel; er möchte selbst über die Aufnahme zwischenmenschlicher Kontakte entscheiden.

Das ist noch ein interessanter Aspekt. Ich war bisher einfach davon ausgegangen, dass er die Frau einfach nicht mag, die er als Zettelschreiberin vermutet. Aber es ist natürlich auch wieder eine Art Überfall.

In deiner Geschichte stellt der Zettel in der Serviette nur ein Ärgernis für den Protagonisten dar.
Er ist aber kein Konfliktauslöser, da der gesamte Heimaufenthalt für ihn einen Konflikt darstellt.

Ich hatte schon fast ein bisschen Sorge, das Thema des Monats nicht stark genug berücksichtigt zu haben, aber ich denke, es reicht gerade so.

Das herzliche Verhältnis zu seinem jüngsten Sohn kommt, trotz der sparsamen Darstellung, für mich realistisch nachvollziehbar rüber; da ist alles drin, von wortloser Verständigung und Näheerlebnissen bis hin zum Fremdschämen über den Ausraster des Vaters.

Das freut mich, ich hoffe, die Beziehung zwischen Vater und Sohn gibt dieser Geschichte doch etwas Tröstliches, auch wenn der Sohn ihm letztlich nicht wirklich helfen kann.

Obgleich der Aufenthalt von Menschen mit kommunikativen Einschränkungen in Heimen ohne speziell geschultes Personal oft noch viel trostloser, entwürdigender und demütigender ist, hast du die Szenerie zum Monatsthema passend gezeichnet.

Ich glaube, es gibt einfach große Unterschiede in den Heimen und auch im Umgang des Personals mit den Bewohnern. Man trifft dort Menschen, die unglaublich herzlich und einfühlsam sind und sich unter schwierigen Bedingungen sehr engagiert kümmern und es gibt andere, denen das Gefühl fehlt oder die einfach schon zu erschöpft sind. Die "Zwinkerschwester" "funktioniert" zwar noch irgendwie, will aber eigentlich nur noch ihre Ruhe haben. Und ein wichtiger Aspekt ist, wie du schreibst, wie das Personal geschult ist.

Liebe Kathso, deine Verbesserungsvorschläge haben mir alle eingeleuchtet, die habe ich so übernommen, herzlichen Dank dafür und dafür, dass du dich so ausführlich mit meiner Geschichte auseinandergesetzt hast.

Liebe Grüße von Chutney

 

Hallo Auhan,

Ein gewichtiger, guter Text - leider ohne Hoffnung - nur sehr real.

Das ist tatsächlich der bedrückendste Text, den ich bisher geschrieben habe, ich bin auch selber ganz traurig geworden. Aber gleichzeitig hatte ich das Gefühl dem Herrn Thomsen eine Art Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, indem ich erzähle wie es wirklich war. (Klingt jetzt vielleicht merkwürdig bei einer ausgedachten Geschichte.)

Dazwischen Pflegerinnen und der Sohn - brillante Darstellung.

Wow, das ist ja ein tolles Lob!

Bedrückend für jeden, der es in der Elterngeneration erlebt hat - miterleben musste - und nu selbst der Situation näher kommt.

Ich danke dir sehr Auhan, dass du meine Geschichte trotzdem gelesen hast und für deinen einfühlsamen und persönlichen Kommentar.

Liebe Grüße von Chutney

Hallo Bjoern,

Zunächst kann ich dem Text Authentizität bescheinigen, denn seit mehr als einem halben Dutzend Jahren kenne ich die von dir dargestellte Welt weitaus besser als mir lieb ist.

Oh ja, das glaube ich, alle Achtung, dass du diese Verantwortung gleich für drei nahestehende Menschen auf dich genommen hast. Ich glaube, wenn man dann so einen Text liest, quillt einem das Herz fast über von den eigenen Geschichten, die man erlebt hat. Ich freue mich darüber, dass du die Beschreibungen als authentisch erlebst.

Du hast einen sehr scharfen Blick für das Tragikkomische, denn es ist auch immer wieder lustig im Pflegeheim.

Unbedingt, so kann ich auch sagen, dass ich dort schon viele vergnügte Stunden als Besucherin erlebt habe.

Geriatrische Erotik ist aber auch eine Nummer für sich!

Ja und in solchen Institutionen auch eine Herausforderung damit ordentlich umzugehen.


Alles richtig gemacht, liebe Chutney!

Herzlichen Dank, Bjoern auch für deine persönlichen Gedanken und Erfahrungen zu diesem Thema.

Liebe Grüße von Chutney

Hallo wieselmaus,

wie schön, dass du dich nochmal einklinkst! Ja, ich glaube auch, dass es um Würde geht. Und ich versuche auch ihn von Anfang an als einen Mann zu zeichnen, dem es nicht egal ist, ob er Senf am Kinn hat, der etwas "auf sich hält" und auch mit anderen Menschen respektvoll umgeht, sich z.B. bei der Schwester für das umgeworfene Glas entschuldigt.
In dem "Bürgermeistersatz" ging es mir aber vor allem darum, dass sein Sohn ihm eine Aggression nicht zutraut. Das ursprüngliche. "Er war so beliebt." sollte schon die Botschaft sein. Ich habe jetzt geschrieben.

„Mein Vater war Bürgermeister bei uns im Dorf. Alle sind sie zu ihm gekommen, alle mit ihrem Kram!“

Ich hoffe, das passt für dich auch.

Dankeschön, Wieselmaus für deinen Überlegungen, so bin ich mir klarer geworden, was ich eigentlich will.

Liebe Grüße von Chutney


Hallo silea,

dir auch vielen Dank, dass du dich so hast berühren lassen von meiner Geschichte.

Das Ende ist unheimlich traurig, da ich annehme, dass sie ihm Medikamente gegeben haben, damit er sich ruhig verhält und nicht mehr aggressiv ist.

Ja, so ist es gedacht. In der Realität kommt das auch vor, aber es kommt auch vor, dass Pflegepersonal und Ärzte dieses Anliegen z.B. von Angehörigen ablehnen, gerade um Fähigkeiten zu erhalten. Ich habe Beides schon mitbekommen. (Ich bin schon fast selber erschrocken, wie traurig meine Geschichte macht.)

Danke, Silea!

Liebe Grüße von Chutney

 

Hallo Chutney!

Wow - krasse Horrorgeschichte, die du da geschrieben hast. Gefangen im eigenen Körper, der Gnade/Ungnade des Pflegepersonals ausgeliefert ohne die Möglichkeit, sich artikulieren zu können. Ob's jetzt die dicke Mitbewohnerin ist, gegen die sich Herr Thomsen nur eingeschränkt wehren kann, oder das bloße Dahinvegetieren. Auch die Aufgabe, mit einem Stift Striche zu malen. Erschreckend - einfach nur erschreckend! Das Ende ist leider ebenfalls nur konsequent und allzu realistisch - der Onkel Doktor erhöht einfach mal die Dosis.

Furchtbare, grausame Geschichte - gut gemacht und mit Schrecken gelesen.

Grüße von einem EISENMANN, dem jetzt noch ein Schauer über die Eisenhaut läuft

 
Zuletzt bearbeitet:

"People try to put us down
Just because we get around
Things they do look awful cold
I hope I die before I get old"​

Hallo Chutney,

ja, das ist eine realistische Geschichte und an der Wand lese ich, dass es jedem gehen kann, wie Herrn T. oder Frau M., wozu sich dann der notorische Mangel an Personal für schlechtbezahlte Stellen gesellt, dass es ein Glücksfall ist, dass sich der Sohn um seinen Vater kümmert.

Und den Insassen dieses Heims geht‘s – nach dem Schnappschuss, den Du gibst, eigentlich ein gewagtes Urteil – relativ gut, wenn wir bedenken, dass Pflege in vorgegebenen Minutentakten erfolgt. Schließlich ist mit den endlosen Reformen des gesamten Gesundheits- und Pflegewesens seit den 1980-er, insbesondere aber der 1990-er Jahren das bis dahin formal auf Kostendeckung ausgerichteten wirtschaftlichen Segments „Gesundheit, Pflege“ dem ökonomischen Prinzip unterworfen worden, dass Betreute und Patienten sich in Kunden wandelten.

Die Gesundheits/Pflegebranche ist halt auch Geschäft. Nicht, dass Pflege vordem keine Fließbandarbeit gewesen wäre, aber das Diktat der Minuten-Pflege kennt keine Individualität, nur den statistischen Durchschnitt – es sei denn, das Personal geht das Risiko ein, sich den Vorgaben zu widersetzen. Insofern ist dieser "Horror", wieEisenmann bemerkt, Standard, politisch gewollt, dass die Who in den 1960-ern wie auch mit über 70 Jahren heute recht haben.

Triviales, zwo, bei dem Thema eher vernachlässigende Anmerkungen, wären anzuzeigen:

Hier

„Aber… “
behaupten die Auslassungspunkte, dass wenigstens ein Buchstabe am vorhergehenden Wort fehle (da wäre ein Apostroph platzsparender), also besser eine Leerstelle zwischen letztem Buchstabe und erstem Punkt.

Wir sprechen mit der Ärztin, und dann telefonieren wir nochmal, OK?“
Ja, okay kürzen viele wie Oklahoma ab. Korrekt ist o. k. (oder O. K., wobei am Satzanfang eh der Großbuchstabd zu nehmen ist.)

Schwieriges Thema, manierlich gelöst, findet der

Friedel,
der nicht versäumen darf, für das es nie zu späte sein kann: Herzlich willkommen hierorts,
begegnen wir uns doch das erste Mal!

Zitat aus "(Talkin' 'bou) My Generation" von Pete Townshend

 

Liebe Chutney,

schön, wieder was von dir zu lesen. :)

hangelt sich an der Lehne zu seinem Platz, der heute blau/weiss dekoriert ist. Das Heim feiert bayrische Woche.
Wird das nicht blau-weiß geschrieben?
Tragen die Pflegrinnen Dirndls zur bayerischen Woche? :lol:

Ständig bietet sie ihm Hustenbonbons an und jetzt das. Die Wurst schmeckt auf einmal fade.
Sehr schön!

Martin ist der Klügste von seinen Jungs, das ist ihm früher nie aufgefallen. Er kann ihm ein Zeichen machen, dass er pinkeln muss, und Martin versteht. Paul klingelt immer sofort nach der Schwester.
Hier kam ich beim Lesen ins Stocken, da ich dachte, Paul sei auch anwesend. Ein kleines Wörtchen hätte mich da besser abgeholt:
„Paul hingegen klingelt immer sofort nach der Schwester.“

Dann erkennt er, dass es eine alte Frau ist. Und dass sie nackt ist. Durch ihre fedrigen Haare scheint von hinten das Licht bis auf die Kopfhaut. Ihr Gesicht liegt im Dunkeln, aber er ist sich sicher, dass sie ihn anstarrt. Er hört auf zu atmen, als sie nach der Bettdecke greift und sie lautlos über seinen Füßen hoch zieht. Ein Luftzug streicht bis zu seinen Knien, er ballt die linke Faust, bewegt die Lippen. Nach endlosen Sekunden lässt sie unvermittelt die Decke fallen, dreht sich um und geht. Ein beißender Geruch steigt ihm in die Nase. Er hat ins Bett gemacht.
Eine super Szene. Sehr gut gemacht. Kopfkino pur.

Die Geschichte lebt von ihrer Authentizität. Hat mir gut gefallen. :thumbsup:
Danke für den Lesespaß.

Schönen Tag und liebe Grüße,
GoMusic

 

Hallo Eisenmann,

ja, im Grunde ist es Horror, das stimmt.

Furchtbare, grausame Geschichte - gut gemacht und mit Schrecken gelesen.

Vielen Dank, ich freue mich sehr, dass die Geschichte für dich funktioniert und dass du sie als realistisch empfindest.

Liebe Grüße von Chutney

P.S. Eisen mit Gänsehaut, :hmm:, interessant ...

Hallo Friedrichard,

ich grüße dich auch ganz herzlich, du bist mir natürlich wohlbekannt, dein Wissen beeindruckt mich immer wieder.

ja, das ist eine realistische Geschichte und an der Wand lese ich, dass es jedem gehen kann, wie Herrn T. oder Frau M., wozu sich dann der notorische Mangel an Personal für schlechtbezahlte Stellen gesellt, dass es ein Glücksfall ist, dass sich der Sohn um seinen Vater kümmert.

Ui, Da hast du den Inhalt meiner Geschichte nochmal ganz anders auf das Thema bezogen. So wird das Ganze zum Menetekel. Gefällt mir gut.
Ja, ohne den Sohn wäre der Text absolut unerträglich. Es ist wichtig, in so einer Situation wenigstens eine Person zu haben, die zu einem hält.

Und den Insassen dieses Heims geht‘s – nach dem Schnappschuss, den Du gibst, eigentlich ein gewagtes Urteil – relativ gut, wenn wir bedenken, dass Pflege in vorgegebenen Minutentakten erfolgt.Schließlich ist mit den endlosen Reformen des gesamten Gesundheits- und Pflegewesens seit den 1980-er, insbesondere aber der 1990-er Jahren das bis dahin formal auf Kostendeckung ausgerichteten wirtschaftlichen Segments „Gesundheit, Pflege“ dem ökonomischen Prinzip unterworfen worden, dass Betreute und Patienten sich in Kunden wandelten.

Ja, es geht noch schlimmer. Ich finde es furchtbar, dass man mit Seniorenheimen heute Profit machen muss. Das schafft so viel Elend, bei den Bewohnern und beim Personal.

Deine Anmerkungen habe ich gleich umgesetzt, vielen Dank! Und das Lied habe ich mir auch nochmal angehört. Die Zeile "I hope I die before I get old" mag einem beim Lesen meiner Geschichte wohl durchaus in den Sinn kommen.

Schwieriges Thema, manierlich gelöst

Herzlichen Dank, Friedrichard, für deine Gedanken und ermutigenden Worte zu meiner Geschichte.

Liebe Grüße von Chutney


Hallo GoMusic,

und ich freue mich sehr über deinen Kommentar!

Wird das nicht blau-weiß geschrieben?

Ja, das ist besser, danke.


Tragen die Pflegrinnen Dirndls zur bayerischen Woche?

Möglich wäre es, je nach Temperament und Humor, es käme wahrscheinlich gut an. ;)


Hier kam ich beim Lesen ins Stocken, da ich dachte, Paul sei auch anwesend. Ein kleines Wörtchen hätte mich da besser abgeholt:
„Paul hingegen klingelt immer sofort nach der Schwester.“

Habe ich auch übernommen, ja so wird es deutlicher.

Eine super Szene. Sehr gut gemacht. Kopfkino pur.

Die Geschichte lebt von ihrer Authentizität. Hat mir gut gefallen.
Danke für den Lesespaß.


Oh, das lese ich gerne. An dich auch ganz herzlichen Dank, GoMusic!

Liebe Grüße von Chutney

 

GoMusic fragt:
Tragen die Pflegrinnen Dirndls zur bayerischen Woche?
Du antwortest:
Möglich wäre es, je nach Temperament und Humor, es käme wahrscheinlich gut an.

Ich meine, wäre es nicht eine Bereicherung und Gleichbehandlung, wenn überall in unserer so schönen BeErde - wenn inzwischen von Flensburg bis Ammergau, ob oben oder unten, das Oktoberfest gefeiert wird, den Heiminsassen nicht dergleichen Freude und Bespaßung zustände?,

liebe Chutnes, lieber GoMusic,

Oktoberfest für alle, kann die Parole nur lauten - und wär's ein dance makabre.

Vorsorglich vom

Friedel

ein schönes Wochenende!

 

Hallo BeaMilena,

Ich mochte deine Geschichte, obwohl sie mich gehörig erschreckt hat.

Ja, das ist ein ernstes Thema. Dass du sie trotzdem mochtest, freut mich natürlich sehr.

Gut gefallen hat mir auch dein Schreibstil: klar, unprätentiös, fein beobachtet (vor allem die Mimik, die Gesten), manche Stellen gespickt mit feiner Ironie.

Oh, vielen Dank :D

Die beinah Vergewaltigung im Traum "showt" bildhaft seine Ängste.

Ups, hier war ich überrascht, dass du die Situation als Traum gelesen hast. Das sollte Realität sein und kommt auf Stationen mit Demenzerkrankten gar nicht so selten vor. Insofern war es auch nicht unbedingt eine Beinah- Vergewaltigung. Evtl. wollte die Frau sich "nur mal" seine Füße angucken. Aber es bleibt natürlich eine furchtbar beängstigende Erfahrung. Ich schaue mir die Stelle nochmal an, aber ich glaube bisher hat sie noch keiner als Traum verstanden.

Werden in der Realität alte Menschen tatsächlich wegen einem einzigen Vorfall ruhig gestellt?

Nein, ich denke nicht generell und ich hätte auch tatsächlich noch ein paar Schleifen mehr einbauen können, bis es dazu kommt. Was aber häufig passiert ist, dass nicht genau hingesehen wird, dass wie hier Ursachen für die aggressive Handlung nicht wahrgenommen werden. Und da ist es in so einem Heim genauso, wie "draussen". Entweder ist jemand da, der das sieht und versteht oder eben nicht und mit zunehmendem Zeit- und Arbeitsdruck wird das auch für motiviertes Personal immer schwieriger. Und dann werden manchmal Maßnahmen ergriffen, die mehr schaden als helfen.

Vielleicht, vielleicht würde ich die Hilflosigkeit zwischen dem klugen Geist und dem altersschwachen Körper, der nicht mehr als "Da,da" zulässt, noch etwas verschärfen, und zwar an der Stelle, an der sein Sohn mit der Schwester spricht. Alles in ihm müsste sich hier aufbäumen, ein letzter innerer Kampf ...

Da sprichst du etwas an, was ich als Schwierigkeit empfunden habe. Was wirklich in seinem Kopf vorgeht. Was sich vielleicht doch auch verändert hat durch den Schlaganfall, auch wenn mehr seine Sprache betroffen ist, als sein Sprachverständnis. Zum Teil schreibe ich ja, was er denkt und lehne mich damit auch ziemlich weit aus dem Fenster. Aber er ist in seiner Wahrnehmung auch eingeschränkt, sieht z.B. Doppelbilder. Ich habe bei ihm jedenfalls nicht diese vitale Kraft gesehen, die zu einem Aufbäumen geführt hätte, auch geistig nicht. Er ist eher passiv, versucht so durchzukommen.
Ich glaube, dass es an dieser Stelle stärker ist eine Leerstelle zu lassen. Er hat das Gespräch mitbekommen, da ist diese Scham zuallererst und ein diffuses Gefühl von Ungerechtigkeit.

Deine Ideen zu den "sprachlichen Kleinigkeiten" haben mich alle überzeugt, die habe ich so übernommen, ganz herzlichen Dank fürs genaue Hinschauen und für deinen ermutigenden Kommentar. :)

Liebe Grüße von Chutney

 

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