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Brunner

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12.02.2004
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Brunner

„Man kann nur sehen, worauf man seine Aufmerksamkeit richtet,
und man richtet seine Aufmerksamkeit nur auf Dinge,
die bereits einen Platz im Bewußtsein einnehmen.“

(Alphonse Bertillon)​

Um sieben Minuten vor 14 Uhr klopfte es zaghaft an die Tür des Disponenten Brunner. Er rieb sich die Handflächen übers Gesicht. „Ja, bitte!“
Die Besucherin mochte 70 Jahre alt sein. Die Bluse trotz Hitze hoch geschlossen. Die grauen Haare mit Haarspray gezähmt. Sie trug zu viel Lippenstift. Ihre Augen blickten wachsam. Sie sagte: „Mein Name ist Wolters. Wir haben telefoniert.“

In Wirklichkeit hieß sie Margarethe Schmidt. Dankbar, dass sie sich hinsetzen und ihre aufgequollenen Beine entlasten konnte, mit Schweißflecken unter den Achseln und dem Kopf voller panischer Gedanken zwang sich Frau Schmidt, den Mann anzuschauen.
Brunner sah ganz anders aus, als sie ihn sich vorgestellt hatte. Wie hatte sie ihn sich vorgestellt? Auf jeden Fall nicht wie den Mann, in dessen Büro sie jetzt saß: Die Glatze und dieser Haarkranz. Die runden Augen. Das Gesicht hatte etwas Joviales und Kindliches. Der Körper war massig und doch beweglich, die Hautfarbe gebräunt. Es war lange her, dass sie Männer auf diese Weise betrachtet hatte. Sie wusste Dinge über Brunner, die ihr nicht gefielen: Brunner, der beim Sex unten lag, der gern in italienischen Restaurants zu Mittag aß, statt in die Kantine zu gehen. Freund der italienischen Kultur, Liebhaber von Schokolade und ihrer Tochter. Brunner mit seinen 60-Stunden-Wochen, der nie anrief aber zur richtigen Zeit Blumen schickte. Verheiratet mit einer Frau, die ihn nicht verstand. Zwei Kinder. Sie dachte an Streitereien mit ihrer Tochter Bianca und Ausrufe wie: „Auch ein Mann wie er hat ein Recht auf Liebe! Verstehst du das denn nicht, Mutti?“

Ihre Tochter wollte, dass Brunner nicht zu sehr unter seiner Frau litt. Redete sich ein, die Liebe gefunden zu haben. Hielt die Beziehung zu einem verheirateten Mann für Schicksal. Frau Schmidt kannte Brunners Argumente nur zu gut: „Ich kann mich nicht von meiner Frau trennen, wegen der Kinder. Wir müssen warten, bis sie groß sind. Dann trenne ich mich, dass verspreche ich dir.“
Bianca konnte so traurig sein, wenn er nicht anrief: schlaff, mit lustlosem Gesichtsausdruck, blass und leblos. Ihre Tochter, wie sie sich panisch weigerte, das Handy abzuschalten, weil Brunner sich ja doch noch melden konnte. Und ihre Tochter, die fröhlich plauderte, weil Brunner sie zu einer Reise nach Venedig eingeladen hatte. Dieses Wochenende! Der Anlass war leider ein positiver Schwangerschaftstest. Nachlässigkeit beim Einnehmen der Pille und eine stürmische Begegnung an einem Feiertag.

Ihr Mann hatte sich die Sache durch den Kopf gehen lassen, mit einem Gesichtsausdruck wie bei seinen Schachturnieren. Mit nacktem Oberkörper beim Beschneiden einer seiner Pflanzen hatte er in seinem Gewächshaus gestanden und Frau Schmidt war stehen geblieben und hatte gewartet, wie auf einen Orakelspruch. Das war vor zwei Wochen gewesen.

Es lief auf eine einfache arithmetische Operation hinaus: Addition oder Subtraktion! Brunner, der sich von seiner Frau trennte, als neues Mitglied ihrer Familie. Oder Brunner, der vollständig aus Biancas Leben verschwand. Die Trennung musste total sein, wie der sofortige Entzug einer Droge. Denn dass Bianca selbst nicht mehr in der Lage war, die Sache einem guten Ende zuzuführen, stand für ihre Eltern fest: „Wenn bei einer Seereise jemand über Bord geht, stehst du auch nicht an der Reling und schaust zu, wie diese Person ertrinkt. Du handelst!“

Sie hatten bei Gesprächen am Küchentisch durchgespielt, was Brunner sagen konnte. Der Plan, der am Ende herauskam, war riskant, doch der dringende Wunsch nach einem Enkelkind und die Sorge um das Wohl ihrer Tochter hatte Frau Schmidt in dieses Büro gebracht, wo ihr in diesem Augenblick dämmerte, dass sie eine wesentliche Eigenschaft mit ihrer Tochter teilte: Sie wollten beide helfen.

Sie erklärte: „Eigentlich heiße ich Schmidt. Ich bin Biancas Mutter.“
„Was kann ich für Sie tun?“
„Bianca erwartet ein Kind von Ihnen. Sicher wissen Sie es schon.“
Brunner nickte. Sie bewegte sich in dieses Gespräch hinein wie eine Schlafwandlerin. Sie wollte das alles schnell hinter sich bringen.
„Mein Mann und ich wünschen uns ein Enkelkind. Jetzt befürchten wir, dass Sie Bianca zu einer Abtreibung überreden wollen.“
„Das wird sich leider nicht vermeiden lassen, Frau Schmidt.“
„Wir sind bereit, das Kind finanziell zu unterstützen. Bianca würde keine Alimente verlangen.“
„Das sagen Sie heute. Wenn Bianca irgendwann ihre Meinung ändert, muss ich mich einem Vaterschaftstest unterziehen.“
„Machen Sie reinen Tisch und verlassen Sie ihre Frau!“
Brunner lächelte.
„Das geht nicht, Frau Schmidt. Meine Frau weiß natürlich alles. Wir haben eine Abmachung: Wir bleiben zusammen und erlauben einander solche Affären. Für die Kinder ist es das Beste.“
Sie seufzte: „Ich habe mir schon gedacht, dass Sie so reagieren würden.“

Keine Vorwürfe. Keine Tränen. Keine Beleidigungen. Natürlich nicht! Sie hatte sich im Griff. Stattdessen zog sie eine Tupperbox aus ihrer Handtasche, die zwei dick in Alufolie eingewickelte Stücke Schokoladenkuchen enthielt: „Bei Kuchen redet es sich leichter.“
Brunner zögerte kurz. Sein Drehstuhl machte ein ploppendes Geräusch, als er überraschend behende aufsprang und in den Nebenraum ging: „Hier müssen irgendwo Besteck und Pappteller sein.“
Frau Schmidt packte die Kuchenstücke aus und legte sie auf die zwei Pappteller, die er brachte. Er hatte nur große Gabeln gefunden und es sah seltsam aus, wie er mit dem viel zu plumpen Esswerkzeug Kuchenstücke an seinen Mund führte. Anscheinend schmeckte es ihm.
Brunner sagte mit vollem Mund: „Trotz allem bin ich froh, Sie einmal kennen zu lernen.“
Frau Schmidt lächelte traurig: „Essen Sie Ihren Kuchen, Herr Brunner!“

* * *​

Vier Stunden später brannte die Sonne immer noch durch die Scheiben des Gewächshauses. Herr Schmidt genoss es, im kleinen Rahmen in den Kreislauf des Lebens einzugreifen. Genau hier hatte er gestanden und einen weiß blühenden Oleander umgetopft und betört von dem Duft den Entschluss gefasst, das Kind zu retten. Was sprach dagegen? Was hatte er zu verlieren, mit seinen 75 Jahren? Bianca, die viel zu sentimental an allem festhielt, würde sich wenn ihr Liebhaber starb auf das konzentrieren, was ihr von ihm noch blieb.

Brunners Ehefrau war Mitte Fünfzig. Herr Schmidt hatte sie an einem verregneten Junitag vom Wagen aus beobachtet, wie sie und ein Mann, ein Blumenhändler, Hand in Hand nach einem Abendessen bis zu dessen Wohnung gingen. Die Frau hatte langes gelocktes Haar und trug eine Brille. In seiner üblichen noblen Zurückhaltung liebte Herr Schmidt es nicht, in das Leben anderer Leute hineinzuschnüffeln. Aber er war ein praktisch eingestellter Mann, der sich im Leben immer Ziele gesetzt hatte. Anscheinend war seine Aufgabe jetzt, seinem Enkelkind zu helfen, auf die Welt zu kommen.

Eine Ölpresse kostete auf eBay keine dreißig Euro. Er hatte eine ersteigert und dem Verkäufer eine freundliche Bewertung geschrieben: Alles bestens! Jederzeit gerne wieder!
Dann passierte einige Tage lang nichts. Bis plötzlich sein Freund George, ein Engländer mit einer Glatze voller Sommersprossen, in der Tür des Gewächshauses stand. Herr Schmidt kannte ihn seit dreißig Jahren. Das Leben in der chaotischen Stadt Kairo schien George gut zu bekommen . Er war äußerst geschickt darin, brisante Gegenstände durch den Zoll zu schleusen. Mit einem Grinsen wie ein Zauberkünstler bei einem Kartentrick zog er ein Dutzend Samen des Wunderbaumes aus der Jackentasche. Lächelte sardonisch: „Ich frage nicht, wofür du sie brauchst.“
Sie tranken ein Glas Sherry und Herr Schmidt betrachtete die Kapseln: Sie waren von dunklem Braun wie Mahagoni. Mit ihren Flecken in Beige und Hellbraun sahen sie aus wie Käferpanzer. Herr Schmidt streichelte die Oberflächen mit dem Zeigefinger. Die Samenkapseln in seiner Hand und die Samenkapseln, die knackten, als er sie zerstörte, indem er sie mit der Kurbel durch die Ölpresse trieb, um ein viel größeres Zerstörungswerk zu beginnen. Die ganze Zeit dachte er an Brunner.

Der Presskuchen enthielt bis zu zehn Prozent Rizin. Mit aller gebotenen Vorsicht zerrieb Herr Schmidt den Rückstand weiter mit der alten Kaffeemühle, schüttete das Pulver in lauwarmes Wasser, das er Stunden später durch ein Sieb goss und mit diesem trüben Wasser und Milchpulver rührte er in der Küche zusammen mit seiner Frau (besorgte Blicke und vor der Schürze verschränkte Finger) Schokoladenpudding an, den sie mit etwas fertigem Kuchenboden vermischten, um dem Belag mehr Festigkeit zu verleihen. Das Kuchenstück für Brunner sollte haargenau aussehen wie eines der anderen Stücke von Frau Schmidts Schokoladenkuchen. Immer trugen sie Handschuhe und nachher wanderten alle Teile, abgespritzt mit dem Gartenschlauch, in eine Mülltonne in einem anderen Teil der Stadt. Presskuchen und kaltgepresstes Rizinusöl landeten in einem Plastiksack in die Tonne unten im Hof. Die städtische Müllverbrennung würde das restliche Gift unschädlich machen.
„Nie wieder Schokoladenkuchen!“
„Schade! Ich habe deinen Schokoladenkuchen immer gern gemocht.“
„Was tun wir, wenn sie es herausfinden?“
„Dazu müsste jemand Verdacht schöpfen und die Polizei verständigen. Es müsste eine Untersuchung und eine Verhandlung und eine Verurteilung geben . Wir können jedes dieser Ereignisse beeinflussen – wenn sie überhaupt eintreten. Ich habe in einem Artikel in der Süddeutschen gelesen, dass jedes Jahr in Deutschland bis zu 2.400 unentdeckte Morde passieren. Da ist sicher Raum für einen mehr.“
Seine Freude an dieser Sache irritierte sie. Anscheinend war das für ihn ein Projekt wie die Solarzellen auf der Garage und die Alarmanlage im Eigenbau.
Er nahm ihre Hand: „Mach dir keine Sorgen!“

*​

Um viertel nach Sechs hörte Herr Schmidt, wie Bianca ihr Mini Cabrio knirschend auf dem Kies der Einfahrt zum Stehen brachte. Er ging hinüber in die Küche und dort war sie: Seine Tochter! Sie sah gut aus, schlank und abenteuerlustig. Nichts verriet eine Änderung im Inneren ihres Körpers.
„Hallo Papa!“ Sie küsste ihn auf die Wange.
„Wie geht’s dir?“
„Gut! Übermorgen fliegen wir nach Venedig. Ich kann dir ein paar von diesen bemalten Masken mitbringen, wenn du willst.“
Frau Schmidt hatte ihren vegetarischen Hackbraten gemacht. Das Rezept stammte aus einer Illustrierten. Sie hatte es gefunden, nachdem die zwölfjährige Bianca erklärt hatte, dass sie nie wieder Fleisch essen wollte. Nie konnte sie jemandem weh tun. Schon als Kind nicht. Bei Tisch zogen sie es vor, das Thema Brunner großräumig zu vermeiden. Stattdessen sprachen sie über Urlaubsfotos und Digitalkameras. Herr Schmidt, mit seinen von Blumenerde gesäuberten Händen, blätterte in einem Fotoalbum: „Weißt du noch, wie wir immer nach Italien gefahren sind und du mich die ganze Zeit gefragt hast: Wann sind wir endlich da?“
Seine Tochter: Fünfunddreißig Jahre alt. Sah aus wie Dreißig. Sie würde enttäuscht sein, wenn jemand sie anrufen würde, um ihr mitzuteilen, dass Brunner verhindert war. Morgen. Spätestens übermorgen. Bianca, die bei den einfachen Dingen so oft über ihre eigenen Füße stolperte und mit der größten Bereitwilligkeit ihr Leben verschwendete.

* * *​

In dieser Nacht entlud sich ein Gewitter, gefolgt von heftigen Regengüssen. Brunner stand auf, um zu kotzen. „Vielleicht eine Darmgrippe“, meinte seine Frau.
Am nächsten Morgen hatte er Fieber. Der Hausarzt besuchte ihn und gab ihm Aktivkohle.

Es folgte eine weitere Nacht voller Übelkeit und Fieber mit Kopfschmerzen wie ein Funkenregen von glühenden Nadeln. Schleichend zerstörte das Gift Brunners rote Blutkörperchen. Am Nachmittag wand er sich in heftigen Krämpfen. Viel zu spät rief seine Frau den Notarzt. Als der das Schlafzimmer betrat, schaute ihm Brunners totes Gesicht mit einem erstaunten Ausdruck entgegen, als hätte er sich bis zuletzt gewundert, wie um alles in der Welt er in diese Lage kommen konnte.
„Hatte Ihr Mann eine Herzschwäche?“
Frau Brunner erwog eine Reihe von Möglichkeiten, entschied sich für die einfachste und erklärte unter Tränen: „Ja. Mein Mann hatte ein schwaches Herz.“
Die Tränen waren echt, denn in einem durch emotionale Erschütterung ausgelösten Moment der Klarheit fügten sich die Affären ihres Mannes und seine unbefriedigenden Geschäftsbeziehungen mit diesem Tod zu einem Bild zusammen, das sie ahnen ließ, dass er im Grunde an einem Mangel an Liebe und an der Gleichgültigkeit seiner Mitmenschen gestorben war.

Der Arzt, den sein Pieper zurück in die Notaufnahme rief, trug ohne weitere Untersuchungen Kardiales Lungenödem in Brunners Totenschein ein und sprach der Witwe sein Beileid aus.

 

Diese Geschichte wurde von einem Autor geschrieben, der hier im Forum angemeldet ist, es für diese Geschichte aber bevorzugt hat, eine Maske zu tragen.
Der Text kann, wie jeder andere Text im Forum, kommentiert werden, nach zehn Tagen wird die Identität des Autors enthüllt.

Als Kritiker kann man bis dahin Vermutungen über die Identität des Autors anstellen. Damit man anderen mit einem schlüssigen Rateversuch nicht den Spaß raubt, sind Spekulationen und Vermutungen bitte in Spoiler-Tags zu setzen.
Beispiel:

[spoiler]Ich vermute, dass der Autor der Geschichte Rumpelstilzchen ist. Der schreibt doch auch immer von güldenem Haar und benutzt so viele Ausrufezeichen![/Spoiler]

Die eckigen Klammern setzt ihr mit der Tastenkombination Alt-gr+8 bzw. Alt-gr+9.
Da dies jedoch kein Ratespiel ist, sind Beiträge ohne Textarbeit, also reine „Vermutungen“, nicht erwünscht.

Viel Spaß beim Raten und Kommentieren!


Der Autor wird sich am 19.07. zu erkennen geben ;)

 

Oh schön. Ein neuer Maskenballtext!
Hallo,


Brunners neue Kunden brachten bei ihren ersten Besuchen alle möglichen Dinge mit, doch niemals selbst gemachten Kuchen.
Wär gut hier Beispiele anzuführen, was die so mitbringen.

Der Drehsessel machte ein ploppendes Geräusch, als Brunner aufsprang und überraschend behende in den Nebenraum ging, wo er eine Kanne Filterkaffee aufsetzte.*
Auf wen wirkt das „überraschend behende“? Die Geschichte sah bis hierhin so aus, als sei sie personal aus Brunners Sicht erzählt.

Der Kapitelwechsel mit Sternchen
Ja – vor dem Problem steh ich auch manchmal. Ich würde empfehlen dieses Sternchen als Kapitel-Wechsel zu verwenden und dann erst den Perspektivwechsel zu vollziehen. Im Kapitel vorher wurde zum Teil von Absatz zu Absatz die Perspektive gewechselt. Das ist eigentlich nicht so schön.
Normalerweise gilt, pro „Kapitel“ dann nur eine Perspektive, damit der Leser sich drauf einstellen kann. Das absatzweise Wechseln ist eher unüblich.

Ja. Das Problem bei dem Text ist leider, dass vier Perspektiven gewählt werden, um die Stoßrichtung des Mini-Krimis zu verschleiern.

Der Vater von Bianca hat in seinem Gewächshaus irgendein Gift zusammengebraut, die Mutter hat es im Kuchen verarbeitet und Brunner wird wohl zu der Zeit gerade sterben – es kann auch sein, dass sie ihn nur außer Gefecht gesetzt haben, mit irgendeinem Abführmittel, dafür kenn ich mich einfach zu wenig in der Pharmazie aus. Die Recherchearbeit des Autors, was da genau ägyptische Kräuter, deren Öle man extrahiert, anrichten können, möchte ich mir als Leser nicht auch machen müssen.
Ich finde das nimmt der Geschichte viel von der Eleganz. Es ist auch schwierig, hier die Personen wirklich zu sehen, weil der Plot doch ziemlich „gebraucht“ erscheint. Es ist in der Geschichte, finde ich, schon der Wunsch spürbar, sich der Situation „ernst“ zu nähern, die Figuren ernst zu nehmen, dass es ihnen auch schwer fällt, aber ich finde das bleibt in den Ansätzen stecken.
Man hätte sehen müssen, dass die Eltern vorher schon alles probiert haben, um Bianca von Brunner zu lösen. Hätten sie es nicht einfach nur seiner Frau sagen können? Wie sehr leidet Bianca unter dieser Beziehung? Wo ist da der Leidensdruck?
Die Geschichte muss erstaunlich viel verheimlichen, damit sie funktioniert. Man erfährt ja zu Anfang gar nicht, in welchem Verhältnis Brunner zu Frau Schmidt steht, und dadurch ist auch die Spannung da, aber lange hält das nicht, finde ich.
Ich halte ohnehin den „Kurzkrimi“ wirklich mit für das Schwerste, was man überhaupt machen kann, weil man da eigentlich einen innovativen cleveren Plot braucht – ein grüner Fleck auf einer abgegrasten Wiese – und dann braucht man noch eine ordentliche Psychologie der verschiedenen Figuren, damit das läuft. Also Respekt für jeden, der sich so einer Herausforderung stellt. Wenn das gelingt, gehört man sicher einer kleinen Schar von Menschen an, die so was können.


Ich find's gut, dass der Maskenball wieder genutzt wird, auch wenn mir der Text jetzt nicht grade super gefallen konnte.

Ich denke es ist ein älterer Autor, eine ältere Autorin, weil diese Perspektiv-Sachen eigentlich typisch sind für ältere Autoren. Ich würd sagen, jenseits der 50. Eher Mann als Frau. Und ich denke die Maske ist im Krimi-Genre zu Hause. Da kenn ich mich auf der Seite aber nicht genug aus, um da genauer rumzuraten. Die Beschreibung passt ja eigentlich nur auf Asterix, wobei ich da wirklich nie was gelesen hab, glaub ich. Sonst vielleicht: Chris Stone? Keine Ahnung.

 

Hallo Maske,

ich habe den Text gern gelesen. Sogar zweimal. Nach dem ersten Lesen war ich ratlos, obwohl mir bei der Erwähnung des Kuchens etwas dämmerte. Was die Auflösung des Plots so schwierig macht, ist in meinen Augen auch das große Problem des Textes: die undurchschaubaren Perspektivwechsel.

Bianca war pünktlich wie immer. Sie küsste ihre Mutter auf beide Wangen.
„Der Hackbraten wird gleich fertig sein. Papa wird auch reinkommen und mit uns essen.“

Er war um diese Zeit meistens draußen in seinen Gewächshäusern und pflegte exotische Pflanzen, von denen Bianca nicht einmal die Namen kannte. Letzte Woche hatte er aus Ägypten eine Lieferung mit Samen der Rizinusstaude erhalten und selbst eine Ölextraktion durchgeführt, allerdings nur bis zur wässrigen Phase. Bianca war eher ein Zahlenmensch und schon fast zehn Jahre in dieser Steuerberatungskanzlei, wo sie unter anderem eine gewisse Spedition betreute. So hatte es angefangen. Diese Sache. Sieben Jahre ging das nun. Zuerst hieß es, er wollte seine Frau verlassen, wenn die Kinder aus dem Gröbsten raus waren. Wenn der Sohn Abitur hatte. Der studierte jetzt schon im achten Semester BWL und immer noch brauchte er seinen Vater. Die Familie und das Geschäft: Sie fraßen ihn auf! Zwischen seiner Frau und ihm lief längst nichts mehr. Hatte nicht auch ein Mann wie Brunner ein Recht auf Liebe?


Nicht nur der von Quinn monierte Schwenk ist fragwürdig. Auch in dieser Textpassage wird vom Vater plötzlich auf Brunner übergeleitet. Und die Art, in der das geschieht wirft nicht nur die Frage auf, was das eine mit dem anderen zu tun hat. Man kommt als Leser ins Stocken, weil man den Eindruck gewinnt, man hätte etwas missverstanden oder überlesen.

Nun sind diese Rätselkrimis ein Genre für sich. Ich kenne mich da nicht besonders gut aus. Ich meine aber, dass auch die Regel der Klarheit herrschen muss. Undurchschaubare Perspektivwechsel machen die Story zwar rätselhaft, aber – wie ich finde – auf eine nicht ganz seriöse Art und Weise.

Trotz dieser Einschränkungen hat mich der Text gut unterhalten.


Rätselkrimis sind ja Asterix´Domäne, aber da er bei Perspektivwechseln stets wie ein Luchs aufpasst, kommt er nicht in Frage. Ich tippe auf die Goldene Dame, obwohl ich auch Berg kurz im Verdacht hatte, weil er scheinbar Gifte mag.

 

Hallo Maske

Es ist eine hinterhältige Geschichte, die du darlegst, angenehm erzählt, auch wenn mir manche Verhaltensweisen beinah etwas unwahrscheinlich wirkten. Dass Brunner diese alte Dame empfängt und sich von ihr derart dirigieren lässt, entspricht nicht so sehr dem Bild, die ich mir von energischen Speditionsdisponenten mache. Aber ich kenne auch keinen und letztlich haben Menschen manchmal recht überraschende Charakterzüge, die gegebenem beruflichen Durchsetzungsvermögen widersprechen können.

Die Besucherin kam gleich zur Sache: „Eigentlich heiße ich Schmidt.“

Dieser Identitätswechsel kann verschiedene Gründe haben, doch liegt er mir nicht offensichtlich auf der Hand und bis zum Schluss kam ich zu keiner klaren Zuordnung. Vielleicht als Überraschungseffekt, da Biancas Nachname auch Schmidt lauten wird. Dabei ist der doch so alltäglich?

Es artet von der annehmbaren Wirkung her gesehen, wenngleich vorsätzlich körperverletzend, in humorvoller Weise aus. An der Situation grundsätzlich, vermag es wohl aber kaum etwas zu ändern, so weitgehend ist die Reinigung dann doch nicht. Oder doch, täusche ich mich in der harmlosen alten Dame und sie wählte die Radikalkur, verwendete die Samenschalen? Ein Hinweis darauf ist gegeben. Das wäre dann aber nicht mehr Humor, sondern ein fataler Krimi.

Was mich etwas irritierte, ist der Titel. Er klingt so kaltschnäuzig hingeknallt, als wolle es die Leser gleich gegen diesen armen Disponenten einnehmen.

Spontan denke ich da auch an den einen Autor, die Zutaten würden da schon alle stimmen. Aber heute mag ich nicht spekulieren, denn mit solcher Anmassung falle ich meist auf die Nase. Also warte ich ab, bis die venezianische Maske fällt, und ich mir nicht vorwerfen muss, jemand Unschuldigem eine solche Tat in die Schuhe geschoben zu haben.

Sie war mir sehr unterhaltsam zu lesen, diese lockere Geschichte.

Schöne Grüsse

Anakreon

 

Hallo Maskierte(r)

Kein schlechter Text, aber ich hab das Gefühl, du hast zu viel Energie in den Witz mit den Perspektivwechseln gesteckt. Mir wäre es lieber gewesen, du hättest noch den einen oder anderen Aspekt in die Handlung gebracht, vielleicht die Figuren noch ein Stück näher beschrieben - so ist das zwar interessant zu lesen, aber doch mehr als Experiment zu sehen. Wenn man diesen Kniff von der Geschichte wegnimmt, bleibt nicht mehr so viel übrig.

Dabei finde ich das nicht schlecht gemacht. Einzig das gefällt mir nicht:

Hatte nicht auch ein Mann wie Brunner ein Recht auf Liebe?

Ging mir an der Stelle wie Achillus - ich bin da durcheinandergekommen und war dann auch der Meinung, der Abschnitt sei aus Brunners Sicht geschrieben - und das Ende des Absatzes davor

Papa wird auch reinkommen und mit uns essen.

und diese Erwähnung hier

Herr Schmidt in einem ungebügelten Baumwollhemd und mit frisch von Blumenerde gesäuberten Händen blätterte in einem Fotoalbum:

seien nur Ablenkungsmanöver - Hr. Schmidt kann ja auch im Garten gearbeitet haben, aber nicht in einem Gewächshaus. Hab das erst als Spiel mit den Erwartungen des Lesers interpretiert, deshalb auch extra nochmal die Betonung auf "Blumenerde" - na ja, aber wenn man dann das Ende kennt, ist es wohl doch der Herr Schmidt, der da Gift extrahiert hat (eine kurze Recherche zeigt dann auch, wie giftig die Rizinuspflanze ist).
Finde den Absatz dann aber etwas unglücklich, insbesondere diese Erwähnung hier

Die Familie und das Geschäft: Sie fraßen ihn auf! Zwischen seiner Frau und ihm lief längst nichts mehr. Hatte nicht auch ein Mann wie Brunner ein Recht auf Liebe?

was doch sehr nach Brunner klingt - oder hast du hier die Perspektive gar innerhalb eines Absatzes gewechselt?

Ich finde, man darf auch bei solchen Geschichten die eigentliche Geschichte nicht vergessen. Das sind schon interessante Ideen, so nach dem Motto, ich möchte mal eine Geschichte schreiben, in der ich permanent die Perspektive wechsle, entgegen allen Ratschlägen und Konventionen. Das ist gefährlich, kann voll danebengehen, aber wenn es gut gemacht ist, ist es mal erfrischend anders. Ich finde, du machst das mit den Wechseln gut. Ich musste die Geschichte zwar auch mehrmals lesen, aber das ist immerhin ein Zeichen dafür, dass sie mich interessiert hat.

Aber so ein erzählerischer Kniff ist halt nur die halbe Miete. Jetzt geht es noch darum, die Handlung drumherum zu bauen. Da haut mich der Text hier nicht vom Hocker, ich denke da verschenkst du Potential. Ist mir zu dürftig - nicht schlecht jetzt, aber einfach zu simpel. Und man kann dem Text sicher nicht vorwerfen, zu lang zu sein, der ist mit seinen 1000 Wörtern ja wirklich an der unteren Grenze, wo ein solcher Text überhaupt funktionieren kann (immerhin sind da vier Figuren drin!), also warum nicht nochmal dieselbe Menge Text reinpacken? Vielleicht wird das dann schwieriger mit den Wechseln, und vielleicht verlierst du unterwegs den einen oder anderen Leser, aber wenn es dir über 1000 Wörter gelingt, warum nicht auch über 2000?

Also ich fand es interessant, einen solchen Text hier zu lesen - aber wie gesagt, mehr als Experiment denn als fesselnden Krimi.

Grüsse,
Schwups

Ach ja, fast hätte ichs vergessen ...

Der Vollständigkeit halber möchte ich erwähnen, dass ich erst Achillus im Verdacht hatte. Die Sache mit den Perspektivwechseln hat mich erst zu ihm geführt, weil er auch mal eine Geschichte in Krimi hatte, wo bei den Figuren nicht so ganz klar, wer wer ist und das erst am Ende aufgelöst wurde. Diese unterschiedlichen Perspektiven erschienen mir wie eine Fortführung dieses Gedankens. Aber mit seinem Kommentar hat sich das wohl erledigt (auch wenn man hier nie so genau weiss ... ;))

Aber das Gift - tja, da musste ich an Asterix denken, den rasenden Rudi und den Giftfrosch. Ich tippe auch auf ihn.

 

Hi, Maske!

Ich halte das nicht für einen Ratekrimi. Dafür ist die Geschichte aus der falschen Perspektive erzählt, nämlich (zumindest teilweise) aus der des Täters und Mittäters. Und zu raten gibt es auch nix. Bleibt Kurzkrimi. Nur, für einen Kurzkrimi ist die Geschichte zu dünn. Der Leser muss sich ohne Hilfe des Erzählers in eine Situation hineinversetzen, die er gar nicht oder kaum kennt.
Klar ist es blöd, wenn der Liebhaber der Tochter verheiratet ist und nach Jahren nicht daran denkt, die Konstellation zu bereinigen, in welcher Weise auch immer.
Man sagt zwar, für seine Kinder würde man alles tun, aber einen Mord begehen meint man damit bestimmt nicht. Die Frage lautet also, was ist an der Frau Schmidt so besonders und an Biancas Lage so verzweifelt, dass dieser Ausweg gewählt wird. Ich kann mir da nix vorstellen. Die Andeutung, dass die Eltern oft in Italien waren, hilft auch wenig. Das ist für mich kein Auslöser für einen Mord. Es wäre die Aufgabe des Erzählers, mir da auf die Sprünge zu helfen. Mord ist schließlich keine Alltagsbeschäftigung, schon gar nicht für irgendeine Frau Schmidt.
Immerhin wurde zu Rizin recherchiert (oder Erfahrungen gesammelt *grins*).

Gruß

Asterix

 

Und wer diesmal hinter der Maske steckt ... noch heute wird sie fallen :)

 
Zuletzt bearbeitet:

Ich war's!

Hier kommt eine kurze und vorläufige Antwort, weil ich gerade von einer Radtour zurückgekommen und recht platt bin. Die Perspektivenwechsel, die Quinn bemängelt und bei denen Schwups fragt, ob sie ein Kunstgriff sein könnten, sind eine Unart von mir, die ins Kraut schießt, wenn ich nicht aufpasse. Oder eben ein Kennzeichen meiner speziellen Art zu denken. Schon bei anderen Texten kam die Rückmeldung, dass viele Leser das irritierend finden. Ich habe bei der Überarbeitung dieses Textes als erstes die Perspektiven aufgedröselt und mich bemüht, da Ordnung reinzubringen. Die nicht ganz verständliche Motivation, in dieser Situation gleich einen Mord zu begehen, die Asterix bemängelt hat: Das wird auch behoben!

Mehr über Rizin, Giftzubereitung in Heimarbeit und Brunners grausamen Tod, sowie das Innenleben der Figuren kommt in der nächsten Fassung. Dieser Text ist eine gute Gelegenheit, das Überarbeiten zu üben!

Euch allen danke ich einstweilen für Eure Geduld.

Mit freundlichen Grüßen:

Berg


Anstelle des Ursprungs-Textes habe ich den momentanen Stand der Überarbeitung gepostet. Der als "Maskenball" gepostete Text sah so aus:

Das Büro des Geschäftsführers lag im ersten Stock, am Ende des Korridors. An den Wänden hingen Fotos von LKW-Zügen vor exotischen Kulissen. Hinter verschlossenen Türen hektische Stimmen: Ein Transport mit Fliesen aus Cremona auf dem Weg nach Bremen war auf der A7 unterwegs. Brunner hinter seinem Schreibtisch, den Unterarm aufgestützt, den Krawattenknoten gelockert, tat was er konnte, um die Lieferung an den Staus vorbeizubekommen. In der Landkarte an der Wand steckten zwei Dutzend Fähnchen. Ein blaues irgendwo zwischen Hannover und Würzburg. „Lassen Sie sich etwas einfallen, Pawlowski! Das geht sonst in die Hose. Wir müssen Himmel und Hölle in Bewegung setzen, um den Vertrag zu erfüllen! Na also. Ich rufe in einer Stunde wieder an.“

Es klopfte. Der 14-Uhr-Termin kam anscheinend um sieben Minuten zu früh. Brunner legte auf, rieb sich die Handflächen übers Gesicht. „Ja, bitte!“
Die Frau, die sein Büro betrat, mochte etwa siebzig Jahre alt sein. Die Bluse hoch geschlossen, trotz Hitze. Die grauen Haare mit Haarspray gezähmt. Sie trug zu viel Lippenstift. Ihre Augen blickten wachsam. Sie öffnete den Reißverschluss ihrer Handtasche, noch ehe Brunner sie auffordern konnte, sich zu setzen.

„Mein Name ist Wolters. Wir haben gestern telefoniert.“
Sie setzte sich mit einem Seufzer der Erleichterung auf den Besucherstuhl. Aus der Handtasche zog sie eine blaue Tupperbox, entfernte den Deckel. Zwei etwas zerdrückte Stücke Schokoladenkuchen kamen zum Vorschein: „Bei einem guten Stück Kuchen redet es sich besser.“

Brunners neue Kunden brachten bei ihren ersten Besuchen alle möglichen Dinge mit, doch niemals selbst gemachten Kuchen.

Die Besucherin kam gleich zur Sache: „Eigentlich heiße ich Schmidt.“
„Ich schaue mal, ob ich ein paar Teller und Gabeln auftreiben kann und zwei Tassen Kaffee.“
Der Drehsessel machte ein ploppendes Geräusch, als Brunner aufsprang und überraschend behende in den Nebenraum ging, wo er eine Kanne Filterkaffee aufsetzte. Er kam mit ein paar Papptellern und großen Gabeln zurück: „Ich esse selten im Büro.“

Die alte Dame musterte ihn mit einem Blick, als würde sie einen Gebrauchtwagen inspizieren. Die Glatze und dieser Haarkranz. Die runden Augen. Das ganze Gesicht hatte etwas Joviales und Kindliches. Der Körper war massig, aber beweglich, die Hautfarbe gebräunt. Es war lange her, dass sie Männer auf diese Weise betrachtet hatte. Sie wusste Dinge über Brunner, die ihr nicht gefielen.

„Was wollen Sie von mir?“
Sie schaute ihm direkt ins Gesicht. Mit hellblauen Augen. Sie legte den Kopf etwas schief. Sie sagte: „Bianca hat mir gestern erzählt, dass Sie das Wochenende in Venedig verbringen werden.“
Brunner nickte. Der Peinlichkeit der Situation zum Trotz atmete er leichter und genoss einen Moment Vorfreude. Er erfasste die Knopfleiste seines Hemds mit spitzen Fingern, schüttelte sie zur Kühlung.
Die Frau sagte: „Anscheinend ist das Ihre Antwort auf die Frage, die sie Ihnen gestellt hat. Ich bin heute gekommen, um Ihnen diese Frage noch einmal zu stellen.“
„Hören Sie … Sie denken, dass Sie im Recht sind und moralisch über mir stehen. Sie kommen hierher und wollen mir eine Standpauke halten.“
„Nein. Ich weiß genau, dass mein Wunsch an Sie der geltenden Moral widerspricht. Ich verstehe Sie sogar in gewisser Weise. Ich möchte nur, dass Sie auch meinen Standpunkt zur Kenntnis nehmen.“

Er sah sie überrascht an.
„Sie haben Kinder. Sie wissen sicher, was Eltern sich für ihre Kinder wünschen.“
„Ja, das ist mir klar. Nur leider bin ich bei dieser Sache in einer ganz anderen Position und das Ende des Ganzen wäre schlimm. Nicht nur für mich.“
„Das dachte ich mir schon.“

Sie einigten sich darauf, erst einmal den Kuchen zu essen. Der Kern aus Schokolade war beinahe flüssig. Brunner machte laut „Mmmmm!“ Ein ganz hervorragender Schokoladenkuchen! Er sagte: „Es freut mich, dass wir trotz allem wie vernünftige Menschen reden können.“
„Wir sind uns ähnlich, Herr Brunner. Leider.“

Das Telefon läutete. Brunner murmelte in den Hörer: „Bin gerade in einer Besprechung. Rufe in einer Viertelstunde zurück.“
Er sagte zu Frau Schmidt: „Auf den Autobahnen ist gerade die Hölle los. Urlaubsverkehr in vollem Gange!“
Trotzdem hatte er sein Stück schon aufgegessen, als sich seine Besucherin noch immer mit gezierten Bewegungen kleine Stücke in den Mund schob. Nachher tupfte sie sich die Lippen mit einem Papiertaschentuch ab. Der Kaffee stand unberührt vor ihr.
„Ich bin froh, dass sie mich besucht haben! Obwohl ich Sie enttäuschen musste.“

*

Bianca war pünktlich wie immer. Sie küsste ihre Mutter auf beide Wangen.
„Der Hackbraten wird gleich fertig sein. Papa wird auch reinkommen und mit uns essen.“

Er war um diese Zeit meistens draußen in seinen Gewächshäusern und pflegte exotische Pflanzen, von denen Bianca nicht einmal die Namen kannte. Letzte Woche hatte er aus Ägypten eine Lieferung mit Samen der Rizinusstaude erhalten und selbst eine Ölextraktion durchgeführt, allerdings nur bis zur wässrigen Phase. Bianca war eher ein Zahlenmensch und schon fast zehn Jahre in dieser Steuerberatungskanzlei, wo sie unter anderem eine gewisse Spedition betreute. So hatte es angefangen. Diese Sache. Sieben Jahre ging das nun. Zuerst hieß es, er wollte seine Frau verlassen, wenn die Kinder aus dem Gröbsten raus waren. Wenn der Sohn Abitur hatte. Der studierte jetzt schon im achten Semester BWL und immer noch brauchte er seinen Vater. Die Familie und das Geschäft: Sie fraßen ihn auf! Zwischen seiner Frau und ihm lief längst nichts mehr. Hatte nicht auch ein Mann wie Brunner ein Recht auf Liebe?

Frau Schmidt fragte: „Wie geht es dir?“
„Sehr gut! Übermorgen fliegen wir nach Venedig. Ich kann dir ein paar von diesen bemalten Masken mitbringen, wenn du willst.“

Normalerweise zogen sie es beide vor, das Thema zu vermeiden. Bei Tisch sprachen sie über Urlaubsfotos und Digitalkameras. Herr Schmidt in einem ungebügelten Baumwollhemd und mit frisch von Blumenerde gesäuberten Händen blätterte in einem Fotoalbum: „Weißt du noch, wie wir immer nach Italien gefahren sind und du mich die ganze Zeit gefragt hast: Wann sind wir endlich da?“
Jetzt saß sie vor ihm, seine Tochter. Vierzig Jahre alt. Sah aus wie fünfunddreißig.

Sie würde enttäuscht sein, wenn Brunners Sekretärin ihr Bescheid sagen würde, dass aus der Reise nichts wurde. Vielleicht schon heute, spätestens morgen.

Als sie gegangen war, legte Schmidt die Hand auf die Schulter seiner Frau: „Mach dir keine Sorgen! Ich glaube, wir haben das Richtige getan.“

 

Hallo Berg,

ich habe nur deine neue Geschichtenversion des "Brunner" gelesen, zur alten kann ich daher nichts sagen.

Ich bin nicht so sehr begeistert davon, möchte dir aber bescheinigen, dass du die Geschichte sauber schörkellos runtergeschrieben hast und man sie gut lesen konnte.

Was mich ernüchtert hat, war der Plot. Du hast zwar fraglos keinerlei Plotfehler gemacht, alles ist stimmig und logisch.
Aber es fehlte mir entweder ein innovativer Plot oder aber eine spannendere Umsetzung eines schon oft dagewesenen Themas oder aber beides idealerweise zusammen.

Das Ganze wirkt somit auf mich bieder und das finde ich schade, denn schreiben kannst du.

Lieben Gruß

lakita

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Berg

Ich habe die neue Version gelesen, mit der Ersten in der Erinnerung abschätzend. Aus meiner Sicht hat die Kürzung zu Beginn sowie das Glätten an einigen Stellen der Geschichte gut getan. Die Erweiterung brachte alsdann Eindeutigkeit des Geschehens, aber, es nahm ihr auch Spannung weg. Wenn sich das Giftmischen am Schluss retrospektiv aufdeckte, der Leser aufgrund falscher Indizien in die Irre geführt würde, könnte es möglicherweise diesen Aspekt effektvoll erhöhen.

Bianca konnte so traurig sein, wenn er nicht anrief: schlaff, mit lustlosem Gesichtsausdruck, blass und leblos. Ihre Tochter, wie sie sich panisch weigerte, das Handy abzuschalten, weil Brunner sich ja doch noch melden konnte. Und ihre Tochter, die fröhlich plauderte, weil Brunner sie zu einer Reise nach Venedig eingeladen hatte.

Hier reimt sich mir der Satzanfang nicht im gegebenen Zusammenhang, es fehlt mir ein Übergang wie etwa: Sie erlebte, wie ihre Tochter sich panisch … Und das weil Brunner, bedingte m. E. ein könnte.

„Ich verstehe Sie, Herr Brunner. Ich habe ja selber eine Tochter.“

Da setzte mein Verständnis aus, dass Frau Schmidt dies sagte. Ohne diesen Satz würde mir der Dialog an dieser Stelle plausibler klingen.

Auch wenn ich mir wieder etwas mehr Hinterhältigkeit für den Leser wünschte, habe ich die neue Version mit Interesse gelesen. Aber es gibt ja das Sprichwort: „Aller guten Dinge sind drei“, so warte ich gespannt auf die definitive Version. :D

Schöne Grüsse

Anakreon

 

Hallo Berg!

Um sieben Minuten vor 14 Uhr klopfte es zaghaft an seine(r) (Büro-) Tür. Er (Brunner) rieb sich die Handflächen übers Gesicht. „Ja, bitte!“
So wär ich sofort in der Geschichte drin. Die präzise Zeitangabe und dieses „zaghafte“ Klopfen machen neugierig.
Der derzeitige erste Absatz beginnt mit zwei Phrasen. Naja, du kennst ja meine Einstellung.

Dennoch, diese zweite Version gefällt mir wesentlich besser. Ein solide gestrickter Kurzkrimi. Das muss man erst mal hinkriegen!

Es lief auf eine einfache arithmetische Operation hinaus: Addition oder Subtraktion!
Also, erst mal Gratulation zu dieser eiskalten Ansicht. Der Herr Schmidt gefällt mir. Und überhaupt, Figuren, Motiv, Handlung, alles hat sich in dieser Version wirklich verbessert.

Die Spannung, nun, das ist schwierig bei diesem Plot. Schon in der ersten Version war zumindest die Frage spannend – jedoch nur für Leser, die sich mit der Wirkung von Rizin auskennen –, ob Brunner den Giftanschlag überlebt. In dem Fall hätten die alten Schmidts schlechte Karten.
Ich glaube, mehr an Spannung ist da nicht rauszuholen. Aber du darfst mich gerne überraschen. ;)

Lieben Gruß

Asterix

 

Karl Kraus hat mal behauptet, das dereinst ein großes Durcheinander im Deutschtum zwischen Kyffhäuser und Kaufhäusern entstände – ich bin aber hier eher i. S. Lichtenbergs, dass einer Agamemnon statt angenommen läse, hier hereingestolpert, nur dass ich im Eingangszitat die Argonauten zu erkennen meinte ...

Er genoss es, im kleinen Rahmen in den Kreislauf des Lebens einzugreifen
Ist das nicht der bescheidene Wunsch eines jeden & insoweit allgemeingültig,

lieber Fritz?,

aber genau die richtige Geschichte zur Urlaubszeit, wenn Autoimmobilien dem freien Bürger im Wege und somit quasi vorwärtsgestanden werden. Ansonsten kann ich mich der Vorrede anschließen (bis zur Aussage bzgl. des Vorläufers)

Zwei Kommas wären nachzutragen (ohne, dass ich nachtragend wäre):

Brunner mit seinen 60-Stunden-Wochen, der nie anrief[,] aber zur richtigen Zeit Blumen schickte.
Die Frau hatte langes[,] gelocktes Haar und …

… und bei Tisch zogen sie es vor, das Thema Brunner zu großräumig zu vermeiden.
Die befürchtete Umleitung zur Urlaubszeit? Nein: Ein ZUviel - oder lieben die Schmidts Umwege?

Sie hatten bei Gesprächen am Küchentisch alles durchgespielt, was Brunner sagen konnte.
Wenn die Wortschätze Schmidt / Brunner vergleichbar umfangreich und bekannt sind, mag’s so sein. Sicherer erscheint mir fürs können der Konjunktiv …

Brunner stand auf, um zu Kotzen.
Nun, Brunner mag ein Großkotz sein, aber so viel kann selbst er nicht kotzen, dass die Infinitvgruppe der Substantivierung bedürfte … oder aber es hieße
... stand auf zum Kotzen oder ... stand zum Kotzen auf.

Gruß vom & schönes Wochenende wünscht der andere

Fritz

Da fällt mir doch eine böse Anfrage ein: Wirkt das Mittel auch gegen Brunner & Brunner?, selbst wenn die heute Amidos sich nennen ...

 

Hallo Berg,

ich hätte ja gern schon früher was geschrieben, aber, als Deine Geschichte rein kam, stand ich praktisch mit gepackten Sachen im Flur und in der letzten Ferienwohnung hatte ich ein derartiges Wackel-Internet und auch nur auf dem Boden sitzend im Flur, also, das war mir zu nervig :).

Aber nun! Vorab muss ich sagen, dass ich in der letzten Woche ein Sammlung Kurzkrimis gelesen habe und bei jeder Geschichte dachte, ja nett, aber bei KG.de wären sie durchgefallen. Weil sie eben kurz waren und von daher viel auf der Strecke bleiben muss, was wir so mögen - starke Charakterisierung, Empathie für die Figuren, Motive umfassend dargelegt etc. Was mich allerdings verwundert hatte, alle waren aus Tätersicht geschrieben. Und als ich so drüber nachdachte, hab ich mir überlegt, ja, da kann man auch kürzer, als wenn man ermittelt :).
Mit dieser Erfahrung im Hinterkopf und noch ein wenig darauf eingestellt, fand ich Deine Geschichte recht gelungen. Zwei Dinge möchte ich jedoch anmerken.

Ich weiß nicht, ob Du Dir mit den zwei Perspektiven wirklich einen Gefallen machst, weil ich die Perspektive von Brunner für vollkommen überflüssig halte. Sie bringt nichts Neues. Wenn es da Differenzen gäbe, zwischen den Eltern und Brunner in der Einschätzung der Situation, dann wäre sie sicher berechtigt, aber so - weiß nicht. Für beide Parteien legt sich die gleiche Ausgangsbasis dar, Brunner wird sich von der Frau nicht trennen und er ist nicht scharf auf ein weiteres Kind.

Der zweite Punkt, den ich anmerken möchte, es fehlt ein Umkehrpunkt, ein überraschendes Moment oder so. Alles läuft von A nach B und zwar geradewegs und ab einer Stelle im Text, weiß ich, wie der Hase läuft und er schlägt keinen Harken mehr. Wenn die Geschichte einen solchen Moment hätte, wäre sicher noch einiges rauszuholen. Allerdings fällt mir gerade auch nichts Gescheites ein, wie dieser aussehen könnte. Vielleicht in der Art, als der Vater eigentlich den Tod der Frau von Brunner bewirken wollte. Der Vater also immer von der Frau ausgeht und Muttern von Brunner. Also nicht, dass die Geschichte jetzt unbedingt umgeschrieben werden muss, gar nicht, nur mal so als Gedanken für weitere Geschichten dieser Art.

Also auf Brunner verzichten, dafür mehr die Umtüttelung des Muttertiers ins Zentrum setzen, sie muss ein solches sein, wenn sie am Ende zu dieser Tat fähig ist. Also, ich würde gar nicht mehr von der Mutter charakterisieren, als diesen Punkt.

Schön fand ich den Charakterstrich - Brunner lag immer unten :) - damit ist eigentlich alles über den Mann gesagt. Sehr cool.

Also, ich hab die Geschichte gut lesen können, ich finde das Motiv hübsch und ich zolle auf jeden Fall Respekt, einen "vollständigen" Kurzkrimi auf diesen Zeilenraum zu schreiben.

Beste Grüße, Fliege

 

Werte Kommentatoren,

als Übung fürs Umschreiben werde ich vielleicht durch diesen Text mehr lernen als durch andere Geschichten, in denen von Anfang an wenigstens ein Funken Genialität steckte. Danke für Eure Meinungen! Im einzelnen:

@lakita:

Was mich ernüchtert hat, war der Plot. Du hast zwar fraglos keinerlei Plotfehler gemacht, alles ist stimmig und logisch.
Aber es fehlte mir entweder ein innovativer Plot oder aber eine spannendere Umsetzung eines schon oft dagewesenen Themas oder aber beides idealerweise zusammen.

Das Ganze wirkt somit auf mich bieder und das finde ich schade, denn schreiben kannst du.

In der neuen Version gibt es ein wenigstens ansatzweise ungewöhnliches Element. Siehe Zitat am Anfang. Was eine mögliche Überraschung in der Geschichte betrifft, warte ich noch auf Inspiration.

@Anakreon:

Ich habe die neue Version gelesen, mit der Ersten in der Erinnerung abschätzend. Aus meiner Sicht hat die Kürzung zu Beginn sowie das Glätten an einigen Stellen der Geschichte gut getan. Die Erweiterung brachte alsdann Eindeutigkeit des Geschehens, aber, es nahm ihr auch Spannung weg. Wenn sich das Giftmischen am Schluss retrospektiv aufdeckte, der Leser aufgrund falscher Indizien in die Irre geführt würde, könnte es möglicherweise diesen Aspekt effektvoll erhöhen.
Den Leser wenigstens zeitweise in die Irre führen: Das könnte tatsächlich möglich sein. Brunner könnte den Dialog mit Frau Schmidt gewinnen und sich nachher fragen, ob er nicht zu gemein zu ihr war.
Auch wenn ich mir wieder etwas mehr Hinterhältigkeit für den Leser wünschte, habe ich die neue Version mit Interesse gelesen. Aber es gibt ja das Sprichwort: „Aller guten Dinge sind drei“, so warte ich gespannt auf die definitive Version.
Die neue Version ist sicher auch noch weit weg von Perfektion. Worin die Hinterhältigkeit meiner Meinung nach besteht, steht im letzten Absatz.

@Asterix:

[…]diese zweite Version gefällt mir wesentlich besser. Ein solide gestrickter Kurzkrimi. Das muss man erst mal hinkriegen!
Das klingt ein bisschen so, als würdest du die sportlichen Aktivitäten eines Auf-dem-Sofa-Herumsitzers loben. 
Die Spannung, nun, das ist schwierig bei diesem Plot. Schon in der ersten Version war zumindest die Frage spannend – jedoch nur für Leser, die sich mit der Wirkung von Rizin auskennen –, ob Brunner den Giftanschlag überlebt. In dem Fall hätten die alten Schmidts schlechte Karten.
Ich glaube, mehr an Spannung ist da nicht rauszuholen. Aber du darfst mich gerne überraschen.
Das spannende Element sollte eher sein, ob erstens jemand den Mord bemerkt und sich zweitens dafür interessiert. Und zwar mehr als für andere Dinge, die sonst noch auf dem Tagesplan stehen.

@Friedrichard:

Karl Kraus hat mal behauptet, das dereinst ein großes Durcheinander im Deutschtum zwischen Kyffhäuser und Kaufhäusern entstände […]
Ich bin eher mit dem Werk von Peter Kraus vertraut und auch das nur durch Besuche meiner Mutter, die eine begeisterte Radiohörerin ist.
Ansonsten kann ich mich der Vorrede anschließen (bis zur Aussage bzgl. des Vorläufers)
Vielen Dank für dein immerwährendes Wohlwollen. ;)
Da fällt mir doch eine böse Anfrage ein: Wirkt das Mittel auch gegen Brunner & Brunner?, selbst wenn die heute Amidos sich nennen ...
Falls du schlechte Musiker oder Literaten ermorden willst, darfst du nicht auf meine Hilfe hoffen. *heuchel*

@Fliege:

Ich weiß nicht, ob Du Dir mit den zwei Perspektiven wirklich einen Gefallen machst, weil ich die Perspektive von Brunner für vollkommen überflüssig halte. Sie bringt nichts Neues. Wenn es da Differenzen gäbe, zwischen den Eltern und Brunner in der Einschätzung der Situation, dann wäre sie sicher berechtigt, aber so - weiß nicht. Für beide Parteien legt sich die gleiche Ausgangsbasis dar, Brunner wird sich von der Frau nicht trennen und er ist nicht scharf auf ein weiteres Kind.
Der erste Teil, der vormals in Brunners Perspektive stand, ist jetzt aus der Sicht von Frau Schmidt erzählt.
Der zweite Punkt, den ich anmerken möchte, es fehlt ein Umkehrpunkt, ein überraschendes Moment oder so. Alles läuft von A nach B und zwar geradewegs und ab einer Stelle im Text, weiß ich, wie der Hase läuft und er schlägt keinen Haken mehr.
Ein wahres Wort!
Schön fand ich den Charakterstrich - Brunner lag immer unten - damit ist eigentlich alles über den Mann gesagt. Sehr cool.
Nur weil er immer unten liegt, muss er kein schlechter Mensch sein. ;)

Euch allen freundliche Grüße und vielen Dank,

Berg

 

Nur weil er immer unten liegt, muss er kein schlechter Mensch sein. ;)

Nein, das nicht. Aber er ist eben passiv. Wie man ihn auch in der Situation im allgemeinen erlebt. Er tut nichts. Es ist an der Mutter oder auch der Tochter oder seiner Ehefrau oder sonst wem die Situation zu klären. Wie es auch an denen ist, die Geschichte zu erzählen und am Laufen zu halten ;).

 

Hallo Berg,

ich habe mir einst selbst das Versprechen gegeben, alle Maskenball-Geschichten

a. zu lesen
b. zu kommentieren

Deine habe ich während der Maskenballphase leider nur zur Kenntnis nehmen können. Das Lesen konnte ich erst zum heutigen Zeitpunkt umsetzen. Vielleicht ist das auch nicht das Schlechteste, weil man als Nachzügler immer (oder fast immer?) in den Genuss überarbeiteter Werke kommt, die in der Regel an Qualität noch gewonnen haben.

Dein "Krimi" hat mit sehr gut gefallen. Er baut sich aus sehr viel Alltag auf und leistet sich auch den Luxus angenehm alltäglicher Figuren. Er verzichtet auf übliche und überstrapazierte Handlungsmuster, klassische Motive und typische Täter-Opfer-Situationen. Der kriminalistische Aspekt der Geschichte ist zwar in Sichtweite (immerhin geht es um Mord!), aber dir sind vor allen Dingen die Figuren wichtig und die Vernetzung ihrer Schicksale. Du machst daraus eine ruhige, interessante, unaufgeregte und unterhaltsame Story und schaffst es, mich als Leser auf die Seite der Täter zu ziehen, ihnen ein bisschen die Daumen zu drücken, das alles gut verläuft, und dieser nicht allzu sympathische Brunner von der Bildfläche verschwindet. Er ist der Störenfried in der KG und das auf eine unerträglich selbstgefällige Weise. Es wird allen besser gehen, wenn Brunner nicht mehr da ist, das wird mir auch als Leser klar.

Vorübergehend hatte ich den Verdacht, es könnten zwei unterschiedliche Parteien Gift in Brunners Körper pumpen: Die Eltern von Bianca und die betrogene Ehefrau. Dann bekäme der Begriff "Doppelmord" eine ganz neue Bedeutung.

Ich habe keine anderen Kommentare gelesen, kann mir aber vorstellen, dass der Eine oder die Andere vielleicht einen klassischen Spannungsbogen vermisst haben könnte. Ich habe den nicht vermisst. Deine Story lebt eigentlich von anderen Stärken. Und das ziemlich gut.

Natürlich hätte ich, wenn ich den Text während der Maskenballphase gelesen hätte, sofort erkannt, dass er von dir ist ;-)

Tja, ich glaube, diese tolle Rubrik fordert von uns allen immer das Letzte! Möge sie uns noch viele gute Storys bescheren!

Rick

 

Hallo Berg,

ganz schönes Gewusel am Anfang. Und alles eng verknüpft. Da gibt es: Frau Wolters (mit Namen Schmidt), deren Tochter Bianca, die Brunner versteht (und liebt), dessen Frau, die ihn nicht versteht (und nicht liebt?), dessen beide Kinder, die dabei stehen oder daneben, während er vor einer Scheidung steht (oder auch nicht) ... und das alles in 19 Zeilen gequetscht. Verdichten kannst du gut! Auch wenn sich so ein Überdrucktext nicht gerade einfach liest.

Gut, weiter: Diese Frau geht jetzt also zu diesem Brunner, und ein ganzer Rattenschwanz an Problemen und Gedanken, die um diese Frau kreisen, geht mit ihr. Mir hat Brunner sofort gefallen, ich mag diese glatzköpfigen Beamtentypen, wenn auch nur in Geschichten. Unsympathisch, flanellhemdig, rechthaberisch, halsstarrig ... bessere Charaktere kann man sich nicht wünschen.

Brunner sagte mit vollem Mund: „Trotz allem bin ich froh, Sie einmal kennen zu lernen.“
Frau Schmidt lächelte traurig: „Essen Sie Ihren Kuchen, Herr Brunner!“
Hehe, großartig!

Ich habe vor dem Lesen nicht auf die Rubrik geschaut, deshalb war ich über diese Wendung hin zu einer Mordgeschichte so überrascht wie erfreut. Ich finde es gut, dass die Rubriken jetzt so versteckt sind, das macht die Texte überraschender, interessanter. Ah, jetzt sehe ich gerade, dass es ursprünglich sogar ein Maskenballtext war.

Ich habe in einem Artikel in der Süddeutschen gelesen, dass jedes Jahr in Deutschland bis zu 2.400 unentdeckte Morde passieren. Da ist sicher Raum für einen mehr.“

Köstlich, ich mag den Humor.

Damit trat das soziale System rund um Brunner in einen Zustand ein, der alle verbliebenen Akteure mit einem Minimum an Aufwand belastete.
Hatte mir ein heftigeres Ende erwartet, aber laut lachen musste ich trotzdem.

Interessante Charaktere, schöne Wendungen, trockener Humor. Hat mir sehr gefallen!

Viele Grüße
Blaine

 

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