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Das Waldschloss

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15.10.2009
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Das Waldschloss

Das Waldschloss

Anna-Lena war müde. Sehr müde. Sie hatte – wie immer – die Zeit aus den Augen verloren. Der Nachmittag war verflogen, und nun merkte sie am Anflug des Hungers, dass es höchste Zeit war, nach Hause zu laufen. Lydia war bereits vor einer Stunde nach Hause gegangen; Sandra war heute gar nicht erst erschienen. Ob sie wohl wieder viel Hausarbeit aufgebrummt bekommen hatte? Ihre Eltern waren sehr großzügig, aber auch ein wenig streng. Wenn sie bei Sandra Hausaufgaben machten, bekamen sie immer ein Stück Obsttorte oder zumindest Kuchen oder Kekse. Und Anna-Lena liebte Süßigkeiten. Ihre Eltern machten sich sogar ein wenig Sorgen. Man könne dick werden, wenn man zuviel davon ist, sagten sie. Wie soll man von ein bisschen Torte dick werden? fragte sich Anna-Lena. Sie lächelte und gab Acht, nicht vom Weg abzukommen, denn das konnte sie auf einen Umweg führen und ihr mitunter ganz schön viel Zeit kosten.

Nicht dass sich Anna-Lena gefürchtet hätte; schließlich kannte sie den Stadtwald gut! Als Pfadfinderin wusste sie, wie man sich orientiert, wenn man sich verlaufen hatte. Dazu hatte sie aber heute keine Lust mehr. Ihre Eltern sahen es nicht gerne, wenn sie erst bei Dämmerungsanbruch nach Hause kam und man schon die ersten Sterne am Horizont erblicken konnte. Außerdem wollte sie ihre Eltern heute nicht schon wieder verärgern, hatte sie gestern doch zum wiederholten Male ihr Mathe-Buch in der Schule vergessen und konnte ihre Hausübung daher nicht erledigen. Zelda war damit gestrichen, dabei war sie kurz vor dem siebenten Schloss! Aber Anna-Lena hatte ein schlechtes Gewissen und empfand die Strafe daher als richtig.

Da vorne musste sie links abbiegen; rechts plätscherte munter ein Bächlein zwischen den Fichten und Föhren. Das Wasser war eiskalt, schmeckte aber erfrischend. Sie musste Acht geben, nicht über das Wurzelwerk zu stolpern; schon eine kleine Verletzung konnte im Wald große Unannehmlichkeiten mit sich bringen. Man brauchte mitunter viel länger, wieder nach Hause zu kommen. Als sie an der Weggabelung ankam, stellte sie überrascht fest, dass die linke Abzweigung etwas bergauf ging. Das hatte sie so nicht in Erinnerung, aber sie machte sich nichts draus; es gab hier im Wald viele Abzweigungen; vielleicht verwechselte sie ja eine mit der anderen. Noch war es Nachmittag; die Dämmerung war noch nicht hereingebrochen. Sie kam an einer größeren Krippe vorbei, die die Tiere völlig leergefressen hatten. Anna-Lena hatte noch einen Fußmarsch von etwa zehn Minuten vor sich, bevor die ersten Häuser auftauchten.

Nach ein paar hundert Metern spürte sie wieder das Stechen in der Brust. Die Medikamente lagen zu Hause auf dem Wohnzimmertisch. Sie musste sie immer um dieselbe Zeit einnehmen, kurz vor dem Zubettgehen. Danach spürte sie das Stechen nicht mehr. Ihre Eltern waren besorgt über ihre Krankheit, das merkte sie ganz genau. Sie merkte aber auch, dass ihre Eltern etwas vor ihr verbargen. Das war nichts Außergewöhnliches; Anna-Lena war die seltsame Heimlichtuerei ihrer Eltern schon gewöhnt. Die Welt der Eltern war eine Mischung aus Langeweile und Aufregendem; das Aufregende verbargen sie vor ihr, am Langweiligen durfte sie immer teilhaben. Und am Abwasch. Oh, sie hasste es, den Abwasch ganz alleine erledigen zu müssen. Ihr Bruder Samuel musste fast nie abwaschen. Er war einige Jahre älter als Anna-Lena und hatte immer furchtbar viel zu tun. »Studieren« nannte er es. Dabei saß er in seinem Zimmer und sah sich Zeitschriften an oder surfte im Internet. Anna-Lena wollte später auch einmal »studieren«.

Einmal, als ihre Eltern sich unbeobachtet geglaubt hatten, hatte sie durch den Spalt in der Wohnzimmertür geblickt und gesehen, wie ihr Vater den Kopf ihrer Mutter an die Schulter gelehnt hatte. Ihre Mutter hatte sehr heftig geweint. Anna-Lena hatte die Wohnzimmertüre geöffnet und war zögernd auf die beiden zugegangen. Da hatte Mutter ihr Gesicht in ein Taschentuch vergraben und ihr Schluchzen darin erstickt. Sie hatte sich geschneuzt und versucht, ein Lächeln in ihr Gesicht zu zaubern, aber das war ihr nicht geglückt. Die Tränen hatten ihr Gesicht ganz rot gefärbt, und ihre Augen hatten gar nicht gelächelt. Was denn los sei? hatte sie gefragt. Ihre Eltern hatten den Kopf geschüttelt und sie in den Arm genommen. Komm nun essen, hatten sie gesagt und waren in die Küche gegangen. Wieder so ein Stück Erwachsenenwelt, an der sie nicht teilnehmen durfte. Sie wusste nur: Es musste etwas Ernstes sein, und es hatte offenbar mit ihr zu tun. Vielleicht mit ihrer Krankheit? Ja, sie war krank, aber sie hatte sich schon daran gewöhnt. Abends gab es Tabletten, und einmal in der Woche musste sie ins Krankenhaus, zur Untersuchung.

Jetzt war es merklich dunkler geworden, und Anna-Lena fragte sich, ob sie sich nicht doch verlaufen hatte? Der Waldboden war vermost; es gab jetzt viel mehr Eichen als vorhin. Diesen Weg kannte sie nicht. Mist, dachte sie, wieso ausgerechnet heute? Angestrengt versuchte sie, durch die Bäume vor ihr zu blicken, um etwas Bekanntes zu entdecken. Am Wegrand hatten die Jäger Krippen und Heuraufen für das Wild aufgestellt. Rundherum lag Mais am Boden. Die Tiere fraßen offenbar sehr unordentlich und ließen die Hälfte auf den Boden fallen. Nach weiteren hundert Metern öffnete sich der Wald, und sie betrat eine Lichtung. Hier war sie noch nie gewesen. Der Stadtwald war nicht besonders groß; verlaufen konnte man sich darin eigentlich nicht, und schon gar nicht als Pfadfinderin! Doch Anna-Lena wusste selbst, dass sie es sich eingestehen musste: Sie hatte sich tatsächlich verlaufen. Der Weg war einigermaßen befestigt; eine Forststraße; man konnte Reifenspuren erkennen. Auf der Lichtung jedoch verlief sich die Straße und wich niedrigem, aber dicht bewachsenem Boden. Als Anna-Lena gen Himmel blickte, konnte sie den Abendstern sehen. Das war der allerletzte Zeitpunkt, an dem sie hätte zu Hause sein sollen, das wusste sie. Nie nach dem Erscheinen des Abendsterns, hatten ihr ihre Eltern eingeschärft. Es würde Schelte geben – und eine Strafe dazu. Aber Anna-Lena hatte jetzt andere Sorgen.

Sie hatte die Lichtung halb überschritten, da bemerkte sie ihn. In einen langen grauen Mantel gehüllt, stand er neben einem Baumstamm und aß Nüsse.

»Guten Abend, kleines Fräulein!« grüßte er sie.

»Guten Abend!«, gab sie zurück. Erst jetzt merkte sie, wie still es geworden war, beinahe andächtig. Es zwitscherten keine Vögel mehr, aber das war zu verstehen – es wurde schließlich langsam Abend.

Seltsam, dachte sie sich, ich fürchte mich gar nicht vor dem fremden Mann. Und als hätte der Fremde das gehört, fragte er sie: »Darf ich dich ein Stück begleiten?« Anna-Lena erinnerte sich ganz genau, dass ihre Eltern ihr streng verboten hatten, mit Fremden zu sprechen, ganz davon zu schweigen, mit ihnen zu gehen. Aber die Stimme des Fremden war so vertrauenserweckend, sein Lächeln so warm, dass sie spürte: Dieser Mann wird mir nichts tun.

»Gerne!«, antwortete sie ihm. »Ich glaube, ich habe mich verlaufen«, fügte sie hinzu. Der Fremde lächelte wieder. »Das ist kein Grund zur Panik«, beruhigte er sie. Als die Waldlichtung zu Ende war und es langsam dunkler wurde, sagte der Fremde:

»Du musst dich nicht fürchten, Kleines. Wir haben noch ein kleines Stück vor uns, aber noch bevor es dunkel geworden ist, haben wir den Waldrand erreicht. Weißt du, auch ich habe Kinder, und die warten schon auf mich. Ich wohne in einem Schloss. Du weißt doch, was ein Schloss ist, nicht wahr?«
»Klar weiß ich das!«, gab Anna-Lena zurück. »Hat dein Schloss auch Türmchen?«

»Aber ja, sehr viele sogar!«, antwortete der Fremde.

Anna-Lena hustete. Sie spürte, dass sie langsam ihre Medizin einnehmen sollte, sonst passierte es wieder wie vor einigen Wochen, als sie ihre Medizin verloren hatte und die Schmerzen so unerträglich wurden, dass die Rettung hatte kommen müssen. Der Arzt hatte ihr eine Spritze gegeben, danach waren die Schmerzen erträglich geworden.

»Wie viele Kinder hast du denn?«, fragte Anna-Lena zaghaft.

»Oh«, erwiderte der Fremde, »es sind sehr viele. Sie spielen den ganzen Tag. Und sie streiten sich nie. Jedes Kind hat ein eigenes Zimmer, aber die Zimmer liegen sehr eng beieinander, und die Kinder dürfen einander besuchen, wann immer sie wollen. Wenn man das Schloss betritt, bekommt man neue Kleider: Jungen bekommen einen Waldanzug, Mädchen ein wunderschönes Kleid. Du musst nämlich wissen, dass in meinem Schloss nur Kinder wohnen.«

»Das muss aber ein sehr schönes Schloss sein! Ich habe noch nie davon gehört. Gibt es dort auch ein richtiges Verlies?« wollte Anna-Lena wissen.
Der Fremde lachte: »Nein, ein Verlies gibt es dort nicht. Aber wir haben einen riesigen Empfangssaal; in einem hohen Kamin brennt ein großes, warmes Feuer.«

»Ist es weit weg, dein Schloss?«, fragte Anna-Lena weiter.

»Nein. Schon bei der nächsten Waldlichtung wirst du es sehen.«

Jetzt wurde Anna-Lena noch neugieriger. Sie hatte noch nie gehört, dass sich im Stadtwald ein Schloss befinden soll. Aber sie merkte auch, dass sie dem Fremden unbedingt vertrauen konnte. Der Mann strahlte etwas Warmes, Freundliches aus. Anna-Lena hätte nicht angeben können, was das war.
»Ich würde das Schloss wirklich gerne sehen!«, sagte sie.

»Das wirst du, mein Kleines, das wirst du!«

Anna-Lena blickte nach oben. Es waren jetzt viel mehr Sterne sichtbar, und auch der Mond war langsam über den Wipfeln der Bäume hervorgekrochen. In der Gegenwart des Fremden hatte Anna-Lena überhaupt keine Angst. Sie merkte schwach, dass sie sich Sorgen machte, was ihre Eltern wohl sagen würden, aber sie verscheuchte den Gedanken schnell wieder.

Vor ihnen weitete sich der Weg. Die Bäume gingen auseinander und sie kamen auf eine luftige Waldlichtung. Erschrocken brachen zwei Rehe durchs Unterholz und liefen in den Wald. Anna-Lena hatte sie gar nicht gesehen. Dichtes, kniehohes Gras bewuchs die Lichtung, und als sie ans Ende blickte, sah sie es. Unzählige kleiner Lichter brannten im Schloss. Sie blieb unvermittelt stehen.

»Ist das schön!«, rief sie aus. »Das Schloss ist ja aus Glas!?« rief sie verwundert.

»Nun, nicht gerade aus Glas«, antwortete der Fremde, »aber wenn es dunkel wird, dann schaltet sich die Außenbeleuchtung ein. Man soll sich schließlich nicht verirren!«

Sie waren erst ein paar Meter die Lichtung entlang gegangen, da hörte sie lautes Rufen. Sie sah genauer hin. Jemand kam ihnen entgegen. Es waren Kinder; Anna-Lena konnte nicht sagen wie viele, aber sie warfen aufgeregt ihre Arme in die Höhe und rannten ihnen entgegen, was das Zeug hielt.
Dann hörte sie, was sie riefen: »Unser König ist wieder zurück! Unser König! Hurra, unser König ist wieder da!« Und dann hörte sie ihren eigenen Namen rufen: »Und er hat Anna-Lena mitgebracht!« Anna-Lena war verwundert. Wer kannte ihren Namen?

Die Kinder hatten sie jetzt beinahe erreicht und riefen immer noch ganz aufgeregt durcheinander.

»Unser König – er hat Anna-Lena mitgebracht! Willkommen, Anna-Lena, auf unserem Schloss!«

Verwundert blickte Anna-Lena den Fremden an. Erst jetzt sah sie, dass seine Kleidung schneeweiß war. Er lächelte sie an, zeigte in Richtung Schloss und sagte: »Willkommen, Anna-Lena, willkommen zu Hause!«

Schandor, am 7.2.2011

 

Hallo Schandor

Eine nette Geschichte, die du da geschrieben hast.

Anna-Lena ist auf dem Heimweg und sollte ihre Medikamente nehmen. Sie fühlt sich unwohl, weil sie zu spät ist. Am Ende kommt sie nach Hause – in ein Schloss. Auf mich wirkt die Geschichte etwas seltsam. Darum frage ich mich, ob sie nicht eher in die Rubrik Seltsam passen würde. Aber das ist natürlich dem Autor überlassen.

Das andere ist, dass bei mir beim Lesen keine Spannung aufkam. Ich dachte immer, jetzt passiert etwas, es kommt etwas, aber die Erzählung plätscherte einfach weiter.

Das liegt vielleicht bei mir, Kindergeschichten sind nicht meine Sparte. Doch der Titel hat mich angesprochen. – Gerne gelesen.

Gruss Rosalia

 

Hallo Schandor,

das ist keine nette Geschichte, dass ist eine ganz gruselige Geschichte. Und ich würde sie Kindern nicht vorlesen. Nicht, weil sie nicht kindgerecht geschrieben ist, sondern der Fragen wegen, die sie anschließend stellen. Du sprichst es ja nicht aus, aber Kinder wollen es wissen, also fragen sie und ich sitze dann schön in der Patsche, wenn ich antworten muss - "Sie ist tot und das Schloss ist der Kinderhimmel und der weiße Mann ein Engel. Naja, sie war halt krank, weißt du. Sie hat sich verlaufen und konnte ihre Medizin nicht nehmen und deshalb musste sie sterben." Nee - ich will die Geschichte nicht erklären müssen. Ich denke auch nicht, dass der Tod ein gutes Thema für Kindergeschichten ist. Damit setzt sich der Mensch für gewöhnlich erst sehr viel später auseinander. Auch wenn der Kindertot bei Dir ja was tolles zu sein scheint. Aber das macht mich eigentlich noch wütender.

Ich erhebe keinen Anspruch auf Allgemeingültigkeit meiner Aussage. Andere mögen das anders sehen, aber bevor ich Zeit in solche Gespräche investiere, baue ich lieber 'nen Schneemann mit den Kids.

In diesem Sinne,
beste Grüße Fliege

 

Hej schandor,

ich finde nicht, dass der Tod als Thema für Kinder nicht geeignet ist*.
Aber die meisten Kinder würden vermutlich bald das Interesse verlieren, weil kaum etwas interessantes zum Thema geboten wird.

Im ersten Teil geht es auch gar nicht um Tod, sondern um Krankheit. Die guckt immer mal wieder um die Ecke und ist nicht greifbar. Aber eben das fänd ich wichtig.
Es wirft ein seltsames Licht auf alle Beteiligten, dass ein Kind dermaßen wenig über die eigene Krankheit, den eigenen Körper und dessen Zustand weiß. Das ist ja schon fast Folter. Anna-Lena ist ganz eindeutig kein Wesen aus Fleisch und Blut, weil sie weder depressiv, noch aufmüpfig genug ist, um die Situation zu ertragen.

Dann kommt plötzlich irgendwoher der Mann, das Schloss leuchtet und alles ist gut. Wo ist der Zusammenhang?

Oder die Eltern: Du beschreibst ihre Heimlichkeiten aber Du erklärst sie nicht. Sie werden nicht gedeutet, sie werden herbei gezerrt und achtlos liegen gelassen. Du Stellst Deine Leser hilflos vor eine weitere Hilflosigkeit. Kinder, behaupte ich mal, brauchen keine Erwachsenenhilflosigkeit in einer Geschichte, von der jemand behauptet, sie wäre für Kinder gemacht.

Ich weiß nicht, ob Du Dir darüber im Klaren bist, was Du mit dieser Geschichte sagen willst. Kindern vermitteln wolltest. Ist mir jedenfalls ein Rätsel.

* Fliege, das ist nicht Dein Ernst, oder? Was ist mit "Die Brüder Löwenherz", "Ente Tod und Tulpe", "Mein trauriges Buch" (mit Bildern von Quentin Blake, was das Ganze noch besser macht). Das sind tolle (Bilder)Bücher zum Thema. Und es gibt sicher noch viele mehr.

LG
Ane

 
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* Fliege, das ist nicht Dein Ernst, oder? Was ist mit "Die Brüder Löwenherz", "Ente Tod und Tulpe", "Mein trauriges Buch" (mit Bildern von Quentin Blake, was das Ganze noch besser macht). Das sind tolle (Bilder)Bücher zum Thema. Und es gibt sicher noch viele mehr.

Es gibt sicher noch mehr und ich sage auch nicht, dass man das Thema Tod von Kindern fernhalten solle, er gehört ja auch irgendwie zu ihrem Alltag. Aber, bei den Gebrüdern Löwenherz zum Beispiel, da ist der Tod Mittel zum Zweck, er ermöglicht erst den Übergang in die "andere" Welt, in der die beiden dann Abenteuer bestehen müssen. Da macht sich die Autorin auch die Mühe es auszusprechen, darzulegen, warum und weshalb, da sind Krankheit und Unfall nicht irgendwas nebulöses. Das passiert hier ja alles nicht. Wenn Autoren für Kinder das Thema anpacken und es entsprechend ausführen, hab ich auch gar nichts dagegen, aber eine Geschichte zu schreiben, wo der Vorleser am Ende die Arbeit übernehmen muss, das finde ich lau.

Im Gegenzug dazu kann ich Kinderbüchern gar nicht genügend Respekt zollen, auf die Angehörige zurückgreifen können, wenn ein Kind ein Familienmitglied verloren hat und einem selbst die Worte fehlen, zu erklären, warum es diesen Menschen nun nicht mehr gibt und warum er "da" ist, obwohl sie ihn nicht sehen, hören, spüren können.

Für Kindergeschichten sind Identifikationsfiguren sehr wichtig. Und wenn sich ein Kind, ausschließlich mit einem sterbenden Kind identifizieren kann (weil nichts anderes thematisiert wird), dann finde ich es eben als Thema schwierig für Kindergeschichten und an ihrem Alltag vorbei geschrieben.

Tot ist etwas sehr abstraktes für Kinder. Und da kann man keine abstrakte Geschichte drüber schreiben. Meine Meinung. Aber wie gesagt, ich erhebe nicht den Anspruch , dass dies allgemein so gesehen wird.
Ich hoffe, ich konnte mich etwas klarer ausdrücken.

 

Salve Shandor,

erst mal zum Text: handwerklich ist er glatt heruntergeschrieben. Keine großen Fehler, keine Fallstricke, keine Haken und Ösen, allerdings auch nicht in dem Sinne, dass man einhaken und ein bisschen verweilen könnte. Auch Kinder sind für Bilder, Vergleiche, Wortspiele, Ironie und dergleichen zu erreichen, aer all das, was literarische Sprache so besonders macht, ist hier nicht zu finden.

Konflikte werden glatt gezogen, kein Wort mehr von den Eltern, von denen das Mädchen ja auf Dauer getrennt sein wird, wenn es im Schloss lebt, ebenso wie vom Bruder und den Freundinnen. Und studieren wird sie auch nicht mehr können, und aus ihrer Sicht) wahrscheinlich nie Zutritt zu all den Erwachsenengehimnissen erhalten.

Ich finde es überhaupt kein Problem, wenn ein Kind sich nur mit der sterbenden Person identifizieren kann; das könnte dann eine Geschichte für ein Kind sein, das womöglich selbst sterbenskrank ist, oder einen todkranken Freund oder Angehörigen hat und wissen will, was in ihm vorgeht.

Aber dann dürfte nicht ein Eiapopeia-alles wird gut-Zuckerguss drüber gegossen werden, sondern die Geschichte müsste sich mit den Fragen auseinander setzen, die solche inder wohl bewegen.
Wer kümmert sich um mein Kaninchen? Werden meine Freunde mich vermissen und immer an mich denken, oder werden sie mich vergessen? Werde ich Schmerzen haben? Wer kümmert sich um Mama und Papa, wenn ich nicht mehr da bin (auch Kinder fühlen sich fürs Wohlergehen ihrer Eltern verantwortlich, wenn sie sie traurig und bedrückt erleben)? Werde ich meinen Geburtstag noch erleben? Darf jetzt die blöde Jessica die Verantwortung fürs Klassenbuch übernehmen? Bin ich dann einfach weg, oder was kommt nach dem Tod?

Nur das letzte reißt Du kurz an, ohne allerdings deiner Protagonistin ein Todesbewusstsein zuzugestehen, oder ihre Ängste zu thematisieren, ihre Wut, Trauer über die verpassten Möglichkeiten, die Hoffnung, dass das Blatt sich doch noch einmal wendet.

Mein Fazit: das Thema ist möglich, die Perspektive der Protagonistin ist möglich, aber die Umsetzung ist verbesserungswürdig.

LG, Pardus

 

Hallo Schandor!

Ein schwieriges Thema für eine Kindergeschichte hast du dir ausgesucht.

Handwerklich habe auch ich nichts an dem Text auszusetzen.

Inhaltlich stört mich zunächst eines ganz gewaltig, was bislang niemand angesprochen hat. Wir Eltern erklären unseren Kindern immer wieder, dass sie niemals mit einem Fremden mitgehen dürfen. Egal wie nett und lieb er ist und egal welche Versprechungen er macht. Und was macht die Protagonistin? Sie geht brav mit dem Mann mit.
Egal, ob er sich hinterher als Engel entpuppt. Ich finde es in Kindergeschichten ein absolutes no go, die Protagonisten mit einem Fremden mitgehen zu lassen!

Dann ist deine Protagonisten stellenweise unglaubwürdig:

Außerdem wollte sie ihre Eltern heute nicht schon wieder verärgern, hatte sie gestern doch zum wiederholten Male ihr Mathe-Buch in der Schule vergessen und konnte ihre Hausübung daher nicht erledigen. Zelda war damit gestrichen, dabei war sie kurz vor dem siebenten Schloss! Aber Anna-Lena hatte ein schlechtes Gewissen und empfand die Strafe daher als richtig.
Welches Kind empfindet eine Strafe als richtig und gibt dies auch noch zu?

Die Tränen hatten ihr Gesicht ganz rot gefärbt, und ihre Augen hatten gar nicht gelächelt. Was denn los sei? hatte sie gefragt. Ihre Eltern hatten den Kopf geschüttelt und sie in den Arm genommen. Komm nun essen, hatten sie gesagt und waren in die Küche gegangen.
Und damit gibt Anna-Lena sich zufrieden? Sie spürt, dass hier etwas nicht stimmt und bohrt nicht nach?

Generell wirkt die Protagonistin ziemlich flach. Sie ist auch nicht traurig, sie ist nicht wütend. Sie wird kaum ängstlich.
Ich denke nicht, dass sich kids mit Anna-Lena identifzieren können. Mir fehlen starke Gefühle, die gerade bei so einem Thema dazugehören. Kinder dürfen wütend und verzweifelt sein, wenn sie krank sind. Und weinen, wenn etwas wehtut. Sie bekommen Panik, wenn sie sich verlaufen und werden sauer, wenn man ihnen eine Strafe aufbrummt.

Die Krankheit des Mädchens wird nur angedeutet. Das macht die ganze Sache sehr gruselig für kids. Ich möchte als Mutter meinem Kind nicht erklären müssen, was das jetzt für eine Krankheit sein könnte, die mit Stechen in der Brust einhergeht. Für Ratespiele ist die Geschichte zu ernst. Da solltest du klar und für kids verständlich erklären, was das Mädchen für eine Krankheit hat.

Für mich kommt auch nicht klar rüber, ob der Text eine Botschaft haben soll? Vielleicht magst du das ja noch erklären.

Frage zum Schluss: Wer oder was ist denn Zelda? Ich schätze mal ein Computerspiel? Muss man das kennen (anscheinend, denn außer mir fragt keiner nach ...).

Viele Grüße

bluebird

 

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