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Eddie und die schwarze Schildkröte

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11.12.2015
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Eddie und die schwarze Schildkröte

Es ist zehn Uhr. Frau Vogelmann, die alte Witwe vom hinteren Ende des Ganges, kommt vom Einkauf zurück. Es muss zehn Uhr sein, denn sie kommt jeden Tag um genau diese Uhrzeit mit ihrem Wägelchen an seiner Wohnungstür vorbei. Einige Male hat er sie dabei durch den Briefschlitz beobachtet. Eddie erkennt das Wägelchen an dem Quietschen, das eines der beiden Räder verursacht. Er glaubt, es sei das linke.
„Frau Vogelmann hat also ihre Einkäufe, bestehend aus einer Packung Fleischsalat, zwei Semmeln und zwei Büchsen Bier für heute erledigt”, denkt er sich. „Sie wird ihren schwarzen Umhang und die schwarzen Stiefelchen ablegen und es sich in ihrer kleinen Wohnung bequem machen.” Eddie stellt sich das so vor. Er hat sie später am Tag noch nie im Treppenhaus bemerkt. Immer nur morgens.

Dass es Fleischsalat, Semmeln und Bier sind, die Frau Vogelmann da einkauft, weiß Eddie, weil einmal an einem Dienstag im Februar direkt vor seiner Wohnungstür das Wägelchen umkippte und alles herauspurzelte. Er stürzte voller Hilfsbereitschaft in den Hausflur und sammelte die Sachen wieder zusammen. Frau Vogelmann brabbelte die ganze Zeit missmutig etwas vor sich hin und machte ungelenke Versuche, sich zu bücken. Eddie hatte den Eindruck, dass sich im Inneren des Wägelchens etwas bewegte, aber genau konnte er es nicht erkennen. Dazu war das Licht des Februarmorgens zu schummerig gewesen und Frau Vogelmann hatte ihm plötzlich mit unerwartet flinken Händen alle Sachen entrissen, sich die Bierbüchsen an ihre flache Brust gedrückt und war, das quietschende Wägelchen hinter sich her zerrend, zu ihrer Wohnungstür getippelt. Ein modriger Geruch blieb eine Weile im Hausflur hängen und verflog nur zögerlich.

Eddie lehnt sich zufrieden in seinem Stuhl am Küchentisch zurück und streicht dabei mit den Händen die Tischdecke glatt. Er hört die Spatzen im Hinterhof streiten. Fröhlich klingt das. Frech. Er sollte das Fenster schließen, weil ihm langsam kalt wird, aber er hört das Gezwitscher so gerne. Er hat Zeit. Viel Zeit. Ihn braucht schon lange Zeit niemand mehr. Ein bisschen sitzt er noch.
Er schließt die Augen, um die Sonnenstrahlen, die sich für einen kurzen Moment über das Dach in den Hinterhof verirrt haben, in sein Gesicht scheinen zu lassen, und spürt der Wärme auf seinen Wangen noch nach, als die Sonne schon längst weitergezogen ist.
Eddie weiß, nun wird bald ein anderes Geräusch die ruhige Vormittagsidylle zerstören. Fast wartet er darauf. Gegen elf Uhr wird es dem Herrn, der über Eddies Wohnung wohnt, pressieren und sein Stuhlgang steht an. An seinem Klingelschild steht „Lubinski”. Eddie kennt ihn nur vom Hören. Gesehen hat er ihn noch nie. Doch die Hellhörigkeit des Hinterhofes lässt kaum Fragen offen.
Es beginnt ganz harmlos mit einem gepressten Grunzen.
Pause.
Dann mehrmaliges stakkatoartiges Grunzen.
Pause.
Jetzt steigern sich die Intervalle und auch die Lautstärke.
Schließlich, zum Höhepunkt hin, ein gewaltiger Seufzer der Erleichterung. Fast kann Eddie es plumpsen hören. Nüchternes Geräusch der Klospülung. Eddie rümpft die Nase. Widerlich! Aber für heute ist's geschafft!
Er hat von diesem Mieter im vierten Stock ein klares Bild vor Augen. Der ist ja oft zu hören. Mittleres Alter, lautstarkes Familienoberhaupt, an dessen kräftigen Nacken unbedingt eine auffällige Goldkette baumeln muss, mit sicherlich vielen Haaren auf der Brust, aber wenigen auf dem Kopf. Eddie stellt sich Herrn Lubinski dunkelhaarig vor. Seine Frau hingegen muss zart und klein sein. Vielleicht haselnussbraunes Haar? Ihre leisen, schlichtenden Worte gehen immer sehr schnell in Lubinskis donnerndem Gebrüll unter. Manchmal träumt Eddie von ihr, wenn er in die Wolken schaut. Stellt sie sich vor. Hat sie braune oder grüne Augen?
Er träumt, sie zu beschützen. Vor Lubinski. Sie zu begleiten, bei den Ämtern und Behörden. Das kann er gut. Formulare und so. Danach würde er sie gerne einladen zum Picknick im Park. Mit Blick auf den See. Auf der karierten Decke könnten ihre Kinder spielen. Er würde sie nie anschreien. Nie. Irgendwann würde sie vielleicht seine Hand halten wollen.

Ganz vorsichtig rückt Eddie den Salzstreuer auf dem Küchentisch zurecht. Millimeter für Millimeter. Er muss ganz genau zum Pfeffer ausgerichtet sein. So. Jetzt passt es!
Unter die hellen Tschilper der immer noch streitenden Spatzen mischen sich nun die ersten Küchengeräusche. Klappern von Schüsseln, Besteck und Töpfen. Bald werden die ersten Essensdüfte durch den Hinterhof wabern. Hühnersuppe? Braten? Cevapcici?
Das ist das Zeichen für Eddie, sich um sein eigenes Mittagessen zu kümmern. Er streicht das Tischtuch erneut glatt, zieht die Kanten mit dem Daumennagel nach und stemmt sich mühsam aus seinem Küchenstuhl hoch. Er schließt das Fenster und schlurft langsam über die knarrenden Dielen zum Regal in der Ecke. Viel Auswahl ist nicht mehr. Er war schon lange nicht mehr draußen. Zum Einkauf. Er wählt eine Dose Hühnersuppe. Die mochte er schon immer. Früher hat seine Frau die Suppe manchmal gekocht. Aber das ist lange her. Bevor der Laster sie erfasste und sie unter sich begrub. Er konnte ihr nicht helfen. Jetzt isst er allein.

Rhythmisches Wummern lässt die Wände dröhnen. „Ach! Hussein ist wieder da!”, stöhnt Eddie.
„Dann muss es schon später Nachmittag sein!” Eddie ist nach dem Essen eingedöst. Das ärgert ihn. Das passiert in letzter Zeit öfter.
Noch leicht benommen vom Schlaf zieht Eddie ein frisches Hemd über, klemmt sich das Schachbrett unter den Arm und verlässt seine Wohnung. Das Wummern ist inzwischen verklungen. An der Wohnungstür eine Treppe tiefer öffnet ein junger Araber auf sein Klingeln.
„Hussein!”, sagt Eddie, „Musst du immer diese schreckliche Musik so laut aufdrehen, wenn du heimkommst?”
„Ach Eddie, mein Freund! Das tu' ich doch nur, um dich wach zu kriegen! Komm rein! 'Ne Partie Schach mit 'nem Glas Tee ist jetzt voll gut nach so 'nem verrückten Tag.”
Und schon wird Eddie in ein winziges Wohnzimmer geschoben, welches von oben bis unten mit Teppichen ausgelegt ist.
„Hey, ich hab seit gestern 'nen neuen Job auf'm Friedhof”, berichtet Hussein, während er mit geübten Handgriffen ein Teetablett anrichtet. „Und rate mal, wen ich da heut' Morgen gesehen hab'?”
„Keine Ahnung? Wen denn?”, gibt Eddie ratlos zurück.
„Na, uns're liebe, brummige Nachbarin. Von über mir, neben dir. Die, die immer schwarz trägt.”
„Meinst du Frau Vogelmann?”, fragt Eddie.
„Ja, Mann! Die hab' ich heute Morgen gesehen. Glaubste nich'? Die saß erst ganz reglos da, auf 'ner Bank auf'm Friedhof mit 'ner Schildkröte. Ne Schildkröte! Auf'm Friedhof! Sah ganz schön meschugge aus, die Alte! Und später dann, da hat sie geschimpft! Geschimpft hat 'se! Mann, das glaubste nich'! Hat einfach den Grabstein ausgeschimpft.”
Eddie fragt: „Was hat sie denn geschimpft?”
„So genau konnt' ich's nicht hör'n. Aber ich glaub', die hat einfach so generell geschimpft. Eher gebrabbelt ...”, sagt Hussein. „Voll kaputt, die Alte!”
Schweigend baut Eddie das Schachspiel auf.
„Die anderen auf'm Friedhof, die da arbeiten, sag'n, dass die Alte jeden Tag kommt. Wirklich jeden Tag, seit Jahren! Jahrzehnten! Überleg dir das mal! Sitzt da mit 'ner Schildkröte auf'm Arm. Schimpft und dann geht sie wieder. Voll kaputt, sag ich.”
Eddie richtet alle Spielfiguren ganz akkurat aus. So mag er es. Akkurat. Was er von Hussein über Frau Vogelmann hört, stimmt ihn nachdenklich und traurig. Warum, weiß er nicht. Er kennt sie ja nur von der einen Begegnung letzten Februar. Er hört sie eigentlich nur im Vorbeigehen oder beobachtet sie durch den Briefschlitz. Er hat keine Lust mehr auf Schach.

Plötzlich schwillt der Lärm einer Sirene an. Blaues Licht flackert durch die Fenster. Rufe und Kommandos werden laut. Weiteres Sirenengeheul folgt und türmt sich vor dem Haus auf. Alles leuchtet. Und blinkt. Gefahr liegt in der Luft. Durch das Treppenhaus poltern schwere hastige Schritte. Eddie und Hussein schauen in den Hausflur und werden sofort von Feuerwehrmännern nach draußen geleitet. Von anderen Mietern mitgerissen, die letzten Stufen rennend, stehen sie im Hinterhof und schauen an der Hauswand empor. Eddie hält sich die Brust. Er ist nicht mehr so sportlich. War er nie. Die anderen Mieter keuchen oder jammern. Einige Kinder weinen.

Aus einem der Fenster im dritten Stockwerk schlagen Flammen. Eddie zählt die Fenster ab und erkennt, dass es ein Fenster von Frau Vogelmann sein muss. „Bei Frau Vogelmann brennt's!”, ruft er Hussein zu, der mit einem Feuerwehrmann spricht. Doch der winkt nur und zeigt auf zwei Rettungssanitäter, die gerade eine Trage aus dem Treppenhaus schleppen. Darauf liegt Frau Vogelmann. Ihr Gesicht ist rußgeschwärzt und sie weint.
„Aber sie lebt!”, denkt Eddie. Ein warmes Gefühl durchfließt seine Brust. Es ist pure Freude. Eddie ist von dieser Empfindung überrascht und nestelt an seinem Hemdskragen herum.
Hussein zwängt sich durch die Menschenmenge zu Eddie durch. „Mann, Eddie! Da hatten wir doch gerade noch von der Alten gesprochen und dann sowas. Is' krass, oder? Hat wohl Feuer gelegt, die Alte. Wollte wohl nich' mehr leben.”
Etwas abseits baut sich ein bulliger Mann mit auffallender Goldkette am Hals vor den Einsatzkräften auf und verlangt wieder Zugang zum Haus. Hinter ihm duckt sich eine zierliche Frau. Ihre Arme sind mit blauen Flecken übersät. Ihr Haar ist hellbraun. Zwei kleine Kinder klammern sich wimmernd an ihren Rock.
Mit seinem Kinn weist Eddie zu den beiden hin. „Hussein, wer ist das da drüben?”
„Der wohnt über dir! Das ist Lubinski mit seiner Frau Mena. Er ist 'n ungemütlicher Kerl, dem man besser nich' im Dunkeln begegnet.”

Bald sind die Feuerwehr- und Rettungswagen abgefahren, die Mieter können wieder in ihre Wohnungen zurück. Eddie verabschiedet sich von Hussein, verspricht eine baldige Wiederholung ihres Spiels und schleicht langsam die Stufen in den dritten Stock hinauf. Schon von weitem sieht er die Absperrbänder, mit der Frau Vogelmanns Wohnung versiegelt wurde. Leichter Brandgeruch liegt noch in der Luft.
Nach dem Trubel und dem Lärm auf dem Hinterhof umfängt ihn nun eine gespenstische Stille. Er geht auf seine Wohnungstür zu, kramt nach dem Schlüssel in seiner Hosentasche und erinnert sich an das schöne Gefühl, das ihn vorhin bei Frau Vogelmanns Rettung durchflutet hat. Und an blaue Flecken auf dünnen Ärmchen.
Eine Schildkröte, die vor seiner Tür zu warten scheint, hebt er vorsichtig hoch, wischt ein wenig Ruß von ihrem Panzer und trägt sie wortlos in seine Wohnung.

Es ist wieder zehn Uhr. Frau Vogelmann, die alte Witwe vom hinteren Ende des Ganges wird heute nicht an seiner Wohnungstür vorbeigetippelt kommen. Kein quietschendes Wägelchen heute. Vermutlich bleibt sie noch einige Tage im Krankenhaus. Ihre Schildkröte leistet Eddie derweil Gesellschaft. Er lehnt sich zufrieden in seinem Stuhl am Küchentisch zurück und beobachtet die Schildkröte, wie sie ganz langsam ein Salatblatt frisst. Genüsslich. Unbeirrt von seinen Blicken. Eddie schmunzelt. Ob sie auch Gurke mag?
Er hört wieder die Spatzen im Hinterhof streiten. Das klingt für ihn nicht mehr ganz so fröhlich und frech wie gestern. Etwas hat sich verändert. Er mag das Gezwitscher zwar immer noch, aber jetzt ist es ihm wichtiger, den Müll runter zu bringen. Dann Gurken kaufen.

Scheu blickt sie aus einem ihrer schönen Augen zu ihm auf. Das andere ist zugeschwollen. Über ihre Wangenknochen ziehen sich blutige Spuren. In ihrem Schoß eingerollt liegen zwei schlafende Kinder mit verweinten Gesichtchen.
„Mena. Ihr kommt mit mir!”, sagt Eddie und wundert sich selbst über die Entschlossenheit in seiner Stimme. Er reicht ihr seine Hand und zieht sie behutsam hinter der Mülltonne hervor.

Rehbraune Augen sind es!

 
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Hey Lind,

Du hast hier eine sehr interessante Geschichte aufgetischt!

Eine Geschichte ohne ein Ende. So eine kleine Vorspeise! Das mag ich so!

Zur Adie. Eine Figur mit leicht autistischen Zügen, überraschenderweise wie es sich später herausstellen soll, ein Wittwer!!! Einsam, berufssunfähig, verfügt über soziale Kontakte, einen Kontakt: Hussein? Nein, Schachspiel mit Hussein.

Ein weiterer Kontakt, eine Schildkröte, wirf seinen Alltag aus der Bahn, er muss extra Gurken einkaufen gehen! Dies bescherrt ihm unerwartet die Bekanntschaft mit Mena.

Ein Scheeballeffekt pur! Nach einer Woche leben 50 Personen bei Eddie!

Addie: An sich ein autistischer Träumer durch und durch! Jemand, der eine gewisse Schwäche für Frauen in Not hat, eine Möchte-Gerne-Held.

Die letzte Szene mit Mena kann ich Dir aus diesem Grund nicht abnehmen. Ich denke, dass er es sich einbildet oder nach 5 Minuten einen Rückzieher macht.

Dann hast Du ein Problem mit deinem Titel. Ich verstehe nicht so ganz, in welche Richtung Du damit deine KG katapultieren wolltest!?

Eddie und die Schildkröte? Was ist das? Ein Liebespaar? Haben Sie etwas gemeinsam? Können Sie sich kaum ausstehen? Hier ist noch eine große Baustelle!

Auf jeden Fall hast Du ein geschicktes Ende eingeleitet!

gerne gelesen!

Jo!

 

Hej Lind,

der Ton deiner Geschichte ist wohl deinem Protagonisten angepasst: knapp strukturiert und klar. Vielleicht macht es mir deswegen schwer, in einen Lesefluss zu kommen. Ich reihe lediglich die Begebenheiten aneinander und bin damit ziemlich unzufrieden. Ich nehme keine Fahrt auf.

Dennoch stelle ich mir Eddie sehr gerne in seinem Haus vor, in Interaktion mit den Nachbarn, dem Alltag und seinen Vorstellungen.

Stiefelchen

Warum die Verniedlichung einer alten, schwarz gekleideten, missmutigenFrau, die in keinster Weise auf mich niedlich wirkt?

Ein modriger Geruch blieb eine Weile im Hausflur hängen und verflog nur zögerlich.

Kam der aus ihrer Wohnung oder ging der von ihr aus?

Manchmal träumt Eddie von ihr. Stellt sie sich vor. Hat sie braune oder grüne Augen?
Er träumt, sie zu beschützen. Vor Lubinski. Sie zu begleiten, bei den Ämtern und Behörden. Das kann er gut. Formulare und so. Danach würde er sie gerne einladen zum Picknick im Park. Mit Blick auf den See. Auf der karierten Decke könnten ihre Kinder spielen. Er würde sie nie anschreinen. Nie. Irgendwann würde sie vielleicht seine Hand halten wollen.

Träumen erscheint mir nicht das passende Wort zu sein. Es hat eher den Anschein einer wachen Phantasie und Vorstellung, Wunschdenkens.

anschreinen

anschreien

Irgendwann würde sie vielleicht seine Hand halten wollen.

Hier kommt seine Passivität gut durch.

Viel Auswahl ist nicht mehr. Das Monatsende naht. Er wählt eine Büchse Hühnersuppe. Die mochte er schon immer. Früher hat seine Frau die Suppe manchmal gekocht. Aber das ist lange her. Bevor der Laster sie erfasste und sie unter sich begrub. Er konnte ihr nicht helfen. Jetzt isst er allein.

Bis hierhin vermutete ich einen pensionierten Beamten aufgrund seiner Akribität, aber alleinlebend sollte das Geld auch am Ende des Monats für mehr als eine Dose Hühnersuppe reichen, so ärgere ich mich ein bisschen, weil ich den Charakter neu justieren muss. Auch das er konnte ihr nicht helfen wirft mehr Fragen auf, als eine Vorstellung vom Geschehen.

Hussein, wer ist das da drüben?”
„Der wohnt über dir! Das ist Lubinski mit seiner Frau Mena. Er ist 'n ungemütlicher Kerl, dem man besser nich' im Dunkeln begegnet.”

Für mich ist es schwer vorstellbar, dass ein aufmerksamer Mann wie Eddie diese Nachbarn noch nie gesehen haben soll. Gerade auch, wenn die Familie Kinder hat. Darüber wunderte ich mich schon als sie anfangs erwähnt wurden.

Und an blaue Flecken auf dünnen Ärmchen.

An dieser Stelle hätte ich erwartet, dass Eddie sich bereits freut, den Namen zu wissen, dass seine Vorstellung bildhaft wurde.

Etwas hat sich verändert.

Schade, dass es erwähnt werden muss. ;)

Scheu blickt sie aus einem ihrer schönen Augen zu ihm auf. Das andere ist zugeschwollen. Über ihre Wangenknochen ziehen sich blutige Spuren. In ihrem Schoß eingerollt liegen zwei schlafende Kinder mit verweinten Gesichtchen.
„Mena. Ihr kommt mit mir!”, sagt Eddie und wundert sich selbst über die Entschlossenheit in seiner Stimme. Er reicht ihr seine Hand und zieht sie behutsam hinter der Mülltonne hervor.

Diese Aneinanderreihung von dramatischen Tatsachen erscheinen mir zu plötzlich, komprimiert und unwahrscheinlich. Sowohl vom Setting als auch von der spontanen Aktivität des Protagonisten. Diesen Wandel hätte ich viel lieber lesend, aufbauend kommen sehen. Außerdem kann ich mir nicht vorstellen, dass zwei Kinder gleichzeitig bei ihrer Mütter auf dem Schoß zwischen Mülltonnen einschlafen. Ich kriege dieses Bild nicht zusammen.

Natürlich schätze ich die Idee und deine Gewandtheit, dennoch habe ich den Eindruck einer schnellen Geschichte, die oberflächlich bleibt.

Möglicherweise soll das ja auch so sein. :shy:

Freundlicher Gruß, Kanji

 

Hallo Lind,

deine Geschichte gefällt mir nicht schlecht, obgleich ich schon wie Kanji mit der Plausibilität einiger deiner Szenen zu kämpfen habe.

Dazu gehört auch die Wortwahl, die du Hussein in den Mund legst. Glaubst du wirklich, ein junger Araber würde das Wort meschugge verwenden? Dieses hebräischstämmige Wort habe ich vor fünfzig Jahren zuletzt gehört. Da war es im Wortschatz meiner Eltern verankert. Ein junger Mensch von heute dürfte es kaum verwenden, ein integrierter junger Araber sowieso nicht.

Oder hast du es absichtlich verwendet? Dann solltest du dies irgendwie deutlich machen.

Freundliche Grüße
wieselmaus

 
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Hallo Herr Schuster,

es freut mich sehr, dass du meine Geschichte gerne gelesen hast.

Ein Scheeballeffekt pur! Nach einer Woche leben 50 Personen bei Eddie!
Tja, auch eine Idee ...
Musste schmunzeln.

Kann es sein, dass du deinen Kommentar nochmal geändert hast? Irgendwie habe ich den Eindruck. Ich hatte deinen ersten Kommentar positiver in Erinnerung. Aber ist auch Wurscht!

Die letzte Szene mit Mena kann ich Dir aus diesem Grund nicht abnehmen. Ich denke, dass er es sich einbildet oder nach 5 Minuten einen Rückzieher macht.
Das ist schade. In der Geschichte vollzieht sich ja mit Eddie eine Entwicklung. Erst nimmt er seine Nachbarn nur durch Geräusche wahr, bei Frau Vogelmann schaut er auch mal durch den Briefschlitz. Nur Hussein scheint ein "Tor" in die Welt zu sein. Dann bemerkt Eddie, dass Frau Vogelmann Gefühle in ihm auslöst. (Erst der Bericht über ihre Friedhofsbesuche, dann das Feuer). Er nimmt seine Umwelt also doch mehr wahr, als er dachte. Dann "übt" er Fürsorge an der verwaisten Schildkröte von Frau Vogelmann. Und das gefällt ihm auch. Er will Gurken kaufenb gehen.

Und dann kommt er beim Müll runterbringen in die Situation, dass Mena akut Hilfe benötigt. Und dann springt er halt über seinen Schatten und hilft.

Aber es scheint, dass ich diesen Entwicklungsprozess nicht klar genug dargestellt habe. Das macht mich natürlich traurig. Aber so ist's halt.

Dann hast Du ein Problem mit deinem Titel. Ich verstehe nicht so ganz, in welche Richtung Du damit deine KG katapultieren wolltest!?
Eigentlich wollte ich die Geschichte nur "Eddie" nenne, fand das aber zu lahm. Deshalb noch der Hinweis auf die Schildkröte. Schwarze Schild weil "verrußte" Schildkröte zu sehr von der Handlung verrät und auch doof klingt, find ich. Vielleicht hast du ja einen trefffenderen Einfall? Würde mich freuen.

Eddie und die Schildkröte? Was ist das? Ein Liebespaar? Haben Sie etwas gemeinsam? Können Sie sich kaum ausstehen? Hier ist noch eine große Baustelle!
Die Schildkröte verbindet die Handlungen miteinander.

Auf jeden Fall hast Du ein geschicktes Ende eingeleitet!
Danke.

Vielen Dank für deine Zeit und den Kommentar

Gruß
Lind


Hallo Kanji,

erst einmal ein großes Dankeschön für die Zeit, die du in deinen Kommentar investiert hast und natürlich für die Kritik, die ich gerne annehme.

der Ton deiner Geschichte ist wohl deinem Protagonisten angepasst: knapp strukturiert und klar.
genau, das hatte ich so im Sinn.

- Stiefelchen: weil Eddie einfach lieb ist. Und weil Frau Vogelmann klein ist. (habe ich nicht extra hervorgehoben -die Größe- aber wenn sie tippelt, dann macht sich kleine Schritte und muss dann auch klein sein.

- der modrige Geruch: ein erster Hinweis auf den Friedhof

- Träumen: Ja, ich verstehe, was du meinst. Es ist tatsächlich eher ein Tagträumen. Werde ich ändern.

- anschreinen: geändert!

-

Bis hierhin vermutete ich einen pensionierten Beamten aufgrund seiner Akribität, aber alleinlebend sollte das Geld auch am Ende des Monats für mehr als eine Dose Hühnersuppe reichen, so ärgere ich mich ein bisschen, weil ich den Charakter neu justieren muss.
ärgere dich nicht!
Vielleicht gehe ich an diese Stelle nochmal ran.

Auch das er konnte ihr nicht helfen wirft mehr Fragen auf, als eine Vorstellung vom Geschehen.
Mit diesem Satz wollte ich einen Verweis auf später geben, wenn er dann mal die helfen kann (bei Mena) und es auch tut. Aber wenn es dich verwirrt? Mal sehen.

Diese Aneinanderreihung von dramatischen Tatsachen erscheinen mir zu plötzlich, komprimiert und unwahrscheinlich. Sowohl vom Setting als auch von der spontanen Aktivität des Protagonisten. Diesen Wandel hätte ich viel lieber lesend, aufbauend kommen sehen. Außerdem kann ich mir nicht vorstellen, dass zwei Kinder gleichzeitig bei ihrer Mütter auf dem Schoß zwischen Mülltonnen einschlafen. Ich kriege dieses Bild nicht zusammen.
Eigentlich nahm ich an, dass der Verlauf der Geschichte und Eddies Entwicklung genug der Vorbereitung war, für die "Mülltonnenszene". Eddie erkennt die Situation mit einem Blick und handelt einfach in diesem Moment ohne Umschweife gemäß seiner Tagträume. So hatte ich das geplant.
Schade, dass dir das zu abrupt ist und dir das Bild nicht gefällt.

Natürlich schätze ich die Idee und deine Gewandtheit, dennoch habe ich den Eindruck einer schnellen Geschichte, die oberflächlich bleibt.
Nein. Diese ist (im Gegensatz zum "Mantel", den ich tatsächlich noch kurz vor Deadline in wenigen Stunden zusammengeschustert hatte) keine schnelle Geschichte. Das dieser Eindruck bei dir entstanden ist, macht mich traurig, hoffe ich doch auf ein wenig Weitentwicklung in meinen Schreibversuchen. Scheint nicht zu klappen ...
(An dieser Geschichte habe ich wirklich schon seit dem Sommer gearbeitet.)

Ich finde die Geschichte auch nicht oberflächlich. Für den recht übersichtlichen Text geschieht viel Handlung, der Leser erfährt eine Menge über Eddie, das Haus und deren die Bewohner. Es entwickelt sich was. Mehr wollte ich gar nicht mit dieser Geschichte erreichen.

Freundlicher Gruß
Lind


Hallo wieselmaus,

auch dir lieben Dank für deinen Kommentar.

Glaubst du wirklich, ein junger Araber würde das Wort meschugge verwenden? Dieses hebräischstämmige Wort habe ich vor fünfzig Jahren zuletzt gehört. Da war es im Wortschatz meiner Eltern verankert. Ein junger Mensch von heute dürfte es kaum verwenden, ein integrierter junger Araber sowieso nicht.
Das Hussein dieses Wort mit diesem Hintergrund nimmt, war schon beabsichtigt (Hussein soll der "Menschen-Verbinder" in dieser Geschichte -auch der Religionen- sein), aber wahrscheinlich ist es echt nicht mehr aktuell. Da kannst du recht haben. Danke für den Hinweis. Da muss eine bessere Lösung her. Hast du vielleicht einen Vorschlag?

Ich habe weiter oben auf Kanjis Kommentar geantwortet. Da bin ich vielleicht auch auf einige Sachen eingegangen, die dir aufgefallen sind. Wenn du möchtest, kannst du ja mal schauen.

sonnige, verschneite Grüße
Lind

 

Hej, lieber Lind,

ich hoffe, es stört dich nicht, dass ich nochmal auf deine Erklärungen eingehe, aber ich mag deine Geschichte und den Ton.

Stiefelchen: weil Eddie einfach lieb ist. Und weil Frau Vogelmann klein ist. (habe ich nicht extra hervorgehoben -die Größe- aber wenn sie tippelt, dann macht sich kleine Schritte und muss dann auch klein sein.

Das ist süß, nur ist Eddie in erster Linie gar nicht lieb :hmm:, sondern seltsam.

der modrige Geruch: ein erster Hinweis auf den Friedhof

Ich Dummie.

ärgere dich nicht!

Das ist sehr freundlich, denn ich denke im Grunde habe ich mich darüber geärgert, weil die Geschichte so viel Schönes enthält und nicht perfekt auf mich abgestimmt ist. :shy::lol:

Mit diesem Satz wollte ich einen Verweis auf später geben, wenn er dann mal die helfen kann (bei Mena) und es auch tut. Aber wenn es dich verwirrt? Mal sehen.

Ja, und vielleicht ist mir das zu plump. Ich habe so große Erwartung bei dir. Das tut mir wirklich leid, wenn ich somit ungerecht klinge.

Schade, dass dir das zu abrupt ist und dir das Bild nicht gefällt.

Ich denke, weil ich mehr hätte darüber lesen wollen. :D

Nein. Diese ist (im Gegensatz zum "Mantel", den ich tatsächlich noch kurz vor Deadline in wenigen Stunden zusammengeschustert hatte) keine schnelle Geschichte. Das dieser Eindruck bei dir entstanden ist, macht mich traurig, hoffe ich doch auf ein wenig Weitentwicklung in meinen Schreibversuchen. Scheint nicht zu klappen ...
(An dieser Geschichte habe ich wirklich schon seit dem Sommer gearbeitet.)

Ojemine, sag das nicht, nur weil ich nörgle. Aber es könnte ja auch sein, dass, je länger man an einer Geschichte bastelt, desto straffer und knapper fällt sie aus, desto mehr kann aber auch verlorengehen. Weißt, was ich meine? Mir scheint etwas zu fehlen.

Ich finde die Geschichte auch nicht oberflächlich.

Nein. Das war hilflos zu sagen. Meinen tu' ich was anderes, eben dieses Fehlen von, nennen wirs sanften Übergängen.

Ich habe keine Ahnung, ob ich verständlich bin, aber auf jeden Fall dir wohlgesonnen, Kanji

 

Hallo Lind,

einen Ersatz für das Wort "meschugge" habe ich leider nicht. Du könntest aber erwähnen, dass Hussein das Wort sehr häufig benutzt und dabei grinst oder Anführungszeichen in die Luft malt, jedenfalls irgendetwas, das die für ihn ungewöhnliche Wortwahl hervorhebt.

Deine Eräuterungen zu Kanjis Kommentare habe ich gelesen und kann sie gut nachvollziehen.

Freundliche Grüße
wieselmaus

 

Hallo Lind,

der Titel hat mich etwas irritiert, hört sich nach Kindergeschichte an, deshalb war ich doch überrascht, dass Eddie kein Kind, sondern ein Rentner ist. Mir gefällt die Geschichte sehr gut, sowohl inhaltlich als auch stilistisch.

Ich würde mich gerne mit Kanjis Kommentar etwas näher auseinander setzen. Natürlich weiß ich nicht, in wie weit Du seither schon Änderungen vorgenommen hast. Kanji hat geschrieben:

... knapp strukturiert und klar. Vielleicht macht es mir deswegen schwer, in einen Lesefluss zu kommen.
Ich fand die Geschichte sehr flüssig zu lesen. Auch ich bin ein Freund von minimalistischen Sätzen. Trotzdem schaffst Du es, den Leser ins Geschehen zu holen, so hatte ich fast das Gefühl hatte, bei Eddie in der Küche zu sitzen. Ein paar Stellen sind mir jedoch aufgefallen, wo es mir zu abgehackt ist, wo ich eher Komma statt Punkt setzen würde. Z.B.
Er hört die Spatzen im Hinterhof streiten(.), fröhlich klingt das(.), frech.

Viel Auswahl ist nicht mehr. Er war schon lange nicht mehr draußen. (Zum Einkauf.) Er wählt eine Büchse Hühnersuppe. Die mochte er schon immer.
Okay, hier sehe ich, dass Du nach Kanjis Kommentar schon was verändert hast. Hast es zu gut gemeint. "Zum Einkauf" würde ich streichen.

Diese Aneinanderreihung von dramatischen Tatsachen erscheinen mir zu plötzlich, komprimiert und unwahrscheinlich. Sowohl vom Setting als auch von der spontanen Aktivität des Protagonisten. Diesen Wandel hätte ich viel lieber lesend, aufbauend kommen sehen.
Dem kann ich nicht zustimmen, ich finde es ist Dir gut gelungen, den Wandel in Eddie zu zeigen, plötzlich ist er in die Realität katapultiert worden und handelt, anstatt seinen Tagträumen nachzuhängen und den Geräuschen seiner Nachbarn zu lauschen.

Gerne gelesen!
Schönen Abend noch, Kerkyra

 

Hallo Kanji.


ich hoffe, es stört dich nicht, dass ich nochmal auf deine Erklärungen eingehe,
Aber nich' doch! Dazu ist doch das Forum da.

Und dass du mir ...

aber auf jeden Fall dir wohlgesonnen
... bist, davon gehe ich mal aus, sonst würdest du dir nicht die Mühe für einen Kommentar machen.

im Grunde habe ich mich darüber geärgert, weil die Geschichte so viel Schönes enthält und nicht perfekt auf mich abgestimmt ist.
Ja, wenn es doch ein Rezept dafür geben würde, dass alles immer auf jeden abgestimmt ist ...
Hach, wär das schön!

Wenn ich anfangen würde an den Nägeln zu kauen, weil jemand meine Geschichte kritisch betrachtet oder sie ihm sogar nicht gefällt, würde ich sie nicht hier einstellen. Ich stehe voll hinter meiner Kurzgeschichte. Ich mag sie. Sie ist sicherlich nicht perfekt und kann hie und da verbessert werden.

Deshalb bin ich dankbar für jeden Beitrag. Auch für deinen, Kanji, du kritischer Geist, der meine schwer erarbeiteten Gedanken, welche ich in nächtelangen Grübeleien unter Verwendung einiger Buchstaben zu komplizierten Wörtern, ja sogar Sätzen zusammenfügte, als

bezeichnet. :D

da brauchst du dich hinterher auch gar nicht einschmeicheln, mit Sätzen wie

Ich habe so große Erwartung bei dir.
Nee, nee, brauchst du nich'.

Ich denke, ich habe dich schon gut verstanden. Keine Sorge! :thumbsup:

Ganz liebe Grüße
Lind

 

Hallo wieselmaus,

schön, dass du dich nochmal gemeldet hast!

einen Ersatz für das Wort "meschugge" habe ich leider nicht. Du könntest aber erwähnen, dass Hussein das Wort sehr häufig benutzt und dabei grinst oder Anführungszeichen in die Luft malt, jedenfalls irgendetwas, das die für ihn ungewöhnliche Wortwahl hervorhebt.
Das ist eine Möglichkeit. Dank dir dafür!

So richtig gefällt mir das noch nicht, ich muss das kurz wirken lassen.
Eventuell muss ich doch ein anderes Wort finden und dann auf die Doppelbödigkeit (gibt's dieses Wort überhaupt?) verzichten.

Trotzdem danke für dein Bemühen, und dass du mich darauf hingewiesen hast.

:gelb:

Gruß
Lind

 

Jetzt isst er allein.

Kolportage, höre ich gegen Ende rufen, aber warum soll dergleichen nicht geschehen (können) und warum sollte unser Held noch lange allein essen müssen, wenn die rehbraunen Augen denn so einfach ... Ausschließen lässt sich nicht, dass das Leben kolportagehafte Züge trägt,

liebe/r Lind,

und „meschugge“,

liebe wieselmaus wird auch der größte Feind Israels sagen, trinkt doch mancher Israeli morgens seinen Kaffee, ohne auf die Herkunft des Wortes zu achten (vom arab. Qahwa übers türk. Kahve nach Italien (caffè) zum frz. café). In den Ballungsgebieten wird kaum noch einer wissen, dass es jiddischen Ursprungs ist.

Trivialeres

Hier wäre eher Konjunktiv angesagt in Glaubenssachen „es sei ..."/bei starker Unsicherheit - bei zwo Möglichkeiten spräche es nicht für unsern Helden - „wäre“ das linke ...

Er glaubt, es ist das linke.

... für heute erledigt”, denkt er sich.
Warum das Reflexivpronomen?, wenn ohne der Regelfall ist ...

Frau Vogelmann brabbelte die ganze Zeit missmutig etwas vor sich her und machte ...
„brabbelt vor sich hin“, den Wagen zieht sie nachher korrekt hinter sich her ...

... muss, mit sicherlich vielen Haaren auf der Brust[,] aber wenigen auf dem Kopf.

„Meinst du Frau Vogelmann?”[,] fragt Eddie.

... so generell geschimpft. Eher gebrabbelt[...]”[,] sagt Hussein.

„Bei Frau Vogelmann brennt's!”[,] ruft er Hussein zu, der …

... noch, aber jetzt ist es ihm wichtiger, den Müll runter[zu]bringen.

Gern gelesen vom

Friedel

 

Hallo Lind,

ich habe deine Geschichte sehr gerne gelesen, auch wenn ich mit dem Ende nicht so ganz glücklich bin. Sie entfaltet so ganz langsam und gemächlich ihren Zauber. Wie in dieser Situation der Einsamkeit und Ereignislosigkeit jede Kleinigkeit eine Bedeutung bekommt, das hast du beschrieben, ohne je langweilig zu werden. Die Geschichte hat so einige Untertöne, die unter der harmlos, naiven Oberfläche liegen. Dazu gehört auch die genaue Beschreibung der Kloszene, die du den Lesern zumutest und die sowas latent Gewalttätiges hat. Besonders gut gefallen hat mir die alte Frau mit der Schildkröte, die auf dem Friedhof auf ein Grab einschimpft. Tatsächlich hätte ich mir am Ende gewünscht, dass sich zwischen Eddie und Frau Vogelmann eine Beziehung entwickelt. Das hätte mich mehr interessiert. Die Familie Lubinsky bleibt für mich so schablonenhaft, dass ich am Ende nicht wirklich beteiligt bin, während die komplex angelegte Frau Vogelmann plötzlich nur noch zum Aufhänger für seine Veränderung wird. Auch finde ich, so eine plötzliche "Heldentat" irgendwie zu plakativ.
Für mich nimmt diese Geschichte gaaanz lange Anlauf (und ich folge wirklich mit Genuss) um dann abrupt und unbefriedigend zu enden.

Es ist zehn Uhr. Frau Vogelmann, die alte Witwe vom hinteren Ende des Ganges, kommt vom Einkauf zurück. Es muss zehn Uhr sein, denn sie kommt jeden Tag um genau diese Uhrzeit mit ihrem Wägelchen an seiner Wohnungstür vorbei.

Eventuell weglassen? Ich bin mir aber nicht sicher.

„Frau Vogelmann hat also ihre Einkäufe, bestehend aus einer Packung Fleischsalat, zwei Semmeln und zwei Büchsen Bier für heute erledigt”, denkt er sich. „Sie wird ihren schwarzen Umhang und die schwarzen Stiefelchen ablegen und es sich in ihrer kleinen Wohnung bequem machen.”

Schräg, dass er so druckreif denkt, das hat seinen Reiz. Könnte sich vielleicht nochmal wiederholen, so als Stilmittel.

Eddie hatte den Eindruck, dass sich im Inneren des Wägelchens etwas bewegte, aber genau konnte er es nicht erkennen.

Toll, ein Geheimnis!

Er hat Zeit. Viel Zeit. Ihn braucht schon lange Zeit niemand mehr. Ein bisschen sitzt er noch.

Besser fänd ich: Ihn braucht schon lange niemand mehr.

Früher hat seine Frau die Suppe manchmal gekocht. Aber das ist lange her. Bevor der Laster sie erfasste und sie unter sich begrub. Er konnte ihr nicht helfen. Jetzt isst er allein.

Schön schlicht.

Eddie hält sich die Brust. Er ist nicht mehr so sportlich. War er nie.

Das sind so diese liebevollen Details, die ich an deiner Geschichte gerne mag.

Is' krass, oder? Hat wohl Feuer gelegt, die Alte. Wollte wohl nich' mehr leben.”

Wie kommt er darauf? Würde man nicht eher denken, dass ihr eine Kerze umgekippt ist?

Er hört wieder die Spatzen im Hinterhof streiten. Das klingt für ihn nicht mehr ganz so fröhlich und frech wie gestern. Etwas hat sich verändert. Er mag das Gezwitscher zwar immer noch, aber jetzt ist es ihm wichtiger, den Müll runterbringen. Dann Gurken kaufen.

"runter zu bringen"
Ich würde die Geschichte entweder noch viel länger machen, oder hier enden lassen. Das ist hoffnungsvoll und so sanft, wie alles vorher.
Was danach kommt, empfinde ich als totalen Bruch, sehr kitschig. Mena als scheues, verletztes Reh hinter der Mülltonne ist so clichèhaft.

Wie gesagt, bis auf das Ende eine superschöne Geschichte.

Liebe Grüße von Chutney

 

Hallo Lind und Friedrichard,

wie schön, dass sich jemand die Mühe macht, aus reinen Vermutungen sprachliche Gewissheiten zu kreieren. Das klappt ja wie eine Eins. Auch in Sachen Herr Schinto (Shinto) hast du, lieber Friedel, mich animiert, dem Shintoismus etwas nachzuspüren.

Danke an euch beide für Lesevergnügen und Gelehrsamkeit.

wieselmaus

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Kerkyra,

vielen Dank, dass du trotz des Titels die Geschichte gelesen hast. Ja, der Titel ist etwas irreleitend vielleicht.

Deshalb hat es mich ganz besonders gefreut, das sie dir gefallen hat.

Mir gefällt die Geschichte sehr gut, sowohl inhaltlich als auch stilistisch.

"Zum Einkauf" würde ich streichen.
Da denke ich noch drüber nach.


ich finde es ist Dir gut gelungen, den Wandel in Eddie zu zeigen, plötzlich ist er in die Realität katapultiert worden und handelt, anstatt seinen Tagträumen nachzuhängen und den Geräuschen seiner Nachbarn zu lauschen.
Das freut mich, dass das bei dir so angekommen ist.
:bounce:

Liebe Grüße
Lind


Hallo Friedrichard,

vielen Dank, dass du die kleinen Kommateufel bloßgestellt hast. Ich habe soweit alles geändert.

Dank Dir dafür!

Grüße
Lind

 

Hallo Chutney,

spät kommt sie, aber sie kommt, meine Reaktion auf deinen Kommentar.
Es freut mich, dass du meine Geschichte gerne gelesen hast, und die

Untertöne, die unter der harmlos, naiven Oberfläche liegen
bemerkt hast.
Schön, dass ich dich damit erreichen konnte.

Tatsächlich hätte ich mir am Ende gewünscht, dass sich zwischen Eddie und Frau Vogelmann eine Beziehung entwickelt. Das hätte mich mehr interessiert.
Vielleicht schaut er ja mal im Krankenhaus vorbei (ohne Mena!?)? Daraus entwickelt sich dann bestimmt was. Obwohl ich glaube, dass Frau Vogelmann noch ganz andere Dämonen mit sich rumträgt, die dann nebenbei noch geklärt werden könnten. Ja, vielleicht ist die Geschichte noch gar nicht zu Ende, denke ich gerade.
Danke für diese Anregung.

Das wäre auch eine Möglichkeit, das derzeitige Ende neu zu gewichten, um dann nicht

abrupt und unbefriedigend zu enden.

Ich wünsche ein schönes Wochenende!
Lind

 

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