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Die Weihnachtskonferenz

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03.07.2004
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Die Weihnachtskonferenz

„Und dann wird er sicher behaupten, Frauen seien mitgemeint, dieser Supermacho.“
Sie hatte bereits zu viel Stress und nun auch noch diese Frechheit. Erbost las sie den Text auf der bunten Karte laut ihren Helferinnen vor:
„Diese herzliche Einladung in das Schloss am Nordpol richtet sich an alle Weihnachtsmänner Punkt Punkt Punkt.“
Sie stutzte und schaute verwirrt genauer auf die Karte. Da stand tatsächlich ‚Weihnachtsmänner …‘ Sollten alle anderen hilfreichen Weihnachtsgeister in diesen drei Pünktchen zusammengefasst sein? Zögernd drehte sie die Karte um und las dann weiter:
„… Weihnachtsfrauen, Weihnachtselche Nikoläuse, Rentiere, Weihnachtselfen und alle anderen fröhlichen Weihnachtsgeister, die sich mit mir Gedanken machen wollen, wie wir Weihnachten in unserer modernen Zeit zu mehr Attraktivität verhelfen können.
Wir werden das Wochenende von 24. bis zum 26. November miteinander verbringen.
Euer Santa Claus“
„Na gut, ich bin auch eingeladen, nicht nur als Anhängsel, sondern als Weihnachtsfrau. Und das Thema interessiert mich. Schließlich komme ich aus keiner verstaubten Tradition, sondern bin eine moderne Erscheinung.“
Bei diesen Worten stieg schon wieder Ärger in ihr auf. Denn nun standen ihr die Bilder und Filme von knapp bekleideten Weihnachtsfrauen vor Augen, die nur auf Männer abzielten. Nein, auch wenn sie keine lange Geschichte hatte, bescherte sie ganz in der Tradition die Kinder zu Weihnachten. Am liebsten in Familien, die sich für starke Frauen einsetzten und sie deshalb auch oft engagierten.

Der November ging seinem Ende zu. Also warf sich die Weihnachtsfrau in ihre Berufskleidung und fuhr mit ihren Rentierschlitten zum Nordpol. Dort landete sie in einem Wirrwarr von Fahrzeugen. Da gab es die unterschiedlichsten Schlitten, meist mit Rentieren bespannt, aber sie sah auch Schimmel und andere Pferde und Schlittenhunde - wahrscheinlich aus Grönland -, und neben den Schlitten einige Automobile der Extraklasse und sogar einen Heißluftballon. Besonders ins Auge stach ihr ein Schlitten, der anstelle der Kufen mit Surfbrettern ausgestattet war und von sechs weißen Kängurus gezogen wurde. Daneben standen auch Luxusschlitten mit Fernseher, Satellitentelefon und Stereoanlage ebenso wie traditionelle und auch außergewöhnliche Schlitten wie die Troika von Väterchen Frost und Schneeflöckchen. Neben dem Schneepalast bemerkte die Weihnachtsfrau ein großes Loch im Eis. In dem Wasser tummelten sich einige Robben - eine von ihnen trug sogar eine rote Gumminase - und das Loch war auch groß genug, damit der Weihnachtswal ab und an auftauchen konnte, um Luft zu holen.
Im unüberschaubaren Saal des Schneepalastes funkelten und glitzerten die Eiswände und an den riesigen Kronleuchtern blinkten Millionen von Schneeflocken. Es sollte wohl ein festliches Abendessen geben, denn viele Tische waren im Saal aufgestellt und reich gedeckt. Bunte Eisblumen verzierten die Wände und standen in großen Eisvasen auf den Tischen. Da gab es kleine Tische mit Stühlchen, runde Tische und lange Tafeln und auch sehr große Tische mit bequemen Sofas wohl für die vierbeinigen Weihnachtswesen, die schlecht aufrecht sitzen konnten. Zwischen den Tischen herrschte reger Betrieb, Man umarmte sich und klopfte sich auf die Schultern oder andere Körperteile, die sich zum freundschaftlichen Begrüßen zu eignen schienen.
Einige Weihnachtswesen hatten auch schon Platz genommen. So entdeckte die Weihnachtsfrau an einem kleinen Tisch die dreizehn Weihnachtszwerge aus den isländischen Bergen mit ihren warmen Strickmützen und knubbeligen Gesichtern und neben ihnen war auf eines der kleinen Stühlchen eine Polsterbank gestellt, auf der ab und zu die Weihnachtsmaus lag. Über ihr auf einem Wandregal saß manchmal ein kleiner Elf, der aber die meiste Zeit wie die Maus unterwegs war, um Unfug zu treiben.
An einem runden Tisch in der Nähe saßen mehrere rot gekleidete Herren mit spitzen Mützen. Das waren sicher die Nikoläuse: Der Sinterklaas aus Belgien, Mikulás aus Ungarn, Kleeschen aus Luxemburg und Nicolas aus dem Elsass. Sogar der Silvesterklaus aus der Schweiz hatte am Tisch Platz genommen und neben ihm saßen die Heiligen drei Könige, die aus Spanien angereist waren. Der deutsche Nikolaus aber wuselte am Nachbartisch herum, um irgendeinen Streit zwischen den rauen Gesellen, die dort saßen, zu schlichten.
"Das kann ja auch nicht gut gehen", murmelte die Weihnachtsfrau, denn da lagen sich der Krampus und Knecht Ruprecht in den Haaren, um endlich zu klären, wer der echte sei, während die Perchten und Père Fouettard versuchten, die beiden auseinanderzuziehen. Das gelang ihnen aber nicht, weil der Nikolaus mit seinem Hirtenstab in der Luft herumfuchtelte und der Zwarte Piet brüllte: „Ihr seid alle unartige Kinder“ und versuchte, die ganze Bagage in seinen Sack zu stecken.
‚Ja‘, stellte die Weihnachtsfrau in Gedanken fest. Sie erkannte alle, obwohl sie die meisten von ihnen noch nie leibhaft gesehen hatte. Aber zu ihrer Ausbildung hatten viele Stunden Traditionen und Gebräuche gehört. Dieses Wissen war wichtig. Es kam leider immer wieder vor, dass sich falsche Weihnachtsmänner einschlichen und mit Horrormasken die Kinder erschreckten oder mit wuchernden Bärten vermummt Banken überfielen. Sollte sie so einem böswilligen Nachahmer begegnen, konnte der sich auf eine große Überraschung gefasst machen. Sie hatte Karate gelernt und Angst war ihr ohnehin fremd. Was sollte ihr auch schon geschehen?
Bisher hatte niemand sie begrüßt oder sich über ihre Anwesenheit gefreut. Sie hatte auch noch keine andere Weihnachfrau gesehen, aber sie war sicher nicht die einzige. Also schlenderte sie weiter durch den großen Saal. An einer langen Tafel saßen die unterschiedlichsten Weihnachtswesen. Aber in den vielen Jahren an der Weihnachtsakademie lernte sie auch, Wesen zu erkennen, die nur an einigen Orten tätig waren: etwa den Olentzero aus dem Baskenland in seiner Köhlerkluft oder die Witwe Befana aus Italien, die aussah wie eine Hexe. Aber sie war ein freundliches Wesen, das unartigen Kindern zwar ein Stück Kohle schenkte - aber die bestand bei ihr aus Zucker. Da saß auch der Viejo Pasquero aus Chile in seiner Hirtentracht und neben ihm auf einem Sofa lag sein Lama und hielt ein Schläfchen. Eigenartigerweise sah sie auch das Nikoloweibl an diesem Tisch, obwohl es doch eigentlich als die Frau des Berchtesgadener Nikolaus galt. Herzlich umarmte sie das junge Mädchen in der althergebrachten Tracht und wurde auch von ihr freudig begrüßt: „Viel zu viele Männer hier, aber drüben sitzt wenigstens Lucia.“
Beide gingen etwas weiter zu einem großen runden Tisch, an dem ausgelassener Frohsinn herrschte. Hier hatten sich die Tomtes und Julnisse aus Schweden um Lucia geschart. In ihrem weißen Kleid mit der roten Schärpe und mit ihrem Lichterkranz auf dem Kopf überregte sie alle die kleinen Heinzelmännchen, Gnome, Wichtel und Kobolde. Neben Lucia saßen zwei Mädchen. Die eine trug ein altertümliches prächtiges Gewand und hielt in der Hand einen langen Palmzweig, während die andere in Lumpen gekleidet war und einfach hässlich aussah. Jetzt war die Weihnachtsfrau doch ratlos. „Hallo Lucia“, sprach sie das Mädchen an, das sofort aufsprang, dass ihre langen blonden Haare nur so flogen. Die Kerzen auf ihrem Kopf brannten ruhig weiter und kein Haar wurde angesengt, während sich die beiden umarmten. „Wer sind denn deine Begleiterinnen?“
„Sie wollten mal mitkommen und sich dieses Treffen anschauen. Darf ich dir vorstellen: Lucia und Lucia.“ Die Weihnachtsfrau schaute irritiert von einer Lucia zur anderen und dann erklärten ihr die drei: „Dies ist Lucia von Syrakus, die vor vielen Jahrhunderten in Syrakus lebte und die verfolgten Christen mi Lebensmitteln versorgte. Damit sie die Gaben tragen und in den dunklen Höhlen etwas sehen konnte, trug sie einen Lichterkranz auf dem Kopf. Ein Richter hat sie schließlich töten lassen. Und das hier ist die schiache Luz‘. Sie ist eine der Perchten und hat früher im bayrischen Wald ihr Unwesen getrieben.“
Sie verabschiedeten sich herzlich voneinander und die Weihnachtsfrau schaute sich weiter an dem langen Tisch um. Da lag ein großer Julbock auf einem Sofa und unterhielt sich mit dem Jultomte, der ihn in Schweden als Geschenkebringer ersetzt hatte. Und wenn sie die Augen fest zukniff und dann ganz schnell öffnete, sah die Weihnachtsfrau auch die Elfen herumfliegen. Der Elfenstaub, den sie über den Saal verstreuten, funkelte und sprühte wie hunderte von Wunderkerzen.
Am meisten funkelte es am oberen Ende des Saales. Weit weg, aber es war gerade zu erkennen, dass dort Santa Claus auf seinem Thron saß und auf das Gewimmel im Saal herab schaute.
„Das sieht aus, als ob er Hof hält und seine Untertanen freigebig bewirten will“, dachte die Weihnachtsfrau und kam ins Grübeln. „Diese Konferenz scheint sich nur um Geschenke zu drehen und möglichst noch mehr Geschenke - ist das wirklich Weihnachten?“
Die vielen anderen Besucher hatten sie interessiert und über manche Begegnung hatte sie sich gefreut. Aber jetzt überlegte sie, dieses laute trubelnde Fest zu verlassen und gar nicht auf die geplanten Diskussionen zu warten. Sie zog sich in einen stillen Winkel zurück und versuchte, mit sich selbst klar zu kommen: „Was soll bei einem modernen Weihnachten denn schon anderes herauskommen als noch mehr Kommerz? Das sehe ich doch in den Ländern, die Weihnachten eigentlich gar nicht kennen, wie China oder Japan. Da gibt es jetzt den nordamerikanischen Santa Claus, der die Menschen zum Kaufen und Konsumieren anregen soll. Gibt es denn gar keinen anderen Sinn des Weihnachtsfestes? Ich habe da sicher etwas gelernt, aber ich erinnere mich bei diesem lärmenden Gewoge nicht. Ich muss raus hier.“
Die Weihnachtsfrau kehrte um und ging entschlossen aus dem Saal. Niemand hielt sie auf. Kurz vor dem Ausgang sah sie in einer dunklen Ecke ein sanftes Lichtlein, das sie geradezu anzog. Und dann blickte sie einen kleinen Stall, in dem ein Ochse und ein Esel standen und mehrere ärmlich gekleidet Menschen auf etwas schauten das auf dem Boden zu liegen schien. Als die Weihnachtsfrau nähergekommen war, sah sie eine Futterkrippe, in der ein neugeborenes Kind lag. Und dieses Kind sah sie an und in seinen Augen erkannte sie so viel Liebe, dass ihre Sorgen und ihr Ärger verschwanden. Sie wurde von derart großer Freude überflutet, dass sie anfing zu weinen. Und in ihrem Herzen wusste sie es wieder: Es gibt nur ein Weihnachtsgeschenk und das bringt dieses kleine Kind.

 

Hallo jobär,

eine nette kleine Geschichte vor Weihnachten - zwar mit wenig Handlung oder Spannung, aber der Ritt quer durch die verschiedenen Weihnachtstraditionen war durchweg unterhaltsam.
Die Weihnachtsmaus und den Weihnachtswal musste ich googeln, und durfte feststellen, dass es die tatsächlich gibt. Den Elf on the Shelf hab ich vermisst, aber vielleicht hast Du den allgemein zu den Elfen gepackt - wobei es eine nette Referenz gewesen wäre, einen von ihnen an der Wand auf einem Regal sitzen und mit den Beinen baumeln zu lassen.

Wenn man es ganz weit treiben wöllte, könnte man noch eine Chanukka-Referenz einbauen; Analogien mit den Lichtern und Geschenken für Kinder gibt es ja, und dieses Jahr fallen beide Feste noch aufs gleiche Datum. Es gibt auch zahlreiche v.a. Kinderbücher, die mit dem Weihnukka-Gedanken spielen.

Auf jeden Fall aber Hut ab vor Deinen Recherchetätigkeiten, und danke für das nette Schmankerl, das für eine Lehrgeschichte mit wohltuend wenig Zeigefinger auskommt.

 

Lieber jobär,

deine Geschichte kam für mich gerade zur rechten Zeit, bei all dem Trubel wegen der Challenge. Da hast du eine Menge Recherche investiert. Ich danke dir auch dafür, dass du eine Weihnachtsfrau als zuverlässige Erzählerin gewählt hast;) Ist ja noch nicht so recht verinnerlicht in unserer Weihnachtskonsumwelt. Vielleicht gerade gut so, wo doch der zugrundeliegende Gedanken des Christentums ins Hintertreffen geraten ist.
Dass deine Weihnachtskonferenz an die Konferenzen von EU, UNO undsoweiter erinnert, passt natürlich gut und hat einen aktuellen Bezug.

Ich stelle mir all die Figuren auf einem großen Wandbild vor. Da könnte man Woche für Woche den lieben Kleinen eine neue Person vorstellen.

Übrigens weiß ich von meinen muslimischen Bekannten hier, dass sie alle Weihnachten feiern - wegen der Geschenke. Was sagt uns das??

Dir wünsche ich ein friedliches uns substanzielles Weihnachtsfest im Kreise deiner vielen Freunde und Freundinnen.

Herzlichst
wieselmaus

 

Liebe wieselmaus,

ich wollte diesen Punkt nicht anschneiden, aber ich weiss schon aus meiner Arbeitszeit in Hamburg, dass die türkischen Familien durchweg zu Weihnachten die Kinder beschenkten - weil dieser Aspekt des Weihnachtsfestes eben allen Kindern auf Schritt und Tritt begegnet. Christen fällt es schwerer, muslimische Feste mitzufeiern, das Zuckerfest (Fastenbrechen) wird hier und da gemeinsam begangen, aber das Opferfest nicht.

Liebe Grüße

Jobär

 
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Was hast du geschrieben: eine Liste von Weihnachtutensilien, eine Konferzenzssatire, wo großmächtig alles daherkommt und das Wesentliche in einer Ecke nicht entdeckt wird. Die Satire auf ein Weihnachtsmärchen oder ein echtes Weihnachtsmärchen?
Hallo Jobär,

Sie wurde von derart großer Freude überflutet, dass sie anfing zu weinen. Und in ihrem Herzen wusste sie es wieder: Es gibt nur ein Weihnachtsgeschenk und das bringt dieses kleine Kind.
Dieser Satz gibt Rätsel auf. Wer spricht ihn? Die endlich als gleichwertige Weihnachtsfigur anerkannte Weihnachtssuperfrau? Drängt sich zu dieser Bagage und wird dann rührselig?
Ist dieser Satz gar ein als Zitat für Weihnachtskitsch aufzufassen, so passen die Krippenfiguren ja in die weihnachtliche Liste der Weihnachtsunterhaltungstheatralik.
Du siehst, wie viele Probleme deine Geschichte mir macht und Vergnügeen.
In der Hoffnung, am Weihnachtsabend Erleuchtung und Erscheiinung zu finden
o du fröhlicher Wilhelm Berliner

 

Hallo Pardus,

danke für deinen Kommentar, besonders vielen Dank für die Entdeckung des Elfen, der wahrscheinlich gerade irgendwo unterwegs war. Ich habe ihn jetzt der Weihnachtsmaus zugesellt.
Wilhelm Berliner,

danke auch für deine Kritik. Wer spricht den Schlusssatz? Vielleicht die Stimme aus dem Off. Aber ich kann da nur zitieren: "man muss nicht alles wissen".

Gegen Ende der Geschichte fragt sich die Weihnachtsfrau: "Ist das wirklich Weihnachten?" Und im nächsten Absatz: "Gibt es denn gar keinen anderen Sinn des Weihnachtsfestes? Ich habe da sicher etwas gelernt, aber ich erinnere mich bei diesem lärmenden Gewoge nicht. Ich muss raus hier.“
Da mag es das Weihnachtsmärchen sein, dass ihr die Antwort auf ihre Frage vor die Augen gelegt wird. In diesem Sinne wünsche ich allen einen erleuchtenden Schein.

Jobär

 

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