Was ist neu

Ein Regentag

Status
Keine weiteren Kommentare möglich.
Seniors
Beitritt
17.09.2002
Beiträge
1.941
Zuletzt bearbeitet:

Ein Regentag

Es regnete schon seit Stunden. Die alte Frau saß an ihrem Fenster und blickte in den grauen Januartag hinaus. Kaum eine Menschenseele traute sich bei dem Wetter auf die Straße. Im Rinnstein gurgelte das bräunliche Regenwasser und verschwand schäumend im Gulli. Aus dem Tabakladen auf der anderen Straßenseite streckte Egon mühsam seinen Kopf durch die Tür.
Sie lächelte bei dem Gedanken, daß Egon - der fette, unbewegliche Egon - den weiten Weg hinter seinem Ladentisch hervor bis zur Tür gemacht hatte, um seine Knollennase in den tristen Januarregen zu halten. Wie dem auch sei, ein bißchen Bewegung tat ihm sicher gut.
Von der Hauptstraße bog der Achtundvierziger ab. Der Busfahrer schien noch einmal kräftig Gas zu geben und Egon trat einen schwabbelnden Rückzug an, um dem Schmutzwasserschwall zu entgehen, den der Bus in seine Richtung in Bewegung setzte.
Die alte Frau kicherte. Das war doch wenigstens eine kleine Unterhaltung an diesem langweiligen Montag. Lautes Geschrei veranlaßte sie dazu, ihren Blick von Egon abzuwenden. Zwei finstere Gestalten liefen, laut mit einander diskutierend, durch den Regen. Ausländer. Sie nickte zufrieden. Ausländer waren das. Deutsche würden kaum jemals solchen Lärm machen. Warum mußten diese Fremden eigentlich alle ihre Streitigkeiten in der Öffentlichkeit austragen? Wahrscheinlich würden sie gleich stehenbleiben und einer von ihnen hatte sein Messer bestimmt schon griffbereit. Sie langte nach dem Opernglas, das sie immer auf der Fensterbank liegen hatte. Eine kleine Messerstecherei, das wäre jetzt gerade das Richtige. Etwas action, wie es im Fernsehen immer hieß. Warum nicht.
Die Stimmen der beiden Männer wurden lauter. Wo war denn bloß das blöde Opernglas? Sie wandte den Blick von der Straße und blickte sich suchend im Zimmer um. Dort drüben, auf dem Teetisch lag es. Wie war es da nur hingekommen? Ob der Zivi ...? Bei den jungen Leuten wußte man ja nie. Mühsam stand sie auf, humpelte zum Tisch und ergriff das Glas.
Wieder am Fenster, hob sie es vor die Augen und erstarrte ...

 
Zuletzt bearbeitet:

Sie traute ihren Augen kaum, als sie mitansehen musste, wie sich die beiden eben noch lauthals streitenden Männer in den Armen lagen. Hastig drehte sie an der Optik ihres Opernglases, um die ganze Szene noch ein wenig deutlicher sehen zu können.
Entsetzt sah sie, dass die Männer sich jetzt leidenschaftlich küssten!
Atemlos vor Empörung ließ sie das Glas sinken und schüttelte immerzu den Kopf.
Erstens waren das Ausländer, und dann waren die auch noch homosexuell.
So etwas hatte in der kleinbürgerlich und moralisch beschränkten Welt der alten Frau einfach keine Daseinsberechtigung.

Sie humpelte abermals unter großer Anstrengung zum Telefon. Das, was sie da eben mitanzusehen gezwungen war, musste sie jetzt sofort loswerden. Sonst würde sie vermutlich daran ersticken.
Mit zitternder Hand hob sie den schweren Hörer von der Gabel und überlegte krampfhaft, wen sie anrufen könne. Da huschte ein Lächeln über ihr faltiges, graues Gesicht und in den trüben Augen erglimmte ein Licht. Sie wählte, sorgfältig und langsam, eine Nummer. Zufrieden lehnte sie sich in ihrem Sessel zurück, als sie am anderen Ende das Freizeichen vernahm.....

 
Zuletzt bearbeitet:

Während Frau Helene Groll, Witwe eines hochrangigen Offiziers der Wehrmacht, aufgeregt und mit piepsiger Stimme das für sie zutiefst beleidigende und erschütternde Szenario vor ihrem Haus einer guten Freundin schilderte, brachte einhundert Meter vom Tabakladen entfernt Laura Berghoff einen struppigen Hundemischling mit nach Hause und präsentierte unschuldig lächelnd das kläffende kleine Tier ihren fassungslosen Eltern. Zur gleichen Zeit direkt nebenan in einem möbilierten Einzimmerappartment versuchten die jungen Studenten Melvin Gruber und Kathrin Wallkow ihrer Beziehung durch etwas ungewöhnliche Sexualpraktiken einen neuen Kick zu geben. Im Haus Nummer Fünfzehn klebte Hausmeister Ewald Tönnecke an jede Wohnungstür kleine Zettel, auf denen ‚Mieterversammlung, Montag, 16:30 Uhr‘ stand. Es herrschte überall reges Treiben, tätigten die Anwohner der Dürrenstrasse wichtige oder unwichtige Dinge. Nur auf der Strasse selbst passierte, abgesehen von den sich küssenden Ausländern, die anschließend Arm in Arm schnell das Weite suchten, nichts. Nur der Regen prasselte auf den dunklen Asphalt, verwandelte große Pfützen in kleine Regenozeane, spülte den ganzen Dreck der Oberfläche runter in die alte, verwinkelte Kanalisation der Stadt. Der große Zeiger der Drehuhr auf dem kopfsteingepflasterten kleinen Platz zwischen Tabak- und Getränkeladen bewegte sich mit einem leisen Klack vorwärts. Noch sechzehn Stunden bis Mitternacht.

Früher hatte er als kleines Kind bei seinen Großeltern die Hunde über die Felder gejagt, war mit seinen Freunden durch den Wald gerannt und abends, wenn die Sonne unterging, schnitzte er heimlich an einer Pistole aus Eichenholz. Herr Thomas Brandenburg zog seine Krawatte zurecht und betrachtete sich im Spiegel. Langsam fuhr er mit seiner Hand über die kleine Narbe unterhalb des linken Auges. Ein Unfall aus seeligen Kindheitstagen. Die Tür zum Schlafzimmer öffnete sich und Silvia, seine Frau und im fünften Monat schwanger, schleppte sich ächzend über den Flur zur Toilette. Er sagte nichts, beobachtete sie stumm aus den Augenwinkeln heraus. In den vergangenen Wochen war ihm aufgefallen, wie sehr ihm das Schlurfen und Stöhnen, wenn Silvia sich bewegte, fast an den Rand zur Raserei trieb. Aber noch nahm er es stoisch hin. Noch. Im Bad wurde die Spülung getätigt. Gleich schleppt sie sich an dir vorbei und sagt irgendwas, dachte er. Unwillkürlich ballten sich seine Hände zu Fäusten. Herr Thomas Brandenburg, trotz der Narbe ein gutaussehnden Mann im besten Alter, wünschte sich in letzter Zeit immer häufiger, wieder ein Kind zu sein, unbeschwert und ohne Druck sein Leben genießen zu können. Silvia kam zurück. Gleich, dachte er. Gleich...
„Morgen!“, murmelte sie. „Hast du den Zettel, den ich dir gegeben habe?“
Wie es wohl wäre, ihr einfach ein ‚Nein!‘ ins Gesicht zu schleudern? Lächelnd drehte er seinen Kopf etwas in ihre Richtung. „Ja, habe ich.“ Ein kurzer Blick auf seine Armbanduhr besagte ihm, dass er noch massenhaft Zeit hatte, bis er den Termin beim Arbeitsamt wahrnehmen mußte Acht Uhr vierundreißig. „Ich muß jetzt los, Silvia. Bin knapp dran.“ Hastig nahm er die Lederjacke von der Gaderobe. „Also bis heute abend.“
Silvia lehnte tief atmend an der Wand. „Willst du keinen Schirm mitnehmen? Draußen regnet es in Strömen!“
„Nein, brauche ich nicht.“, antwortete er kurz angebunden und verließ schnell die gemeinsame Wohnung.

Herr Thomas Brandenburg startete seinen kleinen Opel und ärgerte sich über das Nichtfunktionieren des rechten Scheibenwischers. Seufzend legte er den Gang ein und fuhr los. Die relativ trockene Stelle, an der der Wagen gestanden hatte, wurde binnen kürzester Zeit vom Regen angegriffen und angepaßt. Wasser sammelte sich in kleinen Rinnsälen, die in Zickzackkurven zum Abfluß liefen. Dort hatte sich ein rauschender Miniaturwasserfall gebildet, an dessen Ende vereinzelt Ratten saßen und mit der Nase zuckend nach oben blickten. Ihre kleine große Welt wurde von einer Sinnflut heimgesucht. Die überschaubaren stinkenden Kanäle, die das ganze Jahr eine beständige Wasserhöhe vorwiesen, waren überschwemmt. An manchen Stellen hatte sich Schlamm, Gerümpel, Exkremente und Geäst zu einem unüberwindbaren Hindernis aufgestaut. Ratten waren Überlebenskünstler. Doch nun saßen einige Tiere auf dem kleinen Mauervorsprung, vor ihnen prasselte der Wasserfall herab, und hinter ihnen in den Tiefen der Kanalisation kam etwas mit einem bedrohlichen Knurren näher und näher. Der große Zeiger der Drehuhr einige Meter über den Ratten machte wieder eine Bewegung vorwärts. Klack.

 
Zuletzt bearbeitet:

Unvermittelbar – so hatte es ihm die Sachbearbeiterin erklärt. Leute wie er waren für den ohnehin knappen Arbeitsmarkt unvermittelbar. Herr Thomas Brandenburg wischte sich die nassen Strähnen aus dem Gesicht. Mit zitternden Händen gelang es ihm im dritten Versuch, die Wagentür aufzuschließen und sich hineinzusetzen. Unvermittelbar, dachte er traurig. Regentropfen hämmerten gegen die Scheiben. Seufzend drehte er die Zündschlüssel um und stellte erleichtert fest, dass der Opel ohne Murren sofort ansprang. Auf dem Weg nach Hause fielen ihm die leeren Straßen auf. Sicher, es regnete. Geradezu ein Jahrhundertregen. Aber trotzdem waren immer Menschen auf der Straße. Immer! Er beugte sich etwas nach vorn. Vereinzelt brannte hinter Gardinen und Jalousinen Licht. Trotzdem kam es Herrn Brandenburg vor, als ob die Stadt ausgestorben war. Nicht einmal Autos fuhren an ihm vorbei, stattdessen standen sie zu Dutzenden dicht an dicht stumm und unbeweglich am Strassenrand. Unwillkürlich mußte sich Herr Brandenburg schütteln, zugleich merkte er, wie es ihm kalt über den Rücken lief und sich eine Gänsehaut auf seinen Armen bildete. „Unheimlich!“, flüsterte er leise und trat aufs Gas. Auch wenn er sich zu Hause bei Silvia mehr als unwohl fühlte, dort war es allemal besser als hier. Nach gut zwanzig Minuten bog er von der Hauptstrasse in die Dürrenstrasse ein und was er sah, ließ ihm nichts anderes übrig, als eine Vollbremsung zu machen. Er hatte Mühe, den Wagen unter Kontrolle zu halten. Der Opel schlingerte drehend über die Strasse und blieb erst stehen, als die Vorderfront mit der Drehuhr in Berührung kam, und beide sich ineinander verhakten. Qualm stieg unter der verbeulten Motorhaube auf. Herr Thomas Brandenburg blieb einige Minuten sitzen, bevor er konsterniert aus dem Wagen stieg und sich seinen Opel ansah. Merkwürdigerweise interessierte ihn der Zustand des Wagens nicht besonders, vielmehr die Ursache für sein apruptes Bremsmanöver. Leicht torkelnd wankte er über die Strasse. „Das gibt’s doch nicht!“, murmelte er und fiel auf die Knie.

Tote Ratten hatte er schon häufig gesehen. Auf dem Bauernhof seiner Großeltern waren tote Ratten und Mäuse an der Tagesordnung, schließlich hatten drei äußerst aktive Katzen auf dem Grundstück gelebt. Aber einen toten Hund, der bis auf die Knochen abgenagt worden war, das war neu für ihn. Fünf Rattenskelette und ein Hundeskelett lagen neben dem Gullideckel. Herr Thomas Brandenburg schüttelte den Kopf. „Das gibt’s doch nicht!“ Kurz sah er zu seinem verbeulten Wagen, zu der Uhr, die umgeknickt war. Warum gab es keine Schaulustigen? Wo war die alte Schachtel Groll, die bei solchen Sachen eigentlich sofort auf der Bildfläche erschien? Der große Zeiger der Drehuhr machte Klack. Herr Thomas Brandenburg kniff die Augen zusammen. Noch zehn Stunden bis Mitternacht.

Zu dem Regen gesellten sich bald grelle Blitze und tiefes Donnern. In den verschachtelten Gängen der Kanalisation direkt unter der Dürrenstrasse flohen Ratten und anderes Ungeziefer vor einer Gefahr, die urplötzlich in ihr Reich eingedrungen war, als es angefangen hatte zu regnen. Etwas trieb sich in den Gängen umher. Ein scheinbar unsichtbares, knurrendes Etwas. Ein hungriges Etwas, welches mit jedem weiteren Regentropfen mehr und mehr gierig nach Nahrung wurde.

Ohne es zu wissen, hatten die Anwohner der Dürrenstrasse einen richtigen Weg gewählt. Sie verschanzten sich hinter den dicken Steinwänden iher Altbauwohnungen und harrten der Dinge aus, die nach dem Regen kommen würden. Nur Thomas Brandenburg kniete auf der Strasse, wurde vom Regen überschüttet, hörte das Blitzen und Donnern, und betrachtete unglücklich die Überreste von fünf Ratten und einem Hund.

 
Zuletzt bearbeitet:

Um 14.10 Uhr ließ sich Helene Groll wieder an ihrem Lieblingsfensterplatz nieder. Sie hatte soeben eine kalte Kartoffel mit etwas Quark verzehrt. Seit sie allein war, verwendete sie nicht mehr viel Zeit für die Zubereitung ihrer Mahlzeiten, vielmehr aß sie lustlos das, was gerade aufzutreiben war. Wie gewöhnlich stütze sie die Ellenbogen gemütlich auf das abgenutzte, rote Sofakissen und ließ ihren Blick durch die Regenschleier auf die Straße schweifen. Erstaunt registrierte sie die unnatürliche Ruhe, die dort herrschte. Keine heimkehrenden Schulkinder, keine Autos, Busse oder Fahrräder. Nichts. Nur ganz links hockte ein Etwas im strömenden Regen..... Sie griff nach dem Opernglas, um genauer zu sehen, um was es sich da handelte. Ein Mensch! Tatsächlich, mitten auf der Fahrbahn kauerte ein Mensch und stierte auf einen wirren Haufen undefinierbarer Dinge, die dort offensichtlich vor ihm lagen. Hinter diesem Menschen stand ein Auto quer auf der Straße. Helene Groll erkannte deutlich, daß es mit der Drehuhr vor der Bäckerei kollidiert war. Während sie noch grübelte, warum keine Schaulustigen an den Fenstern und auf den Bürgersteigen zu sehen waren, nahm sie aus den Augenwinkeln eine Bewegung in der Tür von Egons Tabakladen wahr. Sie wandte den Kopf und erschrak. Egon stürzte auf die Straße. Sein Gesicht war kreidebleich. Seine fette Brust hob und senkte sich, wie nach einer anstrengenden, sportlichen Betätigung. Sie stellte das Opernglas schärfer. In Egons Augen flackerte eine Panik, die ihr Angst machte. Hektisch wandte er sich zuerst nach rechts, entschied sich jedoch anders und begann, mitten auf der regennassen Fahrbahn nach links zu laufen. Bereits nach wenigen Schritten blieb er jedoch stehen. Er hatte den kauernden Menschen entdeckt. Sein schriller Schrei gellte über durch die gespenstisch verödete Straße. Ohne nachzudenken öffnete Helene Groll das Fenster.
„Egon! Um Himmels willen, Egon! Was ist denn los?“
Er riß den Kopf herum und starrte empor. Als er sie entdeckt hatte, begann er laut und wirr zu schreien. Die Worte quollen über seine Lippen, sie überstürzten sich förmlich. Dem ungeordneten Wortschwall, der ihr Ohr erreichte, entnahm sie nur wenige verständliche Worte. Immer wieder hörte sie „Keller“ und „viele“. Irgend etwas Grauenvolles befand sich in Egons Keller. Doch sie konnte seinem wirren Geschrei nicht entnehmen, was er dort gesehen hatte.
Egons Schreie hatten auch das Ohr des auf der Straße kauernden, völlig durchnäßten Mannes erreicht. Er erhob sich und ging schwerfällig auf den in Panik kreischenden Tabakladenbesitzer zu.

 
Zuletzt bearbeitet:

Herr Thomas Brandenburg bewegte sich wie in Zeitlupe, während der panisch kreischende Egon auf ihn zustürzte, sobald er ihn erblickt hatte.
"Was…" brachte Thomas hervor, doch Egon riss ihn am Arm mit sich, stammelte unzusammenhängendes Zeug und versuchte, sich hinter Thomas Brandenburg zu verstecken, was alleine schon deswegen grotesk wirkte, da dieser extrem hager war.
"Loslassen!" zischte Thomas Brandenburg wütend, da er seinen guten Mantel nicht von Egons schmierigen Pfoten beschmutzen lassen wollte. Egons Hände waren vom Rauchen gelb verfärbt und zusätzlich mit den Resten seiner letzten Mahlzeit verschmiert, so dass der stets staubfreie Thomas Brandenburg mit Ekel erfüllt wurde.
"Viele… groß… Keller" konnten nun sowohl Thomas Brandenburg als auch Helene Groll Egons Worten entnehmen, aber mehr war weiterhin nicht verständlich. Nur das Quieken, das aus vielen kleinen Kehlen zu stammen schien und stetig anschwoll, riss Thomas Brandenburg aus seiner Lethargie. Plötzlich kam Bewegung in seine Beine, sie schienen bereits zu laufen, bevor sein Gehirn den Befehl dazu gegeben hatte, aber er geriet nur kurz ins Schlingern, bevor er sich wieder in der Gewalt hatte und um die Ecke verschwand. Seine Wohnung, Silvia… Seine Gedanken überschlugen sich. Was auch immer da in Egons Keller war, es durfte seine Frau nicht erreichen. Weniger, weil ihn plötzlich die Besorgnis um Silvia überkam, sondern vielmehr, weil er sein ungeborenes Kind schützen wollte. Seine Gene mussten gerettet werden, und in Silvias Alter war es nicht mehr so leicht, nach einer Fehlgeburt wieder schwanger zu werden. Dass es überhaupt noch einmal geklappt hatte, grenzte bereits an ein Wunder, und einen zweiten Verlust würde sie nicht ertragen. Von ihm einmal ganz abgesehen.

Egon war durch die plötzliche Bewegung in Thomas Brandenburg zur Seite gedrückt worden und stand nun zitternd und am Rande seiner Kräfte an der Wand. Sein Blick fiel auf die Skelette zu seinen Füßen und unwillkürlich entfuhr seinem Mund ein gequältes Wimmern. Aber anstatt ebenfalls das Weite zu suchen, sank er in die Knie, rutschte an der Mauer hinunter und krümmte sich wie ein verängstigtes Kind zusammen.

Helene Groll hatte ihren Logenplatz keine Sekunde lang verlassen. Was auch immer dort draußen vor sich ging, es war besser als alles, was sie in den letzten siebeneinhalb Jahren zu Gesicht bekommen hatte, in all den Jahren ohne ihren Hans-Erwin. Obwohl sie nicht erkenne konnte, worum es sich bei den merkwürdig hellen Gegenständen vor Egons Füßen handelte, spürte sie eine leichte Gänsehaut im Nacken. Ein Kribbeln, als stünde jemand hinter ihr und würde sie beobachten. Eine Zeitlang widerstand sie dem Drang, sich umzudrehen, dann tat sie es doch mit einem Ruck. Nichts. Sie atmete erleichtert aus, drehte sich wieder zum Fenster. Egon rappelte sich schwerfällig auf, seine Leibesfülle hinderte ihn ganz offensichtlich an schnellen, geschmeidigen Bewegungen. Hinter Helene begann ein Wasserhahn zu tropfen, das Geräusch drang langsam aber stetig in ihr Bewusstsein. Sie musste dringend den Hausmeister anrufen, dachte sie noch, als das Tropfen plötzlich in ein Platschen überging. Die Gänsehaut war wieder da. Sie traute sich nicht, ins Bad zu gehen und nachzusehen, auch wenn es nur wenige Schritte vom Fenster und damit von Egon entfernt war. Sie war nicht sicher, ob sie wissen wollte, was die Geräusche verursachte, war genauso wenig sicher, ob Egon sie hören, geschweige denn ihr zu Hilfe eilen würde. Sie klammerte ihre Hände entschlossen um das Opernglas und sagte sich ein inneres Mantra vor: "Mir kann nichts passieren, ich bin in meiner Wohnung, mir kann nichts passieren…"

 
Zuletzt bearbeitet:

Um 15.12 Uhr seufzte Kathrin Wallkow ein weiteres Mal und schmiegte sich eng an Melvins
sehnigen Körper. Sie genoß die sanften Küsse, mit denen ihr Freund ihren Nacken bedeckte und wußte, dass es für sie in diesem Moment nur zwei Möglichkeiten gab: Entweder hielt sie ein Nickerchen oder sie mußte etwas essen. „Melvin?“ murmelte sie leise und ließ ihre Fingerspitzen über seinen behaarten Unterarm gleiten.
„Mmmh.“ Seine Lippen fuhren mit ihrer köstlichen Tätigkeit unablässig fort.
„Bist du müde?“ fragte sie.
Erstaunt hob er den Kopf.
„Müde?“ fragte er irritiert. Wovon sollte er müde sein?
„Ich muß jetzt schlafen", gestand Kathrin. „Oder etwas essen.“
In diesem Augenblick wurde die romantische Stille in Kathrins kleinem Appartement jäh durch lautes, angstvolles Hundegekläff zerstört.

Auf der anderen Seite der Wand blickte das Ehepaar Berghoff fassungslos auf den Promenadenmischling, der sich den Armen ihrer Tochter mit einem Sprung entwunden hatte und nun zitternd und wimmernd am äußersten Ende des langen Flures saß und mit eingeklemmtem Schwanz die Badezimmertür beobachtete. Aus dem Bad drangen seltsame, fremdartige Geräusche. Ein Gluckern und Schwappen war zu vernehmen und es schien Laura, als höre sie leises Piepsen und das Getrappel kleiner Füße.

Melvin setzte sich auf.
„Haben deine Nachbarn seit Neuestem einen Köter?“ fragte er mißbilligend.
Kathrin lächelte ihn an.
„Keine Ahnung. Auf jeden Fall scheint nebenan ein Hund in Panik zu sein.“
Das Gewinsel hielt an und steigerte sich zu einem ohrenbetäubenden Crescendo.
Kathrin glitt aus dem Bett und griff nach ihrem Bademantel: „An Schlafen ist jetzt auf jeden Fall nicht zu denken. Laß uns essen gehen, ja?“

Um 15.30 Uhr fiel die schwere Haustür hinter dem jungen Paar ins Schloß. Endlich verstummt auch das Jaulen des Köters. Eng umschlungen überquerten die beiden die regennasse Straße, die immer noch wie ausgestorben dalag. Weder Melvin noch Kathrin registrierten die bleichen Skelette des Hundes und der fünf Ratten. Keiner von beiden warf Egon einen Blick zu, der zitternd und völlig durchnäßt vor seinem Laden stand und nicht wagte, diesen zu betreten.
Eilig steuerte das Liebespaar auf das kleine China-Restaurant zu, dessen Eingang direkt neben dem Haus lag, aus dem heraus Helene Groll nun schon seit Jahren das Leben und Treiben in diesem engen Teil der Welt beobachtete.
Kathrin strich sich das nasse Haar aus der Stirn, nachdem Melvin ihr ihren Parker abgenommen hatte. Mit den Worten: „Ich habe einen Bärenhunger", ließ sie sich auf den Stuhl fallen, den der Restaurantbesitzer Hong San für sie zurecht rückte. Melvin nahm ihr gegenüber Platz und grinste vielsagend.
„Wovon du so hungrig bist, würde ich zu gerne wissen.“
Sie kicherte und wurde ein kleines bißchen rot. Melvin liebte sie dafür um so mehr.
„Ich können heute empfehlen wundelbales Hühnelfleisch mit flischen Sojasplossen", schlug Hong San seinen Gästen vor.
Melvin wandte sich an Kathrin: „Was hältst du davon?“
Sie zögerte einen Augenblick und sagte dann: „Neulich habe ich in der Zeitung gelesen, dass sie in London in mehreren Chinarestaurants Rattenfleisch in den Hühnergerichten gefunden haben ...“


 
Zuletzt bearbeitet:

Er hatte noch einen Gutteil abzuarbeiten von seiner Liste, er war noch nicht fertig.
Keine Sekunde glaubte Ewald Tönnecke daran, dass er es im Leben so weit gebracht hätte, ohne bei allem und jedem auf seinen Prinzipien zu beharren. So war er immerhin Hausmeister geworden, Herr und guter Geist über eine ganze Häuserflucht in der Dürrenstraße, die unsichtbare Hand, die half, aber auch der Mund, der warnende Worte sprach. Er hatte hart gearbeitet in seinem Leben, gerade mit seinem Handicap, und nach dem Tod Elsas hatte er um so mehr die Zähne zusammenbeißen und auf Disziplin und Ordnung in seinem Dasein achten müssen.
Ja, Disziplin, dachte der alte Mann, während er einzelne Posten auf seiner Liste mit einem Haken versah. Die Disziplin war wohl der wichtigste Pfeiler in seinem Leben, wenn man von diesem einen, entschuldbaren Laster absah, das ihm seine Frau hatte auch nicht austreiben können. Und den Mangel an Disziplin hielt Tönnecke auch für das Grundübel unserer Zeit, die Wurzel der Plage, an der die Gesellschaft krankte. Keine Disziplin, und jeder kümmerte sich nur um seinen Scheiß, das war für seinen Geschmack die sicherste Strategie, die Karre in den Dreck zu fahren.
Jeden Abend legte er mindestens eine halbe Stunde ein, um die Aufgaben für den kommenden Tag zu planen. Er fertigte einen Zettel, auf dem er alles notierte, was zu erledigen war. Punkt für Punkt, möglichst schon nach der Zeit geordnet, schrieb er nieder, was er sich vornahm im persönlichen Bereich, was er für andere, für seine Arbeitgeber verrichten musste und schließlich auch seine täglichen, mühseligen Arbeiten im Haushalt, die beschwerlich, aber nicht weniger notwendig waren. Und so fuhr er schon seit Jahren sehr gut. Wenn ihm im Laufe des Tages noch etwas einfiel, das zu erledigen war, das sich nicht bis zum anderen Früh aufschieben ließ, dann notierte er dies noch dazu auf die Liste, und ehe dieser Punkt nicht auch abgearbeitet war, ging er nicht zur Ruhe.
Mehr als einmal hatte Elsa gestöhnt, weil er, während sie schon im Bett lag, eine Illustrierte in den Händen und darauf wartete, das Licht löschen zu können, noch damit beschäftigt war, seine selbst gesteckten Ziele zu erreichen. Einen wichtigen Brief fertig schreiben, eine Mahnung, einen Nagel einschlagen oder gar ein wichtiges Telefonat führen. Ja, da war er prinzipientreu.
Er schenkte sich einen kleinen Lustigmacher ein. Den würde er brauchen, bei dem, was er noch vorhatte. „Situationsauflockerer“, sagte er lächelnd, während er die goldbraune Flüssigkeit im Glas hin- und herrollen ließ. Er schloss die Augen während er trank.
Er hatte seine Liste noch nicht abgearbeitet. Zwei Sachen hatte er im Laufe des Tages nachtragen müssen. Das kam häufiger vor, es war normal. An einer Sache war er selbst Schuld, und er hatte die Situation schon wieder ausgebügelt. Als er heute morgen in der Fünfzehn die Zettel mit der Aufforderung zur Mieterversammlung verteilt hatte, hatte es keine zwanzig Minuten gedauert, da klingelte das Telefon in seiner kleinen Wohnung und die Praehn, die alte Schnepfe, fragte an, wie er sich das wohl vorstelle, am heutigen Abend schon Mieterversammlung, ob er den anderen Leuten kein Privatleben zugestehe. Wieso heute, hatte er geantwortet, nächsten Montag war die Versammlung doch erst. Und da hatte ihm sein Fehler auch schon gedämmert. Und er hatte sofort einen Vermerk auf seiner Liste getätigt. Und als er auch nur das kleinste Sekündchen Zeit übrig hatte, war er losgelaufen und hatte die Zettel wieder abgenommen. Nun lagen sie hier und warteten darauf, morgen wieder angebracht zu werden.
Die zweite nachträgliche Notiz machte ihm mehr Sorgen. „Berghoff – Hund!“ stand da. Haustiere waren in den Mietwohnungen nur mit ausdrücklicher Genehmigung des Vermieters gestattet, das stand extra fett gedruckt in jedem Mietvertrag hier in der Straße. Das war so, und er war dafür eingestellt, dafür zu sorgen, dass es auch so blieb. Er wollte seine Liste endlich abarbeiten für heute.
Also zog er langsam seine Jacke über und griff sich den Wohnungsschlüssel. Gerade als er die Tür hinter sich schließen wollte, ging die Telefonklingel schon wieder. Sollte er noch einmal zurückgehen?
Er war einfach zu neugierig.
Die alte Groll war dran, schien ganz hysterisch zu sein. „Sie müssen kommen“, krächzte sie. „Sofort. In meine Wohnung. Es geht etwas vor hier, etwas ganz furchtbares.“
„Na, na, Frau Groll“, versuchte er sie zu beruhigen. „Hat das nicht Zeit bis morgen früh? Es ist schon spät, ich habe noch einiges zu tun und der Regen...“
„KOMMEN SIE SOFORT!“ Tönnecke zuckte zusammen. Das war der Ton, den sogar der alte Oberstleutnant verstanden hatte zu seinen Lebzeiten.
„Was ist geschehen“, brummte er also.
„Der Hahn in meinem Bad macht seltsame Geräusche. Ich kann es ganz genau hören.“
„Wegen eines defekten Wasserhahnes rufen Sie mich kurz vor Feierabend an?“
„Sie sind hier der verdammte Hausmeister.“
„Aber hat das nicht wirklich Zeit bis morgen?“
„TÖNNECKE!“
„Ja, ja schon gut!“ Er sah auf seine Uhr. „Wir haben es jetzt kurz nach vier. Ich denke, ich kann gegen halb fünf bei Ihnen sein, und dann schaue ich mir die Sache mal an.“
Klick – die Groll hatte aufgelegt.

Der Regen hatte kein Stück nachgelassen. Im Gegenteil, er schien sogar noch schlimmer geworden zu sein. Der Hausmeister zog den Kragen seiner Jacke hoch und hastete den Bürgersteig entlang. Er kam an dem Haus vorbei, in dem die Groll schon auf ihn wartete, an dem China-Restaurant und dann war er schon fast da. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite, direkt vor der Bäckerei, sah er einen Haufen mit – etwas - liegen. Stöcke waren das oder Knochen? Konnte es sein, dass vor der Bäckerei ein Haufen Knochen lag? Wäre der Regen nicht so furchtbar gewesen, er wäre der Sache auf den Grund gegangen. Außerdem schien die Drehuhr abgeknickt zu sein. Das war alles ziemlich seltsam, doch niemanden schien dies zu interessieren.
Eins nach dem anderen, sagte er sich. Zuerst die Berghoffs. Er schloss die Haustür mit seinem Generalschlüssel auf und schob sich aus dem Regen in den dunklen Flur. Die Berghoffs wohnten im dritten, also musste er Treppen steigen.
Er war nicht mehr der Jüngste, bei Gott nicht, deshalb dauerte es ein Weilchen bis er im Dritten war. Die Tür zu der Wohnung stand offen – sperrangelweit. Der Flur war erleuchtet, doch niemand war zu sehen. Auch zu hören war nichts.
„Hallo“, rief Tönnecke und es kam ihm sehr hohl vor. Niemand antwortet. Nicht einmal der Hund bellte von drinnen, wegen dem er gekommen war. Die Stille, die hier herrschte, war unheimlich, ihm fröstelte. Das Licht im Treppenhaus ging aus und gleich danach auch im Flur der Berghoffs. Er stand im Dunkeln.

 

Die Limousine war groß, klobig und einschüchternd. Und sie sah sehr bedrohlich aus. Der tiefschwarze Ton, in dem der Wagen gehalten war, schien alles Licht zu verschlucken und verstärkte den beunruhigenden Eindruck.
Das Fahrzeug war riesig, doch trotz seiner Größe schien es sich mühevoll fortbewegen zu können. Es fuhr sehr langsam durch die Stadt – geradezu aufreizend langsam.
Der Regen, der schwere warme Sommerregen, perlte von der Oberfläche des Wagens ab und fast sah es so aus, als spritzten die Tropfen schon vor dem Lack zurück und zerstoben in feinstem Dunst. Es schien sich eine Schutzhülle um das Auto zu spannen.
Die Scheiben waren verdunkelt, man konnte vermuten, dass sogar die Frontscheibe geschwärzt war. Kein einziger Insasse war zu erkennen. Die Limousine wurde von Geistern gesteuert auf dem Weg durch die Stadt, hin zu ihrem Ziel, dem sie immer näher kam – der Dürrenstraße.

16.50Uhr.
Hong San verabschiedete die beiden jungen Leute persönlich an der Tür zu seinem Restaurant, waren es doch die einzigen Gäste um diese Zeit. Er stand in der Tür und winkte ihnen lächelnd hinterher.
Die Lippen lächelten, sein Blick dagegen war ernst. Fast ängstlich blickte er, als der Junge und das Mädchen im Haus gegenüber verschwunden waren, zum dunklen Himmel hinauf. Die Wolken schienen knapp über den Dachfirsten zu hängen. Obwohl es vor einigen Minuten den Anschein gehabt hatte, die Sonne könne es schaffen, regnete es jetzt so heftig wie zuvor. Keine Besserung in Sicht.
Das war kein gutes Zeichen, dieser lange Regen. Er würde nichts Gutes bringen, das wusste der Chinese. Der Regen und die anderen Omen, die Hong sehr wohl auch bemerkt hatte.
Die Ratten, die sich normalerweise in der Kanalisation rumtrieben und dort keinen Menschen störten, waren herausgekommen aus ihren Löchern. Er hatte sie gesehen auf der Straße, im gurgelnden Rinnstein, im Keller des Hauses, der stets sauber und aufgeräumt war. Selbst aus seiner Küche hatte er solch ein Tier schon verjagt. Und es wurde immer schlimmer.
Die Ratten waren die Boten.
Der kleine Haufen abgenagter Knochen gegenüber war ihm ebenfalls nicht entgangen. Reglos und beinahe strahlend lag der kleine Berg tierischer Überreste auf dem Bürgersteig und wurde von niemandem beachtet.
Außer von Hong. Und er wusste, die Ratten hatten ein Opfer gebracht, sie hatten ihresgleichen und ihren ärgsten Feind getötet und dargeboten, damit Es besänftigt werde, dass Es nicht erzürnt werde. Die Ratten verfügten über einen wachen Instinkt.
Das Dröhnen, dieser unterirdische, alles durchdringende Laut, war Hong sehr spät aufgefallen. Er hatte ihn nur im Unterbewusstsein wahrgenommen und ihn schlichtweg ignoriert. Als er ihn dann aber tatsächlich gehört hatte, da war der Chinese blass geworden, er hatte sich hilfesuchend umgeschaut und zitternd den Angstschweiß von der Stirn gewischt. Es kam, es ließ sich nicht mehr halten. Irgendjemand hatte einen Fehler gemacht.
Hong San, von Natur aus freundlich und gutherzig, stand in der Tür zu seinem Restaurant, schaute mit versteinerter Miene auf die leere Straße und die Knöchel der rechten Hand, mit der er die Klinke umfasst hielt, wurden weiß.

 
Zuletzt bearbeitet:

Der große Zeiger der stark mitgenommenen Drehuhr machte Klack. Wieder eine Minute weniger bis Mitternacht. Erneut war etwas Zeit an diesem merkwürdigen Tag in der Dürrenstraße vergangen. Klack... Klack... Unerbitterlich bewegte sich der Zeiger vorwärts, bis er wieder eine komplette Runde geschafft hatte. Klack... Klack... Klack... Und trotzdem war es so, als ob die Zeit aufgehört hatte, zu existieren. Wie in einem kleinen, völlig unabhängigen Universum taten die Menschen in der Dürrenstraße bewußt oder unbewußt Dinge, die für ihr eigenes Schicksal geradezu existenziell waren. Wer tat das Richtige? Das Falsche? Klack... Klack... Klack... Dennoch konnte nichts den Mechanismus der Uhr davon abhalten, unweigerlich den toten Punkt zu erreichen. Mitternacht. Das Ende aller Dinge.

Hong San ließ langsam die Türklinke los. Seine Hand schmerzte, so stark war der Griff um die Türklinke gewesen. Es kommt, dachte er. Es ist bereits hier. Niemand befand sich auf der Straße. Sein kleines Lokal war leer. Er hörte, wie seine Angestellten ohne ein Wort des Abschieds zum Hinterausgang verschwanden. „Undankbares Pack!“, murmelte er zutiefst beleidigt. Immerhin war er es gewesen, der all die nervenaufreibenden Bürokratengänge für sie erledigt hatte. „Wenn...“ San verstummte und kniff die Augen zusammen. Da war es wieder gewesen. Dieses Geräusch. Dieses alles durchdringende Dröhnen. Als ob etwas Impulse aussandte, in alle Richtungen... Oh nein! Das Geräusch war direkt hinter ihm. Langsam drehte er sich um. Er wußte, was ihn erwartete. Hong San hoffte auf einen schnellen Tod. Sekunden später rollte sein Kopf über den sauberen Holzboden des Lokals. Sans tote Augen waren weit aufgerissen. Die Drehuhr draußen im Regen machte wieder Klack... Unaufhaltsam.

Die wenigen Ratten in der Kanalisation hatten dank ihrer Intelligenz schnell eine Entscheidung getroffen. Zuvor hatten sie die Wahl gehabt: Tod oder Leben. Also quollen sie aus allen Ecken und Kanten hervor, um die Menschen zu terrorisieren. Bereitwillig opferten sich einige, um die Stromversorgung auszuschalten. Andere fielen über den im Dunkeln stehenden Hausmeister Tönnecke her und zerfleischten ihn, während er ängstlich um Hilfe schreiend im Flur der Berghoffs stand. Er konnte nicht wissen, dass die Familie Berghoff samt Hund bereits bis auf die Knochen abgenagt eng umschlungen vor dem Bett von Laura lagen. Niemand kam zu Hilfe. Keiner wollte helfen. Jeder hatte mit sich selbst zu tun. Helene Groll stand kreischend auf einem Stuhl in ihrem Wohnzimmer, brüllte starr vor Angst immer wieder „Heil Hitler!“, als um sie herum immer mehr Ratten den Weg in ihre Wohnung fanden, die alte Frau ansprangen, anbissen und ihr schließlich tausend kleine Tode bis zum endgültigen Aus zufügten. Klack... Klack... Klack... Mit jeder Minute überrannten mehr und mehr Ratten die Wohnungen der Dürrenstraße und hinterließen nichts als Tod. Nur die Wohnung der Brandenburgs blieb merkwürdigerweise verschont.

Die Limousine hatte ihr Ziel erreicht. Scheinbar wie von Geisterhand gelenkt, verbarg sich hinter den dunklen Scheiben ein Fahrer, der den Wagen sanft abbremste.
„Wir sind da“, sagte der Fahrer und drehte sich um. „Soll ich Cheng einfangen?“
„Nein!“, antwortete eine tiefe Stimme. „Er soll sich ruhig noch etwas austoben... Noch brauchen wir ihn nicht. Weiß die Frau, was sie in sich trägt?“
„Nein.“
„In wenigen Stunden entscheidet sich alles. Zukunft. Untergang. Du kannst dich nach Cheng umsehen, ihn aber gewähren lassen. Wichtig ist nur, dass bis Mitternacht alles vorbei ist.“
Der Fahrer nickte. „Ja.“
„Siehst du die Uhr? Das Autowrack?“
„Ja.“
„Diese Uhr läuft weiter. Als ob ihr nichts passiert wäre. Wenn ich bei der Frau bin, halte dich bereit. Suche Cheng, und bring ihn im richtigen Moment zu mir!“
„Ja.“ Der Fahrer nickte erneut.

Klack... Klack... Klack... Wieder eine Umdrehung. Wieder eine Minute mehr. Wieder ein kleines Stück bis zur Entscheidung: Zukunft oder Untergang... Klack...

 

„Was passiert hier?“, fragte Silvia und schmiegte sich enger an Thomas. Sie hörte, wie aus den Nachbarswohnungen angsterfüllte Schreie durch die dicken Wände hindurch zu ihnen gelangten. „Thomas, was passiert hier?“
„Ich weiß nicht“, antworte er ihr. Es war die seit vielen Wochen vielleicht ehrlichste Antwort, die er ihr gegeben hatte. „Hör nicht hin!“ Kaum, dass er die Tür hinter sich geschlossen hatte, war es losgegangen. Erst vereinzelt, dann dutzendfach. Die ganzen Schreie, das Kreischen... Die lähmende Leere bei ihm. „Hör einfach nicht hin.“ Was hatte das alles zu bedeuten? „Ich...“ Es klingelte.
Silvia zuckte zusammen. „Was...“
Behutsam löste sich Thomas von ihrem Griff. „Vielleicht ist es die Polizei. Vielleicht ist der ganze Spuk zu Ende“, sagte er und stand von der Couch auf.
Silvia sah ihn entsetzt an. „Wo willst du hin?“
„Aufmachen.“
„Du bleibst hier! Bei uns!“
Er seufzte. „Ich werde aufmachen.“
„Thomas, du...“
„Ja, ich weiß.“

Klack... Klack... Der Zeiger der Drehuhr hatte erneut eine volle Stunde erreicht. Jetzt waren es noch genau fünf Stunden bis Mitternacht.

Silvias Blick sagte alles. Hätte er bloß nicht diese verdammte Tür aufgemacht. Er saß mit seiner schwangeren Frau auf der Couch und starrte auf den dicken, brutal aussehenden, glatzköpfigen Chinesen. Wieviel Zeit war vergangen? Wie oft hatte er versucht, ein Gespräch anzufangen? „Hören Sie!“ Thomas wagte einen weiteren Versuch. „Ich will doch nur wissen, was Sie von uns wollen.“ Der Chinese schwieg weiterhin. „Meine Frau ist im fünften Monat schwanger, verdammt! Sie...“
„Das wissen wir, Herr Brandenburg“, sagte eine tiefe Stimme mit einwandfreien, akzentlosem Deutsch. „Das wissen wir.“
Silvia und Thomas sahen zur Tür. Ein kleiner, untersetzt wirkender Chinese, mit zahlreichen Ketten aus Gold und Silber behangen, betrat das Wohnzimmer.
„Thomas?“ Silvia schmiegte sich enger an ihren Mann.
Der kleine Chinese ging zur Seite und schnippte mit den Fingern. „Sie brauchen keine Angst zu haben, Frau Brandenburg.“ Draußen im Flur gab es ein lautes Geräusch. Und dann, plötzlich, stand eine Apparatur im Wohnzimmer der Brandenburgs.
„Großer Gott...“, murmelte Thomas. Silvia war unfähig, etwas zu sagen. Der Apparat sah aus wie ein Brutkasten. „Großer Gott...“ In so einem Ding wurden Babys aufbewahrt, die weit vor dem Geburtstermin zur Welt kamen. „Großer Gott...“ Thomas wurde schlecht.

Klack... Klack... 20:30 Uhr. Der Regen wurde stärker, die Blitze heller, der Donner lauter, und nun kam auch noch Wind auf. Klack... Klack...

Unterhalb der Dürrenstraße, in der verwinkelten Kanalisation, machten mehrere Männer Jagd auf ein Etwas, was Cheng hieß und eine wichtige Rolle an diesem unheilvollen, merkwürdigen Tag zu spielen hatte...

 
Zuletzt bearbeitet:

Er hörte eine weit entfernte Stimme, die seinen Namen rief. Es kostete ihn einige Anstrengung, seine Augen auch nur einen winzigen Spalt zu öffnen. Alles war undeutlich, verschwommen. In seinem Kopf rumorte es. Plötzlich spürte Thomas einen Stich an seinem linken Arm, verbunden mit einem leichten Schmerz. Er sah, wie ein Mann aufstand und zufrieden eine Spritze in einen durchsichtigen Plastikbeutel steckte. Der Beutel selbst war klar und deutlich zu erkennen, der Mann jedoch... „Was... „Was soll... Was...“ Alles war verschwommen, als ob sich ein nebliger Schleier im Wohnzimmer breitgemacht hatte. Thomas hörte jemanden etwas sagen, aber er konnte er nicht genau verstehen. Großer Gott, was geht hier vor? Silvia! Er versuchte, sich aufzusetzen. Es gelang nicht. „Silvia? Wo... Silvia?“ Oh nein, dieser merkwürdige Apparat... Dieser verdammte Brutkasten... „Silvia!“ Jemand beugte sich über ihn. Er erinnerte sich an diesen kleinen Chinesen.
„Es ist alles in Ordnung, Herr Brandenburg. Ihrer Frau geht es hervorragend.“
Es war eindeutige der kleine Chinese. „Was... Was haben Sie mit ihr gemacht?“, keuchte er. Es gelang ihm bei aller Anstrengung nicht, das Gesicht des Mannes zu erkennen. Immer noch war alles um ihn herum nebelig und verschwommen. „Wo ist sie?“ Und dann hörte er ein Brüllen. Kein menschliches Brüllen. Was geht hier nur vor?
Der kleine Chinese nickte zufrieden und sagte: „Ah... Sie haben Cheng gefunden. Perfekt!“
Das Brüllen kam näher. Thomas unternahm einen letzten Versuch, sich aufzurichten. „Argh...“ Zwecklos. Keine Chance.
„Gleich, Herr Brandenburg“, murmelte der gesichtslose Chinese leise. „Gleich erkläre ich Ihnen alles. Haben Sie noch etwas Geduld.“
„Ihr Schweine!“, zischte Thomas wütend. „Was... Was...“ Speichel lief aus seinem Mund, die Augen begannen zu tränen und das Rumoren in seinem Kopf wurde etwas stärker. „Verdammt, was habt Ihr vor?“
„Wenn Sie sich zu sehr anstrengen, verschlimmern Sie die Wirkung des Serums, Herr Brandenburg.“
„Serum?“ Thomas fiel auf, dass er außer der Stimme des Chinesen, das unheimliche Brüllen und sich selbst sonst nichts hörte. Als ob nur diese drei Dinge existierten. „Was für ein Serum, verdammt!“
„Später“, sagte der Chinese gelassen. „Er ist da.“
Thomas stöhnte auf. Alles begann sich um ihn herum zu drehen. Er wurde müde und schläfrig. Und dann sah er, wie etwas ins Wohnzimmer geführt wurde. Immer noch war alles wie in einem Traum. Unwirklich, surreal und absurd. Es war ein Tier, vielleicht ein Bär. Oder was anderes. Thomas kämpfte, zwang sich, wach zu bleiben. Großer Gott... Und dann erkannte er seine Frau, die neben dem Brutkasten auf einem Tisch lag. War es ein Tisch? Gott, diese Kopfschmerzen! Er öffnete seinen Mund, um sie zu rufen. „Sss... S... Sil... Sss... S...“ Ein Hustenanfall beendete seine Bemühungen. Hilflos mußte er mit ansehen, wie dieses haarige, riesengroße Etwas leise knurrend auf den Tisch zuging. Und dann legte es sich auf Silvia. Mit letzter Kraft gelang es Thomas endlich, sich aufzurichten. „Silvia!“, schrie er panisch. Dann kippte er zur Seite, rutschte von der Couch und blieb regungslos auf dem Boden liegen. „...wurde auch Zeit...“ „Gerade noch rechtzeitig.“ „Ja...“ Thomas Brandenburg fiel in eine tröstende Ohnmacht.

Der Zeiger der Drehuhr machte eine weitere Bewegung. Klack... Der tote Punkt war erreicht. Mitternacht. Das Ende aller Dinge. Für den winzigen Bruchteil einer Sekunde bewegte sich der Zeiger weiter vorwärts. Doch dann stoppte er unmittelbar. Für einen Moment war die Zeit stehen geblieben. Und dann begann er sich rückwärts zu bewegen. Immer schneller und schneller. Während im Rest der Welt der stete Irsinn seinen Lauf nahm, befand sich die Dürrenstraße in einer Art Blase, die unbeeindruckt von den Geschehnissen ihr eigenes Kapitel in das niemals endende Buch der Geschichte schrieb. Schneller und schneller raste der Zeiger rückwärts. Mit einem ohrenbetäubenden Knall explodierte die Drehuhr schließlich. Der dunkle Himmel war verschwunden. Warme Sonnenstrahlen tauchten die Dürrenstraße in ein angenehmes Licht. Der tote Punkt war überwunden...

Silvia schmiegte sich an Thomas. „He?“
Er runzelte die Stirn. Thomas mochte es nicht, wenn er so zeitig geweckt wurde. „Was ist denn?“, fragte er mürrisch.
„Tut mir leid.“
„Was tut dir leid?“
„Ich weiß, du bist nicht glücklich, Thomas“, sagte Silvia leise. „Ich weiß, dass es meine Schuld ist. Die Fehlgeburt damals, ich...“
„He, schon gut.“
„Vielleicht sollten wir zu einer Eheberatung gehen. Ich will uns nicht verlieren!“
Thomas schluckte. Langsam drehte er sich zu ihr um und fuhr mit seiner Hand über ihren dicken Bauch. Silvia war im fünften Monat schwanger. „Ja“, antwortete er. „Vielleicht sollten wir das.“ Er lächelte sie an. „Ich will nämlich auch nicht, dass wir uns verlieren, weißt du?“ Silvia schloß die Augen und kuschelte sich fest an ihn ran. „Willst du wirklich nicht wissen, was es wird?“
Er sah hoch zur Decke und entdeckte eine Fliege. Seine Augen verfolgten ihre Flugbahn. „Nein. Lassen wir uns doch überraschen, hm?“
„Ja.“
„Okay.“

Frau Helene Groll öffnete das Fenter und genoß das grelle, ihre alten Augen blendene Licht der Sonne. Das wird ein guter Tag, dachte sie. Dann hatte sie auch schon Egon entdeckt, der die Ladentür aufschloß. War er dünner geworden, oder bildete sie sich das nur ein? Als Egon sich umdrehte und zu ihr rüberwinkte, setzte sie ihr schönstes Sonntagslächeln auf und winkte zurück. Vielleicht würde sie nachher in den Tabakladen gehen, auf ein kleines Schwätzchen. Aber irgendwas stimmte nicht. So sehr Frau Groll sich auch anstrengte, es fiel ihr auf den ersten Blick nicht auf.
Die Berghoffs saßen vor dem Fernseher. Der Apparat war nicht eingeschaltet. Statt dessen sahen sie dem kleinen Hund zu, der sie ankläffte und aufgeregt hin und her rannte. Seufzend nickte Herr Berghoff und sagte zu seiner Tochter Laura: „Also schön, von mir aus. Behalten wir ihn.“
Direkt nebenan lagen Melvin Gruber und Kathrin Wallkow nackt im Bett. Zufrieden zogen sie abwechselnd an dem kleinen Joint und inhallierten den Rauch. Sie sahen glücklich aus. Sie hatten vor, bei dem herrlichen Wetter im Park draußen zu picknicken. Vielleicht sogar eine Nummer zu schieben, während ihnen Leute dabei zusehen würden. Melvin legte den Joint zur Seite und küsste leidenschaftlich seine Freundin.
Im Haus Nummer Fünfzehn starrte Ewald Tönnecke gedankenverloren auf die vielen kleinen Zettel in seiner Hand. Eigentlich hatte er vorgehabt, an jede Tür einen dieser Zettel zu befestigen. Immerhin stand die nächste Mieterversammlung kurz bevor. Aber bei dem Wetter? „Ach, Scheiße!“, murmelte er und steckte die Zettel weg. „Kommt doch eh keiner von den Spinnern...“
Hong San fingerte einen Fisch aus dem großen Becken, hinten in der Küche. Er ärgerte sich, dass seine Angestellten wieder zu spät kamen. Dabei hatte er ihnen doch... Jemand sagte: „Guten Morgen!“ San drehte sich um. Er sah den dicken, bunten Strauß Blumen. Und dann seine Mitarbeiter. Es verschlug ihn glatt die Sprache.
Frau Helene Groll wählte eine Nummer an ihrem Telefon. „Ja, hören Sie? Groll, Dürrenstraße. Sie können nicht einfach die Drehuhr entfernen. Ja, genau. Sie haben richtig verstanden. Die ist nämlich weg! Sowas können Se einfach nicht machen!“
Eine wohltuende Zufriedenheit lag über der Dürrenstraße. Alle waren glücklich, zufrieden. Und in der Tat, es war ein wunderschöner Beginn eines noch schöneren Tages. Die Sonne sah wie gemalt aus. Und der Himmel erst...

***

Das Gewölbe wurde in schummriges Licht getaucht. Seltsames, bläuliches Licht. Zwei Männer saßen auf alten Holzstühlen sich gegenüber. Zwischen ihnen stand ein kleiner Tisch, auf dem ein Brettspiel stand. Im Hintergrund summte eine große, alte Uhr. Klack...
„Dieses Mal war es knapp, Jiau Tseng“, sagte der eine Mann und zog an seiner langen, glimmenden Pfeife.
Tseng nickte und nahm einen der kunstvoll verzierten Spielsteine in die Hand. „Ja, Meister Shiujan. Wir haben Cheng nicht rechtzeitig gefunden. Zum Glück ist alles gut verlaufen. Wir haben wieder fünfundzwanzig Jahre gewonnen.“ Er runzelte die Stirn und stellte dann den Spielstein auf das Brett.
„So?“, fragte Shiujan. „Haben wir das?“
Tseng lehnte sich etwas zurück. „Meister?“
Kopfschüttelnd kippte Shiujan den von Tseng gesetzten Spielstein um. „Du mußt noch vieles lernen, Jiau Tseng.“ Dann notierte er mit einem Bleistift zufrieden eine Punktzahl auf einen kleinen Schreibblock, der neben dem Spielbrett lag. „Dieses Mal wäre das Ende beinahe wirklich passiert. Es reicht nicht, im letzten Moment zu versuchen...“
Tseng unterbrach den alten Mann. „Wir...“
Erbost schlug Shiujan mit der Faust auf den Tisch. Spielsteine fielen um. „Wage es nicht, mich zu unterbrechen!“ Er räusperte sich und zog an der langen Pfeife. „Wir müssen nun abwarten, wie sich dieses Kind entwickeln wird. Cheng hat seine Schuldigkeit der Welt gegenüber getan. Er hat verhindert, dass Chung Besitz von der Frau ergreifen konnte. Es gibt immer zwei. Cheng und Chung. Jim und Jimmy. Alexej und Alexander. Immer zwei.“ Shiujan baute die Spielsteine wieder auf. „Wieder einmal waren wir schneller. Das Böse kann nur durch Böses besiegt werden.“
Tseng hustete leicht. „Und wie jedes Mal...“
„Ja.“ Der alte Mann lächelte. „Und wie jedes Mal stellst du mir die gleiche Frage, mein junger Freund. Und wie jedes Mal bekommst du die immer gleiche Antwort.“ Er nickte dem jüngeren Mann aufmunternd zu.
„Ja.“ Jiau Tseng seufzte. „Da gibt es so viele Dinge, die ich nicht weiß.“
„Es gibt immer Dinge, die ein Mensch nicht wissen kann“, sagte Shiujan. „Es hat bei unseren Urahnen angefangen. Und uns bleibt nichts anderes übrig, als zu hoffen, dass wir den richtigen Schritt als erstes tun, und nicht die andere Seite.“
Tseng sagte nichts und starrte auf die Spielfiguren. Vorsichtig setzte er eine Figur auf ein Feld. „Oh...“
Shiujan sah auf das Spielbrett und runzelte die Stirn. „Du hat wohl gewonnen.“
„Ja.“ Tseng lächelte gequält. „Habe ich wohl...“
Der golden glitzernde große Zeiger der Uhr im Hintergrund bewegte sich nach vorn.

Klack...

Der tote Punkt. Das Ende aller Dinge.

Ein ewiger Kreislauf.


ENDE

copyright by al-dente, barkai, chaosqueen, Hanniball, Poncher

 
Status
Keine weiteren Kommentare möglich.

Letzte Empfehlungen

Neue Texte

Zurück
Anfang Bottom